Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
alekto

Bewertungen

Insgesamt 118 Bewertungen
Bewertung vom 17.09.2022
SCHNEE
Sigurdardóttir, Yrsa

SCHNEE


sehr gut

Abwechslungsreich erzählter Mystery-Thriller im tiefen, isländischen Winter

Jóhanna arbeitet eigentlich in der Qualitätskontrolle der größten Fischfabrik im Ort, ist aber ehrenamtlich für die Rettungswacht tätig. So wird sie hinzugerufen, als nach zwei verschwundenen Paaren und eventuell einer weiteren Personen, die wohl einen Adventure Urlaub im so unbarmherzigen isländischen Winter unternehmen wollten, gesucht wird. Einheimische werden da nur selten vermisst, da die sich für gewöhnlich anders als Touristen der Risiken bewusst sind, die der so harte, tief verschneite Winter in der isländischen Provinz mit sich bringt. Die Wetter- und Schneeverhältnisse behindern die Arbeit der Polizei und Rettungswacht. Doch die Suchaktion wird fieberhaft fortgesetzt, da bei diesen Temperaturen keiner lange draußen überleben kann.

Sigurdardóttir erzählt ihren Thriller abwechslungsreich aus drei verschiedenen Perspektiven, die auf zwei Zeitebenen angesiedelt sind. Bis auf einen Prolog und ein letztes Kapitel, das wohl als Epilog angesehen werden kann, wird diese Erzählweise konsequent von der Autorin durchgezogen. Neben der Sicht von Jóhanna, deren Mitwirken an der Suchaktion im Rahmen ihrer Tätigkeit bei der Rettungswacht geschildert wird und die tiefere Einblicke erhält, da ihr Mann Polizist ist, werden die Ereignisse auch aus Sicht von Hjörvar, der erst seit wenigen Monaten für die von der US-Armee erbaute, nun in isländischer Hand befindliche Radarstation in der Nähe arbeitet, sowie von Dröfn, deren Kapitel zeitlich eine Woche vor den anderen spielen, geschildert. Denn Dröfn gehört zu den verschwundenen Touristen, die Jóhanna und die gesamte Rettungswacht finden wollen. Da mir so mehr Informationen als nur Dröfn oder Jóhanna zur Verfügung standen, ist mir manchmal schon klar gewesen, was bei Dröfns Gruppe wohl nicht gut ausgehen wird bzw. worüber Jóhanna noch gerätselt hat. Das hat dann leider ein wenig die Spannung rausgenommen.
Neben der abwechslungsreichen Erzählweise sind die atmosphärischen Beschreibungen eine der Stärken dieses Thrillers. Als eindrucksvoll habe ich die Schilderungen blendend weißer Schneelandschaften in der isländischen Provinz empfunden, die so wunderschön wie lebensfeindlich sind. Glaubwürdig erzählt die Autorin von einer endlosen, weißen Weite, in der sich die Orientierung verlieren lässt, so dass sogar links und rechts vertauscht werden können, und von einer erbarmungslosen Kälte, vor der Dröfn und ihre Freunde sich mit Tricks und Hilfsmitteln zu schützen versuchen, bis die dann doch versagen und zu Erfrierungen führt. Da ist mir beim Lesen die Kälte in die Knochen gekrochen.

Ebenso stimmungsvoll bindet Sigurdardóttir unheimliche Mystery-Elemente in ihren Thriller ein. Indem diese immer mal wieder in unerwarteten Momenten, da an überraschenden Orten oder zu Zeitpunkten, zu denen ich nicht damit gerechnet hätte, auftauchen, haben die mich schon mal schaudern lassen. Die Wirkung wurde dadurch verstärkt, dass ich von einem Thriller ausgegangen bin und keine Mystery-Elemente erwartet hatte. An sich sind diese Szenen aber nicht übertrieben gruselig gestaltet, stellen also keine Horror-Elemente dar, sondern sorgen eher für ein stimmungsvolles Schaudern. Der Schrecken dabei rührte für mich eher von der Angst her, mit der die von Sigurdardóttir eingeführten Figuren darauf reagierten.
Da die Auflösung dieses Thrillers für mich zumindest teilweise überraschend gewesen ist, hätte ich mir zum Schluss doch mehr Information zum Täter gewünscht. Dass es auch ein Kapitel gibt, indem Sigurdardóttir die Ereignisse aus seiner Sicht schildert, finde ich gelungen. Das hätte aber ruhig ein wenig länger ausfallen können. Auch was die Mystery-Elemente betrifft, wurden zum Ende hin manche Fragen beantwortet, die ich mir zuvor gestellt hatte. Nur leider fügen sich die Erklärung, die die Autorin hinsichtlich ihrer Mystery-Elemente liefert, und das Ende, das sie dafür findet, meiner Ansicht nach nicht so ganz stimmig in den Rest

Bewertung vom 15.09.2022
Candy Haus (eBook, ePUB)
Egan, Jennifer

Candy Haus (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Kurzgeschichten artiger Roman mit Science-Fiction Elementen über eine besondere Eingebung von Tech-Guru Bix Bouton

Pulitzerpreisträgerin Jennifer Egan erzählt Candy Haus in verschiedenen Teilen, von denen jeder für sich als eigene Kurzgeschichte stehen könnte. Dazu trägt auch bei, dass Egan zu Beginn eines jeden Kapitels die Perspektive und zudem die Zeit, zu der sich die geschilderten Ereignisse zutragen, wechselt. Dabei schwankt auch der zeitliche Horizont, den die einzelnen Kapitel umfassen, die von nur einem einzigen Nachmittag bis hin zu einem im Zeitraffer erzählten, ganzen Leben reichen.
Zwischen den einzelnen Geschichten, die Egans vielfältige Figuren einführen, ergeben sich nach und nach immer mehr Verbindungen, die sich bei aufmerksamem Lesen recht schnell erschließen. Nach dem ersten Teil, in dessen Mittelpunkt Tech-Guru Bix steht, kreisen die darauf folgenden Kapitel etwa um Familienmitglieder von Ted Hollander, der der Gastgeber der von Bix besuchten Diskussionsrunde gewesen ist, oder von Miranda Kline, deren Formeln zur Vorhersage menschlicher Affinitäten Bix für sein soziales Netzwerk verwendet hat.
Erst kurz vor Schluss führt Egan in rasanter Weise im Kapitel "siehe unten" ihre einzelnen Geschichten zu einem größeren Ganzen zusammen, als sie eine Vielzahl der zuvor von ihr eingeführten Charaktere in einem immer weiter ausufernden E-Mailverkehr miteinander kommunizieren und schließlich aufeinander treffen lässt. Das beginnt recht unscheinbar beim ursprünglich geäußerten Wunsch von Lulu nach einem privaten Gespräch mit einem berühmten Schauspieler. Das zieht jedoch immer weitere Kreise, die über viele Umwege in ein spektakulärer Finale gipfeln.

Egan hat mich mit ihren schrägen Charakteren bezaubert. Denn diese lässt die Autorin nie zu Karikaturen verkommen, sondern vermittelt deren Motivation so glaubwürdig, dass ich mich sogar in einige dieser Figuren gut einzufühlen vermochte. Beispielsweise ist das Verhalten von Ted Hollanders Sohn Alfred extrem, weil Alfred gerne provoziert. Schon als Junge unternahm er seine ersten Versuche, indem er sich eine Tüte über den Kopf gezogen hat. Er hat sich nach Authentizität gesehnt und wollte so eine aufrichtige, wenn auch negative Reaktion der ihn umgebenden Menschen provozieren.
Candy Haus ist reich an ungewöhnlichen Ideen. So erschafft Künstlerin Sasha Skulpturen aus Plastik, die aus gesammeltem Müll bestehen, bevor diese dann recycelt werden. Sie hat etwa zehntausende Plastiktüten in der Wüste arrangiert, deren eigenwillige Schönheit sich erst in der Betrachtung von oben offenbart. Im Kapitel Reimschema erzählt Egan die wohl ungewöhnlichste Liebesgeschichte zwischen zwei Zählenden, die als Empiriker und Metrikexperten alles andere als normal sind.

Egan greift in ihren Geschichten eine Vielzahl relevanter Themen auf, die vom Mangel an Authentizität, über Plastikskulpturen in der Wüste, die vor ihrem Recycling auf die Problematik gewaltiger Mengen an Plastikmüll hinweisen, bis hin zur Medikamentenabhängigkeit, bei der die Autorin schonungslos offenlegt, wie diese Leben zerstören, reichen. Im weiteren Verlauf gewinnt Candy Haus in seinen Kapiteln, die in der Zukunft angesiedelt sind, immer mehr an Science-Fiction Elementen. Dabei entwirft Egan ihre ganz eigene, mal eher skurril, mal dystopisch anmutende Version der Zukunft.
Nach dessen starkem Beginn, der von dem charismatisch Tech-Mogul Bix in einer Schaffenskrise, vom Authentizitätssüchtigen Hobbyfilmer Alfred mit Schreianfällen und vom rasanten Aufstieg, tiefen Fall sowie noch größeren Comeback des Anwalts Miles handelte, habe ich im Vergleich dazu den Mittelteil als eher schwächer empfunden. Denn einige der Personen, aus deren Sicht die Kapitel dann geschildert wurden, sind für mich eher blass geblieben und deren Geschichten erschienen mir eher unbedeutend, wenn es darin nur um einen Tag im Club oder einen Nachbarschaftsstreit ging.

In Candy Haus stellt Egan ihr großes Können, was Kurzgeschichten betrifft

Bewertung vom 13.09.2022
Der Leuchtturm an der Schwelle der Zeit (eBook, ePUB)
Pulley, Natasha

Der Leuchtturm an der Schwelle der Zeit (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Faszinierende Kombination aus Zeitreise-Liebesgeschichte und Kriegsdrama

Die mysteriöse Ausgangssituation, die Natasha Pulley entwirft, stellt einen starken Einstieg in ihren Roman dar. Dass Protagonist Joe sich desorientiert am Bahnhof Gare du Roi wiederfindet, nachdem er sein Gedächtnis verloren hat, ist als schlimme Erfahrung so glaubwürdig geschildert, dass es mir gleich nahe gegangen ist. Auch die sich daran anschließende Problematik in Gestalt der sich verkomplizierenden Beziehungen, in denen Joe weder sein Herr noch seine Frau Alice bekannt ist, diese sich jedoch an ihre ganze Vergangenheit mit Joe erinnern können, wird gelungen beschrieben. Im Zeitraffer werden dann die nächsten Monate und Jahre aus Joes Leben wiedergegeben, die im ersten Teil des Buchs enthalten sind. Das hohe Erzähltempo, das sich nicht in Joes Erinnerungslücken verliert, nachdem diese Thematik zu Beginn erläutert wurde, treibt die Handlung voran.
Im weiteren Verlauf entwickelt Pulleys Roman eine Komplexität, indem dieser auf größtenteils drei verschiedenen zeitlichen Ebenen erzählt wird und zu Joes Sichtweise gerade in den zeitlich weiter zurückliegenden Kapiteln andere Perspektiven hinzukommen. Da Pulley zwischen den Zeiten, Sichten und verschiedenen Handlungsorten wechselt, führt sie ein recht umfangreiches Figurenarsenal ein, von denen einige zumindest ein zweites Mal auftreten. Ein Personenverzeichnis hätte ich da als hilfreich empfunden.

Pulleys ungewöhnliche Ideen führen zu besonderen Szenen, die sie plastisch beschreibt. So konnte die Autorin mir zu Beginn gleich dieses andere Londres des Jahres 1898 nahe bringen, das sie in detailverliebten Bildern eingefangen hat. Diese beschreiben London als schwarze Stadt, die für ihre Stahlwerke bekannt ist, deren Hochöfen sie einrußen.
Intensiv wird der Roman, wenn dessen Handlung in ein Kriegsdrama umschlägt. Denn Joe gerät in dessen weiterem Verlauf mitten hinein in den zwischen England und Frankreich tobenden Krieg. Gerade die Seeschlachten werden so gewalttätig wie realistisch geschildert. Und die Blutbäder, die ein überlegender Feind anrichtet, wenn er den ihm unterlegenen Gegner hinschlachtet, sind verstörend. Pulleys komplexe, ambitionierte Erzählweise, die zwischen den Figuren, Handlungsorten und den einander beeinflussenden Zeitebenen hin und her wechselt, lässt das düstere Kriegsdrama ebenso wie die nebenher einfließenden philosophischen Diskussionen noch härter wirken. Da der Krieg nicht beschönigt von Pulley dargestellt wird, wenn Soldaten verbrannt, entzwei gerissen oder zu Tode gepeitscht werden, ist dieser Roman weniger gut für zu empfindsame Leser geeignet. Pulleys Roman ist jedoch in diesen Beschreibungen so intensiv und eindringlich geraten, dass ich mir gewünscht hätte, dass dieser Teil noch stärker im Fokus dieses Buchs gestanden hätte.

Dagegen bleibt Protagonist Joe leider erstaunlich blass. Wenn Joe nicht dieser unsichere, ängstliche Typ gewesen wäre, hätte er wohl, nachdem er als Leibeigener groß geworden ist und mit Anfang vierzig auch noch sein Gedächtnis verloren hat, unglaubwürdig gewirkt. Zu Beginn hat mich der eher nichtssagende Protagonist wenig gestört. Wenn jedoch in späteren Teilen des Romans das Erzähltempo langsamer wird, hätte mir besser gefallen, wenn dem starken Kriegsdrama und einigen interessanten Nebenfiguren mehr Raum gegeben worden wäre. Eindrucksvoll ist mir der gelungene Auftritt von Revelation Wellesley, die die Witwe eines gefallenen Ersten Offiziers ist, als feine Dame in Erinnerungen geblieben. Davon hätte ich mir mehr gewünscht. Eine immer wieder auftauchende Tigerdame hätte sich dafür beispielsweise angeboten.
Vermutlich hatte die Geschichte um Protagonist Joe die ein oder andere Länge für mich, weil ich die Auflösung, wer Joe eigentlich ist und wie die verschiedenen Zeitebenen zusammenhängen, früh habe kommen sehen und mich davon auch nicht durch die von Pulley falsch ausgelegten Fährten habe abbringen lassen. Neben Protagonist Joe ist leid

Bewertung vom 04.09.2022
Wie die einarmige Schwester das Haus fegt (eBook, ePUB)
Jones, Cherie

Wie die einarmige Schwester das Haus fegt (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Starkes, intensives, brutales Debüt über Armut und Gewalt im schönen Barbados

Lala ist von ihrer Großmutter Wilma Wilkinson zu Hause rausgeworfen worden, nachdem sie sich in den Dieb Adan Primus verliebt hat. Nun sind die beiden verheiratet und Ende Juli 1984 ist Lala hochschwanger. Doch als Adan eines Nachts bei der Familie Whalen einbricht, geht alles furchtbar schief. Lala sucht nach Adan, da sie sich sorgt, dass mit dem Baby etwas nicht stimmt. Denn Lala hat zu bluten begonnen. So klingelt sie bei den Whalens Sturm. die sich dann gegen Adan wehren. Und im Handgemenge stirbt Peter Whalen.

Für den Debütroman von Cherie Jones bilden die traumhaften Strände von Baxter’s Beach auf Barbados die idyllische Kulisse, die von luxuriösen Ferienhäusern der Reichen mit dem perfekten Ausblick auf den Strand gesäumt werden - wie etwa dem der Familie Whalen.
Der Roman wird primär aus Sicht von Lala im Wechsel mit der von Mira erzählt. Mira, die ursprünglich aus Baxter’s Beach stammt, ist Peters zweite Ehefrau. Dazu kommen zusätzliche Perspektiven wie die von Miras Mutter Martha, von Wilma, von Adans Kindheitsfreund und Gigolo Tone und von Sergeant Beckles, der in der Ermordung von Peter ermittelt.
Wie Lala und Mira die Tage nach der Ermordung von Peter erleben, ist intensiv geschildert. Da ahnt Lala schon, dass sie mit einem Mörder verheiratet ist. Adans gewalttätige Seite kennt sie schon lange. Lalas brutale Misshandlungen durch Adan sind so realistisch beschrieben, dass sie mir nahe gegangen sind. Auch Miras Leid, die den Verlust von Peter kaum verkraften kann, war für mich greifbar. Mira setzt zu, dass auch Wochen nach der Tat keine Spur zum Täter fühlt.

Die düstere Grundstimmung dieses Romans gibt bereits dessen Prolog vor, in dem Wilma der jungen Lala die Geschichte der einarmigen Schwester erzählt. Das ist eine Art von Märchen, das mich in seiner Brutalität an die der Grimms in deren ursprünglicher Fassung erinnert hat.
Der Roman insgesamt ist kein feinsinniges Feminismus Drama. Dafür ist die darin beschriebene Gewalt zu roh und zu brutal. Im Kontrast zu den grausamen Szenen steht die malerische Kulisse der paradiesischen Strände, die deren Wirkung noch verstärkt. Dabei sind die Frauenfiguren keine einfach gestrickten Opfer, sondern vielschichtig in ihren Ecken und Kanten. Sie bemühen sich jede auf ihre Art sich gegen die erlittene Gewalt zur Wehr zu setzen und geben auch dann nicht auf, wenn ihre wiederholten Versuche scheitern. So widerspricht Lala Adan, wenn er ihr verbietet, Touristinnen am Strand gegen einen Lohn die Haare zu flechten, und stellt ihn zur Rede, nachdem er ihr das dabei verdiente, von ihr an sich gut versteckte Geld gestohlen hat. Denn Lala hat eigene Träume und zumindest einen davon wollte sie mit diesem Geld finanzieren.
Der Roman scheut sich nicht soziale Themen mit einer Härte und einem Realismus anzusprechen, vor dem ich die Augen nicht verschließen konnte. Neben der Auseinandersetzung mit Frauen, die sich von ihren Männern unterdrücken, für alles die Schuld geben, ausnutzen und misshandeln lassen, schildert Cherie Jones eindringlich, was der allgegenwärtige Mangel an Geld wirklich bedeutet und was Armut mit den Menschen macht. Wilmas und Miras Mutter haben ihre falschen, zumindest jedoch unbedacht zu nennenden Entscheidungen aus genau diesen Gründen getroffen. Denn Barbados ist so arm wie es schön ist.

Im weiteren Verlauf dieses Romans tritt die zu Beginn mit der Ermordung von Peter durch Adan begonnene Krimi-Handlung und die sich daran anschließende Ermittlung durch die Polizei in den Vordergrund. Durch seine unerwarteten Wendungen, die alles zuvor vorher Erzählte in neuem Licht erscheinen lassen und in ein Finale mündeten, das Verfolgungsjagden und Schießereien beinhaltet hat, ist für mich das Buch zum Schluss mehr Krimi als Drama gewesen. Dabei hat mich insbesondere überrascht, wer dann wem zu Hilfe kommt, wer lebt und wer stirbt, wer verhaftet wird und wer die Chance auf ein neues Lebe

Bewertung vom 01.09.2022
Was sie wusste
Dugoni, Robert

Was sie wusste


sehr gut

Ambivalentes, ruhig erzähltes Krimi-Drama mit ungewöhnlicher Auflösung

"Was sie wusste" ist der neunte Band der Reihe um Tracy Crosswhite, die in ihrer Person die gesamte Cold-Case-Einheit darstellt. Und obwohl dies der erste Crosswhite-Krimi für mich gewesen ist, habe ich doch gut reingefunden, da Dugoni zu Beginn kurz die wichtigen Ereignisse des vorigen Krimis schildert, indem er an Tracys letzten Fall erinnert.
Zudem habe ich die wesentlichen Fakten aus Tracys Vergangenheit erfahren. Denn dass Tracys jüngere Schwester Sarah verschwunden ist, als sie achtzehn war, und Tracy erst zwanzig Jahre später ihre sterblichen Überreste gefunden hat, treibt sie in ihrer Arbeit an und lässt sie so empathisch mit Angehörigen vermisster Personen umgehen, deren Leid ihr selbst nur zu gut bekannt ist. Tracy bin ich aufgrund ihrer eigenen traumatischen Vergangenheit gleich nah gewesen. Und sympathisch war sie mir wegen ihres engagierten Einsatzes als Detectiv.

Besonders die Frauenfiguren sind in diesem Krimi stark charakterisiert. Neben Tracy gilt das auch für Journalistin Lisa, die eine recht eigenwillige Art hat ihrer Arbeit nachzugehen, obwohl sie für ihre Stories brennt. Wenn sie die Fährte zu einer heißen Story aufgenommen hat, kann sie nicht locker lassen und stellt sich so auch jedem auftretenden Hindernis und jeder damit verbundenen Gefahr furchtlos entgegen.
Lisas Tochter Anita steht ihr da kaum nach. Als Reporterin bei der Seattle Times ist sie in die Fußstapfen ihrer Mutter getreten. Privat hat sie begonnen im Fall ihrer Mutter zu recherchieren, da sie die Wahrheit darüber wissen muss. Seinerzeit hatten die Polizisten, die im Vermisstenfall ihrer Mutter ermittelt haben, sich schnell auf ihren Vater als Hauptverdächtigen konzentriert. So wurde nicht untersucht, ob eine der Stories ihrer Mutter der Grund für ihr Verschwinden gewesen ist.

Ein knappes Vierteljahrhundert später findet Anita heraus, dass ihre Mutter damals vier Stories nachgegangen ist, von denen jede eine gewaltige Sprengkraft besessen hat. Zu Beginn hat mir die große Bandbreite der mit den Stories von Anitas Mutter abgedeckten Themen gut gefallen. Denn die reichte von politischen Skandalen über sexuelle Nötigung Minderjähriger und Korruption bei Eliteeinheiten der Polizei bis hin zum klassischen Serienmörder. Lisa war sowohl dem damaligen Bürgermeister Michael Edwards, der während seiner Amtszeit wohl bestechlich gewesen ist, als auch dem langjährigen Stadtratsmitglied Peter Rivers, der angeblich männliche Jugendliche für sexuelle Handlungen bezahlt hat, auf der Spur. Zudem recherchierte Lisa zu einer Sondereinheit der Polizei, die womöglich bei Drogenrazzien Geld abgesahnt hat, und zum Serienmörder, der an der Route 99 sein Unwesen trieb.
Leider schaffte es Dugoni nicht die abwechslungsreiche Erzählweise über den weiteren Verlauf dieses Krimis aufrecht zu erhalten. Denn bald konzentriert sich Tracy lediglich auf eine von Lisas Stories. Da "Was sie wusste" durch sein ruhiges Erzähltempo geprägt ist, das ganz ohne adrenalingeladene Szenen oder einen klassischen Showdown auskommt, hätte ich mir gewünscht, dass Tracy mehr als nur einen Fall in diesem Buch gelöst hätte. Der Ausgangspunkt dieses Krimis hätte dazu ja die Gelegenheit geboten. Am liebsten wäre mir der Route 99 Killer gewesen, der von der Polizei den abgründigen Beinamen Todesengel erhalten hat. Angeboten hätte sich dieser auch, da Tracy in vorigen Bänden der Reihe schon Serienmördern wie den Cowboy überführt hat.

"Was sie wusste" hat mich mit seinen so detaillierten wie bildlichen Beschreibungen überzeugt, die so banale Dinge wie etwa Tracys Büro, das unter Aktenbergen versinkt, da Tracy dort für sie relevante Cold Case Akten hortet und so jeder mögliche Platz von einem Stapel aus Akten belegt ist, oder auch Wohlfühlorte wie die Macrina Bakery, die mit ihrem Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee, der in riesigen, Schüsseln ähnlichen Tassen serviert wird und bei Tracy schöne Kindheitserinnerunge

Bewertung vom 27.08.2022
Der schwarzzüngige Dieb (Schwarzzunge, Bd. 1) (eBook, ePUB)
Buehlman, Christopher

Der schwarzzüngige Dieb (Schwarzzunge, Bd. 1) (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Unerwartet blutiger, gelungener Auftakt um die Abenteuer des schwarzzüngigen Diebes Kinsch

In kurzen Kapiteln von angenehmer Länge entführt Christopher Buehlman in das von ihm geschaffene, phantastische Reich. Dabei hat der Autor nicht nur eine, sondern verschiedene Sprachen für die unterschiedlichen Völker seiner Welt ersonnen. Detailverliebt beschreibt er die Besonderheiten der einzelnen Sprachen und deren Unterschiede, wenn sie Kinsch in einem Gespräch auffallen. Dies beschränkt sich aber im Wesentlichen auf Kraftausdrücke, für die der Dieb eine Schwäche hat. Auch macht er sich oft darüber lustig, wenn etwa eine Ispantherin des Holtischen nicht mächtig ist und ihr im Gebrauch der für sie fremden Sprache viele Fehler unterlaufen, oder wenn Figuren nicht in der Lage sind Worte in einer anderen Sprache korrekt auszusprechen. Diese Fokussierung auf Flüche, Schimpfworte, sprachliche Schwächen und Akzente hat zumindest meinen Sinn für Humor leider nicht so ganz getroffen.
Der Einstieg in den Roman ist mir eher schwer gefallen, da mich der Autor mitten ins Geschehen hineingeworfen hat, als Kinsch am Überfall auf Galva beteiligt gewesen ist. Das ist am Anfang ganz schön viel Neues auf einmal für mich gewesen. Im Anhang dieses Romans finden sich zwar eine schön gestaltete Karte sowie ein Kalender, der die Wochentage und Monate zeigt, geholfen hätte mir jedoch ein leider fehlendes Glossar, das etwa die verschiedenen Völker, deren Gottheiten und die Gilden erläutert.
Im weiteren Verlauf, wenn die Reise der Gefährten so richtig in Fahrt kommt, wird das hohe Spannungslevel immer wieder durch dann erfolgende Einschübe, die in Gestalt von Erinnerungen oder kleinen Geschichtsstunden erforderliche Erklärungen liefern, ausgebremst. Das ist zwar raffiniert arrangiert, hätte mir aber als chronologisch erzählte Geschichte besser gefallen. Diese hätte mit einem Prolog, der die Ereignisse der Koboldkriege kurz anreißt, begonnen, um dann mit der Schilderung des Lebens von Kinsch fortzufahren, wenn er sich für eine Ausbildung zum Dieb bei der Nehmergilde entscheidet.

Galva ist eine ausgezeichnete Kämpferin, die so effizient und zielstrebig ihre Mission verfolgt, die sie nach ihrer Prinzessin, der Infantin Mireya, suchen lässt. Kinsch ist ein fähiger Dieb, der nie um eine witzige Bemerkung verlegen ist, mit der er seinen Schutzheiligen Fothannon, den Meister des Unfugs, zu erfreuen sucht. Galva und Kinsch mögen recht einseitig charakterisiert sein. Dagegen ist die Dynamik ihrer Beziehung interessant. Bei allen Unterschieden verbindet beide ihre Zuneigung zu Tieren. Denn Galva liebt ihren Kampfraben so wie Kinsch den blinden Kater, den er vor Beginn ihrer gemeinsamen Reise aufgelesen hat. Und Kater Karl mausert sich im weiteren Verlauf immer mehr zum lustigen Szenendieb,
Die fortwährenden Beschimpfungen, deretwegen immer wieder kein richtiges Gespräch zustande kommen kann, haben bei mir den Lesefluss eher gestört, als dass sie mich in späteren Kapiteln noch so gut wie zu Beginn unterhalten hätten. Da wäre für mich weniger mehr gewesen. Dagegen haben mich die plastisch geschilderten Kämpfe, die durch ungewöhnliche Elemente wie etwa den Einsatz eines Kampfrabens bestechen, durchweg überzeugt.
In den Bann gezogen hat mich dieser Roman, als die Reise der Gefährten um Galva und Kinsch nach Austrim richtig los gegangen ist. Faszinierend ist ihr Besuch bei der mächtigen Magikerin Totenbein, spannend und intensiv ihr sich daran anschließender, nahezu ausgeglichener Kampf mit den Wegelagerern, der seinen würdigen Abschluss in einem unerwarteten Wiedersehen danach findet. Gefesselt hat mich das Ringen mit einem Meeresungeheuer, das überraschende Aufeinandertreffen mit Verbündeten und anderen Kreaturen im Kapitel "Absolut nicht heiratsfähig", das unter Beweis stellt, wie passend die Überschriften doch sind, ohne dabei zu viel zu verraten. Und das ist nur die erste Hälfte des Romans.

"Der schwarzzüngige Dieb" ist nur der Auftakt einer Reihe um den D

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.08.2022
Die Erpressung / Terra Alta Bd.2 (eBook, ePUB)
Cercas, Javier

Die Erpressung / Terra Alta Bd.2 (eBook, ePUB)


sehr gut

Stimmige, nicht ganz so starke Fortsetzung mit abgründigen Antagonisten

"Die Erpressung" ist nach "Terra Alta - Geschichte einer Rache" der zweite Fall für Melchor Marín. Dabei sind die Ereignisse zeitlich vier bis fünf Jahre nach denen des ersten Bandes dieser Reihe angesiedelt. Melchor arbeitet nach einem gut zweijährigen Intermezzo, während dem er für die Entführungs- und Erpressungseinheit in Barcelona tätig gewesen ist, wieder als Polizist in Terra Alta. Seine Freizeit verbringt Melchor nach wie vor lesend und sorgt als alleinerziehender Vater für seine Tochter Cosette.
In einer recht lang geratenen Einleitung schildert Javier Cercas ausführlich die Ereignisse des Vorgängerbandes. Dabei werden die Geschehnisse, die rund um die Ermordung von Rosas Eltern und deren Aufklärung durch Melchor kreisen, nicht nur kurz angerissen, sondern in detaillierter Weise rekapituliert. Daher möchte ich jedem, der die beiden bisherigen Bände der Terra Alta-Reihe lesen möchte, raten mit dem starken Vorgänger zu beginnen. Denn andernfalls wird zumindest meiner Ansicht nach zu Beginn "der Erpressung" zu viel über die Auflösung des Falls, der die Ermordung des Ehepaars Adell betrifft, und dessen sonst so unvorhersehbare Wendungen verraten.

Der zweiter Band der Reihe führt Melchor aus Terra Alta in der katalanische Provinz nach Barcelona. So dreckig, verdorben und düster, wie Cercas Barcelona beschreibt, habe ich diese Stadt selten erlebt. In diesem Roman ist Barcelona ein korrupter Morast, dessen Auswüchse im Rathaus am schlimmsten sind.
Die mir aus "Terra Alta - Geschichte einer Rache" bekannten Charaktere werden in "der Erpressung" von Cercas konsequent weiterentwickelt. Das beginnt damit, dass in diesem Buch geschildert wird, wie sich das Leben der Figuren in den letzten Jahren verändert hat. Dabei konnte ich neue Facetten an bekannten Charakteren entdecken, da Blai etwa an seiner Beförderung gewachsen ist und der Franzose Gilles nun in Freiheit lebt.

Im Gegensatz zum ersten Band der Terra Alta Reihe, in dem die meisten Entwicklungen für mich unvorhersehbar gewesen sind und die Aufklärung des Mörders der Adells sowie dessen Motiv für mich absolut überraschend gekommen ist, habe ich die Auflösung "der Erpressung" schon früh vermutet.
Im Vorgänger wurde im Wechsel Melchors Vergangenheit sowie die Untersuchung des Mordes am Ehepaar Adell geschildert. Das wird in "der Erpressung" nun fortgeführt, wenn zwischen der Ermittlung im Fall der Erpressung der Bürgermeisterin und zwischen den Kapiteln, indem ein zunächst noch namenloser Erzähler, dessen Identität erst im weiteren Verlauf enthüllt wird, seine Geschichte erzählt, gewechselt wird. Der unbekannte Erzähler schildert sein Studium an der Esade - der Business School für die katalanische Elite, an der er seine berühmten Freunde kennengelernt hat. Dann ergeht er sich über das Scheitern seines Vaters bis hin zu seinem eigenen Abstieg, den er mit seinen Versuchen wieder auf die Beine zu kommen nur verschlimmert hat.
Dabei bleibt der bis kurz vor Schluss namenlose Erzähler erstaunlich blass, obwohl sonst die komplexen Charaktere eine der Stärken der Romane von Cercas sind. Aber in seinem fortwährenden Schimpfen auf diejenigen, die ihn im Stich gelassen haben, im Jammern über sein Scheitern, woran er nur anderen die Schuld gibt und nie sich selbst, und in seiner Weigerung in irgendeiner Hinsicht Verantwortung zu übernehmen, verkommt er zum Statisten. In so gut wie jeder entscheidenden Situation hat er sich fürs die Rolle des stillen Beobachters entschieden, indem er nichts tut.

Statt diesem Erzähler so viel Raum zu geben, hätte mich interessiert, mehr über die Vergangenheit des Unternehmers Casas sowie des Politikers Vidal - am liebsten aus ihrer eigenen Perspektive und nicht nur in der Betrachtung von außen - zu erfahren. Der psychopathische Daniel Casas ist der Exmann der Bürgermeisterin und Eigentümer mehrerer Unternehmen u.a. von Clave Barcelona, einer Consultingfirma spezialisier

Bewertung vom 22.08.2022
Todesflattern
Frasier, Anne

Todesflattern


ausgezeichnet

Düsterer Thriller über die Gefahr sozialer Medien und von Wanderungen entlang des Pacific Crest Trails

Todesflattern ist nach Vogelgrab der zweite Band der Reihe um die ehemalige FBI Profilerin Reni Fisher. An der Seite von Detective Daniel Ellis des Sheriff’s Department von San Bernardino County beginnt sie im Fall der verschwundenen Teenager zu ermitteln.
Reni ist eine interessante Protagonistin, da sie die Tochter eines berühmten Serienmörders ist. Mit dem Malen von Aquarellen, die die Wüstenlandschaften zeigen, in denen ihr Vater die von ihm ermordeten Frauen begraben hat, verarbeitet Reni ihre traumatische Vergangenheit. Diese war wohl primäres Thema des vorherigen Bandes der Reihe. Schöne wie schreckliche Kindheitserinnerungen an ihren Vater blitzen bei Reni in diesem Thriller immer wieder auf. So war ich Reni gleich nah, da ich einen Eindruck von der komplizierten Beziehung zu ihrem Vater gewinnen konnte, obwohl ich Vogelgrab nicht gelesen habe. Wenn Reni sich nicht der Kunst widmet übernimmt sie Vermisstenfälle. Dabei reizen sie die besonders schwierigen, die sie trotz ihrer Aussichtslosigkeit bislang alle lösen konnte. Aktuell sucht sie nach Daniels Mutter, die verschwunden ist, als Daniel noch ein kleiner Junge war. Daniel hat in seinem Leben schon viel Zeit auf die Suche nach seiner Mutter verwandt und Reni hofft, dass Daniel damit wird abschließen können, wenn sie die Leiche seiner Mutter findet. So erzählt Todesflattern nicht einen, sondern zwei Fälle, da Reni nicht nur nach den vom Pacific Crest Trail verschwundenen Teenagern, sondern auch nach Daniels Mutter sucht.
Daniel ist als Stadtmensch in der Natur ohne Hilfe von Reni verloren, weil es ihm an zum Überleben in der Wildnis notwendigem Wissen fehlt. Das ist auch einer der Gründe, warum Daniel Reni, die bereits Teile des Pacific Crest Trails gewandert ist, im Fall der Vermissten hinzugezogen hat. Wo im Vorgänger Renis Familie im Mittelpunkt stand, spielt in diesem Thriller Daniels Vergangenheit eine entscheidende Rolle. Denn zu einem der verschwundenen Teenager hat Daniel eine persönliche Beziehung.

Abwechslungsreich wird Todesflattern aus verschiedenen Perspektiven erzählt. Neben der Sicht von Protagonistin Reni beinhaltet dies etwa auch die Sicht von Daniel, von einem der Opfer, von einem der Väter der vermissten Mädchen sowie die Sicht des Täters. Als Leser war ich den Ermittlern damit oft ein wenig voraus. So konnte ich an der Seite von Deirdra und ihrem Freund Jordan die verlassenen Zelte des Kaleidoscope Lagers inspizieren, lange bevor Reni und Daniel den Ort des Geschehens entdeckt haben. Auch verrät die Sicht des Täters, wem seine Aufmerksamkeit gilt und wer das Ziel seines nächtlichen Überfalls gewesen ist.
In ihren Thriller bindet Anne Frasier relevante Themen ein, da neben Massakern im Zuge von Amokläufen an Schulen auch die zunehmende Smartphone-Sucht unter Teenagern behandelt wird. In den Fokus der Autorin geraten dabei Methoden von Programmen wie Kaleidoscope, die versuchen der Abhängigkeit von sozialen Medien entgegenzuwirken, und deren fragwürdige, womöglich nur finanziell bedingten Motive. Diese kritische Thematik wird allerdings nie um ihrer selbst willen erläutert, sondern taucht nur im Rahmen der Ermittlungsarbeit von Reni und Daniel auf, ohne so für langatmige Passagen zu sorgen.

Die intensiven Beschreibungen der Natur sind eines der Highlights dieses Thrillers. Irritierend schön beschreibt Anne Frasier sowohl die Wüste, die Reni in ihren Aquarellen einfängt, sowie die tiefen Wälder, die den Pacific Crest Trail im Sektor C säumen. In Todesflattern ist die Wüste viel mehr als nur eine endlos monotone Einöde aus Sand und Felsen, sondern belebt von einem starken Wind und Wolken, die sich in einer Bandbreite von Pastelltönen bis hin zu einem tief dunklen Rot verfärben. Und sogar die Gebiete am Pacific Crest Trail, in denen noch geschwärzte Baumstämme von vergangenen Waldbränden zeugen, sind wieder voller Leben, da dort nun ein Bl

Bewertung vom 19.08.2022
Das Gegenteil eines Menschen (eBook, ePUB)
Marsman, Lieke

Das Gegenteil eines Menschen (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Ein starkes Debüt voll philosophischer Betrachtungen über Identität, Bewusstsein und das Verhältnis von Mensch zu Natur

In den überwiegend sehr kurzen Kapiteln, in denen der Roman geschildert ist, lernte ich Ida kennen, die ein eigenartiges Kind gewesen ist. Mit acht Jahren war eines ihrer Einschlafrituale sich vorzustellen ihr Lieblingsgemüse - also eine Gurke - zu sein, indem sie versuchte mit ihrem Körper die Form einer Gurke nachzustellen und sämtliche ihrer Alltagsemotionen auszublenden. Denn Gurken können nicht fühlen.
Mit ihrem schwarzen Haar und ihrer Abneigung zu reisen, scheint Ida eher ihrem Vater zu ähneln. Ihre als Rentnerin so reiselustige Mutter ist da ganz anders. Als Studentin war ihre Mutter so kämpferisch, dass sie die einzige Frau gewesen ist, die sich in die erste Reihe der Studentenproteste traute. Von ihrer Mutter erfährt Ida als Mädchen, dass "der Mensch durch und durch schlecht sei". Fortan unternimmt die junge Ida eher bescheidene Versuche, "das Gegenteil eines Menschen zu sein", wenn sie auf Händen läuft, tagelang schweigt oder versucht so stramm wie ein junger Mann zu laufen.
Die erwachsene Ida ist nicht unbedingt das, was ich eine sympathische Person nennen würde. Für mich war es schwierig einen Zugang zu ihr zu finden. Nachdem Ida sich wiederholt eingebildet hat krank zu sein, sucht sie nun in regelmäßigen Abständen eine Therapeutin auf. Sie scheint nicht nur ein Hypochonder zu sein, sondern auch an Paranoia zu leiden. Und wenn sie betrunken ist, verhält sie sich peinlich und macht ihrer Freundin Robin eifersüchtige Szenen. Dabei ist sich Ida selbst bewusst, dass sie versucht Robin so wie ihre vorherigen Freundinnen an sich zu binden, indem sie ihr ein schlechtes Gewissen macht.

Bei Lieke Marsman sind Poesie und eine faktenbasierte, zahlenorientierte Erzählweise kein Widerspruch. So hat mich der poetische Beginn "Ein Morgen" an Texte von Raoul Schrott erinnert. Was aber das Staudamm-Projekt in den Alpen betrifft, an dem Ida mitwirkt, listet Marsman die Jahre der Staudamm Katastrophen in Italien samt der Anzahl an Todesfällen auf und schildert in detaillierter Weise an einem konkreten Beispiel, welche genauen Mengen an Wassermassen zum Unglück führten.
Mir gefällt die ungewöhnliche Art, in der "Das Gegenteil eines Menschen" erzählt wird. Dessen experimentelle Abschnitten habe ich als besonders stark empfunden. So beinhaltet ein Kapitel ein Streitgespräch zwischen Robin und Ida, aus dessen Dialog aber nur Robins Sätze wiedergegeben sind.

Relevante Kommentare zum Klimawandel ergeben sich aus dem Kontext der beruflichen Profession von Protagonistin Ida, die Klimatologin ist, und werden oft in Form von geschickt eingebundenen Zitaten - etwa aus dem Buch "Die Entscheidung: Kapitalismus vs. Klima" von Idas Heldin Naomi Klein - geliefert. Dabei schreckt die Autorin aber auch vor kontroversen Themen nicht zurück, beispielsweise dass der Kampf gegen den Klimawandel mit dem Verzicht auf Kinder beginnt (siehe "Die Welt ohne uns" von Alan Weisman).
Die in "Das Gegenteil eines Menschen" wiedergegebenen Zitate habe ich insgesamt als abwechslungsreich und interessant empfunden, da diese vom dänischen Philosophen Kierkegaard, über Kant bis hin zu Duras reichen. Im Anhang werden diese von einem detaillierten Quellenverzeichnis abgerundet. Spannend waren für mich auch die nacherzählten Geschichten. Denn etwa das Atraḫasis-Epos, das eine der ältesten schriftlich erhaltenen Mythen darstellt, die vom Gott Enlil erzählt und die Vorlage für die Arche Noah Geschichte bildete, war mir neu.
Der oft ungewöhnliche Blickwinkel, den Marsman darlegt, hat mich zum Nachdenken gebracht. So setzte sich die Autorin etwa damit auseinander, wie einfach es sei, sich im Alltäglichen zu verlieren (frei nach Kierkegaard) oder warum Nachrichten eine entspannende Wirkung haben können, da das "beste Mittel gegen Beunruhigung noch mehr Beunruhigung" sei.

In seinen philosophischen Auseinandersetzungen - etwa zur Konsistenz des

Bewertung vom 16.08.2022
Princess Margarita Illegal (eBook, ePUB)
Mack Jones, Stephen

Princess Margarita Illegal (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Temporeicher, actiongeladener Detroit-Krimi mit ungewöhnlicher Hauptfigur

"Princess Margarita Illegal" ist nach "Der gekaufte Tod" der zweite Detroit-Krimi von Stephen Mack Jones, in dem Ex-Marine und Ex-Cop August Snow die Hauptrolle spielt. Dabei war mir August gleich sympathisch, als er vom Autor vorgestellt wird, wenn er seine köchelnde Salsa mit Muskatnuss verfeinert und dazu Rumba-Bolero tanzt. Auch belebt er die Markham Street in Mexicantown als anonymer Wohltäter wieder, deren Häuser er nicht nur von den ihm zugesprochenen Geld aufkauft und renovieren lässt. In der Presse möchte er dafür nicht gelobt werden, sondern lässt sich lieber von seinem alten Freund Brutus im Dojo-Teil seines Fitnessclubs auf die Matte legen. August hat das Herz am rechten Fleck und einen ausgeprägten, von alttestamentarischen Bibelzitaten unterlegten Gerechtigkeitssinn. Statt sich mit seinem vielen Geld auf die faule Haut zu legen und das Leben zu genießen, kann er einem ehemaligen Kollegen wie dem Rechtsmediziner Bobby seine Hilfe nicht verwehren. Auch sonst kann August nicht aus seiner Haut und muss den Helden spielen, wenn Ungerechtigkeiten seinen Weg kreuzen - wie die schikanierenden Kontrollen des ICE (Immigration and Customs Enforcement) in Mexicantown, die auch vor älteren in den USA geborenen Ladies oder der Überwachung einer Kirche nicht Halt machen.

Nicht nur die Charakterisierung von Protagonist August Snow habe ich als gelungen empfunden, sondern auch die der zahlreichen Nebencharaktere. Die sind für mich stark beschrieben gewesen, da die Ecken und Kanten, die Stephen Mack Jones ihnen zugestanden hat, sie zu unverkennbaren Originalen haben werden lassen. Das schließt etwa Father Grabowski, der Illegalen hilft, sowie die toughe Aktivisten Elena und ihren Grobian von Ehemann Tomas, der der Pate von August ist, mit ein. Tomas vermag so ordentlich auszuteilen wie er in seine Waffensammlung vernarrt ist. Allerdings beschränkt sich "Princess Margarita Illegal" bei der starken Figurenzeichnung nicht auf August und seine Unterstützer, sondern charakterisiert auch den ehemals kriminellen Studioboss Duke Ducane so abgründig charismatisch, dass er in Erinnerung bleibt.
Die Sprache in diesem Krimi ist hart, die Figuren sind nie um einen markigen Spruch verlegen, der Humor ist oft derb und alles andere als politisch korrekt. So ist dieser Detroit-Krimi weniger gut für zu Zartbesaitete geeignet, die sich unter einem Kriminalroman, der sich mit der komplexen Problematik der US-Immigrationspolitik auseinandersetzt, eher das anspruchsvoll-intellektuelle arte-Drama vorstellen. Bei Stephen Mack Jones haben die Menschen in Mexicantown entweder Angst vor den sie schikanierenden Kontrollen des ICE oder aber sie sind voller Wut auf die Ungerechtigkeit, Gewalt und Willkür, deren Opfer sie Tag für Tag werden. Nur der stets gegenwärtige Humor lockert das ein wenig auf und verleiht diesem Krimi ab und an seine eigenwillig schrägen Momente - etwa wenn August den von Elena mit femininem Touch umgestalteten Keller besucht, in dem Tomas seine Waffen hortet - kann aber auch rabenschwarz sein (z.B. die Szene mit dem kleinen Zeh, über die ich an dieser Stelle nicht mehr verraten möchte, um diese in nicht unnötiger Weise zu spoilern).

Neben August spielt das zumindest mir zuvor recht unbekannte Detroit eine weitere Hauptrolle in diesem Krimi. Stephen Mack Jones lässt dabei etwa das pulsierende Mexicantown lebendig werden. So entdeckte ich zu Beginn an der Seite von August den Honeycomb Market, der mehr Stadtteil-Institution als einfacher Markt ist und mit seinen Pyramiden aus Jalapeños, frischen hausgemachten Chorizos und Mengen an Pingüinos-Cupcakes betört. Der Autor lässt das lange verarmte, heruntergekommene Detroit aber nicht zu einer malerischen Idylle verkommen, sondern beschreibt auch dessen triste, hässliche Seiten. Dazu gehört etwa Zug Island, das nun einem Kreis der Hölle aus Dantes Inferno mit seinen Hochöfen, der schwarzen, verrußten Luft und s