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yellowdog

Bewertungen

Insgesamt 1875 Bewertungen
Bewertung vom 21.02.2024
Wild Herbeigesehntes
Widmer, Urs

Wild Herbeigesehntes


sehr gut

Frühe Erzählungen

Der 2014 gestorbene Schweizer Schriftsteller Urs Widmer ist unvergessen.
Dennoch ist es natürlich gut, dass der Diogenes-Verlag weiterhin seine Bücher veröffentlicht. Hier sind es frühe Erzählungen.
Enthalten ist z.B. die aus 10 Kapiteln bestehende Erzählung Alois, von 1969. Das war Widmers Debüt.
Es ist eine sprachlich faszinierende Geschichte, überwiegend wirkt das erzählte zusammenhanglos, fast schon surreal. Ich glauibe, so eine Geschichte konnte man nur zu dieser Zeit schreiben. Sie erinnert mich an die Anfänge von Wolf Wondratschek.
Auch Widmers zweite große Erzählung „Die Amsel im Regen im Garten“ ist sprachlich bemerkenswert.
Manchmal bleibt mir auch unklar, was Widmer dem Leser eigentlich sagen will.
Manche Geschichten sind Teil ihrer Zeit und enthalten Sätze, die man heute nicht mehr schreiben könnte.
Bei mir bleibt beim Leser der Geschichten also ein zwiespältiges Gefühl.

Bewertung vom 21.02.2024
Selbe Stadt, anderer Planet
Meindl, Dominika

Selbe Stadt, anderer Planet


sehr gut

Spiegelung einer Stadt

Der Debütroman von Dominika Meindl hat mit „Selbe Stadt, anderer Planet“ einen geheimnisvollen Titel. Es ist ein ungewöhnlicher Roman mit einer originellen Idee.
Es gibt zwei Handlungsstränge. Zum einen wird aus Sicht von der Ärztin Johanna und ihrer Schwester Doris erzählt, zum anderen von dem Chinesen Ren. Von ihm wird aus der Ichperspektive geschildert.Er ist eine zurückhaltendere Figur.
Beiden Handlungsebenen sind aus meiner Sicht ungefähr gleichwertig.
Mit Andrej gibt es eine weitere wichtige Figur.
Sprachlich ist das ganze ganz geschickt gemacht.
Unbedingt erwähnenswert ist außerdem das helle, bunt aufgemachte Cover.
Ich habe das Buch ganz gerne gelesen, ohne dass es mich jetzt wirklich besonders bewegt hätte. Manche Passagen waren zu ausführlich, die spätere Reise der Schwestern nach China dagegen kommt mir zu kurz vor.
Ich gebe 7 von 10 Punkten.

Bewertung vom 21.02.2024
Tahara
Bergmann, Emanuel

Tahara


ausgezeichnet

Eine Begegnung in Cannes

Selten liest man einen Roman, dessen Schauplatz ein Filmfestival ist.
In Cannes trifft der Filmjournalist Marcel Klein auf Heloise, die gerade ihren Mann verlassen hat. Sie kommen ins Gespräch, geraten dabei aber in Streit. Dennoch ziehen sie sich gegenseitig an.

Das Emanuel Bergmann schreiben kann, weiß man seit seinen ersten Roman Der Trick.
Emanuel Bergmann gelingt es, die Begegnungen der beiden Hauptfiguren effektvoll in Szene zu setzen. Es sind keine einfachen Charaktere. Beide haben ihre Geheimnisse. Es gibt immer wieder überraschende Passagen und es wird nie langweilig.

Eine Stärke des Buches ist, dass Emanuel Bergmann sich in der von ihm beschriebenen Branche auskennt und deshalb glaubhaft und realistisch schildert. Ich habe auch für die Figuren viel übrig, die zwar nicht ohne Schwächen und Fehler sind, die man aber doch gefesselt durch die Handlung begleitet.

Bewertung vom 20.02.2024
Was ich zurückließ
Ott, Marco

Was ich zurückließ


sehr gut

Ein ruhiges Buch, eigentlich unspektakulär und doch ein wichtiges Buch über ein Leben und einem Wandel.
Der Protagonist erzählt anhand eines langen Briefs an seine Eltern von seiner Entwicklung.
Das einfache Elternhaus im Ruhrgebiet prägen ihn. Er war lange ohne große Ambitionen Doch schließlich beginnt er sich für Literatur zu interessieren, will auch schreiben. Aber es ist ein steiniger Weg.
Die vielen literarischen Einflüsse auf ihn, sind interessant zu lesen.

Dieser Text zeigt die Entfremdung von Herkunft und Eltern, ist gleichzeitig aber auch eine Annäherung. Das finde ich überzeugend.

Bewertung vom 20.02.2024
Sund
Lichtblau, Laura

Sund


sehr gut

Ein heller Gesang


Eine Frau reist auf die dänische Insel Lykke und wartet dort auf ihre Freundin.
Es ist eine komische Stimmung auf der Insel. Die Leute sind unzugänglich, außer die Neue, die ebenfalls neu auf der Insel ist und mit der sie viel Zeit verbringt.

Der Hauptteil des Buches beschreibt dann die Recherche der Erzzählerin über ihren Urgroßvater und dessen braune Vergangenheit. Er war beteiligt an Euthanasieverbrechen.

Neben dunklen Tönen kommen auch wieder helle, vor allen als endlich ihre Freundin auftaucht.

Das Buch besticht durch einen lyrischen Ton und einer einfallsreichen Sprache. Ich mag diesen Stil.

Bewertung vom 17.02.2024
Mutternichts
Vescoli, Christine

Mutternichts


sehr gut

Nirgends ganz zugehörig

Mutterbücher gibt es viele. Das wundert nicht, ist das doch ein Thema, das viele bewegt.
Das besondere an Mutternichts ist die Sprache, die zwar einfach gehalten ist, aber doch sehr präzise.
Die Erzählerin denkt die ganze Zeit an ihre verstorbene Mutter. Sie beschäftigt sich mit den Leerstellen im Leben der Mutter, die schon als 8jähriges Kind bei Bauern hart arbeiten musste, da es in der Familid wenig zu Essen gab.
Die Mutter ist 1940 geboren, hat karge Zeiten erlebt.
Auf der Suche fährt die Erzählerin sogar selbst erstmals auf diesen Hof, und sie sieht sich Familienfotos an. Es wid die Recherche eines Lebens und dabei geht sie auch weiter in Vergangenheit bis zu den Vorfahren.
Manche Passagen sind bedrückend, doch der Text behält immer eine eindringliche Atmosphäre.

Es ist ein typisches Buch vom Otto Müller Verlag. Von Außen klein und schmal, der Inhalt aber ist gewichtig und Wert, erzählt zu werden.

Bewertung vom 17.02.2024
Krummes Holz
Linhof, Julja

Krummes Holz


ausgezeichnet

Geschichte einer Rückkehr

Es ist die Geschichte einer Rückkehr und einer beschädigten Familie.

Es wird sorgsam erzählt, mit einer sensiblen Hauptfigur. Der junge Jirga kehrt auf den elterlichen Hof zurück. Eine ganz starke Figur ist seine toughe Schwester Malene. Der Vater Georg hingegen ist abwesend und strahlt dennoch eine Kälte und Gefahr aus.

Man muss der Autorin für ihre einfühlsame Art, zu erzählen und mit den Figuren umzugehen, dankbar sein.
Bruchstückhaft erfährt man davon, was mit der Familie los ist und der Gewalt der Vergangenheit.
Als Leser ist man vom Text gefesselt. Ein wirklich guter Roman!

Bewertung vom 17.02.2024
Der Stillstand
Lethem, Jonathan

Der Stillstand


sehr gut

Der Stillstand ist ein gediegener postapokalyptischer Roman, der eine Welt des Stillstands in der nahen Zukunft zeigt.
Hauptfigur ist Journeyman, auch Sandy genannt. Außerdem ist da noch seine Schwester Maddy. Dann taucht Todbaume auf, mit dem Jouneyman früher zusammengearbeitet hatte und mal etwas mit Maddy hatte. Peter Todbaume ist eine exzentrische Figur und ein Macher, zum Beispiel hat er ein ungewöhnliches, KI-gesteuertes Superauto, den Blue Streak.

Die Figurenkonstellation ist interessant. Jonathan Lethems Gestaltung des Romans mit vielen Kapiteln ist originell Viele Kapitel sind kurz, andere sind in Teilen verschachtelt.
Viele der frühen Roman Lethem habe ich gelesen und fand sie großartig. Erst nach dem Meisterwerk Die Festung der Einsamkeit habe ich den Autor ein wenig aus den Augen verloren.
Der Stillstand ist meiner Meinung nicht so stark wie die frühen Bücher, aber als Ideenroman funktioniert das Buch.

Bewertung vom 16.02.2024
Das Land der Jungen
Krusovszky, Dénes

Das Land der Jungen


sehr gut

Eindringliche Erzählungen

Das Land des Jungen ist ein Erzählungsband mit 9 Erzählungen von Dénes Krusovszky, einem ungarischen Autor.
Er hat einen eigenständigen Ton. Seine Geschichten sind einfühlsam und ruhig.
Der Opener „Bevor mein Vater zersägt wurde“ ist eine sehr intensive, eindringliche Geschichte über eine Familie in der Krise, nachdem der Vater seine Arbeit verloren hat.
Weitere Geschichten sind auch raffiniert gemacht, aber nicht jede erreicht einen sofort. Ich denke, die Geschichten benötigen manchmal auch einen zweiten Lesegang.
Am stärksten finde ich die Titelgeschichte, die von einem jungen Mann geschildert wird. Er ist vor kurzen zu Hause ausgezogen. Jetzt ist seine Freundin ungewollt schwanger.
Seine Unsicherheit und manchmal Wut sind spürbar. Er ist auf dem Weg, sich aus der Kindheit zu verabschieden.

Was mich an dem Autor begeistert ist die Intensität der Erzählstimmen und ich denke, das würde auch in einem Roman, auf den ich hoffe, funktionieren.

Bewertung vom 15.02.2024
Notizen zu einer Hinrichtung
Kukafka, Danya

Notizen zu einer Hinrichtung


sehr gut

Der Fuchs

Nach Girl in Snow ist Notizen zu einer Hinrichtung das zweite Buch der Autorin.
Der Roman der amerikanischen Schriftstellerin Danya Kukafka beginnt beklemmend. Das liegt neben dem harten Plot auch an der Erzählform in der zweiten Person. Es fällt auf Anhieb nicht leicht, sich mit dem Protagonisten zu identifizieren.
Ansel Packer sitzt als Häftling 999631 im Gefängnis und wartet auf seine Hinrichtungen. Seine Gefühlswelt wirkt diffus.
Dann folgt eine Rückblende ins Jahr 1973 als Ansel geboren wurde und in ärmlichen Verhältnissen aufwuchs. Es ist ein Umfeld der Gewalt, das Anseln prägte. Die Autorin vermeidet es aber, Entschuldigungen für Anselns Handeln aufzubauen.
Zu den stärksten Figuren des Buches gehört Saffron, die als Ermittlerin Ansel schließlich festnimmt.
Das Buch ist nicht unbedingt leicht auszuhalten als Leser, aber es ist so gestaltet, das man sich auch nur schwer vom Text lösen kann.