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Benutzername: 
Diamondgirl
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Stolberg
Buchflüsterer: 

Bewertungen

Insgesamt 124 Bewertungen
Bewertung vom 07.08.2017
Was man von hier aus sehen kann
Leky, Mariana

Was man von hier aus sehen kann


ausgezeichnet

Lasst den Westerwald herein!

Um es gleich vorweg zu sagen: Ich habe mein Buch des Jahres gefunden!
Luise erzählt uns einen Teil ihres Lebens, der zugleich auch ein Teil ihres Dorfes im Westerwald ist - wobei dem Westerwald hier keine besondere Rolle zukommt.
Die Erzählung beginnt, als Luise 10 Jahre alt ist. Ihre Großmutter Selma hat die Fähigkeit, den Tod vorher zu ahnen. Immer wenn sie von einem Okapi träumt, stirbt innerhalb des nächsten Tages jemand. Sobald der Traum die Runde macht wird das kleine Dorf hektisch, denn jeder (bis auf einen) fürchtet, dass er dieser Jemand sein könnte.
Alleine diese Idee ist schon mehr als verrückt, doch es ist längst nicht der letzte grandiose Einfall, der einen zum schmunzeln bringt.
Der Aufbau und die Ausarbeitung der Charaktere macht einfach nur Spaß! Ob es Selma ist, die aussieht wie ein Double von Rudi Carrell und ständig MonCheri nascht, Marlies, die sich immer mehr in ihre Hütte verkriecht, auf jedermann schlecht zu sprechen ist und an allem etwas auszusetzen hat, die "Dorfhexe" Elsbeth, die tagein tagaus die gleichen Pantoffel trägt und sie einfach tauscht, wenn sie einseitig abgelaufen sind, Martin, dem ständig eine übereifrige Haarsträhne zu Berge steht oder der herzensgute Optiker bis hin zu Alaska, dem Irish Wolfhound, den Luises Vater ihrer Mutter schenkt, der aber letztlich mehr bei Selma oder Luise ist als anderswo. Und das sind noch längst nicht alle Mitwirkenden in diesem Buch.
Wer nun darauf hofft, dass sich in diesem Miteinander eine fortlaufende Handlung entwickelt, der hofft vergebens. Was m. E. nicht weiter schlimm ist, denn ich konnte sehr gut damit leben, mich einfach in dieses Dorf zu begeben und es in mein Herz zu lassen. Luise erzählt - erst aus der Zeit als sie 10 war, dann aus der als sie 22 war und zum Schluss aus der, als sie 32 war. Und in diesem Zeitraum ist festzustellen, dass das Dorfleben und die Menschen im großen und ganzen bleiben wie sie sind. Immer wieder tauchen Rückblicke auf, die die Menschen im Dorf verständlicher machen. Warum mancher ist wie er wurde.
Der rote Faden ist in diesem Buch das Thema Liebe und Zugehörigkeit, aber auch der selbstbestimmte Lebensweg. In jeder Altersstufe widerfährt Luise Einschneidendes. Mal tritt der Tod in ihr Leben und ein anderes Mal der Buddhist Frederik, der in Japan in einem Kloster lebt. Dennoch ist es kein rührseliges Buch, geschweige denn ein Liebesroman. Es enthält eine ganze Reihe philosophischer Ansätze, jedoch ohne belehrend zu werden. Es gibt einfach Denkanstöße.

Und es gibt wundervolle Sätze... Mariana Leky verwendet eine herrlich lebendige Sprache und dies so meisterlich, dass alleine das Lesen schon Spaß macht - egal worum es gerade geht.
Zitat S. 52:
"Ich beschloss, Martin später zu heiraten, weil ich fand, der Richtige sei der, der einem das Hinsehen erspart, wenn die Welt ihren Lauf nimmt."
Dazu kommen Wortschöpfungen, die einen schmunzeln lassen, bei denen jedoch jeder sofort weiß, was die Autorin meint (Bsp: kranzschleifenschwarz). Das Ganze wird dazu noch mit einer guten Portion Humor serviert. Es gibt immer wieder Situationen, bei denen ich wirklich lachen musste. Oft sind es ganz banale Situationen wie die beim Einzelhändler, der Kaffee to go anbietet, aber nur kurz, weil niemand sein Angebot annimmt "Wo soll ich mit dem Kaffee denn hingehen?, hatte die Frau des verstorbenen Bürgermeisters gefragt."(S. 255) Keine dumme Frage in einem Dorf...
Fazit:
Alles zusammen ergibt einen meisterlichen Roman um das Leben und Lieben schlechthin. Nie oberflächlich sondern immer in einem nachhallend mit einer ausgeprägten Liebe zur Sprache. Mir werden sie fehlen, die Leute aus dem Westerwald!

6 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.07.2017
Sommerkind
Held, Monika

Sommerkind


gut

Diese Rezension ist keine einfache Sache, denn es gelingt kaum, ohne zu viel von der Story zu verraten.
Die kleine Malu ertrinkt wegen einer kleinen Zwistigkeit mit ihrem großen Bruder Kolja, während dieser sich versonnen den Abendhimmel über dem Meer und seinen heimlichen Schwarm aus der Klasse über ihm, Ragna, als begnadete Schwimmerin im Meer anschaut.
Erst viel zu spät wird Ragna aufmerksam, dass Malu nicht aus dem zu dieser Zeit geschlossenen Schwimmbad zurück gekommen ist, springt über den Zaun, birgt sie vom Beckenboden und belebt sie wieder. Wie erwähnt leider zu spät und Malu bleibt in einer Art Wachkoma. 3 Monate später zieht die angeschlagene Familie aus dem hohen Norden nach Süddeutschland, um Malu die denkbar beste Behandlung zukommen zu lassen.
Schnell wird klar: Solche Dramen passieren leider und stets sind sie eine große Belastung für die Familie. Kolja wird von der Mutter als Schuldiger betrachtet - was objektiv gesehen sicher auch den Tatsachen entspricht. Doch Kolja war zu diesem Zeitpunkt selbst erst 15 Jahre alt und noch ein halbes Kind.
Für Kolja werden die Wochen und Monate zu einem schweren Paket, das er zu schultern hat. Er gibt sich auch selbst die Schuld an Malus Unfall, was ihn innerlich zerfrisst, denn selbstverständlich ist er durch diese Schuld auch gleich Auslöser der Familiensituation.

Ragna hat sich in den 3 Monaten zwischen Unfall und Umzug sehr eng mit Kolja befreundet, sodass man es als erste Liebe bezeichnen kann. Aus unerfindlichen Gründen hat sie sowohl den Unfall als auch die 3 Folgemonate komplett vergessen - eine Teilamnesie. Durch einen Zufall kommen ihr Erinnerungsfetzen in den Sinn und sie gibt sich auf die Suche nach ihrer Geschichte.

Der Schreibstil hat mir sehr gut gefallen! Ich war sofort in der Geschichte und auch die fehlenden Anführungszeichen bei der wörtlichen Rede haben meinen Lesefluss nicht gestört. Die Charaktere sind größtenteils liebevoll ausgearbeitet.

Leider bin ich mit der übrigen Story nicht wirklich glücklich. Zu viele Fragen wurden aufgeworfen und liefen ins Leere. Das offene Ende störte mich dabei nicht einmal - die teils wichtigen Punkte der Erzählung wurden einfach im Galopp verloren, als ob sie eher nebensächlich gewesen wären.
Es wird nicht geklärt, warum eine immerhin 16jährige Frischverliebte 3 Monate ihres Lebens "vergisst" und sich nicht einmal an den Namen des Jungen erinnert. Als ob auch in der Schule und im Freundeskreis nie über ihn gesprochen wurde.
Auch einige andere Punkte werden tlw. sogar nur einmal - da allerdings ausführlich - erzählt und angeschnitten, aber tauchen dann ab als ob sie belanglos waren. Nur: Warum wird dann groß und breit darüber geschrieben, wenn es tatsächlich belanglos war?
Am Ende des Buches kam es mir so vor, als hätte die Autorin dieses Thema der Sommerkinder so beschäftigt, dass sie unbedingt einmal ein Buch darüber schreiben wollte. Leider kamen dann noch einige Themen dazu und es wurde insgesamt einfach etwas viel für ein doch recht überschaubares Buch:
Über die Aufopferung der Familienangehörigen, deren Schuldgefühle und zerbrechende Familien. Und über Jugendliche, die unter Schuldgefühlen zusammenbrechen auch. Über Menschen mit Teil-Amnesie und über Ärzte, die sich so aufopfern, dass sie Familienmitglieder von Patienten mit in Urlaub nehmen (Sorry - das war eine für mich absolut unrealistische Geschichte).
Und über Schwule, die unglücklich verliebt waren. Und über die entsetzliche Erfahrung, wenn der besten Freundin ein Leid geschieht. Und über Heimweh, die Nordsee und das Leben auf einer Hallig sowieso.
So viele Themen werden angeschnitten und etliche laufen leider ins Leere.

Fazit:
Trotz dieser Story-Lücken hat die Lektüre dieses Buches mir wegen der wirklich sehr schönen Schreibweise Freude gemacht und ich konnte es wirklich verschlingen. Die Schwächen der Story erkennt man zum Glück erst nach dem Ende, wenn man merkt, dass keine Aufklärung mehr kommt.

Bewertung vom 14.07.2017
Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt
Kalfar, Jaroslav

Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt


gut

Hiervon hatte ich mir mehr versprochen

Wir schreiben das Jahr 2018. Jakub wird als erster tschechischer Raumfahrer ins All gesandt, um eine Staubwolke zwischen Venus und Erde zu erforschen und dort Proben zu sammeln. Völlig allein in seinem Raumschiff freut er sich auf die regelmäßigen Videokonferenzen mit seiner Frau Lenka. Als diese sich von ihm trennt gerät seine Welt aus den Fugen und auch sein Forscherdrang ist nicht mehr der vom Beginn seiner Reise. Dann bekommt er Gesellschaft durch einen 8-beinigen Alien der von nun an zum Mittelpunkt seiner Reise wird.

Die Buchbeschreibung sowie die Leseprobe ließen auf einen recht abgedrehten, amüsanten Roman schließen. Leider war davon im Verlaufe des Buches nicht allzu viel zu merken. Es findet ein steter Wechsel zwischen Rückblicken und 2018 statt, der durchaus Leben in die Geschichte bringt. Diese Rückblicke des Ich-Erzählers Jakub reichen bis in seine Kindheit zurück. Eine Kindheit, die tlw. in den Wirren des Umbruchs 1989 gelebt wurde. Hier will ich jedoch nicht zu viel des Inhalts verraten, denn ein wenig Spannung soll ja bleiben.
Jedenfalls hatte Jakub eine Kindheit, die alles andere als einfach war. Diese Einblicke in die Geschichte der Tschechoslowakei waren ausgesprochen interessant, wie eigentlich nahezu alle Rückblicke in diesem Buch.
So paradox es klingen mag: Das Buch hätte m. E. ohne den teils albernen Teil mit der Raumfahrt wesentlich mehr gewonnen. Sie waren absolut überzeugend geschildert und enthielten so viel Nachdenkenswertes, dass es schade ist, dass diese durchaus ernst zu nehmende Geschichte durch die wirre Sputnik-Story verwässert wurde.
Noch trauriger finde ich, dass mit der Buchbeschreibung der Fokus gänzlich auf diese abstruse Teil-Geschichte gelenkt wird. Hier sind Enttäuschungen vorprogrammiert.
Nach einem guten Beginn kam erst einmal - von den Vergangenheits-Episoden abgesehen - nicht mehr viel. Ich habe mich als Leser ähnlich gelangweilt wie Jakub in seinem Raumschiff. Da konnte auch der Alien nicht viel heraus reißen.
Im letzten Buchdrittel - Jakub ist endlich wieder zurück auf der Erde - nimmt die Geschichte noch einmal Fahrt auf und manches aus der Vergangenheit klärt sich. Hier konnte man durchaus gute philosophische Ansätze finden, die überzeugend dargebracht wurden.
Die Schreibweise insgesamt ist absolut überzeugend. Sehr angenehm zu lesen, aber nicht hinreichend einnehmend, um von den Schwächen der Story abzulenken.
Fazit: Hier wäre weniger mehr gewesen! Zu albern um ernst genommen zu werden - zu ernsthaft um als absurder, humoriger Roman gelesen zu werden.

Bewertung vom 05.06.2017
Der Freund der Toten
Kidd, Jess

Der Freund der Toten


ausgezeichnet

Eine ungewöhnliche Literatur-Entdeckung

Mahony (Jahrgang 1950) wächst in einem Waisenhaus in Dublin auf. Stets wurde ihm erzählt, dass seine Mutter ihn aus Desinteresse dort abgegeben hat. 26 Jahre später erhält er einen Brief, indem es Hinweise gibt, dass alles doch anders war. Daraufhin reist er in seinen Heimat-Ort Mulderrig, ein Dorf, das im wahrsten Sinne des Wortes am Ende der Welt liegt. Dorthin verläuft sich niemand zufällig. Er möchte das Geheimnis lüften, was mit seiner Mutter wirklich geschah. Ein Geheimnis, das der Leser bereits auf den ersten Seiten des Buches erfährt, auch wenn ihm die Person des Täters vorerst verborgen bleibt.

Ein solch ungewöhnliches Buch habe ich lange nicht gelesen! Eine bunte Mischung aus Krimi, Thriller, Mystery, Fantasy und außerdem noch humorvoll. Dabei in einer üppigen, bildhaften Sprache geschrieben, dass es wirklich eine wahre Freude ist ihm zu folgen.
Geradezu wunderbar sind Jess Kidd, die hier ihren Debütroman vorlegte, die Charaktere gelungen. Wobei gerade die "Nebenrollen" herzerfrischend und raumfüllend ausgearbeitet wurden. Ob es sich um die dahinsiechende ehemalige Theaterschauspielerin Mrs. Cauley handelt, die in einem Labyrinth von Büchern lebt, die selbst ein Eigenleben zu besitzen scheinen. Oder ihre Freundin Bridget, die schon etwas besonders ist, den Dorfgeistlichen Father Quinn, die verbiesterte Witwe Annie Farelly, die hellsichtige Mrs. Lavelle und deren Tochter Teasy oder den Wirt Tadhg (wie auch immer das ausgesprochen wird). Es gibt noch etliche mehr und jede hat ihren ganz eigenen Charakter.
Ganz zu schweigen von den Toten, die Mahony regelmäßig sieht und mit manchem auch spricht. Auch diese sind liebevoll ausgearbeitet mit allen möglichen Schrullen und oft sehr skurril, weil Tote eben nicht die sind, die sie einmal waren. Meist haben sie keinen Einfluss auf die Nachforschungen, jedoch ergeben sie insgesamt ein rundes Gesamtbild und eine dichte Atmosphäre.

Ich gebe zu, dass ich vor allem nach Lesepausen manchmal Probleme hatte, die einzelnen Personen problemlos wieder zuzuordnen. Ich habe mit Namen generell so meine Probleme. Ein Personenregister wäre hier hilfreich gewesen.

Die Geschichte selbst ist durchaus abwechslungsreich und spannend und schlägt so manchen Haken. Manches ist wirklich fast absurd - man darf nicht erwarten, dass es immer mit rechten Dingen zugeht. Man muss sich einfach auf eine verwegene Story einlassen, was aber eigentlich von vornherein klar sein dürfte bei einem Buch, in dem der Protagonist mit Toten plaudert.
Dabei beweist die Autorin, dass sie auch Sinn für Humor hat. Vor allem Situationskomik liegt ihr. Ein Beispiel (Seite 348/349):
"Der Priester blinzelt hinauf in die Wolken, während sich Schaum in seinen Mundwinkeln sammelt. Dann rollt er auf den Bauch, rappelt sich mühselig hoch und humpelt den Gartenweg hinunter davon.
Unter Drogen, ohne Hose und nach Rache schreiend."

Bei allem kommt die Spannung nicht zu kurz, wobei sie keine Horroreffekte verwendet. Etwaige Brutalitäten werden nicht ausgespart, aber keinesfalls effekthaschend eingesetzt, sondern für mich angenehm sachlich und distanziert beschrieben.

Sehr gut gefiel mir die immer wieder wechselnde Zeitebene. Mal das Jahr 1950, mal 1968 jedoch meist 1976. So kommt der Leser Stück für Stück näher an die Wahrheit heran.

Fazit: Insgesamt ein spannender, abwechslungsreicher Roman für Leser, die sich auch auf etwas mystische Romane einlassen können. Die bildhafte Fabulierkunst und die phantastischen Charaktere machen einfach nur Spaß!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.05.2017
Lost in Fuseta / Leander Lost Bd.1
Ribeiro, Gil

Lost in Fuseta / Leander Lost Bd.1


ausgezeichnet

Ich hoffe auf Nachschub aus Fuseta!

Ich bin ja nicht die Krimileserin schlechthin. Für mich muss ein Krimi schon das gewisse Etwas haben, damit er mich begeistert. Und genau dieses gewisse Etwas bietet dieses Buch: Protagonisten, die bis in die "Nebenrollen" so verdammt gut heraus gearbeitet wurden, dass ich sie sofort in mein Herz geschlossen habe.
Alles beginnt mit einem Austauschprogramm von Europol, bei dem die "besten" Polizeikräfte für 1 Jahr ihren Arbeitsplatz tauschen sollen. So kommt Leander Lost an die portugiesische Algarve, während ein dortiger Kollege seinen Dienst in Hamburg verrichtet.
Schnell stellt sich heraus, dass Lost etwas speziell ist. Er hat Portugiesisch in 3 Wochen fließend gelernt, hat ein fotografisches Gedächtnis und deutliche Probleme mit der Entschlüsselung der Mimik seiner Mitmenschen. Außerdem ist er nicht imstande zu lügen, was die Zusammenarbeit auch nicht unbedingt einfacher gestaltet. Kurz gesagt: Er ist ein Asperger-Autist.
Bald nach seiner Ankunft wird jemand aus dem Ort getötet und Lost nimmt mit seinem Team Carlos und Graciana die Ermittlungen auf.

Der Roman ist voller guter Ideen und auch detailreicher Schilderungen, die jedoch nie zu ausschweifend geraten. Da schreibt jemand, der sein Fach versteht. Man spürt, wie sehr Ribeiro dieses kleine Land liebt und schätzt. Es ist ein Vergnügen, seinen Beschreibungen und Erklärungen zu folgen und man fühlt förmlich das Licht und die Wärme dieses Landes.
Der Kriminalfall ist fern jeder Action und weit entfernt von einem Thriller. Aber genau das gefällt mir. Die Ermittlungen sind abwechslungsreich und entbehren manchmal nicht einer gewissen Komik. Ich könnte mir dieses Buch sehr gut verfilmt vorstellen und hoffe wirklich auf eine Fortsetzung, denn so ein Jahr kann durchaus eine Menge Stoff bieten. Ist doch für den ersten Fall dieses Teams gerade mal eine Woche vergangen.

Fazit: Für mich volle Empfehlung für Freunde sanfter Krimis, die erfreulicherweise weg sind vom Mainstream-Thriller mit viel Blut und Gänsehaut.
...und natürlich für Portugal-Fans, die hier voll auf ihre Kosten kommen!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.05.2017
So, und jetzt kommst du
Frank, Arno

So, und jetzt kommst du


ausgezeichnet

Aufwühlend und erschreckend

Was für Geschichten schreibt das Leben manchmal? Ich habe oft fassungslos verfolgt, was dieser Familienvater dem Rest der Familie aufgebürdet hat - angeblich mit besten Absichten.
Jürgen ist, vereinfacht beschrieben, ein Gernegroß. Er will es mal zu Geld bringen. Zu viel Geld. Zu extrem viel Geld und Luxus - ohne dafür zu arbeiten, versteht sich.
Mit Sätzen wie "Es steht jeden Tag ein Dummer auf" und Anleitungen, wie man Schrott schönreden kann macht er seinem Sohn deutlich, was er unter "arbeiten" versteht. So wundert es den Leser nicht, dass der Vater bald auf Abwege gerät, um an das große Geld zu kommen.
Als die Polizei ihm zuleibe rücken will, packen er und Mutter Jutta das nötigste ein und alles mit den 3 Kindern in den Wagen und los geht es Richtung Frankreich. Es wird ein luxuriöses Haus gemietet, ein chicer Sportwagen und 2 Hunde gekauft, die beiden größeren Kinder in der Privatschule angemeldet und ansonsten in den Tag gelebt. Nachts macht Vater später Besuche im Spielcasino um mit einem "sicheren System" Geld heran zu schaffen.
Das geht natürlich nur so lange gut, wie das mitgenommene Geld reicht. Danach folgt eine Flucht auf die nächste und die Zustände werden immer katastrophaler.
Nur wenige Bücher haben mich bisher so ergriffen. Weil es sich um eine wahre Begebenheit handelt, die vom Autor, dem Ich-Erzähler, lediglich abgewandelt wurde. Wie kann ein Vater seine Kinder in solche Situationen bringen? Wie kann er in doch so kurzer Zeit die Psyche sämtlicher Familienmitglieder so nachhaltig demolieren?
Der Mann ist zerfressen vom Geltungswahn und Schein ist für ihn wichtiger als Sein. Am schlimmsten empfand ich dieses Lügengespinst, das er um sich herum aufbaute, selbst seiner Familie gegenüber. Und es wurde erwartet, dass auch seine Kinder und Frau seine Lügen verbreiten und stützen.
Mit den Monaten ahnen die Kinder, das alles nicht mit rechten Dingen zugeht und sie eigentlich auf der Flucht sind und gar nicht umgezogen. Sehr tragisch für mich auch die Stelle, als die jüngere Tochter Jeany erkennt, dass die Polizei doch eigentlich nur ihren Vater sucht und sonst niemanden aus der Familie und das alles besser werden würde, wenn er verhaftet und eingesperrt würde.
Zudem hat der Vater noch eine latent gewalttätige Ader, die zum Ausbruch kommt sobald ihm etwas gegen den Strich läuft. Da wird der Sohn wutentbrannt geschlagen, dass er zu Boden geht, weil das Hotel endlich seine Rechnung bezahlt haben möchte oder der kleine Bruder mit nicht mal 2 Jahren hemmungslos geohrfeigt, weil die Hunde sich krank vor Hunger eine seiner Windeln vom Müll geholt haben um sie zu fressen und alles im Zimmer verteilen.
Um es gleich zu sagen: Die komischen und humorvollen Stellen dieses Buches konnte ich leider nur wenig entdecken. Es war immer dieses Lachen, das einem im Halse stecken bleibt.
Arno Frank hat jedoch ein Buch geschaffen, das einem wirklich ans Herz greift. Meist sehr sachlich geschildert und trotz allem so nah am Geschehen. Und immer wieder tauchen da plötzlich Sätze auf, so poetisch und schön, dass ich sie glatt nochmal lesen musste, weil sie so perfekt klangen. Bsp.:
"Vielleicht bewegen wir uns auf dieser Fahrt nicht im Raum und stehen in Wahrheit still, während die Orte in rätselhafter Konstellation sich von uns weg, zu uns hin, an uns vorbei bewegen."
Mir hat sein Schreibstil und vor allem seine immer wieder aufblitzende Schreibgewalt immens gut gefallen. Es war trotz der fürchterlichen Begebenheiten ein wahres Vergnügen, ihn bei seiner Geschichte zu begleiten.
Hinzu kommt, dass mir vieles so vertraut ist, von dem er schreibt - wie eine kleine Zeitreise.
Fazit: Ein außergewöhnliches Buch in hervorragendem Schreibstil mit einer absolut unglaublichen Story! Vielen Dank an Arno Frank, dass er uns teilhaben ließ an seiner Odyssee aus der Kindheit!

Bewertung vom 04.05.2017
Man lernt nie aus, Frau Freitag!
Frau Freitag

Man lernt nie aus, Frau Freitag!


gut

Mal eine andere Sichtweise

Frau Freitag genießt ja inzwischen durchaus Bekanntheit als Lehrerin einer Schule in Berlin. In diesem Buch berichtet sie nun einmal aus einer anderen Warte, nämlich aus der der Schülerin: Frau Freitag möchte mit fast 50 den Führerschein machen während ihres Sabbatjahres und begibt sich hierfür selbst noch einmal auf die Schulbank einer Fahrschule.
Das Buch ist untergliedert in Kapitel, die größtenteils in der Überschrift die Wochen bis zum Führerschein sowie das investierte Kapitel zählen. Die Kapitel sind meist recht überschaubar, weil so eine Fahrstunde ja auch flott vorbei ist. Leider wiederholt sich viel, denn die nervenden Sprüche und das Verhalten der Fahrlehrer bleiben ja prinzipiell gleich - weshalb sie immer wieder Erwähnung finden.
Auch die Probleme der Schülerin Freitag bleiben relativ gleich. Man gewinnt immer mehr im Verlauf des Buches den Eindruck, dass sie eigentlich gar nicht wirklich fahren will. Als ob jemand anderer für sie diese Entscheidung getroffen habe, mit dem Führerschein zu beginnen.
Oder es war der reine Trotz, weil sie der Welt und vor allem sich selbst beweisen muss, dass sie auch in ihrem Alter noch den Führerschein "schafft". Weil sie ja so vieles zuvor schon gelernt hat und weil fahren ja so schwer doch nicht sein kann.
Leider aber wohl doch, denn sie muss erschreckend viele Fahrstunden nehmen und zahlt am Ende einen m. E. horrenden Betrag für ihren Lappen. Dabei kann ich nicht einmal nach Lektüre des Buches sagen, woran das wohl gelegen haben mag. Mir drängt sich der Verdacht auf, dass es zum größten Teil an den Fahrlehrern gelegen hat. Sie verschleißt jedenfalls mehr als einen und richtig gut aufgehoben scheint sie bei keinem dieser Fahrlehrer gewesen zu sein.
Wie nicht anders zu erwarten war, sind ihre Schilderungen entsprechend flapsig geraten. Auch an Flüchen und Schimpfwörtern wird dieses Mal nicht gespart. Trotzdem gefiel mir dieses Buch insgesamt besser als ihre Schulschilderungen, denn hier hatte sie endlich einmal Gelegenheit ungestraft um sich selbst zu kreisen und ihre eigene Pädagogik zu hinterfragen. Dies kam m. E. an dieser Stelle (S. 92) besonders heraus:
"Am Ende bin ich Harald und Dieter ähnlicher, als ich dachte. Vielleicht regen sie mich deshalb so auf. Dieter ist mein Spiegel, der direkt meine schwarze Seele reflektiert. Schwarze Seele. Schwarze Pädagogik."
Wenn das am Ende der Sinn ihres Führerscheins war, dann hat das Geld sich auf jeden Fall gelohnt! Denn ihre Pädagogik ließ in ihren Schul-Büchern zu wünschen übrig.

Fazit: Insgesamt macht es Vergnügen, das Buch zu lesen. Es ist m. E. kein Buch, das man in einem durchlesen sollte, sondern eher stückchenweise. Sonst ist zu wenig Abwechslung und man ist schnell gelangweilt. Als Klobuch jedoch gut geeignet!

Bewertung vom 21.04.2017
Die Geschichte der Bienen / Klima Quartett Bd.1
Lunde, Maja

Die Geschichte der Bienen / Klima Quartett Bd.1


ausgezeichnet

Ein echter PageTurner!

Zum Glück bin ich mit nicht ganz so hohen Erwartungen gestartet, denn das stellt immer ein Problem dar. Im Vorfeld hatte ich sogar etwas Bedenken, ob es wirklich das richtige Buch für mich sein würde. Aber ich war rundum begeistert!
Das Buch umreißt die Geschichte der Imkerei bzw. der Bienen vom 19. bis ins 21. Jahrhundert. In England 1852 leidet William unter Depressionen, weil sein Leben so ganz anders gelaufen ist, als er es sich erhofft hatte. Er wollte ein wichtiger Pionier im Bereich Biologie werden, doch gerieten ihm Frau und einige Kinder dazwischen. Seine Hoffnungen ruhen auf seinem Sohn Edmund, der ebenfalls studieren soll. Schließlich kommt ihm die Idee für einen ganz neuartigen Bienenstock, mit dem er die Imkerei revolutionieren möchte und reißt ihn aus seiner Lethargie.
In Ohio/USA 2007 muss der Imker George miterleben, wie 90 % seiner Bienenvölker einfach von einem Tag auf den anderen verschwinden. Sein einziger Nachkomme Tom studiert und träumt eher vom Schreiben als von der Übernahme des väterlichen Betriebes.
Im Jahr 2098 in China lebt Tao mit ihrer kleinen Familie. Inzwischen sind die Bienen längst ausgestorben und die Welt ist nicht mehr die, die wir kennen. Da passiert ihrem kleinen Sohn ein Unfall, der ihr ganzes Leben auf den Kopf stellt.

Das Buch ist in diese 3 Handlungsstränge aufgeteilt, die immer abwechselnd erzählt werden. Für mich stellte sich gerade die Form der dreigeteilten Zeit- und Handlungsstränge als Glücksfall dar, obwohl genau das meine vorherigen Bedenken begründete. Es las sich wirklich wie Butter!
Gerade die abwechselnden Stränge wirkten wie ein PageTurner auf mich. Das Kapitel endete und ich wollte immer unbedingt wissen, wie es mit George oder William weitergeht. Jedesmal musste ich mich regelrecht losreißen von diesem Buch, um nicht doch noch 2 oder 3 Seiten zu lesen, aus denen dann doch wieder 30 geworden wären.
Die Geschichte der Zukunft um Tao und ihre kleine Familie weckt bei mir am wenigsten Interesse und Empathie. Die Protagonistin ist mir einerseits nicht sonderlich sympathisch und das ganze Geschehen lässt mich eigenartig unbeteiligt. Wären es einzelne zusammenhängende Geschichten geworden, bin ich fast sicher, dass ich Taos Geschichte abgebrochen hätte. So waren es immer nur ein paar Seiten und so schlecht ist dieser Teil nun nicht, dass ich die nicht mitgenommen hätte zwischendurch. Außerdem interessierte mich dann ja doch, wo und wie sich die Verbindung zu George und William ergab.

Der Schreibstil ist wirklich super! Niveauvoll und trotzdem keine verschwurbelten Sätze über eine halbe Seite. Man kann mit den ersten Sätzen einsteigen und sich einfach treiben und mitnehmen lassen.

Der Erzählstil - alle drei Storys sind in der Ichform geschrieben aus Sicht des jeweiligen Protagonisten - trug sicherlich seinen Teil dazu bei, denn man erfuhr ja tatsächlich, was in dem Einzelnen vorging. Aber eben ausschließlich im Protagonisten. Alle anderen Personen wurden zu Randfiguren, die man als Dritter nur so betrachten konnte, wie es der Erzähler tat. Dazu gehörte natürlich auch, dass man den ganzen negativen Gedanken ausgesetzt war.

Zum Ende zeigte sich, dass meine frühen Vermutungen allesamt richtig waren - was nicht unbedingt für die Geschichte spricht, denn der Verlauf war halt doch insgesamt recht vorhersehbar. Trotzdem hat es wahnsinnigen Spaß gemacht, dieses Buch zu lesen, denn auch wenn manches vorhersehbar war, so war hier eindeutig der Weg das Ziel!

Bewertung vom 09.04.2017
Mit jedem Jahr
Booy, Simon van

Mit jedem Jahr


sehr gut

Familiengeschichte im Zeitraffer

Als Harvey sechs ist verunglücken ihre Eltern tödlich bei einem Autounfall. Ihr einziger Verwandter ist Jason, der Bruder ihres Vaters. Dieser war bereits im Gefängnis, weil er jemanden halbtot geprügelt hat. Er trank zu oft und zu viel, verlor bei einem Unfall ein Bein und hat seine Aggressionen nicht unter Kontrolle. Harveys Mutter hatte daher - und nicht nur aus diesem Grund -
entschieden, dass jeglicher Kontakt mit ihm zu unterbleiben hat.
Eine Sozialarbeiterin, die sich mit der Akte "Harvey" auseinandersetzen muss, setzt jedoch einiges daran, dass das Kind zu seinem Onkel kommt. Dessen Lebensumstände sind nicht gerade ideal für ein kleines Kind, doch mit viel Engagement erreicht sie, was sie sich vorgenommen hat.
Von Beginn an ist Jason gewillt, sein Leben in den Griff zu bekommen, allem voran seinen Jähzorn. Dem Alkohol hat er schon zuvor abgeschworen.

Das Buch beginnt mit 3 einleitenden Kapiteln, als Harveys Leben noch in Ordnung war. Das eigentliche Buch spielt 20 Jahre später, als Harvey längst erwachsen ist und inzwischen in Paris arbeitet. Jason kommt zu Besuch aus den USA und sie hat ein Vatertagspaket gepackt, mit mehreren kleinen, bedeutungsvollen Päckchen, von denen er täglich eines öffnen soll.
Es erzählt also immer wieder in passenden Rückblicken, wie sie zu ihrem Dad (Jason) kam und welche besonderen Ereignisse sie in den vergangenen 20 Jahren näher brachten. Die verschiedenen Zeitebenen wechseln entsprechend oft, doch hatte ich eigentlich nie Probleme mit der zeitlichen Orientierung.

Diese Herangehensweise fand ich tatsächlich sehr interessant, zumal sie mir schon zu Anfang versicherte, dass alles gut gelingen wird. Dankenswerter Weise wird recht sachlich berichtet - nicht ohne ab und an auf die Gefühlswelt der Protagonisten einzugehen. Bewegend fand ich die Momente, in denen das Kind seinem Alter gemäße Fragen stellte oder Schlussfolgerungen zog - absolut realistisch und manchmal entwaffnend, wenn man selbst Kinder hat und sich an dieses Alter erinnert.
Die Schreibweise ist sehr gut zu lesen. Angenehm unaufgeregt, auch wenn es inhaltlich schon einmal härter zugeht. Man fühlt sich wie ein Beobachter den es einfach interessiert, wie sich das alles entwickeln konnte.

Mir hat das Buch wirklich sehr gut gefallen und ich kann es wärmstens empfehlen.

Achtung: Spoiler!
Zum Ende des Buches wird so einiges klarer, was mir zunächst nicht einleuchtete, nämlich warum die Sozialarbeiterin Wanda unermüdlich alles daran setzt, dass Harvey ausgerechnet zu jemandem mit einem Vorleben wie Jason kommt. Das empfand ich als total unrealistisch und ich bin dem Autor dankbar, dass er mir dieses Mysterium entschlüsselt hat.
Ich denke nicht, dass es sich beim Ende der Story um einen unrealistischen "Zufall" handelt, sondern dass Wanda sehr wohl darüber informiert war - daher rührte auch ihr Engagement. Auch Harveys Eltern war der Umstand bewusst. Das wird klar, wenn man sich einige Stellen zu Beginn des Buches noch einmal in Erinnerung ruft.
Lediglich Jason wusste von gar nichts und ich hätte ihm so gewünscht, dass er es auch erfahren würde. Aber zum Glück ist er ja nur eine Romangestalt.