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Readaholic

Bewertungen

Insgesamt 357 Bewertungen
Bewertung vom 18.07.2022
Eine Feder auf dem Atem Gottes
Nunez, Sigrid

Eine Feder auf dem Atem Gottes


sehr gut

Eine schwere Bürde
In ihrem autobiographischen Roman „Eine Feder auf dem Atem Gottes“ gibt uns Sigrid Nunez Einblicke in ihre Kindheit und Jugend in New York. Ihre Eltern lernten sich in Deutschland kennen, ihr Vater ein chinesisch-südamerikanischer Soldat, die Mutter aus Süddeutschland. Eigentlich passen sie überhaupt nicht zusammen, trotzdem heiraten sie und ziehen in die USA.
Im ersten Kapitel beschreibt die Autorin ihren Vater, der ihr zeitlebens fremd blieb. Er lernte nie richtig Englisch, einer von vielen Gründen, warum die Mutter auf ihn herabsah. Er arbeitete hart, aß alleine, verbrachte seine knapp bemessene freie Zeit so gut wie nie mit der Familie, kurzum, er blieb ein Fremder. Eine Tatsache, die Sigrid Nunez als Erwachsene schmerzt, da der Vater früh starb und sie so nie die Gelegenheit hatte, das Verpasste nachzuholen.
Die Ehe der Eltern war unglücklich, was für die Kinder sicher eine schwere Bürde darstellt. Die Mutter trauerte noch lange Deutschland und ihrer Jugendliebe nach, die sie regelrecht verklärt. Sigrid wendet sich bald dem Ballett zu und findet darin große Befriedigung, auch wenn sie nicht talentiert genug ist, eine große Ballerina zu werden. Das Kapitel, das den Titel des Buchs trägt und in dem Nunez ihre Faszination mit dem Ballett schildert, hat mich ziemlich befremdet, da ich nicht nachvollziehen kann, wie man freiwillig blutige Zehen und Schmerzen auf sich nimmt, nur um Spitzentanz zu beherrschen und auf der Bühne zu stehen. Den Balletttänzerinnen wird außerdem nahegelegt, so gut wie nichts zu essen, um ihre mädchenhafte Figur zu behalten: institutionalisierte Magersucht. Wahrscheinlich hat sich bis heute nichts daran geändert. Ein für mich sehr verstörendes Kapitel.
Im letzten Kapitel ihres Buchs beschreibt die Autorin ihre Affaire mit dem russischen Einwanderer Vadim, den sie durch ihre Tätigkeit als Englischlehrerin kennenlernt. Von Anfang an ist klar, dass er verheiratet ist und seine Frau nicht verlassen wird. Es ist eine leidenschaftliche Beziehung zu einem Mann mit äußerst zwielichtiger Vergangenheit, wie sie nach und nach feststellt.
Nunez erzählt mit schonungsloser Offenheit aus ihrer Jugend, selbst wenn sie dabei nicht immer in einem guten Licht dasteht. Obwohl mich manches in diesem Buch befremdet und sogar abgestoßen hat, fand ich den Roman faszinierend und lesenswert.

Bewertung vom 11.07.2022
Die versteckte Apotheke
Penner, Sarah

Die versteckte Apotheke


sehr gut

Schatzsuche im Uferschlamm
Ihre Reise nach London anlässlich ihres 10. Hochzeitstags hatte sich Caroline anders vorgestellt. Anstatt, wie geplant, romantische Touren mit ihrem Ehemann zu unternehmen, reist sie allein, da sie kurz zuvor erfahren hat, dass ihr Mann sie betrügt.
Traurig und verloren macht sich Caroline am ersten Tag in London auf zu einem Pub, als ihr ein Mann von „Mudlarking“ Touren erzählt, der Suche nach Gegenständen aus längst vergangenen Zeiten im Uferschlamm der Themse. Caroline, die Geschichte studiert hat, schließt sich der Gruppe an und findet prompt ein kleines Glasfläschchen mit der Gravur eines Bären. Fasziniert macht sie sich auf die Suche nach der Herkunft des Fläschchens und lernt dabei Gayle kennen, die im britischen Museum arbeitet und ihr Zugang zu alten Dokumenten verschafft.
In einem zweiten Handlungsstrang, der 200 Jahre früher spielt, lernen wir die Apothekerin Nella und die junge Eliza kennen. Nella betreibt die titelgebende versteckte Apotheke, in der sie hilfesuchenden Frauen allerlei Gifte verkauft, mit denen sie sich beispielsweise eines gewalttätigen Ehemanns entledigen können.
Bis etwa zur Mitte des Buchs habe ich diesen Roman verschlungen, danach wird er leider immer unrealistischer. So findet Caroline einen versteckten Hinterhof und hinter einer verwitterten Tür einen Raum, den seit Jahrhunderten niemand mehr betreten hat. Und das mitten im Finanzzentrum Londons, wo das besagte Grundstück wahrscheinlich Millionen wert ist! Auch kann ich mir nicht vorstellen, dass ein 200 Jahre alter Notizzettel, den eine alte Frau auf ihrem Sterbebett verfasst hat, aufbewahrt wurde und Caroline bzw. Gayle ihn auf Anhieb finden.
Trotzdem ist „Die versteckte Apotheke“ ein kurzweiliger und zumindest am Anfang spannender Roman, der mich gut unterhalten hat.

Bewertung vom 01.07.2022
Die sieben Schalen des Zorns
Thiele, Markus

Die sieben Schalen des Zorns


sehr gut

Ein Ende in Würde
Max Keller hat eine schwierige Kindheit hinter sich, als er nach dem Tod des gewalttätigen Vaters von seiner Tante Maria aufgenommen wird. Die beiden haben ein inniges Verhältnis, deshalb ist es für Max, der inzwischen Arzt ist, gar keine Frage, als Maria ihn nach einer Alzheimerdiagnose bittet, ihrem Leben ein Ende zu setzen, wenn eines Tages ein Leben in Würde nicht mehr möglich sein sollte.
Max, der inzwischen weitere Schicksalsschläge hinter sich hat, löst sein Versprechen ein und wird prompt der aktiven Sterbehilfe angeklagt.
Ausgerechnet Max Kellers bester Freund aus Jugendtagen, Jonas, der kurz vor der Ernennung zum Generalstaatsanwalt steht, ist der zuständige Staatsanwalt in dem Verfahren gegen seinen alten Freund, in dessen Schuld er steht.
Der Autor und Rechtsanwalt Markus Thiele spricht hier ein brisantes und aktuelles Thema an. Wo verläuft die Grenze zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe? Ist es nicht Teil eines selbstbestimmten Lebens und somit verfassungskonform, wenn man seinem Leben ein Ende setzen will, wenn dieses nur noch aus Siechtum besteht? „Die sieben Schalen des Zorns“ ist ein anspruchsvolles und aufrüttelndes Buch. In Rückblenden erfährt der Leser Einzelheiten aus dem Leben der Hauptpersonen, die für das Verständnis ihrer Handlungsweisen wichtig sind. Allerdings fand ich diese Rückblicke zum Teil sehr langatmig und ausufernd, was bei mir etwas Langeweile aufkommen ließ. Nichtsdestotrotz ist es ein Buch, das ein wichtiges gesellschaftspolitisches Thema anspricht. Klare Leseempfehlung.

Bewertung vom 22.06.2022
Der Mann, der vom Himmel fiel
Tevis, Walter

Der Mann, der vom Himmel fiel


ausgezeichnet

Der geheimnisvolle Fremde
Thomas Jerome Newton ist mit fast zwei Metern Körpergröße, seinem weißen Haar und einem Knochenbau wie ein Vögelchen kein gewöhnlicher Mensch. Diejenigen, die ihn treffen, können nicht ahnen, dass er überhaupt kein Mensch ist, sondern ein Außerirdischer, der mit seinem Raumschiff vom Planeten Anthea kam, um sein Volk zu retten.
Da das Volk der Antheaner den Menschen technisch und die Intelligenz betreffend weit überlegen ist, schafft es Newton in kürzester Zeit, auf der Erde eine Vielzahl an Patenten anzumelden und ein reicher Mann zu werden. Seine Erfindungen sind so außergewöhnlich, dass der Wissenschaftler Nathan Bryce auf ihn aufmerksam wird, ihn aufspürt und schließlich für Newton arbeitet. Die einzige andere Person, zu der Newton eine persönliche Beziehung aufbaut, ist Betty Jo, eine einfache Frau, die ihm aus einer großen Notlage hilft und schließlich für ihn als Haushälterin tätig ist.
Was genau Newtons Mission auf der Erde ist, wird nicht ganz klar. Außerdem bleibt fraglich, ob Newton sich nicht längst dagegen entschieden hat. Obwohl er ein einsames Leben lebt, fühlt er sich auf der Erde mit ihren riesigen Wasservorräten und Bodenschätzen wohl. Doch mit der Zeit werden auch staatliche Stellen auf Newton aufmerksam und mit seinem beschaulichen Leben ist es vorbei.
„Der Mann, der vom Himmel fiel“ wurde bereits im Jahr 1963 verfasst. Damals war das Buch ein Blick in die Zukunft der Jahre 1984 – 1990. Interessant ist die Perspektive des Außerirdischen. Sein Volk hat den eigenen Lebensraum bereits zerstört und die Menschheit ist auf dem besten Weg, dies ebenfalls zu tun.
Ich bin überhaupt kein Science Fiction Fan, doch dieses Buch ist ein besonderes innerhalb des Genres. Wichtiger als die Tatsache, dass Newton von einem anderen Planeten kommt, ist sein Blick auf die Menschen und wie sie leben. Ich habe dieses Buch sehr genossen. Es ist spannend geschrieben und hervorragend übersetzt und ich kann es absolut empfehlen.

Bewertung vom 08.06.2022
Ein unendlich kurzer Sommer
Pfister, Kristina

Ein unendlich kurzer Sommer


gut

Such mich nicht
Lale hat genug von ihrem bisherigen Leben. Ihrem Partner hinterlässt sie einen lapidaren Zettel, „Such mich nicht“, setzt sich in den nächsten Zug und fährt bis zur Endstation. Dort strandet sie auf einem etwas heruntergekommenen Campingplatz am See. Gegen Arbeit überlässt ihr der Besitzer des Campingplatzes, Gustav, einen Wohnwagen, in dem sie für die Zeit ihres Aufenthalts wohnen kann. Lale stürzt sich in Arbeit, und davon gibt es genug. Dann taucht plötzlich Christophe auf, der den ganzen Weg von der Insel Réunion gekommen ist, um seine Wurzeln zu finden. Christophe und Lale fühlen sich zueinander hingezogen und verbringen eine schöne und leidenschaftliche Zeit miteinander, bis das Glück ein jähes Ende findet.
Das erste Drittel des Buchs hat mir echt gut gefallen, doch dann zog sich die Geschichte doch sehr in die Länge und ich habe mich gelangweilt. Manches ist ziemlich an den Haaren herbeigezogen, zum Beispiel die Entdeckung eines sogenannten Hexengrabs, das daraufhin scharenweise Hippies und Esoteriker anzieht und dem Campingplatz gute Geschäfte beschert. Die Atmosphäre des Sommers ist schön beschrieben, die flirrende Hitze, Abende am Lagerfeuer, doch hat mir das nicht gereicht, um mich zu fesseln. Lale blieb mir fremd, stellenweise fand ich sie regelrecht unsympathisch. Es werden viele Themen angeschnitten, aber alles in allem war es ein Buch ohne Tiefgang mit einem vorhersehbaren Ende. Ganz nette Sommerlektüre, ich hatte mir allerdings mehr davon versprochen.

Bewertung vom 01.06.2022
Für diesen Sommer
Klönne, Gisa

Für diesen Sommer


ausgezeichnet

Da waren wir noch alle
Die 50jährige Franziska erhält einen Hilferuf aus ihrem Heimatdorf: sie soll sich um den verwitweten Vater Heinrich kümmern, der über 80 ist und nicht mehr allein zurechtkommt. Bisher hat diese Aufgabe die ältere Schwester Monika übernommen, doch die kann nicht mehr und so muss Zissy einspringen. Ausgerechnet sie, die vor Jahren mit dem Vater gebrochen hat und mit 17 das Elternhaus verließ! Sie, die rebellische Umweltschützerin, die schon überall auf der Welt gelebt hat und doch nirgends Wurzeln schlug.
Zu allem Überfluss soll das Elternhaus altersgerecht renoviert werden und Franziska die Möbel ausräumen und möglichst viel entsorgen. Der Vater, der hauptsächlich in der Vergangenheit zu leben scheint, wehrt sich gegen diese Pläne. Seine eigenen Pläne sehen ganz anders aus.
In Rückblicken erfahren wir viel über die Vergangenheit der Familie, die harte und entbehrungsreiche Kindheit des Vaters während des zweiten Weltkriegs, das Kennenlernen von Heinrich und seiner Frau Johanne, die glücklichen ersten Ehejahre und die schwierigen Zeiten mit ihrer rebellischen jüngeren Tochter Franziska. Aber auch Franziskas Leben wird erzählt: die erste große Liebe, die tragisch endete, ihre Suche nach einem erfüllten und sinnvollen Leben, das sie von einem Umweltprojekt zum nächsten führte, dem Leben im Ashram, ihrem Getriebensein. Dabei wechselt die Perspektive zwischen Franziska und ihrem Vater hin und her. Da ich das Buch als Hörbuch gehört habe, habe ich den Wechsel der Stimmen als sehr angenehm empfunden, beide Sprecher klangen authentisch und ich habe ihnen sehr gern gelauscht.
Gisa Klönne versteht es sehr gut, die melancholische Stimmung zu erschaffen, die über diesem Sommer liegt, den Franziska bei ihrem alten Vater verbringt, und den Leser/Hörer auf eine Reise in die Vergangenheit mitzunehmen. Da ich viele der zeitgeschichtlichen Ereignisse ebenfalls als junge Frau erlebt habe – die Proteste gegen die Startbahn West, um nur ein Beispiel zu nennen – war es für mich zugleich eine Reise in die eigene Vergangenheit. Während ihrer Zeit bei Heinrich kommen sich Franziska und ihr Vater ganz langsam wieder näher. Auch das zerrüttete Verhältnis zur Schwester und ein prägendes und totgeschwiegenes Ereignis in der Vergangenheit ist Thema dieses Buchs, das mich sehr berührt hat.

Bewertung vom 26.05.2022
Tiefes, dunkles Blau
Kobler, Seraina

Tiefes, dunkles Blau


sehr gut

Ruhiger Krimi
Rosa Zambrano, Mittdreißigerin und Seepolizistin in Zürich, hört ihre biologische Uhr ticken. Von ihrem langjährigen Freund hat sie sich gerade getrennt, offenbar wollte er keine Kinder. Um sich ihren Kinderwunsch zu einem späteren Zeitpunkt erfüllen zu können, lässt sie in der renommierten Praxis des Zürcher Arztes Dr. Janssen ihre Eizellen einfrieren. Kurz danach wird just dieser Arzt als Wasserleiche aus dem See gefischt. Wie sich herausstellt, steckte Janssen mitten im Scheidungskrieg, seine Partnerin in dem Biotechunternehmen, das er neben der Praxis betrieb, hatte andere Vorstellungen als er und war nicht gut auf ihn zu sprechen, und dann schien er auch noch Verbindungen ins Rotlichtmilieu gehabt zu haben.
Es gibt also genügend Menschen, deren Leben einfacher wäre ohne ihn und die somit ein Motiv gehabt hätten, ihn aus dem Weg zu räumen.
„Tiefes, dunkles Blau“ ist zweifellos ein Krimi, allerdings steht der Kriminalfall nicht im Vordergrund. Seraina Kobler versteht es ganz wunderbar, Stimmungen zu beschreiben. Rosa ist beispielsweise eine begeisterte und begnadete Köchin, die ihre Gäste mit ausgefallenen Menüs verwöhnt. Auch die Atmosphäre Zürichs, ein Open Air Konzert, dem Rosa in ihrem verwunschenen Garten mitten in der Zürcher Altstadt lauscht, sowie die Stimmungen am See und in den Bergen oberhalb von Zürich werden so anschaulich beschrieben, dass man sich mittendrin fühlt. Von Rosa selbst konnte ich mir allerdings kein so gutes Bild machen, vielleicht lerne ich sie im nächsten Band der Reihe, den ich sicher auch lesen werde, besser kennen. Ein unterhaltsamer und ruhiger Roman, der durch seine sehr schöne Covergestaltung – vertäute Boote im See mit der Altstadt Zürichs im Hintergrund – ins Auge fällt.

Bewertung vom 18.05.2022
Über Carl reden wir morgen
Taschler, Judith W.

Über Carl reden wir morgen


ausgezeichnet

Großer Familienroman
In „Über Carl reden wir morgen“ lernen wir drei Generationen der Familie Brugger kennen. Die Geschichte beginnt Anfang des 19. Jahrhunderts in Putzleinsdorf, einem kleinen Dorf im österreichischen Mühlviertel. Dort übernimmt Anton Brugger die Hofmühle der Familie, während seine Schwester Rosa als Dienstmädchen in die Stadt geht. Sie will der Enge des Dorfs entfliehen und hofft auf eine bessere Zukunft, doch nach einigen Jahren kehrt sie desillusioniert ins Dorf zurück und kümmert sich fortan um die Kinder ihres verwitweten Bruders Anton.
Jahre später hat Antons Sohn Albert ebenfalls große Pläne. Nachdem er einige Jahre im Ausland war, will er ein Kaufhaus im Dorf eröffnen. Was zunächst vor allem von Vater Anton kritisch beäugt wird, entwickelt sich zu einem großen Erfolg. Auf der Suche nach Warenlieferanten lernt Albert in Wien die Kaufmannstochter Anna kennen und lieben. Anna lässt sich gerne auf die Beziehung ein, dass sie dabei noch andere Gründe hat als Zuneigung zu ihm, kann Albert nicht ahnen. Anna fühlt sich auf Dauer im kleinen Putzleinsdorf nicht sehr wohl und findet keinen Anschluss. Dies ändert sich erst, als eine entfernte Verwandte der Familie, Hedwig, aus Wien zu ihnen kommt. Mit der jungen Frau versteht sie sich gut und für Hedwig ist es das erste Mal im Leben, dass sie ein wirkliches Zuhause hat.
An dieser Stelle im Buch beginnt es ein bisschen kompliziert zu werden. Immer mehr Namen tauchen auf und die Beziehungen der Personen untereinander waren mir nicht immer klar. Hilfreich war ein Buchzeichen mit Familienstammbaum, doch darin sind nur die allerwichtigsten Familienmitglieder aufgeführt.
Aus der Ehe zwischen Albert und Anna Brugger gehen vier Kinder hervor, die Zwillinge Carl und Eugen, Gustav und Elisabeth. Carl zieht in den Krieg und erlebt Schreckliches. Sein Zwillingsbruder Eugen wandert in die USA aus, wo er ein erfolgreiches Leben führt. Als ihn die Nachricht erreicht, sein Bruder Carl sei im Krieg gefallen, kehrt er in die alte Heimat zurück. Dort holt ihn die Vergangenheit ein und vieles ist anders als gedacht.
Interessant ist die Erzählweise des Buchs. Es gibt jede Menge Zeitsprünge und Rückblenden. Ereignisse, die bereits bekannt sind, werden von einer anderen Person erzählt und weiter ausgeführt. Wie bei einem Kaleidoskop fallen die einzelnen Teile an Ort und Stelle und ergeben plötzlich Sinn.
„Über Carl reden wir morgen“ ist ein faszinierender und gut recherchierter Familienroman, den ich regelrecht verschlungen habe. Mein einziger Kritikpunkt sind die vielen Handlungsstränge und Namen, besonders in den USA. Dort trifft Eugen auf alte Bekannte des Vaters, macht neue Freunde, findet Geschäftspartner und ich wusste oft nicht mehr, wer wer ist. Besonders gut gefallen an dem Roman hat mir der Bezug zu realen Ereignissen. Der Schluss ist offen, da die Geschichte der Familie Brugger in einem zweiten Band weitererzählt wird. Wer epische Familienromane mag, ist hier genau richtig.

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Bewertung vom 17.05.2022
Die Sommerschwestern Bd.1
Peetz, Monika

Die Sommerschwestern Bd.1


gut

Die Wahrheit ist ein Schloss mit vielen Räumen
In ihrer Kindheit haben die Schwestern Doro, Yella, Amelie und Helen jeden Sommer mit ihren Eltern in Holland verbracht. Bis der Vater auf dem Weg zum Strand tödlich verunglückte. Danach waren sie nie wieder dort. Doch jetzt erreicht die Schwestern, die sich im Lauf der Jahre fremd geworden sind, ein Brief der Mutter. Henriette Thalberg bittet sie zu einem kurzfristig anberaumten Familientreffen, ausgerechnet im holländischen Ferienort Bergen. Um was es geht, will sie ihnen vor Ort sagen.
Viel scheinen die Töchter von ihrer Mutter nicht zu halten. Immer wieder ist die Rede davon, dass die Mutter nur wenige Monate nach dem Tod ihres Ehemanns bereits Ehemann Nummer 2 heiratete, einen Mann, den die Töchter nicht ausstehen konnten. Zum Glück hielt die Ehe nicht lang. Yella, die Zweitälteste, beschreibt ihren letzten chaotischen Besuch bei der Mutter, die ziemlich oberflächlich und alles andere als sympathisch beschrieben wird. Nach und nach lernen wir auch die Schwestern kennen, die exaltierte Künstlerin Doro, deren Universum sich nur um sich selbst dreht, Yella, die mit ihrem Leben als Mutter und ihrer Beziehung zu einem Schriftsteller mit Schreibblockade unzufrieden wirkt, die geradlinige Helen und die ziemlich stille Amelie, von deren Leben man nur wenig erfährt. Sie alle teilen sich ein Ferienhaus, die Mutter hat sich im Hotel einquartiert. Die Schwestern streiten sich und vertragen sich wieder, spielen Minigolf und streiten sich wieder und als Leser erlebt man jede langweilige Minute mit. Die eigentliche Auflösung, der Grund für die Zusammenkunft, lässt lange auf sich warten und ist keine sonderliche Überraschung. Am Schluss geht es um die Frage „Was ist richtig, was ist falsch? Was ist wahr und was ist Lüge?“ Doch wie ein holländischer Freund von Henriette sagt: Die Wahrheit ist ein Schloss mit vielen Räumen.
Für mich war dies das erste Buch der Autorin und es wird voraussichtlich auch das einzige bleiben. Als locker-leichte Ferienlektüre geeignet, ohne großen Tiefgang. Die Leseprobe hatte mir gut gefallen und eine interessante Lektüre versprochen, doch leider war der Mittelteil des Buchs äußerst zäh. Erst gegen Ende wurde es wieder interessanter.

Bewertung vom 15.05.2022
Die Kinder sind Könige
Vigan, Delphine

Die Kinder sind Könige


ausgezeichnet

Schöne neue Welt im 21. Jahrhundert
Als junge Frau wollte Mélanie Claux Star im Reality TV werden, doch es hat nicht geklappt. Jahre später, inzwischen ist sie verheiratet und Mutter zweier Kinder, beginnt sie, ihre Kinder für YouTube zu filmen. Das Format kommt an, sie bekommt immer mehr begeisterte Follower und die Sponsoren reißen sich um sie. Die ganze Familie ist eingebunden, auch ihr Mann gibt seinen Job auf, um an der Produktion der Filme mitzuwirken. Auch finanziell lohnt sich die Sache: nach kurzer Zeit erwirtschaften sie Millionen.
Zu Beginn des Buchs ist Tochter Kimmy 6, ihr Bruder Sammy 8. Während Sammy klaglos die Drehs über sich ergehen lässt, weigert sich Kimmy immer öfter, die gesponserten Outfits zu tragen und ständig von der Kamera überwacht zu werden. Dann geschieht das Unfassbare: Kimmy verschwindet. Die Kriminalpolizei wird eingeschaltet und die Ermittlerin Clara durchleuchtet das Leben der Familie Claux. Was sie entdeckt, schockiert sie. Ihr war nicht bewusst, dass es solche Kanäle gibt, in denen Kinder hemmungslos vermarktet werden und Privatsphäre ein Fremdwort ist.
Ein Zeitsprung ins Jahr 2031 offenbart die Langzeitfolgen dieser Art von Unterhaltung. Das Erschreckende an diesem Buch ist, wie realitätsnah es ist. Überall auf der Welt gibt es Eltern, die genau mit dieser Art von Filmen ihre Kinder der Öffentlichkeit preisgeben und ihnen ihre Kindheit rauben. Ich habe dieses Buch atemlos verschlungen und es hat mich sehr deprimiert. „Die Kinder sind Könige“ ist ein hervorragend geschriebenes und hochaktuelles Buch, das jeder lesen sollte.