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solveig

Bewertungen

Insgesamt 471 Bewertungen
Bewertung vom 09.08.2020
Der letzte Satz
Seethaler, Robert

Der letzte Satz


sehr gut

Episodenhaft und pointiert

„Ich sollte noch ein bisschen bleiben“, resümiert Robert Seethalers Protagonist, kurz bevor er auf dem Sonnendeck des Überseeschiffs „Amerika“ zusammenbricht. Krank und fiebrig befindet sich der Komponist Gustav Mahler auf seiner letzten Fahrt von New York nach Europa im Jahre 1911. In Gedanken lässt er wichtige Momente seines Lebens Revue passieren; er sinniert über seine großen beruflichen Erfolge, aber auch die privaten Schicksalsschläge. Die innere Rückschau des Künstlers wirkt episodenhaft kurz, aber pointiert, in Seethalers typischem, verknappten Schreibstil. Kurz angestrahlt blitzen Erinnerungen auf an vergangene Ereignisse und rufen vielfältige Gefühle in ihm wach, die Liebe zu seiner Ehefrau Alma und Tochter Anna, vor allem aber seine Liebe zur Musik. Der Autor lässt deutlich spüren, wie besessen Mahler gearbeitet hat und wie schwer es ihm nun fällt, seine krankheitsbedingte Schwäche zu akzeptieren.
In seinem neuen Roman ist es einmal kein unbekannter Protagonist, dessen Schicksal die Leser nachdenklich werden lässt, sondern das eines berühmten Genies. Was mag Gustav Mahler in seinen letzten Lebenswochen durch den Kopf gegangen sein? Wieviel hätte er noch komponieren können? Seethaler wagt einen Versuch, sich in Mahlers Gedankenwelt zu versetzen.

Bewertung vom 01.08.2020
Plant Love
Fowler, Alys

Plant Love


sehr gut

Übersichtlich und praxisorientiert

Eine Menge Wissen und Praxis zur Pflanzenpflege hat Alys Fowler in ihrem neuen Buch zusammengestellt. In komprimierter Form informiert sie über die sehr unterschiedlichen Ansprüche unserer beliebtesten Zimmerpflanzen und entsprechende Pflegemaßnahmen, klar und gut verständlich.
Wichtig sind natürlich die „Basics“: so erläutert die Autorin auch zunächst grundlegende Maßnahmen wie Düngen und Umtopfen und gibt Tipps zu eventuell auftretenden Schäden bzw. Schädlingen. Auch auf die Vermehrung durch Teilung, Stecklinge oder Schößlinge geht sie ein. Mir erscheint jedoch am wichtigsten ihr ausführlicher Ratgeber zum Gießen und zur Platzierung diverser Gewächse in der Wohnung. Da die Autorin kurz auf deren jeweilige Herkunft eingeht, erklärt sich schließlich von selbst, warum einige Blumen heller platziert werden sollten als andere und manche einen größeren Wasser- oder Wärmebedarf haben. Zahlreiche attraktive Illustrationen veranschaulichen Fowlers Text und geben vor allem den Pflanzenporträts ein hübsches „Gesicht“. Hier beschreibt Fowler eine Auswahl an Pflanzen und die richtige Pflege im Detail, schildert den bevorzugten Standort und berät bei möglichen Problemen.
Sehr übersichtlich gestaltet, ist Fowlers Buch ein Ratgeber, in dem der Zimmergärtner immer wieder einmal nachschlagen kann.

Bewertung vom 01.08.2020
Warum es normal ist, dass die Welt untergeht
Kelly, Robert L.

Warum es normal ist, dass die Welt untergeht


ausgezeichnet

Evolutionäre Umbrüche

Ganz bequem, wie von einem „Kinosessel in der Stratosphäre“ aus, verfolgen wir „einen Film, der die gesamte Menschheitsgeschichte“ zeigt - so führt uns Robert Kelly, Professor für Anthropologie in Wyoming, an das Thema seines Buches heran: wie sahen die Übergänge aus, an denen sich das Leben der Menschen von Grund auf verändert hat? Und was erwartet uns bei einem neuerlichen Umbruch?
Kellys Blick richtet sich auf die „Totale“; sehr gut verständlich und durchaus nachvollziehbar gelingt es ihm, seine Leser die menschliche Entwicklung als allmählichen, unaufhaltsamen Wandel im Ganzen sehen und damit „Muster in Raum und Zeit“ erkennen zu lassen. Knapp, aber eindringlich gibt er uns einen Überblick über die Menschheitsgeschichte, der den Zeitpunkt vom Auftreten der ersten Homininen bis heute umfasst. Wichtig ist ihm dabei, die diversen „Umbrüche“ deutlich zu machen, die stets zu einer Weiterentwicklung geführt haben. Es sind vier bedeutende: die (immer rasanter fortschreitende) Technologie, die ursprünglich mit Steinwerkzeugen begann; die Kultur mit all ihren Facetten; die Landwirtschaft und das Sesshaftwerden der Menschen und schließlich die Staatenbildung mit all ihren Vor- und Nachteilen, bis Kelly schließlich in der Gegenwart ankommt und die Frage stellt: was erwartet uns mit all unseren (selbst verursachten) Problemen? Wie beeinflussen Bevölkerungszunahme, Globalisierung, Aufrüstung, Pandemien, Klimawandel unsere Zukunft? Seine Erklärungsversuche, wie ein fünfter Umbruch aussehen könnte, beschwören kein Weltuntergangsszenario, sondern zeigen seinen Optimismus und Vertrauen in Vernunft und Lösungsstrategien des Menschen. Die Gegenwart nicht isoliert sehen: ganz der Blick des Archäologen, dessen Zeithorizont keine Grenzen kennt. Mit Humor und Einfühlungsvermögen schafft er es spielend, dem Leser einmal eine andere, vielleicht ungewohnte Perspektive auf sein Leben zu geben.

Bewertung vom 20.07.2020
Schatten der Welt / Wege der Zeit Bd.1
Izquierdo, Andreas

Schatten der Welt / Wege der Zeit Bd.1


sehr gut

Gute alte Zeit?

Um mehr als hundert Jahre versetzt uns Andreas Izquierdos neuer Roman „Schatten der Welt“ zurück. Im Jahr 1910, als das Erscheinen des Halleyschen Kometen bei vielen Menschen Endzeitstimmung hervorruft, begegnen wir Carl, dem Sohn des Schneiders Friedländer, und begleiten ihn einige Jahre lang auf seinem Weg vom Teenager zum jungen Erwachsenen. Carl wächst als Halbwaise in der preußischen Festungsstadt Thorn auf. Von Natur aus eher schüchtern und ängstlich, fühlt er sich seinem Schulfreund Artur, der im Gegensatz zu ihm kaum Furcht kennt, besonders verbunden. Clever nutzt dieser die Angst und den Aberglauben seiner Mitbürger um den Kometen aus, um mit Hilfe von Carl und der aufmüpfigen Isi soviel Geld zu verdienen, dass er am Ende der Schulzeit ein Transportgeschäft gründen kann, an dem beide Freunde beteiligt sind. Carl entscheidet sich für eine Ausbildung zum Fotografen. Zunächst scheinen sich die Dinge gut zu entwickeln - doch dann bricht der Weltkrieg aus…
Auf sehr anschauliche Weise lässt der Autor seinen Protagonisten Carl selbst Episoden aus seinem Leben erzählen. Vor dem politischen Hintergrund der Zeit von Kaiserreich und Erstem Weltkrieg verfolgt der Leser die Entwicklung dreier unterschiedlicher Teenager zu kritischen jungen Erwachsenen, welche die damals besonders hoch geschätzten Werte (wie Gehorsam, Treue, Vaterlandsliebe) in Frage stellen. Jeder der drei Freunde agiert seinem Charakter entsprechend vorsichtig oder temperamentvoll-mutig. Die Hauptcharaktere wirken echt und entstammen der einfachen Bevölkerungsschicht, so dass sich der Leser durchaus mit ihnen identifizieren kann.
Detailliert und sehr einfühlsam schildert der Roman - exakt recherchiert - Preußens „Glanz und Gloria“, vor allem aber die Kehrseite der Medaille: den harten Alltag im damaligen Ständesystem und die Kriegswirklichkeit. Er bietet eine wunderbare Zeitreise, zeigt ein wenig Nostalgie, zeichnet jedoch ein durchaus realistisches Bild jener Epoche und verharmlost keineswegs die (unschönen) Fakten. Ich gebe eine klare Leseempfehlung!

Bewertung vom 24.05.2020
Ich bleibe hier
Balzano, Marco

Ich bleibe hier


ausgezeichnet

Eindringlich

Überaus prägnant gibt bereits das Buchcover einen Eindruck zum Romaninhalt: es zeigt den Kirchturm des ehemaligen Dorfes Graun, der aus dem Wasser des Reschensees ragt. Marco Balzano erzählt die Geschichte dieses Südtiroler Ortes und wie es dazu kam, dass er gegen den Willen seiner Bewohner geflutet wurde und in einem Stausee versank. Hierbei mischt er Fiktion und Tatsachen auf unterhaltsame Weise. Die historischen Fakten von Planung und Ausführung des Stauvorhabens verwebt er gekonnt mit der ganz persönlichen Lebensgeschichte von Trina und ihrer Familie. Aus ihrer Sicht erlebt der Leser ein halbes Jahrhundert Südtiroler Geschichte mit und spürt, wie sie sich auf das Schicksal der Einwohner ausgewirkt hat. Unaufdringlich, aber durchaus eindrucksvoll lässt Balzano uns an Trinas Seite die einschneidenden Konsequenzen miterleben, welche die häufigen politischen Veränderungen und neuen Grenzziehungen für die Bevölkerung des Vinschgau mit sich brachten.
Während Trina und ihr Ehemann Erich sich mit dem Dorf Graun und seinem Los verbunden fühlen und für seinen Fortbestand kämpfen, ziehen andere Einwohner entmutigt fort. Auch Trinas geliebte Tochter sieht keine Zukunft in ihrer Heimat und verlässt heimlich ihre Familie. So gestaltet der Autor Trinas Erzählung als Bericht an Marica, eine Art Erbe an ihre verschollene Tochter, wobei er sich einer bodenständigen, schlichten Sprache bedient, wie sie zu den Dorfbewohnern passt.
Obwohl die Unterdrückung und Missachtung von Rechten der Südtiroler Bevölkerung zugunsten politischer und wirtschaftlicher Interessen einzelner Gruppen Thema des Romans ist, verfällt der Autor weder in einen klagenden noch kämpferischen Ton. Sein Stil bleibt ruhig, authentisch, und vielleicht gerade darum wirkt seine Geschichte so eindringlich.

Bewertung vom 30.04.2020
Alles über Bio-Gemüse
Grieb, Ortrud

Alles über Bio-Gemüse


ausgezeichnet

Ein Fünf-Sterne-Gartenbuch

Vom Ackersalat bis zur Zwiebel - in diesem Gartenratgeber sind Informationen zu (fast) allen Gemüsesorten zu finden, die der Hobbygärtner sich wünscht. So schwergewichtig das Buch in der Hand wiegt, so umfangreich gestaltet sich auch der Inhalt. Ortrud Grieb erteilt fachgerechte Ratschläge zu Planung und Anlage eines Gemüsegartens, stellt die wichtigsten Gerätschaften vor und gibt einen Überblick über die Ansprüche von Gemüsepflanzen. Zum Basiswissen über richtige Pflege und Düngung kommen viele Tipps zum Erkennen und Behandeln von Krankheiten. Das alles erklärt die Gartenfachfrau - sowohl für den Neuling als auch für „alte Hasen“ - sehr ausführlich und gut verständlich.
Ein ausgedehntes Register enthält Beschreibungen von bekannten, aber auch ungewöhnlichen Gemüsepflanzen und speziellen Hinweisen zum Anbau. Zahlreiche Illustrationen begleiten den Text. Die Zeichnungen und Fotos, die zumeist von der Autorin selbst stammen, verdeutlichen ihre Erklärungen und motivieren zum Gärtnern in Eigenregie.
Über den üblichen Gartenratgeber hinausgehend gibt Grieb auch Hinweise zum Haltbarmachen der Ernte und sogar zur Saatgewinnung. Zusätzliche Gemüsetabellen für schnelle Infos zwischendurch und Bezugsquellenangaben ergänzen dieses voluminöse Werk.
Der Titel des Buches übertreibt keineswegs, wenn er „Alles über Bio-Gemüse“ verspricht. Neben Ortrud Griebs profundem Wissen und der großen Erfahrung, die sie in ihren praxis-orientierten Gartenratgeber einbringt, ist ganz deutlich ihre Liebe zum Gärtnern zu spüren. Ein wirklich gelungenes Gartenbuch, das fünf Sterne verdient!

Bewertung vom 03.04.2020
99 x Harz wie Sie ihn noch nicht kennen
Fuchs, Miriam;Sobotta, Stefan

99 x Harz wie Sie ihn noch nicht kennen


ausgezeichnet

Originelle Harzreise

Weinanbau im höchsten Gebirge Norddeutschlands? Schokoladenfestival und Schach als Schulfach? Das alles (und noch mehr) gibt es tatsächlich - im Harz.
Miriam Fuchs und Stefan Sobotta stellen in ihrem Reiseführer bekannte und weniger bekannte Urlaubsziele vor. Im Unterschied zu anderen „Guides“ erteilen die gebürtigen Harzer Autoren nicht nur Auskunft zu touristischen Highlights, sondern lenken die Aufmerksamkeit vor allem auf originelle Stationen, etwas abseits ausgetretener Touristenpfade. Ihre vielfältigen Anregungen umfassen sowohl Natur als auch Kultur der Harzregion. Neben Informationen zu idyllischen Wanderungen haben sie auch tolle Ideen für Unternehmungen mit Kindern parat, beschreiben besondere Museen und Handwerkskunst. Zusätzlich finden sich Empfehlungen zu einigen ungewöhnlichen Ferienquartieren und gemütlichen Gasthäusern. Alle Vorschläge sind kurz gehalten, gut erklärt und zusätzlich mit den entsprechenden Adressen versehen. Zum schnellen Auffinden sind sie (numeriert) auf einer Landkarte im Innenteil des Buchcovers eingetragen. Natürlich gehören auch anschauliche Illustrationen zu einem guten Reiseführer. Stefan Sobottas zahlreiche attraktive Fotografien begleiten den Text und geben eindrucksvoll Ortstypisches wieder. „99 x Harz“ verlockt zum Ausprobieren und gibt Harzneulingen, aber auch Kennern dieser Urlaubregion einen Führer an die Hand, um neue, lohnenswerte Ziele und Nebenschauplätze zu entdecken.

Bewertung vom 17.03.2020
Haarmann
Kurbjuweit, Dirk

Haarmann


sehr gut

Fesselnde Mischung aus Fiktion und Realität

Hannover zu Beginn der 1920er Jahre, in einer Zeit politischen Umschwungs und großer wirtschaftlicher Not: Schauplatz brutaler Morde an Knaben und sehr jungen Männern. Mehrere Jahre lang konnte Fritz Haarmann relativ ungestört seine Verbrechen an Jungen begehen, die auf der Durchreise in Hannover Station machten. Wie war das möglich?
Der Journalist und Buchautor Dirk Kurbjuweit versucht diese Frage in seinem „true crime“-Roman zu beantworten. Der historische Hintergrund, sehr eindrücklich vom Autor geschildert, beleuchtet bereits einen Teil der Probleme, politische wie auch gesellschaftliche: es gibt aufgrund des Versailler Vertrages nach dem verlorenen Krieg zu wenig Personal bei der Polizei, die noch junge Republik ist noch lange nicht etabliert, sondern - im Gegenteil - wird von anderen Parteien unter Druck gesetzt, für die Menschen stehen das tägliche Brot und das Bedürfnis nach Sicherheit an erster Stelle. Kurbjuweit stellt die langwierige, oft frustrierende Ermittlungsarbeit Robert Lahnsteins in den Mittelpunkt, der mit der Vorgabe ins Kommissariat Hannover geholt worden ist, die Mordserie endlich aufzuklären. Erschwert wird seine Arbeit nicht nur durch Anfeindungen aus dem „Milieu“ und der Presse, sondern auch durch Vorurteile und Neid einiger Kollegen. Im Wechsel mit Lahnsteins Suche nach dem „Werwolf“ erfahren wir private Erlebnisse aus seiner Vergangenheit, die ihn geprägt und zu einem Verfechter der Demokratie gemacht haben. Obwohl der Autor hauptsächlich aus Lahnsteins Sicht erzählt, bettet er ebenso Passagen ein, die Haarmanns Perspektive und auch die eines seiner Opfer wiedergeben. Wie es schließlich doch gelingt, Haarmann zu überführen und zu verurteilen, schildert Kurbjuweit auf fesselnde Weise in einer gelungenen Mischung aus Fiktion und Realität. Eine wesentliche Frage allerdings bleibt am Schluss offen und dem Leser überlassen: Welche Mittel sind in einem Rechtsstaat erlaubt, um das Geständnis eines Täters zu erhalten?