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Milienne
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Essen

Bewertungen

Insgesamt 122 Bewertungen
Bewertung vom 14.08.2022
Der Geruch von Wut
Clima, Gabriele

Der Geruch von Wut


sehr gut

Vom Weg abkommen

Nach dem Unfall, der sein Leben veränderte, weiß Alex gar nicht wohin mit seinen Gefühlen, vor allem der Wut. Und so richtig verstehen kann ihn sowieso keiner. Die partielle Lösung scheint nah: den Mann finden, der den anderen Wagen fuhr und demnach Schuld am Tod seines Vaters und der Behinderung der Mutter ist. Und so gerät er an die Gruppierung “Black Boys”, Jugendliche, die es auf Ausländer abgesehen haben. Diese helfen natürlich zu gerne, den ausgerechnet schwarzen Fahrer zu finden. Das Alex so zusammen mit seinem Kumpel Teo fest in dieses Netz radikaler Gewalt eingesponnen wird und nicht mehr einfach raus kann, bringt ihn in Gefahr.

Der Roman vereint in seiner Kürze eine Bandbreite von Problemen. Trauer und Wut bei Verlust eines geliebten Menschen, Rassismus in Italien und gefährliche Gruppendynamiken. Diese werden hier clever und logisch kombiniert, sodass sie sich nicht aufheben oder stören. Sehr berührend sind besonders die Stellen, wo Alex seinen toten Vater “sieht”. Wichtig finde ich, dass das nicht als etwas psychisch problematisches oder rührseliges dargestellt wird, sondern als Teil des Trauerprozesses. Auch die Beziehung zur Mutter, die trotz weniger aktiver Auftritte einen tollen Charakter darstellt, lässt einen mit einem Lächeln und auch Hoffnung für Alex zurück.
Durch den Roman lässt sich sehr gut nachvollziehen, wie auch eigentlich “anständige” Jugendliche schnell in falsche Kreise geraten können. Da Gewalt ein explizites Thema ist, erschien mir das Ende etwas zu sehr nach Happy End, auch es eher offen gestaltet ist. Die Probleme und Taten sind zu komplex, um es auf diese Art auslaufen zu lassen.
Die wohl wichtigste Message galt nun aber der Wut, die Alex seit dem Tod seines Vaters begleitet. Und dieser wird doch ein gebührendes und rührendes Ende gesetzt, sodass ich diesbezüglich ein Happy End mehr als dulde. Vom Weg abkommen bleibt nicht ohne Folgen, sei es beim Autofahren oder im Leben, doch Gabriele Clima führt den Begriff der Zustandsveränderung ein und zeigt auf: Es geht weiter, manchmal halt anders.
Ein schöner, kurzweiliger Roman, der viel aufwühlt, aber genauso viel wieder einordnet.

Bewertung vom 11.08.2022
Was du nicht erwartest
Cole, Jan

Was du nicht erwartest


sehr gut

Diese Story war tatsächlich nicht zu erwarten!

Nik ist Autist, soziale Situationen bereiten ihm Schwierigkeiten und sobald er etwas nicht in Form von
Zahlen und Listen kontrollieren kann, bereitet er die Schwierigkeiten, vor allem seiner Mutter. Als Nik
Stella sieht, versucht er ein Experiment, das so schief geht, dass eine Mutter einen vorübergehenden
Aufenthalt in einer Klinik für ihn beschließt. Für Nik eine Horrorvorstellung.

Auch Maike braucht Kontrolle - allerdings über ihre Kalorien und ihr Gewicht. Dass ihre Essstörung
ihre Gesundheit gefährdet reicht nicht, um sich nicht gegen den Klinikaufenthalt zu wehren. Trotz
ihrer Verschiedenheit vereint die beiden eins: Der Kontrollverlust motiviert beide, nicht in der Klinik
bleiben zu wollen und so entsteht ein ungewöhnliches Duo, das auf eine doch sehr gefährliche Tour
geht, wobei sowohl sie als auch der Leser viel über ihre Krankheiten lernen.

Die Idee, Autismus und Magersucht in einem Roman zu kombinieren und so darüber aufzuklären ist
sehr geschickt, Nik und Maike ergänzen und verstehen sich, vielleicht fast zu gut, denn Nik findet ihr
Verlangen Kalorien zu zählen eher spannend als beunruhigend.
Wir erleben beide abwechselnd aus der Ich-Perspektive und dementsprechend ihre Wahrnehmung der
Dinge, das ist einerseits sehr aufschlussreich, andererseits gerade bei Maike erschreckend realistisch.
Der Autor, der noch einen speziellen, ungewöhnlichen aber auch unterhaltsamen Einfluss auf die
Geschichte nehmen wird, hat sich sehr viel Mühe gegeben hinter die Essstörung zu blicken und ich
kann mir vorstellen, dass sich viele Betroffene wiedererkennen. Gerade deswegen würde ich ihnen das
Buch nur bedingt empfehlen, da es doch alte Wunden aufreißen könnte. Alle eandern, die auf eine
einfühlsame und auch humorvolle Weise Einblick in Maikes und Niks Lebensrealität bekommen
möchten, werden in ihren Erwartungen vielleicht sogar übertroffen.

Bewertung vom 11.08.2022
Blindfisch
Fessel, Karen-Susan

Blindfisch


sehr gut

Lon, am seltenen Usher-Syndromerkrankt, hat sich bereits an ein Leben mit Hörgerät gewöhnt und ist
sportlich, beliebt und sympathisch. Als sich nun auch das Sehvermögen anfängt zu verschlechtern,
versucht Lon sich noch mehr Zeit im “normalen” Leben zu geben und weiht niemanden ein. Das
macht den Alltag nicht gerade einfacher, vor allem wenn man sich al Jugendlicher sowieso noch mit
anderen Dingen auseinandersetzen muss: Liebe, Freundschaft, Familie und Sexualität.

Die Kapitel sind kurz, häufig einfache Sätze wie Gedankenfetzen, ein sparsamer aber gewählter
Umgang mit den Worten, die Lons Gefühlslage aus der Ich-Perspektive auf den Punkt bringen.
Gedanken, die sich ein gesunder Mensch nicht machen muss. wie wird es sein, wenn alle einen sehen
aber man selbst nicht mehr, wenn man altert, das eigene Umfeld im Kopf aber immer jung aussehen
wird? Wie viel Selbstständigkeit wird noch bleiben, genau das, wonach sich doch alle Jugendlichen
sowieso sehnen?

Queerness durchzieht den Roman ganz nebenbei, sie wird nicht großartig thematisiert, sie ist einfach
da und bereit niemandem ein Problem, das ist eine erfrischende Herangehensweise. Tatsächlich könnte
Lon sowohl weiblich als auch männlich sein, es gibt wenige bis gar keine Stellen, die eindeutige
Aussagen treffen. Die Geschichte hätte auch kaum Raum gegeben, dies noch weiter zu thematisieren,
das eigentliche Thema kam schon etwas zu kurz. Man würde gerne mehr über die Krankheit, die
Ursachen und den Verlauf erfahren, auch das Ende war sehr abrupt. Aber gerade wegen dieser Kürze
ist Lons seltenes Schicksal ein umso intensiveres Leseerlebnis welches man gar nicht aus der Hand
legen möchte.

Bewertung vom 11.07.2022
Freundin bleibst du immer
Obaro, Tomi

Freundin bleibst du immer


ausgezeichnet

Schön für zwischendurch


Ein wunderschönes Cover, das sich alleine als Hingucker im Bücherregal gut macht. Jedoch geht es nicht nur um eine Frau, wie man dadurch annehmen könnte, sondern gleich drei starke Frauen. Funmi, Enitan und Zainab, so unterschiedlich und doch so eine perfekte Ergänzung. Sie alle verbindet eine jahrelange Freundschaft, die trotz Höhen und Tiefen oder physischer Distanz alles übersteht, sodass sie alle zur Hochzeit von Funmis Tochter zusammenkommen. In kleinen Rückblicken erfährt man, wie die Freundschaft entstanden ist, was sie auszeichnet und wie sich ihr Leben innerhalb der letzten Jahrzehnte verändert hat. Sie alle sind gezeichnet und diese Schicksale werden angerissen. Manchmal fast schon zu wenig, doch gerade wenn man diesen Eindruck bekommt, wird man daran erinnert warum: Es hauptsächlich nicht um den Ehemann, die Mutter, oder andere Sorgen, es geht um ihre Freundschaft.
Es passiert gar nicht so viel, trotzdem wird das Lesen nicht langweilig. Würde die Geschichte in Deutschland spielen, wäre dies vermutlich der Fall, doch alleine der Einblick in eine andere Kultur fesselt einen an die Lektüre. Freundschaft, egal in welchem Alter, bleibt immer ein sicheres und schönes Motiv, sodass man auch bei den drei Frauen gerne Teil der Freundesgruppe wäre. Ein schöner Roman für zwischendurch, weder zu seicht, noch zu schwer, eine kleine Reise in eine andere Welt.

Bewertung vom 10.07.2022
Kein Sommer ohne dich
Henry, Emily

Kein Sommer ohne dich


weniger gut

Seichte Sommerlektüre

Poppy lebt für’s und mittlerweile sogar vom Reisen. Denn sie arbeitet in New York für ein Magazin, das stets über die spannendsten und schönsten Reise berichtet, sodass Poppy ihre Wunschziele nur ihrer Chefin richtig schmackhaft machen muss. Eigentlich der Traum jeder Reisebloggerin und auch Poppy’s - glücklich ist sie trotzdem nicht. Das war sie das letzte Mal vor zwei Jahren im Sommerurlaub mit ihrem besten Freund Alex, der seit dem eher ihr ehemaliger bester Freund ist. Mit dieser Feststellung versucht sie wieder an diese Beziehung anzuknüpfen, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und endlich wieder glücklich zu werden, ein heißer Sommerurlaub inklusive.

Anders als ein kurzer, aufregender Sommer gestaltet sich das Lesevergnügen dieser Sommerlektüre. Die “Probleme” , vor denen Poppy und Alex stehen werden unnatürlich in die Länge gezogen. Mit der Erwartung einer lockeren, leichten Sommerlektüre möchte ich gar nicht mal so viel Spannung, jedoch wird diese gar nicht erst aufgebaut, versucht wurde es, allerdings mehr gewollt als gekonnt. Man erfährt lange nicht, warum es überhaupt zum Kontaktabbruch zwischen den beiden kam, man kann es sich natürlich denken, das einzige was ein wenig überrascht ist die tatsächliche Trivialität der Umstände, um die so viel Aufstand gemacht wird. Und dann zwei Jahren ohne Kontakt wird die Freundschaft auf einmal genau wie vorher - bis sie dann doch wieder die freundschaftlichen Grenzen überschreitet und den Leser durch ewig lange Sexszenen zwingt. Das mag den einen gefallen, mir leider gar nicht. Auch der Rest der Story zieht sich.

Die beschriebene Umgebung löst wahrhaftig sommerliche Gefühle aus und man bekommt Lust auf Urlaub, so viel wird beim Lesen erreicht.
Auch der Anfang, wo Poppy darüber nachdenkt, warum sie so unglücklich ist, hatte eigentlich viel Potential. Sie hat alles, was sie je wollte und ist trotzdem nicht erfüllt, was ihre Freundin auch perfekt analysiert: Wenn man alles erreicht hat, kann man sich auf nichts mehr freuen. Gerne hätte ich mehr von ihr gelesen, anstatt als plumpe Lösung die Liebe serviert zu bekommen. Aber so hohe Ansprüche möchte ich an einen seichten Liebesroman der Art eigentlich nicht stellen, weiß man doch immer was man bekommt. Das Wort “Komödie” würde ich allerdings aus der Beschreibung streichen, gelacht habe ich wirklich wenig.

Bewertung vom 22.06.2022
Verheizte Herzen
Crossan, Sarah

Verheizte Herzen


ausgezeichnet

Mutig und schön

Woher sollen wir wissen, welche Tage später mal Wendepunkte sind?
Man schiebt es hinaus, denkt man hat Zeit, alles zu klären und lässt Sachen ungesagt, Dinge ungetan. Doch was, wenn wir sie nie wieder sagen können?

Ann arbeitet in einer Kanzlei und verwaltet Testamente anderer Menschen. Sie weiß also zu gut, dass das Ende stets eintreten kann und das man nicht alles vorbereiten kann. Doch das ausgerechnet er, der, mit dem sie noch so viel vor hatte oder halt eben nicht, tot ist, darauf konnte sie sich nicht vorbereiten. Nie wieder kann er sie küssen, sie hinhalten, sie verletzen, sie anlügen… . Da keiner von ihnen weiß, muss sie diesen Verlust, der keiner sein dürfte, weil diese Beziehung nicht sein dürfte, nun mit sich alleine ausmachen. Mehr zu ihm sprechend als zu uns, lässt sie die gemeinsame Zeit in Versen Revue passieren. Kurze, prägnante Sätze, pointierte Worte, retrospektivische Bewertungen und das innerliche Durcheinander: All das machen diesen Roman besonders, wie ein Lied, dessen Songtext sich sofort einprägt.
Nicht nur inhaltlich empfinde ich Sarah Crossans Werk als sehr originell, die Affäre ist nicht selten vertreten im Roman, aber wann hat eine Protagonistin schon Zeit, die Sicht der Frau kennenzulernen? Dass erst der Mann, der in diesem Liebesdreieck die Spitze bildete; sterben muss für diesen Perspektivwechsel; sagt so viel über die Affäre aus. Das Unehrliche, die Verschlossenheit. Vor allem hat die formale Gestaltung positiv überrascht: Nie hätte ich gedacht, von einem Roman in Versform so begeistert zu sein. Dieser Aufbau der Sprache spielt mit dem Inhalt, erleichtert ihn und macht es gleichzeitig so schwer, nicht mitzufühlen. Auch mein Herz war danach verheizt.

Bewertung vom 12.06.2022
Ein unendlich kurzer Sommer
Pfister, Kristina

Ein unendlich kurzer Sommer


ausgezeichnet

“Wer sagt, dass unser Sommer enden muss?”
Paulette und Gustav erleben eine einmalige Liebesgeschichte, die jedoch nur den Sommer über halten soll. 38 Jahre später droht diese Geschichte von vielem Ungesagten und verpassten Chancen sich zu wiederholen - kann eine Sommerromanze auch den Alltag überstehen?
Christophe findet nach einem Schicksalsschlag nicht nur seinen Vater, sondern auch Lale, auf dem Campingplatz, um ihrer eigenen Lebensrealität zu entfliehen. Doch wie lange soll die Flucht gehen?
Ungetrübt zeigt der Roman, was bei vielen Geschichten über die große Sommerromanze sonst verklärt wird: Der Alltag, das Leben davor und danach, die Vernunft, der Mangel an Wirklichkeitsbezug und die Begrenztheit der Zeit. Vor allem Lale hält sich immer wieder vor Augen, dass das alles eine Parallelwelt sei und handelt vor lauter neuer Gefühle weder irrational noch überstürzt, sehr erfrischend für eine Liebesgeschichte dieser Art ist. Christophe wirkt in seinem Verhalten oft sehr kindlich und tatsächlich empfinde ich beim Lesen keine Chemie zwischen den beiden, weswegen ich umso mehr Lales vernunftbasiertes Verhalten verstehe. Mehr Potenzial sah ich in der Beziehung, die in dem Prolog angedeutet wird, zwischen Gustav und Paulette. Leider lebt diese nur in der Vergangenheit und wird wenig erläutert, davon hätte ich mir mehr erhofft. Dafür sind die Figuren außerhalb jeglicher Liebesbeziehung umso gelungener: Der spirituelle James und seine Herzumarmungen, der etwas andere Teenager Flo und seine überbehütende Mutter und auch der mürrische Gustav, sie alle tragen dazu bei, dass aus dieser Parallelwelt ein echtes Zuhause wird. Ein emotionaler Roman über Schicksalsschläge, verpasste Gelegenheiten, sommerliche Gefühle und alles, was danach kommt. Macht natürlich Lust auf Sommer!

Sehr gut hat mir auch die Gestaltung des Covers gefallen, wirklich liebevoll und detailliert!

Bewertung vom 29.05.2022
Iva atmet
Lasker-Berlin, Amanda

Iva atmet


weniger gut

Iva, eine junge Mutter und Krankenschwester, hat keine Ausweichmöglichkeit mehr: Ihr Vater liegt im Sterben, sie kann nicht anders, sie muss in das alte Familienanwesen in Dresden zurückzukehren, um die in seiner Nähe zu sein. Dafür muss sie ihr Baby Shlomo und ihren Mann Roy einige Tage allein lassen muss. Iva sieht sich in der alten Heimat mit Erinnerungen konfrontiert: Die von der Großmutter geliebten Köcherbäume, die genau wie sie selbst entwurzelt wurden, die Geschwister, die sich auf unterschiedlichen Wegen vom Vater abgewandt haben, die Mutter, die nicht mehr da ist. Iva ist eine aufgewühlte junge Frau, gezeichnet von einem Trauma, dessen Ursprünge durch verschiedene Rückblicke deutlich wird. Die Treffen der Erwachsenen im Haus, das seltsame Verhalten der Mutter und dann noch die Großmutter, mit ihren Zeichnungen und ihren Erinnerungen an Afrika. Roy, den sie als Kind kennenlernt und sein Vater, der sie über ihren Vater und Großvater ausfragt und sich mit der Vergangenheit ihrer Familie auseinandersetzt. Das Alles hatte sie hinter sich gelassen.
Zurück in Dresden lernt Iva Ismene kennen, eine ebenfalls junge und gebrochene Frau, auf ihre eigene Art und Weise von der Vergangenheit markiert. Die beiden entwickeln eine unkonventionelle Beziehung zueinander. Irgendwie steht Iva die 18 Tage bis zum Tod ihres Vaters durch, zu dem die eigentlich gar keine Beziehung mehr hatte, bevor sie in ihr altes Leben zurückkehrt.
Im Rahmen eines Lesefestivals durfte ich das Buch lesen und daraufhin an einer Gesprächsrunde mit der Autorin teilnehmen. Das Lesen fiel mir schwer, die Story zog sich für mich, aber ich versuchte, mir Fragen zu stellen und die vielen Fragezeichen der Erzählung als Grundlage von verschiedenen Deutungen zu nutzen. Das Gespräch mit der Autorin war dahingehend ziemlich ernüchternd, als habe sie sich tatsächlich wenig bei der Umsetzung gedacht. Abgesehen von dieser persönlichen Erfahrung, kratzt der Roman meiner Meinung nach an verschiedenen Oberflächen, ein Blick in die Tiefe hätte sich gelohnt, entstand jedoch nie. Die Erzählperspektive passt zu dem Werk, ein unpersönlicher, nicht Iva selbst, tatsächlich wäre Iva meiner Meinung nach nicht in der Lage selber zu erzählen. Sie ist sehr schweigsam und passiv, was eine Figur ruhig sein darf, jedoch besteht ihr Charakter meines Empfindens nach nur aus ihrem Trauma und ist ansonsten sehr flach. Eigentlich sind alle Figuren beschädigt, in ihrer Beschädigung gefangen und dadurch determiniert, sodass es nicht zu einer Entwicklung der Handlung kommt und auf dem emotionalen Status Quo der Figuren verharrt wird. Dabei lassen sich viele spannende Motive entdecken: Ivas Probleme mit der Mutterschaft, die Köcherbäume als Symbol für Entwurzelung, die Frage nach Schuld und den Umgang damit und der eine Vater, der zu viel über die Vergangenheit redet und der, der alles verschweigt. Alles wird genannt, aber sonst nicht weiter behandelt. Für mich wurde letzten Endes viel geschrieben, aber wenig gesagt.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.04.2022
Die andere Schwester / Karlstad-Krimi Bd.2
Mohlin, Peter; Nyström, Peter

Die andere Schwester / Karlstad-Krimi Bd.2


gut

Der zweite Teil der Karlstadt-Reihe

Das Opfer ist das hübsche Gesicht, das hinter der innovativen Dating-Plattform Raw steckt_ Stella Bjelke. Dass eigentlich ihre Schwester, die aufgrund eines Unfalls als entstellt gilt, in Wahrheit der treibende Motor des genialen Algorithmus ist, hat immer wieder zu Spannungen geführt. Klebt auch an ihren Händen Blut?
John Adderly befindet sich dank des Zeugenschutzprogramms in Schweden und ermittelt in diesem Fall. Doch er kann sich nicht nur auf diesen konzentrieren, er selbst wird bedroht und verfolgt, das Zeugenschutzprogramm scheint keinen vollständigen Schutz zu bieten. So kommt es zu zwei Handlungssträngen: Der Fall der ermordeten Frau und John Adderlys eigener Fall.

Den ersten Teil habe ich nicht gelesen, jedoch weiß ich aus Erfahrung, dass man auch so in die Teile einer Krimireihe ganz gut reinfindet, vor allem da die aktuellen Fälle selten etwas mit den Vorgängern zu tun haben. John Adderlys Geschichte rund um seine Vergangenheit, seine Probleme und die Machenschaften des FBI’s haben mir, trotz genügender Aufklärung durch den Erzähler, jedoch einfach nicht gefallen. Ich empfand seinen Handlungsstrang als wenig realistisch und viel zu amerikanisch angehaucht, gerade im Vergleich zum Inhalt der anderen Untersuchung. Diese fand ich gerade im Kontrast sehr interessant, es werden verschiedene Aspekte auf Basis zwischenmenschlicher Beziehungen und gesellschaftlicher Ebene beleuchtet. Alleine die Beziehung der beiden Schwestern wäre einen eigenen Roman wert, die privaten Angelegenheiten des Ermittlers haben absolut gestört. Auch die Idee, wie die Dating-Plattform Raw funktioniert zeugt einerseits von Kreativität, andererseits zeigt sich hier, wie sehr sich das Dating-Verhalten der Gesellschaft verändert hat. Gerne hätte ich mehr über all diese Gesichtspunkte und auch den eigentlichen Fall gelesen. Obwohl die Verknüpfung der beiden Angelegenheiten am Ende tatsächlich sehr gelungen ist, kann ich über den Störfaktor der Handlung rund um John Adderly leider nicht hinwegsehen.

Bewertung vom 15.04.2022
Vertrauen
Mishani, Dror

Vertrauen


gut

Ruhiger Krimi

"Vertrauen" ist das erste Buch, was ich von Dror Mishani lesen durfte. Von einem israelischen Krimi habe ich mir Abwechslung erhofft, in dieser Hinsicht wurde ich auch nicht enttäuscht. Über die europäischen Grenzen hinaus werden solche Fälle natürlich anders gehandhabt, alleine dieser Einblick, vor allem in Hinblick auf den Einfluss des Mossads, ist natürlich sehr spannend.

Der Oberinspektor Avi Avraham möchte sich nicht mehr Fällen widmen, die von Hoffnungslosigkeit geprägt sind, er möchte das Böse bekämpfen BEVOR es zu spät ist. Dieses Motiv, das die Handlung des Protagonisten antreibt, hat bei mir das Interesse an dem Kriminalroman geweckt, da es mir einfach einleuchtete. Wie die Thematik weiter behandelt wurde, stellte mich auch zufrieden. Allerdings fiel es mir schwer, den beiden Fällen zu folgen, bzw. ließ meine Aufmerksamkeit doch sehr nach und ich empfand das Lesen als sehr langatmig. Das ist nicht unbedingt dem Schreibstil des Autoren zuzuordnen vielmehr dem Inhalt. Keiner der beiden Handlungsstränge berührte mich genug, um aktiv den Überblick behalten zu wollen. Umso dankbarer war ich, als zumindest partiell eine Verknüpfung stattfand.

Wer die Nase voll von "klassischen", schwedisch Krimis hat und Spannung sowieso nur im gewissen Maße erträgt, sollte diesem Kriminalroman trotz allem eine Chance geben, so leicht bekommt man sonst keinen Einblick in die israelische Kriminalarbeit!