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Helena

Bewertungen

Insgesamt 132 Bewertungen
Bewertung vom 30.10.2019
Das Geheimnis von Shadowbrook
Fletcher, Susan

Das Geheimnis von Shadowbrook


ausgezeichnet

Es ist Winter 1918 als die 24jährige Clara Waterfield auf ihr noch nicht sehr langes und doch sehr bewegtes Leben zurückblickt. Geboren mit der Krankheit Osteogenesis imperfecta, auch als Glasknochenkrankheit bekannt, lebt sie in London ein Leben voller Entbehrungen. Ihre Kindheit und Jugend verbringt Clara in einem gepolsterten Zuhause, wobei sie lediglich dank der Erzählungen ihrer Mutter und dank der großen persönlichen Bibliothek eine Verbindung zu der Außenwelt herstellen kann. Erst mit Vollendung ihres achtzehnten Geburtstages ist es ihr erlaubt das Haus zu verlassen. Zu dem Zeitpunkt hat Clara bereits ihre Mutter an eine schwere Krankheit verloren. Als die Halbwaise eines Tages das Angebot erhält, auf einem Anwesen in Gloucestershire ein Palmenhaus einzurichten, zögert sie nicht lange und folgt dem Ruf nach Freiheit und Unabhängigkeit. Eine seltsame und verwirrende Situation trifft sie dort an: Während die Gärten des Landsitzes Shadowbrook üppig sind und nur so vor Leben sprühen, stellt das alte Wohnhaus das genaue Gegenteil davon dar. Es befindet sich in einem desolaten Zustand, die meisten Räume sind verschlossen, der Eigentümer Mr. Fox ist nur selten da und die Haushälterin sowie die Dienstmädchen sind verschreckt und ängstlich – denn in dem Haus soll der Geist einer verlorenen Seele ihr Unwesen treiben. Während die unerschrockene Clara, die nicht an Geister glaubt, dem Ganzen auf den Grund zu gehen versucht, verstrickt sie sich immer mehr in die Geschichte von Shadowbrook, die sie zunehmend mit ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert.

„Das Geheimnis von Shadowbrook“ ist ein faszinierender und geheimnisvoller Roman, der den Leser bis zum Ende in Atem hält. Wer Bücher wie „Jane Eyre“ und „Rebecca“ mag, ist mit „Das Geheimnis von Shadowbrook“ bestens beraten. Die Parallelen zu „Jane Eyre“ sind unübersehbar: Eine (Halb)Waise, die sich selbst für unscheinbar und wenig reizvoll hält sowie sich ihrer eigenen charakterlichen Stärke nicht bewusst ist, kommt zur Erfüllung einer mehr oder weniger prosaischen Aufgabe auf ein Anwesen, auf dem merkwürdige Dinge vor sich gehen. Beide Protagonistinnen sind unkonventionell und verfügen über eine starke, leidenschaftliche und überzeugende Erzählerstimme. Sie sind ihrer Zeit im Denken und Handeln weit voraus, wodurch sie einen enormen Eindruck auf ihre Umwelt ausüben. Liebe, Glauben, Verlust und Verantwortung sind in beiden Romanen Themen von zentraler Bedeutung. Beide Romane sind als Bildungsromane mit psychologischen Elementen und Bestandteilen der Schauerliteratur zu verstehen. Wobei diese Bausteine – insbesondere der letzte – ebenfalls eine enge Verbindung zu Daphne du Mauriers „Rebecca“ herstellen. Auch hier haben wir es mit einem Anwesen mit einer geheimnisvollen, beängstigenden Aura zu tun, in dem der Geist einer Verstorbenen stets lebendig zu sein scheint und es zu unheilvollen Ereignissen kommt. Die intertextuellen Bezüge von „Das Geheimnis von Shadowbrook“ zu „Jane Eyre“ und „Rebecca“ sind somit offensichtlich. Trotzdem ist die Geschichte von „Das Geheimnis von Shadowbrook“ eine ganz andere als die von „Jane Eyre“ und „Rebecca“. Kaum glaubt man eine Parallele, einen ähnlichen Erzählstrang entdeckt zu haben, entwickeln sich die Dinge doch ganz anders als erwartet. Denn auch Susan Fletcher beherrscht die Kunst der Verschleierung und stufenweisen Geheimnisenthüllung wie ihre Vorgängerinnen auf hervorragende Weise. Kaum glaubt man als Leser der Wahrheit auf den Grund gekommen zu sein, wird man mit einer neuen Erkenntnis oder überraschenden Wendung konfrontiert, die alles in ein neues Licht rückt. Vielleicht ist Fletchers Protagonistin etwas blasser als Jane Eyre oder Mrs. de Winter und nicht mit einer ganz so großen Affinität zur Identifikation bedacht wie diese, nichtsdestotrotz ist sie eine ungewöhnliche und starke Romanfigur. Ich hätte nicht gedacht, dass ich noch auf ein Buch treffen würde, das eine fast ebenso große Faszination wie „Jane Eyre“ oder „Rebecca“ auf mich au

Bewertung vom 25.10.2019
Drei
Mishani, Dror

Drei


sehr gut

Orna sucht ein wenig Trost, nachdem ihr Mann sie und ihren zehnjährigen Sohn verlassen hat, und meldet sich auf einer Online-Dating-Plattform an, auch wenn sich das Flirten mit anderen Männern noch sehr fremd anfühlt. Emilia ist fremd in Israel. Als der alte Mann, den sie pflegt, stirbt, muss die Lettin wieder ganz von vorn anfangen. Sie sucht nach einem Zuhause und nach einem Zeichen von Gott, dass sie auf dem richtigen Weg ist. Ella wiederum braucht dringend Pause von ihren drei kleinen Kindern. Ist sie auf der Suche nach einem Abenteuer?

Drei verschiedene Frauenschicksale. Mit einer Gemeinsamkeit: Sie alle finden denselben Mann.

Der Roman ist in drei Abschnitte geteilt, wobei jeder Abschnitt jeweils einer der drei oben kurz umrissenen Frauen gewidmet ist. Interessanterweise entscheidet sich der Autor dafür die Schicksale der beiden ersten Figuren anhand des personalen Erzählers zu schildern – die Funktion dieses Erzählers ist klar: das Geschehen wird ausschließlich aus der Perspektive der jeweiligen Person erzählt, der Leser weiß somit nur so viel wie die Figur selbst – im letzten Abschnitt wechselt sich der personale Erzähler jedoch mit dem auktorialen Erzähler ab. Dieser Erzähler ist allwissend, er kennt Orna und Emilia, die er im Text oftmals direkt anspricht. Er lädt den Leser ein, sich ihm anzuschließen und ab einem gewissen Zeitpunkt wird der Leser unweigerlich dieser Einladung nachgehen und sich zu dem auktorialen Erzähler gesellen.

Neben diesem formalen Experiment, zeichnet sich der Roman durch die vielen unerwarteten Wendungen und Entwicklungen aus, die in starkem Kontrast zu dem analytisch-bedächtigen Erzählstil stehen. Dror Mishani weiß mit Sprache umzugehen. Er führt den Leser gekonnt in eine illusionäre Sicherheit, aus der das jähe Herausreißen einen geradezu schockartigen Effekt hat.

Mit einem feinen Gespür für das Dezente zeichnet er in seinem Roman psychologisch stimmige Porträts dreier verschiedener Frauen. Wie der Autor es selbst in Worte fasst, „schreibe [er] aus der Sicht von Frauen, weil [s]eine Figuren in der Lage sein müssen, die ganze Bandbreite an Gefühlen zu empfinden und auszudrücken, die [er] ihnen mitgeben will.“ Dies gelingt dem Autor einwandfrei. Sowohl die Gedankengänge und Gefühle der Figuren als auch ihre Handlungen sind aus Leserperspektive vollkommen nachvollziehbar. Leider trifft dies jedoch an vielen Stellen für den Mann, der eine Rolle in den Schicksalen dieser drei Frauen spielt, nicht zu. Um die Geschichte nicht zu spoilern, möchte ich nicht näher auf diese Textstellen eingehen. Oder allgemeiner gesagt, es ist die große Frage nach dem „Weshalb?“. Dies kann man als Schwachstelle des Romans sehen, muss aber nicht. Für eine vollkommene literarische Überzeugung hat es bei mir persönlich aber daher nicht gereicht, weshalb ich statt der fünf nur vier Sterne für den Roman vergebe.

„‚Drei‘ handelt […] von unserer Pflicht, die Menschen um uns herum und ihre Leben zu sehen, wahrzunehmen. Es ist vor allem ein Roman über unsere Verantwortung gegenüber den Lebenden und gegenüber den Toten, die immer noch bei uns, »im Leben« sind.“

Bewertung vom 30.09.2019
Unter einem guten Stern
Darke, Minnie

Unter einem guten Stern


ausgezeichnet

Als Justine (Journalistin beim »Alexandria Park Star«, Skeptikerin, Schütze) ihrer Jugendliebe Nick (Romeo-Darsteller im Theater, Idealist, Wassermann) wiederbegegnet, ist das vielleicht Schicksal. Auch dass er sich stets nach dem Horoskop der Zeitschrift richtet, für die Justine arbeitet, könnte Schicksal sein. Justine aber hat Nick immer geliebt und will sich auf keine höhere Macht verlassen. Heimlich nimmt sie Änderungen am Wassermann-Horoskop vor, um ihm ein Zeichen zu senden. Doch Nick missversteht ihre Hinweise völlig – und er ist nicht der Einzige, der sich von den Sternen leiten lässt…

Minnie Darke legt uns mit ihrem Debütroman ein wahres Meisterwerk an Esprit, Witz, Gefühl und Wärme vor. Wie gebannt rast man durch die Seiten. Es ist ein Roman, bei dem man zu essen, zu trinken, ja, sogar zu atmen vergisst. Damit der Lesegenuss nicht zu schnell vorbei ist, musste ich mich dazu zwingen Pausen einzulegen. Es ist nicht nur spannend die Irrungen und Wirrungen der Protagonisten verfolgen, auch die Schicksale der vielen Nebenfiguren kennenzulernen, deren Leben von dem geänderten Wassermann-Horoskop geprägt wird, ist ein Abenteuer und Hochgenuss. Die Autorin kann sich nicht nur fehlerfrei und überzeugend in ihre beiden Hauptcharaktere einfühlen, nein, sie überzeugt gleich mit einer ganzen Palette an Figuren – angefangen bei einem streunenden Hund mit starverdächtiger Singstimme und aufgehört bei einem verbitterten einsamen Mann im Altersheim. Die kurzen und prägnanten Personenbeschreibungen sind dabei ein wahres Meisterstück der schriftstellerischen Charakterzeichnung. Beispiel gefällig? „Dorothy Gisborne – Wassermann, England-Fan, langjährige Anwohnerin in der Devonshire Street, seit fünf Jahren verwitwet, stolze Besitzerin der wohl umfangreichsten Sammlung von Charles-und-Diana-Hochzeitsdevotionalien in der gesamten Christenheit und penible Laken-, Geschirrtuch- und Unterhosen-Büglerin – tippte eine Adresse in das Suchfeld von Google Maps.“ Also, ganz ehrlich, wer hat nach diesem Satz kein genaues Bild von der beschriebenen Person im Kopf?

Weiterhin möchte ich betonen, dass man sich keinesfalls für Sternseherei interessieren muss, um den Roman aufs Vollste zu genießen. Ähnlich wie die Protagonistin des Romans, Justine, konnte ich mich nie für das Thema des Horoskops erwärmen. Dies liegt vor allem daran, dass es eben in der Regel so durchschnittlich und in seiner Aussage so vage ist. Wäre es so einfallsreich, ansprechend und phantasievoll wie in Minnie Darkes Roman, dann würde ich es auch ganz bestimmt – so wie Nick – jeden Monat lesen und beherzigen. Die Autorin hat es geschafft, dass ein Thema, dem ich nie Interesse entgegengebracht habe, dank der gelungenen Umsetzung eine Faszination auf mich ausübt, die ich selbst nicht für möglich gehalten hätte. Als ob dem Ganzen nicht schon genug wäre, spricht der Roman dem Leser auch Mut zu – er ermuntert einen zu seinen Überzeugungen und Träumen zu stehen. Und er spricht dem Leser Mut zu, sich selbst zu verwirklichen bzw. sich nicht von seinem Weg abbringen zu lassen. Es ist wahrlich ein herzerwärmender Roman, der mit Originalität und Spritzigkeit überzeugt. Von Kitsch keine Spur!

Ich sage nicht, es würde nicht oft passieren, dass ich von einem Buch restlos begeistert bin und große Bewunderung für den Autor bzw. die Autorin empfinde, aber eher selten ist es so, dass ich ein Buch tatsächlich liebe. Bei Minnie Darkes „Unter einem guten Stern“ ist es allerdings genau so – ich liebe diesen Roman. Es ist eins dieser Bücher, das ich für nichts auf dieser Welt weggeben würde. (Nebenbei gesagt: Auch von dem Cover bin ich restlos begeistert – es ist wunderschön. Und – aber das bleibt unter uns – ich schließe mich mit dem Buch manchmal extra ins Bad ein, nur um das Cover im Dunkeln leuchten zu sehen). Deshalb: Holt euch diesen Roman und taucht ein in eine Welt, die beflügelt, inspiriert und Mut macht!

Bewertung vom 27.09.2019
Was würde Frida tun?
Foley, Elizabeth;Coates, Beth

Was würde Frida tun?


weniger gut

Elizabeth Foley und Beth Coates haben sich zusammengesetzt und fünfundfünfzig Frauenporträts inspirierender Frauen erstellt. Die Palette erstreckt sich von der Hohepriesterin Enheduana über Mary Wollstonecraft bis hin zu Betty Ford. Während uns in ihrem Sachbuch Frauen begegnen, die wir gut kennen bzw. gut zu kennen glauben, wie Königin Victoria, Coco Chanel oder Mae West, lernen wir auch Frauen kennen, von denen wir entweder wenig gewusst oder noch gar nichts gehört haben. Aufgelockert werden die kurzen Porträts von den sehr ansprechenden Illustrationen aus der Feder Bijou Karmans.

Während uns die beiden Autorinnen sowohl einen guten Überblick über das Leben der berühmten Frauen geben als auch das Besondere der jeweiligen Person herausarbeiten, versuchen sie auch jedes Mal eine Lektion für uns Leserinnen abzuleiten. Leider gelingt dies meines Erachtens nicht immer gut. Bei einer Piratin beispielsweise von einer Work-Life-Balance zu sprechen, finde ich persönlich mehr als gewöhnungsbedürftig. Manche Exkurse driften so weit von der porträtierten Person ab, dass sie völlig fehl am Platz wirken. Von einer Politikerin und ihren Errungenschaften zu sprechen, um dann zu schreiben, wie schwierig es wäre gleichzeitig Snapchat, Instagram und Twitter zu jonglieren, ist mehr als fraglich. Viele Begriffe, die die beiden Autorinnen in ihrem Buch benutzen, erinnern eher an Frauenzeitschirftenjargon, als dass sie den Anspruch auf Authentizität und Ernsthaftigkeit aufrechtzuerhalten versuchen. So erwarte ich, dass Begriffe wie „cool“, „daten“, „die Nase voll haben“, „auf den Wecker gehen“, „total erwischt“, „echt krass“, „ziemlich was auf dem Kasten haben“, „Scheißangst“, „Toyboy“, „Schiss haben“, „ausrasten“, „ziemlich durch den Wind sein“, „chillen“, „eine Show abziehen“, „sich voll reinhängen“ und „ihr Ding durchziehen“ in Sachliteratur, die ernst genommen werden möchte und einen gewissen Anspruch auf Objektivität stellt, nicht vorkommen. Das Tüpfelchen auf‘s i stellte hierbei der – laut der Autorinnen – „schwanzgesteuerte“ Lord Byron dar, doch indem männliche Personen herabgewürdigt werden, werden nicht automatisch weibliche Individuen aufgewertet. Der oftmals aggressiv feministische Ton der beiden Autorinnen hat meines Empfindens eher den gegenteiligen Effekt, als ihn die beiden Damen anstreben. Das Zielpublikum des Buches ist auch nicht ganz eindeutig. Während Foley und Coates derart angestrengt „cool und hype“ zu sein versuchen sowie Dinge erklären, die einer erwachsenen Person nicht erklärt werden müssen, würde ich eindeutig auf Mädchen im Teenageralter tippen, doch leider sprechen die beiden Autorinnen viel zu oft vom Beruf, Ehefrau und Mutterdasein, als dass man diese These aufrechterhalten wollte.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass die Intention der beiden Autorinnen zu loben ist. Sie haben augenscheinlich viel Recherchearbeit betrieben und sich Gedanken gemacht, was wir von den in dem Buch aufgeführten Frauen lernen können. Leider ist ihnen dieses Vorhaben nicht immer optimal gelungen, doch ich kann mir vorstellen, dass dieses Buch ihre Anhängerinnen finden wird.

Bewertung vom 25.09.2019
Nenne drei Streichinstrumente: Geige, Bratsche, Limoncello
Greiner, Lena;Padtberg-Kruse, Carola

Nenne drei Streichinstrumente: Geige, Bratsche, Limoncello


sehr gut

„Könnten wir nicht alle so schreiben, wie wir wollten? Mitnichten. Es würden so viele lustige Schülerantworten ihre Grundlage verlieren.“

„Nenne drei Streichinstrumente: Geige, Bratsche, Limoncello“ ist bereits der dritte Band mit Anekdoten aus dem Lehrer-Schüler-Alltag. Hier sind die neuesten Stilblüten der Schüler, die besten Ausreden für‘s Zuspätkommen, Lehrergeständnisse sowie Berichte über skurrile Lehrer versammelt. Falls Ihre Schulzeit nun etwas länger zurückliegt, können Sie Ihr Wissen dank diesem Band wieder neu auffrischen (bist du dagegen noch Schüler, kannst du sicher umso herzhafter über die hier versammelten Geschichten lachen).

So erfahren wir, dass sich der Koalabär von den Blättern des Apokalypsusbaums ernährt – und haben es vermutlich somit diesem nützlichen lieben Tier zu verdanken, dass die Apokalypse noch nicht über uns hereingebrochen ist;) Wir werden darüber informiert, dass ein junges Mädchen, das zu lange ohne Licht und Luft lebt, zunächst die Bazillen kriegt und dann keinen Mann mehr. Dass die Pubertät eine schwierige Phase darstellt, in der die Haut mehr Teig produziert und Barthaare unter den Achseln wachsen. In Vergessenheit geratenes Wissen wird wieder aufgefrischt, sodass wir daran erinnert werden, dass das besitzanzeigende Fürwort „Prositutions-Pronomen“ genannt wird, dass Rom von Alfa und Romeo gegründet wurde und dass Mose auf dem Berg Senai die zehn Angebote von Gott erhielt. Aber dass Jahresringe durch die Wechseljahre entstehen, Kolumbus Kolumbien entdeckte und Vollmilch von Vollblütlern stammt, wussten Sie doch hoffentlich? Vielleicht wird Sie nach der Lektüre die Stadt Leipzig als Reiseziel viel weniger reizen, nachdem Sie erfahren haben, dass dort viele Komponisten gelebt und gewürgt haben, doch werden Sie nun ganz bestimmt nie mehr das Einfallsreichtum der Schüler in Zweifel ziehen.

These: Es gibt hier definitiv viel zu lachen. Antithese: Manchmal überkommt Sie auch ein eisiger Schauer angesichts der Ignoranz und Unwissenheit der Schülerschaft. Synthese – entschuldigen Sie vielmals, ich meinte natürlich Prothese: Das Buch unbedingt lesen!

„Sie haben geheiratet. Und wenn sie leben, dann sterben sie morgen.“

Bewertung vom 06.09.2019
Der Sprung
Lappert, Simone

Der Sprung


ausgezeichnet

Das kleine Städtchen Thalbach bei Freiburg ist „ein Umsteigebahnhof, eine Durchgangstation“, hier leben all die „Hängengebliebenen, Abwartenden oder Festsitzenden“. Eines schönen Sommertages passiert gerade hier jedoch etwas, dass die ganze Stadt in Aufruhr versetzt: Auf dem Dach eines Wohnhauses tobt eine junge Frau, die sich weigert herunterzukommen. Hast sie etwa vor zu springen?

Schnell sammelt sich eine wahre Menschenmasse auf dem Platz vor dem Wohnhaus zusammen. Sie filmen mit, machen Fotos, sonnen sich, veranstalten ein Picknick. Für die meisten wird der Tag nur als derjenige im Gedächtnis bleiben, der die Alltagsroutine für einige Stunden durchbrochen hat. Nicht mehr und nicht weniger. Für einige wenige bedeutet dieser Tag jedoch Veränderung, Wandel. Und genau diese Menschen lernen wir kennen. Abwechselnd tauchen wir in die verschiedenen Perspektiven ein – in diejenige der jungen Manu auf dem Dach, bei der sich allerdings die Innensicht auf den Sprung allein reduziert. Wir lernen Felix, den jungen Polizisten kennen, der der Frau gut zuzureden versucht; dabei hat er mit eigenen Ängsten und Reminiszenzen zu kämpfen. Finn, den Fahrradkurier, der Manus Freund ist. Winnie, die gemobbte Schülerin, der der Voyeurismus der Menschen auf dem Platz zuwider ist. Astrid, Manus ältere Schwester, die doch unbedingt Bürgermeisterin werden möchte und nun setzt diese Geschichte die ganze Stadt in Aufruhr und sie in ein schlechtes Licht. Edna, die die Frau auf dem Dach zuerst erblickt und die Polizei informiert. Theres, die mit ihrem Mann einen kleinen Laden führt, der kurz vor Konkurs steht, an besagtem Tag aber überrannt wird. Maren, die die Wohnung bewohnt, deren Dach Manu nun Stück für Stück abreißt. Egon, der früher Hüte hergestellt hat, aber seinen Laden schließen musste; ganz unerwartet kommt aber eine Wendung, die womöglich ein Comeback einleuchtet. Und Henry, den Obdachlosen, der den Menschen Lebensfragen verkauft. „Wenn Sie einen Tag aus Ihrem bisherigen Leben wiederholen könnten, für welchen würden Sie sich entscheiden und warum?“

Simone Lappert ist mit einem wunderbaren Schreibstil gesegnet. Sie kann sich mühelos und fehlerfrei in jede Figur einfühlen – die Spannbreite erstreckt sich von einem pubertierenden Mädchen bis hin zu einem älteren Mann, der dem Leben nichts mehr abgewinnen kann. Genauso mühelos taucht der Leser in die einzelnen Geschichten ein und findet sich in jeder Figur ein Stück weit wieder. Nicht eher kann man sich von den einzelnen Schicksalen losreißen, als bis das Buch beendet ist. Einiges bleibt offen, sodass die Geschichten individuell weitergesponnen werden können. Und auch mit einigen Fragen bleibt der Leser zurück. Wie hättest du dich in dieser Situation verhalten? Und eine Aufforderung an uns schwingt deutlich mit: Genauer hinzuschauen – in unserer eigenen Stadt, unserer eigenen Umgebung, unserem eigenen Leben.

Bewertung vom 02.09.2019
Tagebuch eines Buchhändlers
Bythell, Shaun

Tagebuch eines Buchhändlers


ausgezeichnet

„Wenn ich ein Haus betrete, um dort Bücher zu sichten, empfinde ich eine Vorfreude wie bei nichts sonst. Es fühlt sich an, als würde ich ein Netz auswerfen und nie wissen, was sich darin verfangen hat, wenn ich es wieder einziehe. […] Bei einer Verhandlung um den Preis einer Privatsammlung mit dem Verkäufer werden die Bücher, um die es geht, zu einer schillernden Beute. Ab dem Moment jedoch, in dem man sich auf einen Preis geeinigt hat, Hände geschüttelt wurden und der Scheck meine Hand verlässt, verwandeln sich die Bücher in eine schwere Last, die ich in Kisten packen, ins Auto einladen, zu Hause ausladen, später durchsehen, online auflisten, auspreisen und in die Regale räumen muss, ehe ich auch nur einen Penny meiner Investition wiedersehe.“

Shaun Bythell ist seit 2001 Besitzer einer Buchhandlung – dem bekannten „The Book Shop“ in Wigtown, Schottland. Am 5. Februar 2014 beginnt er mit seinen Aufzeichnungen zu dem „Tagebuch eines Buchhändlers“ und beendet es am 4. Februar 2015 – es umfasst somit genau ein Jahr seines Lebens. Jedem neuangefangenen Monat setzt er einen Auszug aus George Orwells „Erinnerungen an eine Buchhandlung“ voran und setzt sich mit diesem auseinander.

Der Autor, von seiner damaligen Teilzeitkraft Nicky als „großes, rothaariges Rätsel“ betitelt, erzählt uns in seinem Tagebuch von seinem Arbeitstag als Buchhändler, von seinen Freunden, Familienangehörigen, Bekannten und – last but not least – seinen Kunden. Er erzählt von den Herausforderungen seines Berufs, von ganz besonderen Funden, von Veranstaltungen, die Farbe in den Alltag bringen, aber auch von enttäuschenden und tristen Tagen. Als Experte in seinem Gebiet klärt Shaun Bythell uns über die Auswirkungen von Amazon und dem Internet im Allgemeinen auf physische Buchhandlungen wie seine auf. Auch von seinen Lektüren erzählt er uns, sodass man sich die ein oder andere Inspiration holen kann.

Mit herrlich britischem Humor kommentiert er seine Kunden, Mitarbeiter und sich selbst, ohne dabei ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Sehr selten passiert mir, dass ich beim Lesen eines Buches laut lachen muss – bei Bythells „Tagebuch eines Buchhändlers“ war das dauernd der Fall. Ich habe es wirklich sehr genossen und kann es jedem nur wärmstens ans Herz legen. Und die zweite Botschaft an euch, wie „The Indepentent“ bereits richtig bemerkt hat: Unterstützt euren Buchhändler vor Ort! Ich werde es ganz bestimmt tun. Was ich mir nun aber ganz besonders wünsche: Ich möchte sobald wie möglich nach Schottland reisen, um „The Book Shop“ einen Besuch abzustatten!

Bewertung vom 01.09.2019
Mittwoch also
Elstad, Lotta

Mittwoch also


ausgezeichnet

Hedda, Journalistin in Oslo, ist 33 Jahre alt, als ihre ganze Welt plötzlich auf dem Kopf steht: Ihre Langzeitaffäre und heimliche große Liebe Lukas macht Schluss mit ihr und sie verliert zudem ihren Job. Daraufhin bricht sie zu einer Irrfahrt quer durch Europa auf, die mit einem Beinah-Flugzeugabsturz über Sarajewo beginnt und mit einem One-Night-Stand mit dem Aussteiger Milo in Berlin endet. Zurück in Oslo stellt Hedda fest, dass sie ungewollt schwanger ist, woraufhin sie schnellstmöglich abtreiben möchte. Doch das norwegische Gesundheitssystem sieht eine mehrtägige Bedenkzeit vor. Doch Heddas Entschluss steht fest. Oder etwa nicht?

Von der ersten Seite an wird die Leserin in die Welt der Protagonistin hineingerissen. Zu identifizieren braucht sie sich nicht mit ihr. Große Literatur bedarf solcher ‚Tricks‘ nicht. Die Leserin soll nur in ihre Welt eintauchen und sich mit ihr auseinandersetzen. Es ist eine Welt, in die einzutauchen es sich lohnt. Man wird in Heddas Bewusstseinsstrom hineingezogen und kommt nicht eher los, bis man die letzte Seite gelesen und das Buch zugeklappt hat. Zynisch, ironisch, selbstkritisch, wortgewandt, feministisch, hinterfragend, bissig. Die eigenwillige und selbstbestimmte Hedda spiegelt die 80er-Jahre-Generation, die Xennials wider – eine Generation, die wie keine andere zwischen der alten und der neuen Welt steht und sich auf ganz individuelle Art orientieren muss. „Ich trage das Schicksal meiner Art in mir, einen Keim, einen absoluten Anfang, eine imaginäre Größe, ein Versprechen, ein Potenzial, eine Vorstellung, eine Zukunft.“

Nachdem uns mit Arthur Schnitzlers „Leutnant Gustl“ erstmals eine Erzählung durchgehend im inneren Monolog geschrieben vorlag und im 20. Jahrhundert nur noch durch James Joyce‘ Bewusstseinsstrom-Roman „Ulysses“ übertroffen werden konnte, haben wir hier mit „Mittwoch also“ nun ein ebenso geniales Werk dieses Genres vorliegen, das bedenkenlos in die Reihe der Bewusstseinsstrom-Romane eingegliedert werden kann. Du suchst nach origineller Gegenwartsliteratur, die viele Aussagen unterschiedlichster Natur in den Raum stellt und noch viel mehr Fragen aufwirft? „Mittwoch also“ ist der ideale Roman für dich!

Bewertung vom 20.08.2019
Warum wir schlafen
Vorster, Albrecht

Warum wir schlafen


ausgezeichnet

Ich weiß nicht, ob es Ihnen auch so geht, aber ich interessiere mich brennend für das Thema „Schlaf“ – was während dieses Vorgangs tatsächlich passiert und warum er so wichtig ist. Auf Albrecht Vorsters Sachbuch „Warum wir schlafen“ habe ich mich somit direkt gestürzt und konnte es kaum aus der Hand legen. Ich kann mich nicht erinnern, jemals ein dermaßen interessantes, humorvolles und zugleich für den Laien leicht verständliches Buch zu einem wissenschaftlichen Thema gelesen zu haben.

Albrecht Vorster beschäftigt sich mit Meeresschnecken, anhand derer er den Schlaf erforscht. Warum gerade mit Schnecken mögen Sie sich fragen. Das liegt daran, dass Schnecken von allen Lebewesen die wenigsten Nervenzellen besitzen und deshalb leicht zu untersuchen sind. Im ersten Kapitel erfahren wir somit unter anderem wie der Autor mit Dunkelkammerbeleuchtung und Radio die Nacht mit den Schnecken durchmacht und welche Schlüsse er aus seinen Beobachtungen am darauffolgenden Tag in Bezug auf den Menschen zieht.

Der Autor erklärt äußerst anschaulich, was während des Schlafes alles passiert. Wie und wo die Wahrnehmungen des Tages während der Nacht verarbeitet werden und wie Gelerntes während des Schlafzustandes verarbeitet wird. Er erklärt die wesentlichen Unterschiede der Arbeit des Immunsystems während des Tages und der Nacht. Und weshalb es in diesem Zusammenhang ratsam ist, während einer Krankheit oder nach einer Impfung unbedingt viel zu schlafen. Vorster stellt uns vor Augen, welche Auswirkungen künstliches Licht auf die Schlafqualität haben und warum Schichtarbeit auf Dauer krank macht. Warum die alljährliche Zeitumstellung in Sommer- und Winterzeit eine Schnapsidee ist und weshalb eine Festsetzung auf die Winterzeit die bessere Wahl gegenüber ständiger Sommerzeit wäre. Dass es sich bei Träumen nicht um abstrakte Gedanken, sondern um „echte“ Wahrnehmungen in einer imaginären Traumwelt handelt. Welche Rolle der Schlaf in einer Beziehung spielt. Was es mit dem Symptom „Restless legs“ auf sich hat und was bei einem Jetleg wirklich hilft.

Dies sind nur einige der Themen, die Albrecht Vorster in seinem Sachbuch zum Thema Schlaf behandelt. In verschiedener Gewichtung sind alle Informationen, die der Autor uns liefert, für jeden relevant, in machen Fällen können sie geradezu lebensverändernd sein. Albrecht Vorster versteht es den Leser für das Thema Schlaf zu begeistern. Wer vielleicht früher der Ansicht war, Schlaf wäre nur Zeitverschwendung, der wird nach der Lektüre von „Warum wir schlafen“ diametral entgegengesetzter Meinung sein. Ich kann nur eins sagen: Unbedingt lesen!

Bewertung vom 19.08.2019
Leben wird aus Mut gemacht
Landsteiner, Anika

Leben wird aus Mut gemacht


ausgezeichnet

Anika Landsteiner ist Journalistin. Bekanntheit erlangte sie durch ihren literarischen Reiseblog "anidenkt" sowie die Moderation des Podcasts "ÜberFrauen". Auch ihre bisher erschienenen Bücher "Gehen, um zu bleiben" sowie "Mein italienischer Vater" erfreuen sich großer Beliebtheit. Nun ist ein drittes Buch aus ihrer Feder hinzugekommen: "Leben wird aus Mut gemacht". Darin erzählt sie von sieben Herausforderungen, die sie in Angriff genommen und gemeistert hat - inspiriert wurde sie dabei von der 84-jährigen Emma, die Anika etappenweise ihre ungewöhnliche Lebensgeschichte erzählt - und genauso gibt die Autorin diese auch an den Leser weiter.

Während man einige von Anikas persönlichen Herausforderungen mit Interesse und Anerkennung verfolgt, wie ihr Eintauchen in die Genealogie, den gelungenen Versuch eine Zeitlang fernab von Social Media zu leben, ihre Auseinandersetzung mit dem eigenen 18-jährigen Ich sowie ihre Reise mit dem emotional entfernt geglaubten Vater, lösen andere wahre Bewunderung aus: Eine Woche lang lernt Anika in einem indischen Ashram zu schweigen, setzt sich profund mit dem Thema Tod sowie der eigenen Angst um den Verlust geliebter Menschen auseinander und führt - was mich persönlich am meisten beeindruckt hat - eine Brieffreundschaft mit einem zum Tode verurteilten Häftling in Texas.

Was Emma bei Anika bewirkt hat, das gibt Anika an den Leser weiter - nämlich ganz viel Inspiration, Mut und Weisheit. In ihrer sehr authentischen, ehrlichen und tiefgründigen Art zeigt sie uns, wie wichtig es ist, sich seinen Ängsten zu stellen, im Hier und Jetzt zu leben sowie sich anderen gegenüber zu öffnen. "Leben wird aus Mut gemacht" ist ein äußerst inspirierendes Buch, das von Leben und Mut erzählt - und zwar auf eine sehr inspirierende Art und Weise. Eine klare Leseempfehlung!