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Benutzername: 
ElliP
Wohnort: 
Hessen

Bewertungen

Insgesamt 131 Bewertungen
Bewertung vom 01.01.2022
Verraten
Poppe, Grit

Verraten


sehr gut

Die Geschichte zweier Jugendlicher, die aus einem Jugendwerkhof kommen - Sebastian wird von seinem ihm bis dato unbekannten Vater abgeholt, Katja bricht aus und versteckt sich im Auto von S.
Beide kommen sich näher, freunden sich an und während S. zur Schule geht und versucht, sich im neuen Leben zurecht zu finden, muss sich Katja auf dem Dachboden verstecken. Die Stasi wird auf Sebastian aufmerksam und die Probleme vergrößern sich.
Wichtige Themen sind Freundschaft, Vertrauen und Familienbande, aber auch die problematische Lebensrealität für junge Menschen jenseits der Norm in der DDR.
Das Buch ist auf alle Fälle eine Lektüre, die junge Menschen mitnehmen kann, ihnen einen Ausschnitt aus der nahen Vergangenheit zeigt, die zeitlich gesehen nicht weit entfernt ist, aber dennoch extrem fremd und schockierend auf sie wirken wird. Einen Einblick in diese Zeit zu bekommen, kann mit dieser Lektüre auf eine geschickte Art geleistet werden. Die Geschichte von Sebastian und Katja ist sehr spannend, beide erleben unterschiedliche Bedrohungen und müssen sich der Gefahr stellen. Ihr Verhalten regt zum Nachdenken an, nicht immer handeln die beiden nachvollziehbar, klug oder vorausschauend und darüber können Diskussionen entstehen - wie hätte ich reagiert? Auf was hätte ich mich eingelassen? Inwieweit bin ich nur an meinem eigenen Glück, meinem Vorteil interessiert?
Es geht um zeitlose Themen, die in einer bestimmten zeitlichen Situation eingebettet werden: Verantwortung, ethische Werte wie gut und böse, richtig und falsch, Freundschaft und erste Liebe und diese Themen können zum einen bestens unterhalten und zum anderen sicherlich auch zum Nachdenken und Überprüfen der eigenen Rolle und des eigenen Verhaltens anregen.
Eine Leseempfehlung besonders für Jugendliche, die sich für Politik und die Zeit des geteilten Deutschlands interessieren und auch als Klassenlektüre hervorragend geeignet.

Bewertung vom 30.12.2021
Und wie geht es eigentlich dir?
Koch, Nele

Und wie geht es eigentlich dir?


sehr gut

Nele Koch gelingt hier ein sehr persönliches Buch mit einem wichtigen Thema, denn oft haben die Angehörigen von (krebs-)kranken Menschen gar keinen Ansprechpartner, sie sind sich selbst in ihrer Not und Sprachlosigkeit überlassen. Diese Lücke wird hier gefüllt.
Im Kern des Heftes, dem wunderschönen Hauptteil, befinden sich emotionale, persönliche Kurztexte, Zitate ergänzt mit passenden, stimmungsvollen Bildern - sehr berührend und wirklich hervorragend gestaltet! Ein ästhetisch und inhaltlich überzeugende Vermittlung der Gedanken von Betroffenen, die Ängste, Hoffnungen, Probleme und widersprüchlichen Emotionen kommen gelungen zum Ausdruck und man kann seinen eigenen Standpunkt überprüfen, findet Parallelen, weiterführende Fragen und möglicherweise auch Antworten.
Die abschließende Zusammenfassung liest sich sehr flüssig und gibt Impulse zum Überdenken des eigenen Verhaltens, ein Kapitel, das noch einmal die Achtsamkeit seinem eigenen Leben und Beziehungen gegenüber thematisiert - Wer bin ich? Wer will ich sein? Wo will ich hin?
Für mich stellt sich die gesamte Lektüre als wichtiger Impulsgeber generell dar, viele Gedanken / Anstöße können sicherlich hilfreich für die meisten Menschen sein, unabhängig von ihrer Verstrickung oder Beziehung zu kranken Freunden und Familienmitgliedern.

Bewertung vom 05.12.2021
Drei Lebende, drei Tote
Jorjoliani, Ruska

Drei Lebende, drei Tote


sehr gut

Ein kurioses Cover, das mich tatsächlich veranlasst hat, genauer hinzuschauen - skurril, minimalistisch, wie ein Stillleben - den Tod vor Augen - der arme Fisch - der glückliche Angler - auf die Perspektive kommt es anscheinend an.
Und so geht es auch weiter im Roman - auf die Perspektive kommt es an - und diese wechselt immer wieder, wir betrachten von Innen, von Außen, reisen in der Zeit in die Vergangenheit und die Zukunft, lernen neue Figuren kennen und erleben eine gewisse Verwirrung in dieser chaotischen Zeit des zweiten und später auch ersten Weltkrieges.
Hauptfigur ist Modesto, ein junger Mann, der durch einen anonymen Brief seine Contenance verliert und seinem aktuellen Leben entflieht. Zurück bleibt die schwangere Frau, die sich mit einem Geliebten trifft, ihren Mann hintergeht und nicht weiß, wessen Kind sie erwartet. Der Gatte seinerseits hat sich seiner Ehefrau entfremdet und trifft sich ebenso mit einer Geliebten.
Später erfahren wir von Modestos Kindheit und Jugend, einem bewunderten und gefürchteten Onkel, dem sanften Vater, der abwesenden, da früh verstorbenen Mutter und den Schrecken des ersten Weltkriegs, teilweise etwas traumartig, nebulös, aber auch extrem intensiv und spannend, so z.B. die Schilderungen von Kriegserlebnissen, Gräueltaten oder das grausame Handeln des autoritären Onkels, der sich wie ein Usurpator aufspielt und seine Gunst bzw. seine Verachtung verteilt.
Der Erzählstil fasziniert, fordert und belohnt, wenn man nicht vorschnell aufgibt. Auch die verschiedenen inhaltlichen Verstrickungen finden zueinander und lassen sich z.T. entwirren - keine leichte Kost, aber das Lesen lohnt trotzdem und die Lektüre bietet ambivalente, exquisite und verstörende Eindrücke.
Seien wir gespannt auf weitere Romane der Autorin Ruska Jorjoliani!

Bewertung vom 03.12.2021
Das Geschenk
Bronsky, Alina

Das Geschenk


sehr gut

Das passende kleine Geschenk zur Vorweihnachtszeit - ein kurzweiliges Lesevergnügen, unterhaltsam, anregend, sprachlich amüsant. Eine Geschichte, die von Sein und Schein handelt, von Freundschaft und Liebe, von Respekt und Zuneigung. Es geht um das Offensichtliche, das sich teilweise als etwas ganz anderes entpuppt, um Erwartungen, die nicht erfüllt werden, um ein Weihnachtsfest, das so anders ist als erwartet.
Zwei Paare in den späten 50-ern beschließen nach Jahren, Weihnachten wieder einmal gemeinsam zu feiern, ein Fest, das mit vielen Erwartungen und Hoffnungen verknüpft ist. Die Kinder sind aus dem Haus, alte Traditionen und Verpflichtungen können über Bord geworfen werden und man kann sich neu orientieren. Aber an die Geschichte von damals kann eben doch nicht einfach angeknüpft werden, man ist sich fremd geworden, erkennt den alten Freund nicht mehr. Außerdem stehen immer wieder Vergleiche im Raum, wie hat man selbst das Leben bewältigt? Was hat man erreicht? Wer ist erfolgreicher? Attraktiver? Wer vom Alter weniger gezeichnet? Wer hat das Glück gepachtet? Solche Überlegungen und Betrachtungen können aber nicht zielführend sein, ein schales Gefühl bleibt zurück und die Frage nach einem erfüllten, glücklichen Leben gibt dem Buch eine tiefere Ebene als ursprünglich vermutet.
Im Vergleich zu Alina Bronskys anderen Romanen wie „Spiegelkind“, „Scherbenpark“ oder „Baba Dunjas letzte Liebe“ ist diese Erzählung leichter und harmloser, aber der bittere Kern ist doch auszumachen. Schade, dass die Erzählung so schnell schon beendet ist, ich hätte doch gerne noch erfahren, wie es mit den beiden Paaren und Neujahr weitergeht.

Bewertung vom 27.11.2021
Love. Alles was du liebst
Doyle, Roddy

Love. Alles was du liebst


ausgezeichnet

Zwei Männer, eine lange Nacht und das ganze Leben - Zwei Männer, eine lange Nacht und das ganze Leben -
Dave, zu Besuch bei seinem kranken Vater in Dublin, trifft seinen alten Schulfreund Joe und gemeinsam ziehen die beiden 60-Jährigen durch die Kneipen, trinken zu viel, reden zu viel, knüpfen an, bleiben sich fremd und es geht um das ganz große Thema: die Liebe in all ihren Facetten - Frauen, Lust, Begierde, Sehnsucht nach der einen großen Liebe, die eine Lebensbeziehung, aber auch die Liebe zu den Eltern, zu den eigenen Kindern und die Liebe zum Freund werden angesprochen.
Joe hat viel zu erzählen, hat er sich doch gerade von seiner Frau getrennt und ist mit seiner Jugendliebe zusammengekommen. Aber so einfach wie es scheint, ist es nicht, er möchte erklären, für Verständnis werben, aber immer wieder tauchen Missverständnisse auf.
Bei diesen Erzählungen schweifen Daves Gedanken ab und der Leser taucht auch in seine Biographie ein, die erste Freundin, die plötzliche Trennung, seine große Liebe, die Beziehung zu seinem Vater.
Hören sich die beiden überhaupt zu? Wollen sie einander verstehen? Beide vom Teufel und vom Alkohol geritten, verlieren wir den Überblick, was wahr und was Wunschdenken ist. Können wir den Erzählungen trauen? Gibt es die objektive Wahrheit? Geht es überhaupt darum?
Sprachlich sehr geschickt und unterhaltsam führt uns Roddy Doyle durch den Abend und auch durch die Jugend und das Leben der beiden, denn schon damals saßen sie immer wieder in Irish Pubs, um Mädchen kennenzulernen, aufzureißen, über Gott und die Welt zu sprechen und wir gucken ihnen beim Erwachsenwerden zu. Rasant, originell, voller Situationskomik, Lebensklugheit und Sprachwitz - ein anspruchsvolles Lesevergnügen zum Mitdenken und Ausbuchstabieren.

Bewertung vom 20.11.2021
Das Archiv der Träume
Machado, Carmen Maria

Das Archiv der Träume


sehr gut

Das Traumhaus der Finsternis
Was für ein Buch! Roman? Biographie? Autofiktion? Eine Mischung aus alledem, eine Achterbahnfahrt, rasant, ein Fluss voller Geheimnisse, dunkler Bilder, Märchenmotive, Filmausschnitte, Popvideos, philosophischer Gedankengänge - die Lektüre ist ein fesselnder Sog, dem man sich nur schwer entziehen kann.
Eine traumatische Beziehung wird geschildert: die reizvollen, vielversprechenden Anfängen des ersten Verliebtseins, die Phase der Ernüchterung und der ersten Vorboten der Gewalt und Entfremdung, das katastrophale Ende - die schreckliche Abhängigkeit der Autorin von ihrer ehemaligen Geliebten, die Demütigungen, die physische Gewalt und der Psychoterror, von dem sie sich kaum befreien kann und der sie zu einem unselbstständigen, abhängigen, verunsicherten Menschen macht.
Originell erzählt, voller überraschender Vergleiche und Parallelen aus Kunst und Kultur beschreibt die Autorin die reale Beziehung zu ihrer damaligen Partnerin en Detail und man kann nur immer wieder den Kopf schütteln, wozu Menschen in der Lage sind - egal ob hetero oder lesbisch - die Struktur in diesen toxischen Beziehungen ist die gleiche, aufgebaut auf einer ungleichen, zerstörenden Partnerschaft, einem Täter und einem Opfer, auch wenn beide nicht glücklich und erfüllt sind und beide Hilfe und psychologischen Beistand bräuchten.
Eine mutige, persönliche Lektüre, die es schafft, auf ein Tabuthema aufmerksam zu machen, ein dichter, verstörender Blick auf die verwundete Psyche der Autorin.

Bewertung vom 07.11.2021
Wenn ich wiederkomme
Balzano, Marco

Wenn ich wiederkomme


sehr gut

Eine Familie im Zusammenbruch
Die Italienkrankheit

Erst verlässt die Mutter Manuela die Familie in Rumänien und geht als illegale Arbeitskraft nach Italien, um finanziell für ein gesichertes Einkommen und eine gute Schule für die beiden Kinder Manuel und Angelika zu sorgen. Später verabschiedet sich auch noch der Vater, um als Fernfahrer in der Fremde zu arbeiten. Die beiden Jugendlichen werden nun von den Großeltern liebevoll aufgezogen, aber diese sind alt und können nur bedingt die Eltern ersetzen.
Der Roman handelt von den Auswirkungen des Verlusts der Kinder, von der Einsamkeit, der Sehnsucht nach Familie und Gemeinschaft, aber auch dem Überlebenswillen, dem Wunsch der Mutter, den eigenen Kinder mehr bieten zu können und für ein glückliches, erfülltes Leben zu sorgen.
Aber wir ahnen bereits, dass Glück nicht käuflich ist und sich die Probleme häufen werden. Wie gehen die beiden Geschwister mit der traumatischen Erfahrung um? Kann der materielle Zugewinn das Fehlen der Eltern ersetzen? Wo beginnt Verantwortung? Wer lädt Schuld auf sich? Und ist ein gemeinsames Leben danach noch möglich?

Die unterschiedlichen Erzählperspektiven lassen den Erzähler die Figuren kennenlernen. Besonders gelungen ist Maro Balzano die Darstellung des jugendlichen Manuels; diese Sicht und Erzählweise lässt uns in die Psyche des Jungen mit all den Widersprüchen und Wünschen eines Heranwachsenden eintauchen und er wächst uns schnell ans Herz. Fremder dagegen bleiben Mutter und Tochter und ihr Handeln ist nicht immer nachvollziehbar.
Aber dennoch: Alle haben mein Mitgefühl, es gibt nur Verlierer in dieser materiellen Welt.
Der Autor thematisiert die Problematik der Menschen, die im Ausland illegal arbeiten (müssen), um Geld nach Hause schicken und damit eine ganze Familie ernähren zu können. So viele unterbezahlte, häufig illegale, d.h. nicht angemeldete Arbeitsstellen - Putzfrauen, private Altenpflegerinnen, Bauarbeiter, Erntehelfer - für die keine einheimischen Arbeitskräfte gefunden werden. Menschen, die unter unwürdigen Bedingungen existieren und immer nur in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft leben.
Insgesamt ein lohnenswertes und wichtiges Thema, das bis jetzt leider kaum in der Literatur vorkommt - vermutlich, weil zu viele in unserer Welt von diesem System profitieren.

Bewertung vom 23.10.2021
Erfahrungen eines schönen Mädchens
Shulman, Alix Kates

Erfahrungen eines schönen Mädchens


sehr gut

Ein 50 Jahre alter Klassiker der Frauenemanzipation neu übersetzt? Lohnt sich das? Ein Roman, der zu seinem Erscheinen auf der Seite des Establishments eine Welle der Entrüstung nach sich gezogen und auf der anderen Seite viele junge Frauen inspiriert und ihnen einen möglichen Weg in die Freiheit aufgezeigt hat.
In Alix Kates Shulmans Roman begegnen wir Sasha, einer jungen, wunderschönen und intelligenten Frau, die in den gesellschaftlichen Netzen ihrer Zeit gefangen ist - eigentlich eine Prinzessin auf der Erbse auf der Suche nach ihrem Glück lässt sie sich von Männern immer wieder ausnutzen und fremdbestimmen. Ihre Fixierung auf ihr Aussehen ist für uns heute sehr befremdlich! Wir haben das Gefühl, eine Frau wie Sasha, die von Fortuna geküsst ist, hat diese totale Abhängigkeit von Äußerlichkeiten doch gar nicht nötig.
Roxanne, ihre Freundin - geschieden, alleinerziehend, beruflich erfolgreich, intellektuell - ist ihr da schon ein weites Stück voraus und zeigt ein modernes Selbst- und Rollenverständnis - eine Figur, mit der man sich auch heute noch identifizieren kann.
Es geht um eine unglückliche Kindheit, um desaströse Liebesverhältnisse, Schikane am Arbeitsplatz und sexuelle Nötigung, Doppelmoral, Schwangerschaftsabbruch, ungewollte Mutterschaft, Vergewaltigung in der Ehe und immer wieder die Suche nach Freiheit, Leichtigkeit und Glück.

Zurück zur Ausgangsfrage: Ist die Neuübersetzung der „Erfahrungen eines schönen Mädchens“ für uns heute noch ein Gewinn?
Nun ja, wir sind aufgeklärt und emanzipiert, verbinden Arbeit und Familie, tummeln uns erfolgreich auf dem gesellschaftlichen Parkett, werden Ärztin, Professorin, Kanzlerin, sind bei der Partnerwahl beteiligt und lassen uns nichts vorschreiben - glücklicherweise hat sich innerhalb dieser Jahrzehnte viel getan und wir begleiten die Protagonistin Sasha ungläubig in ihrem Netz voller Verpflichtungen und Abhängigkeiten.
Andererseits ist der Roman hochaktuell - der Drang nach Schönheit, Bestätigung, Fitness ist allgegenwärtig: Bei vielen jungen Mädchen ist das Aussehen so wichtig wie nie und dominiert ihr Leben - erkennbar an den Auswirkungen wie Anorexie oder Bulimie und den vielen YouTube Influencern mit ihren Followern, deren Gedanken ständig um Themen wie Mode, Aussehen, Fitness, Ernährung kreisen.
Sowohl im Bereich des extremen Körperkults, des Schönheits- und Jugendwahns als auch im Rahmen der #Me-too-Debatte ist die Aktualität (leider) immer noch gegeben und somit auch die Wiederentdeckung des Romans ein Gewinn!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 21.10.2021
Pop ist tot
Mulitzer, Thomas

Pop ist tot


sehr gut

„Lieber ein Dilettant, der Vollgas gibt, als ein Profi, der nicht mit Herz und Seele bei der Sache ist.“
Die vier ehemalige Bandmitglieder der Punkband „Pop ist tot“ wollen es noch mal wissen und nehmen die Herausforderung aus unterschiedlichen Motiven an: Sie gehen auf eine Revival-Tour und träumen von Freiheit, Jugend und Punk.
Mir gefallen die vier Männer im besten Alter, wie sie versuchen, wieder an ihre alten, wilden Tage anzuknüpfen - und alle sind sofort dabei und schaffen es, sich auf den alten Traum noch mal einzulassen.
Einige der Musiker hätte ich gerne etwas genauer kennengelernt - Branko z.B., über den wir nur sehr wenig erfahren. Günther, der Drummer, ist die treibende Kraft hinter allem, vielleicht auch, weil er der ewige Rebell ist, der es in der „normalen“ Welt nicht sehr weit gebracht hat und weder Job noch Frau, Kinder und Einfamilienhaus im Grünen aufweisen kann. Ich-Erzähler Franz, Sänger mit Stimmproblemen, ist gleich dabei, auch sein Leben ist zu bedeutungslos und langweilig, er nutzt die Chance ohne lang zu überlegen. Bei Hansi, dem Gitarristen, sieht es etwas anders aus - erfolgsverwöhnt mit allem, was zu einer gelungenen Karriere dazugehört, lässt er sich trotzdem auf dieses Abenteuer ein.
Besonders erfolgversprechend ist die Tour allerdings nicht, aber darum geht es auch nicht - der Weg ist das Ziel! Und immer wieder wird betont: Wir sind Helden!
Dieser Roadtrip nimmt uns mit auf eine Fahrt mit Upps and Downs, Alkoholexzessen, ungewöhnlichen Fans, gewaltbereiten Rechten, Schlagerschnulzen und alternde Groupies. Kurzweilig, amüsant und spritzig - ein Lesevergnügen, das gute Unterhaltung, viel Sprachwitz und auch kritische Untertöne bietet.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 20.10.2021
Vertraute Welt
Sok-Yong, Hwang

Vertraute Welt


sehr gut

Es geht um eine große Freundschaft in einer unvorstellbaren Welt des Drecks, Gestanks und Ungeziefers. Die beiden 10- und 13-jährigen Jungen Glupschaug und Glatzfleck lernen sich auf einer Müllhalde kennen, da ihre beiden Eltern ein Verhältnis miteinander eingehen, und sie werden unzertrennlich, überwinden schwierige Momente, erkunden ihre Umgebung, durchleben Abenteuer, lernen voneinander und passen aufeinander auf. Ist so viel Normalität in einer so unfassbaren Welt möglich? Die Sehnsucht nach Verlässlichkeit, Freundschaft, Gemeinsamkeit und Glück ist überall die Gleiche.
Wir Leser werden aber von einer Umgebung eingeholt, die mit nichts zu vergleichen ist - die Ärmsten der Armen leben vom Müll der Reichen, durchforsten ihn nach Brauchbarem, Essbarem, trennen, sortieren und verwenden oder verkaufen auch noch den letzten Rest und versuchen, sich ein Leben in Würde in diesen menschenunwürdigen Verhältnissen der Armut und des Zerfalls zu bewahren.
Die Beschreibung der Müllberge ist faszinierend - fast zärtlich und liebevoll wirken sie wie ein Pastell: Im Licht der aufgehenden Sonne färbt sich der Himmel rötlich und der Müll wird mit allen Sinnen dargestellt - farbig, funkelnd, dehnbar, Geruch ausströmend, zum ohnmächtig werden - aber vor allem kommt er Glupschaug zu Beginn "fremd und unvertraut" vor: die "jungfräulich daliegende Kipperladung".
Sprachlich bezaubert Hwang Sok-Yong durch ungewöhnliche Metaphern, lässt Bilder entstehen und kreiert eine völlig unbekannte Umgebung. Die Ebene des Traumhaften, die Suche nach Schönheit und Hoffnung auf Veränderung, das blaue, geheimnisvolle Licht erinnern an die blaue Blume der Romantik. Aber es ist jeweils die Sehnsucht nach dem Unerreichbaren, nach dem Traum, der absoluten Schönheit. Das Übernatürliche bildet eine reizvollen Gegenwelt, Elemente des magischen Realismus werden gekonnt eingewoben in den düsteren Alltagskampf ums Überleben.
Allerdings wirken die Dialoge des Romans immer wieder etwas steif und unauthentisch, was im Gegensatz zu dem sonst so bildhaften und elegantem Stil steht. In Verbindung mit der teilweise etwas langatmigen Beschreibung der Müllverwertung entstehen einzelnen Längen.
Trotzdem ist der Roman eine klare Leseempfehlung - ein Besuch in einer anderen Welt, der zum Nachdenken und Überdenken eigener Verhaltensmuster anregen kann.