Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
helena
Wohnort: 
Potsdam

Bewertungen

Insgesamt 119 Bewertungen
Bewertung vom 22.06.2019
Römische Tage
Strauß, Simon

Römische Tage


sehr gut

Anregend, aber doch recht dünn

Simon Strauss verbrachte, unterstützt vom Goethe- Institut, zwei Monate in Rom. Eine Reise in die Ewige Stadt, wie so viele Große es schon taten, "...Rom, eine Welttatsache, eine logische Gleichung, ohne die nichts begriffen werden konnte" (S.91).

Dabei entstanden "Römische Tage" als eine Art Tagebuch, essayistisch und assoziativ in der Ich- Form geschrieben, wobei sich fiktionale und nichtfiktionale Elemente verbinden. Wissenswertes über Rom, Anekdoten, Beobachtungen, Gedankensplitter, Introspekton wechseln sich miteinander ab.

"Römische Tage. Jenseits aller Wirklichkeit. Dem Gegenteil verschrieben." (S.94)

Anfangs empfand ich den Schreibstil als gewöhnungsbedürftig, doch las ich mich mehr und mehr ein und konnte ihn dann sogar geniessen. Nur die häufigen Aufzählungen mochte ich nicht, die flogen dann leider etwas an mir vorbei. Manches wird sehr klar formuliert, manches eher metaphorisch (nicht jede Metapher habe ich verstanden). Ein Teil der Anekdoten oder Beobachtungen ist manches Mal sehr glaubwürdig und ernsthaft und dann gleiten sie mitunter ins Skurille, Groteske, Surreale oder auch ins Komische, gar Alberne ab. Humor und Ironie kommen nicht zu kurz.
Dennoch ist die Atmosphäre eher etwas melancholisch. Vergänglichkeit und Tod sind Leitmotive. Der Ich- Erzähler leidet zudem unter beängstigenden Schmerzen am Herzen. Auch weiss er nicht so recht, wo sein Platz im Leben ist. Er erscheint orientierungslos und zerrissen. Den Leser hält er auf Distanz.
Er besieht sich Rom, hat einige "offiziellere" Verabredungen, lernt auch eine junge Frau kennen. Er sinniert über das Leben und den Tod. Macht sich Gedanken über die Zeit, den Glauben und Europa. John Keats, Ingeborg Bachmann, Pasolini, Hadrian und viele andere Besucher und Bewohner der Stadt säumen seinen Weg. Langsam schöpft er dabei wieder Kraft.

Die Einblicke in Rom und Italien gefielen mir sehr. Auch einige Anekdoten und Gedanken liessen mich innehalten und beeindruckten. Aber insgesamt war es mir leider doch zu wenig, quantitativ und qualitativ zu dünn, manchmal auch zu assoziativ, zu sprunghaft und damit zu oberflächlich. Gern wäre ich etwas tiefer eingetaucht, hätte gern viel mehr erfahren, aber es wirkt alles eher wie ein (noch unfertiges) Skizzenbuch. Hier habe ich irgendwie mehr erwartet, auch angesichts des Buchpreises, und verblieb daher, trotz der tendenziell bereichernden Anregungen und des interessanten Schreibstils, etwas enttäuscht.
3,5 Punkte

Bewertung vom 16.06.2019
Die Sprache der Tiere
Brensing, Karsten

Die Sprache der Tiere


ausgezeichnet

kurzweilig und horizonterweiternd!

Dieses spannende Sachbuch hat mich sehr positiv überrascht und restlos begeistert.

"Aufgrund unserer Schulbildung und unseres kulturellen Hintergrundes neigen wir dazu, Tiere zu unterschätzen, daher trauen Sie ihnen ruhig etwas mehr zu, als Sie glauben." (S. 242). Mit diesem Satz endet das Buch, doch beginnen wir am Anfang:

Brensing geht den Fragen nach: Wie können wir die Tiere (besser) verstehen? Wo gibt es Ähnlichkeiten zwischen Mensch und Tier? Wie funktioniert eigentlich die Sprache/ Kommunkation der Tiere?

Brensing zeigt, anhand einer Vielzahl von Studien und konkreten Beispielen, dass Tiere (je nach Tierart natürlich sehr unterschiedlich) verschiedene Persönlichkeiten haben, intelligent sind, denken und sogar auf die Metaebene gehen können, ein Gedächtnis haben, eine "Biographie" haben, Dialoge führen, eine Grammatik haben, Gefühle haben sowie bei anderen erkennen können, einen Freundeskreis haben, Ungerechtigkeitsaversionen hegen, selbstlos agieren können und vieles mehr.
Im Grunde, wie auch wir Menschen. "Wir leben in einer gemeinsam geteilten Welt".

Diese Ergebnisse und die Vielzahl an erstaunlichen und interessanten Informationen sind extrem beeindruckend. Ebenfalls seine daraus folgenden Überlegungen, die einen sehr anderen Blick auf das Tier ableiten, sind eindrücklich. Brensing besieht sich hierbei unser Tierbild genauer, wie es historsch entstanden ist und unsere Sprache prägt, dem aktuellen wissenschaftlichem Stand aber gar nicht mehr gerecht wird. Sehr interessant auch hierzu seine kurze Darlegung zum "Instinkt-" Begriff. Es wird klar, dass es dringend einer anderen Sicht auf die Tiere und natürlich eines viel, viel respektvolleren Umgangs mit ihnen bedarf.

Brensing tut etwas, was nur wenige Wissenschaftler tun, er bezieht klar Stellung. Er übernimmt aufgrund der gewonnenen Forschungsergebnisse konsequenterweise Verantwortung, in dem er sich klar zu problematischen Seiten der Tierhaltung positioniert und in die Praxis trägt. So geht er z.B. etwas tiefer auf den Leinenzwang für Hunde, auf die Delfin-Mensch Beziehung, auf tiergestützte Therapien oder auch auf Wildtiere und die Jagd ein. Über den Rahmen des Buches hinaus engagiert er sich für den Tierschutz, so z.B. innerhalb des Vereins iri.world.
Schlussendlich beantwortet er auch seine oben gestellte Frage, wie wir die Tiere besser verstehen können.

Brensing schreibt kurzweilig, mit einem Augenzwinkern und streckenweise liest es sich spannend wie ein Krimi. Manche Stellen sind wiederum sehr berührend. Man merkt, wie sehr ihm die Tier- und Menschenwelt am Herzen liegt. Trotzdem bleibt er aber sachlich und argumentiert fundiert.
Farbige Bilder, Grafiken, Tabellen sowie ein ausführliches Quellen- und Fussnotenverzeichnis gestalten das Buch zu einem schönen Gesamtwerk.

Klare Leseempfehlung!!

Bewertung vom 15.06.2019
Wilder Winter / Hap & Leonard Bd.1
Lansdale, Joe R.

Wilder Winter / Hap & Leonard Bd.1


sehr gut

skurill, abenteuerlich, amüsant, brutal

Als Krimi würde ich diesen neuaufgelegten 6bändigen Reihenauftakt (ursprünglich noch mehr Bände) eher nicht bezeichnen. Eher als einen skurrilen, schrägen, tragisch-komischen Abenteuerroman, der etwas ins Horrorhafte und Blutige abgleitet.

Nun denn, worum geht es. Die Geschichte spielt in Texas. Hap bekommt Besuch von seiner Ex Frau Trudy. Sie sind schon lange getrennt, aber hin und wieder treffen sie sich und er verfällt ihr immer wieder. Diesmal hat sie ein besonderes Anliegen. Und zwar soll er ihr und ihrem aktuellen Freund Howard dabei helfen, ein Boot zu bergen, auf dem die Beute eines Banküberfalls von vor ca. 20 Jahren lagert. Hap sagt zu, nimmt jedoch seinen besten Kumpel Leonard mit. Mit von der Partie sind zudem noch zwei andere Männer Paco und Chub, die noch die Ideale der 60er Jahre in sich tragen... und so beginnt der "wilde Winter".

Lansdale kann einfach gut erzählen. Er schafft besondere Atmosphären und besondere Charaktere. Man kann sich alles sehr gut bildlich vorstellen....und ist in diesem speziellen Fall ganz froh, dass man nicht dabei sein muss..:) Der Hof von Leonard samt den Hundezwingern und der Scheune mit Boxsack, die Bruchbude Howards oder auch die Flusslandschaft in Marvel Creek in den Bottoms erscheinen deutlich vor den Augen.
Die am Rande der Gesellschaft stehenden Leute, die hier beschrieben werden, sind durchweg schräg, skurril, eigen, kantig, auf den ersten Blick nicht sonderlich sympathisch. Auf den zweiten Blick wachsen Hap und Leonard einem doch ans Herz. Sie sind beide im Grunde gute Typen. Zudem gefiel mir die Freundschaft zwischen ihnen ausnehmend gut. Sie liefern sich herrliche Dialoge, wunderbar zynisch und sehr schlagfertig.
Generell ist der Sprachstil etwas derb, rauh, oft auch vulgär. Ironie, schwarzer Humor und Zynismus sind durchweg vorhanden, gesellschaftskritische Beobachtungen fliessen oft mit ein.

Von Beginn an liest der Roman sich spannend. Zudem ergeben sich unerwartete Wendungen, wodurch das Tempo am Ende noch rasanter wird. Gleichzeitig aber auch sehr brutal und blutig, so dass ich einige Stellen überlas, da ich diesbezüglich eher "zart besaitet" bin.

Generell habe ich mich jedoch sehr amüsiert, oft gelacht und bin nun neugierig, wie es mit Hap und Leonard weiter geht..:)

Bewertung vom 15.06.2019
Todesursache: Flucht
Bedford-Strohm, Heinrich; Collado Seidel, Carlos; Prantl, Heribert; Gössner, Rolf; Lessenich, Stephan; Mesovic, Bernd; Martin, Heike

Todesursache: Flucht


ausgezeichnet

Aufrüttelnd, sollte sich jeder anschauen

Das Netzwerk UNITED veröffentlicht seit 1993 jährlich eine Liste mit sämtlich - bekannt gewordenen - auf der Flucht nach Europa verstorbenen Menschen.
Auf deutsch ist sie erstmals 2017 als Beilage des Tagesspiegel erschienen. Auf dieser Grundlage haben die Herausgeberinnen die Liste seit 2017 weiter übersetzt, selbst recherchierte Fakten und einzelne Portraits ergänzt; verschiedene Texte: Essays, Gedichte, Berichte vorangestellt und ein Nachwort verfasst. Dieses Werk liegt nun in der für 2019 aktualisierten Form vor.
Die Texte haben Geflüchtete, Ehrenamtler, NGO Mitarbeiter, Schüler, Studenten, Wissenschaftler, Pfarrer, Journalisten und andere verfasst. Sie sind von unterschiedlicher Qualität, aber zumeist sehr berührend, informativ und horizonterweiternd. Nur in ein, zwei Fällen gefiel mir die Wortwahl nicht. In den Texten werden viele Themen behandelt. Es werden Fluchtursachen und die damit zusammenhängende Verantwortung Europas erläutert, es wird die Seenotrettung diskutiert, es wird aus Flüchtlingscamps in Jordanien berichtet. Es wird über die Asylgesetzgebung und deren praktische Ausformung berichtet. Es wird zurück geblickt, wie zu anderen Zeiten mit Geflüchteten umgegangen wurde, es werden geflüchtete Menschen und ihre Schicksale porträtiert und einiges mehr.
Insbesondere das Nachwort der Herausgeberinnen gefiel mir sehr gut. Es fasst die Kernthemen gut zusammen, ist sehr differenziert geschrieben, aber bezieht auch deutlich Stellung.

Momentan stehen 36 609 Tote auf der Liste. Vermerkt werden neben der Informationsquelle folgende Angaben: Datum des Auffindens, Name und Alter (falls bekannt), Geschlecht, Herkunftsland und die Todesursache. Dadurch bekommen die Toten ein Gesicht, eine Geschichte und werden menschlich. Es sind sehr viel junge Menschen darunter. Frauen und Kinder!!! Viele, viele erschütternde Schicksale. Es macht sehr betroffen. Kann man nicht unbedingt in einem Stück lesen und sollte man vielleicht auch nicht.

"Viele hätten gerettet werden können, durch adäquate Seenotrettung, organisiert von denen, die eigentlich dafür verantwortlich sind, die Anrainerstaaten des Mittelmeeres; durch die Bereitschaft Europas solches zu unterstützen und sich an der Aufnahme der Geflüchteten zu beteiligen; und, wenn man weiter ausgreifen will: durch den ernsthaften Versuch, Fluchtursachen in den Herkunftsregionen zu bekämpfen – und nicht diejenigen, die den Weg an die Küste und in die Boote nach oft unsäglichem Leiden geschafft haben." (S.18, B.Mesovic)

Unbedingte Leseempfehlung für Alle!

Bewertung vom 06.06.2019
Ich und andere Irrtümer
Ayan, Steve

Ich und andere Irrtümer


sehr gut

Inhalt sehr lohnenswert, Form etwas anstrengend

Im Kern geht es hier um folgende Fragen: Wer bin ich? Was ist das Ich? Wie führe ich ein gutes Leben? Kann ich nur ein gutes Leben führen, wenn ich mich ganz genau kenne und so authentisch wie möglich lebe?

Ayan zeigt hier anhand psychologischer Studien, dass wir uns selbst, das Ich, nicht sonderlich gut erkennen und auch nicht sehr realistisch bewerten können. Hier stehen Glaubenssätze, Annahmen, Moral, Rollen, Erinnerung, Gedächtnis, innere Motive; Wünsche und vieles mehr "im Weg" und verzerren die Wahrnehmung. Selbsttäuschung sei tief verwurzelt. Es gehe im praktischen auch nicht darum, die Wahrheit über sich selbst zu erkennen, denn wer sich sehr realistisch einschätze, neige zu "milder Schwermut". Um ein gutes Leben zu führen sei daher z.B. eher hilfreich, sich ein wenig "schön zu denken", um damit handlungsfähig und frohgemut zu sein.
Dies und einige Antworten mehr, gibt es in diesem Buch zu entdecken.

Ayan stellt eine Vielzahl an neueren und auch älteren Studien sowie Theorien vor. Die Studienergebnisse sind sehr interessant und einige wirklich verblüffend, manchmal durchaus auch widersprüchlich. Ayan stellt sie gegenüber und zieht daraus eigene Schlüsse. Seine Argumentation ist dabei plausibel, seine Perspektive sehr erfrischend und modern. Allerdings, so wie er selbst sagt, geht sie eher gegen den aktuellen Zeitgeist. So kann man manches sicherlich kontrovers diskutieren, ich habe hier aber vieles mitnehmen können.
Abschließend gibt ein ausführliches Quellenverzeichnis, ein Personen- und Sachregister.

Die Sprache ist gut verständlich. Leider ist es jedoch etwas schwierig, auch aufgrund der hohen Dichte an Informationen, die Übersicht zu wahren. Die Fülle wirkt teilweise etwas erschlagend und verwirrend. Außerdem fand ich die Strukturierung inklusive der Kapitelüberschriften nicht sehr gelungen. Sie waren für mich nicht klar genug voneinander abgegrenzt, so dass ich insgesamt manchmal den roten Faden verlor.
Leider schreibt Ayan auch etwas redundant, was mich hin und wieder nervte.

Nichtsdestotrotz sind hier spannende Gedanken und Erkenntnisse zu finden, die auch einen ganz praktischen Nutzen für das eigene Leben haben. Es wird klar herausgearbeitet, welche Möglichkeiten und Grenzen Selbstbetrachtung und Selbsterkenntnis haben. Menschliches Verhalten wird besser erklärbar gemacht. Und es wird deutlich, welche "Zutaten" wichtig für ein gutes Leben sind. Neben bekanntem Wissen gibt es hierbei tatsächlich einige überraschende Erkenntnisse.

Bewertung vom 31.05.2019
Hexentochter / Clans of London Bd.1
Grauer, Sandra

Hexentochter / Clans of London Bd.1


ausgezeichnet

Nette, "magische" Unterhaltung für Jugendliche (Mädchen/ junge Frauen)

Ich wollte gern ein Buch lesen, in dem ich in eine Phantasiewelt abtauchen kann, ohne über ernstere Dinge nachzudenken. Und dies ist mir mit diesem Buch gut gelungen!

Worum geht es: Kurz vor ihrem 18. Geburtstag erfährt Caroline, dass sie eine Hexe ist. Das Problem an der Sache ist nur, dass sie die Magie unbedingt aktivieren muss, da sie sonst stirbt, wenn sie 18 Jahre alt wird. Das geht aber nur mit der Magie ihrer Eltern, die sie aber nicht kennt, da sie in verschiedenen Waisenhäusern und Pflegefamilien aufgewachsen ist. Obendrein scheint ein Magierclan Jagd auf sie zu machen.
Unterstützung erhält sie von Ash, einem Magier aus dem Clan der Morgans sowie von Henri, ein Voodoo-Magier aus dem Clan der Lecourts.

Die Geschichte ist geradlinig und sehr flüssig erzählt. Die Hauptcharaktere sind sympathisch und die Kulisse London schafft Atmosphäre. Neben der beschriebenen magischen Hexenwelt, die mir gut gefiel, ist der Roman recht spannend aufgebaut. So weiss man nicht so recht, wem man eigentlich trauen kann und wem nicht. Gleichzeitig gibt es diesen Wettlauf gegen die Zeit.
Daneben gibt es noch eine Liebesgeschichte, die einen recht großen Raum einnimmt, mit einem zarten erotischem Hauch versehen. Auch die fand ich ganz nett und atmosphärisch geschrieben.
Liebe, Freundschaft, Abgrenzung zur eigenen Familie, bzw. Suche nach den eigenen Wurzeln sind Themen die der Roman aufgreift und für Jugendliche durchaus aktuell und daher interessant sind.

Wenn man genau hinsieht, gibt es natürlich auch Mankos. Es ist manches etwas vorhersehbar, die Charaktere sind eher etwas schablonenhaft und die Dialoge wirken manches Mal etwas schwach. Dennoch fand ich das alles nicht so tragisch. Ich hab das auch gar nicht erwartet, da es mir einfach nur um eine nette Geschichte für zwischendurch zum Abtauchen und Wegträumen ging. Und dafür eignet sich der Roman sehr gut!
Nur eine Sache störte mich doch etwas mehr: Die Beziehung zwischen den beiden "besten" Freundinnen Caroline und Megan fand ich sehr schwach und kalt gezeichnet. Da kam emotional nicht viel bei mir an. Schade!

Fazit: Ein netter und spannender Fantasy- Romantikroman über Hexen und Magier, besonders für Mädchen im Teenager Alter sehr gut geeignet.

Bewertung vom 31.05.2019
Niemals ohne sie
Saucier, Jocelyne

Niemals ohne sie


ausgezeichnet

Berührender und atmosphärischer Roman

Eine recht interessante Familie, die Cardinals. 21 Kinder. Ist das vorstellbar? Sie sind viel sich selbst überlassen und müssen daher schon frühzeitig Verantwortung übernehmen. Die Mutter ist nämlich im Laufe der Zeit zunehmend verwirrter und überforderter geworden. Sie kocht und wird von den Kindern vor allem in der Nacht wahrgenommen, wenn sie von Bett zu Bett geht. Generell ist sie aber müde und erschöpft vom Alltag.
Der Vater ist "gesteinsverrückt" und "unsichtbar". Er hat vor allem seine Erze und Mineralien im Kopf. Gold allerdings interessiert ihn nicht so sehr, da Gold ihm "zu launisch" sei.
So übernimmt die älteste Tochter einen Teil der Kinderversorgung und irgendwann kommt es dazu, dass der 12 jährige Geronimo Familienoberhaupt wird. Geronimo, die "Ein-Mann-Befreiungs- und Unterdrückungsarmee". Sie bekriegen ihre letztverbliebenen Nachbarn in Norco, dem Ort, der langsam verfällt, seit die Erzmine geschlossen wurde.
Und eines Tages geschieht etwas, dass die Familie tief erschüttern soll und sie erst viele Jahre später alle wieder zusammen kommen und dem Geschehnis auf den Grund gehen.

Der Roman ist in 7 Abschnitte geteilt. Man erfährt der Perspektive von 6 Geschwistern. Toll!
Anfangs musste ich mich ein wenig einlesen, zwischendrin langweilte ich mich auch etwas und ich fragte mich, was ist denn das für eine Geschichte? Aber schon bald berührten mich die Geschehnisse, die Dinge nahmen Gestalt an und zogen mich in den Bann.
Die spezielle Familiendynamik in dieser speziellen Erzsucherumgebung fesselte mich sehr. "Ein Cardinal kann nicht einfach die Schönheit einer Palme im Sonnenuntergang geniessen, wir brauchen eine harsche Umgebung, an der wir uns reiben können und von der aus wir alle verfluchen können, die es im Leben leichter haben als wir" (S.139). Und inmitten dieser rauen und armen Familie: der eine Zwilling – Angele, die anders ist, die sich für schöne Kleidung und höhere Bildung interessiert und mit einem sonnigen Gemüt und einem wunderbaren Lächeln gesegnet ist.

Neben der Familiendynamik wird auch die Gesteinssuche sehr interessant und bildhaft geschildert.

Die Sprache finde ich sehr schön und schafft Atmosphäre. In jedem Abschnitt kommen die Gefühle des jeweiligen Geschwister gut zum Ausdruck und, Stück für Stück setzt sich die Wahrheit wie ein Puzzle zusammen, was an jenem verhängnisvollen Tag tatsächlich geschah. Die Spannung steigt somit kontinuierlich an.

Fazit: Ein atmosphärischer, berührender, wenngleich etwas eigener Roman für Leser, die gern verschiedene Perspektiven mögen und sich von einer vielköpfigen Familie nicht irritieren lassen.

Bewertung vom 31.05.2019
ALLES WAS ICH DIR GEBEN WILL
Redondo, Dolores

ALLES WAS ICH DIR GEBEN WILL


gut

leider sehr vorhersehbar

Die Leseprobe gefiel mir gut und die vielen positiven Rezensionen überzeugten mich, diesen Roman zu lesen, nicht zuletzt auch die wohlwollenden Worte von Carlos Ruiz Zafon, den ich sehr schätze.
Nur leider wurde ich dennoch enttäuscht.

Kurz zum Inhalt: Manuels Eheman, Alvaro, hatte einen tödlichen Autounfall. Infolgedessen fällt Manuel aus allen Wolken, da ihm offenbar wird, dass sein Mann ein Adliger war und das Erbe seiner Familie verwaltete, ein grosses Gut nebst Weinanbaugebiet. Manuel ist ziemlich geschockt vom Tod seines geliebten Mannes, aber auch ob der massiven Lügen. Schnell stellt sich zudem heraus, dass Alvaro ermordet wurde.
Manuel und Nogueira, ein Polizist frisch im Ruhestand versuchen nun den Mord aufzuklären.

Zum positiven: Der Roman liest sich gut weg. Einige Passagen sind wirklich schön atmosphärisch und überzeugend geschrieben, wie z.B. die Beschreibungen des Weinguts der Ribeira Sacra und der Gardeniengewächse, die Klosteranlage sowie auch die Rolle der Adligen.
Der Roman weckt auf jeden Fall Neugier und Lust Galicien zu bereisen.

Es gibt einige sehr sympathische Figuren. So zum Beispiel Manuel als Hauptfigur finde ich gut gezeichnet. Man wird Zeuge seines reichhaltigen und differenzierten Innenlebens. Und er zeigt Charakterstärke. Ebenfalls sympathisch ist der ruppige, aber herzliche Polizist Nogueira. Begleitet wird Manuel ab und zu von dem hässlichem, aber nettem Hund Cafe. Beide- Cafe und Nogueria sorgen schon für einige Schmunzler..:)
Es gibt zwar Spannung vor allem in den ersten 2 Dritteln, aber nicht auf sonderlich hohem Niveau.

Nun zum negativen: Das größte Manko für mich war die Vorhersehbarkeit, besonders im letzten Drittel des Buches. Das Lesen wurde damit wirklich langweilig, da doch recht offensichtlich war, wie letztendlich alles zusammen hängt. Auf wahrhaft überraschende Wendungen wartete ich vergeblich. Ich wußte einfach recht früh, wer der Täter war und wer es auf keinen Fall sein konnte.
Darüber hinaus hatte ich den Eindruck, dass die Autorin sehr auf Harmonie bedacht war, so dass sich viele Begebenheiten sehr wohlgefällig auflösten. Einige Details empfand ich darüber hinaus als unlogisch.
Auch empfand ich einige Figuren doch als blass oder recht einseitig gezeichnet, wie z.B. den alten Freund von Alvaro Pfarrer Lukas sowie Alvaros Mutter. Auch Alvaro selbst fand ich nicht überzeugend, da er zu glatt gezeichnet wurde.

Fazit: Ein netter, etwas emotionaler Roman, der gut zur Entspannung gelesen werden kann. Man sollte aber nicht zu hohe Erwartungen haben, vor allem nicht an den Kriminalfall an sich.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 16.05.2019
Dschungel
Karig, Friedemann

Dschungel


sehr gut

intelligent, spannend, konsequent

Ein Abenteuerroman. Ein Travellerroman. Ein Roman über eine Jungen- bzw. Männerfreundschaft. Ein Selbstfindungsroman.
Der Roman ist aus der Ich-Perspektive des Freundes von Felix geschrieben. Felix ist verschwunden und dessen Mutter Dorothée drängt den Ich-Erzähler, ihn in Kambodscha zu suchen. Ein Flugticket hat sie schon gekauft. In jeweils sich abwechselnden Kapiteln wird nun einerseits die abenteuerliche Suche nach Felix und andererseits die Entstehung und Entwicklung ihrer ambivalenten, intensiven und ebenfalls abenteuerreichen Freundschaft beschrieben. Die beiden kennen sich seit sie 7 Jahre alt sind und haben so einiges gemeinsam erlebt.
Am Rande spielt auch Lea, die Freundin des Ich Erzählers und deren Liebesgeschichte eine kleine, aber nicht unwesentliche Rolle.

Felix lernt man vorrangig durch die Augen des Ich Erzählers kennen. Dieser steht sehr loyal zu Felix und bewundert ihn auf eine Art. Aber auch durchs Lea Augen lernt man Felix kennen, sie hingegen sieht ihn eher kritisch und nüchtern und fordert ihren Freund auf, doch auch mal genauer hinzuschauen.
Felix erscheint auch mir manches Mal unsympathisch und teilweise wurde ich wirklich wütend auf ihn, aufgrund seines unfairen Verhaltens. Andererseits tat er mir auch wiederum leid, in Bezug auf seine Eltern, die er selbst sogar hasst. Der Ich Erzähler war mir hingegen erstmal sympathisch. Nach und nach werden aber auch seine Schwächen deutlich.
Auch die Freundschaft der beiden hat verschiedene Seiten und ist geprägt von Schweigen,wenn es um die wichtigen Themen geht.

Die Figuren und ihre Beziehung zueinander sind komplex, vielschichtig und facettenreich dargestellt. Sie wirken lebendig, interessant und grundsätzlich glaubhaft.
Trotzdem finde ich das sich verändernde Verhalten des Ich-Erzählers während seiner Suche (ich möchte hier nicht allzu tief ins Detail gehen, um nicht zu viel zu verraten) schwer nachvollziehbar. Hier fehlt mir entweder die deutlichere Herausarbeitung eines Wendepunkts oder eine mir einleuchtendere Erklärung über diesen schleichenden Prozess.

Neben den Abenteuern, die bestanden werden müssen, den kurzen interessanten Einblicken in Kambodscha (die ruhig etwas mehr hätten sein können), die Skizzierung von Backpacker Touristen und Aussteigern und einer leisen Kritik am Tourismus geht es letztendlich vor allem um die innere Suche nach sich selbst. Es geht um die Selbstfindung der Hauptfiguren: "Wer bin ich? Was ist das Ich? Das Selbst? Die Identität? Die Seele? Wer sind wir, wenn nicht Spiegelungen im Bewusstsein der anderen?" ( S.379). Und es geht um den Wunsch nach Erlösung durch Bewusstwerdung von verdrängten oder auch trügerischen Erinnerungen. Aber: "Erinnerungen sind banal. Und heilig. Sie sind das Einzige, was wir haben. Sie formen mich zu dem, der ich bin. Ich forme sie zu dem, der ich sein will. Aber sie können mich auch verfluchen." (S.338).

Der Roman ist durchweg sehr spannend erzählt. Karig schlägt einen frischen, sehr unterhaltsamen und durchaus auch witzigen Ton an. Stil und Sprache des Buchs sind dem Inhalt und den jungen Haupfiguren gut angepasst. Es gibt ein paar stilistische Spielereien und einige bekannte Songs begleiten den Ich -Erzähler auf seiner Reise.
Die Atmosphäre ist dennoch hin und wieder recht düster und etwas unheimlich. Ein bisschen erinnert es zeitweise an "The Beach": - verborgene Inseln, Strand, Backpacker, Hippies, Drogen.

Das konsequente Ende liess mich dann etwas schockiert und atemlos zurück.

Leseempfehlung!

Bewertung vom 16.05.2019
Sich selbst vertrauen
Pépin, Charles

Sich selbst vertrauen


ausgezeichnet

sehr empfehlenswert!

Pépin untersucht hier das Selbstvertrauen genauer. Was ist Selbstvertrauen eigentlich und wie entsteht es bzw. wie kann ich es eigentlich aufbauen oder verstärken.

Er sieht das Selbstvertrauen aus einem Zusammenspiel zwischen Vertrauen in andere haben, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten sowie Vertrauen in das Leben haben. Dies beleuchtet er genauer und zeigt dann ganz praxisnah, wie man nun dieses Vertrauen erwerben kann.
Immer unter Einbezug der verschiedensten Philosophen, von den antiken Griechen bis zu ganz neuzeitlichen Philosophen. Aber auch Schriftsteller und Psychologen werden herangezogen sowie die Lebenswege einiger Sportler und Musiker näher betrachtet.

Das Buch, unterteilt in einzelne Kapitel, lässt sich sehr leicht und flüssig lesen. Grundsätzlich erscheint es mir jedoch hilfreich, wenn man schon einige philosophische Vorkenntnisse besitzt. Pépin, der Philosophie an einem Gymnasium unterrichtet, schreibt sehr modern, kann schwierige Sachverhalte in sehr einfache Worte kleiden und findet gute Formulierungen. Das finde ich sehr, sehr toll!
Dieses Buch war für mich absolut lohnend und kam auch zur rechten Zeit – wie es ja hin und wieder mit manchen Büchern so ist. Hier fand ich Erklärungen, die ich bislang noch nie so recht bei anderen gelesen habe und die mir absolut einleuchtend sind. Er konnte einige von meinen Denkirrtümern tatsächlich beseitigen, mit denen ich meinem Selbstvertrauen im Weg stand. Somit muss ich mir auch weniger Sorgen machen, denn: " Wer sich selbst vertraut, findet den Mut, sich dem Ungewissen zu stellen, statt vor ihm zu fliehen." (S.198)

Zwar war mir nun nicht alles neu, aber ich erhielt, wie gesagt, wesentliche neue Denkanstösse und finde seine Perspektive sehr interessant. Zudem gefällt mir die Aufbereitung sehr gut Schon das Lesen des Buches machte mich zuversichtlicher. Ich wurde heiter und das Herz wurde leichter. Der Untertitel: "Kleine Philosphie der Zuversicht" passt sehr gut. Es ist sehr lebensbejahend und freundlich geschrieben. Es ist außerdem praxistauglich und hat einen sehr nachhallenden positiven Effekt. Großen Dank dafür!

Fazit: Sehr lohnenswert für Menschen, die sich mit dem Selbstvertrauen auseinandersetzen und sich gern mit Philosophie beschäftigen.