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ulrikerabe
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Österreich

Bewertungen

Insgesamt 195 Bewertungen
Bewertung vom 07.07.2019
Bell und Harry
Gardam, Jane

Bell und Harry


ausgezeichnet

Bell und Harry sind zwei Jungen aus zwei unterschiedlichen Familien. Bell Teesdale ist acht Jahre alt, als die Londoner Familie Bateman das alte Farmhaus seines Grandad als Ferienhaus pachtet. Bell schließt eine Freundschaft für Leben mit dem etwas jüngeren Harry Bateman.
In neun lose aneinandergereihten Geschichten erzählt die britische Autorin Jane Gardam von dem Leben auf dem Land, vom Heranwachsen und von Freundschaft.
„Hollow Land“ heißt das Buch im Original (und ist im Englischen schon 1981 erschienen), hohles Land. „Es gab hier mal Bergbau ¬– deswegen wird die Gegend auch ‚Hohles Land‘ genannt –, aber jetzt nicht mehr. Also sind die ganzen kleinen Häuser verlassen.“, berichtet Bell gleich zu Beginn des Buches. Die Menschen leben einfach aber gehaltvoll. Landwirtschaft, Schafzucht, mit eigenen Händen erarbeitete Lebensmittel, so leben die Menschen dort am Land im Norden Englands. Die Städter kommen, um sich von London auszuruhen.
So sind auch Konflikte vorprogrammiert, wenn Großstadt und Landleben aufeinanderprallen, wenn das Heu machen zu Krach führt, schlimmer als am Picadilly Circus. Doch sie nähern sich an, die Batemans und die Teasdales. Vor allem Harry und Bell finden zueinander, ihre kindliche Neugierde, ihr Entdeckerdrang und ihre Unvoreingenommenheit einander gegenüber macht es ihnen leicht.
Jane Gardam zeigt viel Liebe zur Sprache und ihren Figuren. Gefühlvoll, witzig und intelligent lässt sie uns an Sommer wie damals erinnern.
Ein feines Buch über Freundschaft, im Sommer (aber natürlich nicht nur) sehr zu genießen.

Bewertung vom 05.07.2019
Im Freibad
Page, Libby

Im Freibad


sehr gut

Ihr ganzes Leben hat Rosemary in Brixton verbracht. Dass das örtliche Freibad wegen finanzieller Schwierigkeiten geschlossen und stattdessen Luxuswohnungen errichtet werden sollen, trifft Rosemary sehr. Als Rosemary die junge Journalistin Kate kennenlernt, treten die beiden Frauen gemeinsam an, den Fortbestand des Freibades zu sichern.

„Im Freibad“ ist ein absoluter Sommerroman. Schon das frische Cover lädt herzlichst ein, sich auf dieses Buch ein zulassen. Libby Page erzählt eine wohltuende Geschichte über die Freundschaft zweier sehr unterschiedlicher Frauen. Vor allem die 86-jährige Rosemary habe ich sehr schnell ins Herz schließen können. Ich hatte beim Lesen immer wieder das Gefühl, Rosemary auf ihren alltäglichen Wegen begleiten zu dürfen. Ihre liebevollen Erinnerungen an George, ihren verstorbenen Ehemann, aber auch ihre Entschlossenheit, an das Gute zu glauben, machen sie zu einem ganz besonderen Charakter.
»In Brixton haben wir ein Schwimmbad«, sagt sie. »Und ich gehe dort seit achtzig Jahren schwimmen. Das Freibad ist mein Zuhause. Aber nicht nur meins, es bedeutet dem gesamten Viertel so viel.«
Und es ist auch das ganze Viertel, das sich mit Rosemary und Kate gegen Paradise Living und die Stadtverwaltung stellt.
Ein sehr feines Buch über Freundschaft, Zusammenhalt und Veränderung!

Bewertung vom 03.07.2019
SCHWEIGEPFLICHT / Stockholm-Reihe Bd.1
Lapidus, Jens

SCHWEIGEPFLICHT / Stockholm-Reihe Bd.1


gut

Gerade hat Emelie Jansson die Anwaltsprüfung bestanden, einer Karriere als aufstrebende Juristin in einer großen Wirtschaftskanzlei steht nun nichts mehr im Wege. Völlig überraschend wird sie von dem jungen Benjamin als Strafverteidigerin genannt. Er soll in einem Sommerhaus einen Mann erschossen haben, kann sich aber aufgrund einer Kopfverletzung an nichts erinnern. „Teddy, bitten Sie ihn zu verstehen“, sagt Benjamin zu Emelie bei ihrem ersten Gespräch.
Teddy ist der Mann fürs Grobe, Ex-Knacki, Ex-Mitglied der Serbenmafia, und nun steht er im Auftrag der Anwaltskanzlei, bei der auch Emelie beschäftigt ist. Gemeinsam mit der jungen Anwältin sieht er sich bald verstrickt in einen undurchsichtigen und höchst brisanten Fall.
Drogen, Glücksspiel, Waffenhandel, Geldwäsche, Kinderpornografie, Korruption, Gangsterkriege: Jens Lapidus lässt in seinem harten, brutalen, aber auch ziemlich langatmig überfrachteten Thriller keine kriminelle Aktivität aus. Serben, Syrer, Türken, jeder gegen jeden und dazwischen steht die kluge, aber unbedarfte Emelie. Ihr zur Seite stehen Teddy und dessen missratener Neffe Nikola. Da wird schnell einmal geschossen, etwas abgefackelt, mit Baseballschlägern bearbeitet. Die Sprache ist rotzig, es wimmelt von Bros, Scheiß, fucking, naic. Das kann man mögen, muss ich aber nicht. Mir gefielen die wenigen Szenen, in denen es um juristische Arbeit ging. Dafür aber rundherum 600 Seiten aufzuwenden, wäre nicht unbedingt nötig gewesen.

Bewertung vom 01.07.2019
Die Stille des Todes / Inspector Ayala ermittelt Bd.1
Garcia Saenz, Eva

Die Stille des Todes / Inspector Ayala ermittelt Bd.1


ausgezeichnet

Vor 20 Jahren erschütterten bizarre Morde die kleine Stadt Vitoria im Baskenland. Es ist immer ein Paar, sie sind gleich alt und sie kannten einander nicht. Ein Täter wurde damals ausgemacht und verurteilt. Doch heute liegen wieder zwei Opfer, genauso wie damals in der Kathedrale von Vitoria. Inspector Unai Ayala und seine Kollegin müssen den wohl schwersten Fall ihrer Karriere lösen. Da bietet der Täter von damals seine Mithilfe an.
Die baskische Autorin Eva Garcia Saenz lässt Inspector Ayala, genannt Kraken, hier zum ersten Mal ermitteln. Der Fall ist in ihrer Heimatstadt Vitoria angesiedelt. Neben einer wirklich fesselnden Handlung schreibt die Autorin aber mit ganz viel Liebe zum Detail auch über ihre Stadt und deren Bewohner. Es ist ein grandioser atmosphärischer Sog, den ich beim Lesen dieses Buches erleben durfte. Das Original ist in Spanien schon 2016 erschienen. Es war wirklich Zeit für die deutsche Übersetzung! Zum Glück wirft der Fischer Verlag die nächsten beiden Bände schon bald ins Rennen. Für mich ein absolutes Muss, in dieser Reihe weiterzulesen.

Bewertung vom 01.07.2019
Dschungel
Karig, Friedemann

Dschungel


gut

Felix reist nach Kambodscha. Als es seit vier Wochen keine Nachricht mehr von ihm gibt, reist sein Freund und der Erzähler der Geschichte ihm nach, um Felix zu suchen.
Der Erzähler bleibt den ganzen Roman lang namenlos. Er lässt sich von Felix Mutter überreden, nach Kambodscha zu fliegen, obwohl er fliegen hasst. Überhaupt ist der Erzähler eher ein beständiger Typ. Gar nicht so wie Felix, der in dieser Freundschaft immer derjenige war, der den Ton angab. In Rückblenden erfahren, wie sich die beiden Jungs im Alter von sieben Jahren nach einer Schulhofrangelei angefreundet haben und seit her immer miteinander verbunden waren. Auf die eine oder andere Weise. Es ist eine ungesunde Freundschaft, Felix ist der Macher, der Erzähler, der Mitmacher. Dabei wäre der Erzähler manches Mal so gerne wie Felix. „Ich wäre so gern wie du“, der Affensong aus Dschungelbuch wird zum Soundtrack des Buches. Der Erzähler besucht in Kambodscha dieselben Orte wie Felix, wohnt im selben Hotel, schläft mit derselben Frau. Letztlich endet eine große Suche damit, wie der Erzähler sich selbst verliert.
Friedemann Karigs Romandebüt Dschungel ließ sich von mit nicht ganz so leicht einordnen. Es liest sich wie eine Mischung aus Jugend- und Abenteuerroman. Ein bisschen wie Herr der Fliegen nur ohne die Opfergaben. Karig kann schreiben, es bietet kleine sprachliche Schätze. Dann wiederum ist man von der Selbstherrlichkeit Felix‘ derartig genervt, dass man sich wünschen würde, der Dschungel hätte diesen Mann einfach verschluckt, um ihn nie wieder herauszugeben. Etwas gewundert hat mich, dass ein junger Mann, der das Dschungelbuch klein wenig zu seiner Hymne gemacht hat, den Namen Akela nicht einordnen kann. So wie Karig den Anführer einer Hippiekommune nennt, scheint er überhaupt gerne mit Namen zu spielen. Felix, der Glückliche, Lillith, die erste Frau im Paradies, nur dem Erzähler ist kein Name vergönnt.
Vielleicht bin ich einfach nicht Zielgruppe, weiblich fast fünfzig, gutbürgerliches Auskommen. Aber „jung und wild“ muss ja nicht gleich „verantwortungslos und egoistisch“ bedeuten.

Bewertung vom 20.06.2019
Das wilde Leben der Cheri Matzner
Barone, Tracy

Das wilde Leben der Cheri Matzner


ausgezeichnet

5. August 1962
• Marilyn Monroe stirbt an Tabletten-Überdosis
• Jamaika feiert Unabhängigkeit
• Nelson Mandela wegen unerlaubten Grenzübertritts ins Südafrika verhaftet
• Trenton, New Jersey: Stromausfall im St. Mercy Hospital
• Auffahrunfall an der New Jersey Turnpike: zwölf Fahrzeuge beteiligt, schlimmster Unfall in der Geschichte des Staates
…und ein kleines Mädchen wird geboren. Es ist schon ein turbulenter Start ins Leben für die spätere Protagonistin. Die jugendliche und drogenabhängige Mutter lässt ihr Baby in der Klinik zurück. Der Arzt Solomon Matzner wickelt einen Adoptionsdeal ab, nachdem seine Frau Cici und er ihren Sohn kurz nach dessen Geburt verloren haben.
Es ist ein turbulentes Leben, das Cheri Matzner fortan lebt. Cheri revoltiert gegen ihre Eltern, den jüdischen Arzt Solomon und die temperamentvolle italienischstämmige Mutter Cici.
Cheri erfüllt keine Erwartungen, ihr Lebensweg ist keineswegs geradlinig. Mit 40 scheint sie an der Seite ihres um einiges älteren Mannes Michael zur Ruhe zu kommen. Ein Status, der Cheri so gar nicht liegt, doch das Schicksal weist Cheri in ihre Schranken.
„Das wilde Leben der Cheri Matzner“ von Tracy Barone ist ein amerikanischer Roman, der besser nicht geschrieben sein könnte. Nur der Originaltitel ist ein bisschen russisch. Über die „Happy Family“ hatte Tolstoi schon einiges zu erzählen. Das berühmte Zitat aus Anna Karenina ist diesem Roman als Motto voran gestellt.
Die Protagonistin Cheri ist ein sehr vielschichtiger Charakter. Mal mochte ich sie, mal nervte sie mich ungehörig, ich liebte, litt, lachte, trauerte, fluchte und freute sich mit ihr. Cheri ist auf der ständigen Suche, nach ihrer Herkunft, ihrem Platz im Leben ihrer Identität. Man möchte manches Mal glauben, John Irving hat seine weibliche Seite endlich rausgelassen und schickt nun Cheri Matzner ins Rennen mit all seinen herrlich suchenden Charakteren.
Tracy Barone schreibt ohne rührseligen Kitsch, sogar beim Sterben findet sie den richtigen Ton. Von dieser Autorin möchte ich mehr, viel mehr lesen!

Bewertung vom 17.06.2019
Die Nickel Boys
Whitehead, Colson

Die Nickel Boys


sehr gut

Elwood Curtis wächst bei seiner Großmutter auf, nachdem seine Eltern sich eines Tages nach Kalifornien davonmachten. Elwood ist klug und fleißig, besonnen und ehrgeizig. Neben der Schule jobbt er in einem Tabakladen. Sein Geschichtslehrer verhilft ihm zu vorgezogenen Collegeseminaren.
Elwood lebt in Tallahassee, Florida. Es ist 1962 als er 16 Jahre alt ist. Elwood ist schwarz.
Colson Whitehead schreibt in „Die Nickel Boys“ einen aufrüttelnden Roman. Es ist die fiktive Geschichte von Elwood, die sich aber genauso zugetragen haben könnte. Es ist ein tragisches Missverständnis, dass den jungen Elwood in die Besserungsanstalt bringt. Heute würde man sagen, ein Justizirrtum, eine himmelschreiende Ungerechtigkeit. Doch in den Südstaaten der 1960er kräht kein Hahn nach Gerechtigkeit und Menschlichkeit für Schwarze. Elwood gerät unverschuldet in die Mühlen weißer Gerichtsbarkeit. Dabei ist es gar nicht mal so, dass es den weißen Jugendlichen in der Anstalt gut erginge, aber den schwarzen Jungen ergeht es nochmal um einiges schlechter. Prügelstrafen, sexueller Missbrauch, Eisenringe und Ketten erinnern an die dunkelsten Zeiten amerikanischer Geschichte. Vielleicht kann man dem Autor vorwerfen, er würde zu emotionslos oder zu distanziert erzählen. Muss ich über jede Grausamkeit detailliert Bescheid wissen. Ich finde, nein. Mittlerweile geht mein Vorstellungsvermögen, darüber, was der Mensch dem Menschen anhaben kann, ins Unermessliche. Dazu braucht es keine Details, die möchte und muss ich nicht lesen, um trotzdem erschüttert zu sein.

Bewertung vom 16.06.2019
All das zu verlieren
Slimani, Leïla

All das zu verlieren


gut

Adele hat scheinbar alles im Leben um glücklich zu sein. Ihr Mann Richard ist wohlsituierter Arzt, der Sohn Lucien ein gesundes Kind. Ihr Job als Journalistin bringt sie zu politisch brisanten Brennpunkten. Und trotzdem ist sie leer, auf der Suche nach etwas, will sich spüren und gespürt werden. Sie führt ein Doppelleben wohl verborgen vor ihrem Mann, führt Männerbekanntschaften, oft nur für eine Nacht. Es sind keine liebevollen Affären, mitnichten. Adele bewegt sich unaufhörlich in einer Spirale von sexueller Gewalt.
Leila Slimani erzählt hier von einer sehr schwierigen Frau, einer zerrissenen Frau, die ihre bürgerliche Fassade wahren möchte, aber für die das „Normale“ nicht mehr gut genug ist, die immer mehr, immer schnelleren und immer brutaleren Kick braucht. Adele hadert mit ihrer Rolle als Ehefrau, als Mutter. Adeles Kindheit bei einer abweisenden Mutter, die Adele nur beim Vornamen nennen kann, wird angerissen. Liefert aber zu wenig an Erklärung für Adeles Werdegang. Das ganze Ambiente ist spießbürgerlich. Das typische französische „Sie“ zwischen den Schwiegerleuten, die moralinsaure Schwiegermutter, die Adele „meine kleine Adele“ nennt. Man will Adele zurufen „Nimm die Beine in die Hand und lauf davon!“ Aber Adele bleibt, und missbraucht, lässt sich missbrauchen, tanzt am Rande des Abgrunds.
„Sie ist euphorisch, wie Betrüger es sind, die man noch nicht entlarvt hat. Voller Dankbarkeit, geliebt zu werden, und starr vor Angst bei der Vorstellung, all das zu verlieren.“
Erzählen kann Leila Slimani. Obwohl Adele in ihrem Wesen mir immer fremd blieb, und ich muss eine Protagonistin nicht mögen oder verstehen, zieht die Geschichte einen in den Strudel von Betrug, Verrat, Missbrauch. Slimani will verstören und das schafft sie durchaus. Aber unter dem Strich gibt es keine Entwicklung, kein Fazit, außer dass Sucht in die Katastrophe führt. Nun, dass ist nichts Neues. In Leila Slimanis Essayband Sex und Lügen merkt man kann ganz eindringlich, wie ihr die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen am Herzen liegt. Doch mit Adele bringt sie einfach nur einen psychisch kranken Menschen- Adele, die scheinbar hilflos ihren Obsessionen ausgeliefert ist - auf die Bühne. Ich will von starken Frauencharakteren lesen, wenn gerühmt wird, dass die Autorin „intelligent von Frauen“ schreibt. Ich will nicht von Frauencharakteren lesen, denen man nachsagen möchte, sie hätte das ja genau so gewollt!

Bewertung vom 14.06.2019
Zehn Stunden tot / Fabian Risk Bd.4
Ahnhem, Stefan

Zehn Stunden tot / Fabian Risk Bd.4


weniger gut

In Helsingborg, einer kleinen schwedischen Stadt an der Küste geht das Verbrechen um. Ein kleiner Junge syrischer Herkunft wird tot aufgefunden, eine Frau bekommt ungewollten nächtlichen Besuch, ein Supermarktangestellter wird vor den Kunden niedergemetzelt. Die Polizei und Spurenermittler haben alle Hände voll zu tun. Vor allem weil die Polizeichefin gerade auf Entzug und Kommissar Fabian Risk beurlaubt ist. Risk muss nicht nur seine privaten Probleme auf die Reihe bringen, in seiner Freizeit will er einen Mörder finden, den er in den eigenen Reihen vermutet.
Stefan Ahnhem will sehr viele Geschichten erzählen und greift dabei sehr tief in sämtliche Schubladen. Pädophile, Rechtsradikale, Psychopathen, eigentlich lässt er kein 0815 Klischee aus. Darüber hinaus wirken sämtliche Stränge überkonstruiert und verwirren den Leser mehr als ihn zu fesseln. Die Sprache ist simpel, platt, vulgär und frauenfeindlich.
Für ein Quereinsteiger in die Reihe um Fabian Risk ist dieser Band nicht geeignet. Dass ich die Vorgänger nicht kannte sollte ich dem Buch nicht unbedingt anlasten. Doch gibt es genug Autoren die ihre fortgesetzten Geschichten durchaus ohne vorausgesetztes Wissen so erzählen können, dass nicht nur Insider der Handlung folgen können. Aber Stefan Ahnhem gönnt uns auch kein schlüssiges Ende, keiner der vielen Handlungsstränge führt zu einer Aufklärung und der Autor lässt den Leser am langen Arm verhungern Fortsetzung folgt –für mich sicher nicht.

Bewertung vom 10.06.2019
Niemals ohne sie
Saucier, Jocelyne

Niemals ohne sie


ausgezeichnet

Die Cardinals sind mit 21 Kindern eine wahrliche Großfamilie. In der kleinen frankokanadischen Gemeinde Norco lebt die Familie, seit der Vater dort ein großes Zinkvorkommen entdeckt hat. Es ist ein einfaches und ungestümes Leben in einem beengten chaotischen Haushalt. Die Mutter ist Herrscherin über die Kochtöpfe, die älteste Tochter Emilienne Hüterin der Kinder. Der in Aussicht gestellte Reichtum schwindet jedoch, als die Bergbaugesellschaft die Mine schließt und Albert Cardinal sich betrogen fühlt. Die älteren Kinder planen nun Rache an der Gesellschaft zu nehmen und lösen damit ein Ereignis aus, dass die Familie auf immer belastet.
Jocelyne Saucier rollt in ihrem Roman „Niemals ohne sie“ eine ganz besondere Familiengeschichte vom Ende her auf. Sie erzählt von einem Familientreffen, lange nach der Katastrophe, als alle Cardinals anlässlich einer Ehrung des Vaters zusammen kommen. Die Kinder sind längst alle erwachsen und leben in alle Winde zerstreut. Langsam führt uns die Autorin an die Ereignisse von früher heran, bringt eine über Jahre unausgesprochene Wahrheit zu Tage. Es ist eine Geschichte über Familienzusammengehörigkeit, Schuld und Verdrängung. Jocelyne Saucier verleiht einigen Familienmitgliedern eine Stimme. Dabei beginnt sie mit „Matz“, dem jüngsten Kind der Familie, eine großartige Strategie, denn Matz kennt als Nesthäkchen die Familienvergangenheit, als die Cardinals die Kings von Norco waren selbst nur aus Erzählungen. Nach und nach lesen wir von den rauen Umgangsformen unter den Geschwistern, dem ständigen Kampf um Anerkennung und den richtigen Platz in der Rangordnung. Aber wir lesen auch vom Untergang einer ehemals florierenden Stadt, als die Einkommensquelle nach der Schließung der Mine versiegt ist. So wie der Vater Cardinal mit Leidenschaft nach Erz suchte, so schürft die Autorin Schicht für Schicht um ein tragisches Familiengeheimnis ab.
Niemals ohne sie ist eine ungezähmte Geschichte, eine Tragödie und dabei doch voller berührender Momente.