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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Emmmbeee
Wohnort: 
Feldkirch

Bewertungen

Insgesamt 110 Bewertungen
Bewertung vom 28.08.2020
Gipskind
Kögl, Gabriele

Gipskind


ausgezeichnet

Ein starkes Mädchen
Andrea, bis zur Mitte des Buches nur «die Kleine» genannt, wird in eine beinahe archaische Welt hineingeboren, in der Höheres keinen Platz hat. Wegen ihrer Hüft-Fehlstellung und den X-Beinen ohnehin benachteiligt, erfährt sie Zuneigung nur von ihrer Grossmutter. In der Familie geht es einzig und allein darum, dass man zu essen hat und endlich halbwegs anständig wohnen kann.
Als die Pubertät einsetzt, sieht sich das Kind mit der Geilheit seiner Umgebung konfrontiert. Es spürt, wie stigmatisierend wachsende Brüste sein können. Als ein Kredit erreicht werden soll, wird das Mädchen gezielt eingesetzt, um den Vermittler, diesen schmierigen Kerl, günstig zu stimmen. Auch auf Zeltfesten fühlt sich Andrea für die Zwecke ihrer Eltern missbraucht.
Doch die starke Andrea kämpft sich durch das Leben, wenn es sein muss, auch mit Tritten ins Gesicht eines Lustmolchs. Sie weiss inzwischen, was sie will und wie sie es trotz ihres körperlichen Handicaps durchsetzen kann. Ihr junger Freund hingegen zaudert, sich den Wünschen seiner Familie zu widersetzen.
Kögl erzählt in volkstümlichen Ton, wie das einfache Volk (der Südsteiermark?) eben spricht. Doch etwa ab der Mitte des Romans ändert sich die Sprache merklich, hat weniger Dialektausdrücke, wird gepflegter, zeigt die geistige Wandlung Andreas. Was mir noch aufgefallen ist: Alle Vornamen beginnen mit A, ausser die von Personen, die deutlich aussen vor bleiben, etwa Gottwald und Andreas Eltern.
Sympathisch sind vor allem die Grossmutter und das Mädchen Andrea, das sich von nichts unterkriegen lässt. Bei Freund Arthur kommt sie mit den Schönheiten der Musik in Berührung und befindet sich mit ihm bald auf gleicher geistiger Höhe. Und das gönnt ihr der Leser von Herzen.
Mit Spannung und Tempo geschrieben, in lebendigem, farbigem Stil, ist es ein Buch, das ich aufs wärmste empfehlen kann. Das bescheiden gehaltene, nachdenklich wirkende Coverbild passt hervorragend zum Inhalt. Von Gabriele Kögl kenne ich bereits «Vorstadthimmel» und kann den guten Eindruck, den ich davon gewonnen habe, beim neuen Roman nur bestätigen.

Bewertung vom 08.08.2020
Der letzte Satz
Seethaler, Robert

Der letzte Satz


gut

Gustav Mahlers Rückkehr

1911: Einer der ganz grossen Musiker des 20. Jahrhunderts befindet sich auf einem Ozeandampfer. Er kehrt von New York nach Wien zurück, behaftet mit einer schmerzhaften Krankheit. Während er allein auf Deck sitzt, betreut von einem Schiffsjungen, lässt er sein bisheriges Leben und Schaffen an sich vorüberziehen. Natürlich spielt darin seine berühmte Frau Alma eine grosse Rolle, aber auch der Schmerz um die verstorbene Tochter. Mahler weiss, dass sein Leben nicht mehr lange währen wird und denkt wehmütig an all die Werke, die er noch hätte komponieren können.
Im Erzählfluss mischen sich Vergangenheit und Gegenwart, Erfolg und Eifersucht, Intrigen an der Wiener Oper, die kleinen Niederlagen durch die eigene Lebensuntüchtigkeit und die Triumphe in der Neuen Welt. Trotz allem Erfolg ist Mahler ein Mann auf dem Abstieg.
Robert Seethaler schildert das alles gekonnt, nahegehend, poetisch mit viel Farbe und in meisterhaftem Stil, den ich an ihm schätze.
Der Schiffsjunge, welcher den Komponisten umsorgt, hat meine Sympathien gefunden. Doch habe ich mir insgesamt ein wenig Spannung gewünscht. Irgendetwas bisher Unbekanntes aus Mahlers Vita, ein unvorhergesehenes Ereignis, und wenn es noch so klein ist. Etwas wie ein Stein, der die Melodie des Baches verändert. Die See der Schilderungen scheint mir allzu ruhig. Vielleicht weiss ich zu viel vom Komponisten und der Roman hat mich deshalb etwas gelangweilt. Sehr ansprechend und passend fand ich die Gestaltung des Covers.

Bewertung vom 07.08.2020
Das Leben ist ein wilder Garten
Buti, Roland

Das Leben ist ein wilder Garten


gut

Unter meinen Erwartungen geblieben
Das Leben des Landschaftsgärtners Carlo wird arg über den Haufen geworfen, als seine Frau ihn verlässt. Die Tochter hält sich in London auf, sein Hilfsgärtner wird scheinbar grundlos verprügelt. Als die demente Mutter nicht mehr aufzufinden ist, scheint das Unglück vollkommen.
Auf der Suche nach ihr kommt Carlo nach und nach ihrer bisher unbekannten Vergangenheit auf die Spur. Doch als die alte Dame wiedergefunden wird, währt die Freude nicht lang.
Grad aus dem Sitz gerissen hat mich dieser Roman nicht. Immerhin hat er ein paar schöne Teile, etwa die Beschreibung der Ausstellung in London. Gut hat mir auch die Stelle gefallen, wo die Mutter des Erzählers im Hotelzimmer aufgefunden und angekleidet wird.
Der Schreibstil ist gepflegt, wenn auch die Schilderungen meist blass ausfallen und der Spannungsbogen nicht sehr straff ist. Einige zaghafte Ansätze von Humor und diverse Eigenreflexionen, ebenso kleine philosophische Erkenntnisse sind wie Blumen in den Garten der Schilderungen eingestreut.
Das Cover verheisst jedenfalls mehr Frische und Jugendlichkeit. Was über die Vergangenheit der alten Dame herausgefunden wird, genügt für das Bild nicht. Die Art, wie Carlo für eine Nacht wieder mit seiner Frau Ana zusammenkommt, ist für mich zu wenig glaubhaft geschildert. Zum Glück war ich mit Lesen schnell durch.
Diesen Roman empfehle ich nicht weiter, da er in meinen Augen nur mittelprächtig ist.

Bewertung vom 03.08.2020
Die Tanzenden
Mas, Victoria

Die Tanzenden


sehr gut

Verstörende Vorgänge
Lange war mir nicht klar, was es mit dem Titel auf sich hat. War damit ein imaginärer Tanz im Kopf gemeint, unbemerkt von Angehörigen, Ärzten, Pflegepersonal und Mitpatienten? Denn von der Ballnacht ist erst spät die Rede. Im Originaltitel wird sie hingegen gleich angesprochen.
Frauen jeden Alters, die man oft bereits als Kind für irr, gestört, geisteskrank erklärt hat, fristen in der Pariser Salpêtrière ihr unwürdiges Dasein.
Sie werden gedemütigt, vor männlichem Publikum zu Versuchen vorgeführt und missbraucht, in deren Verlauf nicht selten irreparable Schäden angerichtet werden. Und das alles zum Wohl der Wissenschaft (erinnert stark an die Verbrechen der Nazi-Ärzte) und eines nun ungestörten Treibens ihrer Ehemänner und der Gesellschaft. Denn die Frauen haben gewagt, eigenständig zu denken, ihre Rechte einzufordern, ihre aussergewöhnlichen Fähigkeiten nicht geheim halten zu müssen, einfach ein gleichgestellter Mensch sein zu wollen.
So jung sie noch ist, verfügt Victoria Mas bereits über viel Einfühlungsvermögen und Kenntnis der menschlichen Psyche. Es ist eine verstörende Lektüre, besonders wenn man bedenkt, dass die geschilderten Praktiken keineswegs erfunden, sondern noch vor gar nicht so langer Zeit tatsächlich durchgeführt wurden. In unlarmoyantem Stil, mit Spannung und Eindringlichkeit geschrieben, hat mich der Text ungemein gefesselt.
Meine Sympathie gilt vor allem der kämpferischen Eugénie und Louise, die sich dagegen wehren, unschuldig in eine wahre Hölle weggeschlossen worden zu sein. Mir gefiel auch die strickende Thérèse, ein stabiler Fels inmitten des Schlafsaals, die so tragisch endet. Zwiespältig denke ich über Geneviève, die sich um die Freilassung von Patientinnen bemüht, was ihr letztlich zum Schaden gereicht. Ganz schlimm der eitle Arzt Charcot.
Ein wichtiges Buch über ein Thema, von dem viele bis heute die Augen verschliessen.

Bewertung vom 30.07.2020
Ein Sonntag mit Elena
Geda, Fabio

Ein Sonntag mit Elena


gut

Die Brücken zueinander

Erstmals versucht sich der verwitwete Vater am Herd für ein Mittagessen mit der Familie der älteren Tochter Sonia. Doch ein Unglücksfall bewirkt, dass er auf den durchaus gelungenen Speisen quasi sitzenbleibt. Bei einem Spaziergang lernt er Elena und deren Sohn Gaston kennen und lädt sie zu sich nach Hause ein. Währenddessen erfährt der Leser aber auch, was in der abwesenden Familie geschieht. Und wo Alessandro, der jüngste Sohn, gerade steckt.
Erzählt wird die Geschichte aber von der zweiten Tochter, Giulia, die mit dem Vater keinen Kontakt mehr hat. Längst versöhnt, trifft sie nämlich Jahre später an seinem Krankenbett diese Elena, die als Krankenschwester im selben Spital arbeitet, in dem er liegt.
Durch Giulias Augen lernen wir die Mitglieder der Familie kennen, die eine Familie wie viele andere ist. Sie hat mit Konflikten zu kämpfen, die keine aussergewöhnlichen sind. Und doch ist es eine einzigartige Geschichte. Es geht um Enttäuschungen, Elternschaft, um Unverhofftes und auch darum, sich unfähig und ohnmächtig zu fühlen.
Dass der ältere Herr, dessen Namen wir nie erfahren, Brückenbauer war, passt zum Thema des Romans. Denn er muss auch im privaten Bereich Brücken herstellen, damit wieder ein gutes Einvernehmen mit all seinen Kindern herrscht.
Unaufgeregte Schilderungen in einem ruhigen Stil schaffen ein Bild, das dem Wesen des alleingelassenen Seniors entspricht. Auch dass seine Reaktionen leicht verzögert, langsamer als bei den jüngeren Leuten erfolgen, harmoniert mit der geschilderten Atmosphäre. Dennoch ist genug Spannung, ausreichend Drive vorhanden. Und beim Lesen entwickelt sich Anteilnahme mit allen Protagonisten.
Mir gefällt die gepflegte Sprache, die ohne grossen Aufwand hergestellte Gesamtstimmung, die sparsamen Dialoge. Sehr passend finde ich auch die Gestaltung des Covers, das Einsamkeit vermittelt, sensibel gewählt der Sepiaton. Eine sehr schöne, zu Herzen gehende Lektüre, die ich allen Menschen empfehle, die sich Gedanken um das Familienleben machen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 19.06.2020
Ozelot und Friesennerz (eBook, ePUB)
Matthiessen, Susanne

Ozelot und Friesennerz (eBook, ePUB)


gut

Sylt, wo der Gast Kaiser ist
Ein richtig beschauliches Dasein scheint auf Sylt auch im Winter nicht stattzufinden. Doch zur Badesaison überspült ein wahrer Tsunami an Badegästen die Insel. So erfährt der Leser nicht nur die Familiengeschichte der Sechziger- und Siebzigerjahre, sondern auch eine Fülle von Anekdoten, welche die besuchende Prominenz hinterlassen hat. Alles aus der Sicht und mit dem frühreifen Verständnis eines Kindes. Susanne Matthiessen spart dabei nicht mit schonungslos kritischen Aufdeckungen, auch von Peinlichkeiten.
Es sind skurrile, teils bizarre Geschichten. Auch wird ein Licht auf die damalige High Society geworfen, ebenso auf die Sitten und den Alltag der Einheimischen. Nichts weniger als ein Blick auf das allzu Menschliche. Manchmal zuviel für kindliche Augen, etwa Mord und Selbstmord eines Gästepaares. Mit eingebunden ist die Entführung der Autorin als Baby. Zuerst wird sie von den Eltern nur zum Schlafen in das Bett von Gästen «ausgeliehen», später von denen «in die Ferien mitgenommen», aber in der Folge entführt und von einem ehemals hohen Nazi wiedergefunden. Heute undenkbar!
Wer wie ich noch nie auf Sylt war, erhält einen umfassenden Einblick in den Kosmos und die Entwicklung dieser freizügigen und gewiss einzigartigen Insel. Die Personen sind sehr detailliert gezeichnet, nicht ohne eine ordentliche Portion Humor. Die einzelnen Kapitel sind mit Pelzarten (und einer Lederhose) im Titel überschrieben. Ganz am Schluss fügt Matthiessen eine Auflistung all ihrer Freunde und engsten Weggefährten hinzu.
Titelgemäss zieht sich das Thema Rauchwaren als Leitfaden bis zum Schluss des Romans. Was mich aber ein wenig gestört hat, waren die weitschweifigen Auslassungen über alles, was Pelze betrifft. Zweifellos hat Matthiessen ein immenses Wissen über die Materie ansammeln können und legt es auch ausführlich dar. Doch ob das so viele Leser interessiert? Im Verein mit dem fast vollständigen Fehlen von Dialogen geben diese Lehrgänge dem Roman etwas Sachbuchartiges. Ich hatte Mühe, aufmerksam zu bleiben und nicht ins Querlesen zu verfallen.

Bewertung vom 01.06.2020
Kostbare Tage
Haruf, Kent

Kostbare Tage


ausgezeichnet

Am Ende der Hoffnung?

Dad Lewis spürt, dass sein Leben zu Ende geht. Frau und Tochter versuchen, ihm den Abschied soweit als möglich zu erleichtern. Der Sohn, im Streit gegangen und seit Jahrzehnten schmerzlich vermisst, erscheint dem Sterbenden nur noch im Delirium. Ein Priester erntet für sein Engagement von der Gemeinde heftige Ablehnung. Eine Liebe, nein, zwei Lieben gehen zu Ende. Das Mädchen Alice hingegen findet Frauen, die sich kümmern und seine eher triste Jugend ein wenig verschönern.
In Rückblenden beleuchtet Kent Haruf das Leben des alten Ehepaares Lewis und seiner Kinder. Er schreibt über Menschen, gescheitert und am Ende ihrer Hoffnungen, dennoch getragen von einer kleinen Gruppe. Wieder führt er uns nach Holt, wo der Leser bereits die eine oder andere erwähnte Person kennt. Der Autor erzählt in ruhigem Ton vom Leben der Menschen, die am Rand der Gesellschaft in sehr bescheidenen Verhältnissen, aber meist zufrieden, ihr Dasein fristen. Der Roman bietet einen hohen Wiedererkennungswert. Diesen Teil von Amerika muss der Autor wohl gut gekannt haben.
Was ich bei diesem Buch von Haruf aber vermisse, ist die unklare Skizzierung des Aussehens der Personen. Man kann sich ein Bild davon machen, was sie denken und empfinden, aber nicht, wie sie äusserlich sind. Und das ist doch ein wesentlicher Bestandteil beim Lesen. So fehlt insgesamt die Farbe, das Bildliche. Vielleicht erscheint mir Holt deshalb als ein grauer, staubiger Ort, an dem ich nicht wohnen möchte. Der Schluss scheint mir etwas abrupt, das Schlusskapitel nicht abgerundet. Lediglich langanhaltende Blizzards und nächtliche Stürme werden angekündigt. Insgesamt wenig Hoffnung am Ende.

Bewertung vom 22.05.2020
flüchtig
Achleitner, Hubert

flüchtig


sehr gut

Von Nordlichtern und griechischen Inseln

Eine Frau mit dem umfangreichen und bedeutungsschweren Vornamen Eva Maria Magdalena ist von einem Tag auf den anderen verschwunden. Einfach auf und davon. Ihr Mann Herwig, kurz Wig genannt, sucht sie überall, obwohl er über ihre Abwesenheit eigentlich erleichtert sein sollte, wird er doch mit 60 zum ersten Mal Vater. Doch seine Freundin lässt ihn im Ungewissen, ob er es wirklich ist. Maria indessen hat sich in Wigs Volvo auf den Weg Richtung Süden gemacht. Zusammen mit der Autostopperin Lisa (zugleich Erzählerin an Achleitners Stelle) kommt sie bis nach Griechenland.
Der Leser erfährt abwechselnd, wie es Maria und Wig ergeht und von ihrer Liebe, die völlig aus dem Ruder gelaufen ist. Der Autor schildert mit einem grösseren Wortschatz, als man normalerweise in Romanen antrifft, eine örtliche und seelische Odyssee von zwei Menschen, die eigentlich füreinander bestimmt sind. Achleitner arbeitet mit der Sprache, als sei sie frisch aufgebrochener Boden, fruchtbar und offen für alle Möglichkeiten. Literarisch unverbraucht, originell in den Wendungen und Wortbildern, kraftvoll, urwüchsig. Hubert Achleitner schöpft sprachlich aus dem Vollen. Und es kommt mir wie bedächtiges Schreiten durch die Handlung vor. Keine künstlichen Konstruktionen, sondern alles folgerichtig. So finde ich jedenfalls.
Besonders gefiel mir die Geschichte vom Joik, dieser ganz persönlichen Melodie für die samischen Neugeborenen. Als Hubert von Goisern bekannt, ist der Autor mit der Musik natürlich auf Du und Du. So sind auch die anderen musikalischen Einstreuungen sehr stimmig und feinfühlig ausgewählt, sie sind eins mit dem Geschehen.
Über den Inhalt und den sprachlichen Ausdruck hinaus ist mir aufgefallen, dass der Text sehr sorgfältig korrigiert worden ist. Da findet sich kein einziger Fehler, kein Versehen bei der Eingabe. Ich hoffe, dass «flüchtig» nicht Hubert Achleitners einziges Buch bleibt.

Bewertung vom 11.05.2020
Kann Gelato Sünde sein?
Hennig, Tessa

Kann Gelato Sünde sein?


ausgezeichnet

Süsse Verführung
Die Bevölkerung eines kalabrischen Dorfes soll mittels besonders gesunder Ernährung länger leben. Das möchte der Bürgermeister so, um der Landflucht vorzubeugen. Sport, regelmässige Checks beim Arzt, zuckerfreies Essen. Bei Strafandrohnung, wenn man dagegen verstösst. Doch nun kommt Emilia und möchte eine Bäckerei/Konditorei eröffnen. Sie will mit ihren Eistorten neues Leben und neue Essensfreude ins Dorf bringen. Sie wiederum findet nicht das vor, was sie erwartet, als sie ihre studierende Tochter Julia besucht. Denn die hat das Studium aufgegeben und arbeitet stattdessen in einer Pension, die sie mit ihrem italienischen Lover eröffnet hat.
Natürlich lösen sich alle Missverständnisse auf, der ehrgeizige Bürgermeister wird besiegt, das Café kann seinen Neustart aufnehmen, die Tochter darf ihren Weg gehen und der Ort ist auch zufrieden. Friede, Freude, Gelato.
Tessa Henning spricht in ihrem neuesten Roman verschiedene Themen an: das Wiederaufleben im Alter, das Unvorhergesehene im Leben, Langlebigkeit durch entsprechende Ernährung, Neuanfang und natürlich die Italianità sind nur einige davon. Wer für Italien schwärmt, kommt voll auf seine Kosten.
Der Roman liest sich süffig und rasch. Er ist durch authentische Spracheinstreuungen stark italo-durchwirkt und verführerisch in vielfachem Sinn. Ein sehr farbiger und lebendiger Sprachstil, wie gewohnt bei Tessa Henning, macht den Mund wässrig auf italienische Süssigkeiten, auf das Land, die Sonne, die Menschen im Süden. Eine leichte Lektüre für entspannte Nachmittage zu Hause, ob mit oder ohne Sonne.

Bewertung vom 23.04.2020
Pandatage
Gould-Bourn, James

Pandatage


ausgezeichnet

Fallen und wieder aufstehen
Danny Maloony verliert bei einem Unfall seine geliebte Frau, Will seine Mutter. Bei ihr hat er sich immer geborgen und verstanden gefühlt hat. Weil er selbst unmittelbar am Unfall beteiligt gewesen ist und er sich nicht anders zu helfen weiss, spricht er seitdem kein Wort mehr. Obwohl Danny sich auf jede erdenkliche Weise bemüht, steht er dem Unglück seines Sohnes hilflos gegenüber. Überdies verliert er auch noch seine Arbeit und findet keinen neuen Broterwerb. Da er auch noch mit der Miete im Rückstand ist, bedroht ihn sein herzloser Vermieter auf beängstigende Weise. Ein Zufall beschert Danny einen Ausweg, doch auch der ist mit spitzen Steinen gepflastert.
Wenn eine kleine Familie auf so brutale Art auseinandergerissen und reduziert wird, geht das zutiefst nahe. Es ist ein Buch der unterdrückten Schreie, der Demütigungen am Laufmeter, des Wiederaufstehens, der Tapferkeit, der Kreativität, der Selbstverleugnung, des unermüdlichen Abstrampelns, der unerwarteten Hilfe, der alles überragenden Liebe eines Vaters zu seinem leidenden Kind. Manchmal fand ich den Inhalt fast unerträglich.
Der Roman ist in einem schlichten, ruhigen Stil geschrieben, ohne jede Wehleidigkeit. Eine Reihe von Fakten wird aneinandergereiht, aber in einem äusserst farbigen, lebendigen Erzählen. Der Schreibstil ist gepflegt, empathisch, zu Herzen gehend. Es ist nicht möglich, unbeteiligt zu bleiben. Man möchte – man möchte vieles tun, um zu helfen. Vor allem aber ein wenig über Will wachen.
Doch nicht nur Vater und Sohn finden meine Sympathie, sondern auch (im Lauf der Handlung) die Poletänzerin Krystal. Viele Facetten des zwischenmenschlichen Lebens werden auf subtile Art angesprochen. Um dem Inhalt ein wenig die Schwere zu nehmen, lockern etliche humorvolle Passagen das Geschehen auf. Wie überhaupt Humor in schwierigen Lebenslagen sehr notwendig ist. Aber komisch oder gar «saukomisch» fand ich den Roman gar nicht. Ich empfehle das Werk besonders denen, die vom Leben auch schon arg gebeutelt wurden. Es hat viel Tröstliches.