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YukBook
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München

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Insgesamt 278 Bewertungen
Bewertung vom 05.02.2022
Selma Lagerlöf - sie lebte die Freiheit und erfand Nils Holgersson
Feyerabend, Charlotte von

Selma Lagerlöf - sie lebte die Freiheit und erfand Nils Holgersson


ausgezeichnet

Bekannt wurde Selma Lagerlöf vor allem durch ihr Schulbuch „Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen“. Auch ihre Romanbiografie von Charlotte von Feyerabend liest sich wie eine Reise quer durch ihr Heimatland. Sie beginnt damit, dass Selma den Gutshof in Mårbacka verkaufen muss und mit ihrer Mutter und Tante nach Landskrona zieht. Noch kann sie nicht vom Schreiben leben und arbeitet als Lehrerin. Mit viel Humor wird die Atmosphäre in der Schule und die Arbeit mit ihren verknöcherten Kolleginnen beschrieben.

Hin und weg ist Selma dagegen von der anmutigen Schriftstellerin Sophie Elkan, mit der sie zahlreiche Reisen durch Schweden, nach Italien und Jerusalem unternimmt. Ihre Gespräche über das Schreiben, die Stellung der Frau in der Gesellschaft, ihre Entdeckerlust und den Freiheitsdrang fand ich sehr inspirierend. Mit viel Feingefühl beschreibt Feyerabend die Seelenverwandtschaft zwischen den beiden Frauen und wie sehr Selma darunter leidet, dass ihre Liebe nicht in gleicher Weise erwidert wird. Noch komplizierter wird es, als sich Valborg, die Selma als Lektorin unterstützt, in ihr Leben mischt.

Feyerabend schildert nicht nur Selmas Werdegang zur Nobelpreisträgerin und Gutsbesitzerin, sondern lässt uns auch in blumiger Sprache spüren, was Schwedens Natur, Kultur und Gesellschaft um 1900 ausmacht. Sie hat mir in diesem Porträt eine unkonventionelle, willensstarke und leidenschaftliche Schriftstellerin näher gebracht, von der ich unbedingt einige der genannten Werke lesen möchte.

Bewertung vom 01.02.2022
Löwenherz
Helfer, Monika

Löwenherz


ausgezeichnet

Monika Helfer, von der ich schon viele wunderbare Kurzgeschichten gelesen habe, erinnert sich in diesem Hörbuch an ihren jüngeren Bruder Richard, einen Schriftsetzer, Maler und Geschichtenerzähler. Welche Wende sein Leben nimmt, als eine schwangere Frau ihn vor dem Ertrinken rettet und im Gegenzug ihre Tochter mit dem Spitznamen Putzi in seine Obhut gibt, ist schon spannend genug, doch aus Monikas Sicht geschildert, gewinnt die Geschichte eine ganz besondere Note.

Ein Charakterzug sticht besonders heraus: Richard ist ein Mensch, der Dinge mit sich geschehen lässt statt selbst die Initiative zu ergreifen, was sowohl zu unbeschwerten, glücklichen Momenten als auch zu heiklen Situationen führt. Nur Putzi wächst ihm so sehr ans Herz, dass er bereit ist, für sie zu kämpfen. Schreibend und im Dialog mit ihrem Ehemann tastet sich die Autorin an ihren Bruder heran, mal staunend und bewundernd, dann liebe- und verständnisvoll, mal fassungslos und voller Sorge. Sehr gut gefiel mir auch, wie sie ihre Kindheit beschreibt, in der sie und ihre Schwestern nach dem Tod der Mutter stark zusammenhielten während Richard getrennt von ihnen bei der Tante aufwuchs.

An ihre rauhe Stimme und fast monoton wirkende Vortragsweise musste ich mich erst einmal gewöhnen, doch dann merkte ich, dass durch den gleichmäßigen Rhythmus die Kette von Ereignissen eine umso dramatischere Wirkung entfalten. Ich kann es kaum erwarten, die übrigen Bücher ihrer Familientrilogie zu lesen.

Bewertung vom 27.01.2022
Die Nähmaschine
Fergie, Natalie

Die Nähmaschine


ausgezeichnet

Nicht nur Menschen, auch Gegenstände können auf eine bewegte Geschichte zurückblicken. In diesem Roman ist es eine Nähmaschine, genauer gesagt eine über hundert Jahre alte Singer 99K, die mehrere Generationen verbindet.

Einblick in die Herstellung und schlechten Arbeitsbedingungen in den Singer-Werken im schottischen Clydebank bekommen wir anhand der Geschichte rund um Jean, die 1911 aufgrund eines Massenstreiks ihre Arbeitsstelle verliert. 43 Jahre später spielt auch für Kathleen, die in Edinburgh mit Näharbeiten ihre Familie ernährt, und ihre Tochter Connie die Nähmaschine eine zentrale Rolle.

Connie setzt die Tradition ihrer Mutter fort, jede Näharbeit mit einem Stück verarbeiteten Stoff in einem Nähjournal festzuhalten – ein Ritual, das mich sehr faszinierte, spiegelt doch jeder Eintrag eine freud- oder schmerzvolle Situation eines Menschen wider. Als wiederum ein halbes Jahrhundert später der arbeitslose Fred die Wohnung seines Großvaters samt einer alten Nähmaschine erbt, fängt er selbst an zu nähen, taucht immer tiefer in seine Familiengeschichte ein und deckt ein lang gehütetes Geheimnis auf.

Die Autorin und ehemalige schottische Krankenschwester, die für ihre Nähmaschinensammlung vor Jahren eine gebrauchte Singer 99K kaufte, wollte deren Herkunft nachgehen und ihr ein Denkmal setzen. Das ist ihr mit dieser nostalgischen Familiengeschichte gelungen.

Bewertung vom 04.01.2022
Kinder als Lehrer
De Stefano, Cristina

Kinder als Lehrer


ausgezeichnet

Cristina De Stefano erzählt in fünf Teilen die bewegende Lebensgeschichte der Pädagogin Maria Montessori – von ihrer Kindheit über die Gründung des ersten Kinderhauses in Rom bis hin zur weltweiten Verbreitung ihrer Lehrmethoden. Dabei überraschte sie mich mit vielen mir unbekannten Facetten: zum Beispiel, dass Montessori Medizin studierte, sich in Freiwilligendiensten mit Feministinnen zusammenschloss und für Frauenrechte kämpfte, ihre pädagogische Lehre in einer Nervenheilanstalt begann und durch eine Lebenskrise zur streng gläubigen Katholikin wurde. Ihre Berufung sah sie jedoch darin, durch zurückhaltende Beobachtung den kindlichen Geist zu erforschen und das Schulwesen zu reformieren.

Die Biografie hat mich in vielerlei Hinsicht tief beeindruckt. Zum einen beschreibt De Stefano sehr anschaulich, anhand welcher Beobachtungen Montessori zu ihren Erkenntnissen kam und ihre didaktischen Materialien und Methoden Stück für Stück verfeinerte und weiterentwickelte. In ihrem Umgang mit Wissenschaftlern, der Kirche und finanziellen Unterstützern wird sowohl ihre Hingabe und Zielstrebigkeit als auch ihr herrischer und unbeugsamer Charakter deutlich.

Mit Spannung begleitete ich Montessori auf ihren Ausbildungslehrgängen quer durch die Welt und bewunderte, wie sie nach jedem Rückschlag wieder bei Null anfing. Sehr gekonnt zitiert die Autorin aus akribisch recherchierten Quellen wie Tagebüchern, Briefen und Berichten ihrer Wegbegleiter und schafft so ein höchst lesenswertes Porträt einer charismatischen Frau, die ihrer Zeit voraus war.

Bewertung vom 21.12.2021
Hundstagekönig
Gudmundsson, Einar Már

Hundstagekönig


sehr gut

Dieses Buch war in jeder Hinsicht Neuland für mich: Ich kannte weder den Autor noch den König von Island, den er porträtiert, noch war ich jemals auf der Insel. Gleich zu Beginn spannt uns der Autor auf die Folter, indem er Jörgen Jörgensen aus Kopenhagen als einzigartig und schillernder als die meisten Romanfiguren bezeichnet. Jörgensens Lebensgeschichte liest sich tatsächlich wie ein Abenteuerroman, denn er segelte nicht nur 1809 nach Island und riss für zwei Sommermonate die Macht an sich – daher der titelgebende Spitzname –, sondern war auch Entdecker, Gefangener, Spion, Autor und Polizist.

So unterschiedlich wie die Lebensphasen sind auch die Quellen, auf die sich der Autor bezieht. Er zitiert sowohl aus Jörgensens Autobiografien als auch aus Berichten von Zeitgenossen, die teilweise ein widersprüchliches Bild ergeben. Was den Lesefluss leider stört, sind die vielen Namensnennungen, Nebenfiguren, -schauplätze und Zeitsprünge.

Sehr unterhaltsam dagegen ist Gudmundssons polemischer Stil und sein entlarvender Blick auf Legenden, Mythen und die Geschichtsschreibung. Auch wenn ich leichte Schwierigkeiten hatte, den historischen Ereignissen zu folgen, bekam ich einen interessanten Einblick in die damaligen Handelsbeziehungen zwischen Dänemark, Island und England.

Bewertung vom 15.12.2021
Miss Veronica und das Wunder der Pinguine
Prior, Hazel

Miss Veronica und das Wunder der Pinguine


sehr gut

Für eine bedeutungsvolle Tat ist es im Leben nie zu spät. Das denkt sich auch die Romanheldin Veronica McCreedy die mit ihren 86 Jahren noch rüstig ist, aber zurückgezogen an der schottischen Küste lebt und überlegt, wem sie ihr Vermögen hinterlassen könnte. Nachforschungen haben ergeben, dass sie einen Enkel hat, doch die erste Begegnung ist eine herbe Enttäuschung. Als sie eine Fernsehsendung über bedrohte Adeliepinguine sieht, ist sie Feuer und Flamme und beschließt, dem Forschungsteam einen Besuch abzustatten und sich ein Bild vor Ort zu machen.

Es war zu erwarten, dass der anfangs konfliktreiche Alltag mit drei Wissenschaftlern auf engem Raum und die Beobachtung der Pinguinkolonien Veronicas Leben und ihre Einstellung verändern werden, doch das Wie erzählt Hazel Prior sehr warmherzig und unterhaltsam. Die blumigen Beschreibungen versetzten mich augenblicklich in die märchenhafte Landschaft.

Ich hätte mir noch mehr Details zur Forschungsarbeit gewünscht, doch im Mittelpunkt steht nun einmal Veronica und wie sie sich durch die Liebe zu einem speziellen Pinguin allmählich ihren Mitmenschen öffnet. Aus ihren Tagebüchern erfährt man zudem, welche tragischen Ereignisse sie zu dem verschlossenen Menschen gemacht haben. Manches in der Geschichte erschien mir etwas unrealistisch, manches zu vorhersehbar, doch im Ganzen habe ich Veronica sehr gern auf ihrem Abenteuer begleitet.

Bewertung vom 11.12.2021
Was damals geschah (eBook, ePUB)
Jewell, Lisa

Was damals geschah (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Der Roman beginnt mit einer erfreulichen Nachricht: Libby Jones erbt mit 25 eine noble Stadtvilla in Chelsea. Das Haus hat jedoch eine düstere Vergangenheit: Drei Leichen und ein unversehrtes Baby wurden darin gefunden. Man geht von einem Selbstmordpakt aus.

Parallel betreten weitere Personen die Bühne: Lucy lebt mit ihren zwei Kindern in Nizza in bitterer Armut und ist gezwungen, ihren gewalttätigen Ex-Mann um Hilfe zu bitten. Noch kann man die Figur nicht so recht in das Geschehen einordnen. Licht in das Ganze bringt ihr Bruder Henry, der uns in die 1980er Jahre und nach Chelsea versetzt. Er ist in der besagten Villa aufgewachsen und rekonstruiert, was sich dort über mehrere Jahre hinweg zugetragen hat. Die Leichen ließen bereits Unheil erahnen, doch was Henry schildert, stellt jede tragische Familiengeschichte in den Schatten.

Anfangs hatte ich Schwierigkeiten, einige Figuren auseinanderzuhalten, doch schon bald war ich völlig gefangen in der Geschichte, zumal die einzelnen Geschehnisse und auch kleine Details immer mehr einen Sinn ergeben. Die Spannung entsteht besonders dadurch, dass sich nicht nur zwielichtige Personen, sondern mit ihnen auch das Unglück in Henrys wohlhabende Familie einnisten. Diesen Part erzählt die Autorin in der Ich- Form und ist dabei so nah an Henrys Figur, dass ich jede Minute mit ihm litt - angefangen von den harmlosen Teenagerproblemen bis hin zu seiner Wut und Hilflosigkeit angesichts der Katastrophe, auf die die Wohngemeinschaft zusteuert. Ebenso spürte ich das Machtgefüge zwischen den Bewohnern und die beklemmende Atmosphäre im Haus.

Raffiniert führt Lisa Jewell die einzelnen Erzählstränge zusammen, überrascht mit Wendungen und lässt uns schaudern angesichts der Machtgier und Scheinheiligkeit von Menschen und zu welcher Tyrannei und Manipulation sie fähig sind.

Bewertung vom 24.11.2021
Oh, William!
Strout, Elizabeth

Oh, William!


sehr gut

Wie gut kennt man einen Mann, an dessen Seite man knapp zwanzig Jahre gelebt und zwei Töchter großgezogen hat? Ich-Erzählerin Lucy Barton ist sich bei ihrem Ex-Mann gar nicht sicher. Eines steht immerhin fest: Es ist William, an den sie sich wendet, als ihr Ehemann David verstirbt. Und er sucht seinerseits Halt bei ihr, als ihn seine Frau Estelle verlässt.

So kommen sich die beiden besonders auf einer gemeinsamen Reise durch Maine wieder näher, doch das geschieht weder auf kitschige noch plumpe Weise. Vielmehr ruft die Annäherung bei Lucy Erinnerungen an prägnante Erlebnisse hervor. Sie bemüht sich, einzelne Szenen und ihre Gefühle möglichst genau zu rekonstruieren und dabei richtig verstanden zu werden, weshalb sie häufig bekräftigt: „Das will ich damit sagen.“ Man hat jedoch mehr den Eindruck, dass ihr erst im Nachhinein so manches klar wird, nicht nur über William und ihre Schwiegermutter, die eine zentrale Rolle spielt, sondern auch über sich selbst und ihre Herkunft. Ehrlich und selbstkritisch geht sie ihren widersprüchlichen Gefühlen während ihrer Ehe wie Geborgenheit und Vertrautheit einerseits und Abscheu und Einsamkeit andererseits auf den Grund.

Die Erzählweise wirkt zusammenhanglos, steigert aber auch die Spannung, weil man nach jedem Abschnitt eine neue Erkenntnis oder Offenbarung wittert. Elizabeth Strout vereint auf faszinierende Weise einen lockeren Plauderton mit tiefgründigen Themen wie Lucys schwere Kindheit und Unsicherheit und Williams Schuldkomplexe und Ängste.

Bewertung vom 21.11.2021
Schwierige Frauen
Gay, Roxane

Schwierige Frauen


sehr gut

„Schwierige Frauen“ lautet der Titel dieser Kurzgeschichtensammlung, doch treffender für die Protagonistinnen fände ich die Beschreibung „Frauen, die es im Leben schwer haben oder es sich schwer machen“.

Einige wie Carolina und ihre Schwester leiden unter einem schweren Kindheitstrauma und können einander auch als Erwachsene nicht allein lassen, obwohl eine von ihnen verheiratet ist. Natasha, die einen schweren Verlust erlitten hat, bekommt immerhin unvermittelt eine neue Chance. Auch Hanna kann ihre aktuelle Lebenssituation mit ihrem Ehemann, den sie hasst, nicht länger ertragen und reflektiert über ihre verpassten Chancen. Doch sie belässt es nicht dabei, sondern plant einen Ausweg.

Genau diese Stärke zeichnet die Frauen aus, die Roxanne Gay skizziert: Sie kämpfen darum, etwas zu verändern, ihr Leben zu verbessern und scheuen dabei keine Konfrontation. In solchen Momenten schlägt die Autorin einen härteren Ton an in ihrer sonst unaufgeregten Erzählweise.

Die meisten Geschichten sind entweder traurig, brutal oder verstörend und allesamt schwer zu verdauen, bis auf „Requiem für ein Herz aus Glas“, die von einem überfürsorglichen Steinewerfer und seiner Glasfrau handelt und fast etwas Märchenhaftes hat. Roxane Gay thematisiert die Bandbreite zwischen emotionaler sowie körperlicher Widerstandskraft und Verletzlichkeit innerhalb verschiedener Formen von Liebe, Hass und Abhängigkeiten in ihrem ganz eigenen Stil, der mir gut gefiel.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.11.2021
Das unsichtbare Leben der Addie LaRue
Schwab, V. E.

Das unsichtbare Leben der Addie LaRue


sehr gut

Die Geschichte beginnt in dem kleinen französischen Dorf Villon-sur-Sarthe im Jahr 1714. Es ist eine Zeit, in der Frauen einen hohen Preis für ein selbstbestimmtes Leben zahlen mussten. Die junge Addie LaRue geht gar einen Pakt mit dem Teufel ein, um vor ihrer Hochzeit zu fliehen. Und das hat Folgen! Von nun an kann sie zwar in völliger Freiheit leben, wird jedoch niemals altern und von allen Menschen vergessen.

Verwoben ist dieser Erzählstrang mit einer zweiten Zeitebene, die uns in das Jahr 2014 nach New York katapultiert. Spannend wird es, als Addie dort den Buchhändler Henry kennenlernt, der sich als einziger an sie erinnern kann.

Auch wenn die Geschichte an manchen Stellen Längen hat, fühlte ich mich der Hauptfigur sehr nahe – wie sie unter ihrem Fluch und der Einsamkeit leidet und jeden Moment und jede Begegnung euphorisch auskostet. Wir begleiten Addie durch drei Jahrhunderte europäischer Geschichte, in denen sie als Muse zahlreiche Künstler inspiriert und sich in ihren Werken verewigt. Eine außergewöhnliche Idee, die V.E. Schwab in poetischer Sprache und atmosphärischen Bildern in einen Fantasy-Roman verpackt.