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Volker M.

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Insgesamt 374 Bewertungen
Bewertung vom 27.10.2023
Mit Louis Couperus durch Japan
Couperus, Louis

Mit Louis Couperus durch Japan


sehr gut

Im Jahr 1921 reiste der niederländische Schriftsteller Louis Couperus nach China und Japan, wobei seine Reisebeschreibung erst posthum 1925 auf Niederländisch erschien, 1929 folgte die deutsche Übersetzung. Die CD bringt Ausschnitte der wichtigsten Reiseetappen zwischen dem Landehafen Kobe und Nikko in Zentral-Honshu, mit besonderem Fokus auf der alten Kaiserstadt Kyoto, wo sich Couperus wohl die längste Zeit aufhielt.

Couperus ist ein aufmerksamer Beobachter, der die Gegensätze zwischen dem atemberaubenden Tempo der staatlichen Modernisierung und der bitteren Armut der einfachen Bevölkerung deutlich wahrnimmt. Unmittelbar nach dem Sturz der Tokugawa im Jahr 1868 begann der Meiji Kaiser mit dem Umbau der Gesellschaft und assimilierte westliche Technologie rasant. Bereits 1905 war die Armee so stark, dass sie Russland im Seekrieg besiegte und Couperus reiste an einem einzigen Tag mit der Bahn von Kobe bis Tokyo. Die Bahn ist übrigens bis heute das wichtigste Fortbewegungsmittel geblieben.
Der Autor fremdelt dennoch mit den Japanern. Es gelingt ihm nicht, hinter die Maske zu schauen, die die Menschen entsprechend der ihnen zugewiesenen Rolle tragen, was bei ihm ein Unbehagen auslöste, das er deutlich benennt. Widersprüche begegnen ihm überall: Ob das die peinlich sauberen Häuser sind, vor denen sich der Müll auf den Straßen türmt, oder die hochgradige Verfeinerung des Kunsthandwerks bei gleichzeitig äußerster Verwahrlosung der normalen Bevölkerung. Allerdings verletzt Couperus auch gedankenlos das Empfinden der Japaner, wenn es seinen Interessen dient. Er besteht z. B. auf einem Besuch im Bordell, auch wenn es seinem Reiseleiter erkennbar missfällt, ja er genießt geradezu den Kampf, bis er sich letztlich durchsetzt. Die Szene zeigt aber auch, dass sich Couperus in vielen Details über das, was er sieht, irrt: Den Unterschied zwischen Bordell und Okaya (der „Firma“, in der Geishas arbeiten) hat er bis zum Schluss nicht begriffen und auch einige seiner geschichtlichen Ausführungen sind stark verkürzt oder sogar inhaltlich grundfalsch. Hier muss man allerdings berücksichtigen, dass der Text nicht von Couperus, sondern von seinen Nachfahren veröffentlicht wurde, die sich im wesentlichen auf seine groben Tagebuchaufzeichnungen stützten.

Besonders interessant aus heutiger Sicht ist die Beschreibung Tokyos vor dem großen Erdbeben von 1923. Angesichts von Couperus Schilderung erscheint die Katastrophe fast wie die ideale Gelegenheit, die völlig heruntergekommene Stadt von Grund auf zu erneuern, denn die Zustände sind wirklich prekär: Einzelne Steingebäude (meistens Banken) mit europäisierter Fassade stehen in einem Slum heruntergekommener Holzhäuser ohne jede Infrastruktur. Echte Begeisterung für Japan entwickelt Couperus erst am Ende seiner Reise, in Nikko, wo er die atmosphärische Natur bewundert, weniger jedoch die prunkvollen Grabtempel und -schreine der Tokugawa, die damals noch nicht so hochglanzrestauriert waren, wie sie es heute sind.

Couperus‘ Bericht gehört zur frühen touristischen Reiseliteratur, die sich durch die unmittelbare und ungeschönte Schilderung des Gesehenen auszeichnet. Auch wenn Couperus, der fast sein ganzes Leben auf Reisen verbrachte, nie wirklich warm mit Japan wurde, bekommt der Hörer einen authentischen Einblick in die Zustände im Land vor 100 Jahren.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.10.2023
Die weiße Iris / Asterix Bd.40
Fabcaro

Die weiße Iris / Asterix Bd.40


sehr gut

Caesar schickt seinen Medicus Visusversus in die Provinz Aremorica, wo er eine neue Strategie testen soll, um endlich das unbeugsame gallische Dorf zu unterwerfen. Mit überbordender Freundlichkeit, Toleranz und einer ansteckenden positiven Grundeinstellung bringt Visusversus tatsächlich das soziale Gefüge im Dorf ins Wanken: Wo kommen wir denn da hin, wenn Verleihnix plötzlich frische Fische verkauft? Und Troubadix ungestraft seine größten Hits schmettern darf? Aber Visusversus hat einen noch viel raffinierteren Plan, der ihm Ruhm und Ehre bringen soll. Bevor die Wildschweine im Karnutumwald endgültig zu Streicheltieren werden, ziehen Asterix und Obelix die Reißleine. Hoffentlich noch rechtzeitig.

Nach dem Abenteuer im Land der Sarmaten kehrt der 40. Asterix Band wieder zurück ins Dorf und verarbeitet wie üblich satirisch gesellschaftliche Fehlentwicklungen. Diesmal werden Schönwettergurus durch den Kakao gezogen, mit deren Schönwettersprüchen sich jeder selbst optimieren darf und negative Gefühle einfach wegatmet. Ich bin ein Blümchen, umgeben von Bienchen, lass mich dein Blütenpollen sein! Wer da nicht seinen Namen tanzt, ist selber Schuld. Die Geschichte lebt vor allem vom Sprachwitz, der in der Übersetzung aber manchmal Probleme macht, wenn französische Redewendungen ins Bild übersetzt werden, es bestimmte Doppeldeutigkeiten im Deutschen aber nicht gibt. Auf Deutsch heißt „sanglier rôti“ z. B. einfach gebratenes Wildschwein, im Französischen meint „rôti“ aber vor allem (am Spieß) „gedreht“. Obelix lässt im Bild das Wildschwein in der Luft auf dem Finger drehen und die deutsche Übersetzung macht aus seinem Originaltext „Das nenne ich ein Wildschwein, das sich tummelt!“. Schwach. Leider gibt es eine ganze Reihe solcher nicht übersetzbarer Bild- und schlecht adaptierter Sprachwitze, wodurch man sich öfter fragt, warum ein Dialog so seltsam flau ausfällt und erst nach etwas Nachdenken ahnt man, woran es liegt. René Goscinny hatte ein unglaublich gutes Gespür für Situations- und Wortkomik, die international uneingeschränkt funktioniert. Fabcaro, der hier zum ersten Mal textet, hat daran offenbar gar nicht gedacht. Denn ansonsten ist die Geschichte unterhaltsam, gut ausgedacht und durch den Bezug auf blauäugige Bullerbü-Phantasten auch sehr aktuell. Aber selbst hier gibt es ein paar Zeitbezüge, die der zeitlos lustige Goscinny sicher nicht verwendet hätte: Wer wird sich in 30 Jahren noch daran erinnern, dass sich Weltverbesserer derzeit gerne auf die Straße kleben? Der Witz ist in der Geschichte echt gut platziert, aber er ist eben leider nicht zeitlos.

(Dieser Comic wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

5 von 7 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.10.2023
MORGAN - The Collector

MORGAN - The Collector


ausgezeichnet

John Pierpont Morgan war die bedeutendste Sammlerpersönlichkeit der amerikanischen Geschichte. Ihm gelang es in wenigen Jahrzehnten eine Kollektion zusammenzutragen, die an Umfang und Qualität unerreicht blieb. Der größte Teil wurde nach 1913 von John Pierponts Sohn an öffentliche Museen gestiftet, von denen nicht wenige ihre spätere Weltgeltung aus diesem Grundstock schöpften.

„Morgan – The Collector“ ist eine Hommage an den rastlosen Sammler, aber auch an Linda Roth, die seit 40 Jahren die Morgan-Sammlung am Wadsworth Atheneum Museum of Art kuratiert und sich wohl wie kaum eine andere lebende Person in der Sammlungsgeschichte und dem unermesslichen Bestand auskennt.
Der Band verknüpft John Pierpont Morgans Biografie eng mit seiner Sammlertätigkeit, die eigentlich erst mit dem Tod seines Vaters im Jahr 1890 beginnt. Davor sammelte er vereinzelt Bücher, die auch der erste große Bestand werden sollten. Nach 1890 kaufte Morgan mit Hilfe von Agenten weltweit kostbare Handschriften auf, wobei er sich teilweise harte Gefechte mit anderen Interessenten lieferte. Weitere Schwerpunkte seiner Sammlung werden in der Folge europäisches Kunsthandwerk, chinesisches Porzellan und vor allem „biblische Antiquitäten“. Alles, was einen direkten oder indirekten Bezug zur biblischen Welt hatte, interessierte den religiösen Morgan besonders und so verbrachte er Jahre seines Lebens auf Reisen im Orient. Aber selbst in der ägyptischen Wüste stand er per Telegraph mit seinen Geschäften in New York in ständiger Verbindung.

Die Einzelbeiträge stammen von den ausgewiesenen Experten des jeweiligen Sammelgebietes, meistens den (Ex-)Kuratoren selbst. Sie zeichnen Morgan als einen geradezu manischen Sammler, der nur ein Kriterium für den Ankauf von Einzelstücken oder auch großen Konvoluten kannte: Qualität. Er bewies große Menschenkenntnis bei der Auswahl seiner Berater, die nur selten einmal einen Missgriff taten und Morgan wurde dadurch im Lauf der Zeit selber zum Experten. Später leitete er bis zu seinem Tod das Metropolitan Museum in New York.

Neben den genannten Sammlungsschwerpunkten und ihren Spitzenobjekten steht auch J. P. Morgans Biografie im Fokus der Monografie. Seine prunkvollen Anwesen in London und New York, die heute nicht mehr existieren, sind Thema von Einzelbeiträgen mit historischen Fotos und Plänen, die teilweise noch nie gezeigt wurden. Überhaupt ist die Ausstattung des Bandes der herausragenden Sammlung absolut würdig. Die Fotos sind technisch brillant und zeigen oft Ausschnittsvergrößerungen mit Details, die man am Objekt selber kaum je sehen könnte. Gerade hier wird das untrügliche Gespür J. P. Morgans für höchste Qualität sichtbar.

Das eingängige und anschauliche Englisch, in dem die Autoren schreiben, lässt immer auch die tiefe Verehrung erkennen, die sie vor J. P. Morgans Vermächtnis heute noch empfinden. Sie alle sind in irgendeiner Weise mit seinem Erbe verknüpft und man spürt, dass es ihr Lebenszweck war und ist, dieses Erbe zukünftigen Generationen zu erhalten. Dass es immer noch Neues zu entdecken gibt, zeigt auch dieser Band, der über eine summarische Bestandsaufnahme weit hinaus geht und selber wieder neue, bisher unpublizierte Erkenntnisse gewinnt.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

Bewertung vom 23.10.2023
Burt Glinn

Burt Glinn


ausgezeichnet

Burt Glinn war ein ungewöhnlicher Magnum-Fotograf. Die meisten Mitglieder verfolgten und verfolgen eine mehr oder weniger künstlerische Karriere, was durch das Entstehen eines Kunstmarktes für Fotografie seit einigen Jahren auch lukrativ geworden ist. Burt Glinn hat fast von Anbeginn kommerzielle Fotografie betrieben und er war enorm erfolgreich darin. Dabei hat ihm diese Arbeit viel weniger Fesseln angelegt, als man meinen könnte, denn mit jedem Auftrag verwirklichte er auch seinen eigenen Stil.

Die Retrospektive fokussiert natürlich nicht auf die Hochglanzfotografie für Jahresberichte großer Banken, sondern auf Burt Glinn als Fotoreporter, der mit untrüglichem Auge den perfekten Moment einfing. Er hatte das große Glück, einige weltgeschichtliche Momente persönlich zu erleben, so die Revolution auf Kuba, während der er Castros Marsch auf Havanna begleitete, oder auch den Bau der Berliner Mauer in 1961. Einige seiner Fotos haben sich ins kollektive Gedächtnis gegraben, was auch die Aufgabe guter Reportagefotografie ist, und er war ein sehr sensibler Dokumentar seiner Zeit. Mit ausgeprägtem Gespür für den richtigen Kleidungsstil bewegte er sich sicher in der besseren Gesellschaft, war sich jedoch auch nicht zu schade, durch den Dschungel Neuguineas zu robben. Er hat die Welt gesehen und sichtbar gemacht.

Die perfekt reprografierten Schwarz-Weiß-Fotos erfassen eine Zeitspanne von 1949-1979, mit starkem Fokus auf den Fünfziger- und Sechzigerjahren, die Glinn selber als seine Glanzzeit bezeichnete. Darunter sind Serien, wie die schon genannte Kubareise, aber auch Einzelfotos, die eine besondere Ausstrahlung besitzen. Glinn mag kein „künstlerischer“ Fotograf im engeren Sinn gewesen sein, aber seine Fotos erfüllen alle Kriterien von Kunst. Sie sprechen aus dem Augenblick, sie erzeugen beim Betrachter Gefühle und wecken Erinnerungen. Nicht selten sind es Erinnerungen, die gerade von diesen Bildern geprägt wurden.

Zu Wort kommen Familienmitglieder, aber auch Wegbegleiter. Allen Berichten gemeinsam ist, dass sie Burt Glinn als ungeheuer großzügig, unterhaltsam und empathisch beschreiben. Nun sollte man in einer Retrospektive keine Schmähungen erwarten, aber die Konsistenz lässt vermuten, dass viel Wahres in dieser Wertung liegt.

Gute Reportagefotos sind losgelöst von der Zeit, in der sie entstanden. Das gilt für Reporter-Ikonen wie Henri Cartier-Besson, aber genauso für Burt Glinn. Ohne ihn, und das lassen auch die biografischen Beiträge erahnen, wäre Magnum nicht das, was es heute ist.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

Bewertung vom 21.10.2023
The Colors of Life

The Colors of Life


ausgezeichnet

Unsere Vergangenheit ist schwarz-weiß. Die Fotoalben der Ur-Großeltern kannten keine Farbe und so bleiben uns die Abgebildeten in gewisser Weise fremd, selbst wenn wir sie noch persönlich kannten. Das Monochrome ist wie eine Barriere, die uns von der Vergangenheit trennt.

Es gibt zahlreiche, mehr oder weniger gelungene Versuche, alte Schwarz-Weiß-Fotos nachträglich zu kolorieren, aber ihnen haftet immer etwas Künstliches an. Abgebildet wird eine mögliche Realität, die aber letztlich der Phantasie des Bearbeiters entspringt. Dabei existieren durchaus frühe Farbfotografien, auch wenn das 1903 von den Gebrüdern Lumière erfundene Autochromverfahren kompliziert und teuer war. Es gibt sogar noch frühere Entwicklungen, aber die waren in keiner Weise praktikabel und haben sich nie durchgesetzt.

„The Colors of Life“ zeigt etwa 250 Farbfotografien zwischen 1902 und 1927, als mit Kodachrom ein massentaugliches Verfahren verfügbar wurde. Vor 1920 sind die Motive in der Regel inszeniert, da die Belichtungszeiten lang waren und sie orientieren sich stilistisch an der Malerei der Epoche, darunter Portraits, Stillleben, aber auch gestellte Straßenszenen. Im Lauf der Zeit werden die Motive dann freier und bekommen bewusst dokumentarische Qualitäten. Ein besonderer Fokus liegt in dieser Kategorie auf den Fotos von der Front des Ersten Weltkriegs und der Reisefotografie, von der sich ausgezeichnete Beispiele aus der arabischen Welt und Asien im Buch finden.

Erstaunlich ist die Schärfe fast aller Aufnahmen, die in dem großformatigen Band auch bei voller Seitengröße immer noch überzeugt. Zusammen mit der ungewohnten Farbigkeit spürt man ganz unmittelbar, wie die oben genannte Barriere abgebaut wird und die Personen im wahrsten Sinn „lebendig“ werden. Die nachträgliche Bildbearbeitung durch Stuart Humphreys, der sich unnötigerweise selbst auf dem Titel erwähnt, beschränkt sich auf leichte Farbkorrekturen, da vor allem die lichtempfindlichen Rottöne auf alten Fotos verblassen. Bei einigen wenigen Fotos ist die Korrektur auch weniger gut gelungen und es legt sich dadurch ein violetter Schleier über die Motive (z. B. S. 12, 23, 91 oder 115), aber denen stehen viele geradezu spektakulär realistische Beispiele gegenüber. Besonders das älteste Foto von 1902 ist von so großartiger Präsenz und technischer Qualität, dass man kaum glauben kann, dass es am Anfang der Entwicklung steht.

Unter den Portraitierten sind nicht wenige Persönlichkeiten der Zeitgeschichte und auch die Fotografen sind teilweise bedeutende Vertreter ihres Faches, wie z. B. Alfred Stieglitz, der zu den ersten Verwendern der neuen Autochrom-Technik zählte. Auch er beherrschte das Medium durch seine langjährige Erfahrung mit der Schwarz-Weiß-Fotografie von Anfang an perfekt.

„The Colors of Life“ stößt eine Türe auf, die uns normalerweise verschlossen bleibt und gibt der schwarz-weißen Vergangenheit Farbe und Leben zurück.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

Bewertung vom 20.10.2023
Federn

Federn


ausgezeichnet

Federn sind ein Erbe der Dinosaurier, das steht heute fest. Sicher dienten sie ursprünglich auch nicht dem Flug, sondern als Wärmeschutz, aber das teilweise verschwenderisch prächtige Gefieder unserer Vögel weist auf einen weiteren Punkt hin: Federn dienen auch der Kommunikation zwischen den Geschlechtern. Der sogenannte Geschlechtsdimorphismus ist gerade bei Vögeln sehr ausgeprägt, mit bunten, auffälligen Männchen und Weibchen in Tarnfarben.
Heidi und Hans-Jürgen Kochen haben für ihr Buch hunderte Vogelfedern fotografiert, besonders von tropischen Arten, aber es sind auch ein paar einheimische dabei. Vor schwarzem Hintergrund leuchten die Strukturen und Farben wie abstrakte Gemälde und man staunt über die Vielfalt, bei der es zwar viel Ähnliches, aber nichts Gleiches gibt. Die Autoren nutzen dabei sowohl Makro- wie Mikrofotografie, wodurch manchmal fast fraktale Muster erkennbar werden. Egal ob man hinein- oder herauszoomt, das Bildungsprinzip scheint immer gleich zu sein: Verzweigungen münden in Verzweigungen, münden in Verzweigungen und doch kann das Resultat sowohl eine flauschige Daune als auch eine glitzernde Schwanzfeder werden. Besonders die „Farben, die keine sind“, kommen auf den Fotos gut zur Geltung. Sie entstehen durch Interferenz und Lichtbeugung und zeichnen sich oft durch besondere Intensität und metallischen Glanz aus.

Die kurzen Begleittexte geben zwar Hintergrundinformationen zu Evolution und Zweck der Vogelfedern, aber die Schauwerte stehen hier definitiv im Vordergrund. Einige Fotos könnte man sich problemlos als Kunstwerke an die Wand hängen: Es sind Kunstwerke der Natur, die ein Beweis dafür sind, dass Ästhetik nichts ist, was wir Menschen uns ausgedacht haben. Sie ist ein Grundprinzip der Evolution.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 15.10.2023
Japanischer Taschenkalender für das Jahr 2024
Bashô, Matsuo

Japanischer Taschenkalender für das Jahr 2024


ausgezeichnet

Taschenkalender sind im Zeitalter der Terminverwaltung im Smartphone schon etwas anachronistisch. Als alter Japan-Enthusiast verwende ich den japanischen Taschenkalender auch seit Jahren nicht in erster Linie um Termine zu notieren, sondern als kleines Tagebuch, in dem ich die wichtigsten Ereignisse kurz festhalte. Zu jeder Woche gibt es einen in die Jahreszeit passenden Haiku, der jeweils von Ekkehard May oder Geza Dombrady kenntnisreich kommentiert wird. Es sind Verse von Bashô und seinen Schülern, die schon in den sehr empfehlenswerten Haiku- und Haibun-Bänden des Dieterich Verlags enthalten waren. Wer diese Sammlungen, die aus meiner Sicht die am besten kommentierten Zusammenstellungen in deutscher Sprache sind, noch nicht kennt, der bekommt hier einen guten ersten Überblick in die Gedankenwelt und Struktur des Haiku. Auch für Kenner sind die Kommentare immer wieder erhellend durch die detaillierten kulturellen Hintergrundinformationen und spannenden linguistischen Erläuterungen. Die passenden Abbildungen stammen diesmal aus verschiedenen Originalquellen des 15.-19. Jahrhunderts.

Auf einer zusätzlichen Seite pro Woche kann man eigene Verse notieren, was mit ein bisschen Übung auch erstaunlich leicht von der Hand geht und Spaß macht.

Bewertung vom 15.10.2023
Aachener Kunstblätter 2022

Aachener Kunstblätter 2022


ausgezeichnet

Der nunmehr dritte Band der Aachener Kunstblätter seit Wiederaufnahme der Publikation im Jahr 2018 hat seinen geografischen Fokus diesmal zwischen Lüttich und Xanten. Die niederrheinischen und maasländischen Bildwerke hatten einen Höhepunkt im ausgehenden Mittelalter und der Renaissance, was sich in Kirchenausstattungen, Grabskulptur und profaner Raumausstattung gleichermaßen widerspiegelt. Einige herausragende Beispiele werden in den Fachartikeln abgehandelt, wobei die vergleichende Untersuchung der Lütticher Grabdenkmäler der Renaissance durch eine besonders umfangreiche Überlieferung und fachlich detaillierte Herangehensweise hervorsticht. Auch der Beitrag zum Lambertus Reliquiar im Kirchenschatz der Lambertuskathedrale in Lüttich zeichnet sich durch eine aktuelle und differenzierte Darstellung aus. Weniger überzeugend ist aus meiner Sicht der Artikel zum Renaissance-Kamin im Suermondt-Ludwig-Museum, dessen Provenienz im Dunkeln liegt, der von bedauerlicher Erhaltung und Restaurierungsqualität ist und handwerklich nicht gerade zu den Spitzenstücken seiner Zeit zählt. Hier ergeht sich der Autor leider in viel Spekulation, wenig gesichertem Wissen, und er nobilitiert das Stück in unangemessener Weise.

Hochgradig informativ und wie schon die anderen Beiträge auch sehr gut illustriert, ist der Beitrag über die gelungene Neukonzeption der Sammlungsräume im Suermondt-Ludwig-Museum, die kürzlich der Öffentlichkeit zuückgegeben wurden. Thematische und kunsthistorische Themenkomplexe wurden für den Besucher auf der Höhe moderner Museumsdidaktik konzipiert und präsentiert. Auch unter den Neuerwerbungen und Stiftungen der letzten zwei Jahre befinden sich einige qualitätvolle Überraschungen.

Von den drei bisher erschienenen Bänden ist dieser aus meiner Sicht am besten gelungen, da er sowohl thematisch als auch fachlich ein sehr geschlossenes Bild abgibt.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.10.2023
The Pursuit Of Love-Englische Liebschaften
James,Lily/Beecham,Emily/Scott,Andrew/West,Dominic

The Pursuit Of Love-Englische Liebschaften


ausgezeichnet

Lord Alconleigh ist besessen von der Idee, dass alles Fremde von Übel ist, weshalb er seine Tochter Linda systematisch von der Außenwelt isoliert. Sie darf keine Bücher lesen, eine schulische Ausbildung verwehrt er ihr ebenfalls. Nur ihre Cousine Louise bringt Abwechslung in Lindas monotonen Alltag und so werden die beiden beste Freundinnen. Während Louise ein bürgerliches Leben einschlägt, gerät Linda in einen ziellosen Taumel auf der Suche nach der wahren Liebe, der sie durch viele Länder und Beziehungen führt. Ihre emotionale Instabilität lenkt sie immer wieder in Sackgassen, aus denen sie sich meist durch Flucht rettet. Selbst aussichtslose Tiefpunkte überwindet sie dabei dank ihres ausgeprägten Talents, stets wieder auf die Füße zu fallen.

Die Romanverfilmung zeichnet sich durch kinoreife Ausstattung, eine exzellente Dramaturgie und herausragende Besetzung bis in die Nebenrollen hinein aus. Die Dialoge sind geschliffen und trotz der manchmal etwas ziellos wirkenden Geschichte fesseln Darsteller und Szenen von der ersten Minute an. Die Sprunghaftigkeit Lindas wird zum durchgehenden Motiv, was durch die dramaturgisch sauber durchgezeichneten Nebenfiguren deutlich weniger anstrengend ist, als es jetzt vielleicht klingt. Man wird hineingezogen in die Welt der englischen Aristokratie kurz vor dem Zweiten Weltkrieg, die sich Veränderungen einfach dadurch widersetzt, indem sie sie ignoriert und auch wenn Linda diese Standesgrenzen bewusst überwindet, bleibt sie letztlich immer ein Produkt ihrer Gesellschaftsklasse. In der „normalen“ Welt findet sie sich nie wirklich zurecht. Ihre emotionalen Irrungen und Wirrungen machen sie dabei zur tragischen Figur, ohne dass man den Eindruck bekommt, ihr Leben sei am Ende gescheitert oder sogar vergeudet. „The Pursuit of Love“ ist eine hochkarätige Literaturverfilmung, wie man sie derzeit nur aus England zu sehen bekommt. Woke Vergewaltigungen der originalen Geschichte, wie sie mittlerweile leider die Regel sind, besonders wenn sich die Autoren nicht mehr wehren können, bleiben zum Glück aus. Das ist Qualitätsfernsehen, das man sich gerne auch ein zweites Mal ansieht.

(Diese DVD wurde mir von Polyband kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

Bewertung vom 13.10.2023
The Addams Family - Das Familienalbum
Addams, Charles

The Addams Family - Das Familienalbum


ausgezeichnet

Als Chas Addams im Jahr 1938 seinen ersten Cartoon mit einem Mitglied „seiner“ Familie zeigte, ahnte er selbst wohl am wenigsten, dass dies sein Leben verändern sollte. Die schräge Addams Kernfamilie bekam im Lauf der Jahrzehnte weiteren Zuwachs und so gesellten sich zu Morticia und Gomez die gemeingefährlichen Kinder Wednesday und Pugsley, sowie Granma Frump und Onkel Fester. Der stumme Butler Lurch gehörte von Anfang an zur Grundausstattung.

Insgesamt wurden zwischen 1938 und 1988 nur rund 150 Cartoons veröffentlicht, die meisten im Zeitraum 1941-63. Das ist enorm wenig und erklärt natürlich nicht den nachhaltigen Erfolg. Der kam erst 1963 mit der Fernsehserie „The Addams Family“, die Chas bis ins Detail selbst schuf. Er schrieb die Drehbücher (in die er sich von niemandem reinreden ließ), designte Kostüme und malte sogar die Kulissen. Die Zweitverwertung kam dann über zahlreiche Werbeaufträge und einige sehr erfolgreiche Sammelbände. Die Kinoverfilmungen hat Chas nicht mehr erlebt.

„Das Familienalbum“ versammelt nicht nur alle 150 bekannten Cartoons, sondern noch einmal fast so viele Bleistiftentwürfe aus Addams Nachlass, die zum Teil noch nie veröffentlicht wurden. Es sind keine Reinzeichnungen, sondern Skizzen, die aber mindestens so böse sind, wie die publizierten. In einigen Fällen hatte ich sogar den Eindruck, dass Chas Addams sie in seinem eigenen moralischen Giftschrank sicher verstaut hatte. Eine weitere Quelle für das umfangreiche Bildmaterial sind Werbecartoons und Buchtitel.

Die Begleittexte sind höchst informativ und zum Verständnis einiger Szenen sogar unumgänglich, denn manchmal beziehen sie sich auf Tagesgeschehen oder biografische Hintergründe, die heute nicht (mehr) geläufig sind. Bei einigen wenigen Cartoons habe ich dennoch die Pointe nicht wirklich verstanden, allerdings will ich nicht ausschließen, dass ich irgend ein Detail übersehen habe. Manchmal liegt der Witz nämlich in einer winzigen Kleinigkeit im Bild, was für Addams Humor typisch ist. Es lohnt sich auf jeden Fall, in jeder Szene auf die Suche zu gehen. Der Grad der moralischen Abweichung von der Norm, die Addams mit der Liebenswürdigkeit eines Zimmerkellners serviert, ist teilweise atemberaubend. Man muss sich das mal vor Augen führen: Diese Ungeheuerlichkeiten erschienen um 1940! Kinder, die einen Wettbewerb daraus machen, wer wen zuerst vergiftet. Eltern, die um Mitternacht zu einem lauschigen Spaziergang auf den Friedhof aufbrechen. Ein Onkel Fester, der die Spitzen des Gartenzauns noch einmal säuberlich nachschleift, während die Nachbarn ihre Rosen schneiden. Das war gewagt und wäre es selbst heute noch. Addams zelebriert dabei die Andersartigkeit als eine andere Art der Normalität, denn es nicht etwa so, dass Wednesday und Pugsley sich ihre Mordversuche übelnähmen. Nein, sie genießen sie und beide haben ihren Spaß bei der Sache. Wenn Gomez seine Frau fragt: „Bist du unglücklich“ und sie antwortet: „Ja Schatz, wunschlos unglücklich!“, dann ist das nicht als Klage gemeint.

Addams schräger Humor funktioniert auch nach 80 Jahren in großen Teilen immer noch, denn Humor hat immer etwas mit Tabubrüchen zu tun. Die Tabus, mit denen die Addams Family jongliert, die sind geradezu zeitlos und daher habe ich auch für die nächsten 80 Jahren keine Sorge.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.