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Benutzername: 
helena
Wohnort: 
Potsdam

Bewertungen

Insgesamt 119 Bewertungen
Bewertung vom 28.07.2019
Das Girlfriend-Experiment
Lacey, Catherine

Das Girlfriend-Experiment


ausgezeichnet

Großes Kino!

2017 ist der Roman in den USA unter dem Titel "The Answers" erschienen. Der deutsche Titel passt jedoch auch gut. Und ich freue mich sehr, dass der Roman nun auf deutsch erschienen ist!

Mary hieß eigentlich früher Junia und lebte mit ihren sehr religiösen Eltern inmitten der Natur. Irgendwann holte ihre Tante sie dort heraus, wechselte ihren Namen und machte sie mit allen Erfordernissen und Dingen der Zivilisation vertraut.
Mittlerweile wohnt sie allein in New York, hat das College absolviert und reiste viel. Sie hat zwar einen kleinen Job in einem Reisebüro, dennoch verschuldet sie sich immer mehr. Seit einiger Zeit leidet sie unter extremen Schmerzen, für die keine Ursache und daher auch keine Linderung zu finden sind. Ihre spirituell- esoterisch veranlagte Freundin Chandra empiehlt ihr irgendwann PAKing. Die erste Stunde bei Ed bringt ihr schon Erleichterung, aber die Sessions sind wahnsinnig teuer...
Zufällig findet sie eine Stellenausschreibung für eine "einkommensschaffende Tätigkeit". Nach vielen Gesprächen und Tests wird sie als "emotionale Freundin" des berühmten Schauspielers Kurt Sky eingestellt. Dieser befindet sich gerade in einer Schaffenskrise und hadert allgemein mit dem "Promi-Sein". Neben ihr wird auch noch auch eine "Wutfreundin", eine "Alltagsfreundin", eine "intellektuelle" und "mütterliche Freundin" sowie mehrere Frauen für sexuelle Intimitäten eingestellt. Dies alles ist Teil eines Forschungsprojekts, des sogenannten "Girlfriend Experiments". Dabei soll herausgefunden werden, was es mit der Liebe auf sich hat und wieso eigentlich nach einiger Zeit des höchsten Glücks Leid und Langeweile in Beziehungen entstehen.

Der Schreibstil gefällt mir sehr gut. Die Sprache ist schön. Der Ton ist modern, frisch, witzig und klug.
Der aktuelle Zeitgeist wird gut getroffen und beschreibt Individuen und ihre Beziehungen sehr pointiert. Frauen, oft Opfer, und Männer, oft Täter, werden in ihrem Sein betrachtet. Einsamkeit, Egozentrismus, Gewalt sind wiederkehrende Motive, der Wunsch nach Kontrolle, nach Liebe und Heilung sind allgegenwärtig. Welche Rolle können dabei Religion, Esoterik oder auch die Wissenschaft einnehmen?
Der recht komplexe Roman lädt ein, selbst nachzudenken und zu interpretieren. Er lässt nicht alle Fragen offen, sondern gibt auch Antworten, welche es wert sind, diskutiert zu werden.

Es ist im Grunde ein philosophischer und gesellschaftskritischer Roman, auch ein feministischer Roman, der satirisch, bissig, komisch, schräg, witzig, mystisch, tragisch, berührend, traurig, bitter, empörend und etwas verstörend daher kommt. Er hat mich ungemein gefesselt und ich fand ihn wirklich sehr originell und voller Überraschungen.
Nach dem dramaturgischen Höhepunkt verliert der Roman zwar etwas die Leichtigkeit und wird etwas schwerer, aber das trübt den Lesegenuss keinesfalls. Nach der Lektüre blieb ich sehr nachdenklich und fragend zurück. Und vielleicht auch etwas kulturpessimistisch..:)

Bewertung vom 24.07.2019
Fünf Lieben lang
Aciman, André

Fünf Lieben lang


ausgezeichnet

Großartig!

Dieser Roman hat mich wahnsinnig überrascht und sehr beeindruckt.

Der Leser wird Zeuge einer detaillierten und spannenden Innenschau eines Mannes, zumeist während der Verliebtheitsphase zu ganz unterschiedlichen Menschen.

Der Roman ist aus Sicht von Paul geschrieben. Es beginnt mit dem 12jährigen Paul, der sich im jährlichen Sommerurlaub in Italien in den Tischler des Ortes verliebt. Und endet mit dem erwachsenen Paul in New York, weit über den 50ern (?), der sich in eine deutlich jüngere Journalistin verliebt.
Paul kommt aus einer gutsituierten und sehr gebildeten Familie. Er hat studiert, spielt Tennis und pflegt einen recht festen Freundeskreis. Er verliebt sich sowohl in Frauen als auch in Männer und kreist immer wieder um die Liebe, das Verliebtsein, das Begehren. Er redet sehr viel von "der Liebe". Aber weiß er eigentlich wirklich, wovon er da spricht?

Paul führt tiefe Monologe, man lernt ihn daher recht gut kennen. Man folgt seinen Gedanken, Sehnsüchten, Wünschen, Zweifeln und Schwärmereien. Man erfährt seine Sinnlich- und Zärtlichkeit, seine Hingabe, aber auch seine boshaften Neid- und Rachegedanken. Oft wirkt er nach außen hin komplett anders, als sein Innerstes tatsächlich denkt und fühlt.
Es ist manchmal sehr anregend, manchmal sehr berührend, aber manchmal auch sehr ärgerlich, auf jeden Fall aber absolut spannend, seinen Gedanken zu folgen. Ich war wirklich sehr fasziniert und eine ganze Palette von Gefühlen wurde bei mir erzeugt. Immer wenn ich zudem dachte, naja, was soll jetzt noch kommen, gab es wieder eine ziemliche Überraschung.
Einige Ansichten und Verhaltensweisen verstand ich nicht, in anderen Situationen konnte ich mich wiederum sehr gut wiederfinden.
Ich bin hin- und hergerissen, ob ich ihn eigentlich sympathisch oder doch eher unsympathisch finde. Er tut immer wieder Dinge, die ich eher unsympathisch finde, Affairen führen, nicht ehrlich reden. Und dennoch will er eigentlich niemandem schaden, scheint ein fairer, freundlicher und respektvoller Mensch zu sein, der letztendlich vor allem sich selbst am meisten betrügt. Er ist ein wahrhaftiger Meister der Selbsttäuschung, wobei er in manchen Momenten durchaus seine Themen klar benennen kann..:) Ein wahrlich widersprüchlicher und moderner Mensch, der sich nicht gern festlegt, mit einer gewissen Angst vor Nähe und doch auch immer wieder Lust auf Nähe.

Ich fand diesen Roman überaus lehrreich und bin tatsächlich sehr dankbar, an einer so ehrlichen und auch sehr überzeugenden Innenschau eines Menschen teil haben zu können. Man wird zudem eingeladen, über die Liebe und das Verliebtsein nachzudenken, über Sex und Hingabe, über Lebensglück und über Lebenslügen, über die Jugend und das Alter, über die ältere und die neuere Generation und das auf eine wirklich wundervolle literarische und poetische Art und Weise.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.07.2019
Strategien der Natur
Thoma, Erwin

Strategien der Natur


sehr gut

Beeindruckendes über Bäume und Idealistisches für die Gesellschaft

Thoma erläutert hier die Entstehungsgeschichte, Lebensweise und Besonderheiten der Bäume. Darauf und auf die Organisation des Waldes bezugnehmend folgert er, wie der Mensch politisch, psychologisch und gesundheitlich besser leben könnte. So äußert er sich z.B. zum generellen Zusammenleben, zur Energiegewinnung, zur Verringerung des Co2 Ausstoßes, zur Kindererziehung, zum Umgang mit dem Tod und vieles mehr. Fotos und Grafiken runden das Gesamtbild ab.

Einige Dinge haben mich sehr begeistert, andere eher etwas genervt.

Was hat mich begeistert: Thoma erläutert absolut interessante Dinge über Bäume und deren Ökosysteme. Er wartet dabei mit für mich sehr überraschenden Beobachtungen auf- wie z.B. dass Bäume sich erinnern können und sozial handeln. Die Ausführungen, was genau eigentlich an der Wurzel passiert und welche Rolle die Pilze – als "Waldinternet und größter Spediteur unter der Erde" inne haben, fand ich dabei besonders interessant. Ebenfalls beeindruckend fand ich die Erläuterungen der Wirkungsweise von Holz auf den Menschen.
In seine Ausführungen nimmt er dabei eine Perspektive ein, die meine Sicht auf Bäume sicherlich nachhaltig geändert hat. Seine Liebe zum Baum und seine Begeisterung wirken zudem ansteckend..:)
Thomas Folgerungen in Bezug auf die notwendige Änderung unserer Lebensweise hin zu viel mehr Nachhaltigkeit, gegenseitigem Respekt und Verbundenheit sind bei weitem nicht neu, aber interessant, aufgrund der Herleitung aus der Lebensweise der Bäume heraus. Seine ganz konkreten Vorschläge, wie z.B. die Hinwendung zu einer Kreislaufwirtschaft, statt der Wegwerfwirtschaft, könnten praktikable Wege heraus aus der Klimakrise bedeuten.
Seiner Haltung zur Natur und zum Menschen zolle ich großen Respekt!

Was hat mich eher genervt: Als negativ empfand ich die immanente Werbung für seine Holz 100 Firma. Grundsätzlich ist es sicher legitim, da auch zum Thema passend, es hätte aber sehr viel dezenter ausfallen können.
Der Schreibstil war an vielen Stellen sehr erfrischend, amüsant, bildhaft und ja, auch poetisch. An anderen Stellen aber doch etwas zu blumig, zu schwafelig, zu redundant. Einige Seiten überblätterte ich sogar, hier beschreibt er dezidiert das Fällen eines Baumes, das interessierte mich einfach nicht.
Die Struktur des Buches ist zwar in sehr übersichtliche Kapitel unterteilt, aber inhaltlich wirkt es teilweise etwas willkürlich zusammengesetzt. Physikalisch und chemische Zusammenhänge, Märchen, eigene Erfahrungen, Anekdoten und wissenschaftliche Erkenntnisse stehen hier nebeneinander.
Mit meinem E-Bookreader konnte ich einige wenige kurze Teile nicht gut lesen, da die Schriftfarbe sehr hell gewählt wurde. Auch kamen die Bilder natürlich nicht recht zur Geltung, so dass ich glaube, die Printausgabe könnte besser geeignet sein, wobei mir der Preis doch recht hoch erscheint.

Fazit: Wissenswertes und Interessantes über Bäume und Holz, was durchaus mehr hätte sein können, aber wahrscheinlich schon durch seine Vorgängerbücher abgedeckt ist. Idealistisch- philosophische Gedanken zu einem besseren Leben mit ganz praktischen Vorschlägen auch zum langfristigen Erhalt der Welt. In einer Sprache und Form, die etwas knapper, nüchterner und stringenter sein könnte.
Eine Punktebewertung fällt mir schwer, ich vergebe 4 Punkte vor allem für die Ausführungen zu Baum, Natur und Holz.

Bewertung vom 18.07.2019
Die Kinder des Borgo Vecchio
Calaciura, Giosuè

Die Kinder des Borgo Vecchio


ausgezeichnet

Harte Realität sehr poetisch beschrieben

Borgo Vecchio, ein Havenviertel der sizilianischen Stadt Palermo.

Die Komposition dieses kleinen Romans erinnert an einen Reigen, die Aufmerksamkeit wird auf mehrere Figuren gleichermaßen gelenkt. Einerseits die drei Kinder, Mimmo und sein Freund Cristofaro, bei dem alle im Viertel mit angehaltenem Atem darauf warten, dass der Vater die tägliche Tracht Prügel so übertreibt, dass er seinen Sohn dabei tötet. Sowie Celeste, die von Mimmo angehimmelt wird und während ihre Mutter Freier empfängt, auf dem Balkon warten muss. Dort liest sie dann, für das Viertel sehr untypisch, ihre Schulbücher.
Andererseits stehen auch Nana, das Rennpferd, um das sich Mimmo kümmert im Fokus sowie Toto, der Kriminelle, von dem die beiden Jungs einerseits wünschen, er möge ihr Vater sein und andererseits, dass er Cristofaros Vater erschießen möge.

Die Geschichte ist recht kurz. Sie zeigt eine harte und brutale Realität, aber in einer märchenhaften, teils skurrilen und traumgleichen Atmosphäre. Nur so kann man sie ertragen, die Geschichten über die Einsamen und Ausgelieferten ohne Zukunft.
Die lyrische, wirklich sehr schöne Sprache, die manchmal absolute Aufmerksamkeit benötigt, gefiel mir gut. Wirklich phenomenal, wie an einer Stelle der Duft frischgebackenen Brotes beschrieben wird, der kunstvoll verwoben zu den unterschiedlichsten Protagonisten zieht. Gernerell findet man hier sehr poetische und geschickte Überleitungen sowie sehr eindrückliche Bilder.
Durchgehend finden sich zudem eine Vielzahl biblischer Motive: von der Sintflut bis zu Judas Verrat.

Der Roman weckt Mitgefühl, berührt und macht traurig, denn dem Unheil entkommt in Borgo Vecchio niemand. Nur der Weggang erscheint letztendlich als Ausweg, als Hoffnungsstrahl und entlässt den Leser so mit leiser Zuversicht.

Fazit: Ein sehr eindrücklicher und poetischer, aber heftiger Roman über Elend und Hoffnung in einem italienischen Stadtviertel.
Sehr empfehlenswert.

Bewertung vom 15.07.2019
Ein Sommer in Brandham Hall
Hartley, Leslie Poles

Ein Sommer in Brandham Hall


ausgezeichnet

Sehr vielschichtig mit toller Prosa

Dies ist eine Neuauflage inklusive Neuübersetzung. Erstmalig ist der Roman 1953 unter dem Titel "The Go- Between" in Großbritannien erschienen und bislang schon zweimal verfilmt worden.
Der hier gewählte deutsche Titel passt aber ebenfalls sehr gut.

Worum geht es: England 1952. Leo Colston findet sein altes Tagebuch. Es dauert ein wenig, bis er sich erinnert....an den Sommer 1900, den er, fast 13 jährig, bei seinem Schulkameraden Marcus auf dessen Gutssitz Brandham Hall verbracht hat. Fast völlig verdrängt hatte er die dortigen Ereignisse, die sein folgendes Leben allerdings überschatten und prägen sollten. So wurde er Bibliothekar, statt wie erträumt Schriftsteller und statt eine Familie zu gründen, liess er sich nie auf eine Frau ein.

Leo als Junge ist ganz anders. Er ist sehr sensibel, mehr in der Phantasie zu Hause, denn in der Realität. Er verklärt die Dinge des Lebens, romantisch und magisch. Er ist ein sehr gefühlvoller Mensch, himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt, mit einer Leidenschaft fürs Extreme. Er macht sich zudem viele Gedanken über das richtige Verhalten, über Sünde, Schuld und Moral.
Leo verliebt sich in Brandham Hall das erste Mal, in Marian, die ältere Schwester von Marcus, weiss es allerdings gar nicht so recht. Diese wiederum ist Lord Trimingham versprochen, liebt aber eigentlich den Pächter und Bauern Ted Burgess. Marian und Ted bitten Leo, ihre wechselseitigen Briefe zu überbringen. Er tut dies auch, im ersten Glauben dies seien geschäftliche Briefe, wird aber immer unruhiger, als er erkennt, worum es eigentlich geht. Es könnte alles fatale Konsequenzen haben...

Der Roman ist in der Ich-Form geschrieben. Die elegante, gewählte Prosa gefiel mir sehr, mit all ihren Metaphern und der gut beschriebenen Stimmung, mit all den bösen Vorahnungen und dem stets drohendem Unheil, welches verhängnisvoll über den Köpfen schwebt. Der Stil ist manchmal pathetisch, oft sehr eindrücklich, tiefgründig, lebendig und neben der ganzen Dramataik- auch amüsant (hier gefielen mir die Flachsereien zwischen Marcus und Leo sehr gut sowie die stetige Besorgnis Leos, dass im Gottesdienst nicht mehr als 50 Strophen gesungen werden, da er mehr stehend nicht schaffen und dann wahrscheinlich umkippen würde).

Die sehr interessanten Charaktere sind fein und komplex angelegt und wirken dadurch sehr authentisch und überzeugend. Vor allem Leo ist sehr tief und differenziert gezeichnet, was mir unheimlich gut gefallen hat! Seine kindliche Sicht, seine Fragen, seine Zweifel, seine Neugier, seine Empfindsamkeit, all das wird sehr authentisch wiedergegeben. Sein Schicksal hat mich sehr berührt.

Der Roman beleuchtet vor allem die soziologisch-politische und psychologische Ebene. Es geht um die gesellschaftliche Etikette der damaligen Zeit und die Problematiken der Standesunterschiede sowie um das Heranwachsen und die Bewältigung innerer und äußerer Konflikte. Romantik versus Vernunft ist ebenfalls ein deutliches Thema, der Roman ist jedoch sehr vielschichtig, so dass man hier noch sehr viel mehr entdecken kann.

Fazit: Ein toll geschriebener, dramatisch ausgefeilter, psychologisch fein beobachteter und sehr berührender Roman, samt interessantem Sittengemälde und Lebensgefühl Englands um 1900.
Absolut empfehlenswert!

Bewertung vom 15.07.2019
Die Nickel Boys
Whitehead, Colson

Die Nickel Boys


sehr gut

Die Würde des Menschen...

Dies ist ein fiktiver Roman, der auf wahren Tatsachen beruht. Diese beziehen sich auf die Besserungs- und Verwahranstalt Florida School for Boys, welche von 1900 bis 2010 existierte.

Elwood ist ein ernsthafter, fleißiger, ehrlicher, kluger 16 jähriger Junge, der vom College träumt und bei seiner Großmutter lebt. Er ist jedoch schwarz und vieles ist gar nicht so einfach für ihn. Die Jim-Crow-Gesetze wurden noch nicht lange aufgehoben und die schwarze Protest- und Bürgerrechtsbewegung erstarkt so langsam. Großes Vorbild für Elwood und stets handlungweisend ist Martin Luther King.
Durch einen dummen Zufall landet Elwood in der Nickel Academy, einer Besserungsanstalt für Kinder und Jugendliche. Weiße und Schwarze werden streng getrennt voneinander untergebracht.
Elwood knüpft einige Freundschaften und hofft mit Hilfe seiner Großmutter und eines Anwalts so schnell wie möglich da wieder heraus zu kommen.
Das Regime ist hart. Es gibt heftige körperliche Gewalt, die bis zum Tode einiger Kinder führt.

Der Roman besteht aus drei Teilen. Elwood vor Nickel, Elwood in Nickel und Elwood nach Nickel.
Der Schreibstil ist detailliert und etwas nüchtern, gleich einem Bericht. Nicht hochspannend, aber fesselnd und mitnehmend.
Die Personen werden eher distanziert geschildert, zur Identifikation jedoch völlig ausreichend. Ich hoffte stets für Elwood und fiel doch immer wieder mit ihm. Die Geschehnisse berührten mich sehr, schockierten und empörten.
Die Übersetzung, ich glaube es liegt an der Übersetzung, mißfiel mir allerdings. Hier kamen immer mal wieder Wörter vor, die mich stolpern ließen und irgendwie nicht passten.

Ganz klar steht das gewaltige Unrecht der Rassentrennung und -diskriminierung im Fokus ebenso wie die Existenz solcher Besserungsanstalten. Nebenbei erhält man so einiges Hintergrundwissen über die damalige Zeit aus schwarzer Perspektive und spürt das Lebensgefühl.

Darüber hinaus werden Fragen nach dem richtigen Verhalten, nach Zivilcourage, nach dem Eintreten für Gerechtigkeit aufgeworfen. Wie kann man seinem Idealismus treu bleiben, wenn es um das nackte Überleben geht? Wie kann man in einem System überleben, in dem man im vorhinein schon schuldig ist? Was kann denn der Mensch ertragen? Wie hoch ist seine Leidensfähigkeit?
Hier wird sehr eindrücklich die menschliche Natur betrachtet und das nicht aus einem besonders rosigen Blickwinkel. Eine bittere und harte Realität wird schonungslos gezeigt, eigentlich unfassbar und unvorstellbar...

Bewertung vom 07.07.2019
Unsere Mütter
Wiebe, Silia

Unsere Mütter


ausgezeichnet

Sehr berührend!!!

Silia Wiebe, freie Journalistin, hat hier 13 Interviews zusammengestellt. 12 Frauen und 1 Mann erzählen von ihrer Beziehung zu ihrer Mutter. Die Interviews werden in Berichtform und in der Ich-Perspektive dargestellt. Zudem gibt es ein erklärendes Vor- und Nachwort sowie ein Extra Interview mit der Psychologin S. Stahl, welches für Menschen ganz interessant sein kann, die sich eher noch nicht allzu viel mit ihrer Mutterbeziehung auseinandergesetzt haben.

Ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen. Die Erzählungen sind wahnsinnig berührend. Mir kamen wirklich oft die Tränen und der Atem stockte mir.
Die Bandbreite der ausgewählten Interviewpartner mitsamt ihren Themen und Perspektiven ist sehr groß und facettenreich. Oft wünschte ich mir sogar noch mehr Informationen, aber das hätte sicher den Rahmen des Buches gesprengt. Für die gewählte Darstellungsform passt es allemal und gibt sehr viel Stoff zum Nachdenken und Nachfühlen. Die Interviews kann man sich durchaus auch mehrmals durchlesen, da sie voll interessanter Details stecken und eine starke Wirkkraft haben.

Ich bin selbst vor einer Weile Mutter geworden und fand es auch aus dieser Betrachtung heraus wahnsinng interessant und vor allem auch sehr hilfreich, zu sehen, was denn wirklich wichtig ist. Na klar, man weiss es ja eigentlich: Liebe, Zuwendung und Wertschätzung. Aber kommt es beim Kind auch so an? Und wie passt das mit dem Alltag zusammen? Und was, wenn das Kind ganz andere Werte vertritt? Ach, es gibt so viele Fragen, aber es gibt hier auch viele Antworten.

Besonders interessant fand ich, dass die ausgewählten Interviewpartner oft schon selbst im Erwachsenenalter waren und sich so ein großer Rahmen ergab, aus dem heraus erzählt und reflektiert wurde.
Ich kann gar nicht genau sagen, welches Interview mir am besten gefiel, mich berührte wirklich jedes. Von der Syrerin, deren Mutter ihr heilig ist; von der Zwillingstochter, deren Mutter sie zur Adoption in gute Hände gab; von der konsumorientierten Influenzerin mit der eher konsumnegierenden Psychotherapeutin als Mutter... Ich könnte jetzt einfach alle aufzählen- aber - lest es am besten selbst!

Mich hat es wirklich geflasht und ich glaube, dass es für alle Töchter und Mütter eine tolle, wertvolle und wirklich bereichernde Lektüre sein kann!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.07.2019
Find mich da, wo Liebe ist
Harris, Anstey

Find mich da, wo Liebe ist


gut

nette Unterhaltung

Die hochtalentierte Cellistin Grace verlässt nach einem Vorfall die Musikhochschule und kann seitdem – traumatisiert - nicht mehr vor anderen Menschen spielen. Stattdessen lässt sie sich zu einer Geigenbauerin ausbilden und macht sich selbständig. Privat ist sie seit 8 Jahren mit David zusammen, der jedoch verheiratet ist und Kinder hat. Seine Ehefrau weiss von der Affaire, nur die Kinder sollen weiterhin behütet aufwachsen. Eines Tages gerät jedoch dieses Arrangement in Gefahr...

Die Leseprobe versprach irgendwie mehr, als das Buch dann halten konnte. Titel und Cover passen auch nicht so recht zum Inhalt.
Mit Grace wurde ich nicht so ganz warm, ich konnte mich nicht gut in sie hinein versetzen. Einerseits erscheint sie so stark und andererseits so naiv David gegenüber und irgendwie weltfremd schüchtern. David empfand ich als unsympathisch und irgendwie zu blass. Hier ist es der Autorin nicht gelungen, seine Attraktivität plausibel zu machen.
Auch Nadja, die 17 jährige Aushilfe, erreichte mich nicht. Ich fand sie irgendwie zu klischeehaft. Eine schöne und hochbegabte Geigerin, mit starkem Charakter aus schwierigem und reichen Eltenhaus... Naja, und dann natürlich noch der gute, alte, allzeitbereite Helfer Mr. Williams, der in der größten Krise mit Rat und Tat zur Seite steht und auch selbst sein Glück (wieder) findet... der zwar sehr sympathisch war, aber doch auch wieder etwas unrealistisch...:)

Die Thematik "Betrug" war ein stetig wiederkehrendes Motiv. So gut wie jede Person hatte irgendwas mit einer vergebenen Person. Die großen Worte, dass dies eine Folge der patriarchalischen Gesellschaftsordnung sei, Frauen eigentlich zusammen halten und generell mehr fordern müssen, formuliert die Frau von David. Mr. Williams hingegen wirft da nur milde lächelnd ein, dass dies doch einfach in der menschlichen Natur liege... Daraus hätte man wahrlich mehr machen können.

Wirklich toll gefiel mir alles rund um das Thema Musik. Der Bau von Streichinstrumenten mitsamt den verschiedenen Holzarten, das Spielen und Üben, die Atmosphäre auf der Musikhochschule, die Schilderung des großen internationalen Geigenbauwettbewerbs im italienischen Cremona fand ich sehr gelungen, bereichernd und auch irgendwie erdend.
Parallel lauschte ich den erwähnten Musikstücken und fand einige wirklich sehr schön.

Insgesamt liest sich das Buch zudem flüssig und warmherzig und kann mit positiven Lebensbotschaften punkten.

Fazit: nette Unterhaltung

Bewertung vom 01.07.2019
Immer kommt mir das Leben dazwischen
Schrocke, Kathrin

Immer kommt mir das Leben dazwischen


sehr gut

Sehr witzige und clevere Unterhaltung!

Karl, 13 Jahre, hat im Traum von seinem sehr geliebten, aber leider verstorbenen Opa den Rat bekommen, Youtube Star zu werden. Einige Tage später dann sogar den Auftrag, seiner Oma zu helfen in ein Mehrgenerationenhaus, in das "Hippihaus"zu ziehen, entgegen dem Willen der ganzen Familie. Und so geschieht es dann auch. Karls Zwillingscousins Master und Desaster helfen ihm dabei.
Allerdings wird es nun etwas schwierig, denn er bekommt Probleme mit der Polizei und muss sein (lebensnotwendiges) Handy abgeben, er muss das Geheimnis der Oma bewahren, zwischen seinen Eltern beginnt es zu kriseln, gleichzeitig ist er in Irina verliebt oder doch in Larissa (?) und obendrein soll er noch heraus finden, womit er denn als Youtube Star berühmt werden kann...

Es ist wirklich absolut witzig, ironisch, stellenweise gar satirisch geschrieben, ich habe mich sehr amüsiert. Der Schreibstil ist sehr angemessen, locker, leicht und immer wieder für Situationskomik zu haben. Manchmal, selten, wirkt es etwas zu sehr überzeichnet. Ein paar ernstere Töne und ein paar Lebensweisheiten sind ebenfalls dabei, platt ist dieser Roman eher nicht. Zudem sind Karls Eltern Neurowissenschaftler und Biologen, die in den verschiedensten Situationen mit interessanten Fakten aufwarten..:) Das Erzähltempo ist generell recht hoch, so dass es nicht langweilig wird.

Die Entwicklung der Charaktere ist insgesamt nur angedeutet. Thematiken Älter werden, Einsamkeit, Beziehungen, Liebe, Krankheit, social media und einige andere werden berührt, aber nicht allzu sehr vertieft, so dass der Leser selbst entscheiden kann, womit er sich etwas tiefer auseinandersetzen möchte.

Eine witzige und kluge Lektüre für Leute ab 12 Jahren. Besonders, wenn mal schlechte Laune angesagt ist, es heitert nämlich garantiert auf!

Bewertung vom 26.06.2019
Die Stille des Todes / Inspector Ayala ermittelt Bd.1
Garcia Saenz, Eva

Die Stille des Todes / Inspector Ayala ermittelt Bd.1


sehr gut

Pageturner aus dem Baskenland

Vitoria- Gateis, die Hauptstadt Baskenlands. Es geschehen ritualisierte Doppelmorde. Genau wie vor 20 Jahren. Der damals verurteilte Täter, Tasio Zarate befindet sich seitdem in Haft, steht aber kurz vor einem Hafturlaub. Sein Zwillingsbruder Ignacio Zarate, der damalige Polizeichef überführte Tasio. Aber war Tasio wirklich der Täter?

Im Mittelpunkt der Ermittlungsarbeit steht Inspektor Unai Ayala, genannte Kraken (Tintenfisch), der vor einiger Zeit seine Frau und seine noch ungeborenen Zwillinge verlor. Er ermittelt gemeinsam mit seiner Kollegin und guten Freundin Estibaliz Gauna, die früher einmal drogenabhängig war. Sie bekommen zudem eine neue Vorgesetzte, Alba Salvatierra. Zwischen ihr und Kraken knistert es gewaltig, allerdings ist sie verheiratet. Das hört sich vielleicht alles ein wenig schräg an, aber es ist gut geschrieben und es macht Spaß, diese Charaktere zu begleiten.
Man erfährt ein wenig aus deren Privatleben und lernt einige Familienangehörige kennen. Insbesondere der schon betagte, aber sehr clevere Großvater von Kraken hat es mir angetan. Die Freundschaft zwischen Kraken und seiner Kollegin hat mich allerdings irgendwie nicht so recht überzeugt. Irritierend fand ich zudem gegen Ende eine Situation, in der er sehr wütend auf sie war und sagte, er werde ab sofort nicht mehr mit ihr zusammen arbeiten, aber danach geht alles weiter wie zuvor, als wäre nichts geschehen. Es war zwar kurz vor dem Showdown, aber dennoch...

Parallel gibt es einen zweiten Erzählstrang in einer anderen Zeitebene. Es ist zu Beginn der 70er Jahre und im Fokus stehen der unglücklich verheiratete Arzt Dr. Urbina sowie Blanca, die unglücklich Verlobte eines sehr reichen, mächtigen und sehr gewalttätigen Industriellen. Zwischen den beiden entwickelt sich eine zarte Beziehung....
Die Stimmung ist hier recht düster, traurig und auch berührend. Dieser Erzählstrang hat mir ausnehmend gut gefallen und ich fand es sehr schade, dass er nach der Hälfte des Buches schon größtenteils beendet war.

Darüber hinaus erfährt man so einiges über das Baskenland. Man lernt Traditionen, Feste, Alltagsgewohnheiten sowie altertümliche Gemäuer, Denkmäler und Landschaften kennen. Dies fand ich insgesamt sehr gelungen und bereichernd und machte gar Lust sich Vitoria und Umgebung mal anzuschauen.

Die ganze Ermittlungsentwicklung und "verwicklung" fand ich bis zur Häfte des Buches ungeheuer spannend. Dann wurden Täter und Motiv relativ klar. Ab hier ging es im Grunde nur noch darum, den Täter zu finden und möglichst weitere Morde zu verhindern. Für mich war dies dann nicht mehr ganz so spannend, irgendwie war die Luft etwas raus. Dennoch liess sich der Krimi gut zu Ende lesen. Die Kapitel sind relativ kurz und enden oft an kleinen Cliffhängern, so dass man das Buch einfach nicht zuklappen kann..:)
Der Showdown war dann klassisch. Allerdings fand ich die noch eingeschobene private Verbindung des Täters zu konstruiert. Das gefiel mir irgendwie überhaupt nicht.

Noch positiv zu erwähnen sind das angehängte Glossar und Personenverzeichnis, der faire Preis sowie der baldige Erscheinungstermin des 2. Bandes (Oktober 2019).

Fazit: Alles in allem ein kurzweiliger, vor allem in der ersten Häfte sehr spannender Krimi, mit einem sympathischen Ermittler und interessanten Einblicken ins Baskenland.
3,5 Punkte