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Buchstabenträumerin
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Hier blogge ich über Jugendbücher und Romane der verschiedensten Genres: https://buchstabentraeumerei.wordpress.com.

Bewertungen

Insgesamt 170 Bewertungen
Bewertung vom 10.12.2017
Simon vs. the Homo Sapiens Agenda
Albertalli, Becky

Simon vs. the Homo Sapiens Agenda


ausgezeichnet

Albertalli thematisiert sehr lebensnah und gefühlvoll, wie es ist, jung und schwul zu sein. Und sie macht es so wunderschön, dass meine Worte dieser Geschichte im Grunde gar nicht Rechnung tragen können. Simon befindet sich mitten im aufregenden und mitunter auch beängstigenden Prozess zwischen Selbstfindung und seinem Coming-out. Wie das vonstatten gehen soll, kann er sich überhaupt nicht vorstellen. Wann ist der richtige Zeitpunkt? Wie werden es seine Freunde und seine Familie aufnehmen? Ein Lichtblick ist der anonyme Austausch mit einem anderen schwulen Mitschüler. Er nennt sich Blue und wird Simon’s engster Vertrauter. Sie erzählen aus ihrem Leben, schreiben über das Coming-out und die Familie und kommen sich mit jeder E-Mail näher.

Diese E-Mails sind es, die mich am meisten berührt haben. Die Worte darin sind ein vorsichtiges Tasten und Fühlen, Simon und Blue wagen sich einen Schritt vor, warten bang auf die Antwort, und sehnen sich nach den nächsten Worten. Es ist einfach zauberhaft, diese Kommunikation mitzuerleben, in die Köpfe der beiden eintauchen zu können. Man erlebt mit, wie sich beide langsam aber unausweichlich ineinander verlieben, wie sie rätseln, wer der andere wohl sein mag, wie sie überlegen, ob sie einander treffen sollen. Es ist eine erste Liebe, die so intensiv und aufregend und romantisch ist, wie man es sich nur vorstellen kann.

Doch es gibt Komplikationen, die Simon im Verlauf des Buches beschäftigen. Denn ein Mitschüler, der zufällig eben jene E-Mails gelesen hat, setzt Simon unter Druck: Verkuppelt er ihn nicht mit seiner Freundin Abby, wird er der ganzen Schule verraten, dass Simon schwul ist. Nun heißt es für Simon sich zu entscheiden, ob er das Spiel mitspielt oder sein Coming-out jemand anderem in die Hände legt.

Simon gefiel mir als Protagonist sehr gut. Seine Art zu reden! „You sort of talk the way you write“ wird an einer Stelle über Simon gesagt. Und das stimmt. Becky Albertalli schreibt die Geschichte aus seiner Perspektive und hat genau den richtigen Ton gefunden. Humorvoll und ironisch, fluchend und zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt hin und her gerissen. Vor allen aber durch und durch liebenswert. Das liegt vor allem an den kleinen Details, die einem Simon unglaublich nahe bringen. Sein Musikgeschmack zum Beispiel, die kleinen, nebensächlichen Anekdoten, die er in E-Mails erzählt, das mehrfache Gegenlesen der E-Mails ehe er sie absendet, damit sie keine Rechtschreibfehler enthalten – ich könnte immer weitermachen und letztendlich jeden Satz des Buches wiedergeben.

Umrahmt wird die Geschichte um Simon und Blue von einer Gruppe enger Freunde, die ihren eigenen Packen an Problemen mit sich herumtragen. Sie sind hoffnungslos oder hoffnungsvoll verliebt, streiten und versöhnen sich – die jugendlichen Dramen eben, ohne diese abwerten zu wollen. Denn was wäre Jugend ohne diese Dramen? Ohne diese Spannung und Unsicherheit? Becky Albertalli hat quasi die Essenz des Jungseins eingefangen und gibt es ungefiltert an ihre Leser weiter. Ich fühlte mich schlagartig, als sei ich wieder sechszehn Jahre als und würde erneut diese Intensität des Lebens und Erlebens spüren. Wie schade, dass dies manchmal mit zunehmendem Alter verloren geht und wie gut, dass es Bücher gibt, die einem ein kurzes Verweilen in dieser Zeit ermöglichen.

bFazit/b

„Simon vs. the Homo Sapiens Agenda“ von Becky Albertalli ist eine Geschichte, die im Herzen ankommt. In jedem Wort schwingen Humor und echte Emotionen mit, die einem Simon, Blue und alle anderen Charaktere sehr nahe bringen. Albertalli verbindet eine klassische Coming-of-Age Geschichte mit den Themen Sexuelle Orientierung, Freundschaft und Familie, Toleranz und Liebe. Und das ist ihr wirklich sehr gut gelungen. Ich habe lange kein Buch mehr in der Hand gehalten, das mich so sehr berührt hat, das mich gefangen genommen hat, das mich lachen ließ und schlichtweg bezauberte.

Bewertung vom 06.12.2017
Das Leben meines besten Freundes
Gridl, Judith

Das Leben meines besten Freundes


ausgezeichnet

ÜBERRASCHEND SPANNENDE COMING-OF-AGE GESCHICHTE. EINE FREUNDSCHAFT, DIE SICH ÜBER ALLE GRENZEN HINWEGSETZT.

„Das Leben meines besten Freundes“ von Judith Gridl fordert seine jungen (und älteren) Leser, denn neben der Geschichte einer tiefen Freundschaft, geht es um Armut und Reichtum, Macht und Ohnmacht, Unterdrückung und Kriminalität, Identität und Lebensziele. All dies fließt dabei so gekonnt in die Haupthandlung mit ein, dass ich am Ende sehr beeindruckt war. In meiner Rezension erfahrt ihr mehr.

Der Plot ist für mein Empfinden sehr klassisch aufgebaut. Doch das tut der Spannung und dem Reiz der Geschichte keinen Abbruch, denn die Charaktere sind lebensnah und interessant und auch der Spannungsbogen hat es in sich. Judith Gridl belässt es nicht bei einer schlichten Coming-of-Age Geschichte. Wir landen mitten in Berlin, wo Stadtteile und somit Welten aufeinander prallen. Samir wohnt mit seiner Familie im Wedding, wo Arafat und seine Leute die Straßen im Griff haben. Sie holen Schutzgelder von Geschäften ein und sind in illegale Machenschaften verwickelt. Samir hatte davon nicht allzu viel mitbekommen, doch als sein Vater eines Tages verschwindet, beginnt er nachzuforschen.

Immer an seiner Seite steht Jacob, sein bester Freund aus dem Stadtteil Zehlendorf, dessen Vater mit Geld und Angeberei nur so um sich wirft. Die beiden sehen sich zum verwechseln ähnlich, was ihnen gut zupass kommt, als Arafat auf Samir aufmerksam wird und dieser schnell verschwinden muss. Er geht anstelle von Jacob auf ein piekfeines Internat, während Jacob bei Samir’s Familie bleibt und dort im Alltag hilft, so gut er kann.

Durch diesen Rollentausch erleben Jacob und Samir einen wahren Culture Clash, an dem sie wachsen und sich selbst neu entdecken. Sie tauchen in das Leben des jeweils anderen ein, übernehmen Verantwortung, scheitern, stehen wieder auf. Diesen Aspekt hat die Autorin ganz wunderbar herausgearbeitet, keine Entwicklung wirkt gekünstelt oder zu weit hergeholt. Es war schön zu sehen, was ungeahnte Herausforderungen aus den beiden Jungen machen.

Über allem hängt die drohende Gefahr, entdeckt zu werden. Und was geschah bloß mit Samir’s Vater? Lebt er noch oder wurde er von Arafat ermordet? Hier legt „Das Leben meines besten Freundes“ richtige Jugendkrimi-Quälitäten an den Tag, denn Arafat würde auch nicht zögern, einem Jugendlichen etwas anzutun.

Neben all der Spannung kommt aber auch die Beziehung zu den Eltern nicht zu kurz. Jacob und seine Eltern verbindet nicht mehr viel, vor allem sein Vater übt zu viel Leistungsdruck auf ihn aus. Es soll etwas aus ihm werden, die schulischen Leistungen müssen besser werden und das Mädchen Fine, mit dem er sich trifft, sei als Tochter eines Gastronomen doch weit unter seinem Niveau. Jacob distanziert sich immer mehr von seinem Vater, bis der Konflikt sie einander wieder annähern lässt.

Samir hingegen liebt seine Familie, seinen Vater und seine Mutter sowie seine zwei jüngeren Geschwister. Er kümmert sich hingebungsvoll um sie, vernachlässigt dabei jedoch die Schule, bis er selbst fest daran glaubt, er könne ja sowieso nicht richtig lernen und es sei hoffnungslos. Was beiden Jungen nicht wissen: sie stecken viel zu sehr in ihrer eigenen Welt fest, um wirklich erkennen zu können, was sie leisten können. Es steckt so viel Potenzial zur Entwicklung in diesen Charakteren und Judith Gridl hat das voll ausgenutzt.

Fazit

„Das Leben meines besten Freundes“ von Judith Gridl ist für junge Leser ein hervorragendes Buch über Freundschaft. Denn Samir und Jacob gehen füreinander durch dick und dünn und sie erleben spannende Abenteuer. Mich hat das Buch mit seinem Facettenreichtum sehr positiv überrascht, denn die Autorin mischt geschickt Themen wie Verantwortung, Lebensziele, Religion, Kriminalität und Lebensumstände in einen Coming-of-Age Roman. Für ältere Leser vielleicht nicht mehr geeignet, für Leser ab 12 aber eine absolute Empfehlung.

Bewertung vom 03.12.2017
Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken
Green, John

Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken


sehr gut

JUGENDBUCH VOLLER SCHMERZ, ZWEIFEL, VERZWEIFLUNG, LIEBE UND FREUNDSCHAFT.

Bisher hatte sich jedes Buch von John Green einen Weg in mein Herz gebahnt. Allen voran „Eine wie Alaska“ und „Will & Will“, das in Zusammenarbeit mit David Levithan entstand. Ich mag Greens frischen und authentischen Schreibstil, voller Sensibilität, Feingefühl und Humor. „Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken“ ist sein neuestes Werk und wurde von mir sehnlichst erwartet.

Auf dem Cover ist eine Gedankenspirale zu sehen. Denn darum geht es in „Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken“ – um die 16-jährige Aza, die ihren eigenen Gedanken nicht entfliehen kann, die unter einer Angst- und Zwangsstörung leidet und davon immer wieder übermannt wird. John Green, der ebenfalls mit einer Angststörung lebt, hat mit seinem neuen Buch ein Werk geschrieben, das für mich geradezu schmerzhaft zu lesen war.

Denn der Autor schildert präzise das Leiden von Aza und ihren Zwang, sich selbst zu verletzten. Sie muss spüren, dass sie wirklich da ist. Ich war als Leser permanent in ihrem Kopf, war mit ihr gefangen, ich konnte ihre Zweifel, ihre Ängste und ihren Ekel sehr gut nachempfinden. Das liegt maßgeblich an den präzisen Beschreibungen, die nichts umschiffen, sondern knallhart auf das Wesentliche zusteuern. Trotzdem ist „Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken“ nicht pures Leiden, sondern gleichermaßen eine Geschichte voller Humor, über das Leben, die Freundschaft und die Liebe.

UND SO FIEL ICH IMMER TIEFER IN DIE SICH UM SICH SELBST DREHENDE GEDANKENSPIRALE, BIS ICH GANZ AUS DER CAFETERIA DER WHITE RIVER HIGH VERSCHWAND UND AN EINEM ABSTRAKTEN ORT LANDETE, DEN NUR RICHTIG VERRÜCKTE LEUTE BESUCHEN DÜRFEN. (SEITE 11)

Es ist auch eine Detektivgeschichte, denn der Vater von Aza’s Freund Davis verschwindet spurlos. Doch was laut Klappentext eine wichtige Rahmenhandlung zu sein scheint, zerfällt zu wenig mehr als einer Randnotiz. Natürlich erklärt das Verschwinden vieles im Verhalten seines Sohnes Davis. Allerdings wird mir diese Nebenhandlung nicht stringent genug verfolgt. Stellenweise wird die Suche erwähnt, doch es geschieht kaum etwas, um Davis‘ Vater tatsächlich zu finden. Warum sie also überhaupt einbauen? Gestört hat es mich jedoch nicht wirklich, denn der Fokus liegt auf Aza und ihren Schwierigkeiten.

Ihr Charakter macht es dem Leser nicht einfach sie zu mögen. Sie ist sehr auf sich fokussiert, launisch und deprimierend. Allerdings passt das zu ihrer Störung, es ist ein Ausdruck ihres Unvermögens, in gewissen Momenten rational zu denken. Sehr gelungen fand ich ihre Entwicklung, denn hier folgt John Green nicht gängigen Klischees. In vielerlei anderer Hinsicht bietet „Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken“ wenige Überraschungen – was es aber nicht unbedingt schlechter macht. In Daisy findet der Leser den aufgekratzten und frechen Sidekick der Protagonistin, die ihr zur Seite steht. In Davis findet man den Jungen, in den sich die Protagonistin verliebt, der aber auch seine eigenen Probleme hat.

Was das neue Buch von John Green für mich nichtsdestotrotz lesenswert macht, ist das Thema. Haben wir nicht alle manchmal irrationale Ängste? Wie ist es, wenn wir diese Gedanken nicht mehr abschalten können? Es war eine Herausforderung, die ganze Zeit in Aza’s Gedankenspirale gefangen zu sein, doch ihre tief verwurzelten Ängste zu verstehen war gleichermaßen faszinierend und das hat mich emotional mitgerissen.

Fazit

„Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken“ von John Green ist ein tiefsinniges Jugendbuch, das sich mit dem Thema Angststörung auseinandersetzt. Es beinhaltet viele klassische Elemente, die Lesern von Jugendbüchern vertraut sind, schafft es aber auch zu überraschen. Das Schicksal von Aza ist berührend, die Themen Freundschaft und Liebe werden wunderbar lebensnah geschildert. Von mir eine Leseempfehlung für alle, die Jugendbücher gerne lesen.

Bewertung vom 24.11.2017
Die wundersamen Koffer des Monsieur Perle
Fombelle, Timothée de

Die wundersamen Koffer des Monsieur Perle


ausgezeichnet

EINE MAGISCH-FASZINIERENDE REISE. UNGEWÖHNLICH, POETISCH UND VIELSCHICHTIG.

Als ich die letzten Seiten las, befand ich mich in einem Taumel der Gefühle. Ich wollte weinen, ich musste lächeln, ich träumte und dachte nach. Mit „Die wundersamen Koffer des Monsieur Perle“ hat Timothée de Fombelle eine Geschichte geschrieben, die viel mehr ist, als der Klappentext vermuten lässt. Es ist Märchen, Jugendbuch, Fantasy und historischer Roman in einem. Voller Zauber und Wunder, Drama und Abenteuer. Zusätzlich spielt der Autor mit verschiedenen Zeit- und Realitätsebenen sowie Perspektivwechseln. Eine Herausforderung! Weshalb dieses wunderschöne Buch meiner Meinung nach dennoch in jedes gut sortierte Bücherregal gehört, erfahrt ihr in meiner Rezension.

Im Grunde ist die Geschichte von Timothée de Fombelle eine Liebesgeschichte. Über eine Liebe, die so groß und stark ist, dass sie Welten und Jahrzehnte überwindet. Die bestehen bleibt, selbst wenn die Erinnerung an den geliebten Menschen getrübt ist. Selbst wenn einer sich dem anderen nicht zeigen darf. Als Leser wandelt man zwischen der Realität und der Welt der Märchen. In dieser lernen sich ein verstoßener Prinz und eine Fee kennen und lieben, doch der eifersüchtige Bruder des Prinzen, der König, zerstört diese Liebe und verbannt beide in die Welt der Menschen.

Der Prinz lebt dort fortan unter falschem Namen bei dem Schaumzucker-Hersteller Monsieur Perle und versucht zu verstehen, was ihm widerfahren ist. In Märchenbüchern begegnet er ihm bekannten Erzählungen, sie rütteln sanft Erinnerungen wach, doch einen Zugang zu seiner Welt kann er nicht finden. Was er nicht ahnt: Die Fee wacht über ihn, beeinflusst im Kleinen den Verlauf seines Lebens, immer in der Hoffnung, er möge sie beide von ihrer Verbannung befreien.

UND DOCH SIND GEWISSE MÄCHTE STÄRKER ALS ALLE ZAUBERKRAFT. EIN ANDERER GOLDENER FADEN BLIEB IN DER MITTE SEINER BRUST HAFTEN. EIN FADEN, VON DEM ER SICH NIE MEHR WÜRDE LÖSEN KÖNNEN. (SEITE 110)

Der Zauber von „Die wundersamen Koffer des Monsieur Perle“ liegt aber nicht in der Grundgeschichte allein. Er verbirgt sich in der poetischen Sprache, zwischen den vielen Erzählebenen und in dem plötzlichen Erkennen von Zusammenhängen, die einem zuvor nicht klar gewesen waren. Der Einstieg ist nicht leicht, der Leser stolpert in die Geschichte hinein, wie auch der Prinz in sein neues Leben. Auch wenn anfangs vieles nicht verständlich war, tröstete mich eine ganz spezielle Stimmung, die dem Buch innewohnt, darüber hinweg. Timothée de Fombelle verliert nicht viele Worte, doch die, die er verwendet, sind so schön und vollkommen, dass ich es nur ungern beiseite legte. Zudem war es äußerst spannend, Stück für Stück zu entlarven, wer, wann, wo und wie lebt.

DIE GESCHICHTEN MACHEN TOTE NICHT WIEDER LEBENDIG, ABER SIE LASSEN IHRE LIEBE UNSTERBLICH WERDEN. (SEITE 307)

Vollends überzeugt war ich, als neben der märchenhaften Liebesgeschichte die historische Ebene an Bedeutung gewann. Wir streifen den zweiten Weltkrieg, die Judenverfolgung, den Widerstand – und dies alles auf vergleichsweise wenigen Seiten, ohne an Zauber einzubüßen. Die Kombination aus historischen Fakten und Märchengeschichte ist äußerst gelungen und ziemlich einzigartig.

Fazit

„Die wundersamen Koffer des Monsieur Perle“ von Timothée de Fombelle hat eine Märchengeschichte geschrieben, die mich überraschte und faszinierte. Denn die Fäden der Geschichte laufen nach und nach zusammen und so offenbart sich die gesamte Tragweite der Geschichte im Grunde erst auf den letzten Seiten. Bis dahin trägt einen die wunderschöne, poetische Sprache durch das Geschehen. In meinen Augen eines der bemerkenswertesten Bücher des Jahres und absolut empfehlenswert!

Bewertung vom 17.11.2017
Die Prüfung / Nevernight Bd.1
Kristoff, Jay

Die Prüfung / Nevernight Bd.1


ausgezeichnet

Die Geschichte ist klassisch aufgebaut. Mia erlebt Schreckliches in ihrer Kindheit, sie verliert Mutter und Vater und findet beim Antiquitätenhändler Mercurio ein neues Zuhause. Dieser bildet sie für eine Zukunft im Assassinenorden die „Rote Kirche“ aus, damit sie sich ihren sehnlichsten Wunsch erfüllen kann, nämlich ihre Familie zu rächen und die Schuldigen am Tod ihres Vaters zu töten. Sie begibt sich auf die Reise, begegnet Herausforderungen und Gefahren, knüpft Freundschaften und muss am Ende eine Aufnahmeprüfung ablegen. Ich liebe Heldengeschichten dieser Art, ich fiebere mit, ich leide mit und freue mich am Ende mit den Protagonisten über errungene Siege.

Erzählt wird „Nevernight“ von einem Erzähler, der nicht nur Situationen, Gespräche und Emotionen schildert, sondern der sich selbst häufig mit seiner Meinung einschaltet. Dies geschieht in Form von Fußnoten, was ich an sich sehr spannend finde, allerdings brachte mich dies hier immer wieder extrem aus dem Lesefluss. Nach einigen Seiten überflog ich sie nur noch, nach dem ersten Drittel las ich sie gar nicht mehr. Das ist ganz sicher Geschmackssache, mich störte es. Ebenfalls Geschmackssache sind der Schreibstil und der Humor. Letzterer gefiel mir grundsätzlich gut (der Wortwitz, der Sarkasmus!), doch er stellte sich mir zu sehr in den Vordergrund. Dadurch bekam ich das Gefühl, der Erzähler wolle sich und seine Charaktere darstellen und allzu oft lag mir ein genervtes „Ich habe es verstanden, ihr seid alle unglaublich witzig“ auf der Zunge.

IT’S QUITE A THING, TO WATCH A PERSON SLIP FROM THE POTENTIAL OF LIFE INTO THE FINALITY OF DEATH. IT’S ANOTHER THING ENTIRELY TO BE THE ONE WHO PUSHED. (SEITE 21)

Einen Kontrast zu Wortspiel und Co. bilden die Kampfszenen, die es in „Nevernight“ zur Genüge gibt. Blutig, brutal, erbarmungslos, direkt und dreckig. Ich bin nicht die härteste im Nehmen und mir wurde es zu unangenehm. Ich bin folglich nicht bad ass genug, um Kämpfe dieser Art gut oder spannend zu finden. Vielleicht liegt es auch daran, dass der Ausgleich fehlte. Zwar knüpft Mia Kontakte, Freundschaften entstehen, sogar an Liebe wird flüchtig gedacht, doch diese Entwicklungen werden wenig emotional beschrieben. Ähnlich dem Mangel an Emotionen bleiben die weiteren Charaktere eher Statisten, als Menschen mit einer Vergangenheit, mit Gefühlen und Gedanken. Insgesamt ist die Welt im Assassinenorden keine Welt, in der Freundschaft und Liebe unbeeinträchtigt existieren können. Logisch. Aber nichts für mich.

IRON OR GLASS? THEY’D ASKED. MIA CLENCHED HER JAW. SHOOK HER HEAD. SHE WAS NEITHER. SHE WAS STEEL. (SEITE 207)

Positiv ist aber die Welt, die sich Jay Kristoff erdacht hat. Angelehnt an das alte Rom, erlebt der Leser eine Gesellschaft, die beachtliche politische Probleme hat. Die Entstehung der Stadt Godsgrave, die Götter, die Sonnen und magische Kräfte machten „Nevernight“ trotz aller Kritik noch zu einer angenehmen und auch spannenden Lektüre. Es war faszinierend herauszufinden, woran die Menschen glauben, was sie erlebten, was ihre Ziele sind, und ich bin mir sicher, dass in den kommenden Bänden noch ganz viel ans Licht gebracht wird. Band 2 ist auf Englisch bereits erschienen, ich werde jedoch nicht weiterlesen.

Fazit

„Nevernight“ von Jay Kristoff trifft sicherlich den Nerv vieler Leser, vor allem der Leser, die Werke von Sarah J. Maas sowie „Illuminae“ mochten. Meinen Nerv hat Kristoff leider nicht getroffen, dazu fehlten mir unter anderem die Tiefe bei den Charakteren und ein Ausgleich zu den oft sehr brutalen Kampfszenen. Zwar sind Gefühle im Spiel, diese werden jedoch nur am Rande gestrichen. Der Weltentwurf gefiel mir nichtsdestotrotz sehr gut und ich fand es aufregend, in diese Welt einzutauschen. Für ein Weiterlesen reicht dies jedoch nicht.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.11.2017
Die Lügnerin
Gundar-Goshen, Ayelet

Die Lügnerin


ausgezeichnet

Auf „Lügnerin“ von Ayelet Gundar-Goshen aus dem Kein & Aber Verlag wurde ich beim durchforsten der Verlagsvorschauen aufmerksam. Die mit dem Sapir-Preis für das beste Debüt Israels ausgezeichnete Autorin studierte Psychologie und so ist es schon fast natürlich, dass sie ihre Charaktere bis in ihr Innerstes durchleuchtet. Was geschieht, wenn ein Missverständnis zu einer Lüge heranwächst, die das Leben einer jungen Frau von Grund auf verändert? Was geht in den Menschen vor, die von der Lüge wissen? Was geschieht mit den Menschen, die unter der Lüge zu leiden haben? Ayelet Gundar-Goshen geht diesen Fragen auf den Grund.

Nuphar ist eine junge Frau, die völlig unerwartet aus ihrem bisherigen Leben herausgerissen wird. War sie eben noch unscheinbar und zurückhaltend, entdeckt sie nach einem Ereignis eine ihr bis dato unbekannte Macht. Die Macht der Lüge. Sie wird auf einmal wahrgenommen, Menschen bewundern sie, beschenken sie, lieben sie. Vor allem einer liebt sie. Doch was sehen sie in ihr? Nuphar selbst, oder nur das Lügengespinst? Und welche langfristigen Folgen hat ihre unbedachte Lüge? Angesichts dieser Fragen wird das, was anfangs noch seinen spielerischen Reiz hatte, eine immer schwerere Last für das Mädchen und alle, die mit in die Geschichte verstrickt sind.

Was so brisant klingt, wird von Ayelet Gundar-Goshen aus einer allwissenden und distanzierten Erzählperspektive beschrieben. „Lügnerin“ liest sich daher trotz aller Emotionalität, die ein Thema wie dieses mit sich bringt, eher wie eine sachliche Beobachtung – es ist eine feine Studie menschlichen Handelns und Denkens. Die Autorin geht den grundlegenden Fragen nach: Wer hat Recht, wer hat Unrecht? Wessen Handeln ist vertretbar, welches nicht? Was rechtfertigt eine Lüge? Letztendlich bleibt alles relativ und der Leser ist gefordert, sein Urteil zu fällen.

WAREN DIE UNENTDECKTEN LÜGEN NICHT ZAHLREICHER ALS DIE ENTDECKTEN? KLEINE, HARMLOSE GESCHICHTEN, DIE SICH IN DEN ALLTAG WEBTEN, BIS NIEMAND MEHR ZWISCHEN WAHR UND ERFUNDEN UNTERSCHEIDEN KONNTE. DIE ZEIT KNETETE ALLES ZU EINEM EINZIGEN TEIG ZUSAMMEN. GEWESEN ODER NICHT GEWESEN – WAS ÄNDERTE DAS SCHON GROSS? (SEITE 145)

Was mich sehr positiv überrascht hat ist, dass sich Gundar-Goshen nicht nur auf den einen Erzählstrang und diese eine Lüge beschränkt, sondern weitere Charaktere und Lügen ins Spiel bringt. So werden alle Facetten des Lügens betrachtet. Es wird herausgearbeitet, was Menschen zum lügen bringt und was sie sich davon erhoffen. Vor allem aber wird erzählt, warum es so schwer ist, eine Lüge zuzugeben. Das können wir alle nachvollziehen, oder? Sei es auch nur eine Notlüge, es ist schwer, mit der Wahrheit herauszurücken. Hinzu kommen kleine Aha-Momente, wenn sich die Lebenswege dieser Charaktere miteinander kreuzen und sich auch wieder verlieren. Wunderbar vielschichtig.

NACH EINEM FEINEN DESSERT MÖCHTE MAN NICHTS WEITERES KOSTEN, DAMIT DIE BESONDERE SÜSSE ERHALTEN BLEIBT. UND NACH KÜSSEN GIBT MAN EINSILBIGE ANTWORTEN, DAMIT SICH AUF DEN LIPPEN NICHT VERLIERT, WAS DER MUND NOCH GENIESSEN MÖCHTE. (SEITE 101)

Was mich am allermeisten beeindruckte, war die Sprache. Ayelet Gundar-Goshen verwendet enorm ausdrucksstarke Metaphern, die bemerkenswert gut zum sachlichen Ton passen. So werden Gedanken und Gefühle treffend ausgedrückt und werden für den Leser nachvollziehbar und erlebbar. Hier ist das Einfühlungsvermögen der Psychologin zu erkennen, die zielstrebig alles ans Licht bringt, was Menschen zum Lügen und auch generell im Leben bewegt. Das Lesen wird dadurch zu einem wahren Vergnügen.

Fazit

Ayelet Gundar-Goshen schreibt mit „Lügnerin“ eine präzise Beobachtung menschlichen Handelns. Was bewegt eine unscheinbare junge Frau dazu, eine ungeheure Lüge zu verbreiten? Die Autorin geht dieser Frage nach und beleuchtet die innersten und geheimsten Gefühle und Gedanken ihrer Charaktere und fasst sie in äußerst ausdrucksstarke Worte. Ich bin fasziniert von diesem Buch.

Bewertung vom 16.10.2017
Die Schlange von Essex
Perry, Sarah

Die Schlange von Essex


ausgezeichnet

„Die Schlange von Essex“ von Sarah Perry ist auf die vielfältigste Weise ein faszinierendes Buch, das den britischen Buchpreis 2017 für den besten Roman vollkommen zu Recht gewonnen hat. Die Autorin spielt darin die unterschiedlichsten Themen gegeneinander aus: Medizin und Wissenschaft gegen Religion und den Glauben, Armut gegen Wohlstand, das Leben in der Stadt gegen das Leben auf dem Land, Wahn gegen Realität, Liebe gegen Vernunft. Alles zusammen ergibt ein äußerst eingehendes und nuanciertes Bild von London und Essex im Jahre 1893, mitten im sogenannten Viktorianischen Zeitalter.

Dass solch eine Vielzahl an Themen miteinander in Einklang gebracht werden kann, liegt vor allem an den Charakteren, die jeder einen oder mehrere der Standpunkte, Werte oder Weltanschauungen vertreten. Durch die ständigen Reibungspunkte der Charaktere entfaltet sich so vor dem Leser ein großes Spektrum an Informationen zur damaligen Zeit.

Doch worum geht es eigentlich in „Die Schlange von Essex“? Nun, hauptsächlich verfolgen wir Cora Seaborne auf ihrem Weg von einer wenig selbstbestimmten, verheirateten Londonerin hin zu einer im Denken und Handeln freien Witwe. Sie schließt Freundschaft mit dem Dorfpfarrer William Ransome und seiner Familie und fortan diskutieren sie über Wissenschaft, Darwin, Religion und die Kraft des Glaubens. Sie sind selten einer Meinung, können aber eine gegenseitige Anziehungskraft nicht leugnen. Zusätzlich versetzt die ominöse Schlange von Essex die Bewohner des Ortes in Angst und Schrecken. Unglücksfälle häufen sich, Menschen verschwinden und Tiere sterben. Während Cora an ein lebendes Fossil glaubt, das wissenschaftlich erforscht werden sollte, glaubt Will gar nicht an die Erscheinung, muss sich aber gegen den zunehmenden Aberglauben der Dorfgemeinschaft einsetzen und versuchen, seine Gemeinde wieder auf den rechten Weg zu bringen.

Als wäre das nicht schon genug, kommt die Liebe ins Spiel. Unerwiderte Liebe, hoffnungslose Liebe, verbotene Liebe und geheime Liebe. In dieser Hinsicht steht Sarah Perry Jane Austen in kaum etwas nach, finde ich. Sie schreibt ebenso feinfühlig und dabei treffend von den Irrungen und Wirrungen des Herzens. Es steckt eine Ruhe in den Zeilen und in der gesamten Entwicklung der Geschichte, die einfach nur gut tut. Das bedeutet aber nicht, dass die Geschichte langatmig ist. Im Gegenteil, es gab so vieles „unterwegs“ zu entdecken, während sich die Spannung langsam und unterschwellig aufbaute.

Besonders gelingt es der Autorin die Leser zu fesseln, indem sie an einzelnen Stellen in der Gegenwart statt in der Vergangenheit erzählt. In kurzen Sätzen beschreibt sie darin, was die Charaktere tun. Das sind jedoch meistenteils keine großen Taten, sondern eher die kleinen, unwichtigen Handlungen, die der Alltag mit sich bringt. Durch die veränderte Zeitform nimmt man als Leser jedoch viel schärfer und unmittelbarer wahr, was die Menschen beschäftigt und bewegt. Gleichzeitig wirken der Wechsel ins Präsens und der ungewohnte Schreibstils seltsam distanzierend und befremdlich – eine Mischung, die mir sehr gefiel.

Fazit

„Die Schlange von Essex“ von Sarah Perry ist ein sehr vielseitiges Buch, das einen Blick in das Viktorianische Zeitalter erlaubt und gleichzeitig Themen wie Liebe, Glaube und Wissenschaft anspricht. Wer eine reine Liebesgeschichte erwartet, sollte eventuell lieber zu einem anderen Buch greifen, denn es wird eher weniger offenkundig darüber gesprochen. „Die Schlange von Essex“ erinnert in dieser Hinsicht an Werke von Jane Austen. Doch letztendlich sollte man bei „Die Schlange von Essex“ auch nicht auf einzelne Aspekte Wert legen, man muss sie in ihrer Gesamtheit erleben und sich darauf einlassen. Eine absolute Empfehlung für Leser, die Geduld mitbringen und sich gerne durch eine faszinierende Zeit treiben lassen möchten.

Bewertung vom 30.09.2017
Die Hexenholzkrone 1 / Der letzte König von Osten Ard Bd.1
Williams, Tad

Die Hexenholzkrone 1 / Der letzte König von Osten Ard Bd.1


ausgezeichnet

Mit seiner Osten Ard-Reihe, in die er seine Leser erstmals bereits vor 30 Jahren entführte, hat Williams ein episches Meisterwerk geschaffen. Die Geschichte vom Reich Osten Ard ist unglaublich facettenreich. Sie ist humorvoll, rau, spannend, magisch und gleichzeitig sehr realistisch – sie ist einfach ein Feuerwerk von allem. Tad Williams hat mit einer unglaublichen Hingabe an dieser Reihe gearbeitet, damals wie auch heute, er lebt seine Welt, ebenso wie seine vielen Freunde und Kollegen, die ihn in seiner Arbeit unterstützen. Es gibt eigene Sprachen für jedes Volk, Landkarten, Brauchtum und Historie sind perfekt konstruiert – einfach alles ist bis in das kleinste Details ausgearbeitet und durchdacht. Daher ist es nicht verwunderlich, dass seine Leser diese Bücher mit einer, wenn überhaupt möglich, noch größeren Hingabe lesen.

Doch nun zum Buch selbst. Wer Osten Ard nicht kennt, kann in diese neue Reihe absolut problemlos einsteigen. Es gibt zwar hier und da Momente, in denen Charaktere in Erinnerungen schwelgen, diese versteht man jedoch auch ohne Hintergrundwissen. Ich selbst hatte die erste Reihe vor 20 Jahren gelesen und konnte mich auch nicht mehr an alles erinnern. Alle, die mit Osten Ard vertraut sind, erwartet ein Wiedersehen mit einigen lieb gewonnenen Charakteren. Allen voran Königin Miriamel und König Simon, die seit 30 Jahren über das Land regieren, außerdem begegnen wir Eolair, Tiamak, Isgrimnur und Binabik.

In Osten Ard herrscht Frieden seit einem letzten, erbitterten Kampf gegen die Nornen (hierüber wird in „Das Herz der verlorenen Dinge„, einer Art Zwischenband, erzählt). Allerdings brodelt es im Untergrund, denn die Nornen, die sich in einem Berg vor den Menschen verschanzt haben, sinnen auf Rache. Viyeki und seine Tochter Nezeru sind zwei von ihnen, die, verwickelt in persönliche Schwierigkeiten, den Willen der Nornenkönigin ausführen. Im Gegensatz zur ersten Reihe, spielen die Nornen in dieser Fortsetzung eine größere Rolle, was ich persönlich sehr spannend finde, da man so auch die Gegenseite kennen- und in Teilen verstehen lernt. So bewegen sich zwei Pole aufeinander und der Konflikt spitzt sich unaufhaltsam zu. Für Spannung ist also mehr als genug gesorgt.

Frischen Wind in die Geschichte bringt Morgan, der Enkelsohn von Simon und Miriamel, dessen Vater Johan Josua bei einem Fieber verstarb. Er ist aufmüpfig und gelangweilt von den steifen Veranstaltungen, langen Reden und ganz allgemein von sämtlicher Politik. Lieber verbringt er seine Zeit mit seinen Freunden in Schenken und trinkt bis zum Umfallen. Doch in ihm steckt mehr, als man auf den ersten Blick vermutet, denn der Tod seines Vaters hat ihn verletzt. In welche Richtung er sich entwickelt, bleibt abzuwarten, doch ich bin mir sicher, dass ihn einige Abenteuer erwarten.

Abseits der inhaltlichen Dramatik zeigt Tad Williams in „Die Hexenholzkrone 1“ wieder seine ganz große Stärke, nämlich die, plastische und sehr lebensnahe Charaktere zu erschaffen. Jeder steht für sich, trägt seine eigene Last aus vergangener Zeit mit sich, die ihn prägt, hart oder wahlweise auch empfindsam macht. Eolair, Tiamak, Morgan und alle anderen sind nicht nur einfach DA, für mich fühlt es sich beim Lesen fast so an, als würden sie mir gegenüber sitzen. Das schaffen nur wenige Autoren in diesem Ausmaß.

Fazit

Tad Williams hat mit „Die Hexenholzkrone 1“ eine fulminante, großartige, überragende High Fantasy Geschichte geschrieben, die an seine erste Osten Ard-Reihe anknüpft. Es ist aber auch für Leser ohne Vorkenntnisse geeignet. Ich bin begeistert und verliebt in diesen neuen Reihen-Auftakt, der alles hat, was richtig gute High Fantasy braucht – und mehr. Tad Williams ist und bleibt hiermit für mich ein absoluter Ausnahmeautor, der es bewerkstelligt, über mehr als 700 Seiten und mehrere Bände hinweg an seine Geschichte zu fesseln. Ich kann es nicht erwarten, „Die Hexenholzkrone 2“ zu lesen, die am 11. November 2017 erscheint.

Bewertung vom 17.09.2017
Palast der Finsternis
Bachmann, Stefan

Palast der Finsternis


sehr gut

Auf „Palast der Finsternis“ von Stefan Bachmann wurde ich schon beim Anblick der Leseprobe neugierig. Das Cover sieht so herrlich düster-unheimlich aus und sowohl Titel als auch Klappentext klangen mindestens ebenso verheißungsvoll. Ich liebe gute Gruselgeschichten – auch wenn ich sie nicht abends vor dem Einschlafen lesen kann. Doch tagsüber sorgen sie für genau die richtige Dosis Gruselfaktor. Am liebsten sind mir klassische und gradlinige Storys, mit Spukhäusern und seltsamen Erscheinungen. Barbara Erskine ist eine Autorin, deren Romane teils diese Richtung einschlagen. In „Palast der Finsternis“ schreibt Bachmann nun über einen unterirdischen Palast und Räume, in denen sich Abgründe auftun – ich fühlte mich extrem angesprochen.

Tatsächlich nimmt die Geschichte auch einen entsprechend von mir erwarteten Verlauf. Fünf Jugendliche gelangen in besagtes Schloss und erleben so einige finstere Dinge, die ich mir nicht zu sehr im Detail vorstellen mochte. Der Autor beschränkt sich jedoch nicht nur auf sonderbare Begegnungen und unerklärliche Vorkommnisse, sondern baut zusätzlich noch eine Art Abenteuer-Parcours mit ein, so dass für ausreichend Action gesorgt ist. Schlussendlich ist „Palast der Finsternis“ meinem Empfinden nach eine Mischung aus „Indiana Jones“ und „Die Fünf Freunde“ oder wahlweise „TKKG“. Einige Elemente erinnerten mich auch sehr stark an den Film „Cube“ aus dem Jahr 1997, in dem eine Gruppe Menschen in einem aus Würfeln bestehenden Gebäude erwachen und einen Weg nach draußen suchen. Dabei begegnen sie in jedem Raum neuen tödlichen Fallen und Gefahren.

WIR SIND IRGENDWIE LÄCHERLICH. WIE EINE GRUPPE ÜBEREIFRIGER SÖLDNER IN EINEM BILLIGEN SCIENCE-FICTION-FILM, DIE SICH MIT HAUSHALTSGEGENSTÄNDEN BEWAFFNEN. (SEITE 131)

Diese Assoziationen entzogen dem Roman leider ein wenig seine Wirkkraft. Nichtsdestotrotz gibt es vieles, was diese Geschichte einzigartig macht. Zum einen wären das die Rückblenden in die Vergangenheit, durch die der Leser mehr über den Ursprung des Palastes erfährt. Hier erzählt Aurélie, die Tochter des Adligen, der den Bau des Palastes beauftragt. Sie ist ein sehr sympathischer Charakter, ein liebenswerter und mutiger Sturkopf. Zudem ist diese zweite Zeitebene unerlässlich, um die gesamte Tragweite des Geschehens zu verstehen.

Aufgelöst werden die Zusammenhänge erst ganz am Ende der Geschichte. Bis dahin wird der Leser getrieben von Ahnungen, doch letztendlich war ich doch sehr überrascht. Stefan Bachmann hat sich etwas einfallen lassen! Einziger kleiner Wermutstropfen: Gegen Ende wurde mir alles doch ein wenig zu verrückt und wirr und blutig. Die Geschichte beginnt wunderbar subtil mysteriös, das verliert sich etwas im weiteren Verlauf.

Gut gefiel mir wiederum, dass zwischen Mystery und Horror noch Raum für Emotionen bleibt. Diese gefühlvollen Momente hat Stefan Bachmann sehr harmonisch in das große Ganze eingebunden. So hat mich beispielsweise Aurélie’s Schicksal sehr berührt und beinahe zu Tränen gerührt. Angenehm entwickelte sich auch Anouk, die mir anfangs durch die Bank weg unsympathisch war. Sie zeigt sich im Palast von einer anderen Seite, so dass ich Verständnis für sie entwickeln konnte. Am besten war aber die Dynamik der Jugendlichen untereinander, die sich in dieser Extremsituation wiederfinden und irgendwie damit zurechtkommen müssen.

Fazit

Stefan Bachmann bietet dem Leser in „Palast der Finsternis“ eine spannende Geschichte voller Mystery und Horror. Die Charaktere sind anfangs etwas sperrig, bringen letztendlich jedoch sehr viel Emotionalität mit rein. Leider waren mir einige Ideen nicht ganz neu, dennoch funktioniert der Roman gut, unterhält und bietet eine kurzweilige Zerstreuung. Eine lange nachwirkende Geschichte ist es für mich nicht – doch muss es das immer sein?