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Nach getaner Arbeit und erledigten Alltagspflichten greife ich stets mit viel Freude zum Buch. Lesen ist mein liebstes Hobby. Dabei bin ich an kein Genre gebunden. Ein Buch habe ich immer in der Tasche, so können auch ungeliebte Wartezeiten gut überbrückt werden. Mehr Gedanken zum von mir Gelesenen findet Ihr unter: www.karthause.wordpress.com

Bewertungen

Insgesamt 146 Bewertungen
Bewertung vom 22.12.2012
Die Liebe in groben Zügen
Kirchhoff, Bodo

Die Liebe in groben Zügen


ausgezeichnet

Bernhard Renz und Verena Wieland, die sich einfach Renz und Vila nennen, sind seit vielen Jahren verheiratet und gut saturiert. Er schreibt die Bücher für Vorabendserien, sie moderiert die Mitternachtstipps eines TV-Senders. Beide wohnen in Frankfurt am Main, haben eine Sommerresidenz am Gardasee und sind auf dem besten Wege, Großeltern zu werden, bis sich ihre Tochter doch noch anders entscheidet und lieber das Sexualverhalten der am Amazonas lebenden Naturvölker erforscht. Das ist der Punkt, an dem sich die Geister und scheinbar auch die Liebeswege des Paares scheiden.

Beide orientieren sich außerhalb des einengenden Tellerrandes der eigenen Ehe, suchen und finden Erfüllung. Vila kommt dem 10 Jahre jüngeren Zwischenmieter ihres Sommerhauses, Kristian Bühl, näher. Renz beginnt eine Beziehung mit der 20 Jahre jüngeren, sterbenskranken Marlies Mattrainer, in die auch Bühl vor langer Zeit verliebt war, die aber seinem Freund den Vorzug gab.

Mit dieser Konstellation ist die Beziehung zwischen Vila und Renz zwar im Gleichgewicht, dieses ist aber sehr fragil. Vila ist für mich in diesem Roman die stärkste Figur, wohl auch, weil ich ihr Handeln noch am ehesten nachvollziehen kann. Renz ist Anfang 60, ist schon deutlich gealtert und lebt an der Seite der kranken Marlies noch einmal auf, während deren Ende unaufhaltsam näher rückt.

In einem anderen Erzählstrang wird die Geschichte vom Heiligen Franz von Assisi und der Heiligen Klara erzählt, die Bühl, der ehemalige Lehrer mit Schriftstellerambitionen, in einem Buch verarbeiten will. Diese beiden Liebenden stehen stellvertretend für das Leiden in der Liebe und sind damit das verbindende Element der vier Hauptpersonen dieses Romans.

Die Liebe ist ein weltbewegendes Thema, in kaum einem Roman fehlt sie. Manchmal wird sie romantisch verklärt, gelegentlich erotisiert, ab und an frivol, oft kitschig und nur selten sehr gelungen in ihren Spielarten dargestellt. In diesem Roman resümiert nun der Mittsechziger Kirchhoff über die Liebe und dieses Fazit, das er auf 670 zieht, hat mir sehr gut gefallen. Man kann sicher trefflich darüber streiten, ob es die Gedanken eines alternden Mannes sind, ob er sich selbst in Renz wiederfindet. Egal. Dieser Roman, in dem es so plakativ um die Liebe geht, dass sogar die Hauptpersonen in den Hintergrund treten, hat mir sehr gefallen. An sich ist die Handlung sehr eingeschränkt und auch die Spannung hält sich in Grenzen. Das Beeindruckende an diesem Roman ist das, was die Liebe aus den Menschen macht und vor allem wie es Kirchhoff mit großer Wortgewandtheit und Lebenserfahrung gelingt, dem Leser dieses oft entehrte Thema mit entsprechendem Tiefgang zu präsentieren. Sprachlich ist es nach meinem Empfinden eines der besten Werke der aktuellen deutschen Literatur.

Dieser Roman stimmt sehr nachdenklich und lässt einen unumgänglich die eigenen Gefühle hinterfragen. Wer dazu den Mut hat, wer die Liebe in (fast) allen ihren Facetten erkunden möchte und dazu die Sprachkunst Bodo Kirchhoffs genießen kann, wird mit „Die Liebe in groben Zügen“ sehr gut beraten sein. Es ist ein Roman, der in Erinnerung bleiben wird, trotzdem werde ich dieses Buch mit Sicherheit noch ein weiteres Mal lesen.

3 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 20.12.2012
Oblomow
Gontscharow, Iwan Aleksandrowitsch

Oblomow


ausgezeichnet

Der russische Gutsbesitzer Oblomow verlässt nur ungern seine Liegestatt. Dort empfängt er seine Besucher, dort verbringt er den Tag, dort schmiedet er große Pläne, die er aber nie umsetzt. Der Schlafrock ist sein liebstes Kleidungsstück. Im Nichtstun sieht er seinen Lebensinhalt. Seit 12 Jahren wohnt er bereits in St. Petersburg, seit dem hat er sein Gut nicht mehr besucht. Weil er sich nicht kümmert und weil er bis an die Grenzen des Erträglichen ausgenutzt wird, fallen die Erträge jährlich geringer aus. Seine Freunde sind, bis auf eine Ausnahme, Schmarotzer, die ihm die Zeit und vor allem sein Geld stehlen. Auch sein Diener Sachar ist Nutznießer von Oblomows Desinteresse und Gleichgültigkeit. Einzig sein Freund aus der Jugendzeit, Andrej Karlowitsch Stolz, schafft es, ihn aus seiner Lethargie herauszureißen. Ist er da, was auch in Oblomows Augen viel zu selten geschieht, verlässt er seine Ruhestätte, er rafft sich auf, die vom Freund empfohlenen Bücher zu lesen und zeigt Interesse an seiner Umwelt. Stolz gelingt es auch, Oblomow mit Olga bekanntzumachen. Für kurze Zeit kann Oblomow über seinen Schatten springen und die Liebe genießen. Jedoch lassen ihn Selbstzweifel und Unentschlossenheit diese Beziehung beenden und er fällt in stärker denn je in alte Verhaltensmuster zurück.

Ilja Oblomow ist wohl der faulste, trägste, unentschlossenste und apathischste Romanheld der Literatur, aber er ist ein auf seine Art ein liebenswerter Protagonist. Der Begriff der "Oblomowerei" für die Langeweile und den Müßiggang hat auch in den deutschen Wortschatz Einzug gehalten. Als Abkömmling des russischen Landadels steht Oblomow für das feudalistische Althergebrachte, sein Gegenspieler im Roman ist der deutschstämmige Kaufmann Stolz, der den Aufbruch in die neue Zeit verkörpert. Da Gontscharow seinen Roman logisch und intelligent aufgebaut hat, ist das Ende zwar vorhersehbar, aber nicht in der Vielzahl seiner Details. Hat mir der Roman in seinen ersten drei Teilen schon gut gefallen, war der Schlussteil sozusagen die Krönung für mich. Zu Beginn des Buches stellte ich mir immer wieder die Frage, wie man so wie unser Held werden kann. Die Beantwortung folgt in "Oblomows Traum", welcher als Erzählung bereits 1848 veröffentlicht wurde. Mit seinem Protagonisten provoziert Gontscharow gekonnt, seine feine Ironie macht das Buch zu etwas Besonderem. Hervorheben möchte ich die wunderbare Charakterisierung der in der Handlung vorkommenden Personen. Alle sind sie fein gezeichnete Individuen, die beim Lesen zum Leben erweckt werden.

Heute, 150 Jahre nach seinem Erscheinen, hat dieser Roman eine ungeheure Aktualität erlangt - allerdings genau als Negation dessen, was Gontscharow aussagen wollte. In der heutigen Zeit mit ihrer Hektik, dem Hetzen von einem Termin zum anderen, dem Zeigen des aktiven Lebens, ist ein wenig Oblomowerei sicher ein gesunder Gegenpol zum geschäftigen Alltagsleben.

Mein Fazit: Mit "Oblomow" schuf Iwan Gontscharow ein Meisterwerk, das ihn als Autor auf eine Stufe mit Tolstoi und Turgenjew hebt. Dabei ist dieses Buch einfach, mit vielfältigen Interpretationsmöglichkeiten und schnörkellos geschrieben. Mich hat dieses Werk überzeugt. Zu Unrecht ist es nicht so bekannt wie die anderen Werke der großen russischen Literaten.

2 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.12.2012
Die Plantage
Tarley, Catherine

Die Plantage


sehr gut

Catherine Tarley nimmt den Leser mit auf die Plantage Legacy in South Carolina. Schon nach wenigen Seiten ist man in die Handlung eingetaucht, die von einem mystisch angehauchten Prolog eingeleitet wird. Die Südstaatenatmosphäre ist an sich recht schnell präsent und damit auch die Probleme der damaligen Zeit. Die Folgen des Krieges lasteten schwer auf den Plantagen. Sklaven sind geflüchtet, damit fehlte es an Arbeitskräften. Legacy selbst war durch Antonias Ehemann vor dessen Tod schon an den Rand des wirtschaftlichen Ruins getrieben worden. Die Autorin versteht es sehr anschaulich diese Schwierigkeiten in Szene zu setzen und den Leser von der Härte der Situation zu überzeugen.

Die vier Hauptpersonen des Romans, Antonia Lorimer, William Marshal, Andrew Tyler, Banker in Charles Town und Algernon Reed, reichster Farmer der Umgebung, werden von der Autorin gut eingeführt, charakterisiert und in ihren Beziehungen durch die Handlungsfäden gut miteinander verflochten. Antonia stößt in dem Roman immer wieder an Grenzen, sie schwankt zwischen der Naivität der gutsituierten Farmerstochter und der aufgeklärten, gebildeten jungen Frau. Das macht sie in einigen Situationen unglaubwürdig. Das naive „Weibchen“ konnte ich eher abnehmen als die toughe Frau, weil sie in vielen Situationen wahrlich hilflos war. Die am besten charakterisierte Person ist jedoch Algernon Reed. Der reiche und erfolgreiche Farmer wird immer wieder von den Dämonen seiner psychischen Krankheit heimgesucht. Hervorragend hat Catherine Tarley diese beiden Seiten des Mannes entwickelt. Alle anderen Figuren erschienen mir jedoch sehr schablonenhaft und farblos.

Die wechselnde Erzählperspektive in den elf Teilen entwirft ein umfassendes Bild des Lebens in der damaligen Zeit. Durch die verschiedenen Blickwinkel kommt man als Leser den Romanfiguren näher und kann ihr Denken und Handeln besser nachvollziehen. So lernt der Leser auch die Personen ein wenig besser kennen, die scheinbar nicht im unmittelbar im Fokus der Handlung standen. Allerdings kommt dadurch und durch die zeitlichen Sprünge eine gewisse Unruhe auf, die mich ein wenig störte.

Sehr gut gewählt fand ich den zeitlichen Rahmen der Handlung, der Unabhängigkeitskrieg wird meinem Empfinden nach deutlich seltener als der Bürgerkrieg behandelt. Ebenso hat mir gefallen, dass dieser Krieg nicht allgegenwärtig thematisiert wurde, aber sehr deutlich wurde, wie er die Entscheidungen, die Gedanken und das Tun der Personen beeinflusste.

In einem Anhang ist dem Roman ein Glossar beigefügt. Die verwendete Karte ist leider nur dekoratives Beiwerk, wirklich nützlich ist sie ob des gewählten Maßstabes nicht.

„Die Plantage“ ist ein recht dialoglastiger Roman und obwohl die Autorin durch das Verwenden von vielen Fremdwörtern versucht hat, ihm einen höheren Anspruch zu verleihen, war er trotz der 880 Seiten schnell zu lesen. Es ist ein netter Südstaatenschmöker, in dem die Romantik nicht zu kurz kam, aber auch nicht überstrapaziert wurde. Catherine Tarley schnitt in dem Roman eine Vielzahl von Themen an und trotz der angeführten Kritikpunkte bescherte er mir unterhaltsame Lesestunden.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.10.2012
Todesfrist / Sabine Nemez und Maarten Sneijder Bd.1
Gruber, Andreas

Todesfrist / Sabine Nemez und Maarten Sneijder Bd.1


ausgezeichnet

Andreas Gruber verwendete für seinen Thriller altbekannte Zutaten. Eine junge Ermittlerin, die privat ein paar Probleme hatte und die durch die Ermordung ihrer Mutter in den Fall persönlich involviert war, wurde sie von den Ermittlungen in diesem Fall abgezogen. Zuerst ermittelte sie auf eigene Faust, dann an der Seite des BKA-Analytikers. Man sollte meinen, den Leser erwartet einen der üblichen 08/15 Thriller, aber weit gefehlt. Der Autor hat seinen Thriller äußerst intelligent konstruiert. Anleihen nahm er bei einem Kinderbuch, anhand dessen er die Taten förmlich inszenierte. Die Opfer waren in Köln, Dresden, Leipzig, München und Wien zu Hause und immer bekam eine ihm nahestehende Person eine Art Hinweis, verbunden mit einem Rätsel und einer Frist von 48 Stunden. Konsequent wurde der Spannungsbogen aufgebaut und durchgehend bis zum Ende hin gehalten, die äußerst brutalen und wohl durchdachten Morde sind dafür nur ein Mittel zum Zweck. Daneben wurde durch die dauernden Geplänkel um den etwas sonderbaren Fallanalytiker Sneijder eine gewisse Lockerheit in seine Story gebracht, die den Leser immer wieder durchatmen lassen und andererseits die Neugier auf die weiteren Ermittlungen steigerte. Neben dem Handlungsstrang um die eigentlichen Taten existierte parallel ein weiterer, der den Leser in die Praxis einer Psychotherapeutin führte. Beide Stränge werden im Laufe der Handlung geschickt miteinander verwoben.

"Todesfrist" ist sehr flüssig zu lesen, ständig verspürte ich den Drang, mehr wissen zu wollen. Die Idee des Autors, das Kinderbuch als Mordvorlage zu nehmen, fand ich ebenso unkonventionell wie originell. Nicht zuletzt trugen die Personen, die dem Alltag entschlüpft zu sein schienen, zu dem sehr gelungen Thriller bei.

Wer gern Thriller mit gut ausgetüftelten Morden liest, sich von grausamen, perfiden und blutigen Taten nicht abschrecken lässt und genügend Zeit für 400 Seiten Spannung hat – den aus der Hand konnte ich das Buch nicht legen – wird mit "Todesfrist" sehr gut beraten sein. Ich bewerte es mit 5 Sternen.

19 von 23 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.09.2012
Die vierte Zeugin
Kinkel, Tanja; Schiewe, Ulf; Klaus, Marlene; Burseg, Katrin; Pötzsch, Oliver; André, Martina; Prange, Peter; Müller, Titus; Koschyk, Heike; Falkenhagen, Lena; Leue, Alf; Benedikt, Caren

Die vierte Zeugin


ausgezeichnet

Viele Köche verderben den Brei, so sagt der Volksmund. Trifft dies im übertragenen Sinn auch auf Autoren zu? „Die vierte Zeugin“ ist ein Projekt des Autorenkreisen Quo Vadis, dem Tanja Kinkel, Oliver Pötzsch, Martina Andrè, Peter Prange, Titus Müller, Heike Koschyk, Lena Falkenhagen, Alf Leue, Caren Benedikt, Ulf Schiewe, Marlene Klaus und Katrin Burseg angehören. Gemeinsam erzählen sie die Geschichte der Tuchhändlerwitwe Agnes Imhoff, die von dem Londoner Händler Richard Charman verklagt wird, die Geschäftsschulden ihres durch undurchsichtige Umstände ums Leben gekommenen Ehemannes zu begleichen. Der Roman basiert auf einem Dokument über eine Gerichtsverhandlung aus dem 16. Jahrhundert, das beim Einsturz des Kölner Stadtarchives schwer beschädigt wurde. Jeder der AutorInnen steht Pate für eine der im Roman handelnden Personen bzw. den Prolog und den Epilog. Ich hatte damit gerechnet, dass es bei den verschiedenen Abschnitten zu deutlich spürbaren Stilwechseln kommen würde. Da aber jede Person, die ihre Sicht der Dinge darlegt, von einem anderen Autor beschrieben wurde, sind diese Brüche nur vermeintlich. Beim Lesen hatte ich immer das Gefühl, das gerade durch den Wechsel der Autoren die Figuren besonders individuell erscheinen. Somit hat jede einen anderen Charakter und zeigt Facetten, die die Handelnden sehr wirklichkeitsgetreu erscheinen ließen. Der Spannungsbogen wurde konsequent gehalten und auch als es zu einem Zeitsprung kommt und die Geschichte viele Jahre später fortgesetzt wird, der Leser den Ausgang des Prozesses schon kannte und das Ende der Geschichte erahnte, kam es noch einmal zum deutlichen Aufleben der Spannung und somit zum Finale Grande. Bei diesem historischen Roman handelt es sich aber keineswegs um einen trockenen Gerichtsroman. Die Autoren erwecken die damalige Zeit zum Leben und schicken Figuren auf die Handlungsbühne, die dem Leser den Alltag vor etwa 500 Jahren vor Augen führen. Dabei stehen Fragen zu den Rechten einer Frau in der damaligen Zeit im Mittelpunkt. Deren Tragweite wird erst so richtig klar, verdeutlicht man sich, dass Dokumente über diesen Prozess die Jahrhunderte überdauerten.

Von dem Autorenkreis Quo Vadis sind als Gemeinschaftsromane bereits „Das dritte Schwert“, „Der zwölfte Tag“ und „Die sieben Häupter“ erschienen. Nachdem ich weiß, dass der von vielen Köchen zubereitete Brei verdorben sein soll, kann ich nach der Lektüre von „Die vierte Zeugin“ sagen, diese 12 Autoren stehen für hervorragende, historisch fundierte Unterhaltung. Zu den bereits erschienenen historischen Romanen der Autorengruppe werde ich nach und nach auch noch greifen.

Mein Fazit: Wer einen historischen Roman, der auf einem realen Fall basiert, mit großartig gezeichneten Personen lesen möchte, wird mit „Die vierte Zeugin“ sicher sehr gute und spannende Unterhaltung finden.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.07.2012
Vergewaltigt
Oates, Joyce Carol

Vergewaltigt


ausgezeichnet

Am 4. Juli, dem Unabhängigkeitstag der USA, wird in Niagara Falls gefeiert. Für Teena Maguire und ihre 12-jährige Tochter, Bethie ist es spät geworden, sie sind auf dem Weg nach Hause, als sie in einem dunklen Park einer Gruppe unter Drogen stehender junger Männer begegnen. Es wird gepöbelt, gerempelt, gegrapscht, beide werden in ein Bootshaus gezerrt und schließlich wird Teena von den Männern auf brutalste Weise vergewaltigt und danach, als sie nicht einmal mehr wimmern konnte, blutüberströmt, dem Tod näher als dem Leben, liegengelassen. Bethie konnte einen unachtsamen Moment der Täter ausnutzen und sich verstecken. Sie war es auch, die, nach dem die Männer verschwunden waren, Hilfe holte. So konnte Teena Maguire überleben.

Dies ist nicht das erste Buch, in dem sich Joyce Carol Oates mit dem Thema Gewalt auseinandersetzt, in diesem Fall geht es um Gewalt gegenüber Frauen. Teena ist Opfer und das in mehrfacher Hinsicht, da ist zum einem die Gruppenvergewaltigung, andererseits ist sie ein Opfer der Menschen, die auf die Geschehnisse, mit Worten, wie: sie hat es ja herausgefordert und sie wollte es nicht anders oder sie hat es für Geld getan, reagieren und damit psychisch gegenüber Teena Gewalt anwenden. Aber für mich ist sie auch ein Opfer us-amerikanischer Justiz, sie kann schließlich nicht beweisen, dass sie es nicht wollte.

Joyce Carol Oates erzählt ihre 165 Seiten umfassende Novelle in einem stakkatoartigen Stil in kurzen und kürzesten Kapiteln aus unterschiedlichen Blickwinkeln, hauptsachlich aber aus der Sicht Bethies. Der Erzählstil war zu Beginn ein wenig gewöhnungsbedürftig. Aber dann las ich fast atemlos die Schilderungen der Tat und der Zeit danach. Die endgültige Wirkung setzte jedoch erst ein, als ich das Buch beendet hatte und über das Gelesene nachdachte. Es hallt noch heute in mir nach. Es ist eines dieser Bücher, die man nicht so schnell vergisst. Die Autorin beschreibt das Geschehen direkt, ohne zu beschönigen, ohne ein Blatt vor dem Mund zu nehmen und ohne den Leser zu schonen, aber auch ohne das letzte Detail der Tat zu erwähnen. Sie verurteilt nicht nur Gewalt und Voreingenommenheit, sie prangert auch das Rechtssystem der USA an, in dem scheinbar noch ausschließlich die Männer das Sagen haben. Sehr gerieben habe ich mich an der Figur des John Dromoor. Einst kämpfte er im Golfkrieg, heute ist er als Cop im Einsatz. Er ist die Lichtgestalt, der Helfer in der Not und der allgegenwärtige Heilsbringer. Bethie verliebt sich schlagartig in ihren Retter und für ihn wird der Fall schnell mehr als nur ein Fall, er wird immer tiefer in das Geschehen involviert. So kommt es zu einem Ende, das ich so nicht erwartet hätte und das mich nicht so richtig zufrieden stellt. Warum das so ist, kann ich an dieser Stelle leider nicht ausführen, da ich auf Spoiler verzichten möchte. Der von einem Widerspruch geprägte Titel erschließt sich dem Leser bei der Lektüre, ob er in jedem Fall nachvollziehbar ist, sei dahingestellt. Er war wirkungsvoll genug, mich zum Kauf dieses Buches anzuregen.

"Vergewaltigt. Eine Liebesgeschichte" ist ein Buch, das berührt, erschüttert und tief unter die Haut geht. Wer sich dem stellen möchte, dem möchte ich es empfehlen und ans Herz legen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.07.2012
In Zeiten des abnehmenden Lichts
Ruge, Eugen

In Zeiten des abnehmenden Lichts


sehr gut

Mit "In Zeiten des abnehmenden Lichts" erzählt Eugen Ruge eine sich an den Geschehnissen in seiner eigenen Familie orientierte Familiengeschichte in zwanzig Kapitel. Dabei geht er nicht chronologisch vor, sondern berichtet episodenhaft, sich in der Geschichte hin und her bewegend. Trotz größerer Zeitsprünge war es nicht problematisch sich zu orientieren, über welche Mitglieder der vier Generationen umfassende Familie berichtet wird. Dank der mit den Jahreszahlen überschriebenen Kapitel konnte man sich als Leser die Zeitfolge problemlos selbst erlesen. Dreh- und Angelpunkt der Handlung bilden der 1. Oktober 1989 und das Jahr 2001. Zu diesen Daten kehrt Ruge immer wieder zurück, um die Ereignisse an Wilhelm Powileits 90. Geburtstag (1989) und Alexanders Mexiko-Reise (2001) aus verschieden Blickwinkeln zu betrachten.
Mehrfach spiegelt sich der Titel im Roman wieder. Viele der Episoden sind im Herbst angesiedelt. Der Kommunismus, der von Charlotte und Wilhelm als höchstes Ziel angesehen wird, verliert von Generation zu Generation an Bedeutung, bis er für Alexanders Sohn, der in seiner eigenen Computerwelt lebt, nicht mehr existent ist. Auch die Gesundheit der Protagonisten ist ähnlich einer herunterbrennenden Kerze. Alexander ist an Krebs erkrankt, sein Vater Kurt hat die Demenz fest im Griff. Irina war Alkoholikerin und Wilhelm und Charlotte - weil ich zu viel verraten würde, schweige ich dazu an dieser Stelle.
Eugen Ruge erzählt diese Geschichte über die mit der Gesellschaftsordnung untergehende Familie sehr ruhig und sachlich, aber nicht ohne Wortwitz. Dabei ließ er historische Ereignisse eher am Rande einfließen und achtete mehr auf deren Auswirkungen auf die Familie, deren Mitglieder sehr überzeugend charakterisiert wurden. Das Buch lies sich sehr flüssig lesen, die Sprache Eugen Ruges empfinde ich als ausgesprochen angenehm. Als besonders positiv möchte ich hervorheben, dass der Roman weit ab von jeglicher Ostalgie und der Verklärung alter Zeiten geschrieben wurde. Damit hebt er sich wohltuend von anderen ähnlich gelagerten Romanen ab. Eugen Ruge ist mit "In Zeiten des abnehmenden Lichts" ein wirklich großer Familienroman gelungen, dem ich noch viele interessierte und begeisterte Leser wünsche.

10 von 11 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.07.2012
Im Land der gefiederten Schlange
Lobato, Carmen

Im Land der gefiederten Schlange


ausgezeichnet

Als die Hartmanns 1830 Hamburg nach einem wirtschaftlichen Desaster verließen, war Katharina noch nicht geboren. Sie wollten in Mexiko mit Handel wieder auf die Beine kommen, dorthin waren bereits einige Zeit zuvor Familienangehörige gegangen. Sie träumten von erfolgreichen Geschäften, um später als angesehene Kaufleute wieder in der Heimat zurückzukehren. Aber das Leben spielte ihnen hart mit, sie wurden nicht, wie geplant, erwartet und mit offenen Armen empfangen. Sie erlebten Krieg und Belagerung und auch in der Familie gab es Kämpfe und Schicksalsschläge, dazu sorgte das Geheimnis um Katharinas Herkunft für zusätzliche Unruhe.

"Im Land der gefiederten Schlange" ist kein typischer Auswandererroman, wie man aktuell so viele in den Regalen des Buchhandels findet. Dieser Roman ist etwas Besonderes. Er vereint auf sehr angenehme Weise einen gut recherchierten historischen Roman und ist gleichzeitig eine berührende Liebesgeschichte, die sich in den historischen Rahmen einfügt und davon auch beeinflusst wird. Die Liebe zwischen der Tochter der Einwanderer und dem jungen Mexikaner wird sehr gefühlvoll beschrieben und ist für mein Verständnis in keiner Weise kitschig. Die Historie, die von der Autorin sehr anschaulich beschrieben und vermittelt wird, dient diesem Roman nicht nur als Kulisse, sie ist das Gerüst, an dem sich die Handlung orientiert und mit der sie sich entwickelt. Dieser Roman gewährt dem Leser aber auch tiefen Einblick in die Familiengeschichte der deutschen Handelsfamilie in der Zeit von 1830 1867. So geht es um die Beziehungen der Familienmitglieder untereinander, um das Festhalten an alten Traditionen und den Schwierigkeiten, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen. Es gibt Krisen und Schicksalsschläge zu bewältigen und es gibt ein dunkles Familiengeheimnis. Dieser historische Roman enthält also alles, was von einer guten Familiensaga erwartet wird. Ich habe dadurch eine Familie kennen lernen dürfen, die mich, trotz aller Widrigkeiten und der diversen persönlichen Schwächen, die die einzelnen aufweisen (oder vielleicht gerade deshalb), sehr beeindruckte. Jede einzelne Figur ist ein Kind ihrer Zeit und hat Charakter, keine ist stereotyp oder hölzern. Alle durchlaufen eine persönliche Entwicklung. Bei der beeindruckenden Zahl von handelnden Personen gebührt der Autorin dafür ein extra dickes extra Lob. Durch die wechselnden Perspektiven beim Erzählen lenkt Carmen Lobato den Blick des Lesers immer wieder auf die Sichtweise anderer Personen, so dass nach und nach eine Art Vertrautheit zu allen Hauptfiguren aufkommt. Ganz besonders aber beeindruckte mich, wie gut es ihr gelang, die Gedanken und Sichtweisen der der indigenen Einwohner dem Leser zu vermitteln und dabei deren Traditionen und Riten zu erklären. Neben all dem überzeugt die Autorin auch durch einen sehr angenehmen gefälligen Sprachstil. Die Handlung war nicht vorausschaubar, immer wieder gab es Wendungen und Ereignisse, mit denen ich so nicht gerechnet hätte.
Obwohl das Buch 'nur' ein Taschenbuch ist, überzeugt es doch durch seine Aufmachung. Zusätzlich sind ein Glossar und ein umfangreiches Personenverzeichnis in dem Roman enthalten.
"Im Land der gefiederten Schlange" ist ein anspruchsvoller historischer Roman, der eine sehr schöne Liebesgeschichte und eine komplexe Familiengeschichte enthält. Er unterhält den Leser über fast 800 Seiten und wenn man das Buch aus der Hand gelegt hat, kann man mit Fug und Recht behaupten, einen Roman für Herz und Verstand gelesen zu haben.

4 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.07.2012
Biokrieg
Bacigalupi, Paolo

Biokrieg


gut

Spinnt man die Gedanken um globale Erwärmung, Klimaveränderung und Verknappung der Ressourcen ungehemmt weiter, gelangt man unweigerlich an den Punkt, an dem Paolo Bacigalupi mit seiner Romanhandlung einsetzt. Wir sagen, gegenwärtig wäre es 5 Minuten vor 12 Uhr, aber in 'Biokrieg' ist es bereits 15 Minuten später. Es sind schon beeindruckende Gedankenspiele, die der Autor in seinem Roman umsetzt. Aber für mich sind diese nicht zur Gänze verarbeitet. Es gibt ein Energieproblem. Wir wissen, das steht uns auch in der Gegenwart bevor. Aber an keiner Stelle im Roman wird von der Nutzung von Solar- und Windenergie oder Wasserkraft gesprochen. Da wurden Riesenelefanten als 'Kraftwerke' designt und Spannfedern als Energiespeicher genutzt. Das ist unterhaltsam und amüsant zu lesen, mehr aber nicht, ich denke da existieren weitaus mehr Alternativen. Die Story wird aus Sicht von 5 Hauptpersonen, die eher keine Sympathieträger sind und alle verschiedenen Gesellschaftsschichten angehören, in sich mehr und mehr verflechtenden Handlungssträngen erzählt. Ich fand es nicht einfach mich in dieses Buch einzulesen. Probleme hatte ich mit den Namen der diversen Personen, besonders aber mit den häufig verwendeten Thai-Begrifflichkeiten. Sie erschlossen sich auch nur sehr langsam aus dem Text. Diese Begriffe waren zwar kursiv geschrieben, ein Glossar fehlte jedoch in meiner Taschenbuchausgabe, das wäre sehr hilfreich gewesen. Auch wird die Geschichte nicht chronologisch erzählt, erst zum Ende hinkann man die einzeln gesammelten Puzzleteile zu einem Gesamtbild zusammensetzen. Dadurch war der Roman für mich auch nicht besonders flüssig zu lesen. 'Biokrieg' verlangte mir einiges an Konzentration und Durchhaltevermögen ab. Das hätte ich so nicht erwartet, denn die Grundidee des Romans fand ich außerordentlich gut.

'Biokrieg' ist auch von der Wirkung her ein typischer Post-Doomsday-Roman, düster, bedrückend und besorgniserregend. Diese Stimmung hat Paolo Bacigalupi sehr gut beschrieben, sie war für mich auch deutlich spürbar und wirkte auch noch nach. Trotzdem überwog die Enttäuschung bei mir, nur aus dichter Atmosphäre, einem exotischen Handlungsort und einer klugen Idee, wird nicht automatisch guter Roman. Mir fehlte ein mitreißendes Element, Spannung oder vielleicht auch nur ein Protagonist, mit dem ich mitfiebern könnte.

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.