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Dajobama

Bewertungen

Insgesamt 130 Bewertungen
Bewertung vom 11.09.2021
Das Tal in der Mitte der Welt
Tallack, Malachy

Das Tal in der Mitte der Welt


ausgezeichnet

Das Tal in der Mitte der Welt – Malachy Tallack
Alleine der Schauplatz dieser Geschichte hat für mich eine große Anziehungskraft – Shetland.
Tallack beschreibt hier die Menschen und ihre Lebensumstände in einem Tal auf einer kleinen Insel. Es ist ein karges Leben, geprägt von Landwirtschaft und Schafzucht. Man kennt sich untereinander, seit Generationen und kommt miteinander aus. Und doch gibt es immer wieder Veränderungen. Die eine zieht weg, in der Hoffnung auf ein anderes, besseres Leben anderswo. Andere kommen auf die Insel und in das Tal, weil sie Ruhe brauchen, weil sie denken, hier etwas zu finden, was sie bisher vermisst haben. All das immer im direkten Einklang mit der Natur und der einsamen, wunderschönen, manchmal abweisenden Landschaft.
Schafzüchter David hat sein ganzes Leben auf der Insel verbracht. Er sieht die Menschen gehen und kommen und macht sich seine Gedanken dazu. Er vermisst die Gegangenen und bemüht sich um die Neuen. Ohne viele Worte, aber mit viel Lebensweisheit nimmt er das Leben an wie es eben ist.
Der Autor schreibt ganz wunderbar. Die Naturbeschreibungen und liebevollen Charakterzeichnungen zogen mich sofort in ihren Bann. Einfühlsam erzählt er von den einzelnen Schicksalen der verschiedenen Figuren, die auf den ersten Blick teils recht schrullig daherkommen. Die Gespräche sind typischerweise recht kurz und knapp, kaum ein Wort zuviel. Trotzdem, oder gerade deshalb, steckt viel Herz in diesen arbeitsamen Menschen. Sehr authentisch.
Es ist wie eine Momentaufnahme, ein Blick auf eine gewisse Zeit im Leben dieser Menschen im Tal. Beginn und Ende zufällig gewählt. So gibt es eigentlich keinen Handlungsstrang, der konkret zu einem Ende geführt wird. Es ist wie das Leben selbst. Dinge verändern sich, andere bleiben, wie sie waren. All die Figuren in der Geschichte treibt die Frage um, wohin sie gehören. Es ist das Thema Heimat und Wurzeln, das hier eine große Rolle spielt. Eine endgültige Antwort darauf finden allerdings die wenigsten.
Ein grandioser Schreibstil, große Themen unserer und jeder Zeit. Ich habe diesen Roman sehr gerne gelesen und vergebe gerne 5 Sterne und eine dringende Leseempfehlung!

Bewertung vom 11.09.2021
Die letzten Romantiker
Conklin, Tara

Die letzten Romantiker


ausgezeichnet

Die letzten Romantiker – Tara Conklin
Diese Familiengeschichte, die den Zeitraum von 1981 bis 2079 umspannt, konnte mich richtig fesseln und berühren!
Die vier Geschwister Renee, Caroline, Joe und Fiona verlieren 1981 plötzlich ihren Vater. Als wäre das nicht schon genug versinkt die völlig überforderte Mutter im Anschluss jahrelang in einer tiefen Depression. Eine Phase, die die Geschwister als „die große Pause“ bezeichnen. Die Kinder sind gänzlich auf sich selbst gestellt. Was nach außen hin einigermaßen funktioniert, hinterlässt in den Kinderseelen tiefe Spuren.
Gerade Renee, die Älteste, organisiert das neue Familienleben. Sie kümmert sich ums Essen, um die Hygiene, um die Hausaufgaben aller Kinder und um die Sporttermine. Es ist eine immense Verantwortung, die sie für die Geschwister übernimmt. Viel zu früh wird sie mit Dingen konfrontiert, mit denen sich ein Kind nicht beschäftigen sollte. Ein Gefühl, das sie nie mehr wieder ganz loswird.
Tatsächlich werden diese besonderen Umstände der Kindheit gerade mal auf den ersten knapp hundert Seiten beschrieben. Ich hatte das Gefühl, die Charaktere hier schon recht gut kennengelernt zu haben. Anschließend begleitet der Roman die vier Geschwister immer wieder in wichtigen Phasen ihres Lebens. So selbstverständlich und ineinandergreifend sich die vier in ihrer Kindheit umeinander gekümmert haben, so schwierig und kompliziert wird dieses Verhältnis im Erwachsenenalter. Jeder Einzelne hat damals tiefe Wunden davongetragen. Die Autorin gibt hier hochspannende Einblicke in die Psychen ihrer Figuren. Sehr authentisch und komplex. Ergreifend und erschütternd.
So ist dies eine Geschichte über Liebe und Verantwortung. Insbesondere zwischen Familienmitgliedern, aber auch zwischen Partnern. Es geht darum, wie sich die Liebe zu einem Menschen verändern kann und auch ganz verschwinden. Und darum, dass alle Liebe manchmal nicht reicht, jemand
Jeder der vier versucht seine Wunden auf eigene Art zu heilen oder zu vertuschen. Es geht hier auch um die Selbstbestimmung der Frau und den schweren Weg dorthin, bzw. dass dieser Weg für jeden ein anderer sein kann. Es ist ein wirklich sehr kluges Buch, eine Geschichte, die einem nahe geht und auch Genregrenzen sprengt.
Nicht zu vergessen wäre die wirklich wundervolle Sprache, die mich sofort in ihren Bann gezogen hat und von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt hat.
Dieser Roman konnte etwas in mir berühren. Ich fand ihn ganz wunderbar. Deshalb selbstverständlich 5 Sterne und eine riesengroße Leseempfehlung von mir!

Bewertung vom 11.09.2021
Der perfekte Kreis
Myers, Benjamin

Der perfekte Kreis


ausgezeichnet

Der perfekte Kreis – Benjamin Myers

Es ist eine eigenartige, doch besondere Freundschaft, die Redbone und Calvert verbindet. Die beiden könnten unterschiedlicher nicht sein, trotzdem ist es eine ehrliche, tiefe Verbindung. Genauso ungewöhnlich wie die beiden Männer ist ihr gemeinsames Hobby: die Planung und Ausführung von Kornkreisen. Von Mal zu Mal werden die Muster besser und aufwendiger. Am Ende des Sommers soll der perfekte Kornkreis stehen.

Nachdem ich bereits das Werk „Offene See“ des Autors geliebt habe, war ich umso gespannter auf seinen neuen Roman. Wie auch der Vorgänger ist auch dies eine sehr ruhige, atmosphärische Geschichte, die sich in der Gegenwart beinahe ausschließlich um die Kornkreise dreht. Auch das hat eine gewisse Spannung inne. Die beiden wollen nicht als Ersteller erkannt werden, die nächtlichen Aktionen finden heimlich statt – in der ständigen Gefahr erkannt zu werden. Nach und nach wird zudem klar, wieviel diese Kornkreise, diese sommerliche Beschäftigung für die beiden Männer bedeutet. Beides sind zutiefst zerrissene, traumatisierte Gestalten. Die Kornkreise zugleich Rettung und Therapie.

Es steckt eine tiefe Liebe zu Natur und heimischer Tierwelt in diesen Kornkreisen. Die Männer arbeiten behutsam, ohne Schäden anzurichten. Der Autor thematisiert Umweltsünden, sowie den bereits einsetzenden Klimawandel. Die Kornkreise verkörpern die Schönheit der Schöpfung und versuchen die Heilung zweier Seelen.

Wie schon im Erstlingswerk überzeugt Myers durch eine wunderbare, poetische Sprache, tiefe Naturverbundenheit und tiefe, wahre Gefühle. Ganz großes Kino – trotz wenig Handlung. Wunderbar! Große Leseempfehlung und 5 Sterne!

Bewertung vom 07.08.2021
Der Fluch des schwarzen Goldes / Young Detectives Bd.1
Schlüter, Andreas

Der Fluch des schwarzen Goldes / Young Detectives Bd.1


ausgezeichnet

Young Detectives – Der Fluch des schwarzen Goldes – Andreas Schlüter
Der Autor Andreas Schlüter hat sich durch viele tolle Kinder- und Jugendbücher bereits einen Namen gemacht. Hiermit startet er nun eine neue Kinderbuchreiche – die Young Detectives. Dieser erste Band konnte uns wieder vollends überzeugen!
Paul, Daniel, Seo-Yun und Isabel sind Schüler des Leonardo-da-Vinci-Internats für Hochbegabte. Alle vier sind echte Nerds und Naturwissenschafts-Fans. Als es an ihrer geliebten Schule zu Diebstählen kommt und auch noch der Hausmeister unter dubiosen Umständen verschwindet, gründen sie kurzentschlossen einen geheimen Detektiv-Club.
Dieses Buch liest sich wie eine Neuauflage der drei Fragezeichen, mit dem großen Unterschied, dass hier die modernste Technik aufgefahren wird. Die hochbegabten Schüler kennen sich mit allem aus, sei es Drohnen mit Wärmebildkamera, Videokonferenzen oder modernste Kriminalistik. Gerade das macht einen großen Reiz aus, holt es doch die junge Generation von heute auf dem aktuellen technischen Stand ab.
Die vier Kinder stammen von den verschiedensten Teilen dieser Erde und aus unterschiedlichsten sozialen Verhältnissen. Dieser Umstand wird zwar immer nur kurz nebenbei erwähnt, trotzdem bringt er Vielfalt in die Geschichte.
Es ist ein spannender Kinderkrimi, aber natürlich auch eine Geschichte über Freundschaft und Anderssein.
Sprachlich ist der Roman sehr gut an die Zielgruppe angepasst. Der Text ist immer wieder durch Schwarz-Weiß-Illustrationen unterbrochen, die ebenfalls für Abwechslung sorgen.
Insgesamt hat uns der Auftakt dieser neuen Reihe hervorragen gefallen. Wir erwarten gespannt die folgenden Bände und vergeben gerne 5 Sterne!

Bewertung vom 24.07.2021
Eine Seuche in der Stadt
Ulitzkaja, Ljudmila

Eine Seuche in der Stadt


sehr gut

Eine Seuche in der Stadt – Ljudmila Ulitzkaja

Dieses Drehbuch ist topaktuell und wurde doch schon 1978 verfasst. Es handelt von einem tatsächlichen Pestausbruch in Moskau im Jahr 1939. Der Forscher Rudolf Iwanowitsch Mayer infiziert sich versehentlich mit einem Pest-Erreger. Nach seiner Erkrankung tritt umgehend eine Maschinerie in Kraft, die uns seit der Corona-Pandemie nur allzu bekannt vorkommen dürfte: die Nachverfolgung von Kontakten, sowie die Isolierung dieser Personen.

Der Unterschied zu unserer heutigen Situation liegt in der Zeit und am Regime. Moskau befindet sich in der Zeit des Großen Terrors, ohnehin fürchtet jeder täglich, von Stalins Schergen in dessen Folterkeller verschleppt zu werden.

Tatsächlich tritt der sowjetische Geheimdienst auf den Plan und setzt die Quarantäne ohne viel Federlesens und sehr radikal durch. Stalins Regime ist damit auf schreckliche Art und Weise sehr erfolgreich. Und so stellt sich die Frage, wer die größere Gefahr für das Volk darstellt: die Seuche, oder das Terrorregime.

Dieses Werk ist nur knapp über 100 Seiten lang. Außerdem ist es ausdrücklich kein Roman, sondern ein Drehbuch und als solches sehr stakkato artig, mit vielen schnellen Szenewechseln geschrieben. Der Leser ist ganz klar auf den Zuschauersessel verbannt – und bleibt dem Geschehen distanziert, trotz teils schlimmer Szenen. Die erste Hälfte fand ich hier noch sehr interessant, dann wurde mir diese Erzählweise doch etwas zu monoton.

Ich muss zugeben, dass mich mehr noch als das eigentliche Drehbuch, das Nachwort der Autorin „Schlimmer als die Pest“ vom Herbst 2020 fasziniert hat. Die Infos zur Entstehungsgeschichte fand ich hochinteressant. Mir wurden auch noch einige andere Dinge zum Zusammenhang klar, die ich nicht auf Anhieb verstanden hatte.

Insgesamt topaktuell und sehr lesenswert! Die Erzählform des Drehbuchs lag mir nicht ganz so sehr. Trotzdem gebe ich 3,5 Sterne, die ich gerne auf 4 aufrunde!

Bewertung vom 07.07.2021
Wie viel von diesen Hügeln ist Gold
Zhang, C Pam

Wie viel von diesen Hügeln ist Gold


ausgezeichnet

Wie viel von diesen Hügeln ist Gold – C. Pam Zhang

Wow, was für eine Geschichte! Wie eine Naturgewalt hat mich der Sog mitgerissen und nur schwerlich wieder ausgespuckt. Dieses bemerkenswerte Debüt lebt vom großen schriftstellerischen Talent der Autorin und einem starken, sehr besonderen Erzählton.

Zwei Geschwister, Sam und Lucy, sind allein unterwegs mit ungewissem Ziel. Sie sind Waisen und in diesem Land niemals wirklich angekommen – obwohl beide hier im Wilden Westen, zur Zeit des Goldrausches geboren wurden. Sie führen ein Pferd mit sich und eine große Kiste mit der Leiche ihres Vaters.

Es ist eine Geschichte über die Suche nach Wurzeln, nach der eigenen Identität. Auch über tiefsitzenden Rassismus und festgelegte Geschlechterrollen. Und darüber, was der Verlust eines Elternteils auslösen kann. Über Verrat und Verzweiflung. Und über die Hoffnung, doch noch Gold zu finden und es auf die Sonnenseite des Lebens zu schaffen. Vor allem eine Geschichte über die verzweifelte Suche nach einem Zuhause. Es sind also eine ganze Menge Themen, denen sich die Autorin hier zuwendet. Das eigentlich besondere an diesem Werk ist aber die literarische Umsetzung. Denn die ist grandios.

Ein beinahe poetischer Schreibstil, der die Rauheit des Wilden Westens perfekt mit den Märchen und Sagen aus der chinesischen Mythologie verbindet. Poetisch und tiefsinnig greift die Autorin existenzielle Fragen auf, spielt mit ihren Lesern und deren (verborgenen) Vorurteilen. Immer wieder wird man auf eine falsche Fährte geführt, dazu gezwungen, sich mit all diesen Themen auseinanderzusetzen. Immer wieder ist dieser Roman für eine Überraschung gut. Das beginnt bereits bei der Einteilung.  Die Geschichte ist in vier Teile gegliedert – und jeder davon überrascht,  ist völlig anders als der vorhergehende und trotzdem passend.  In jedem neuen Teil werden Überzeugungen über den Haufen geworfen, eine neue Sicht der Dinge präsentiert.

Es ist eine überragende Atmosphäre, der man bei dieser Lektüre ausgesetzt ist. Leider ist es zwar eine sehr düstere, unheilschwangere Grundstimmung, aber fesselnd. Grausame, brutale Szenen werden mit wenigen Worten umrissen und wirken dadurch nur noch umso stärker.

Auf jeden Fall ein Leseerlebnis der besonderen Art. Man muss sich darauf einlassen,  es lohnt sich.

Edit: noch Tage nach der Lektüre lässt mich die Geschichte nicht los, hadere ich mit dieser oder jener Entwicklung. Die beiden Kinder sind beinah lebendig geworden, ihr Schicksal hat mich sehr berührt.

5 Sterne und eine dringende Leseempfehlung!

Bewertung vom 03.07.2021
Der Brand
Krien, Daniela

Der Brand


gut

Der Brand – Daniela Krien
Dieser Roman der hochgelobten Autorin soll eine Ehe thematisieren, aus der sich nach vielen gemeinsamen Jahren die Liebe verflüchtigt hat. Das tut er auch, aber nicht besonders intensiv. Dafür beschäftigt er sich zusätzlich noch mit viel zu vielen großen Themen – leider alles nur am Rande. Mehr ist auf gut 260 Seiten auch gar nicht möglich.
Rahel und Peter sind seit dreißig Jahren verheiratet und haben sich in letzter Zeit ziemlich entfremdet. Woran liegt das? Bis zu welchem Grad ist sowas normal? Fragen, die sich wohl fast jeder selbst einmal stellt. Ein geplanter Urlaub fällt ins Wasser, dafür müssen sie kurzfristig für drei Wochen das Haus eines befreundeten Ehepaars hüten. Die beiden wechseln sich damit ab, sich gegenseitig aus dem Weg zu gehen, eine Annäherung findet nur zögerlich statt.
Über diese Ehe erfährt man leider gar nicht so viel, wie es der Klappentext vermuten lassen würde. Vielmehr reißt die Autorin noch etliche andere Themen an. Das schwierige Verhältnis zur Tochter, die noch schwierigere Beziehung zur bereits verstorbenen Mutter, die Frage, wer eigentlich der eigene Vater ist, psychische Erkrankungen, Älterwerden,… Im Prinzip erfährt man die Dinge ausschließlich aus Rahels Sicht. Und über allem eine große Sprachlosigkeit.
Was man Frau Krien zugutehalten muss, ist ihr wunderbarer Sprachstil. Sie hat eine besondere Art, sich auf die kleinen Dinge zu konzentrieren. Es ist eine schöne Sprache, die man gerne liest. Einige wunderbare Textstellen sind zu finden, poetisch und einfach das wahre Leben. Ungeschönt und wahr.
Leider täuscht das für mich nicht darüber hinweg, dass der Inhalt nicht hält, was er verspricht. Das eigentliche Grundthema wurde nicht richtig ausgearbeitet. Viele zusätzliche Themen werden angerissen und so stehen gelassen. Insgesamt gibt das ein eher unrundes Bild. Die Handlung hat etwas Alltägliches, gar belangloses. Am Ende konnte sie mich leider nicht wirklich berühren. Davon hatte ich mehr erwartet.
3 Sterne.

Bewertung vom 18.06.2021
New York Ghost
Ma, Ling

New York Ghost


sehr gut

New York Ghost – Ling Ma
Das hier ist eine Dystopie, die gerade in Corona-Zeiten sehr bedrückend wirkt. Nein, es geht hier nicht um einen Virus, sondern um einen tödlichen Pilz, der das Shen-Fieber hervorruft und nahezu die gesamte Bevölkerung ausgelöscht hat. Hat man sich erstmal infiziert, gibt es keine Hoffnung mehr. Jeder Leser muss selbst wissen, ob er in der aktuellen Situation Lust auf eine derartige Story hat.
Candace Chen lebt und arbeitet in der Metropole New York. Obwohl das Shen-Fieber um sich greift und viele Überlebende aufs Land fliehen, bemerkt sie kaum, wie sich die Stadt rapide leert. Aus einer chinesischen Einwandererfamilie stammend, besitzt sie keine Wurzeln in der neuen Heimat. Als eine der allerletzten verlässt sie schließlich doch New York und schließt sich einer Gruppe von Überlebenden an.
Dieser Roman ist in drei Erzählsträngen angelegt. Die Gegenwart behandelt die Flucht aus New York und die Reise mit der Überlebendengruppe, deren Konflikte, etc. Es ist knallhart erzählt mit einigen recht brutalen Szenen. Dann gibt es noch einen Strang, der nur wenige Wochen, bzw. Monate früher angesiedelt sein dürfte. Hier wird das (Arbeits-)Leben von Candace skizziert. Man erfährt, wie das Fieber um sich greift, die Stadt immer leerer wird. Ein dritter Handlungsstrang geht zurück bis in die Kindheit von Candace in China und die Umsiedlung mit den Eltern. Diesen dritten Teil, der auch immer wieder eingeflochten wird, hätte ich persönlich jetzt nicht gebraucht. Es hat sich mir nicht erschlossen, warum die Infos über ihre Herkunftsfamilie für das weitere Geschehen relevant sein sollten.
Besonders interessant fand ich, dass diese Pilzsporen über billige chinesische Konsumgüter in die ganze Welt verteilt wurden. Zum Einen natürlich doch wieder der chinesische Ursprung des Corona-Virus, vor allen Dingen aber ist es eine beißende Kritik am Kapitalismus der immer wieder ganz deutlich zur Sprache kommt. Obwohl Candace sich des Problems durchaus bewusst ist, hält sie, scheinbar mangels Alternativen, bis zum Schluss verbissen an ihrem Job fest. Angesichts der leeren Stadt eine groteske Vorstellung.
Idee und Hintergrund fand ich also extrem interessant und lesenswert. Bereits des Öfteren ist es mir allerdings passiert, dass ich beim Lesen asiatischer Autoren eine gewisse Distanz nicht überbrücken konnte. Candace blieb mir fremd, ihre Gefühle spielen nur eine untergeordnete Rolle, ihre Handlungen sind von daher nicht immer nachvollziehbar. Die Handlung ist spannend, teils brutal, oft recht offenherzig erzählt (gerade was sexuelle Kontakte in der Großstadt betrifft), trotzdem ist da eine Sachlichkeit, die mich zum Außenstehenden machte, mich nicht so ganz in die Geschichte hineinließ.
Wer Endzeitstorys und Geschichten über Pandemien mag, ist hiermit sicherlich gut bedient. Ling Ma hat eine kluge und anspruchsvolle Dystopie geschrieben, der ich noch viele Leser wünsche. 4 Sterne.

Bewertung vom 06.05.2021
Der Sommer, als Mutter grüne Augen hatte
T_îbuleac, Tatiana;Tîbuleac, Tatiana

Der Sommer, als Mutter grüne Augen hatte


sehr gut

Der Sommer, als Mutter grüne Augen hatte – Tatiana Tibuleac

Es ist der blanke Hass, der dem Leser gleich auf den ersten Seiten dieses ungewöhnlichen Romans entgegenschlägt. Ungefiltert und beinahe unerträglich stark sind die negativen Gefühle, die der siebzehnjährige Aleksy seiner Mutter gegenüber empfindet. Nach einer schwierigen Kindheit holt sie ihn aus dem Erziehungsheim ab, um einen ganzen Sommer in Nordfrankreich mit ihm zu verbringen. Was Anfangs unvorstellbar erscheint, wird tatsächlich ein Urlaub, der alles verändert.

Dieser Roman beginnt richtig stark. Aleksys Hass erschlägt einen regelrecht. Was ist passiert, dass er seine Mutter so sehr hasst? Die Sprache ist knallhart, spiegelt seine Gedanken wider, wie eben ein Siebzehnjähriger, der von der ganzen Welt enttäuscht ist, so denken mag. Mit sämtlichen Beleidigungen, auch unterhalb der Gürtellinie. Der Erzählstil ist zudem sprunghaft, abrupt.

Wie gesagt, dieser spezielle Stil hat mich gerade im ersten Teil sehr begeistert. Eindringlich und besonders. Diese Begeisterung hat dann aber stark nachgelassen. Zu unwahrscheinlich manche Entwicklung, zu sehr schwarz-weiß manche Darstellung. Durch die etwas sprunghafte Erzählweise blieb doch vieles ungeklärt und sehr offen. Zu viele Bruchstücke, die mir für eine runde Geschichte fehlten.

Dennoch – sowohl Aleksy als auch seine Mutter machen eine wahnsinnige Entwicklung durch, die wirklich schön zu verfolgen ist. Damit reiht sich dieser Roman ein in eine ganze Riege „dieser-eine-spezielle-Sommer-Bücher“, die dieses Jahr scheinbar vermehrt erscheinen. Allerdings hab ich bereits mehrere gelesen, die mir besser gefallen haben. Deshalb reicht es hier gerade noch für 4 Sterne!

Bewertung vom 05.05.2021
Die Geschichte von Kat und Easy
Pásztor, Susann

Die Geschichte von Kat und Easy


ausgezeichnet

Die Geschichte von Kat und Easy – Susann Pasztor
Um es vorab zu sagen: das ist für mich ein Jahreshighlight 2021! Ein Roman, so berührend und aufwühlend, dass er mich noch lange beschäftigt hat.
Die Geschichte einer ganz besonderen Freundschaft zwischen Kat und Easy wird auf zwei Zeitebenen erzählt. Im Heute treffen sich die beiden inzwischen erwachsenen Frauen auf der griechischen Insel Kreta. Dort verbringen sie eine Woche zusammen und versuchen, ein jahrzehntelanges Schweigen zu brechen und die Ereignisse eines schicksalhaften Sommers ihrer Jugend aufzuarbeiten. Der zweite Erzählstrang spiel in eben jenem Jahr 1973, als beide Mädchen in denselben Jungen, Fripp, verliebt waren. Nach einem tragischen Unfall nimmt die Freundschaft ein jähes Ende. Aber was ist damals wirklich passiert?
Susann Pasztor hat einen wahnsinnig tollen Schreibstil. Von der allerersten Seite an, hat sie mich damit gepackt und nicht mehr losgelassen. Augenblicklich fühlte ich mich in meine eigene Jugend zurückversetzt. Insbesondere der Erzählstrang in der Jugend erinnerte mich stark an den Schreibstil von Benedikt Wells. Schnoddrig und mit guter Portion Herzenswärme. Auf jeden Fall ganz nah am echten Leben. Mit einer unglaublichen Authentizität und Eindringlichkeit erweckt sie Kat und Easy zum Leben. Das gelingt ihr sowohl bei den sechzehnjährigen Mädchen, als auch bei den reifen Frauen. Das finde ich wirklich bemerkenswert.
Dieses Jahr 1973 hat für beide Frauen Weichen gestellt, hat sie fürs Leben geprägt. Wären diese anders (glücklicher?) verlaufen, wären sie Fripp niemals begegnet? Kann eine einzige tragisch endende Liebe in der Jugend, ein ganzes Leben beeinflussen? Und was ist denn nun eigentlich genau passiert? Es sind große tiefgreifende Fragen, die hier aufgeworfen werden, die vermutlich jeden Leser bereits einmal beschäftigt haben.
Es passiert nicht allzu oft, dass mich ein Buch nach dem Beenden noch derart beschäftigt. Immer wieder überlegte ich mir andere Variationen. Was wäre gewesen, wenn… Warum hat Easy so gehandelt.. etc. etc.
Ein tolles, ein großartiges Buch und eine absolute Leseempfehlung!
Highlight – 5 Sterne!