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gst
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pirna

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Insgesamt 201 Bewertungen
Bewertung vom 08.02.2021
Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid (eBook, ePUB)
Schröder, Alena

Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid (eBook, ePUB)


sehr gut

Überraschung

Dieses Buch ist eine echte Überraschung. Vielleicht nicht unbedingt hohe Literatur, aber doch sehr intensiv und kurzweilig zu lesen.

Die Farbgestaltung des Covers hat mich vom ersten Blick für sich eingenommen. Die Farben leuchteten mir in die Augen. Und als der Klappentext dann auch noch verriet, dass es im Buch um ein verschwundenes Bild des holländischen Malers Johannes Vermeer geht, war meine Neugierde so groß, dass ich es unbedingt lesen musste. Und: ich habe es nicht bereut! Ganz im Gegenteil: Ich war angenehm überrascht.
Doch von vorn. Hier geht es um vier Frauengenerationen und ihre Töchter. Um deren Träume und Niederlagen - zwischen 1920 und heute. Es wird eine bewegte Zeit lebendig; eine Zeit, die den Lebensträumen nicht nur ein Bein stellte und sich bis in die Gegenwart zieht.
Da ist die harsche Evelyn, die heute im Seniorenheim lebt und nur noch von ihrer Enkelin Hannah besucht wird. Die muss aber verbergen, dass sie mit ihrer Doktorarbeit nicht so recht voran kommt. Die Suche nach verschollenen Bildern bietet da eine gelungene Abwechslung um die Geschichte der Vorfahren kennenzulernen.

Alena Schröders Charakterzeichnungen sind gelungen und vielfältig. Keiner ist nur gut oder nur schlecht. Gleichzeitig werden Besonderheiten der Geschichte deutlich: Die Lebenslust und Aufbruchstimmung der Zwanziger Jahre in Berlin, die dann allmählich umschlägt und zum Judenhass führt. Das Leben und die Wichtigkeiten auf dem Land im Gegensatz zur Stadt. Das Zaudern der jungen Generation heute, die noch gar nicht weiß, was sie will und die Zielstrebigkeit der früheren Generation, die auch mal über Leichen ging. Deutlich wird auch die Lebenssattheit derjenigen, die kaum noch Zukunft vor sich haben.
Sehr gekonnt empfand ich die Einführung der einzelnen Protagonisten. Die Gegebenheiten und Probleme der jeweiligen Zeit wurden sehr deutlich. Der flüssig zu lesende Generationenroman mit vielen interessanten Sachthemen enthält in wechselnden Zeitebenen auch realistische Konflikte zwischen den Geschlechtern. Die geschilderten Mutter-Tochter-Beziehungen sind so richtig aus dem Leben gegriffen.

Fazit: Ein wirklich lohnendes Leseerlebnis. Berührend und unterhaltsam, mit eindrücklichen, nachdenklich machenden Szenen und frischen Ideen.

Bewertung vom 24.01.2021
Vati
Helfer, Monika

Vati


sehr gut

Der Büchernarr

Monika Helfer macht uns in ihrem neuen Buch mit dem Leben ihres Vaters bekannt. Aufgewachsen als unehelicher Sohn einer Bauernmagd strengte er sich besonders an, etwas darzustellen. Schon bald waren Bücher sein ein und alles. Um sie zu besitzen, schrieb er sie als Kind eigenhändig ab. Später, als Leiter des Kriegsopfererholungsheims auf dem Tschengla in Vorarlberg besaß der Mann, der im Krieg ein halbes Beim verloren hatte, ein ganzes Bücherzimmer.

„Wenn du dir eine Bibliothek anschaust“, sagte er und humpelte an den Regalen entlang, strich mit den Fingernägeln der rechten Hand über die Buchrücken, „kannst du alles über den sagen, dem sie gehört.“ (Seite 14)

Seine Büchersucht hätte ihm beinahe das Leben gekostet. Ebenso wie der viel zu frühe Tod seiner Frau zu einem jähen Absturz führte, dem die Schwager ein Ende bereiteten, indem sie ihn mit einer neuen Frau verkuppelten.

Monika Helfer wurde 1947 im österreichischen Bundesland Vorarlberg geboren. Für ihre Romane, Erzählungen und Kinderbücher, in denen sie häufig über schwierige Familienbeziehungen schrieb, erhielt sie zahlreiche Preise.

Auch ihre Beziehung zum Vater sowie dessen Leben scheint nicht problemlos gewesen zu sein. „Dass unser Vater in seiner Büchersucht rücksichtslos sein konnte, das wusste ich“, schreibt sie auf Seite 45. Trotzdem merkt man als Leser ihre tiefe Verbundenheit zum Vater. Auch andere Familienmitglieder werden in diesen, keine 200 Seiten umfassenden, Erinnerungen lebendig. Einblicke in ihren Schreibprozess ergänzen das Buch, das ich gerne gelesen habe.

@gst

Bewertung vom 22.01.2021
Das Verschwinden der Erde
Phillips, Julia

Das Verschwinden der Erde


sehr gut

Kamtschatka

Wenn ich mir nach dem Lesen des Buches den Titel betrachte, frage ich mich, warum er nicht heißt: Das Verschwinden von der Erde. Denn Kamtschatka ist ja noch da, im Gegensatz zu den beiden Golosowskaja-Schwestern Aljona und Sofija. Die verschwinden an einem schönen Augusttag und keiner kann sie finden. Zwar beschäftigen sich die unterschiedlichsten Bewohner von Petropawlowsk mit dem Unglück, doch wirkliche Hilfe bleibt aus. Egal ob von der Polizei, die sogar im Pazifik sucht, oder von den Menschen, die der Mutter der beiden schwer zusetzen.
Dies ist ein ungewöhnliches Buch. Denn nach dem ersten, sehr spannenden Kapitel, in dem die Mädchen verschwinden, hören wir erst wieder am Ende des Buches näheres von ihrer Mutter. Dafür lernen wir diverse Bewohner der sibirischen Halbinsel kennen, sowie deren Zukunftsträume, Sorgen und Kümmernisse.
Ein Jahr lang führt uns die 1988 geborene Autorin in ihrem ersten Roman über die mehr als 1000 Kilometer lange Halbinsel, die sie als Amerikanerin 2011 selbst für ein Jahr erkundete. Julia Phillips hat das Leben der unterschiedlichen Volksstämme kennengelernt und sehr bildhaft beschrieben. Dabei hat sie vor allem die Rolle der Frauen herausgearbeitet.
Das Cover mit den im Schnee unsichtbar werdenden Bergen spricht mich zwar nicht so an, dafür war ich begeistert von der Landkarte, die Kamtschatkas Lage verdeutlicht und das überaus hilfreiche Personenregister.
Ein gekonntes Debüt!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.01.2021
Kindheit / Die Kopenhagen-Trilogie Bd.1
Ditlevsen, Tove

Kindheit / Die Kopenhagen-Trilogie Bd.1


ausgezeichnet

Der Kindheit kann man nicht entkommen

„Alles, was ich tue, dient dazu, ihr [der Mutter] zu gefallen, sie zum Lächeln zu bringen, ihren Zorn abzuwenden“, schreibt Tove Ditlevsen über ihre frühe Kindheit. Genau wie der Vater liebte sie Bücher und hatte sich schon vor der Schulzeit selbst das Lesen beigebracht.
Die am 14. Dezember 1917 geborene Autorin verlebte eine armselige Kindheit mit einer unberechenbaren Mutter und einem lange Zeit arbeitslosen Vater. Schon mit fünf Jahren wollte sie Dichterin werden. Ihre frühreifen, sinnlichen Ergüsse hielt sie in einem Poesiealbum fest und schenkt uns Lesern Kostproben davon. Später gibt sie zu: „Selbst wenn sich niemand sonst für meine Gedichte interessiert, bin ich gezwungen, sie zu schreiben, denn sie dämpfen die Trauer und Sehnsucht in meinem Herzen.“ Wie dem Anhang zu entnehmen ist, nahm sich die Autorin mit 58 Jahren das Leben.
Dieser erste Teil ihrer dreiteiligen Autobiografie ist so mitreißend geschrieben, dass ich ihn am liebsten ohne Pause verschlungen hätte. Ihre Familie wird darin ebenso lebendig wie die direkte Umgebung der kleinen Wohnung. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge schaut Tove Ditlevsen auf die Zeit zurück, in der ihr „die Welt der Erwachsenen wie ein Mysterium“ vorkam. Auf eine Zeit, in der sie mit ihrer Freundin – zum Glück nur kurz - auf Abwege geriet. Leider folgten die Eltern dem Vorschlag ihrer Lehrerin nicht, sie das Gymnasium besuchen zu lassen.
Für sie bedeutete die Konfirmation den „Grabstein einer Kindheit, die mir jetzt hell, geborgen und glücklich vorkommt.“
Nach diesem ersten Teil fiebere ich dem zweiten, der „Jugend“, entgegen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.12.2020
Umkämpfte Zone
Geipel, Ines

Umkämpfte Zone


sehr gut

Eine Abrechnung

Erst 2006 vom Westen in den Osten gekommen, erlebe ich sehr häufig eine unterschiedliche Sicht auf die Sachlage des Alltags. Auch wenn die Grenze aus den Köpfen oft klein geredet wird, ist sie immer noch vorhanden. Warum das so ist, wollte ich mit diesem Buch erkunden.

Ines Geipel, geboren 1960 in Dresden, beschreibt anhand ihrer Familiengeschichte, was im Osten anders lief. Sie selbst hat ihrem Heimatland 1989 den Rücken gekehrt und lebt nach den Jahren in Westdeutschland, wo sie Philosophie und Soziologie studierte, als Professorin in Berlin. Sie hat bereits mehrere Bücher zur Geschichte des Ostens publiziert.

In der „umkämpften Zone“ verarbeitet sie zum einen den Verlust ihres Bruders, der ihr in der Kindheit sehr nahe stand. Gerade die Szenen aus Dresden und dem Umland haben mich sehr berührt, da ich die Gegend sehr liebe. Wer Dresden kennt, dem wird das Herz beim Blick auf das Cover, das den Luisenhof und die Standseilbahn zeigt, aufgehen.

Doch eigentlich geht es in diesem Sachbuch mit den vielen persönlichen Einflechtungen um eine Abrechnung der Autorin mit der DDR-Vergangenheit. Schon vor der Gründung der Republik begann das große Schweigen. „Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben“, soll Walter Ulbricht gesagt haben (Seite 53). Die deutsche Nazi-Vergangenheit wurde niemals aufgearbeitet. Schon bald nach dem Krieg wurden jüdische Friedhöfe in Karl-Marx-Stadt und Zittau geschändet. „Die Öffentlichkeit durfte allerdings nicht davon erfahren.“ (Seite 135) So ging es weiter bis zur Wiedervereinigung. In den Augen der Autorin sind die über mehr als 50 Jahre durchgehende Diktaturerfahrung und die große Verunsicherung nach dem Mauerfall mit verantwortlich für die explodierenden Zeitbomben in Hoyerswerda (1991) und Rostock-Lichtenhagen (1992). In diesem Milieu fanden Reichsbürger, Pegida und AfD den idealen Nährboden.

Ich habe in diesem Buch vieles erfahren, was mir bisher gar nicht bekannt war und möchte es all denen empfehlen, die mehr über die unterschiedliche Vergangenheit der Menschen in Deutschland wissen wollen. Vielleicht hilft gegenseitiges Verständnis eines Tages dazu, endlich die Grenze in den Köpfen fallen zu lassen.

@gst

Bewertung vom 17.12.2020
Das Haus der Frauen
Colombani, Laëtitia

Das Haus der Frauen


ausgezeichnet

Solène ist, dem Wunsch der Eltern folgend, Anwältin. Nach einem verlorenen Prozess hat sich ihr Klient das Leben genommen. Ganz schnell - vor ihren Augen - sprang er aus dem Fenster. Das kann sie nicht verwinden und landet in einer tiefen Depression. Ein Psychiater rät ihr, um wieder Boden unter den Füßen zu bekommen, sich nach einem Ehrenamt umzuschauen; sich für andere einzusetzen. Da sie als Kind davon geträumt hat, eines Tages Schriftstellerin zu werden, entscheidet sie sich öffentliche Schreiberin in einem Pariser Frauenhaus zu werden. Dort lernt sie die unterschiedlichsten Schicksale kennen.

In einem weiteren Erzählstrang wird Blanche Peyron vorgestellt. Sie war vor knapp 100 Jahren diejenige, die das Haus trotz vieler Schwierigkeiten ins Leben rief.

Hier werden zwei Frauen vorgestellt, die unterschiedlicher nicht sein können. Die moderne Solène ist sehr angepasst und tut immer das, was von ihr verlangt wird. Ihr geringes Selbstwertgefühl steht ihr überall im Wege. Blanche dagegen weiß genau, was sie will. Sie mobilisiert alle ihr zur Verfügung stehenden Kräfte und kämpft für ihren Traum. Was die beiden verbindet ist der Wunsch nach einer besseren Welt.

Dies ist der zweite Roman von Laetitia Colombani über starke Frauen. Die 1976 in Bordeaux geborene Tochter einer Bibliothekarin arbeitete als Schauspielerin, führte in mehreren Filmen Regie und schrieb Drehbücher, bevor sie 2017 ihren ersten Roman „Der Zopf“ herausbrachte. Dieser wurde in mehrere Sprachen übersetzt und ist preisgekrönt.
Ich durfte „Das Haus der Frauen“ als Hörbuch genießen. Andrea Sawatzki und Ruth Reinecke lesen mit ihren angenehmen Stimmen den Roman so mitfühlend, dass ich alles um mich herum vergessen konnte. Selten bin ich mit einem Hörbuch so genussvoll in eine andere Welt abgetaucht.

Bewertung vom 10.12.2020
Die Krone der Schöpfung
Randl, Lola

Die Krone der Schöpfung


gut

Sehr aktuelle Momentaufnahmen des Coronajahres, ausgeschmückt mit dem Alltag einer Schriftstellerin. Locker leicht geschrieben. Allerdings sagt mir der Humor der Autorin nicht zu.

Schon der Titel dieses Buches ist zweideutig: Meint die Autorin den Menschen oder das Corona-Virus? Um beides geht es in diesem Roman, der im September 2020 herausgekommen ist. In kurzen Kapiteln schreibt Lola Randl über die Unsicherheiten des Frühjahrs, als noch nicht viel über das/den Virus bekannt war. Sie erinnert an die Aussage, dass der Mund-Nasen-Schutz unnötig sei und wie sich die Meinung dazu veränderte. Wir lesen von Homeoffice, von Homeschooling, von Talkshows und verbotenen Treffen. „Die Klimakrise, die Flüchtlinge, die soziale Ungleichheit, steigende Mieten, Überbevölkerung, Kriege alle unlösbaren Probleme unserer Zeit waren mit einem Mal verschwunden.“ (Seite 93).
Selten hielt ich einen so aktuellen Roman in der Hand. Er ist leicht und locker geschrieben, oftmals auch witzig. Er enthält alles, was wir im Jahr 2020 erlebt haben – sogar die Trockenheit und das Baumsterben. Trotzdem hat er mich nicht einfangen können. Der Humor der Autorin kommt mir zu gewollt vor, so dass mir teilweise das Lachen im Hals stecken blieb. Um dem Ganzen ein wenig mehr Gehalt zu geben, hat sie den Alltag der Protagonistin mit Kindern, Mann und Liebhabern eingebaut. Die Ich-Erzählerin schreibt gerade an einem Zombie-Projekt, was sie selbst auf Seite 133 als „einfach nur sinnlos und hohl“ bezeichnet. Wie wahr!
Die einzelnen Szenen sind in vielen kurzen Kapiteln verpackt. Um das, was zusammengehört wieder erkennen zu können, wurden die Überschriften (zum Beispiel „Honka, Bar des Vergessens“) mit römischen Ziffern gekennzeichnet.
Nachdem der Vorgängerroman „Der große Garten“ im Jahr 2019 für den Deutschen Buchpreis nominiert war, erhielt dieser zweite Roman schon kräftig Vorschusslorbeeren. In meinen Augen sind die übertrieben.

Bewertung vom 08.12.2020
Insel der verlorenen Erinnerung
Ogawa, Yoko

Insel der verlorenen Erinnerung


sehr gut

Leben ohne Erinnerung?

„Bei einem Roman … fängt [man] bei null an und konstruiert aus dem Nichts eine Geschichte. Man beschreibt etwas, als wäre es vorhanden, obwohl man es gar nicht vor Augen hat. Dinge, die nicht existieren, werden allein durch Worte ins Leben gerufen“, sagt die Protagonistin dieses Romans auf Seite 253. Sie ist Schriftstellerin und schreibt „Geschichten, in denen etwas verschwindet.“ Wie das in der Realität ist, weiß sie. Noch erinnert sie sich an ihre Mutter, die Bildhauerin und den Vater, den Ornithologen, allerdings nur noch vage. Sie hat bemerkt, dass die Dinge, die die Mutter in einer Kommode aufgehoben hat, nicht mehr da sind. Auch die Vögel, denen der Vater sein Lebenswerk widmete, sind weg. Die meisten Menschen akzeptieren die Verluste, obwohl nicht nur Dinge, sondern auch Menschen verschwinden. Schließlich bleibt ihnen nichts anderes übrig, denn die Erinnerungspolizei droht mit Sanktionen, wenn „verschwundene“ Gegenstände nicht entsorgt werden und somit noch sichtbar sind.
Die Ich-Erzählerin hat nur zwei Menschen, die ihr nahe stehen. Das ist zum einen ihr Lektor R., zum anderen der „alte Mann“, der mit ihrer Kinderfrau verheiratet war. Dem schenkt sie ihre neu erschienene Bücher und fragt ihn, wie sie ihm gefallen. „Ich kann es nicht sagen. Wenn ich ein Buch lesen würde, wäre ja die Geschichte aus und vorbei. Was für eine Verschwendung! Ich verwahre das Buch lieber und halte es in Ehren.“
Yoko Ogawa ist ein vielschichtiger Roman gelungen, der zum Nachdenken anregt. Sie vermischt dabei Realität und Fiktion und erinnert an Dinge, die in unserem täglichen Leben schon in Vergessenheit geraten (wie zum Beispiel die Schreibmaschine mit Farbband). Sie lässt Alltagsgegenstände verschwinden, die wir täglich ganz selbstverständlich in Gebrauch haben. Die Folgen davon sind verheerend.
Das Buch hat mich tief beeindruckt, auch wenn mir der Schreibstil nicht überall gefallen hat. Manche Situationen sind so ausführlich beschrieben, dass mir beim Lesen die Augen zufielen. Andere Stellen dagegen waren ausgesprochen spannend. Langweilig waren für mich manche Gespräche, in denen die japanische Höflichkeit zum Tragen kam. Da werden sogar Liebhaber gesiezt!
Auch wenn ich nicht die volle Punktzahl vergebe, bin ich auf jeden Fall auf weitere Romane dieser Autorin gespannt, die mit ihren Büchern schon einige Preise einheimsen konnte.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.12.2020
Triceratops
Roiss, Stephan

Triceratops


ausgezeichnet

Eine Kindheit und Jugend

Was für ein Buch! Jeder Satz sitzt und verursacht mir Gänsehaut. Obwohl so emotionslos erzählt wird, spielen meine Lesergefühle verrückt.

Der namenlose Protagonist nennt sich „Wir“ und erzählt von seiner Kindheit und Jugend. Davon, dass er ein Unfall war. Er erzählt von seiner Schwester, seinem Vater und der Mutter, die viel Zeit in einer geschlossenen Anstalt verbrachte. Dann schickte ihn der Vater zur Großmutter. Doch auch das Leben dort war ungewöhnlich.

Als Kind lieh „Wir“ sich gern Bücher aus. Je dicker, desto besser. Allerdings las er nur die ersten Seiten. „Fragte uns jemand, worum es in einem der Bücher ging, erzählten wir nach, was auf den ersten zehn Seiten stand, und sponnen die Geschichte dann weiter, indem wir irgendeinen Zeichentrickfilm zusammenfassten … Unseren Eltern fiel nicht auf, dass wir nur vorgaben, diese dicken Bücher zu lesen. Mutter las Beipackzettel und Kalorientabellen. Vater die Evangelien und Teletext.“

Dieses Buch hat mich umgehauen! Stephan Roiss hat es in einer völlig emotionslosen Sprache aus Sicht des Jungen geschrieben; damit bei mir aber so heftige Gefühle ausgelöst, dass ich das relativ dünne Büchlein nicht am Stück lesen konnte. Diese Kindheit war nicht ohne Liebe, aber als Leserin bekam ich den Eindruck, dass sie den Empfänger nicht erreichte. Das Kind fand den Weg aus seiner Sicht der Dinge nicht heraus. Die Hilflosigkeit der Eltern ließ es leiden, sodass es diverse Krankheiten entwickelte. Für den Außenseiter dauerte es lange, bis Freunde auftauchten. Ob die ihm schließlich gut taten, muss der Leser selbst entscheiden.

Ich kann dieses Buch trotz seines traurigen Inhalts vollumfänglich empfehlen.

Bewertung vom 23.11.2020
Bergsalz
Kalisa, Karin

Bergsalz


weniger gut

Wie aus Mitmenschen eine Gemeinschaft entsteht

Franziska und Johanna sind schon alt. Beide sind verwitwet und leiden unter Einsamkeit. So schlimm, dass Johanna eines Mittags vor Franziskas Türe steht und die eine die andere zum Essen einlädt. Dieses Zusammensitzen ist so erbaulich, dass sie die Runde ausweiten. Bald trifft sich das halbe Dorf und es entsteht eine neue Gemeinschaft, die überlegt, wie sich das Dorf wieder beleben lässt.

Karin Kalisa hat in ihrem Roman soziale Probleme aufgegriffen und Ideen geliefert, wie man dagegen angehen kann. Ihr humorvoller Schreibstil hat mich – zumindest zu Beginn des Buches – sehr angesprochen. Ich konnte mich gut in die Protagonisten hineindenken und habe mich mit ihnen gefreut, wie sie immer munterer und lebenslustiger wurden. Sie haben es geschafft, Vorurteile gegen Flüchtlinge zu überwinden und die Welt mit offenen Augen zu betrachten.

Je weiter man in den Roman vordringt, desto deutlicher werden die – auf das Heute gemünzten - sozialkritischen Aspekte. Da geht es um geschlossene Infrastruktur auf dem Dorf und den Umgang mit Flüchtlingen. Althergebrachtes erschwert Neuerungen. Diese Überlegungen haben mir sehr gut gefallen.

Etwas irritierend fand ich anfangs die Einschübe aus dem Mittelalter. Ihr Sinn erschließt sich erst im Laufe des Buches. Damit konnte ich mich arrangieren.

Doch das Ende der Geschichte hat mir die Freude am Buch vergällt, so dass es mir schließlich nur noch wie ein nicht vollständig ausgearbeitetes Manuskript vorkam. Viele der Ideen sind nur angerissen, aber nicht zu Ende geführt. Zu viele Menschen bevölkern das dünne Buch. Und als dann auch noch Mystik in die bisher nachvollziehbare Realität kam, konnte ich nur noch den Kopf schütteln. Schade um die guten Ansätze!