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Zauberberggast
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München

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Insgesamt 155 Bewertungen
Bewertung vom 14.04.2020
The Doll Factory
Macneal, Elizabeth

The Doll Factory


ausgezeichnet

Die Handlung beginnt im London des Jahres 1850. Die Stadt bereitet sich auf die große Weltausstellung im Kristallpalast vor, die Ausstellungsstücke aus Kunst und Wissenschaft vereinen soll.
Im Gegensatz zu vielen anderen historischen Romanen kommt dieser hier mit einem sehr überschaubaren Personal aus. Im Zentrum stehen die drei Hauptfiguren Silas, Iris und Albie, aus deren Sicht die Geschichte abwechselnd erzählt wird. Wichtig sind auch noch Louis Frost, ein fiktionaler Präraffaelit, Iris’ “Love Interest” und künstlerischer Mentor sowie ihre Zwillingsschwester Rose. Die fiktiven Protagonisten werden von einigen historischen Charakteren aus dem Kreis der Präraffaeliten flankiert. Da wären der Maler John Everett Millais, mit dem der fiktive Louis Frost im Roman eng zusammenarbeitet, sowie der Dichter/Maler Dante Gabriel Rossetti und dessen Muse Lizzie Siddal.

Silas Reed ist Tierpräparator und besitzt einen Kuriositätenladen, in dem er seine Artefakte, wie z.B. Broschen aus echten Schmetterlingen, verkauft. Sogenannte Kuriositätenkabinette waren im England Königin Viktorias sehr beliebt. Jeder Haushalt, der etwas auf sich hielt, besaß eine Sammlung an kuriosen seltenen Dingen, die man zur Schau stellen konnte. Ein weiterer Absatzmarkt ist für Silas der Verkauf seiner ausgestopften Tierkörper an Kunstmaler, die die Tiere als Modelle für ihre Gemälde benötigen. Außerdem träumt er von der Ausstellung seiner “Kunstwerke” bei der Weltausstellung.

Silas ist der Vertreter des “Gothic” im Roman, ein merkwürdiger Zeitgenosse, der vom Charakter zwischen Frankenstein und einem Marquis de Sade changiert. Er ist der ungeliebte Sohn und Einzelgänger, der kein Glück in der Liebe hat.

Die weibliche Hauptfigur des Romans ist die 21-jährige Iris, die von einer Existenz als Kunstmalerin träumt. Bislang bemalte sie hauptsächlich Puppen in der Puppenmanufaktur von Mrs Salter (einer eher unangenehmen Person, die ständig im Laudanum-Rausch ist). Iris hat eine Zwillingsschwester, Rose, die ebenfalls dort arbeitet. Sie geben den Großteil ihres kärglichen Lohns abends an ihre Eltern ab, mit denen sie in ärmlichen Verhältnissen leben, um über die Runden zu kommen. Beide Schwestern sind körperlich versehrt, die eine durch ihre Pockennarben (Rose), die andere nur an einer Stelle durch ihren geburtsbedingten Schlüsselbeinbruch (Iris). Als Iris den präraffaelitischen Maler Louis Frost kennenlernt, bietet sich ihr die Gelegenheit, dem Elend der Puppenfabrik zu entkommen...

Sympathieträger des Buches ist sicher der ehrbare Straßenjunge bzw. “Urchin” Albie, der mit seiner älteren Schwester im Kohlenkeller eines Bordells haust und mit ansehen muss, wie sie sich der Prostitution hingibt, um über die Runden zu kommen. Er ist das Verbindungsglied zwischen Silas und Iris, denn er übernimmt sowohl für den Präparator als auch für die Puppenfabrik kleine Aufträge.

Der Titel "The Doll Factory" ist etwas irreführend, geht es doch eher um Silas' Fabrik der ausgestopften Tiere bzw. um die "Kunstfabrik" der Präraffaeliten. Die Puppenfabrik ist nur der Aufhänger bzw. ein Nebenschauplatz des Geschehens.

"The Doll Factory" ist die düstere Geschichte einer Obsession, die einen nicht mehr loslässt. Es geht um Stalking, um unerwiderte Liebe - ein großes, altes Thema in der Literatur. Hier wurde es mal wieder mit Bravour aufbereitet. Dieses Buch ist etwas für Fans des viktorianischen London, für Liebhaber von Jess Kidds’ Büchern oder den Filmen von Tim Burton (allerdings ohne Fantasy-Elemente, die Realität ist hier creepy genug). Und natürlich für alle, die die präraffaelitischen Gemälde oder einfach eine sehr gute historische Geschichte mit Thriller-Elementen lieben.

Bewertung vom 31.03.2020
Der Tote im Fiaker / Sarah Pauli Bd.10
Maxian, Beate

Der Tote im Fiaker / Sarah Pauli Bd.10


sehr gut

Mörderisch-mysteriöse Schnitzeljagd durch Wien

Dies ist bereits der dritte Band der Sarah-Pauli-Reihe, den ich gelesen habe. Man kann super auch ohne Vorkenntnisse in die Reihe starten, die mittlerweile zehn Bände umfasst. Dennoch kurz zu den Rahmenbedingungen, in denen sich die erzählte Welt abspielt.

Sarah Pauli ist Anfang Dreißig und Journalistin beim “Wiener Boten”, in diesem Band gibt sie ihren Einstand als Chefredakteurin. Ihr Lebensgefährte David ist mittlerweile Herausgeber der Zeitung, ihre Schwägerin-in-spe Gabi (Sarahs Bruder Chris ist Arzt) arbeitet ebenfalls in der Redaktion. Sarah schreibt eine wöchentliche Kolumne zum Thema Aberglauben & Co., schließlich ist Wien seit jeher ein Hort des Morbiden und Geheimnisvollen. Als an mehreren Orten in Wien ein mysteriöses Kreuzsymbol auftaucht, ist das für Sarah natürlich eine Causa, über die berichtet werden muss. Als dann zusammen mit dem Kreuz ein Toter in einem Fiaker aufgefunden wird, sind Sarahs umfassendes Wissen im Bereich des Kryptischen einmal mehr gefragt. Zusammen mit dem Kriminalinspektor Martin Stein begibt sie sich abermals auf eine mörderisch-mysteriöse Schnitzeljagd durch Wien.

Während in den bisherigen Bänden jeweils eine Wiener Sehenswürdigkeit bzw. ein bestimmter Ort in Wien (Naschmarkt, Stephansdom, Zentralfriedhof, Kapuzinergruft, Hotel Sacher, Schloss Schönbrunn, etc.) im Zentrum des Geschehens stand, ist diesmal die gesamte Topographie Wiens der Schauplatz des Krimis. Dies wird durch den titelgebenden Fiaker unterstrichen, der ja seine Kreise durch die Altstadt zieht und so immer an andere Orte kommt. Auch Sarah Pauli muss dem Verbrechen in diesem Band durch die Stadt hinterherlaufen, wie bei einer Schnitzeljagd. Überhaupt hat mich das Buch dadurch sehr an die Romane von Dan Brown erinnert, wo Professor Robert Langdon auch immer in Bewegung ist durch die Stadt, in der er sich als Symbologe betätigt. Kryptologische Rätsel kombiniert mit numerologischem Wissen muss auch Sarah Pauli in “Der Tote im Fiaker” entschlüsseln. Zahlenmystik spielt in dem Buch eine große Rolle, was ich sehr interessant fand.

Der Mordfall an sich ist schön verschachtelt und auch wenn ich schon bald die Identität des Täters erahnen konnte, so haben mich dann doch die Motive überrascht. Ein wirklich kompliziertes Konstrukt von Kriminalfall, den Beate Maxian sich hier ausgedacht hat.

“Der Tote im Fiaker” ist der beste Sarah-Pauli-Krimi, den ich bislang gelesen habe und ich werde nun auch noch die lesen, die mir noch fehlen. Eine echte Empfehlung für alle Wien- und Cosy-Krimi-Fans, die sich nicht daran stören, wenn die Ermittlungs- und Polizeiarbeit nicht super realistisch wiedergegeben werden (Bsp.: Freie Zugänglichkeit des Hauses eines Mordopfers kurz nach dessen Ermordung).

Bewertung vom 30.03.2020
Alfie und der Clownfisch
Bell, Davina

Alfie und der Clownfisch


sehr gut

Das "beste australische Kinderbuch des Jahres 2018", als das es der Klappentext ausweist, handelt vom schüchternen Jungen Alfie. Er soll das Unterwasser-Kostümfest seiner Schule besuchen, das Seestern-Kostüm, das er seinen Eltern vorgeführt hat, liegt schon bereit. Aber Alfie hat Albträume und fürchtet sich vor der Teilnahme an der Party. Am nächsten Tag ist er sich sicher, dass er nicht hingehen möchte. Seine Mutter fährt stattdessen mit ihm zu einem Aquarium. Dort entdeckt er einen Clownfish, den er toll findet. Leider ist der scheue Fisch schnell wieder zwischen den Korallen verschwunden. Alfie und der Clownfisch haben also einiges gemeinsam. Das nächste Kostümfest möchte er als Clownfisch besuchen.

Das im Insel-Verlag erschienene Buch ist wunderschön gestaltet. Mit Schimmerffekten auf dem Cover und einer besonderen Farbgebung sticht es in jedem Fall hervor. Die Farben sind auf jeder Seite gleich, ein kräftiges Dunkelblau und Neonorange bestimmen das ansonsten pastellige Farbbild. Die Menschen sind in einem zeitlosen Vintage-Stil gezeichnet. Künstlerisch ist das Buch also in jedem Fall wertvoll.

Im Buch verschwimmen Realität und Fantasie im wahrsten Sinne des Wortes. Bei der Rückfahrt vom Aquarium sitzen Mama und Alfie in einem an die 1960er Jahre erinnernden Bus, in dem Tiere mit Kleidung als Fahrgäste mit ihnen im Bus sitzen, ein Pinguin ist der Fahrer. Auch sonst bestimmen Träume, Erinnerungen, Vorstellungen und Verkleidungen die Bilderbuchwelt, die Unterwasser-Szenerien wirken ebenfalls unwirklich, schließlich ist die Unterwasserwelt ja ein geheimnisvoller Kosmos für sich.

Das Thema des Buches ist Hochsensibilität und Schüchternsein. Alfie versteckt sich lieber vor der Welt, als aktiv an ihr teilzunehmen oder gar im Mittelpunkt zu stehen. Seine Eltern werfen ihn aber nicht ins kalte Wasser, machen ihm keinen Druck, sondern lassen ihn selbst entscheiden, ob er sich zurückziehen möchte oder nicht - gelebtes “Attachment Parenting” also. Ob die Analogie mit dem Clownfisch von der Mutter beabsichtigt war oder nicht, geht aus der Handlung nicht ganz hervor. Das wäre auch schon meine leichte Kritik an dem Buch, dass es vieles ungesagt lässt. Etwas schöner hätte ich es gefunden, wenn die Mutter Alfie explizit mit dem Clownfisch verglichen hätte, so dass es auch kleine Kinder etwas besser verstehen.

Ein schönes Kinderbuch mit wichtigem Thema, das allerdings vor allem künstlerisch besticht und weniger als Vorlesebuch.

Bewertung vom 28.03.2020
Miracle Creek
Kim, Angie

Miracle Creek


ausgezeichnet

Die Einwandererfamilie Yoo aus Südkorea hat sich im kleinen Dörfchen Miracle Creek in Virginia, USA eine neue wirtschaftliche Existenz aufgebaut: eine Anlage zur Sauerstofftherapie (HBO). Am 26.8.2008 kommt es dort zu einer Explosion, bei der eine Frau und ein kleiner Junge ums Leben kommen. Ein Jahr später folgt der Prozess, bei dem die Mutter des Jungen angeklagt wird, den Brand gelegt zu haben...

Am Anfang war ich vorsichtig, was die Erwartungen an dieses Buch betrifft. Romane, in denen wie hier ein Verbrechen aus allen möglichen Perspektiven beleuchtet wird, zudem noch teilweise im Gerichtssaal, können - müssen aber nicht - langatmig sein. Hier hatte ich auch noch vor den 500 Seiten Respekt und der ziemlich kleinen Schrift, in der das Buch gesetzt ist. Aber ich muss sagen, schon nach ca. 100 Seiten hatte mich das Buch absolut am Haken und ich wollte unbedingt wissen, wer für den Tod von Henry und Kitty in der Überdruckkammer von Miracle Creek verantwortlich war.

Die Frage des "Was wäre, wenn…" treibt viele Figuren in diesem Buch um. Die meist spontanen Entscheidungen, die wir im Laufe unseres Lebens mitunter ganz beiläufig treffen, welchen Einfluss haben sie auf unsere weitere Existenz? Die Thematisierung der Tatsache, dass nur eine winzige Kausalkette von Entscheidungen den Verlauf eines Lebens vollkommen verändern können, gefällt mir sehr. Es ist etwas, über das ich mir auch schon oft Gedanken gemacht habe.

"Miracle Creek" ist auch vor allem ein Roman über die Existenz von Einwandererfamilien in den USA und ihren Spagat zwischen den Identitäten. Die Entbehrungen, im speziellen Fall das Vorschicken der Familie und Zurücklassen der koreanischen Väter - genannt "Gänseväter" - und der schwere Neubeginn in einem fernen Land, werden anschaulich geschildert. Auswandern schlägt auf die Psyche, man ist ein neuer Mensch, ggf. mit neuem Namen (Mary statt Meh-hee-yah), muss sich ein neues Leben aufbauen, so wie Pak Yoo und seine Familie. Dann die Hoffnung, dass das Glück im Aufbau der neuen geschäftlichen Existenz begründet sein könnte, die plötzlich mit dem Funken eines Streichholzes zu Asche wird.

Der andere große Themenkomplex, der im Roman verhandelt wird, sind behinderte Kinder, ihre Eltern (v.a. Mütter) und ihr Platz am Rande einer Gesellschaft, die auf Perfektion aus ist. Für die Mütter im Roman ist die Behinderung ihrer Kinder die Katastrophe ihres Lebens, das sich zwischen Selbstaufgabe, Aufopferung, Verzweiflung und einer stoischen Akzeptanz abspielt.

Wie ich gelesen habe, hat der Roman viele Übereibstimmngen mit dem Leben der Autorin Angie Kim. Wie ihre Figur Mary kam auch sie als Teenager von Südkorea nach Baltimore und schließlich nach Virginia, wo sie heute lebt. Wie die Angeklagte im Buch hat auch sie einen Sohn, der in Sauerstofftherapie war. Der Roman hat also autobiografische Züge, was ihn besonders authentisch macht.

Angie Kim erzählt in einer bestechend klaren, schnörkellosen Sprache ein absolut realistisches Szenario, das sich tatsächlich so irgendwo in Amerika hätte abspielen können. Die Figuren sind gezeichnet von ihrer Lebenssituation, die sie wie ein deterministischer Käfig scheinbar gefangen hält. Der mit jedem Kapitel alternierende Perspektivenwechsel ist ein erzählerischer Kniff, der absolut zu der Geschichte passt.

Während der Lektürezeit des Buches habe ich mich dabei ertappt, wie ich gedanklich immer wieder nach "Miracle Creek" gereist bin und vor mich hin gerätselt habe, wer denn nun jetzt der oder die Schuldige ist. Das Buch hat also das Potenzial, die Gedanken, die man vor dem Einschlafen hat, zu bevölkern - ein starker, fesselnder, noch lange nachhallender Roman!

Bewertung vom 24.03.2020
Die verschwundene Braut / Die Brontë-Schwestern Bd.1
Ellis, Bella

Die verschwundene Braut / Die Brontë-Schwestern Bd.1


sehr gut

Cosy-Krimi mit den Brontë-Schwestern

Fiktion, die reale Personen der Geschichte zum Gegenstand hat, finde ich immer besonders spannend. Es ist schließlich eine Möglichkeit, diese Personen aus dem Staub der Geschichtsbücher herauszuheben und sie als Menschen kennenzulernen - zumindest wie sie gewesen sein könnten.
Die Autorin Bella Ellis hat sich nun erzählerisch an drei Schwergewichte der Literaturgeschichte herangewagt, nämlich die Brontë-Schwestern. Das Leben von Anne, Charlotte und Emily ist von jeher der Stoff für Legendenbildung. Über ihr zurückgezogenes, kurzes Leben in Yorkshire ist nicht allzu viel bekannt, ihre Romane legen aber Zeugnis ab von einem außergewöhnlichen Schreibtalent. Diese Lücke will Bella Ellis mit dem vorliegenden Roman schließen, indem sie die Schwestern als Menschen aus Fleisch und Blut, mit Sorgen, Nöten und Gefühlen, erzählerisch einzufangen versucht.
So entspinnt sich um die zentralen Figuren Anne, Charlotte, Emily, aus deren Perspektive abwechselnd erzählt wird, sowie den einzigen Bruder Branwell, eine Krimihandlung. Die für ihre Zeit der 1850er Jahre in England dank der Förderung ihres Vaters ungewöhnlich gebildeten Frauen nehmen in Bella Ellis' Fiktion eine weitere Rolle ein: die der Ermittlerinnen. In England sorgten um diese Zeit die fortschrittlichen kriminalistischen Ermittlungsmethoden der 1829 gegründeten Kriminalpolizei Scotland Yard für Furore. Deren Ruf gelangt im Buch über die Presse auch bis zu den Brontë-Geschwistern nach West Yorkshire.

Die Nachricht von einer vermeintlich Toten bzw. verschwundenen Frau erreicht die Brontë-Schwestern allerdings über den Pubklatsch, den Bruder Branwell nach Hause trägt. In einem Herrenhaus in der Gegend namens Chester Grange ist die junge Hausherrin Elizabeth Chester über Nacht verschwunden. Zurückgeblieben ist nur eine überdimensionale Blutlache in ihrer Kammer. Zum Glück kennen Emily und Charlotte Mattie, die Gouvernante des Hauses, von ihrer gemeinsamen Zeit in einem ungeliebten Internat. Sie ist der fleischgewordene Schlüssel zu einem Anwesen, in dem nichts mit rechten Dingen zuzugehen scheint...

Alte Herrenhäuser sind natürlich immer ein Garant für Geheimnisse, Verstecke und unterschwelligen Grusel. Das Herrenhaus ist auch in diesem Buch der geheimnisvolle "Tatort" und der Leser darf zusammen mit den Brontë-Geschwistern rätseln, was es mit dem alten Gebäude und seinen Bewohnern auf sich hat. Dass die Geschichte, wie sie sich hier abspielt, Charlotte Brontë als Inspiration zu ihrem weltberühmten Roman "Jane Eyre" dient, liegt auf der Hand.
Auch die restlichen Handlungsorte verbreiten viel Schauerroman-Ambiente und schwarzromantisches Flair. Manche Stellen und Szenen lesen sich wirklich so, als wären sie einem Brontë-Roman entsprungen.

Die Charaktere der drei Schwestern werden anschaulich wiedergegeben: Die besonnene, intelligente und selbstbewusste Charlotte, die exzentrische und impulsive Emily und die empathische, hilfsbereite Anne. Bruder Branwell ist der unstete Lebemann, der trotz eigenem Schreibtalent dem seiner Schwestern etwas hilflos gegenübersteht.

Das Buch hat einen schönen Spannungsaufbau, wobei es im Mittelteil ganz leicht schwächelt. Ansonsten ist es ein atmosphärisch dichter und auch durchaus spannender cosy Krimi mit überraschendem Ausgang, der mich ausnehmend gut unterhalten hat. Ich freue mich sehr auf einen zweiten Band!

Bewertung vom 21.03.2020
Die stummen Wächter von Lockwood Manor
Healey, Jane

Die stummen Wächter von Lockwood Manor


gut

Das alte englische Herrenhaus ist spätestens seit dem englischen Schauerroman und Charlotte Brontës "Jane Eyre" aus der literarischen Motivkiste nicht mehr wegzudenken. Egal ob als Setting für einen Krimi, ein Liebesdrama oder eine Gruselgeschichte - die Landsitze des englischen Adels mit ihren vielen Zimmern und potenziellen Geheimnissen sind ein dankbares Setting für Autoren.

Auch die junge englische Schriftstellerin Jane Healey lässt ihren Debütroman in einem Herrenhaus spielen: Lockwood Manor. Erstaunlich ist hier, dass der Hausherr auch Lockwood heißt (Lord Lockwood), denn normalerweise heißen die adeligen Bewohner oft anders als ihre Häuser. Wie viele adelige Gutsherren hat aber auch Lord Lockwood das Problem, dass sein überdimensionales Haus eine Menge Geld verschlingt, müssen doch sysyphosartig Reparaturen an dem alten Kasten durchgeführt und eine Menge Dienstboten unterhalten werden. Zudem hat Lockwood nur ein einziges Kind und das ist zudem eine Tochter: Lucy. Deren Mutter und Großmutter starben vor Beginn der Handlung bei einem Autounfall. Als das Jahr 1939 auch noch das Übel des Zweiten Weltkriegs mit sich bringt, bietet sich dem Lord die Möglichkeit, sein Land auf besondere Weise zu unterstützen: Auf Lockwood Manor soll ein Teil der zoologischen Sammlung des naturhistorischen Museums in London aufbewahrt werden, bis der Krieg zu Ende ist. Dies bringt die dreißigjährige Museumsangestellte Hetty Cartwright nach Lockwood, wo sie sich um die Sammlung für die Dauers ihres Aufenthalts kümmern soll.

Hettys Eigenschaft, jeden Menschen mit einer ihr bekannten spezifischen Tierart zu vergleichen, verleiht dem Roman eine gewisse allegorische Bildlichkeit. Manche Tiervergleiche, die Hetty in ihren Gedanken verwendet, sind witzig und zudem so speziell, dass ich sie als zoologischer Laie nachschlagen musste (wie z.B. Blauaugenmaki). Auch bei den im anderen Zusammenhang erwähnten Arten ging es mir so, dass ich jetzt um einiges Wissen, was die Fauna dieser Welt betrifft, reicher bin.

Positiv an dem Buch ist außerdem, dass es ein historischer Roman ist (Vorsicht Spoiler), der eine lesbische Liebesgeschichte zeigt. Queere Liebe, vor allem unter Frauen, kommt leider gerade in zeitgenössischen historischen Romanen noch zu selten vor, von daher ist das ein Pluspunkt.

Während mir Lucy als Figur ganz gut gefallen hat, konnte ich mit der Protagonistin Hetty weniger warm werden. Man weiß nicht so recht, was ihr wichtiger ist - ihre Position als Leitung der Museumssammlung oder Lucy. Wen will sie wirklich retten: die Tiere, sich selbst oder ihre Geliebte?

Der erste, aufbauende Teil des Romans hat mir eigentlich noch recht gut gefallen und eine latente Spannung vermittelt. Die Autorin arbeitet mit dem Motiv der psychischen Krankheit. Dies und die ausgestopften Tiere, die zwar tot aber dennoch in ihrer Existenz gefährdet sind, erzeugen eine unheimliche Atmosphäre, dazu kommen noch die Spukgeschichten. Leider laufen die Bemühungen diesbezüglich ins Leere, denn so richtig in Fahrt kommt die Grusel-
geschichte nicht, allenfalls im psychologischen Sinne. Am Ende liegt die Erklärung wie so oft in der Niedertracht der menschlichen Seele begründet: Was der Mensch fürchten muss, ist der Mensch selbst.

Will man das Buch als Zeitgemälde lesen, das einen Einblick in das britische Alltagsleben während des Zweiten Weltkriegs zeigt (Luftschutzkeller, Evakuierung, Angst vor Bombardements), ist man sicher gut bedient. Auch als (lesbische) Liebesgeschichte, als Psychogramm oder bei Interesse für die Geschichte der Zoologie kann man diesen Roman gut lesen. Wer allerdings einen gruseligen Spannungsroman erwartet, wird wahrscheinlich enttäuscht werden.

Bewertung vom 14.03.2020
Das Paradies meines Nachbarn
Ebrahimi, Nava

Das Paradies meines Nachbarn


sehr gut

Die Kehrseite der Lebensmedaille

In “Das Paradies meines Nachbarn” geht es um drei Männer. Diese drei Männer verbindet eine gemeinsame Herkunftsgeschichte: der Iran.

München 2017: Sina Khoshbin ist Deutscher mit iranischen Wurzeln. Sinas iranischer Vater hat die Familie früh verlassen und lebt, erfolgreich und gut situiert, in den USA. Sina arbeitet in einer Designagentur für Küchengeräte und befindet sich in einer Sinnkrise. Dazu trägt auch sein berufliches Umfeld bei, denn es ist eines, das auf Äußerlichkeiten basiert und sich seiner Vergänglichkeit dabei nicht bewusst ist. Die Doppelmoral und das Greenwashing der Gutsituierten (“Wanderschuh, vegan, Fair trade”), der Marketing-Start-Up-Sprech der "veganes Physalis-Softeis auf dem Streetfood-Market"-Fraktion, ist Sina ein zunehmender Dorn im Auge.
Sinas Frau Katharina, mit der er eine Tochter im Grundschulalter hat, ist ausgerechnet Resilienzforscherin und befasst sich mit der Widerstandsfähigkeit der Psyche. Als Mensch ist sie das absolute Gegenteil ihres Mannes, denn sie kommt aus einer heilen Vorzeigefamilie - ohne Migrationshintergrund. Umso mehr interessiert sie sich für dysfunktionale Familien und verkorkste Kindheiten.

Die andere Hauptfigur ist Ali Najjar, der neue Chef Sinas. Er ist heute erfolgreicher Produktdesigner. Als er ein Teeanger im Iran war, versuchte ihn das System zu einem Kindersoldaten zu machen, was erstmal gelang, denn er meldete sich für den Krieg gegen den Irak. Die Paradiesversprechen der Militär-Propaganda, vor denen ihn seine Eltern, vor allem seine Mutter Maryam vergeblich schützen wollten, verhallen zu geisterhaften Mantren in Alis Kopf. Aber Ali ist noch gerade so davongekommen, er ist als Vierzehnjähriger nach Deutschland geflohen und hat dem Krieg den Rücken gekehrt, in dem ein anderer an seiner statt kämpfen musste: Ali-Reza Bayati.

Ali-Reza ist im Iran aufgewachsen. Er hat eine traumatische Kindheit erlebt und die Traumata verfolgen ihn bis heute. Seine religiöse Mutter wird als Witwe von einem Mullah einer Gehirnwäsche unterzogen und sie will Ali-Reza zum Märtyrer machen. Er flieht vor ihr und seiner Identität, um eine andere anzunehmen.
Ali-Reza ist leidet psychisch und physisch an den Folgen der Giftgas-Anschläge und sitzt im Rollstuhl. Nun will er Ali Najjar einen Brief von dessen Mutter Maryam übergeben. Diese nahm Ali-Reza für einige Zeit als Pflegekind bei sich auf.

Sprachlich gefällt mir der Roman sehr. Ich mag es, wenn ein Buch metaphorisch sperrig ist, ungewöhnliche Bilder heraufbeschwört, mit Worten experimentiert und jongliert. Meines Erachtens tut Nava Ebrahimi das. Sie reizt die Möglichkeiten der Sprache aus und fordert den Leser mit Aha-Momenten heraus, aus seinem gemütlichen Winterschlaf in der designten Höhle der westlichen Welt hervorzukriechen und mal über den Tellerrand zu schauen in ein Land, in dem Gewalt und Leid an der Tagesordnung sind.

Die Struktur des Romans ist allerdings ein wenig kompliziert und die drei Protagonisten auseinanderzuhalten, erfordert Konzentration. Hilfreich wäre es vielleicht gewesen, den aktuell erzählenden bzw. erinnernden Fokalisator vor Beginn des Abschnitts zu benennen, also Ali Najjar, Ali-Reza oder Sina.

Das Thema Krieg und Iranische Kindersoldaten ist natürlich keine leichte Lektüre und auch ich hätte vor manchen erinnerten Szenen am liebsten die Augen verschlossen. Also man sollte schon wissen, um was es in dem Buch geht, bevor man sich darauf einlässt.

Das Buch ist Gesellschaftskritik pur. Es nimmt einen Zeitgeist auf die Schippe, in dem wir uns unser Leben designen und die Augen vor dem Leid verschließen, das andernorts auf der Welt existiert. Ein Fake-Leben, ein Stuhl, auf dem man nicht sitzen kann, für Likes und Social Media - Die Autorin spitzt die Schein-Existenz derjenigen, die auf der Habenseite des Lebens sitzen, wie folgt zu: "Simulierte Schönheit. Simulierte Existenz." (S. 55)

Bewertung vom 11.03.2020
Die Kräuterhändlerin
Maly, Beate

Die Kräuterhändlerin


ausgezeichnet

Glaubwürdige Geschichte

Mit "Die Kräuterhändlerin" hat Beate Maly wieder mal einen tollen historischen Roman vorgelegt, der sich unglaublich gut “weglesen” lässt. An ihren Büchern schätze ich sehr, dass sie in einer wunderbaren Prosa verfasst sind, in der kein Wort zu viel oder zu wenig ist. Ein Satz folgt vollkommen natürlich auf den nächsten. Hier ist nichts gekünstelt, hier wirkt nichts erzwungen oder sprachlich artifiziell. Die Worte fließen so dahin und der Leser fügt sich völlig in diesen Fluss mit ein.

Diesmal entführt uns Beate Maly in die Welt des österreichischen Hochmittelalters. Die junge Adelige Leona von Rauheneck, genannt Leni, wird Opfer einer Intrige und eines Überfalls gegen ihre Familie. Die Burg ihres Vaters wird vom greulichen Raubritter Hadmar von Kuenring annektiert, der sich auch an Leni vergreift. Ohne Rückhalt und auf sich allein gestellt, flieht Leni in die Wälder. Dort bietet ihr die ausgestoßene Kräuterfrau und Heilkundige Mara Zuflucht. Sie hilft ihr, ihren Sohn, Hadmars Kind, aufzuziehen. Jahre später lernt Leni den Genueser Gewürzhändler Damian kennen und erfährt zum ersten Mal in ihrem Leben einen Hauch von purem Glück. Leider ziehen bereits dunkle Wolken am Horizont auf, denn Hadmar hat keinen legitimen Erben...

Leona ist eine tolle, sympathische Protagonistin, mit der man mitfühlt und mitleidet. Man wünscht ihr einfach alles Glück der Welt und zuckt jedesmal zusammen, wenn ihr das Schicksal wieder mal übel mitgespielt hat. Durch Mara bekommen wir Einblick in das Leben einer Frau, die im Mittelalter als Aussätzige behandelt wurde, weil sie über medizinisches Wissen verfügte, gegen das die Kirche wetterte. Das Paradoxe an der Situation: Inoffiziell suchen die meisten Kranken die Kräuterfrau auf und ihnen wird geholfen. Schön finde ich auch, dass in der Darstellung ihres Lebens im Einklang mit der Natur die heidnischen Bräuche “entkriminalisiert” und als vom Jahreszyklus vorgegebene, natürliche Feste gefeiert werden.
Auch Damian gefällt mir total gut - kein Kunststück, ist er doch die einzige durchweg positiv gezeichnete (erwachsene) männliche Figur des Romans. Er ist sanftmütig, tier- und kinderlieb, hat aber auch eine zweifelnde, rationale und witzige Seite. Er ist aufgeklärt und gebildet, unter anderem prangert er die zweifelhaften Praktiken der Kirche wie z.B. den Ablasshandel an. Er ist eben kein Schwarzweiß-Charakter, sondern ein real wirkender Mensch mit differenzierten, modernen Gedanken.

Beate Maly hat ihre Geschichte an der Realhistorie angelehnt, wie sie im Nachwort schreibt. Das Geschlecht der Kuenringer (die “Hunde von Kuenring”) gab es tatsächlich. Sie waren im 13. Jahrhundert die mächtigsten Adeligen im jungen Herzogtum Österreich. Die Burg Aggstein, die auch im Roman ihr Hauptsitz ist, war es auch in Wirklichkeit. Auch eine Burgruine Lichtenfels gibt es im niederösterreichischen Waldviertel. Die wenigen Quellen legen dar, dass ihre Bewohner, die Rauhenecks, auf unerklärliche Weise verschwanden. Dass Beate Malys Geschichte demnach einen “wahren Kern” hat, gefällt mir besonders.

Mit "Die Kräuterhändlerin" ist Beate Maly mal wieder ein in sich perfekter historischer Wohlfühlroman gelungen, der keine Leserwünsche offen lässt - außer vielleicht den nach ihrem nächsten Buch.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 10.03.2020
Monty, Castor und der Findelfuchs
Harel, Maike

Monty, Castor und der Findelfuchs


ausgezeichnet

Die Geschichte wird aus der Perspektive des distinguierten, etwas snobistischen und leicht hypochondrischen Waschbären Etienne Belmont de la Forêt, genannt Monty, erzählt. Zusammen mit dem Biber Castor, den er liebevoll eine “bessere Bisamratte” nennt, rettet er einem kleinen Fuchs das Leben. Dieser will unbedingt zu seinen Artgenossen in den Stadtpark. Doch ist dieser ominöse Stadtpark wirklich der elysische Ort, wo Milch und Honig fließen? Die drei Kumpane machen sich jedenfalls dorthin auf den Weg und erleben auf ihrem ungewöhnlichen Roadtrip allerlei Abenteuer.

Lustige und eigentlich liebevoll gemeinte Schimpfwörter wie “holzköpfige Pelzente”, “Rotbalg” oder "frecher Möhrenfresser" führen die Kinder auf humorvolle Weise an Wortneuschöpfungen heran und erweitern damit ihren Sprachschatz. Außerdem sind sie ein perfekter Grund um mal die Themen Ironie und Humor sowie ihre Verwendung in der Alltagssprache mit seinen Kindern zu besprechen. Humor ist überhaupt die große Stärke dieses Kinderbuchs. Montys Gedanken zum Geschehen strotzen nur so vor Sprachwitz und Situationskomik.

Waldtiere sind - auch in Kinderbüchern - wie der Name schon sagt, meistens im Wald anzutreffen. Hier spielen sich normalerweise ihre großen und kleinen Dramen ab. Hier ist es so, dass die Waldtiere sich einen urbanen Lebensraum erobern. Sie werden mit menschengemachtem Müll und Verkehr sowie den Menschen selbst und ihren komischen zwiespältigen Ansichten was Wildtiere betrifft, konfrontiert. Sie treffen außerdem auf Stadttiere, die ihnen nicht unbedingt wohlgesonnen sind. So müssen sich die Freunde im urbanen Dschungel zurechtfinden und gegenseitig aus dem ein oder anderen Schlamassel helfen.

Immer mehr Wildtiere zieht es ja tatsächlich in die Stadt, so auch Füchse und Waschbären. Das Thema der Tiere, die aus ihrem natürlichen Habitat vertrieben werden, ist auch in der Umsetzung als Unterhaltungsstoff für Kinder nicht neu. Es wurde bereits in den 1990er Jahren in der auf einer Buchreihe basierenden TV-Serie namens “Als die Tiere den Wald verließen” behandelt. Ich denke das Buch lehnt sich ein bisschen an diese Geschichte an, in der es auch um Probleme wie Verkehr (Autobahn), Umweltverschmutzung, etc., geht. Trotzdem ist "Monty, Castor und der Findelfuchs" modern und originell und allenfalls als Hommage an den oben genannten Vorgänger anzusehen.

Ich denke das Buch ist perfekt geeignet für die angegebene Altersgruppe 5+. Die Kinder sollten schon längeren, fortlaufenden Geschichten folgen können, um das Buch genießen zu können. Auch die relativ geringe Anzahl an Illustrationen (es gibt auch einige Doppelseite ganz ohne Bilder) pro Seite und die Komplexität der Geschichte sowie das fortgeschrittene Vokabular machen sie eher für Vorschulkinder und jüngere Grundschüler interessant.

Alles in allem ein wundervolles, in sich stimmiges Buch über Freundschaft und Zusammenhalt in unterschiedlichen Lebensräumen.

Bewertung vom 09.03.2020
Die brennenden Kammern / Minou Joubert Bd.1
Mosse, Kate

Die brennenden Kammern / Minou Joubert Bd.1


gut

Der innere Impetus ein angefangenes Buch wieder zur Hand zu nehmen und es weiterzulesen, statt einem anderen den Vorzug zu geben, ist für mich ein wichtiger Indikator für seine Bewertung. Bei "Die brennenden Kammern" hielt sich dieser innere Drang in Grenzen und ich ertappte mich dabei, wie ich die anderen Bücher, die um es herum lagen, immer wieder sehnsuchtsvoll anschaute, wenn ich mal wieder etwas widerwillig dazu griff.
Ich hatte mir so gewünscht mich für dieses Buch so richtig begeistern können. Denn ich liebe historische Romane mit Anspruch und ich kannte die Autorin von ihrem Buch "Wintergeister", das mich durch eine ganz eigene ungewöhnliche Story und eindringliche Erzählweise sehr gefesselt hat. Bei "Die brennenden Kammern" konnte ich weder das eine noch andere finden, obwohl es kein schlechtes Buch an sich ist.
Ich fürchte es ist trotz fundierter Recherche ein historischer Mainstream-Roman, der leider gleichfalls der erste Band einer Reihe ist. Leider, weil sich am Ende des Buches offene Fragen, die der Prolog aufgeworfen hat, nicht geklärt haben werden und man dadurch fast gezwungen wird, die Folgebände zu lesen.

Der Roman beginnt eigentlich sehr vielversprechend mit vielen Geheimnissen in Form von alten Dokumenten und nicht erzählten Geschichten, die sich auf die Gegenwart der Protagonistin Marguerite Joubert, genannt Minou, auswirken. Wir befinden uns im Frankreich des Spätmittelalters. Uns wird die Topographie der alten, zweigeteilten Stadt Carcassonne, die man hierzulande meist nur vom gleichnamigen Brettspiel her kennt, ausführlich beschrieben. Allerlei Hintergrundwissen zu den Hugenottenkriegen wird ebenso immer wieder eingestreut, so dass der Leser auch ja im Bilde ist, worum es hier eigentlich geht. Mit Piet lernen wir dann auch gleich einen echten Hugenotten kennen, er ist der männliche Protagonist des Romans. Beide müssen sich den Herausforderungen der Glaubenskriege und den Fronten zwischen Katholiken und Protestanten stellen, hinzu kommen noch persönliche Intrigen und eine verschwundene Reliquie.

Ein Problem habe ich unter anderem mit der Figurenzeichnung. Die Charaktere sind entweder absolut niederträchtig oder mit edlen Motiven ausgestattet, keusch oder wollüstig, loyal oder hinterhältig. Manchmal scheinen sie auch das eine und sind in Wirklichkeit das andere. Die Liebesgeschichte von Piet und Minou kommt sehr hölzern und gewollt rüber. Diese schematische Charakterdarstellung schrammt oft ganz nah am historischen Großenroman, bei dem die Charaktere auch oberflächlich und ohne jede Tiefe gezeichnet sind.

Die Handlung an sich ist für meine Begriffe nicht spannend genug gewesen, da die Autorin sich in Details und Nebenschauplätze verzettelt. Der Haupt-Handlungsstrang um Minou und ihre Herkunft wirkt auf mich weit hergeholt und konstruiert.

Das nächste störende Element war für mich die historisierende Sprache und die oft pathetische Erzählweise und Wortwahl. Ich weiß nicht ob es an der Übersetzung liegt, aber durch diese bemühte und artifizielle Sprache hat das Leseerlebnis bei mir sehr gelitten. Zudem werden manche Szenen oft unnötig erzählerisch ausgeschmückt, das Buch hat also trotz der relativ vielen kurzen Kapitel meiner Meinung nach einige Längen.

Ich habe das Buch aufgrund der ähnlichen Thematik (weibliche Protagonistin aus dem Buchhandelsmilieu im hugenottischen Umfeld) mit Ken Folletts "Das Fundament der Ewigkeit" verglichen, wobei Kate Mosse hier Ken Follett absolut nicht das Wasser reichen kann. Wo er "finest historical fiction" schreibt, schreibt sie hier einen mittelmäßigen historischen Spannungsroman mit viel Pathos, Gemetzel und Herzschmerz. Obwohl der Roman sicher gut recherchiert ist und viel Wissen über die französischen Glaubenskriege vermittelt, ist er für mich leider kein "Must read". Ich denke ich werde auf die Lektüre des Nachfolge-Bands verzichten.