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sleepwalker

Bewertungen

Insgesamt 467 Bewertungen
Bewertung vom 07.10.2022
Klangwunder
Mayer, Albrecht;Friedrich, Heidi

Klangwunder


gut

Ich hätte das Buch so gerne gemocht. Mehr kann ich über „Klangwunder: Wie die Kraft der Musik mich geheilt hat“ von Albrecht Meyer und Heidi Friedrich eigentlich gar nicht sagen. Die Lebensgeschichte des Oboisten ist sehr interessant, seine Wandlung vom stotternden Kind/Jugendlichen unter der Knute eines dominanten, strengen und oft aggressiven Vaters hin zu einem selbstbewussten Erwachsenen ist beispielhaft. „Für irgendetwas habe ich mich immer geschämt: Knochige Knie, schlaksiger Oberkörper, die Haare zu strohig, der Kopf zu rund. […] Und dann noch dieses verhängnisvolle Stottern.“ – er hat einige Zeit gebraucht, bis er sich selbst hinter der Scham gefunden und seinen eigenen Wert erkannt hat. So weit so gut.
Eigentlich hätte aus dem Stoff ein ganz hervorragendes Buch werden können, wenn es denn sprachlich ansprechender gewesen wäre. Leider aber fand ich die Sprache zu nüchtern, fast hölzern und manche der Ausdrücke, die das Autoren-Duo verwendet, sind nicht korrekt. So hat Albrecht Meyers Vater, ein Kinderarzt, die „Taubstummensprache“ gelernt, um mit einigen seiner Patienten kommunizieren zu können. Leider gibt es eine solche Sprache überhaupt nicht, höchstens die Gebärdensprache. Auch der Begriff „taubstumm“ wird heute als solcher nicht mehr wirklich verwendet, schade, dass er in dem Buch trotzdem aufgegriffen wird.
Leben und Werdegang des Musikers sind hochinteressant. Leider reihen sich eher belanglose, fast tabellarisch „abgearbeitete“ Passagen an durchaus lustige Schwänke aus dem Leben des Oboisten. Das Buch ist an sich chronologisch aufgebaut, mit einigen „Nachdenkereien“ am Ende der jeweiligen Kapitel, in denen Albrecht Mayer das Geschriebene ein bisschen rekapituliert und in einen gewissen Kontext setzt. Interessant fand ich die Idee des Vaters, dass das Oboespielen die Atmung des stotternden Kindes so beeinflussen könnte, dass sich sein Stottern bessern würde. Noch interessanter fand ich aber, dass das Stottern nicht durch das Blasinstrument, sondern mit den ersten Erfolgen und dem gewachsenen Selbstbewusstsein aufhörte. Lesenswert, wenn auch ein bisschen langatmig beschrieben, finde ich seine Zeit bei der Bundeswehr, die der äußerst unangepasste und fast aufmüpfige Mayer mehr schlecht als recht (und mit viel Arrest und Waffenputzen) hinter sich gebracht hat. Dass er sein Vorspiel bei den Berliner Philharmonikern ungewollt bekifft absolvierte, brachte mich hingegen herzlich zum Lachen. Das runde Ende findet das Buch mit dem Jahr 2020 und dem Lockdown, dem Homeschooling seiner fünfjährigen Tochter Laura und einem kleinen Einblick in sein Privatleben, der ihn als Familienmenschen abseits von Orchester und Karriere zeigt.
Insgesamt ist es das Buch eines ehrlichen und äußerst selbstkritischen Menschen, der immer wieder versuchte, auf dem Boden zu bleiben, gleichzeitig aber ein Adrenalin-Junkie ist und ein gewisses Maß an Bewunderung und Applaus braucht. „Oboen-Gott“ oder „Bester Oboist der Welt“ – Bezeichnungen wie diese lehnt er ab. Perfektion sucht er aber auch im Instrument, so hat er sich sich zusammen mit dem Instrumentenbauer Ludwig Frank der Entwicklung der „perfekten Oboe“ verschrieben. „Albis Oboe“ spielte er zum ersten Mal 2008 in der New Yorker Carnegie Hall. Wie gesagt, wäre das Buch für mich sprachlich ansprechender gewesen, hätte es die volle Punktzahl von mir bekommen. Die Nüchternheit der Erzählung hielt mich aber jederzeit auf Distanz zu Albrecht Mayer und ich konnte nicht, wie bei unzähligen anderen (Auto)Biografien eine Nähe oder Vertrautheit aufbauen. Alles in allem finde ich, dass das Buch seiner hochinteressanten Persönlichkeit zu wenig gerecht wird. Schade. Daher vergebe ich drei Punkte.

Bewertung vom 07.10.2022
Der Tag, an dem Tiffany das Wasser aus der Wanne geschaukelt hat
Kling, Marc-Uwe

Der Tag, an dem Tiffany das Wasser aus der Wanne geschaukelt hat


ausgezeichnet

Da wollen Mama, Oma und Lisa nur einmal einen Tag Wellness machen. Sowas mit Sauna (mit fremden nackten Menschen auf engem Raum schwitzen) und so. Also ist Papa in Marc-Uwe Klings Buch „Der Tag, an dem Tiffany das Wasser aus der Wanne geschaukelt hat“ mit Tiffany, Max und Opa allein zu Hause. Und eigentlich will er doch nur auf der Terrasse sein Buch lesen. Wer Marc-Uwe Kling und seine Geschichten kennt, der weiß, dass Papas Vorstellung nichts mit der Realität zu tun haben wird. Obwohl er Profi-Papa ist. Und am Schluss sind alle nass und Merk… ach nee, Tiffany ist schuld.
Mehr mag ich zum Hörbuch „Der Tag, an dem Tiffany das Wasser aus der Wanne geschaukelt hat“ eigentlich auch gar nicht sagen, denn ich habe mich so köstlich drüber amüsiert, dass ich es jedem empfehle, der den manchmal etwas speziellen Humor des Autors mag. Der liest das Hörbuch übrigens selbst, was der Geschichte meiner Meinung nach noch mehr Witz verleiht. Da ich selbst nicht zur Zielgruppe gehöre, kann ich nicht beurteilen, ob das Buch für Kinder ab sechs Jahren geeignet ist. Die politischen Anspielungen und die viele Ironie sind doch ziemlich speziell. Aber ich als Erwachsener habe häufig herzhaft gelacht, für mich hätte es gerne noch länger sein dürfen. Von mir gibt es natürlich fünf Sterne.

Bewertung vom 20.09.2022
Das Haus über dem Fjord
Valla, Kristin

Das Haus über dem Fjord


ausgezeichnet

„Wer unsere Eltern wirklich waren, werden wir vielleicht nie erfahren. Aber wer sie für uns sind, entscheiden wir zum Glück selbst.“ – das könnte die Essenz aus Kristin Vallas Roman „Das Haus über dem Fjord“ sein. Es war bislang so ziemlich das überraschendste Buch, das ich jemals gelesen habe. Zwar hatte ich von Anfang an das Gefühl, dass irgendein Plot-Twist kommen würde, aber dass er mich so unerwartet treffen würde – damit hatte ich nicht gerechnet. Ich mag Norwegen und ich mag (manchmal) Bücher über Familiengeheimnisse. Daher war das „Das Haus über dem Fjord“ für mich eine großartige und lohnende Sommerlektüre.
„Ut av det blå“ ist der Titel des Norwegischen Originals – aus heiterem Himmel. Und das trifft es völlig. Denn als Kristin Vallas Protagonistin Elin 1985 durch einen Erdrutsch ihren Vater und ihre beiden Brüder verliert, ändert sich ihr Leben völlig unerwartet grundlegend. Die Leichen von Vegard und Thomas werden gefunden und können beerdigt werden. Ihr Vater Bjørn bleibt trotz intensiver Suche verschwunden. 2005 stirbt ihre Mutter Wenche und zwei Jahre später beschließt Elin, inzwischen Journalistin in Oslo, das elterliche Haus zu verkaufen. Mit dem Tod von Brüdern und Vater hatte ihre Kindheit geendet, mit dem Verkauf des Hauses möchte sie ihr komplettes „altes“ Leben abhaken. In ihrem nordnorwegischen Heimatdorf findet sich ihre erste große Liebe Ola wieder – und stößt beim Ausräumen des Hauses Hinweise auf ein gut gehütetes Familiengeheimnis. Und tief in sich spürt sie, dass sie dieses Geheimnis lüften muss, um endgültig mit sich und allem anderen ins Reine zu kommen. Bei einer Reise nach Frankreich deckt sie Dinge auf, die sie sich nie im Leben hätte träumen lassen.
Und ich als Leser auch nicht. Wie gesagt, das Ende des Buchs hat mich völlig überrascht, mehr möchte ich dazu aber auch gar nicht schreiben. Ich mag keine Spoiler und lege den Roman ohnehin jedem ans Herz, der Familiengeheimnisse und Norwegen mag. Und ich empfehle sogar, es zweimal zu lesen, da die Geschichte eine völlig andere ist, wenn man den Schluss kennt. Dann fallen einem nämlich beispielsweise die kleinen Hinweise auf das Geheimnis im Umgang der Eltern miteinander auf.
Sprachlich fand ich das Buch sehr bodenständig und gut zu lesen, allerdings auch bildgewaltig und teilweise fast poetisch. Die Übersetzung ist hervorragend gelungen. Die wichtigen Charaktere sind dreidimensional und sehr gut ausgearbeitet, und auch die Atmosphäre des Romans ist greifbar. Ich hatte die ganze Zeit die norwegische Landschaft vor Augen, konnte die bedrückende Stimmung nach dem Erdrutsch fühlen und die Traurigkeit der Hinterbliebenen, denen der Quickton nicht nur den tatsächlichen, sondern auch den metaphorischen Boden unter den Füßen weggezogen hat. Die Trauer der Mutter um die Söhne und den für tot erklärten Ehemann ist spürbar, die Entfremdung zwischen Mutter und Tochter macht traurig, obgleich sie für mich nachvollziehbar war.
Man könnte sagen, das Buch ist kitschig, unrealistisch und, vor allem der Schluss, völlig konstruiert und an den Haaren herbeigezogen. Man kann aber auch sagen, es ist ein ganz wundervolles Buch über Fassaden, Liebe, Verständnis, Toleranz, die Suche nach der Wahrheit und innerem Frieden. Über altes und neues Leben, loslassen können und neu anfangen. Ich habe nicht nur viel über die Bodenbeschaffenheit Skandinaviens gelernt (der Quickton, der den Erdrutsch verursachte, durch den Elins Vater und ihre Brüder ums Leben kamen, kommt in skandinavischen Fjordregionen häufig vor), sondern auch über Würde, Liebe, das Leben, Trauer, Vermissen und innere Verbundenheit zwischen Menschen. Ich habe die Lektüre sehr genossen und vergebe gerne fünf Sterne.

Bewertung vom 19.09.2022
Die Toten von Cork
Michel, Gerlinde

Die Toten von Cork


gut

Der Klappentext von Gerlinde Michels Krimi „Die Toten von Cork“ war sehr vielversprechend. Auch der etwas verstörende Prolog machte Lust aufs Weiterlesen und gab eine vage Vorstellung davon, was von dem Buch zu erwarten war. Leider schaffte es die Autorin bei mir nicht, den Erwartungen gerecht zu werden. Sie reißt mit ihrem Irland-Krimi zwei sehr große Themenkomplexe an, arbeitet aber meiner Meinung nach beide nicht wirklich gut aus. Über ein „kann man lesen“ kommt das Buch daher für mich nicht hinaus.
Aber von vorn.
Kriminalkommissar Markus Felchlin (überwiegend nur „Felchlin“ genannt) macht mit seinen beiden Kindern und seiner alleinerziehenden Kollegin Urlaub in einem Ferienhaus nahe irischen Südküste. Aber die Gäste scheinen in der Gegend unerwünscht, eine ans Tor geschmierte Drohung und ein blutiger Schafkopf drohen den eigentlich idyllischen Urlaub in der malerischen Landschaft zu vermiesen. Als dann auch noch ein ziemlich verwahrlostes kleines Mädchen auf dem Grundstück auftaucht, das fast kein Wort spricht, aber einen riesigen Hunger hat, bricht der Polizist in Felchlin durch und er beginnt, auf eigene Faust einige Nachforschungen anzustellen. Unterstützt von der örtlichen Polizei deckt er nach und nach einige sehr hässliche Dinge auf.
Die Themen, die das Buch anschneidet, bieten unendlich viel Potential. Die Stellung der katholischen Kirche in der nach wie vor erzkatholischen Republik Irland und die zunehmende Fremdenfeindlichkeit überall hätten sehr viel Stoff für einen sowohl spannenden wie auch tiefgründigen und informativen Krimi geboten. Nur leider hatte ich bei der Lektüre das Gefühl, die Autorin wollte zu viel. Da sie in ihren Text auch sehr viel englische Sätze eingebaut hat, möchte ich es auch auf Englisch ausdrücken: She bit off more than she could chew. Obwohl das Buch im Präsens geschrieben ist, man als Leser also eigentlich mitten in der Geschichte steht, kam für mich kaum Spannung auf. Die Geschichte an sich war für mich als großen Irland-Freund sehr vorhersehbar und der Schluss kam sehr abrupt.
Sprachlich fand ich das Buch nett zu lesen, die Landschaftsbeschreibungen mit See, Küste und einem Fluss, der im Lauf des Tages die Fließrichtung ändert, sind ansprechend. Die Charaktere, vor allem die Kinder der beiden Protagonisten, sind relativ gut beschrieben. Manchmal tat ich mich mit dem schweizerdeutsch gefärbten Vokabular etwas schwer, ich persönlich hätte vermutlich oft andere Worte gewählt als die Autorin. Die Tatsache, dass Markus Felchlin fast durchgehend nur mit dem Nachnamen genannt wird, war ein nettes Stilmittel, mehr aber auch nicht.
Für mich war das Buch weder Fisch noch Fleisch. Es war kein wirklicher Krimi, dafür fehlte mir die Spannung. Es war kein Familienroman vor idyllischer Kulisse, dafür waren die Landschaftsbeschreibungen zu dürftig. Lokalkolorit irischer Kleinstädte/Ortschaften kommt überhaupt nicht zum Tragen, da sich die Geschichte zwischen den Urlaubern, den Vermietern, ein paar Polizisten und den Verdächtigen abspielt und wenn überhaupt, sind Begegnungen mit Einheimischen fast ausschließlich negativ. Auch die Familiengeschichte wird eher beiläufig erzählt, sodass es auch kein richtiger Liebesroman ist. Schade eigentlich, denn die Themen an sich hätten, wie gesagt, sehr viel Potential geboten.
Für mich kommt das Buch daher über ein „ganz nett zu lesen“ nicht hinaus. Durch die zweite Zeit-Ebene, die die Autorin hie und da einbaut, hat sie versucht, die Geschichte lebendiger zu machen und Hintergrundwissen zu vermitteln, was ihr aber nur leidlich gelingt. Für mich bleibt das Buch zu oberflächlich und daher unbefriedigend. Da es aber unterhaltsam war, vergebe ich 3 Sterne.

Bewertung vom 16.09.2022
Die Vergessene
Slaughter, Karin

Die Vergessene


ausgezeichnet

Sehnsüchtig erwartet, endlich ist sie da! Mit „Die Vergessene“ hat Karin Slaughter die Fortsetzung zu „Ein Teil von ihr“ vorgelegt. Und auf was für eine Achterbahnfahrt nimmt die Autorin ihre Leserschaft mit! Fast hätte ich vergessen können, dass ich immer noch Will Trent und Sara Linton schmerzlich vermisse. Naja, fast. Aber spannend und überraschend fand ich das Buch dennoch, auch wenn es für mich näher an einem starken Krimi als an einem Thriller war. Obwohl es der 2. Teil der Serie ist, kann man ihn auch ohne Vorkenntnisse lesen, wobei sie durchaus hilfreich sind.
Aber von vorn.
1982 steht die 17jährige Emily Vaughn eigentlich kurz vor ihrem High School Abschluss. Da sie nach einer Party, bei der sie durch LSD bewusstlos wurde, schwanger ist, wird sie in dem erzkonservativen Ort in den amerikanischen Südstaaten allerdings geächtet und der Schule verwiesen. Der Vater ihres Kindes ist unbekannt, denn sie kann sich an nichts mehr erinnern. Am Abend des Abschlussballs wird sie fast zu Tode geprügelt, am Leben erhalten wird sie nur, um ihre ungeborene Tochter zu retten. 40 Jahre später bekommt ihre Mutter Drohbriefe und hat als ehemalige Bundesrichterin ein Recht auf Personenschutz durch US-Marshals. Andrea Oliver (Slaughter-Leser kennen sie aus „Ein Teil von ihr“) hat gerade erst ihre Ausbildung abgeschlossen und beginnt neben der Bewachungstätigkeit, in dem alten Mordfall zu ermitteln. Denn der Ort, in dem sie da gelandet ist, ist auch der Heimatort ihres leiblichen Vaters Clayton Marrow. Dieser sitzt seit einiger Zeit im Gefängnis und wird schnell zu Andreas Verdächtigem Nummer 1 in dem Cold Case. Rasch sieht sie sich in verworrene Ermittlungen verstrickt, die ihr viele Fragen und nur wenige Antworten präsentieren. Denn nicht nur Clayton könnte der Vater von Emilys Tochter Judith sein, sondern noch einige andere aus deren Freundeskreis. Und nicht nur der alte Todesfall stellt Andrea und ihren Kollegen Bible vor ein Rätsel. Auf einer örtlichen „Hippie“ Farm kommt es zu ungewöhnlich vielen Selbstmorden unter jungen Frauen. Der unsympathische Besitzer der Farm und sein Assistent sind keine Unbekannten – beide gehörten 1982 Emilys Clique.
Was soll ich sagen? Karin Slaughter schreibt für mich irgendwie achterbahnmäßig. Auf ein durchschnittliches Buch folgt bei ihr meistens ein wesentlich besseres. Hier stimmt es fast, denn ich fand auch „Ein Teil von ihr“ wirklich gut, „Die Vergessene“ ist meiner Meinung nach aber noch um Klassen besser. Die Geschichte beginnt und endet mit einem Paukenschlag, dazwischen mäandern spannende und eher belanglose Passagen mit einigen interessanten Wendungen. Ein konstanter Spannungsbogen wird nicht erreicht, dennoch fehlt es dem Buch nicht an Spannung und der Schluss war für mich eine wirkliche Überraschung.
Erzählt wird in zwei Zeit-Ebenen, dem „Heute“ (2022) und dem „Damals“ (1981/82), jeweils aus der Sicht eines unbeteiligten Erzählers. Heute steht Andrea im Mittelpunkt, damals Emily, beginnend mit dem Tag, an dem sie ihre Schwangerschaft feststellt. Dazwischen wird geflucht, beschimpft, S*xismus und männliche Toxizität werden zur Schau getragen – wie man es von Karin Slaughter eben kennt, allerdings wesentlich unblutiger als in vielen anderen ihrer Thriller. Das Buch ließ sich für mich flott lesen und etwa ab der Hälfte konnte ich den Schluss kaum noch erwarten, da ich endlich die Auflösung erfahren wollte. Karin Slaughters subtiler Sinn für Humor und ihr Wortwitz kommt auch in der gelungenen deutschen Übersetzung zum Tragen. Die Charaktere sind gut, wenn auch ziemlich stereotyp ausgearbeitet. Da ich Andrea schon aus „Ein Teil von ihr“ kannte, kam ich mit ihrer eigenwilligen Art gut zurecht, ihre neugefundene Zielstrebigkeit imponierte mir. Meine Favoritin war allerdings Emily, die sich trotz aller Widrigkeiten versucht, aus ihrem Leben das Beste zu machen.
Alles in allem fand ich das Buch sehr spannend und kann es daher jedem Slaughter-Fan empfehlen. 5 Sterne.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.09.2022
Lügen über meine Mutter
Dröscher, Daniela

Lügen über meine Mutter


ausgezeichnet

Das Leben von Ela, der Protagonistin aus Daniela Dröschers autofiktionalem Roman „Die Lügen über meine Mutter“, ist von mehreren Dingen geprägt: von Lügen und Versteckspielen, dem Gewicht der Mutter und der fixen Idee des Vaters, das dies an allem schuld sei, vor allem an beruflichen Misserfolgen. Bei seiner Jagd nach beruflichem und sozialem Aufstieg drangsaliert er seine Frau, zwingt sie zu Diäten und auch dazu, sich vor seinen Augen zu wiegen – und verliert im Endeffekt alles. Das Ganze spielt sich in einem fiktiven Hunsrück-Dorf ab und zeigt ein eher unschönes Bild des Kleinbürgertums der 1980er.
Aber von vorn. Oder auch nicht.
Denn das Buch dreht sich überwiegend tatsächlich darum: Aufwachsen in einer äußerst toxischen Familie, geprägt durch Ehrgeiz, Großmannssucht und Kontrollwahn des Vaters und natürlich das Übergewicht der Mutter. Daran hat der Vater immer was zu kritisieren. Dabei tut die Mutter anfangs ihr Möglichstes: sie fährt zur Kur, hangelt sich von Diät zu Diät und macht natürlich auch Sport. Aber sie befindet sich in einem Teufelskreis, auf kleine Abnehm-Erfolge folgt immer eine Gewichtszunahme. Dabei hat sie mit zwei Kindern plus Pflegekind und der Betreuung ihrer eigenen demenzkranken Mutter genug zu tun. Ela ist zu Beginn der Erzählung noch im Kindergartenalter und ist hin- und hergerissen zwischen allen Beteiligten. Sie liebt die Großeltern väterlicherseits, mit denen die Familie zusammenwohnt, ungeachtet der Tatsache, dass diese ihre Mutter ablehnen („So ä dreggisch Weibsstick.“) Sie liebt auch die Großeltern mütterlicherseits, die mit nicht ihrem Vater und schon gar nicht seinen Eltern warmwerden können. Und sie liebt ihre Mutter, auch wenn sie sich manchmal für sie schämt („Es war eine Scham zweiter Ordnung. Ich sah meine Mutter mit den Augen meines Vaters.“) und ihren Vater, obwohl er ihrer Mutter nicht guttut und die Familie mit seinen fixen Ideen ruiniert.
Der Roman ist interessant konzipiert. Daniela Dröscher beschreibt ihre Kindheit aus der Sicht des unbedarften Kindes. In kurzen Zwischen-Kapiteln ordnet ihr erwachsenes Ich dann alles für sich selbst und das Publikum ein. Ihre Protagonistin Ela wird in eine schwierige Rolle gezwängt, ihre Therapeutin wird das später „Parentifizierung“ nennen. Sie ist schon früh die Vertraute der Mutter („Ich war gerade mal zwölf oder vielleicht dreizehn, als meine Mutter mir von ihren beiden Abtreibungen erzählte, an einem unserer vielen endlosen Nachmittage auf dem Balkon, an denen wir ihre Ehe besprachen.“), die Geheimnisse mit sich herumtragen und Lügen decken muss. Diese Rolle sollte kein Kind einnehmen müssen.
Für mich war es ein berührender Roman. So viel Toxizität (und damit ist nicht nur die tatsächliche Toxizität, durch die zu der Zeit passierte Tschernobyl-Katastrophe oder die fiktive „Geschichte von den verstrahlten Schewenborn-Kindern“ gemeint, die Ela „gruselig“ fand) auf so wenigen Seiten! Oft wollte ich beim Lesen Elas Mutter packen und schütteln. Ihr sagen, dass sie eine starke Frau ist und sich nicht von ihrem Mann auf die Waage zwingen lassen, dass sie ihre Großzügigkeit nehmen und sich von ihrem Mann trennen soll. Aber man steht als Leser so hilflos daneben, wie Ela es als Kind war.
Für mich ist das Buch eine bedrückende und authentische Sozialstudie des Lebens in den 1980ern. Unglückliche Ehen, dominante Schwiegermütter, die ihre „Prinzen“ vergöttern und eigentlich gar nicht „hergeben“ wollten, vor allem nicht an eine ungeliebte Schwiegertochter, Ehefrauen zerrieben zwischen (ehelichem) Pflichtgefühl und dem Wunsch nach Emanzipation. Dabei weiß die Mutter selbst, dass sie nicht gewinnen kann. „Es reicht sowieso nie. Hab ich recht?“, antwortet sie sich selbst auf die Frage, wie dünn sie noch werden solle. Wäre sie rank und schlank gewesen, hätte er sein berufliches Scheitern vermutlich auf irgendetwas anderes geschoben.
Für mich ist es zu Recht für den Deutschen Buchpreis 2022 nominiert und ich vergebe fünf Sterne.

Bewertung vom 12.09.2022
Faust / Geiger-Reihe Bd.2
Skördeman, Gustaf

Faust / Geiger-Reihe Bd.2


ausgezeichnet

Da andere Rezensenten geschrieben hatten, dass man Gustaf Skördemans Thriller „Faust“ nur mit Vorkenntnissen wirklich verstehen kann, habe ich mir „Geiger“, den ersten Teil der Trilogie ebenfalls besorgt. Und tatsächlich stimmt es. Obwohl der Autor sein Bestes tut, um „Faust“ auch einzeln verständlich zu machen, braucht man meiner Meinung nach das Wissen aus „Geiger“, um das Buch wirklich verstehen zu können. Fast alles, was in „Faust“ passiert, hat seinen Ursprung in „Geiger“, und damit meine ich nicht nur die Jagd nach den Terroristen, den ehemaligen Stasi-Spionen und den Schläfern. Alles, auch Saras aktuelle Ermittlungen, hängt mit allem zusammen und das „wie“ kann man nur erkennen, wenn man die Fakten aus beiden Büchern kennt. Dann ist es aber ein rasant spannender und brutaler Thriller, der nichts auslässt.
Aber von vorn.
Nachdem die schwedische Polizistin Sara Nowak im ersten Teil „Geiger“ das Stasi-Netzwerk in Schweden aufgedeckt hat und damit einen riesigen Bombenanschlag verhindern konnte, der große Teile Deutschlands in Schutt und Asche gelegt hätte, lässt sie sich von der Sitte in eine andere Abteilung versetzen. Sie wurde bei den Ermittlungen selbst schwer verletzt und möchte mehr Zeit mit ihrer Familie verbringen. Ihre Tochter Ebba zieht aus und beginnt ihr eigenes Leben, ihr Sohn Olle begeistert sich für Hip-Hop und möchte sich tätowieren lassen – also eigentlich hat Sara genug um die Ohren. Aber Sara wäre nicht Sara, wenn sie den Plan des „sich mehr um die Familie kümmern“ nicht umgehend über den Haufen werfen würde, als ein weiterer ehemaliger Spion tot in seinem Haus aufgefunden wird. Sie glaubt keine Sekunde, dass der Pfarrer seine Frau getötet und dann Selbstmord begangen hat und beginnt, heimlich zu ermitteln. Sehr zum Missfallen aller. Denn ihr Chef möchte, dass sie im Fall dreier Toter ermittelt, der zu einem Bandenkrieg führen könnte (Pikant: zwei Verbrecher wollten eine Leiche verschwinden lassen und wurden von Jägern dabei überrascht und erschossen.), die verschiedenen Geheimdienste möchten ebenfalls nicht, dass sie ihnen ins Handwerk pfuscht. Dazu kommt natürlich, dass sie bei weitem nicht alle ehemaligen Stasi-Spione enttarnt hat. Mit ihren Ermittlungen tritt sie besonders einem Spion namens „Faust“ gewaltig auf die Füße und bringt sich und alle in ihrem näheren Umfeld in große Gefahr.
Politik ist zugegebenermaßen nicht mein Steckenpferd. Dennoch hat mich „Faust“ mit all seinen Facetten begeistert, auch wenn das Buch aufgrund des rasanten Tempos und der vielen Beteiligten manchmal etwas verwirrend ist. RAF-Terrorismus, Stasi, Geheimdienste und Schläferzellen – aus all diesen Themen strickt der Autor zusammen mit Pädophilie, Menschenhandel, Prostitution und einer großen Menge Gewalt einen enorm spannenden Thriller, der auch Politikmuffel wie mich begeistern konnte. Das Buch ist aus verschiedenen Perspektiven erzählt und sprachlich flott geschrieben. Übersetzt ist es mit ein paar Ausnahmen sehr ansprechend (beispielsweise „da klemmt der Schuh“ statt „da drückt der Schuh“). Der Spannungsbogen ist überwiegend sehr hoch, ab und zu flacht er bei Ausflügen in Saras Privatleben etwas ab, und der Autor gönnt dem Publikum eine dringend benötigte Verschnaufpause.
Die Charaktere sind gut ausgearbeitet, wer den ersten Teil der Trilogie kennt, bemerkt auch die ihre Entwicklung. Sara ist eine etwa anstrengende und eigensinnige Persönlichkeit, die mir aber in ihrer Verbissenheit imponiert hat. Zunehmend unsympathisch wurde mir ihr Mann Martin, der nur noch für seine Firma zu leben scheint (er ist in der Veranstaltungsbranche) und seine schwerreichen Eltern. Heimlicher Star des Buchs ist für mich aber Saras Mutter Jane, die ihre bei einer Vergewaltigung gezeugte Tochter bedingungslos liebt.
„Faust“ war für mich ein gelungener Thriller, hochspannend mit einem völlig überraschenden Ende. Von mir daher fünf Sterne und ich freue mich jetzt schon darauf, welche Überraschungen die Fortsetzung „Wagner“ bereithalten w

Bewertung vom 25.08.2022
Flüsterwald - Eine neue Bedrohung. Der verborgene Meisterschlüssel. (Flüsterwald, Staffel II, Bd. 1)
Suchanek, Andreas

Flüsterwald - Eine neue Bedrohung. Der verborgene Meisterschlüssel. (Flüsterwald, Staffel II, Bd. 1)


ausgezeichnet

Fantasievoll und spannend – ein super Staffelauftakt
Es ist noch gar nicht lange her, dass Lukas, Ella, Felicitas, Punchy und Rani aus Andreas Suchaneks „Flüsterwald“- Serie mit dem Sieg über den Dunklen Magier ihr letztes Abenteuer gemeistert haben, das den Schlusspunkt der ersten Staffel darstellte. Mit „Flüsterwald. Eine neue Bedrohung – Der verborgene Meisterschlüssel“ startet der Autor die neue Staffel, gewohnt atemberaubend, bildgewaltig und voller Fantasie. Wie schon mit den ersten Teilen konnte Andreas Suchanek auch mit diesem bei mir voll punkten.
Aber von vorn.
Nachdem Lukas und seine Freunde am Ende des Vorgängerbandes vom Herz des Waldes zu Beschützern des Flüsterwaldes und Verteidigern der Herzburg ernannt wurden, tragen sie eine große Verantwortung. Daher sind sie natürlich sofort zur Stelle, als das Herz des Waldes eine Bitte an sie hat: die Blinzelbahn, mit der alle Flüsterwälder miteinander verbunden sind, funktioniert nicht mehr. Das betrifft also nicht nur die Bewohner des schon bekannten Flüsterwaldes, sondern auch die eines benachbarten. Auch die dort lebenden Katzen sind plötzlich nicht mehr ans Netz angebunden und tauchen unvermittelt verwahrlost und aggressiv bei ihren Nachbarn auf. Schnell ist klar, dass der Meisterschlüssel, mit dem die Blinzelbahn gesteuert werden kann, gestohlen worden ist. Die fünf Freunde machen sich auf die Suche nach dem Schlüssel und, wie schon aus den anderen Teilen gewohnt, stürzen sie sich Hals über Kopf in ein rasantes und magisches Abenteuer mit ungewissem Ausgang.
Lukas und seine Freunde nehmen ihr Publikum mit auf eine wilde Reise durch den Flüsterwald, so packend und spannend geschrieben, dass man (auch als Erwachsener) richtig in die Geschichte eintauchen kann. Man kann das Buch problemlos auch ohne Vorkenntnisse lesen, zum Einordnen der Charaktere ist es allerdings hilfreich, die erste Staffel gelesen zu haben. Dann kann man sich aber so in die Geschichte vertiefen, dass man sich als sechster Teil der Gruppe fühlen kann (ging zumindest mir so und ich glaube, ich würde mich über ein Abenteuer an der Seite der fünf freuen). Es ist, wie gewohnt, eine magische Welt, in die man eintaucht, eine Welt, in der Werte wie Miteinander, Freundschaft und Toleranz und großgeschrieben werden („Jeder ist hier willkommen, solange er von reinem Herzen ist.“). Die Entwicklung der Charaktere ist deutlich zu erkennen. Lukas und Ella haben im Vergleich zum ersten Teil der Serie deutlich an Selbstbewusstsein gewonnen, vor allem, wenn es um den Umgang mit magischen Tränken und Pulvern geht. Die Wandlung von Punchy ist in diesem Teil sehr deutlich – dazu möchte ich allerdings nicht mehr sagen, da ich nicht spoilern will. Und der Menok Rani, naja, Rani … er ist und bleibt ein vorlauter kleiner Lügenbold. Aber trotz seiner interessanten Interpretation von Wahrheit, ist und bleibt er mein Liebling.
Mich hat der neue Flüsterwald-Teil rundum begeistert. Der Schluss ist wie üblich stimmig, die Geschichte ist in sich abgeschlossen – und der Epilog macht jetzt schon Lust auf den kommenden Teil (auch diese Staffel soll vier Teile haben). Der Schreibstil von Andreas Suchanek ist flüssig und für die Zielgruppe, ob zum Selberlesen oder zum Vorlesen, hervorragend geeignet. Sein Vokabular ist ebenso stimmig wie die kurzen Kapitel und die großartigen Bilder. Nur manchmal greift er bei der Wortwahl ein bisschen daneben, was aber vermutlich den wenigsten auffallen dürfte. Daher gibt es von mir auch die dieses magische Werk voller Fantasie wieder die volle Punktzahl – fünf Sterne.

Bewertung vom 16.08.2022
Ostseekreuz / Pia Korittki Bd.17
Almstädt, Eva

Ostseekreuz / Pia Korittki Bd.17


sehr gut

„Ostseekreuz“ von Eva Almstädt ist bereits der 17. Fall der Serie um Kommissarin Pia Korittki und es war mein erstes Buch der Autorin. Daher war es für mich zuerst ein bisschen schwierig, mich in den Krimi einzulesen, der nahtlos an den Vorgängerband „Ostseefalle“ anschließt. Aber Eva Almstädt schaffte es, alle fürs Verständnis notwendigen Kenntnisse in die Handlung einzubauen. Dadurch entstehen für Kenner der Serie vermutlich ein paar Längen, für mich waren die wiederaufgewärmten Erklärungen aber wirklich wichtig. Und insgesamt fand ich das Buch gelungen und eine lohnende Urlaubslektüre.
Aber von vorn.
Pia Korittki ist jüngst (also im 16. Teil der Serie) ihrem Entführer Albrecht Lohse entkommen. Äußerlich hat sie die traumatischen Erlebnisse ihrer Entführung unbeschadet überstanden, aber psychisch nicht ganz. Nachdem sie am Fundort einer Leiche einen gänzlich Unbeteiligten körperlich angegangen ist, sieht auch sie die Notwendigkeit einer Auszeit. Eine kurze Verschnaufpause in einem nahegelegenen Kloster Naumar bietet sich an – nicht weit weg von ihrem Sohn Felix, den sie bei seinem Vater und dessen neuer Familie untergebracht hat. Dort wähnt sie ihn sicher vor ihrem Entführer, vermisst ihn aber sehr. Das Kloster bietet Auszeiten vom Alltag mit Arbeit, geistlicher Unterstützung und verschiedenen Kursen an, was außer Pia auch noch andere Gäste in Anspruch nehmen. Und während ihr Freund Marten Unruh die Jagd nach ihrem Entführer fortsetzt, findet schon am zweiten Tag ihres Aufenthalts der Novize Noah Bruder Zacharias, den Cellerar des Klosters, tot in einer Kirchenbank. Kurz darauf verschwindet einer der Gäste. Pia, die unter falscher Identität im Kloster ist, ist eigentlich an den Ermittlungen gar nicht beteiligt. So ganz kann sie sich aber nicht raushalten. Sie unterstützt die Polizei bei ihren Nachforschungen und plötzlich überschlagen sich die Ereignisse.
Kloster-Krimis kennt man spätestens seit „Der Name der Rose“. Undercover-Polizisten in Klöstern sind auch nichts Neues. Aber irgendwie stimmt trotz des bewährten Musters bei dem Buch fast alles. Gut, ob der Prior tatsächlich Philipp heißen muss, wie der Prior in Ken Folletts „Die Säulen der Erde“, sei dahingestellt. Auch sonst finde ich die Charaktere ein bisschen stereotyp, wenn auch stimmig, ausgearbeitet. Die Umgebung (das Buch spielt in der Region Lübeck) passt ebenfalls und auch die Atmosphäre, die die Autorin schildert, ist greifbar. Vor allem fand ich den psychologischen Aspekt des Krimis interessant. Die abgeschlossene, leicht klaustrophobische Gemeinschaft hinter Klostermauern (nach kurzer Zeit wird die Pforte abgeschlossen und nur noch „bekannte“ Personen dürfen aufs Gelände), eine begrenzte Gruppe von Menschen, von denen jeder ein Täter sein könnte und mittendrin eine traumatisierte Polizistin, die eigentlich nur ihre Ruhe haben möchte, dann aber unterstützend agiert. Zwar finde ich, dass in der Beziehung manches etwas oberflächlich abgehandelt wird, aber alles in allem für einen Krimi recht gut.
Sprachlich fand ich das Buch bodenständig und gut zu lesen. Bei der Spannung im Buch sieht es für mich anders aus. Die Beschreibungen von Martens Jagd nach Pias Entführer Lohse waren für mich unnahbar und steril. In diesen parallel zur Hauptgeschichte verlaufenden Passagen kam für mich kaum Spannung auf, was den Spannungsbogen zu einem stetigen Auf und Ab machte. Allerdings finde ich das Buch thematisch ein Bisschen überladen und dadurch ein wenig durcheinander. Mord, eine seltsame Reliquie und dann noch parallel der komplette zweite Handlungsstrang mit der Jagd nach dem Entführer – das ist für mich ein bisschen zu viel des Guten. Der Schluss passt, kam für meinen Geschmack aber ein bisschen überstürzt und ist ein wirklicher Schluss. Heißt: er bietet keinen Cliffhanger, fast so, als wollte die Autorin einen echten Schlusspunkt setzen.
Mir hat das Buch trotz ein paar Längen gefallen, ich würde sagen, er ist ideale unterhaltsame Urlaubslektüre. Von mir daher vier Ste

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.08.2022
Dein Schweigen, Vater
Benda, Susanne

Dein Schweigen, Vater


ausgezeichnet

Susanne Bendas Buch „Dein Schweigen, Vater“ ist ein emotionales und bewegendes Buch über das Schweigen und den Einfluss der Traumata derer, die im zweiten Weltkrieg Kinder und Jugendliche waren, auf die folgenden Generationen. Obwohl an fiktiven Personen ausgerichtet, schreibt Susanne Benda auch über ihre eigene Familiengeschichte, denn ihr Protagonist, der 12jährige Paul Lustig, steht sinnbildlich für ihren Vater Leopold, der sich ebenfalls als Zwölfjähriger auf den „Brünner Todesmarsch“ machen musste.
Geschwiegen hat er, der Paul. Die Welt um sich herum mit seinen „Flüchtlingsaugen“, wie seine Tante Adele sie nennt, angeschaut und die Bilder, die er in sich trug, dort begraben. Und mit niemandem darüber geredet. „Ich habe jedenfalls nichts gefragt. Ich habe mich einfach nicht getraut. Und heute bin ich mir sicher, dass mein Nicht-Fragen mit dafür gesorgt hat, dass dieses große Schweigen in unserer Familie geblieben ist.“, sinniert Maria. Aber hätte sie denn eine Antwort bekommen? Vermutlich nicht. Denn er hat Fragen „fest eingeschnürt in Paul Lustigs großes Schweigepaket, und dort hat er sie nie mehr hinausgelassen.“
Susanne Bendas Publikum hingegen sieht die Bilder und Erinnerungen. Denn sie nimmt es mit ins Brünn des Jahres 1945. Als aus Menschen, die jahrelang zusammen gelebt und gearbeitet haben, ja Freunde waren, Feinde werden („»Ich hatte Freund«, sagt Pavel, der Großvater. »Und ich hatte Freundin. Waren beide deitsch oder halbdeitsch, aber habe ich erst gemerkt, als Krieg vorbei. Vorher nur Freunde.«“). Sie nimmt ihre Leserschaft mit in die Hitze des Fronleichnamstages, an dem sich rund 27000 Menschen ohne Wasser und Verpflegung auf den Weg Richtung niederösterreichische Grenze machen mussten. Angetrieben von Menschen, die sie zum Teil ihr Leben lang kannten und die es „Rückführung ins Reich“ nannten. Mehr als 5000 Menschen überlebten die Tortur nicht, darunter Pauls Großeltern. Aus diesen schrecklichen Bildern, die die Autorin hier zeichnet, besteht der erste Teil des Romans.
Der zweite Teil zeigt das „Danach“. Denn Paul und seine Mutter überlebten den Todesmarsch, seine Mutter starb nach der Ankunft in Wien an Typhus. Paul wuchs bei seiner Tante Adele auf, studierte, heiratete und wurde zweimal Vater. Und schwieg, bis zum Schluss. Er konnte, wie so viele, nicht über das Erlebte reden. „Dieses Schweigen ist eine Krankheit, die sich vererbt.“, für seine Tochter Maria ist es klar. Klar ist auf jeden Fall: dieses Schweigen ist ein Schatten, der über der ganzen Familie, bis in die folgenden Generationen, liegt. Und dabei liegen im Schweigen oft mehr Worte als in ganzen Sätzen.
Maria und Uli, Pauls inzwischen lang erwachsene Kinder, sind durch das Trauma ihres Vaters geprägt. Maria scheint in ihrem Leben nicht wirklich zu Hause zu sein. Sie steht vor der Trennung von ihrem Mann, ihre beiden Kinder sind aus dem Haus. Uli ist in seinem Leben als Schuhmacher glücklicher, er mag die ruhige Gleichmäßigkeit. Dennoch lässt er sich von Maria zu einem Urlaub überreden, der ihre Rastlosigkeit zeigt. Erst nach Norden, dann nach Süden und dann noch eine Reise, um den Weg des Vaters von Brünn nach Wien nachzuempfinden.
Der Schluss des Buchs ist traurig-schön. Er schließt den Kreis, den das Buch beschreibt. Von Paul, Marie und Pavel aus dem ersten Kapitel zu Uli, Maria und Pavel im letzten. Der inzwischen verstorbene Paul ist in den Erinnerungen präsent. Pavel bringt mit seinen Erzählungen ein bisschen Licht in die Vergangenheit und macht Pauls Schweigen leichter.
Die Epigenetik erforscht, ob Traumata vererbt werden können. Die bisherigen Erkenntnisse sind interessant, das Thema ist im Buch aber nur am Rande gestreift. Uli und Maria sind ja nicht nur genetisch die Kinder ihres schweigsamen Vaters, sondern auch Ergebnis seiner Erziehung. Aber alles in allem ist es ein sehr emotional geschriebenes, oft bedrückendes Buch über beredtes Schweigen, gestohlene Kindheiten und Traumata und es wird noch lange in mir nachhallen. Von mir