Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Circlestonesbooks.blog
Über mich: 
Lesebegeisterte Literaturbloggerin, https://www.circlestonesbooks.blog/

Bewertungen

Insgesamt 411 Bewertungen
Bewertung vom 21.07.2022
Tiefenzone
Schulte, Andreas J.

Tiefenzone


ausgezeichnet

Ein packender Wissenschaftsthriller

„Das Ganze sah aus wie die Kreuzung aus einem Iglu und einer futuristischen Raumstation auf einem fernen Planeten. Der Komplex hatte einen Namen: Terra Nova II. (Zitat Seite 44)

Inhalt
Die Naturwissenschaftlerin Julia Kern ist als Journalistin für eine deutsche TV-Produktionsfirma tätig. Vor sechs Jahren nahm sie drei Monate lang an Forschungsarbeiten in der Arktis teil. Daher ist es für ihren Chef Harry Gantman klar, dass sie zu der kleinen Gruppe gehört, die als Teil einer internationalen Journalistendelegation eingeladen ist, die Antarktis-Forschungsstation zu besuchen. Terra Nova II ist ein High-Tech Komplex, mit den neuesten, zukunftsorientierten Technologien zur Tiefenforschung ausgestattet. Das Journalistenteam soll an einer wissenschaftlichen Premiere teilnehmen, die hier erstmals weltweit vorgestellt wird. Doch plötzlich geschieht ein Mord und kurz darauf übernimmt kampferprobte, gefährliche und absolut skrupellose Gruppe, die sich als Umwelt-Aktivisten bezeichnet, die Forschungsstation. Für Julia Kern und George O’Connor, ein britischer Fotojournalist, beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit: sie müssen versuchen, Hilfe zu holen und gleichzeitig wollen sie unbedingt herausfinden, worum es hier wirklich geht.

Thema und Genre
Dieser Thriller spielt in der Arktis und die Themen sind Wissenschaft, moderne Technologien, Forschung und Umwelt.

Charaktere
Die unterschiedlichen Figuren sind realistisch und ihre Handlungen und Beweggründe sind nachvollziehbar. Besonders interessant ist die Reaktion der einzelnen Charaktere auf die Situation. Julia und George sind sympathisch, agieren kreativ und mutig und geraten so in den Fokus des Anführers der Terroristen.

Handlung und Schreibstil
Die straffe Handlung findet innerhalb von wenigen Tagen statt, was die Spannung der Geschichte noch steigert. Die interessanten wissenschaftlichen Erklärungen fügen sich perfekt in die Handlung ein, sie ergänzen mit wichtigen Details, ohne jedoch je den Spannungsbogen zu unterbrechen. Ein Nachwort erklärt den realen wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Hintergrund. Die Sprache entspricht dem Genre und den Themen, nimmt sich auch Zeit für die Konflikte und Gefühle der Figuren und zeigt in den Dialogen immer wieder auch lockeren Humor.

Fazit
Ein packender Wissenschaftsthriller, spannende Unterhaltung, die überzeugt und gerade an heißen Sommertagen durch die Reise in die eisigen Schneestürme der Antarktis wenigstens gedanklich für Abkühlung sorgt.

Bewertung vom 19.07.2022
Violeta
Allende, Isabel

Violeta


ausgezeichnet

Ein großartiges Generationenepos

„Verteidige deine Unabhängigkeit, lass nicht zu, dass jemand anders für dich entscheidet. Du musst lernen, alleine klarzukommen.“ (Zitat Seite 127)

Inhalt
Am Ende eines langen, nicht immer einfachen, aber in allen Facetten sehr intensiv gelebten Lebens, schreibt Violeta del Valle ihr Leben für ihren Enkel Camilo auf, chronologisch, als Ergänzung zu ihren zahlreichen spontanen und emotionalen Briefen an Camilo. 1920 während der Pandemie geboren, damals war es die Spanische Grippe, wird ihr Leben in diesen Tagen des Jahres 2020 enden, wieder während einer Pandemie, wie sie es selbst formuliert, diesmal ist es Corona. Violeta hat fünf ältere Brüder und als Jüngste und vom Vater ersehntes Mädchen wird sie während ihrer ersten Lebensjahre nicht nur vom Vater, sondern auch von den ebenfalls im Haushalt lebenden Tanten Pía und Pilar verwöhnt. Violeta ist eigenwillig, wild und störrisch, bis Miss Taylor als englisches Kindermädchen in die Familie kommt, mit der Violeta eine lebenslange Freundschaft verbinden wird. Josephine Taylor fördert ihre Wissbegierde, setzt ihr Grenzen, ohne jedoch ihren widerspenstigen Charakter einzuengen und bestätigt sie in ihrem Wunsch nach Freiheit und Eigenständigkeit, die Violetas späteres Leben prägen werden.

Thema und Genre
Dieses Familien- und Generationenepos ist gleichzeitig ein Bericht über einhundert Jahre der wechselvollen Geschichte Südamerikas mit Schwerpunkt Chile.

Charaktere
Im Laufe der Jahre begegnen wir unterschiedlichen Mitgliedern der Familie del Valle und ihren Freunden. Im Mittelpunkt der Geschichte steht Violeta del Valle, eigenwillig, unangepasst, leidenschaftlich. Eine starke, gemeinsam mit ihrem ältesten Bruder auch geschäftlich sehr erfolgreiche Frau, die in ihren Aufzeichnungen auch offen über ihre Fehler, Schwächen und Zweifel schreibt.

Handlung und Schreibstil
Violeta verfasst diese Geschichte ihres Lebens für ihren Enkel Camilo und tut dies als Ich-Erzählerin. Daher schwingen in allen Schilderungen ihre persönlichen Gefühle mit, auch dann, wenn sie über die wichtigen gesellschaftlichen und politischen Umbrüchen dieser langen Zeitperiode schreibt, besonders über die auch für die Familie gefährliche Zeit der Diktatur, wo jeder Schritt und jedes Wort genau beobachtet wurden. Die Handlung wird chronologisch geschildert, mit einigen erklärenden Erinnerungen und ist in übergeordnete Kapitel eingeteilt, die jeweils zwanzig Jahre umfassen. Zusammen mit den besonders prägenden Erlebnissen, die immer auch mit jenen wichtigen Frauen und Männern verbunden sind, die sie über viele Jahre ihres Lebens begleitet haben, ergibt dies ein großartig zu lesendes Generationenepos, von der ersten bis zur letzten Seite interessant, spannend und überzeugend.

Fazit
Die Bücher der Schriftstellerin Isabel Allende haben eines gemeinsam: von der ersten Seite an folgt man gebannt der Geschichte ihrer Figuren, nicht gewillt, die Lektüre zu unterbrechen, bevor man den letzten Satz gelesen hat. Andererseits möchte man innehalten und wünscht sich, das Buch möge nicht so rasch zu Ende sein – doch dies ist mir auch diesmal nicht gelungen, einmal begonnen, konnte ich diesen packenden, vielschichtigen Roman nicht aus der Hand legen.

Bewertung vom 12.07.2022
Im Atlas
Jungwirth, Andreas

Im Atlas


ausgezeichnet

Eine spannende Reise durch Marokko und durch eine Beziehung

„Im Laufe einer jeden Reise, gegen Ende hin, gibt es diesen Moment, wo alles, was David in einem Land erlebt hatte, in eine zeitliche Ferne gerückt scheint, sich weit in der Vergangenheit abgespielt hat, obwohl er sich noch in diesem Land befindet.“ (Zitat Seite 266)

Inhalt
David ist Bühnenbildner, sein Freund Stefan ist studierter Betriebswirtschaftler. Beide sind beruflich eingespannt, doch Anfang Oktober ist es so weit, acht Tage Marokko, von Marrakesch aus weiter in Richtung Süden. Stefan hat alles organisiert, inklusive Mietwagen und Fahrer. Obwohl am Tag vor Beginn ihrer Reise über die Ermordung von zwei jungen Touristinnen nahe Imhil berichtet wird, überredet David Stefan, die Reise nicht abzusagen. Rasch kommt es zu Spannungen, sie halten es für besser, in einem Land wie Marokko ihre Beziehung zu verheimlichen, aber ihren Fahrer Kalifa können sie mit ihren Geschichten nicht täuschen, doch ist das überhaupt wichtig? Es zeigt sich, dass im Hintergrund ihrer gemeinsamen Reise die Frage, ob und wie es mit ihnen beiden weitergehen soll, immer präsent ist. Als David ausgerechnet nach Imhil will, um mehr über die Hintergründe der beiden Morde zu erfahren, verschwindet ihr Fahrer samt Auto, und David und Stefan sind auf sich alleine gestellt.

Thema und Genre
Im Mittelpunkt dieser Geschichte steht eine Reise durch Teile Marokkos, doch dieser Roadtrip ist nur der vordergründige Rahmen für eine Reise in die jeweils eigene Vergangenheit von David und Stefan, es geht um Geheimnisse, Ehrlichkeit in einer Beziehung und den Mut, den Partner wirklich in das eigene Leben zu lassen.

Charaktere
David ist sechsundvierzig Jahre alt und hat bisher länger dauernde Beziehungen vermieden, hat immer für eine rasche Trennung gesorgt. Als Künstler hofft er immer noch auf den großen Durchbruch. Stefan ist ein Jahr älter, er ist der organisierte, erfolgreiche Geschäftsmann, provoziert David auch rhetorisch bewusst, fordert ihn heraus, endlich ehrlich Stellung zu beziehen.

Handlung und Schreibstil
Der Erzähler schildert diese Tage chronologisch, ergänzt durch Rückblenden in Form von Erinnerungen an prägende Ereignisse. Er berichtet personal, wird aber einige Male in seinen Andeutungen auch allwissend, was das Lesen abwechslungsreich, intensiv und interessant macht. Im Mittelpunkt der Geschichte steht David, wir kennen seine Gedanken und Gefühle, seine Hoffnungen als Künstler, durch ihn erhalten wir Einblick in die Welt des Theaters, das Erarbeiten einer neuen Inszenierung, während wir von Stefan nicht mehr wissen, als David von ihm erfährt. Die Gedanken, die Stefan vor David geheim hält, kennen auch wir nicht. Mit jedem Tag dieser Reise lesen wir lebhafte Beschreibungen der Schönheiten und Eigenheiten des Landes Marokko, seiner Menschen, Landschaften und Natur. Andererseits tauchen wir immer weiter in die Hintergründe dieser noch relativ jungen Beziehung ein und verfolgen gespannt Seite um Seite nicht nur die abenteuerlichen Erlebnisse von David und Stefan, sondern fragen uns, ob die Erfahrungen dieser acht Tage sie verändern werden.

Fazit
Ein Roman mit vielen Facetten, die Schilderung einer Reise durch Marokko, ein Roadtrip, das Reisen aber auch als Metapher für die Wege in eine Beziehung und zu den Möglichkeiten, welche die Zukunft bietet, wenn man bereit ist, Entscheidungen zu treffen.

Bewertung vom 12.07.2022
Das Glück im Großen und Ganzen
Kirchengast, Teresa

Das Glück im Großen und Ganzen


ausgezeichnet

Eine entspannte Sommergeschichte, klug und humorvoll

„Sie war sich nur noch nicht sicher, wie interessant sie ihr Leben überhaupt haben wollte. Oder ob es ihr nicht besser ginge in einem Leben des Mittelmaßes mit den Extremen am Rand und freier Sicht auf einen unaufgeregten Alltag.“ (Zitat Seite 22)

Inhalt
Die drei Frauen Molly, Anke und Marie teilen sich eine Wohnung und staunen immer wieder, wie gut sie einander verstehen, obwohl sie so unterschiedlich sind. Sie sind Mitte zwanzig und dieser Sommer hat es in sich. Es gibt viel zu besprechen an den Sommerabenden auf dem Balkon mit der schönen Aussicht, auf den gerade drei Sessel passen und natürlich Himbeerkracherl für alle. Molly verliebt sich, zum ersten Mal in ihrem Leben bedingungslos, doch da gibt es ein Problem. Anke dagegen versucht, sich aus ihrer Beziehung zu lösen und Marie könnte sich verlieben, muss aber erst herausfinden, ob sie das überhaupt will. Es ist der Sommer der Fragen des Lebens. Würden sie Antworten finden, zum Beispiel auf die Frage, ob sie sich selbst als glückliche Menschen bezeichnen würden?

Thema und Genre
In diesem Roman geht es um die vielen Facetten von Beziehungen, Freundschaft, Familie, aber auch um gesellschaftskritische Themen wie Gleichberechtigung in allen Lebensbereichen.

Charaktere
Molly, aus einer Professorenfamilie stammend, liebt ihren Beruf als Schusterin, ist resolut, eigenwillig und meistens fröhlich und positiv. Anke arbeitet als Konditorin und Bäckerin, ist eher zurückhaltend. Marie studiert Kunstgeschichte, schreibt an ihrer Magisterarbeit über österreichische Schimpfwörter und macht sich sehr viele Gedanken, über alle und alles.

Handlung und Schreibstil
Die Handlung spielt während eines Sommers und wird chronologisch erzählt. Geschildert wird der Alltag der drei Hauptfiguren und ihre unterschiedlichen Erlebnisse, ergänzt durch die Schilderung der gemeinsamen Abende und teilweise Wochenenden und durch Erinnerungen, die sie einander erzählen. Es ist die Geschichte einer Frauengeneration von heute im Wissen um die Probleme der aktuellen Zeit, teilweise noch auf der Suche, wie sie sich ihr Leben vorstellen, aber auch mutig, sich auf Erfahrungen einzulassen. Die Sprache ist modern, locker und angenehm zu lesen, passt in die Welt der Mitte-Zwanzigjährigen und durch das besondere Thema der Abschlussarbeit von Marie fließen originelle Wortkreationen locker in die Handlung ein.

Fazit
Eine entspannte Sommergeschichte zwischen nachdenklich und humorvoll, mit drei sehr sympathischen Protagonistinnen, mit denen man gerne befreundet sein würde.

Bewertung vom 08.07.2022
Quatre-Bras
Kanofsky, Michael

Quatre-Bras


ausgezeichnet

Ein phantasievolles, unterhaltsames Lesevergnügen

„Bringen Sie erst das zu Ende, was Sie begonnen haben, bleiben Sie dabei, und nur dabei, vor allem dann, wenn Sie glauben, zwischen den Worten und Sätzen festzustecken und nicht weiterzukommen und sich fragen, welchen Sinn es hat, Tag und Nacht in die Schreibmaschine zu hacken,“ (Zitat Seite 17)

Inhalt
Es war in diesem besonderen Sommer, als der Ich-Erzähler, wir kennen seinen Namen nicht, damals noch Student der Literaturwissenschaften in München, seine Sommersemesterferien in Paris verbrachte. Schreibend, schon damals mit dem brennenden Wunsch, Schriftsteller zu werden. In einer Buchhandlung erkennt er plötzlich sein großes Vorbild, den Schriftsteller Julio Cortazár und sie kommen ins Gespräch. Dies ist der Beginn einer jahrelangen Freundschaft. Angeregt durch die Gespräche mit dem erfahrenen Schriftsteller wächst im Ich-Erzähler die Idee, eine literarische Biografie über seinen ehemaligen Schulfreund, den erfolgreichen deutsch-brasilianischen Milliardär Antonio-Luiz Kleber zu schreiben.

Thema und Genre
Dieser Roman, der zweite Teil der Packeis-Trilogie, ist fiktiv, obwohl einige der handelnden Figuren real sind. Auch die Schilderungen aus dem Leben eines Schriftstellers, den täglichen Schreibprozess und die Tage, eingeschlossen zwischen Bergen von unbeschriebenen weißen Seiten, daher auch der Titel „Im Packeis“, zeigt einen deutlichen Bezug zum realen Leben des Autors.

Charaktere
Es sind sehr unterschiedliche Hauptfiguren, denen wir in diesem Roman begegnen. Den namenlosen Schriftsteller verbindet eine Jugendfreundschaft und Erinnerungen an diese unbeschwerte Zeit mit dem äußerst erfolgreichen Geschäftsmann Antonio-Luiz Kleber und andererseits eine Freundschaft mit dem berühmten, älteren Schriftsteller, der auch sein Mentor ist. Mir war Julio Cortázar bisher überhaupt kein Begriff, doch nun wurde ich neugierig auf sein Werk.

Handlung und Schreibstil
Quatre-Bras, ein Ort, wo sich vier Wege in vier unterschiedliche Richtungen kreuzen und die Entscheidungen getroffen werden, welcher Richtung man folgen wird. Wer den ersten Teil der Trilogie kennt weiß, dass man bei Michael Kanofsky keine einfache, chronologisch fortlaufende Handlung erwarten sollte. Auch diesmal entführt uns der Autor in Städte wie Berlin, München, Brüssel, Paris, in die Bretagne und zurück, dann sogar in die schillernde Weltstadt Rio de Janeiro. So folgen wir dem herrlich schrägen namenlosen Ich-Erzähler auf seinen Gedankenspaziergängen zurück in die Vergangenheit und sehen ihm an seinem aktuellen Schreibplatz in Berlin über die Schulter. Wie es nach dem Abitur, als sich ihre Wege trennten, mit seinem Freund Antonio-Luiz weiterging, erzählt ihm dieser während des Treffens in Rio. Dazwischen die phantastischen Ideenflüge und Gedankensprünge des Ich-Erzählers, die für Schmunzeln und Überraschungen sorgen, ebenso wie die lebhafte Sprache, die ebenfalls zwischen vielen Ausdrucksvarianten wechselt. „Wichtig ist, wie du erzählst. Du bis ein Maler: deine Leinwand ist das leere Blatt Papier vor dir. Du schafft eine Welt, die vorher nicht da war.“ (Zitat Seite 157)

Fazit
Eine ungewöhnliche Geschichte zwischen Coming-of-Age, Road-Trip, Literatur und Schreiballtag. Auch dieser zweite Teil der Packeis-Trilogie ist Lesevergnügen und macht schon jetzt Vorfreude auf den dritten Teil.

Bewertung vom 26.06.2022
Die Lüge
Franko, Mikita

Die Lüge


ausgezeichnet

Aktuell und beeindruckend

„Und obwohl wir einer normalen Familie immer ähnlicher wurden, beschlich mich das Gefühl, dass irgend etwas nicht stimmte.“ (Zitat Pos. 324)

Inhalt
Mikita, doch alle nennen ihn Miki, ist fünf Jahre alt, als seine Mutter stirbt. Sein Onkel Slawa, der Bruder seiner Mutter, ist nur sechs Jahre älter als Miki. Er war schon immer wie ein großer Bruder für ihn und nimmt Miki jetzt auf. Doch Slawa lebt nicht allein, er lebt mit dem Arzt Lew zusammen. So hat Miki eine neue Familie, ohne Mutter, dafür mit zwei Vätern und das darf niemand wissen. Je älter Miki wird, desto mehr bedrückt ihn die Situation und dazu kommen noch seine eigenen Gefühle, die ihn in Verwirrung stürzen. Sein Leben ist plötzlich ein wütendes Chaos und er erkennt sich selbst nicht mehr. Was ist nur mit ihm los?

Thema und Genre
In diesem modernen Coming-of-Age- und Gesellschaftsroman, der in Russland spielt, geht es um Freundschaft, Familie, Verständnis, Pubertät, Psychologie. Themen sind alle Facetten von Liebe und unterschiedliche Beziehungsformen.

Charaktere
Mikita verbringt seine Kindheit und Jugend in einer Familie mit zwei Vätern. Zunächst fällt ihm das nicht auf, doch im Schulalter beginnen die mit dieser Situation verbundenen Lügen und Geheimnisse. Dies, in Verbindung mit den Problemen der Pubertät führen zu einem Gefühlschaos zwischen Depression und Aggression.

Handlung und Schreibstil
Mikita wächst mit zwei Vätern auf und erzählt als Ich-Erzähler. Die Handlung umfasst chronologisch und zeitnah die wichtigen Jahre der Kindheit und Jugend. Ergänzt werden die aktuellen Ereignisse durch Erinnerungen an einzelne, prägende Episoden der frühen Kinderjahre. Die Form des Ich-Erzählens lässt auch Raum für die Schilderung der intensiven Gefühle und Stimmungen, Konflikte und Probleme dieser speziellen Familienform in der unterdrückten Öffentlichkeit des konservativen Russland. Mikita ist ein sympathischer, ehrlicher Erzähler und die Geschichte ist nachvollziehbar. Die Sprache passt zum Alter des Ich-Erzählers und wir glauben ihm.

Fazit
Ein einfühlsamer Roman zu einem zeitlos aktuellen Thema, geschrieben in der erfrischend direkten, offenen Sprache eines jungen Ich-Erzählers. Eine trotz zahlreicher Konflikte und Probleme sehr positive Geschichte.

Bewertung vom 18.06.2022
Schreibtisch mit Aussicht

Schreibtisch mit Aussicht


ausgezeichnet

Interessant, informativ, lesenswert

„Von den vielen guten Gründen, trotz widriger Umstände zu schreiben, erzählt dieses Buch. So gesehen hat es sein Ziel erreicht: Es bricht das klischeehafte Bild der zeitgenössischen Schriftstellerin und zeigt ihre Kunst als das, was sie tatsächlich ist: harte Arbeit.“ (Zitat Seite 14)

Thema und Inhalt
Diese Anthologie enthält einen einleitenden Text der herausgebenden Autorin und weitere dreiundzwanzig Texte von dreiundzwanzig bekannten Autorinnen, in welchen sie offen über die beglückenden, kreativen Momente, aber auch über die Selbstzweifel in ihrer Tätigkeit als Schriftstellerin, ihre Erfahrungen und ihre ganz persönliche Art des Schreibprozesses berichten. Die Liste der Namen beginnt mit Antonia Baum und endet mit Meg Wolitzer und wir finden zum Beispiel Beiträge von Sibylle Berg, Katharina Hagena, Siri Husvedt, Zadie Smith und weitere, ebenso bekannte Namen.

Umsetzung
So unterschiedlich wie das Leben und die Bücher der einzelnen hier präsentierten Schriftstellerinnen sind auch ihre Texte. In dieser Sammlung finden sich Essays, teilweise zum ersten Mal in deutscher Sprache, und Texte, die aus Interviews entstanden sind. Der Autorin ist es sogar gelungen, per E-Mail ein schriftliches Interview mit der Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek zu führen und von der Autorin Sheila Heti stammt ein ebenfalls schriftliches E-Mail-Interview mit Elena Ferrante.
Es ist diese interessante Vielfalt von unterschiedlichen Herangehensweisen, Routinen und Vorbildern, die dieses Buch zu einer begeisternden Lektüre macht, die reale Einblicke in das Leben von schreibenden Frauen zwischen Familienalltag und diszipliniertem Arbeiten gibt. Besonders informativ und spannend für alle Lesenden sind die unterschiedlichen persönlichen Auseinandersetzungen mit Erzählformen und den Erzählstimmen der Figuren, denn nicht jede Ich-erzählende Figur ist, wie oft beim Lesen eines Romans angenommen, auch autobiografisch. „In jedem Buch fehlt der Körper des Schreibers, und diese Abwesenheit macht die Buchseite zu einem Ort, an dem wir wirklich frei sind, dem Mann oder der Frau zuzuhören, die spricht. Wenn ich ein Buch schreibe, höre ich auch zu. Ich höre die Figuren sprechen, als wären sie außerhalb von mir, statt in mir.“ (Zitat Seite 66, Siri Hustvedt: Being a Man). Der Text von Zadie Smith trägt sogar den Titel „Das Ich, das ich nicht bin (Seite 184 – 202) und setzt sich intensiv mit diesem Thema auseinander.

Fazit
Ein inspirierendes, interessantes Buch, das zum ersten Mal in dieser komprimierten Form Einblick in den Alltag und das kreative Schaffen von Schriftstellerinnen gibt und auch sprachlich begeistert.

Bewertung vom 11.06.2022
Tage des letzten Schnees / Kimmo Joentaa Bd.5
Wagner, Jan Costin

Tage des letzten Schnees / Kimmo Joentaa Bd.5


ausgezeichnet

Sehr spannend, atmosphärisch dicht und überraschend

„Gebt mir Bescheid, wenn ihr mir sagen könnt, was das alles zu bedeuten hat. Einverstanden?“ (Zitat Seite 179)

Inhalt
Am 1. Mai fällt der letzte Schnee. Lasse Ekholm fährt mit seiner elfjährigen Tochter Anna von deren Eishockeytraining nach Hause. Plötzlich taucht hinter ihm ein PKW in rasanter Fahrt auf, überholt, drängt sein Auto von der Straße – Unfall mit Fahrerflucht. Lasse Ekholm, Inhaber eines Architekturbüros, war der Chef von Sanna, der verstorbenen Ehefrau von Kommissar Kimmo Joentaa und damit wird der Fall zu Joentaas Fall. Am selben Tag macht ein erfolgreicher Fondsmanager in Helsinki mit einer jungen Frau eine Schneeballschlacht, anschließend liest er zu Hause seinem kleinen Sohn eine Gute-Nacht-Geschichte vor. Am Morgen des nächsten Tages werden auf einer Parkbank in Helsinki zwei Tote gefunden, eine junge Frau und ein Mann. Die junge Frau hat in einem Club in Salo bei Turku gearbeitet und so arbeiten die Ermittler Kimmo Joentaa in Turku und Marko Westerberg und Seppo in Helsinki bei der Suche nach der Identität der Toten wieder einmal zusammen. Doch wer sind die beiden Toten, denn in dieser Art Clubs arbeiten die Frauen nie unter ihrem eigenen Namen.

Thema und Genre
Dieser Kriminalroman, Teil einer Serie um den Ermittler Kimmo Joentaa, spielt in Finnland. Themen sind zwischenmenschliche Beziehungen, Familie, Verlust, Schuld, Rache.

Charaktere
Der Schwerpunkt in dieser Serie liegt natürlich auch im Bereich der kriminellen Taten, doch vor allem geht es um die einzelnen unterschiedlichen Figuren und um die psychologischen Hintergründe ihres Handelns und Verhaltens.

Handlung und Schreibstil
Die Geschichte beginnt an diesem besonderen ersten Mai, ein ungewöhnlicher Tag, weil es nochmals schneit, und endet am ersten September, als der erste Schnee fällt. Die Handlung ist außergewöhnlich vielfältig, Ereignisse finden parallel statt, an anderen Orten, in völlig anderen Situationen und auch zwischen den Personen gibt es keine erkennbaren Bezugspunkte. Erst langsam und mit einigen unvorhersehbaren Details und Wendungen werden erste Zusammenhänge deutlich. Auch in diesem fünften Band der Kimmo Joentaa-Serie zeigt sich die sprachliche Qualität und Kreativität des Autors beim Aufbau der Handlung.

Fazit
Ein facettenreicher, packender und überraschender Kriminalroman.

Bewertung vom 07.06.2022
Das Licht in einem dunklen Haus / Kimmo Joentaa Bd.4
Wagner, Jan Costin

Das Licht in einem dunklen Haus / Kimmo Joentaa Bd.4


ausgezeichnet

Packend und facettenreich

„Kimmo Joentaa las den Text mehrere Male, bis die Buchstaben vor seinen Augen zu verschwimmen begannen. Er versuchte, eine plausible Antwort auf die Frage zu finden, warum er zu diesem Hinweis zurückgekehrt war. Warum er ihn zunächst überblättert hatte, um dann zurückzukehren.“ (Seite 137, 138)

Inhalt
Eine Frau wird schwer verletzt neben der Straße aufgefunden. Niemand vermisst oder kennt die Unbekannte, die seither auf der Intensivstation in Turku im Koma liegt. Bis auf eine Person, die eines Tages kommt und die lebenserhaltende Beatmung stoppt – und dabei weint. Ein Fall für Kimmo Joentaa, der sich auf die Suche nach der Identität der unbekannten Toten macht. Gleichzeitig scheint ein Mörder in Helsinki ruhig und in aller Öffentlichkeit eine Liste abzuarbeiten, ein Fall für das Ermittlerteam in Helsinki. In dem kleinen Ort Karjasaari treffen die Ermittler Kimmo Joentaa und Marko Westerberg durch Zufall im Hotel aufeinander und erkennen, dass dies kein Zufall ist. Eine Fotografie aus dem Sommer 1985 hat sie zusammengeführt.

Thema und Genre
Dieser Kriminalroman ist der Band vier der Serie um den finnischen Ermittler Kimmo Joentaa und es geht um die Suche nach Unbekannten und Verschwundenen, um die psychologische Vielfalt von Beziehungen zwischen Freundschaft, Familie und Liebe.

Charaktere
Kimmo Joentaa ist ein einfühlsamer, sensibler Polizist, der auch persönliche Themen wie Trauer und Verlust zu verarbeiten hat. Gleichzeitig ermittelt er zielorientiert und effektiv. Bei allen Figuren spürt man das große Interesse des Autors, diese zu entwickeln, ihren Charakter und ihre Handlungen zu hinterfragen und nachvollziehbar zu machen.

Handlung und Schreibstil
Die Handlung ist facettenreich und bietet zunächst eine Reihe von unbekannten Faktoren, die sich erst langsam zu einem Bild formen und auch immer wieder neue Erkenntnisse und Überraschungen zeigen. Spannend ist dieser Roman durch die vielen Möglichkeiten, durch die vielen Fragen, welche die Taten aufwerfen, nicht nur in Bezug auf die Tatpersonen, sondern auch auf die Motive und Hintergründe. Jan Costin Wagner ist nicht nur ein hervorragender Kenner der menschlichen Eigenheiten und Psyche, und Kenner der finnischen Mentalität dort, wo die Monate dunkler und die Landschaft einsamer wird, er beschreibt dies alles auch sprachlich dicht und malt entsprechende Bilder in unsere Gedanken. Gleichzeitig entwirft er ein geniales Handlungspuzzle aus vielen scheinbar zusammengewürfelten Einzelteilen in der Vergangenheit und heute, und ist ein großartiger Erzähler.

Fazit
Ein packender Pageturner, ein Kriminalroman mit Elementen des Genre Nordic Noir. Band vier von insgesamt sechs Bänden einer Serie, von der man sich wünscht, sie möge doch noch weitergehen.

Bewertung vom 04.06.2022
Mörderisches Madeira / Comissário Torres Bd.2
Bento, Tomás

Mörderisches Madeira / Comissário Torres Bd.2


ausgezeichnet

Ein unterhaltsamer Kriminalroman mit Fernwehgarantie

„Ich weiß, dass er kein Mörder ist, doch im Augenblick ist er der Hauptverdächtige. Ich muss herausfinden, was wirklich geschehen ist, aber alle offiziellen Wege sind mir versperrt. (Zitat Pos. 1311)

Inhalt
Laura Flemming kehrt auf die Insel Madeira zurück. Es ist April, der Sommer liegt vor ihr und der Verlag wartet auf ihren nächsten Kriminalroman. Sie hatte gehofft, dass sie vom Flughafen in Funchal abholen würde, doch dieser wurde gerade zu einem neuen Mordfall gerufen. Sabotage und ein Toter in einer Brennerei in Prazeres und Laura hofft sofort auf Ideen für ein neues Buch. Doch die Brennerei gehört Mauricios älteren Bruder Alexandro und dieser ist in den Augen der neuen Staatsanwältin der Hauptverdächtige. Damit wird Mauricio der Fall entzogen. Rasch zeigt sich, das jemand es auf die gesamte Familie Torres abgesehen hat und Mauricio braucht Lauras Hilfe, um verdeckt weiter ermitteln zu können.

Thema und Genre
Dieser Kriminalroman, Band zwei einer Serie, spielt auf der bekannten portugiesischen Insel Madeira. Es geht um Geschäftsbeziehungen, Familie und natürlich auch um die Liebe.

Charaktere
Comissário Mauricio Torres und die Krimiautorin Laura Flemming sind auch in diesem zweiten Fall ein engagiertes Ermittlerteam. Die Figuren wirken authentisch, ihre Handlungen nachvollziehbar. Leichte Längen ergeben sich durch Lauras sich zu oft wiederholende, sich wie im Kreis bewegende Überlegungen, die Ehe mit ihrem untreuen Ehemann zu retten, einen Neubeginn zu versuchen. Persönlich zögerliche Frauenfiguren wie Laura finden sich sonst eher bei Autorinnen und kaum bei Autoren.

Handlung und Schreibstil
Die Handlung spielt in einem knappen, aktuellen Zeitraum auf Madeira und wird durch erklärende Rückblenden ergänzt. Die Geschichte ist spannend, entspricht dem Genre Kriminalroman und regt zu eigenen Überlegungen, die Tatperson betreffend, an. Lebhafte Beschreibungen des Frühlings auf der Blumeninsel Madeira, der portugiesischen Lebensart und Gastfreundschaft malen sofort Urlaubswünsche in die Gedanken. Der Schreibstil entspricht dem Unterhaltungsgenre und ist angenehm zu lesen. Bei dem Autor Tomás Bento könnte es sich auch um ein Pseudonym zu handeln, denn seine Identität beruht ausschließlich auf den Angaben des Verlages.

Fazit
„Doch mit ein paar atmosphärisch dichten Beschreibungen war es ja nicht getan. Ihr Genre war zwar der locker erzählte Urlaubskrimi, doch auch dieser brauchte eine solide Kriminalgeschichte.“ (Zitat Pos. 576) Besser als mit Laura Flemmings Aussage kann man diesen Kriminalroman nicht beschreiben.