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Benutzername: 
Desiree
Wohnort: 
Wanne-Eickel

Bewertungen

Insgesamt 104 Bewertungen
Bewertung vom 06.11.2022
Die Sehnsucht nach Licht
Naumann, Kati

Die Sehnsucht nach Licht


sehr gut

Die Familie Steiner hat viel durchgemacht, doch es gab zwei Konstanten: den Bergbau und den familiären Zusammenhalt - davon handelt „Die Sehnsucht nach Licht“ von Kati Naumann. Sogar die letzte Generation mit Luisa hat sich dem Berg verschrieben, inzwischen geht es allerdings um Renaturierung; aber Bergmann bleibt Bergmann und so ist sie auch in gewisser Weise Bergfrau geworden und fährt hinab, um Besucher*innen durch die alten Stollen zu führen. Sie ist es auch, die endlich das große Rätsel der Steiners lösen möchte: Was passierte mit ihrem Großonkel Rudolf, der so plötzlich verschwand? Doch nicht nur Luisas Recherche wird erzählt, die eher Einblick in das Leben einer vom Bergbau geprägten Region in heutiger Zeit ist, sondern die Erlebnisse der Familie von 1909 bis 1989. Viel ist geschehen im Schlematal und viel wurde verlangt von den Bergmännern, sowie von den Frauen: versiegende Quellen, erster und zweiter Weltkrieg, Bergbauunglücke, die DDR und die Strahlung des Urans, das dort jahrzehntelang abgebaut wurde, anfangs ohne Schutzausrüstung. Doch wie sagte Luisas Ururgroßmutter immer: „Neuer Tag bringt neue Hoffnung“.
Anfangs tat ich mich schwer mit „Die Sehnsucht nach Licht“. Kati Naumann versteht was vom Bergbau und wirft regelrecht mit den dazugehörigen Begriffen um sich, die zwar für den Bergbau an sich wichtig sind, aber nicht für die Geschichte. Trotzdem fing mich das Buch langsam ein, vor allem durch die Charaktere, die alle wunderbar liebenswürdig sind. Die Steiners hatten kein leichtes Leben, gaben die Hoffnung aber nie auf, sie machten weiter, fuhren hinab in den Berg und holten das beste aus jeder Situation raus. Nicht mal der Verlust von Rudolf konnte sie in die Knie zwingen, obwohl dieser sie über Generationen hinweg begleitete. Dabei muss man bedenken, dass Rudolf Schicksal keine reine Fiktion ist, so etwas geschah damals in der DDR und unterstreicht in was für einer privilegierten Zeit wir heute Leben dürfen.

Bewertung vom 04.11.2022
Der Pfirsichgarten
Fu, Melissa

Der Pfirsichgarten


ausgezeichnet

„Der Pfirsichgarten“ von Melissa Fu hat mich überrascht. Das schöne Cover hat mich angezogen und der Klappentext mein Interesse geweckt, aber ich hatte nicht erwartet, dass es mich so fesseln würde.
Melissa Fu erzählt über Generationen hinweg die Geschichte der Daos. Wie Witwe Meilin mit Sohn Renshu aus China fliehen muss, erst mit ihrem Schwager Longwei und dessen Familie, später allein. Wie sie schließlich in Taiwan landet und schafft, sich dort ein einigermaßen ruhiges Leben aufzubauen. Renshu verschreibt sich der Bildung und studiert. Er schafft es sogar in die USA, dank der Unterstützung des wieder aufgetauchten Onkels Longwei. Dort studiert er weiter, promoviert und bleibt. Er ist nun Henry Dao. Er heiratet und bekommt Tochter Lily, die als Halb-Chinesin, denn Henrys Frau Rachel ist weiß, mit ihrem Erbe zu kämpfen hat. Nicht zuletzt, weil Henry darüber schweigt. Zu schmerzhaft sind die Erinnerungen an die Kriege, die er miterlebt hat und zu groß die Angst, dass seiner Mutter in Taiwan etwas geschehen könnte, weil er sich unbedarft äußert.
Nicht nur der Einblick in die chinesische Geschichte hat mir sehr gefallen, denn ich muss zugeben, diese war Neuland für mich. Melissa Fu versteht es die Leserschaft in eine andere Welt mitzunehmen und braucht dafür gar nicht viele Wort. Geschickt baut sie chinesische Märchen mithilfe einer Bildrolle ein, die Meilin und Renshu lange Zeit begleitet. Auch die Charaktere sind gut gezeichnet: Meilin, die liebevolle, aber vor allem starke Mutter; Renshu, der Sohn, der alles richtig machen möchte; der verschlagene Longwei und die zerrissene Lily, die versucht eine Kultur zu verstehen, welche Teil ihres Lebens ist, von der sie allerdings nichts weiß.
Natürlich bleiben in diesem Familienepos lose Fäden hängen, aber so ist das in der Wirklichkeit nun mal auch und mich stören sie nicht, denn es ist eine runde Geschichte, die mit sehr viel Interesse und Liebe verfasst wurde - das wird immer wieder deutlich beim Lesen.

Bewertung vom 29.10.2022
Alle_Zeit
Bücker, Teresa

Alle_Zeit


ausgezeichnet

Zeit ist ein komplexes Thema, so auch „Alle_Zeit“ von Teresa Bücker. Sie hat viel Arbeit und vor allem Zeit in dieses Buch gesteckt, das merkt man augenblicklich, nicht nur an den fast 500 Anmerkungen. Sehr anschaulich beschreibt sie, wie Erwerbsarbeit sich auf uns auswirkt und wie sich Carearbeit in unser Leben sneakt, gerade bei Frauen, für die das allzuoft selbstverständlich ist. Sie thematisiert Gegenwart und Zukunft, und wie wir fälschlicherweise annehmen, dass wir ja später noch alle Zeit haben werden. Sie zeigt, was Freizeit, Eigenzeit und Alltagszeit ist und sie hat mir mit dem Begriff Zeitkonfetti die Augen geöffnet.
Zeit ist Geld, aber anders, als der Kapitalismus uns weismacht, denn Zeit ist viel mehr. Viele Tätigkeiten werden nicht entlohnt, die es eigentlich werden sollte, da sonst die Gesellschaft in der wir Leben zusammenbrechen würde. Das macht Zeit zu einem Politikum und wird trotzdem von der Politik ignoriert. Es wird lieber an veralteten Strukturen festgehalten, anstatt Veränderung anzustreben, indem man z.B. Care wertschätzt, bzw. es als das ansieht, was es ist: Arbeit, die auch entlohnt werden sollte.
Besonders anschaulich zeigt Teresa Bückner wie ungerecht Zeit verteilt ist, zwischen Frauen und Männern, aber auch zwischen arm und reich und welches Privileg es ist, frei über seine Zeit bestimmen zu können. Doch wie frei entscheiden wir wirklich? Erwerbsarbeit, Carearbeit, Alltagszeit und schon sind die 24 Stunden des Tages um - wo bleibt Zeit, in der wir wirklich das tun können, was wir wollen, über die wir wirklich frei verfügen können?
Teresa Bücker schildert den momentanen Istzustand von Zeitverteilung und zeigt Lösungsmöglichkeiten, doch ob diese tatsächlich umgesetzt werden können, ist schwierig zu sagen. Wünschenswert wäre es, aber da müssten Menschen mitmachen, die sich bequem in ihren Leben, die oft anderen Zeit rauben, eingerichtet haben.
„Alle_Zeit“ regt zum Denken an und befasst sich mit dem wichtigsten Aspekt unseres Lebens: Zeit.

Bewertung vom 13.10.2022
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Bervoets, Hanna

Dieser Beitrag wurde entfernt


ausgezeichnet

Kayleigh arbeitet bei Hexa, einem Unternehmen, das Posts bewertet und gegebenfalls löscht, wenn diese vorgegebene Richtlinien verletzen. Sex, Gewalt, Tierquälerei, Selbstverletzung, Verschwörungstheorien, Hass in jeder nur denkbaren Form flimmern während der Arbeitszeit über ihren Bildschirm, wobei sie eine bestimmte Anzahl erreichen muss. Doch das ist nur die Kulisse dieses Romans, denn eigentlich geht es um eine gescheiterte Beziehung. Bei Hexa lernt Kayleigh Sigrid kennen und schnell kommen sie zusammen, verbringen viel Zeit miteinander, auf der Arbeit und auch zu Hause. Bis Sigrid sich verändert. Der Content, den sie täglich sichten muss, geht ihr zusehends näher. Kayleigh hat dieses Problem nicht. Zwar bemerkt sie, dass sie alles in ihrer Umgebung nach den Richtlinien von Hexa zu bewerten beginnt, aber sie erkennt nichts falsches daran.
Irgendwie hatte ich von „Dieser Beitrag wurde gelöscht“ von Hanna Bervoets etwas anderes erwartet und die Liebesgeschichte (nicht Schnulze!), die sich darin verbirgt, hat mich überrascht. Die titelgebende Thematik bildet nur den Hintergrund, wirkt sich aber sehr auf das Leben und die Liebe der beiden Frauen aus. Und zwar auf unterschiedliche Weise. Während Kayleighs moralischer Kompass immer weniger ausschlägt und sich ihre Grenze in eine gewisse Abgebrühtheit verschiebt, driftet Sigrid in eine ganz andere, genauso gefährliche Richtung ab. Beide werden mehr von der Arbeit, dem Content, dem sie täglich ausgesetzt sind, beeinflusst als sie wahrnehmen.
Der Roman ist subtiler als er scheint. Er verdeutlicht wie gefährlich ungefilterter SocialMedia-Konsum sein kann und verpackt das in eine scheinbar leicht verdauliche Geschichte. Seine Kürze lädt dazu ein, ihn einfach wegzusnacken, genauso wie seine leichte Lesbarkeit. Gut finde ich auch, dass die Liebesbeziehung zweier Frauen thematisiert wird. Meiner Meinung nach, wäre das ein gutes Buch für Schullektüre: aktuell, kurz, interessant und absolut wichtig.

Bewertung vom 13.10.2022
Poppy. Dein Kind verschwindet. Und die ganze Welt sieht zu. / Emer Murphy Bd.1 (eBook, ePUB)
Getz, Kristine

Poppy. Dein Kind verschwindet. Und die ganze Welt sieht zu. / Emer Murphy Bd.1 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Poppy, die Tochter der Bloggerin Lotte und selbst schon eine kleine Berühmtheit mit ihren zwei Jahren, verschwindet. Emer Murphy ist eigentlich noch nicht wieder im Dienst, nachdem sie erst vor kurzem zusammengebrochen und in der Psychiatrie gelandet ist. Angelockt durch einen anderen Entführungsfall, stolpert sie in die Suche nach Poppy und betritt damit die Welt der Pädophilie und Exposition von Kindern, die diese Menschen noch mit den nötigen Bildern versorgen. Eine Triggerwarnung zum Thema Selbstverletzung und Missbrauch sind mehr als angebracht.
„Poppy“ von Kristine Getz ist ein sehr gelungenes Debüt und der Auftakt zu einer Reihe rund um Ermittlerin Emer Murphy. Mit der Zurschaustellung der eigenen Kinder auf Social Media hat Kristine Getz ein Thema gewählt, dass nicht aktueller sein könnte und ich bin mir sicher, dass die meisten Eltern sich keinerlei Gedanken darum machen, was mit den Bildern und Videos passiert, die sie unbedarft posten, obwohl das Bewusstsein dafür langsam wächst. Es ist erschreckend. Und ich weiß es ist Fiktion, aber ich denke da steckt viel Wahres drin.
Aber so einfach ist dieser Thriller nicht, es gibt viele Keime, die sich als Irrwege herausstellen. Viele schlechte Menschen, die den Anschein erwecken gut zu sein und zu helfen. Emer als Ermittlerin, mit ihrem Partner Mons sind eigentümliche Charaktere, die noch komplexer zu sein scheinen als dieser erste Band verrät.
An manchen Formulierungen habe ich mich anfangs etwas gestoßen, aber das kann auch an der Übersetzung gelegen haben und zum Schluss war es eh egal, weil ich einfach wissen wollte, wer nun hinter der Entführung steckte und die letzten Kapitel weggeatmet habe. Ein spannendes Thrillerdebüt zu einem aktuellen Thema von einer Autorin von der wir hoffentlich noch einiges zu lesen bekommen werden.

Bewertung vom 13.10.2022
Die Ewigkeit ist ein guter Ort
Noort, Tamar

Die Ewigkeit ist ein guter Ort


ausgezeichnet

Elke ist Theologin und soll bester früher als später das Amt ihres Vaters übernehmen. Doch ihr passiert, was einer angehenden Pastorin auf keinen Fall passieren sollte: Sie vergisst Gott; selbst das ‚Vater unser’ fällt ihr nicht mehr ein - sie nennt es Gottesdemenz. Erst sucht sie nach der Ursache und als das erfolglos bleibt, versucht sie weiter zu machen, weiß aber trotzdem nicht, wie sie damit umgehen soll. Also besucht sie ihre alte Heimat, doch der Tod ihres Bruders überschattet alles. Sie fängt bei einer Steilwand-Show an, was eine ganz eigene Art von Spiritualität mit sich bringt. Sie nimmt den Graupapagei Gertude, den sie seit ihrer Kindheit kennt, bei sich auf. Bis alles eskaliert und sie mit der Zukunft, der Vergangenheit und Gott konfrontiert wird.
„Die Ewigkeit ist ein guter Ort“ von Tamar Noort ist ein wunderbarer Roman. Und das obwohl ich Religion und vor allem der Kirche aus dem Weg gehen. Ich muss eingestehen, manchmal wurde es etwas viel mit Gott und Kirche, aber das macht der Roman in vielem wieder wett. Er ist sehr amüsant und bevölkert von interessanten Menschen. Außerdem geht es um so viel mehr als um Gott und die evangelische Kirche. Es geht um den Tod und dessen Bewältigung, den Glauben ans Leben und die Zukunft, die vor einem liegt und bewältigt werden will.
Die Charaktere sind unglaublich gut gezeichnet und Elke ist nicht nur sympathisch, was ich persönlich gerne mag. Zur wunderbaren Geschichte, die einige Wendungen parat hält und ich als sehr originell empfunden habe, ist „Die Ewigkeit ein guter Ort“ sprachlich hervorragend. Keine abgedroschenen Klischees oder unnötiges Gelaber, dafür gute Metaphern, passende Bilder und ein herrlich flüssiger Sprachstil.
Ein wirklich gelungener Roman, auch für Menschen, die mit Religion und Kirche nichts am Hut haben.

Bewertung vom 13.10.2022
Unsre verschwundenen Herzen
Ng, Celeste

Unsre verschwundenen Herzen


ausgezeichnet

Die Krise ist überstanden, dank PACT, dem Gesetz zur Erhaltung der amerikanischen Tradition. Patriotismus ist das A und O und der größte Feind China, und damit alle asiatisch aussehenden Menschen. Sie werden schikaniert, geschlagen, ihnen werden die Kinder weggenommen, um zu verhindern, dass noch eine weitere Generation von Spionen großgezogen wird.
Bird lebt bei seinem Vater, der früher an der Uni gearbeitet hat, jetzt aber nur noch einem schlecht bezahlten Job in der Bibliothek nachgeht. Schuld daran ist Margaret, Birds Mutter, deren Eltern aus China einwanderten, die aber rein amerikanisch aufwuchs. Als eine Zeile ihres Gedichtes - unsre verschwundenen Herzen - auf Demonstrationen gegen PACT genutzt wird, rückt sie, aber auch ihre Familie in den Fokus. Um sie zu schützen, verschwindet Margaret, bevor Bird es ist, der plötzlich verschwindet. Nach Jahren erhält Bird einen Brief von seiner Mutter und das ändert alles.
„Unsre verschwundenen Herzen“ von Celeste Ng ist erschreckend und ermahnend, denn da ist der Gedanke, dass es nicht nur Fiktion ist. Tatsache ist, dass viel zu schnell einzelne Gruppen für Krisen verantwortlich gemacht werden und diese Menschen dann besonders diskriminiert werden. Fakt ist, dass Kinder aus ihren Familien gerissen wurden und werden, unter dem Deckmantel sie schützen zu wollen. Und Realität ist, dass man sich schwer gegen Regierungen mit gewissen Machtstrukturen wehren kann. Das alles zeigt dieser Roman sehr anschaulich, nicht nur an Birds Schicksal, sondern er vereint viele Geschichten.
Celeste Ng ist eine grandiose zeitgenössische Autorin, die nicht nur versteht, den aktuellen Zeitgeist in eine Geschichte zu packen, sondern die auch einen Stil hat, der mich staunen ließ. Ihre Metaphern treffen genau und verhelfen diesem Roman zu einer Qualität, die einzigartig ist. Solche Bücher sind wichtig, weil sie eine Welt zeichnen, die gar nicht so weit weg ist, wie wir glauben. Und wollen wir so leben?

Bewertung vom 13.10.2022
Die Mauersegler
Aramburu, Fernando

Die Mauersegler


schlecht

Bestsellerautor Fernando Aramburu hat ein neues Buch geschrieben. Den Vorgänger hab ich nicht gelesen, trotzdem hat mich der neue Roman „Die Mauersegler“ interessiert, nicht zuletzt weil ich das Konzept des Buches, jeden Tag ein Kapitel zu schreiben, spannend fand. Toni ist ein Antiheld par excellence, er ist unsympathisch, ichbezogen und hasst alles und jeden. Er beschließt zu sterben, genau in einem Jahr. Bis dahin will er seine Dinge regeln und schreibt jeden Tag ein Kapitel aus denen dieser Roman besteht. Darin rechnet er ab, mit seinen Eltern, seinem Bruder, seinem Sohn und natürlich seiner verhassten Ex-Ehefrau. Auch sein bester Freund, den er Humpel nennt, bleibt nicht verschont. Nur seine Hündin Pepa kommt gut weg.
Weiter bin ich nicht gekommen. Bis Seite 250 habe ich durchgehalten, nicht zuletzt, weil ich die Idee, einen Roman so aufzubauen, interessant fand und auch die ein oder andere Passage gut war, aber das reicht nicht aus um mich über 830 Seiten bei der Stange zu halten. Es ist mir zu viel Bauchpinselei, zu viel männliches Ego, welches einen Rundumschlag ausführt um seinen Freitod zu rechtfertigen. Toni ging mir immer mehr auf die Nerven und da es nur um ihn ging, konnte ich nicht einmal zwischendurch aufatmen.
Ich fragte mich, was da noch kommen soll? Ich habe schon nach diesen 250 Seiten das Gefühl, die ganze Geschichte zu kennen und die Spannung ist verflogen. Vielleicht hätte er sich kürzer fassen sollen, schneller zum Punkt kommen sollen, aber das fällt gerade Männern erfahrungsgemäß schwer, denn sie hören sich selbst gerne reden, da ist Toni ein Paradebeispiel. Die Redundanz vieler Dinge war ermüdend, so wurden gleich zwei Mal Träume in aller Ausführlichkeit beschrieben, die sich ähneln und ich frage mich immer noch wieso, denn das was sie zeigen sollten, war mir schon vorher klar. Und das ging den ganzen Roman so - bis ich ihn dann nach 250 Seiten abbrach. Ich wollte es durchziehen, aber diese Stunden kann ich auch mit einem besseren Buch verbringen.

Bewertung vom 13.10.2022
Schlangen im Garten
vor Schulte, Stefanie

Schlangen im Garten


ausgezeichnet

Die Mohns haben Mutter Johanne verloren und trauern. Vater Adam taumelt nur noch durch die Welt; der älteste Sohn Steve ist zurück nach Hause gekommen, um irgendwie zu helfen; Linne ist einfach nur noch wütend und Micha weiß nicht wohin. Johanne ist überall, vor allem in ihren Tagebüchern, dessen Worte sie nicht lesen, sondern essen, Streifen für Streifen jeden Tag, doch die Trauer lindert das nicht. Unerwartet kommen die Bille, der Brassert und Marlene auf die Bühne und leisten die Trauerarbeit, die der eigentlich dafür zuständige Ginster bewerkstelligen sollte, aber immer wieder scheitert.
„Schlangen im Garten“ von Stefanie vor Schulte ist der Nachfolger von „Junge mit schwarzem Hahn“, welches ich letztes Jahr geliebt habe. Dieser Roman ist ähnlich, zumindest was die Sprache anbelangt. Sie ist abstrakt und poetisch, doch ist diesmal das Thema anders und scheint mehr in unserer Welt verwurzelt zu sein. Allerdings ist der Schauplatz nur auf den ersten Blick im Hier und Jetzt verhaftet, auch in „Schlangen im Garten“ verschwimmt die Realität und geschehen fantastische Dinge, aber in einem Maß, welches für mich absolut lesbar ist. Stefanie vor Schultes Stil ist deutlich zu erkennen und ich liebe ihre kurzen Sätze, mit denen sie mit Leichtigkeit schafft ganze Szenen und auch Emotionen zu transportieren. Sie beweist, dass man oft nicht so viele Worte braucht wie man meint und auch ihr kreativer Umgang mit der Kombination von Worten hat mir wieder sehr gut gefallen.
„Junge mit schwarzen Hahn“ fand ich noch ein bisschen besser. Vielleicht weil der Fokus auf nur einer Person gelegen hat. Manchmal war es bei „Schlangen im Garten“ arg chaotisch und verworren, sodass ich drohte in den Seiten verloren zu gehen. Trotzdem ist er ein ganz besonderer Roman über Verlust, Trauer und dessen Bewältigung. Und ich werde mit Sicherheit noch die hoffentlich zahlreichen Nachfolger lesen, die wahrscheinlich auch wieder so ein schönes Cover bekommen.

Bewertung vom 13.10.2022
Intimitäten (eBook, ePUB)
Kitamura, Katie

Intimitäten (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Die Erzählerin von „Intimitäten“ ist Dolmetscherin am internationalen Gerichtshof in Den Haag. Ihr Leben lang war sie wurzellos und das ändert sich auch hier nicht. Sie lernt Adriaan kennen, aber dieser ist noch zu sehr mit seiner gescheiterten Ehe beschäftigt, um ihr in irgendeiner Weise Sicherheit zu geben und lässt sie wortlos zurück. Ihre Arbeit ist anspruchsvoll und anstrengend. Sie ist den Manipulationen der Mächtigen ausgesetzt und bemüht sich ihre Job gut zu machen, da sie sich ihrer Verantwortung mehr als bewusst ist. Und dann ist da noch die Sache mit dem zusammengeschlagenen Buchhändler in der Nachbarschaft ihrer Freundin, der ihr zusätzlich Rätsel aufgibt. Sie hadert mit sich: soll sie bleiben oder gehen. Die Einsamkeit, die sie verspürt, wird immer größer, genauso wie das Schweigen um sie herum.
„Intimitäten“ von Katie Kitamura ist genau das: intim. Die Erzählerin ist eine unheimlich gute Beobachterin und saugt die Nuancen ihrer Umwelt auf, um sie gekonnt zu interpretieren, aber nicht zu werten, was eine Kunst für sich ist. Sie selbst tritt dabei zurück, bleibt unscheinbar, fast unsichtbar. Der Fokus liegt auf ihrer Umwelt, auf den Gräueltaten der Politiker, auf dem Schweigen des Buchhändlers und Adriaans, auf dem Lesen zwischen den Zeilen ihrer Umgebung. Diese ganzen Heimlichtuereien werden überdeutlich und erschließen eine ganz eigene Wahrheit. Eine Wahrheit, die in übersetzter Sprache verborgen sein kann.
Mir hat „Intimitäten“ gut gefallen. Es ist komplexer als die 220 Seiten anfangs vermuten lassen und es verbirgt sich viel im Dazwischen, in den geschilderten Beobachtungen, die die Leser*innen selbst bewerten können. Die Erzählerin bleibt (meiner Meinung nach gewollt) kontur- und farblos, was im Zusammenspiel mit ihrer Umgebung unterm Brennglas eine besondere Art des Erzählens entstehen lässt und eine beeindruckende Wirkung entfaltet. Die Wahrheit dieses Romans ist komplex, wird aber ruhig vermittelt in einer lauten Welt.