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B. S.

Bewertungen

Insgesamt 123 Bewertungen
Bewertung vom 28.08.2022
Die Stimme meiner Schwester
Vieira Junior, Itamar

Die Stimme meiner Schwester


ausgezeichnet

Kraftvoller und mystischer Roman über zwei Schwestern und ihre Gemeinschaft

„Die Stimme meiner Schwester“ von Itamar Vieira Junior erzählt sprachlich eindrucksvoll die Geschichte zweier Schwestern, Bibiana und Belonísia, und ihrer Familie. Sie sind Nachfahren von Sklaven und wachsen in einer Gemeinschaft von Afro-Brasilianer*innen, den Quilombos, im Nordosten von Brasilien in den Diamantina—Begen im Bundesstaat Bahia, fernab der großen Städte auf der Farm „Fazenda Água Negra“ auf. Ihr Leben ist geprägt von Arbeit, Unterdrückung und Armut.

Gegliedert ist der Roman in drei Teile, die ersten beiden werden jeweils aus der Sicht einer der beiden Schwestern erzählt, während der letzte Teil durch die Stimme einer weiblichen afrikanischen Gottheit erzählt wird.

Die Geschichte beginnt damit, dass eines Tages die Schwestern in einem Koffer unter dem Bett ihrer Großmutter ein altes, mysteriöses Messer finden, und eine von ihnen schneidet sich versehentlich die Zunge ab, was ihrer beider Leben unwiderruflich verändert und sie für immer miteinander verbindet. Als Leser*in begleitet man dann die Schwestern über drei Jahrzehnte hinweg und bekommt so einen Eindruck von ihren Lebensumständen und ihre Sicht darauf: Belonísia scheint mit dem Leben auf der Farm zufrieden zu sein, während Bibiana die Ungerechtigkeit des Lebens ihrer Familie in unnachgiebiger Knechtschaft von klein auf erkennt und sie dazu veranlasst, sich auf den Weg zu machen, um für Veränderung zu kämpfen.

Der Autor schafft es hierbei lyrisch und kraftvoll das Leben der Quilombos, ihren Glauben, ihre Beziehung zur Familie und der Gemeinschaft sowie ihre Verbindung zur Natur einzufangen und verleiht ihnen, die sonst kein Gehör finden, eine Stimme. Daneben wird auch ein Augenmerk auf die Frauen, ihre Rolle in der Gemeinschaft und wie es ihnen dort ergeht, gelegt und wie sie sich gegen Gewalt und anderes erlebtes Leid wehren.

„Die Stimme meiner Schwester“ ist ein lesenswertes und beeindruckendes Buch, das einem auf mystische Art und Weise das Leben voller erfahrener Ungerechtigkeiten, Leid, aber auch Kraft und menschlicher Wärme der indigenen Afro-Brasilianer authentisch und bildlich näherbringt.

Bewertung vom 21.08.2022
Todesspiel. Die Nordseite des Herzens
Redondo, Dolores

Todesspiel. Die Nordseite des Herzens


ausgezeichnet

Fesselnde Komposition aus Thriller und mystischen Elementen

„Todesspiel“ von Dolores Redondo ist ein atmosphärischer und spannender Psychothriller über Amaia Salazar, eine talentierte Detektivin aus Nordspanien, die dem FBI-Agenten Aloisius Dupree dabei hilft, einen bösartigen Serienmörder von Familien, der auch als der „Komponist“ bezeichnet wird und der die Zerstörung durch Naturkatastrophen ausnutzt, um seine Taten zu verschleiern, zu finden. Die Jagd nach dem „Komponisten“ findet hierbei vor der tragischen Kulisse von New Orleans während des Hurrikans Katrina statt.

Es gibt mehrere Handlungsstränge sowie zwei Verbrechensermittlungen, einmal die um den Komponisten und die andere Ermittlung hat was mit Dupree eigener Vergangenheit und den Baron des Todes zu tun. Beide Ermittlungen spiegeln auch das Leben und die Vergangenheit von Dupree und Amaias verstörender Kindheit in Spanien wider. Nebenbei greift der Thriller auch die tragischen Ereignisse und den menschlichen Verlust von Katrina auf.

All dies wird wunderbar atmosphärisch düster, teils auch poetisch beschrieben - die Beschreibungen der Schauplätze und Charaktere sind ebenso fesselnd wie die Handlung. Die Verzweiflung, die Zerstörung, die Atmosphäre – alles war so perfekt inszeniert und man spürte die Größe des Erlebten förmlich.
Einmal angefangen mochte man gar nicht mehr aufhören zu lesen.

Neben der in sich schlüssigen und gut konstruierten Thrillerhandlung mit einigen psychologischen und mystischen Aspekten, der auch dem Glauben vor Ort aufgreift, kann ebenso die glaubwürdige Charakterzeichnung der Haupt- wie Nebencharaktere überzeugen. Besonders gut gefallen hat mir Amaia. Sie ist eine bemerkenswerte Frau. Jung, stark und mutig ist Amaia eine angeborene Detektivin. Darüber hinaus ist sie eine Fährtenleserin, die mit der Fähigkeit ausgestattet ist, das Böse zu erkennen oder aufzuspüren. Dupree hat einen guten Grund für seine Zusammenarbeit mit ihr.

Das Geheimnis um den Serienmörder, New Orleans, der Hurrikan Katrina, Rückblicke in Amaias Vergangenheit und die bemerkenswerten Charaktere machen „Todesspiel“ zu einem packenden und mystischen Thriller, der spannend von Anfang bis Ende ist und einen darüber hinaus auch nicht so schnell wieder loslässt.

Bewertung vom 21.08.2022
Freundin bleibst du immer
Obaro, Tomi

Freundin bleibst du immer


gut

Oberflächliches Porträt einer Freundschaft

„Freundin bleibst du immer“ von Tomi Obaro ist die Geschichte der drei besten Freundinnen Enitan, Zainab und Funmi, die nach etwa 30 Jahren Trennung in Lagos wieder zusammenkommen, um die Hochzeit von Funmis Tochter Destiny zu feiern. Die zurückhaltende Zainab, die forsche Funmi und Enitan lernten sich gemeinsam an der Universität kennen und wurden mit der Zeit beste Freundinnen und waren unzertrennlich. Doch dann trennten sich ihre drei Leben. Zainab und Funmi blieben in Nigeria, wo Funmi einen wohlhabenden Geschäftsmann und Zainab einen Akademiker heiratete, um den sie sich nun nach einem Schlaganfall kümmert. Enitan zog wegen eines Mannes nach New York, heiratete diesen und will sich nun ihm scheiden lassen.

Aus der Sicht von jeder der drei Frauen erzählt, werden Themen wie nigerianische Kultur, Mutterschaft, Ehe und Freundschaft behandelt.

Während ich es gut fand, etwas über die nigerianische Kultur, Geschichte und Politik zu erfahren, konnte mich der Roman als Ganzes nicht so wirklich begeistern. Zum einen lag es daran, dass bedingt durch die Themenfülle vielfach nur an deren Oberfläche gekratzt wurde und zum anderen, dass das große Thema der Freundschaft für mich nicht wirklich greifbar war. Auch das Ende kam ziemlich abrupt.
Der Anfang und die erste Hälfte des Rückblicks in die 80er-Jahre, als sich Enitan, Zainab und Funmi an der Universität kennenlernten und Freundinnen wurden, haben mir noch gut gefallen, doch auf halben Weg ihrer Universitätsjahre verlor die Handlung für mich an Fahrt und verlor sich in Oberflächlichkeiten sowie Nebensächlichkeiten. Zu keinem Zeitpunkt war für mich richtig greifbar, warum die drei Freundinnen wurden, es wurden einem eher erzählt, dass sie gute Freundinnen sind, anstatt es richtig zu zeigen, sodass keine tiefe gehende emotionale Verbindung zwischen den dreien sowie auch zum Leser aufgebaut werden konnte.
Ich habe mir einfach mehr tolle Freundschaftsmomente und Szenen gewünscht, aus denen klar ersichtlich hervorgeht, was ihre Freundschaft ausmacht. Stattdessen blieb dieser Aspekt eher unterentwickelt. Auch hatte ich beim Lesen teilweise das Gefühl, dass ich mehr über ihre Männer weiß als über die drei Frauen.

Einzig allein die tollen Beschreibungen der nigerianischen Kultur, des Landes, des Essens und der Hochzeit sprachen mich wirklich an sowie der unterhaltsame und angenehme Schreibstil. Ansonsten hatte „Freundin bleibst du immer“ das Potenzial, das es hatte leider nicht wirklich ausgeschöpft und hinterlässt nicht den bleibenden Eindruck, den ich mir erhofft hatte.

Bewertung vom 15.08.2022
Die Passage nach Maskat
Rademacher, Cay

Die Passage nach Maskat


sehr gut

Eine Kreuzfahrt voller Geheimnisse

„Die Passage nach Maskat“ von Cay Rademacher ist ein spannender, kurzweiliger historischer Kriminalroman, der in den 1920er-Jahren größtenteils auf dem Luxusliner Champollion spielt und gut den Zeitgeist zwischen Ende des 1. Weltkriegs und der Weltwirtschaftskrise 1929 einfängt. Der Autor beschreibt hierbei sehr bildlich und detailgetreu die Kreuzfahrtreise von Theodor Jung, seiner Frau Dora und seiner Schwiegerfamilie Rosterg nach Maskat, sodass man beim Lesen das Gefühl bekommt, man wäre selbst dabei.

Theodor Jung ist Fotograf und die Seereise von Marseille nach Maskat sollte neben Fotos für seinen Arbeitgeber, eine bekannte Berliner Zeitschrift, auch dazu dienen, seine kriselnde Ehe mit Dora zu retten. Doch dann verschwindet nicht lange nach Reisebeginn plötzlich Dora. Als Theodor nachfragt, ob jemand seine Frau gesehen hätte, will sie keiner der Gäste überhaupt auf dem Schiff gesehen haben und seine Schwiegereltern behaupten außerdem, Dora sei noch in Berlin. Zunächst lässt sich überhaupt keine Spur von Dora auf dem Schiff finden und Jung fragt sich, ob er nicht langsam wahnsinnig wird, obwohl er sich sicher ist, dass Dora auf dem Schiff war. Er begibt sich auf die Suche nach ihr, dabei erhält er Unterstützung von der Fanny, einer Stewardess auf dem Schiff. Im Verlauf ihrer Suche werden immer mehr Geheimnisse um Dora, deren Familie und deren Gewürzhandelsgeschäft aufgedeckt. Doch nicht nur sie haben etwas zu verbergen, so tummeln sich auch noch weitere zwielichtige Gestalten auf der Champollion und tragen zu dem Mysterium um Doras Verschwinden bei.

Steht am Anfang noch die Beschreibung der illustren Gäste und der allgemeinen Stimmung an Bord im Vordergrund, so nimmt der Kriminalroman ab dem Verschwinden von Dora merklich an Fahrt und Spannung auf, die bis zum Ende dann hochgehalten wird. Insgesamt handelt es sich bei „Der Passage nach Maskat“ um einen fesselnd geschriebenen historischen Kriminalroman, der durch seine authentischen Orts- und Charakterbeschreibungen sowie seiner gut konstruierten und teils überraschenden Handlung zu überzeugen weiß.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.08.2022
Sanfte Einführung ins Chaos
Orriols, Marta

Sanfte Einführung ins Chaos


sehr gut

Ein Satz, der alles verändert

Dani und Marta sind seit relativ kurzer Zeit ein Liebespaar und leben zusammen in Barcelona. Er ist Drehbuchautor und sie Fotografin und leben ein normales Leben ohne große Zukunftspläne, bis Marta erfährt, dass sie schwanger. Sie will das Kind nicht behalten und abtreiben, was bei Dani und Marta zunächst unterschiedliche Gefühle hervorruft. Die Nachricht stürzt sie in einen Schwebezustand von Zweifeln, der sie zum Nachdenken darüber bringt, was sie als Paar und als Einzelperson wirklich wollen.
Dani, der früh seinen Vater verloren hat und somit vaterlos aufgewachsen ist, muss sich aufgrund der Entscheidung von Marta seinem Versprechen stellen, sein Kind niemals im Stich zu lassen. Er würde lieber wollen, dass Marta das Kind behält und sieht sich schon als Vater. Marta hingegen möchte nicht Mutter werden und will nach Berlin ziehen, um dort sich ihren beruflichen Traum zu erfüllen.

Mit einer natürlichen Sprache wird zugleich feinfühlig und ausdrucksstark die schwierige Entscheidungsfindung von Dani und Marta beschrieben. Sie müssen eine Entscheidung treffen, die ihr Leben verändern wird und sich fragen, was sie von ihrer (gemeinsamen) Zukunft wollen und was wichtiger ist, Karriere oder Familie. Das Gedanken- und Gefühlschaos wird aus Sicht von Dani und Marta offen, authentisch und brutal ehrlich erzählt. Es wird beiden schnell klar, dass die Dinge nicht schwarz und weiß sind, dass es Nuancen gibt und das beide Seiten berücksichtigt und geschätzt werden müssen.

Ich bin gerne Dani und Marta über die sechs Tage hinweg ihren Gedanken und Gefühlen gefolgt, die die Nachricht von Martas Schwangerschaft in ihnen ausgelöst hat. Ein Buch, das noch nach Beenden des Lesens nachwirkt und das insbesondere wenn man sich im gleichen Alter wie die Hauptpersonen befindet, einen zum Nachdenken anregt, darüber was man selber vom Leben will.

Bewertung vom 11.08.2022
Ingeborg Bachmann und Max Frisch - Die Poesie der Liebe / Berühmte Paare - große Geschichten Bd.3
Storks, Bettina

Ingeborg Bachmann und Max Frisch - Die Poesie der Liebe / Berühmte Paare - große Geschichten Bd.3


sehr gut

Eine Liebe zwischen Freiheit und Eifersucht

Die Liebe zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch war eine große Liebe, die 1958 in Paris beginnt und 1962 endet. Es war eine Liebe zwischen Extremen und geprägt von Widersprüchen.
Anfangs bringt die leidenschaftliche Liebe, die beide füreinander empfinden, sie näher, aber als ihre gegensätzlichen Lebenseinstellungen immer mehr aufeinanderprallen (Frisch ordnungsliebend und zutiefst eifersüchtig, Bachmann freiheitsliebend), beginnt die schleichende Entfremdung zwischen ihnen. Dementsprechend ist „Ingeborg Bachmann und Max Frisch – Die Poesie der Liebe“ von Bettina Storks auch keine glücklich endende Liebesgeschichte, sondern vielmehr eine einfühlsam geschriebene Annäherung an zwei Größen der Literatur mit komplexen Persönlichkeiten.

Erzählt aus der Sicht von Bachmann und Frisch ermöglicht den Leser*innen einen Einblick in das Innenleben der beiden, man kommt ihnen so näher, lernt sie mit all ihren Gedanken und Gefühlen kennen und versteht dadurch, wieso ihre Liebesbeziehung scheiterte.

„Ingeborg Bachmann und Max Frisch – Die Poesie der Liebe“ ist ein poetisch wundervoll erzählter Roman, der neben der Liebesgeschichte zwischen Bachmann und Frisch auch Einblick in den Literaturbetrieb der 1950er-Jahre gibt und einen die beiden als Schriftsteller und als Mensch glaubwürdig näherbringt. Spannend und bewegend erzählt und nicht nur für Fans von Bachmann und Frisch lesenswert.

Bewertung vom 11.08.2022
Snowflake
Nealon, Louise

Snowflake


sehr gut

Debbies Reise vom Land in die Stadt und zu sich selbst

Dieser zarte Coming-of-Age Roman fängt die Geschichte einer jungen Irin namens Debbie ein, der die Veränderungen von ihrem Landleben auf einer Milchfarm zum College in der Großstadt erzählt und wie sie versucht, neue Freundschaften zu schließen, einen Ort zu finden, an dem sie dazugehört, lernt in einer städtischen Umgebung zurechtzukommen sowie ihre Familie zu verstehen. Der Roman ist aus Sicht der 18-jährigen Debbie geschrieben. Man lernt ihre Mutter Maeve kennen, die einen Großteil ihrer Tage damit verbringt, in ihrer eigenen Welt zu leben und daran glaubt, dass ihre Träume wahr sind und ihren Onkel, der auf der Milchfarm lebt. Dann ist da noch Xanthe, mit der sich Debbie anfreundet und die ihr zeigt, wie unterschiedlich Debbies Leben von denen ist, die in der Stadt aufgewachsen sind.

Die Geschichte wird in einem schnellen Tempo erzählt und ist in einem leicht zu lesenden und teils humorvollen Ton geschrieben. Eingestreut in die Hauptgeschichte sind kleine Anekdote und Rückblicke, die der Handlung noch einen besonderen Reiz geben. Ebenso ist die Hauptfigur Debbie gut gezeichnet, sie kommt authentisch und menschlich rüber, ebenso wie ihre Beziehungen zu Familie und Freunden. Auch hat der Roman ernstere Momente und einiges über psychische Gesundheit zu sagen, so wird z. B. bipolare Störung, Depressionen und Suizid angesprochen. Trotz der manchmal schwierigen und traurigen Themen strahlt der Roman eine allgemeine Positivität aus.
Weniger gut gefallen hat mir das Element des magischen Realismus, der sich in Debbies Träumen über andere Menschen, die dann auf irgendeine Art und Weise dann wahr werden, äußert. Für mich war dieser Handlungsaspekt nicht wirklich entwickelt oder sogar notwendig. Die Geschichte hätte genauso gut ohne funktionieren können.

„Snowflake“ von Louise Nealon ist eine ehrliche und einfühlsame Geschichte über die ersten Schritte einer 18-Jährigen ins Erwachsenenleben fängt gekonnt die peinliche Angst eines naiven Teenager-Mädchens aus dem ländlichen Irland ein, das sich nach einem Leben jenseits seiner Familie ausstreckt, um eine neue Zukunft für sich selbst zu gestalten.

Bewertung vom 10.08.2022
Elternhaus (eBook, ePUB)
Mentges, Jennifer

Elternhaus (eBook, ePUB)


sehr gut

Gefährliche Geheimnisse

Yvette Winkler zieht mit ihrem Mann und den Kindern nach Hamburg in eine alte Villa in einem noblen Elbvorort. Sie hofft mit dem Umzug ihre sich verschlechternde Ehe zu retten. In Hamburg angekommen, macht sie Bekanntschaft mit Tobias Hansen, einen Barpianisten, der später der Klavierlehrer ihrer Kinder wird und nebenbei zum Freund der Familie wird, was ihm ermöglicht, bei ihnen frei ein und auszugehen. Doch ist Hansen nicht, als der er sich ausgibt und er hat eigene Pläne, was das Haus und die Familie Winkler betrifft. Als er eines Abends alleine mit Yvette und den Kindern ist, zeigt er sein wahres Gesicht.

Von der ersten Seite an schafft es der Psychothriller „Elternhaus“ von Jennifer Mentges einen in seinen Bann zu ziehen. Detailreich und bildlich wird ein atmosphärisches und fesselndes Porträt der verschiedenen Charaktere und der Villa erzeugt. Die Spannung wird nach und nach aufgebaut und dann konstant hochgehalten. Mittels der wechselnden Perspektiven und der Rückblenden in die Vergangenheit erfährt man mit fortschreitenden Lesen, was es mit der Villa und Hansens Besessenheit mit dieser auf sich hat und auch welche Rolle Yvette in dem Ganzen spielt. Dabei ist nichts, wie es auf dem ersten Blick zu sein scheint.Das Augenmerk der Geschichte liegt hierbei mehr auf Psychospielen und nicht auf Blut und Gewalt.

Der Psychothriller „Elternhaus“ überzeugt insgesamt durch seine gut gezeichneten und beschriebenen Charaktere, einer unterschwelligen und leicht bedrohlichen Stimmung sowie dem tollen Schreibstil. Ein Buch, das einen nicht mehr so schnell loslässt und spannende Lesestunden bereitet.

Bewertung vom 03.08.2022
Matrix
Groff, Lauren

Matrix


gut

Sprachlich top, inhaltlich eher ein Flop

Erzählt wird „Matrix“ von Lauren Groff in der dritten Person und ohne Dialoge aus der Perspektive von Marie de France und spielt hauptsächlich in einer Abtei aus dem 12. Jahrhundert, die von Nonnen mit einer Sensibilität für das 21. Jahrhundert bewohnt wird. Marie de France, ein königlicher Bastard, wächst in einer Familie starker Frauen abseits des Hofes auf. Während sie sich in Eleanor von Aquitanien verliebt, ist sie zu unattraktiv und anspruchslos, um in einer politischen Ehe nützlich zu sein, sie wird deswegen in ein armes englisches Nonnenkloster geschickt. Marie nutzt ihre Stärke und die politischen Fähigkeiten, die sie durch die Beobachtung von Eleanors Macht erlernt hat, um in ihrer religiösen Gemeinschaft ein eigenes kleines Königreich zu errichten.

Der Schreibstil hat mir gut gefallen, atmosphärisch und poetisch zugleich. Jedoch konnte die Handlung mich überhaupt nicht fesseln. Nach vielversprechenden ersten Seiten verlor ich schnell das Interesse. Obwohl in dem Buch viel passiert, fühlte es sich beim Lesen so an, als würde nichts wirklich etwas passieren. Zum einen liegt es daran, dass Konflikte oder Probleme nahezu im gleichen Moment gelöst werden, wie sie entstehen, dass häufig Jahre innerhalb einer oder weniger Seiten vergehen und dass Marie nahezu heldengleich rüberkommt: Sie kann nichts falsch machen und kann alles. Aufgrund der fehlenden Tiefe fiel es auch schwer, eine emotionale Bindung zu Marie oder den anderen Charakteren aufzubauen.
Insgesamt denke ich, dass das Buch meine Aufmerksamkeit viel besser hätte aufrechterhalten können, wenn sich die Autorin stärker auf ein paar Jahre in Maries Leben oder wichtige Ereignisse fokussiert hätte, anstatt durch sie durchzurasen. So empfand ich den Roman leider als oberflächlich und belanglos.

Bewertung vom 02.08.2022
Drei Tage im August
Stern, Anne

Drei Tage im August


sehr gut

Eine Chocolaterie, die verbindetIn Anne Sterns Roman „Drei Tage im August“ folgt man unaufgeregt Elfie, Trude, Franz Marcus und anderen Personen drei Tage lang durch Berlin, in dem die Olympischen Spiele von 1936 stattfinden. Was alle näher betrachteten Charaktere gemeinsam haben, ist, dass sie irgendeine Verbindung zur Chocolaterie Sawade habe. In ebenjener Chocolaterie arbeitet Elfie und sie liebt die Zeit, die sie dort verbringt, da sie so für kurze Zeit ihren schwermütigen Gedanken entfliehen kann. Als sie Madame Conte kennenlernt und mit ihr auch ein Geheimnis hinter einer Praline der Chocolaterie Sawade, werden Sehnsüchte in ihr geweckt. Sie fragt sich, ob sie ihnen folgen sollte. Für die kurze Zeit der Wettkämpfe tritt das Nazi-Regime in den Hintergrund trotzdem ist sich Franz Markus der Gefahr bewusst, die er als jüdischer Buchhändler ausgesetzt ist und stellt dementsprechend Planungen für seine Zukunft an. Verkompliziert wird seine Gefühlslage durch die aufkommenden Liebesgefühle zu Trude, eine Mitarbeiterin von Elfie.

Auf über 300 Seiten schafft es die Autorin in einen ruhigen, aber nicht minder spannenden Erzählton die Leser*innen am Leben von Elfie und den anderen handelnden Personen teilzuhaben. Man wird Zeuge ihrer Gedanken und Gefühle und wie sie versuchen, auf ihre Art und Weise in den immer dunkler werdenden Zeiten zu überleben. Der Roman lebt dabei vor allem von seiner bildlichen und atmosphärischen Sprache und seinen authentischen Charakteren, die man schnell ins Herz schließt.
Insgesamt ein toll geschriebener Roman, der beim Lesen Lust auf Schokolade macht.