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Aischa

Bewertungen

Insgesamt 517 Bewertungen
Bewertung vom 22.02.2023
Uns bleibt immer New York
Miller, Mark

Uns bleibt immer New York


weniger gut

Nach längerem habe ich es mal wieder mit sogenannter "Unterhaltungsliteratur" versucht - und wurde herb enttäuscht. Dabei klang der Plot recht vielversprechend und die Mischung aus Liebesgeschichte, Thriller und Familiendrama ist oft recht kurzweilig und liest sich flüssig. Zudem teile ich mit der Protagonistin die Leidenschaft für bildende Kunst.

Doch leider erfüllt "Uns bleibt immer New York" meine Ansprüche an einen guten Roman nicht. Mark Miller erzählt zu trivial, die Figuren sind klischeehaft und entwickeln sich nicht. Wenn dann noch Sach- und Grammatikfehler hinzukommen, leidet meine Lust am Lesen. (Wenn es in New York 15:13 Uhr ist, dann ist die Zeit in Paris eben nicht 9:13 Uhr, sondern 21:13 Uhr! Ein Gesicht kann nicht eindimensional wirken, sondern höchstens zweidimensional, usw.)

Gut gefallen haben mir anfangs sowohl die den kurzen Kapiteln vorangestellten Zitate aus Liedtexten - die Songs finden sich im Anhang als Playlist - wie auch die zahllosen Referenzen zu Gemälden, Filmen, TV-Serien oder Literatur. Doch leider übertreibt Miller es hier, die Zitate und Anspielungen häufen sich extrem und treten oft ohne erkennbaren Bezug zur Geschichte auf und stellen keinen wirklichen Mehrwert dar. Vielmehr kam es mir vor, als ob der Autor mit seinem Wissen in Kunst und Medien glänzen wollte. Mit Verwunderung habe ich das Kurzinterview auf der Innenseite der Klappenbroschur gelesen. Hier erfährt man nämlich nicht nur, dass Mark Miller ein Pseudonym ist, sondern auch, dass der Autor seine wahre Identität verheimlicht, weil in seinem Umfeld "unterhaltsame Liebesgeschichten" nicht gern gesehen sind. Nun, wirklich unterhaltsam fand ich die Story nur teilweise, und dass der Autor nicht zu seinem Werk steht, macht es für mich noch fragwürdiger.

Bewertung vom 18.02.2023
Lichte Tage
Winman, Sarah

Lichte Tage


ausgezeichnet

Wow, was für eine Kraft! Diese Story hat mich verzaubert, zutiefst berührt und aufgewühlt. Ich habe die gerade einmal 230 Seiten fast in einem Rutsch gelesen und hatte am Ende Lust, gleich noch einmal von vorne zu beginnen.

Die britische Schauspielerin und Romanautorin Sarah Winman erzählt von Liebe und Freundschaft, von ungelebten Träumen und erfüllten Sehnsüchten, von Menschen, die in gesellschaftlichen Zwängen feststecken, und von anderen, die sich davon lossagen und aufbrechen, aber damit auch Familie und Freunde zurück lassen und verletzen.

Der Roman gliedert sich in zwei Hauptteile. Im ersten steht Fabrikarbeiter (und verhinderter Künstler) Ellis, im zweiten Schriftsteller Michael im Mittelpunkt. Anhand vieler Rückblicke zeichnet sich nach und nach ein Bild der intensiven Freundschaft der beiden ab, in der auch die gleichgeschlechtliche Liebe Platz findet. Das ändert sich, als Ellis sich in eine Frau verliebt, aber die drei sind einander innigst freundschaftlich verbunden. Jedenfalls bis zur Hochzeit von Annie und Ellis, danach zieht sich Michael zurück, bricht den Kontakt ab, zieht von Oxford nach London und taucht in die dortige schwule Szene ein.

Scheinbar mühelos gelingt es Winman, Personen, Szenerien und Stimmungen so deutlich herauszuarbeiten, dass man förmlich meint, das Beschriebene selbst erlebt zu haben. Atemlos erinnerte mich die Lektüre an die übermächtige Bedrohung, die AIDS in den 1980ern darstellte, an das furchtbare, massenhafte und qualvolle Sterben junger Männer, eng verknüpft mit Scham und Tabuisierung.

Es ist eine tieftraurige Geschichte, einfach wunderbar erzählt.

Bewertung vom 14.02.2023
Malvenflug
Wiegele, Ursula

Malvenflug


gut

Ursula Wiegeles neuestem Roman liegt eine fundierte Recherche zugrunde, die Respekt verdient. Es gefällt mir, dass sie durch ihr Buch die einzelnen Schicksale der vielköpfigen österreichischen Familie Prochazka während und nach dem zweiten Weltkrieg nicht in Vergessenheit geraten lässt, dass sie die Geschichte lebendig werden lässt.

Denn sicher frage nicht nur ich mich in Bezug auf die NS-Diktatur immer wieder: Wie konnten derartig unmenschliche Grausamkeiten in unvorstellbarem Ausmaß nur geschehen? Doch leider liefert "Malvenflug" darauf keine Antworten. Zwar gibt es im ersten Teil zahlreiche Perspektivwechsel, doch so richtig nahe kam mir keine der Figuren. Dafür taten sich immer neue Fragen auf: Wie ging es der Mutter damit, während ihrer Anstellung in einem Schweizer Hotel so lange getrennt von ihren Kindern zu sein, welche Ängste musste sie während des Kriegs ausstehen, warum blieb sie auch nach Kriegsende noch lange fern der Heimat? Wieso unterstützte sie ein Kind ihres Ex-Mannes aus zweiter Ehe finanziell? Auch Großeltern und die vielen Kinder bleiben recht farblos, zu distanziert und nüchtern ist der Erzählstil, ich konnte keine Beziehung zu den Figuren aufbauen. Ich musste fast bis zum Romanende immer wieder zum (glücklicherweise) vorangestellten Personenregister vorblättern, um den Überblick nicht völlig zu verlieren. Der Alltag bleibt fragmentarisch, für Gefühle ist wenig Platz, Beweggründe sucht man vergebens. An den ersten, episodenhaften Teil schließt Wiegele eine Erzählung an, die sie ausschließlich in einem Rückblick aus Sicht der ältesten Tochter erzählt. Doch auch hier wird das meiste nur angerissen, mir fehlt leider Tiefgang.

Fazit: Zu wenige Buchseiten für derart viele Lebenswege.

Bewertung vom 09.02.2023
Phlox
Schmidt, Jochen

Phlox


gut

Wir begleiten Schmidts Protagonisten Richard in diesem Roman auf einer Reise in das fiktive Örtchen Schmogrow im Oderbruch, genauer gesagt in das Haus des Ehepaars Taziet. Diese vermieteten jahrzehntelang Zimmer an Feriengäste, und so taucht Richard schon bei der Anfahrt tief in Kindheitserinnerungen ein.

Dies ist sehr unterhaltsam, vor allem wenn der recht eigene Witz durchschimmert, etwa bei der Erklärung, dass heutzutage viel mehr Doppelnamen für den Nachwuchs vergeben würde, da die Paare insgesamt einfach weniger Kinder bekommen. Und Schmidt flicht sehr geschickt geschichtliche Hintergründe ein, fast beiläufig liest man von den Schrecken des zweiten Weltkriegs und den Schattenseiten der DDR-Zeit. Es gibt kluge Gedanken, wie den, dass die Kunst ihre Aufgabe, den menschlichen Körper zu idealisieren, an den Sport verloren hat.

Doch leider habe ich mich über weite Strecken sehr durch den Roman gequält, was vor allem am Schreibstil lag. Schmidt neigt zu schier endlosen Schachtelsätzen, die sich schon mal über knapp eine Seite ziehen können. Er kommt vom Hundertsten ins Tausendste, so dass ich meinen Blick oft suchend zurück zum Satzanfang wenden musste, um das Ende zu verstehen. Einerseits hat das einen gewissen Reiz, denn so funktionieren Erinnerungen ja oft, Bruchstücke tauchen auf und ein Gedanke führt zum nächsten. Aber andererseits ist das als Lektüre wirklich herausfordernd, es hat meine Geduld sehr auf die Probe gestellt. Auch bei Aufzählungen übertreibt der Autor gerne. Wo mir drei oder meinetwegen auch fünf Beispiele für etwas reichen würden, reiht er Dutzende Eigenschaften, Schlagworte oder Satzteile aneinander. Ich fühlte mich durch diese schiere Masse wie erschlagen und hatte manchmal das Gefühl, "vor lauter Bäumen den Wald nicht zu sehen". Ähnlich wie bei einem Wimmelbild, bei dem man bei der Betrachtung der unzähligen kleinen Details auch nur schwer die ganze Bildkomposition erfassen kann.

Ein weiteres Detail, an dem ich mich persönlich gestört habe, ist der Gebrauch des Buchtstabens "ß". Mag sein, dass der Autor durch die Rückkehr zur deutschen Schreibweise vor der Reform 1996 auch orthografisch die Reise in die Vergangenheit abbilden wollte - ich kann dem Ganzen nichts abgewinnen und möchte lieber "dass" als "daß" lesen.

Bewertung vom 08.02.2023
Der junge Mann
Ernaux, Annie

Der junge Mann


weniger gut

Man muss wohl Literaturnobelpreisträgerin sein, um eine drei Jahrzehnte zurückliegende Affäre zu einem deutlich jüngeren Mann auf gerade einmal 48 Seiten abzuhandeln und für dieses schmale Büchlein auch noch gefeiert zu werden.

Mich hat diese autobiografische Erzählung sehr enttäuscht. Ja, Ernaux ist nicht nur sich selbst, sondern auch ihrer Leserschaft gegenüber ehrlich. Sie benennt klar, dass die finanzielle Abhängigkeit des Studenten von ihr zu einem Ungleichgewicht der Macht innerhalb der Beziehung führte und sie gesteht, dass sie auch deshalb mit einem Jüngeren zusammen war, um sich selbst jünger zu fühlen, sie erlebte mit ihm ihre eigene Jugend erneut. Aber mal ehrlich, ist dies heutzutage noch eine bahnbrechende Offenbarung? Ja, es hat sicher Mut erfordert, in den 1990er Jahren als Mittfünfzigerin mit einem Toyboy in der Öffentlichkeit aufzutreten. Aber wie dies nun literarisch verarbeitet wurde, überzeugt mich nicht ansatzweise.

Ernaux zeigt Standesdünkel, wenn sie vom "dauerhaften, ererbten Geldmangel" ihres Lovers spricht. Und dass andere im Sex zu einem deutlich Jüngeren eine Art Inzest gesehen haben sollen, ist mir zu weit hergeholt. Der Erzählstil ist fast durchweg extrem nüchtern, geradezu emotionslos. Die Beziehung wird literarisch ausgeschlachtet, auf unsympathische Weise wird Persönliches instrumentalisiert. Ernaux benutzte Sex mit dem Jüngeren, um ihren Schreibprozess in Gang zu setzen. O.k., aber ehrlich gesagt interessiert mich die Motivation einer Schriftstellerin nicht die Bohne, solange sie sich im Rahmen der Legalität bewegt.

Ja, Ernaux ist bekannt dafür, das eigene Leben für andere erfahrbar zu machen und dabei auch noch gute Literatur zu produzieren. Doch hier ist das leider missglückt.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.02.2023
Der alte König in seinem Exil
Geiger, Arno

Der alte König in seinem Exil


weniger gut

Arno Geiger hat mich mit diesem Buch über seinen an Alzheimer erkrankten Vater sehr berührt. Und zwar leider höchst unangenehm berührt. Geiger war es wichtig, diese sehr persönliche Geschichte, an der er über sechs Jahre gearbeitet hat, noch zu Lebzeiten seines Vaters zu veröffentlichen. Ich finde das reichlich problematisch. August Geiger wird hier zum Protagonisten einer biografischen Erzählung, intimste Details werden vor der Leserschaft ausgebreitet, ohne dass der Betroffene widersprechen kann, einfach deshalb, weil er nicht mehr geschäftsfähig ist und auch gar nicht mehr erfassen könnte, was es bedeutet, dermaßen zur Schau gestellt zu werden.

Arno Geiger schreibt durchaus unterhaltsam, ich habe die knapp 200 Seiten nahezu am Stück gelesen. Und auch wenn, wie er selbst konstatiert, jeder Demenzkranke sich vom anderen unterscheidet, so mag seine Schilderung doch für viele betroffene Angehörige Trost bereit halten. Allein, seine Sicht der Dinge ist mir zu geschönt. Geiger sucht (und findet in seiner Interpretation auch) im immer stärker mental und sprachlich eingeschränkten Vater Großartiges zu entdecken. Für mich sind die väterlichen Zitate weniger Ausdruck eines nach wie vor wachen Intellekts als vielmehr glückliche verbale Zufälle. Und auch Geigers Deutung von Alzheimer als Jahrhundertkrankheit kann ich nicht folgen. Der Autor vermeint in der rapiden Zunahme an Demenzerkrankungen eine Reaktion auf gesellschaftliche Veränderungen zu sehen. Die große Zahl an Neuerungen, der Wegfall von "Pfeilern" wie Religion, Sitten etc. führt für ihn zu Verunsicherung vieler Menschen, die sich in Folge davon auch geistig zurückziehen. Diese Argumentation ist sehr fragwürdig. Denn einerseits haben ja wohl zwei Weltkriege auch bereits massive Verunsicherungen ausgelöst, und andererseits korreliert der Anstieg an Demenzerkrankungen schlichtweg mit einer wachsenden Lebenserwartung. Nun ja, Geiger ist halt Schriftsteller und kein Wissenschaftler. Doch dann sollte er sich auch nicht zu solch schrägen Aussagen hinreißen lassen.

Neben dem Inhalt stört mich auch die Form, eine Art biografischer Essay. Der Duktus ist oft plaudernd distanziert, manches wirkt dadurch belangloser als es gewesen sein muss. August Geigers Schicksal böte Stoff für einen bewegenden Roman, zu wirklich großer Literatur konnte sein Sohn diese Geschichte leider nicht machen.

Bewertung vom 02.02.2023
Das glückliche Geheimnis
Geiger, Arno

Das glückliche Geheimnis


gut

Ich gestehe: Zunächst gewann Arno Geiger mit seiner neuesten Veröffentlichung meinen Respekt. Als renommierter Schriftsteller zuzugeben, dass er jahrzehntelang die Altpapiercontainer Wiens durchsucht hat, dazu gehört Mut. Zumal er auch weiter im Dreck wühlt, nachdem seine anfängliche Motivation nicht mehr gegeben ist, nämlich Fundstücke von materiellem Wert wie Kunstpostkarten oder antiquarische Buchausgaben verkaufen zu können und sich somit in seinen prekären Anfangsjahren als Autor etwas dazu zu verdienen. Denn Geiger hortet auch entsorgte Tagebücher und Briefkonvolute und nutzt diese als Inspirationsquelle für sein literarisches Werk.

"Darf der das?" habe ich mich des Öfteren gefragt. Auch wenn das Briefgeheimnis für lange Verstorbene nicht mehr gilt, so bleibt es doch in meinen Augen zumindest moralisch fragwürdig, sich derartige Einblicke in fremde Lebensläufe zu verschaffen. Doch damit nicht genug, Geiger inszeniert sich auch noch als "Künstler des Ungekünstelten", will seine Leserschaft glauben machen, dass er sich quasi wie ein literarisches Trüffelschwein durch die Aufzeichnungen Fremder wühlt, um Kenntnis vom echten Leben zu erhalten und diese Einsichten dann seinen Leserinnen und Lesern zu präsentieren. Stellenweise gelingt dies sogar, es gibt durchaus Stellen, die zum Nachdenken anregen. ("Ein Mensch mit nur einer Seite ist ein Monster.")

Definitiv nicht dazu gehören für mich allerdings Geigers Schilderungen seines Sexuallebens in jungen Jahren. Ob er keine, eine oder sogar zwei Freundinnen gleichzeitig hatte, mit welcher er verhütete und mit welcher nicht, interessiert mich einfach nicht. Zumal es seltsam aufgesetzt wirkt, ich kann nicht erkennen, wieso Geiger diesen Episoden derart viel Raum gibt.

Ich mochte die essayistischen Betrachtungen über das Wegwerfen und Finden, über Müll als Teil des kulturellen Gedächtnisses. Aber dazwischen gibt es für meinen Geschmack zu viel belangloses Füllmaterial.

Bewertung vom 01.02.2023
Gleißendes Licht
Sinan, Marc

Gleißendes Licht


gut

Marc Sinans Romandebüt ist deutlich autobiografisch geprägt: Wie er selbst, so ist auch sein Protagonist Kaan Komponist und Gitarrist, Sohn eines deutschen Vaters und einer armenisch-türkischen Mutter. Ja selbst die Vornamen der Müttter, Großmütter und -väter in Realität und Fiktion sind identisch.
Sinan erzählt vom türkischen Genozid an den Armeniern, von ererbten Traumata und davon, wie die Folgegenerationen mit alter Schuld umgehen sollen. Sollen oder können die Kinder und Kindeskinder der Opfer den Nachkommen der Täter vergeben oder müssen sie Rache nehmen?
Der Roman ist in sehr kurze Kapitel in vielen Zeitebenen unterteilt, von Anfang des 20. Jahrhunderts bis in die nahe Zukunft. Sinan zeigt große schriftstellerische Kreativität; von zarter, bewegender Poesie bis zu splatterartigen Gewaltfantasien. Am kraftvollsten sind dabei die verschiedenen Interpretationen eines Mythos des Oghusenvolks. Weniger gelungen fand ich leider den Gegenwartsstrang (samt futuristischem Ausblick) mit teils recht anstrengenden, wirren Gewaltfantasien.
Bedauerlicherweise werden einige Themen nur angekratzt, etwa die Auswirkungen einer Zwangsadoption auf ein Kind, das in deren Folge den Glauben der Eltern verleugnen muss. Dann wiederum vergaloppiert sich der Autor in Passagen musikalischer Details, die für Nichtmusiker schwer verständlich sind.
Dennoch empfehle ich das Buch, schon allein wegen des noch viel zu wenig beachteten Themas.

Bewertung vom 30.01.2023
Ein Rätsel auf blauschwarzem Grund / Schwesterglocken Bd.2 (eBook, ePUB)
Mytting, Lars

Ein Rätsel auf blauschwarzem Grund / Schwesterglocken Bd.2 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Bereits der erste Band der Trilogie rund um das Gudbrandsdal ("Die Glocke im See") konnte mich begeistern; ich habe diesen Roman regelrecht verschlungen. Und auch "Ein Rätsel auf blauschwarzem Grund" hat mich nicht enttäuscht, Lars Mytting ist einfach ein grandioser Geschichtenerzähler.

Diesmal begleiten wir - neben ein paar alten Bekannten - die nächste Generation. Der Alltag im engen norwegischen Tal ist hart und entbehrungsreich, doch mit der Nutzung der Wasserkraft hält die Elektrizität Einzug in die Höfe und bringt Erleichterungen in Arbeits- und Privatleben. Nach wie vor spielt nordische Mystik eine Rolle, sie tritt jedoch im Vergleich zum ersten Band etwas mehr in den Hintergrund. Dafür spielt die Zeitgeschichte eine große Rolle. Die Dörfler bekommen die schrecklichen Folgen des ersten Weltkriegs zu spüren, und auch die spanische Gruppe fordert zahllose Opfer. Überaus gelungen ist das Erzähltempo, anfangs noch überwiegend ruhig und beschaulich, so als ob es das gemächliche Landleben wieder spiegelt. Im weiteren Verlauf kommen die Ereignisse Schlag auf Schlag, nicht jede Veränderung kündigt sich an, ganz so als ob sich der durch wissenschaftliche und technische Fortschritte schnellere Zeitlauf auch im Aufbau des Romans niederschlägt.

Besonders hervorheben möchte ich die starken Frauenfiguren, die Mytting zeichnet, und die ebenso wie die atmosphärischen Landschafts- und Tierbeschreibungen die Liebe des Autors zu seiner Heimat spürbar werden lassen.

Mich hat der Roman richtiggehend verzaubert, ich empfehle jedoch für ein optimales Leseerlebnis, den ersten Teil der Trilogie vorab zu lesen.

Bewertung vom 30.01.2023
Mein Liebling ist Gewölk
Cikán, Ondrej

Mein Liebling ist Gewölk


ausgezeichnet

Ondřej Cikán habe ich zunächst als überaus talentierten Übersetzer tschechischer Lyrik kennen- und schätzen gelernt. Aber er hat auch schriftstellerische Qualitäten: Dieser schmale Band vereint knapp 30 seiner Gedichte sowie zwei sogenannte Mikroromane. Der österreich-tschechische Autor zeigt sich dabei abwechslungsreich, seine Poesie ist sprachgewaltig und lotet tiefe Emotionen aus. Aber auch für feine Ironie und Augenzwinkern ist Platz. Cikán spielt mit Formen und Typografie und er hat das tschechische Genre des Zonengedichts für die deutsche Sprache adaptiert und so einer breiteren Leser*innenschaft zugänglich gemacht. Erläuternde Hintergrundinformationen zu Autor und Werk gibt Herausgeberin Josefine Schlepizka in ihrem Nachwort.