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ulrikerabe
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Österreich

Bewertungen

Insgesamt 195 Bewertungen
Bewertung vom 05.06.2019
Rückwärtswalzer
Kaiser, Vea

Rückwärtswalzer


ausgezeichnet

Onkel Willi ist tot!
Nun stehen Lorenz und seine drei Tanten Mirl, Hetti und Wedi vor der schier unlösbaren Aufgabe, den Verstorbenen in sein Geburtsland Montenegro zu transportieren. Von Wien zum Balkan, ein Road Trip über 1000 Kilometer der ganz besonderen Art.
Vea Kaiser schreibt mir so viel Herzenswärme, Witz und Charme über eine absolut schräge Familie. Vergangenheit und Gegenwart. Geheimnisse, Mythen und Wahrheiten. Lebende und Tote. Alles hat seinen Platz.
Die junge österreichische Autorin verknüpft Handlungsstränge ganz beiläufig, bildgewaltig, voller Leben und Lebenslust. Leben und Sterben, Tragik und Komik können ganz nahe aneinander liegen.
Die Familie Prischinger wird unvergesslich bleiben.

Bewertung vom 03.06.2019
ALLES WAS ICH DIR GEBEN WILL
Redondo, Dolores

ALLES WAS ICH DIR GEBEN WILL


ausgezeichnet

Es ist die schlimmste Nachricht, die der Schriftsteller Manuel Ortigosa eines Morgens erhält. Sein Mann Alvaro verunglückte tödlich bei einem Autounfall. Doch es ist nicht nur der Verlust, den Manuel nun zu verarbeiten hat. Nach und nach erfährt Manuel, dass Alvaro abseits des gemeinsamen Lebens ein weiteres Leben führte. Gemeinsam mit einem ehemaligen Polizisten und einem Priester gelingt es Manuel Licht in die Vergangenheit und ein wohlgehütetes Familiengeheimnis zu bringen.
Was sich ja fast wie ein schlechter Witz anhört („Ein Schwuler, ein Polizist und ein Priester gehen in eine Bar…“) ist ganz im Gegenteil ein gelungen aufgebauter Roman, eine Mischung aus Krimi und Familiengeschichte. Dolores Redondo schafft in „Alles was ich dir geben will“ gleichermaßen Spannung wie Atmosphäre auf. Das Zusammenspiel der sehr unterschiedlichen Charaktere gefiel mir außerordentlich gut. Der verstorbene Alvaro ist Dreh- und Angelpunkt in einer Geschichte über Schuld, Familienzusammengehörigkeit, Liebe Verrat und Integrität. Dazu kommt die überaus ansprechende Kulisse der galizischen Weinberge. Mit all diesen Zutaten besticht dieser Roman, die wohltuende Komposition aus angenehmer Sprache, idyllischem Schauplatz und spannender Handlung mach das Buch zur besten Unterhaltungsliteratur.

Bewertung vom 21.05.2019
Das Echo der Wahrheit
Chirovici, Eugene

Das Echo der Wahrheit


ausgezeichnet

James Cobb ist Psychiater und Buchautor, sein Spezialgebiet ist die therapeutische Anwendung von Hypnose. Nach einem Vortrag wird er von dem Multimillionär Joshua Fleischer angesprochen. Fleischer ist sterbenskrank und möchte endlich Klarheit über einen schicksalsträchtigen Abend vor Jahrzehnten in Paris, bei dem eine junge Frau ums Leben kam. Die Geschichte Fleischers lässt James Cobb nicht mehr los, aber er ruft auch die eigenen Geister der Vergangenheit hervor.
Eugene Chirovoci spielt mit Leichtigkeit mit dem Leser. Das Echo der Wahrheit liest sich nicht nur süffig und äußerst komfortabel. Das Buch liest sich von Anfang an spannend und bald ist man mittendrin in dem verzerrten Tanz rund um Wahrheiten und Erinnerungen. Kaum glaubt man dem Rätsel auf der Spur zu sein dreht sich die Geschichte und man muss seine Eindrücke wieder ganz neu sortieren. Das Rätsel, was mit der jungen Französin Simone damals 1976 in Paris passiert ist, gestaltet sich dicht und undurchsichtig. Joshua Fleischer und Abraham Hale, dessen Freund und Antagonist, sind Charaktere, die nicht leicht einzuordnen sind. Abhängig davon aus welcher Perspektive über die beiden berichtet wird, nehmen sie alle Schattierungen von schwarz bis weiß und dazwischen an. Aber auch James Cobbs Rolle in diesem Roman ist vielschichtig und interessant.
Das Echo der Wahrheit ist eine absolut faszinierende und merkwürdige Geschichte, im besten Sinne dieses Wortes.

Bewertung vom 16.05.2019
Der Postbote von Girifalco oder Eine kurze Geschichte über den Zufall
Dara, Domenico

Der Postbote von Girifalco oder Eine kurze Geschichte über den Zufall


weniger gut

Girifalco ist ein kleines Dorf im süditalienischen Kalabrien, ein kleines Nest, in dem alles seinen gewohnten Gang geht. Girifalcos Postbote steht im Mittelpunkt dieses Romans von Domenico Daro. Der Postbote hält sprichwörtlich die Schicksale der Dorfbewohner in seinen Händen. Denn er öffnet die Briefe seiner Mitmenschen, verändert den Lauf der Dinge, führt Liebende zusammen und tröstet Mütter, die ihre ausgewanderten Kinder vermissen.
Angesiedelt ist dieser Roman im Jahre 1969. Der nostalgische Mehrwert dieses Romans verliert sich leider in unendlicher Langatmigkeit, unzähligen Nebenhandlungen und der Vorstellung einer Vielzahl von Dorfbewohnern. Es gibt zwar ein Personenverzeichnis, aber das Buch liest stellenweise genauso unterhaltsam wie ein regionales Telefonbuch. Dieses Buch hat mich bis zum Einschlafen entschleunigt.
Vielleicht war es nicht die richtige Zeit oder einfach nicht das richtige Buch. Als Merkhilfe für mich: bei den Worten „melancholisch“, „rührend“ und „philosophisch“ lasse ich besser die Finger von der Lektüre. Für derartige Betulichkeit fehlt mir offensichtlich die Geduld.

Bewertung vom 28.04.2019
Das Verschwinden der Stephanie Mailer
Dicker, Joël

Das Verschwinden der Stephanie Mailer


weniger gut

1994 wurden in der verschlafenen Kleinstadt Orphea vier Menschen erschossen. Nun, 20 Jahre später, will die ambitionierte junge Journalistin Stephanie Mailer den Fall neu aufrollen. Kurz nachdem sie den damaligen Ermittler Jesse Rosenberg mit ihrem Vorhaben konfrontiert, verschwindet Stephanie spurlos.
So könnte ein fulminanter (Kriminal)roman beginnen. Bei den Vorschusslorbeeren, die Das Verschwinden der Stephanie Mailer von Joel Dicker, eingeheimst hat, habe ich mir auch spannende und unterhaltsame Lektüre erwartet. Das Buch beginnt auch durchwegs eingängig. Die Protagonisten werden in mehreren Erzählsträngen vorgestellt, die Ermittlungen damals und die Vorgänge wechseln in zwei Zeitscheinen ab. Doch offensichtlich hat den Autor ein wenig der Übermut gepackt, denn die Nebenstränge werden immer mehr, die Bezüge der handelnden Personen zu Orphea und den Morden 1994 immer konstruierter und abstruser. Manche Szenen wirken so haarsträubend albern, wie eine schlechte Karikatur von Screwball Comedy. Die Personen handeln großteils unlogisch und nicht nachvollziehbar. Die Dialoge muten oft sehr skurril an, es gibt kaum eine Stereotype, die einem Joel Dicker nicht zumutet. Bei der Namensgebung der Personen zeigt Dicker eine besondere Vorliebe: so gibt es einen Buchhändler namens Illinois, eine Mädchen namens Dakota und einen Kellner namens Massachusetts. Ich wartete (vergeblich) auf einen Landstreicher namens Kansas.
Manche Nebenstränge trugen überhaupt nicht zum Handlungsverlauf bei, waren ausschließlich nur nervig, wie die Beschreibung von Jesse Rosenbergs Großeltern. (Zeitweise bin ich sogar auf das Hörbuch umgestiegen, damit ich das Buch durchhalten konnte. Vorgelesen war es inhaltlich einigermaßen erträglich. Ein großes Lob an den Sprecher Torben Kessler)
„Die ganze Welt ist Bühne
Und alle Frauen und Männer bloße Spieler.
Sie treten auf und gehen wieder ab…“ können wir bei Willaim Shakespeare erfahren.
In Orphea dreht sich damals wie heute alles um ein Theaterfestival. Und was da alles in und um Orphea passiert, lässt einen wirklich vermuten, dass Orphea die ganze Welt sei. Korruption, Waffenschieberei, Affären, Prostitution, Mobbing …. Bei all dem Auswurf an Ideen verliert Dicker eines aus dem Fokus: Das Verschwinden der Stephanie Mailer.
Männer und Frauen treten im Übermaß auf und treten wieder ab. Auf über 600 Seiten folgen wir exaltierten Regisseuren, arroganten Literaturkritikern, depressiven Teenagern, nervigen Geliebten, korrupten Politikern etc. bis wir endlich am Ziel anlangen. Die Handlung quillt über, wie der süße Brei. Am Ende wird alles gut. Denn wenn nicht alles gut wäre, dann wäre es nicht das Ende. Und das wäre nahezu nicht aushaltbar.

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Bewertung vom 18.04.2019
Die Mauer
Lanchester, John

Die Mauer


gut

Großbritannien, irgendwann in der Zukunft. Die gesamte Insel ist von einer Mauer umschlossen. Ein mächtiges Bollwerk, bewacht von den „Verteidigern“. Niemand darf in das Land kommen, es ist abgeschottet gegen die Anderen. Die Geschichte beginnt, als der junge Joseph Kavanagh seinen verpflichtenden Dienst auf der Mauer Antritt. Die Schichten sind lang und zäh, es dauert seine Zeit, bis Kavanagh sich in die Hierarchie einordnet und seinen Platz findet.

„Es ist kalt auf der Mauer“

Die Kälte ist das vorherrschende Thema dieses Buches. Für Kavanagh, für seine Kameraden, für die herrschende Macht, die die Verteidiger nach einem Angriff auf die Mauer am offenen Meer aussetzt. Und trotzdem lässt einen die Geschichte irgendwie kalt, lässt den ewigen Kampf „Wir gegen die Anderen“ wie am Beton der Mauer abprallen. Was ist denn überhaupt mit dem Land geschehen? Es gab den „Wandel“, kein punktuelles Ereignis, eher ein Prozess der Veränderung des Klimas, nicht nur des meteorologischen sondern auch des menschlichen. Hitze im Süden gegen Kälte und Fluten im Norden, Flüchtlingsbewegungen gegen Nationalismus. Die handelnden Personen bleiben aber allesamt flach, als ob sie durch die vielen Schichten ihrer kälteabwehrenden Kleidung nicht greifbar werden. Leiden sie gerade noch unter der kargen nackten Atmosphäre der Mauer, fahren sie plötzlich auf Campingurlaub und vergnügen sich. Selbst die Trainingseinsätze erinnern ein bisschen an Räuber und Gendarm Spiele. Die verhängte Strafe nach dem misslungen Einsatz mutet dafür unverhältnismäßig an. Was auch überhaupt nicht aus der Handlung hervorgeht ist, wer denn eigentlich diese „Anderen“ sind? Afrikanische Flüchtlinge, oder doch nur Franzosen. Rein geographisch liegt ja doch ein ganzer Kontinent zwischen Großbritannien und den Brennpunkten im Süden. Wenn die ummauerte Insel aber nur eine fiktive wäre, dann passt ja leider die Brexit Metapher nicht ganz so wie die Faust aufs Auge Irgendwie nahm mir das die Ernsthaftigkeit der Lektüre. Zuviel zusammengemischte Untergangsszenarien, um mich in irgendeiner Weise aufzurütteln.

Bewertung vom 16.04.2019
Was uns erinnern lässt
Naumann, Kati

Was uns erinnern lässt


gut

Milla begeistert sich für „Lost Places“. Bei einer Wanderung im Thüringer Wald stößt sie auf einen verschütteten Keller. Es sind die letzten Überreste eines ehemaligen Hotels, dass sich in der DDR Sperrzone befand. Milla nimmt Kontakt zu den verbliebenen Familienmitgliedern auf und begibt sich dadurch auf eine ganz besondere Reise in die Vergangenheit.
Kati Naumann erzählt in ihrem Roman Was uns erinnern lässt über den Irrsinn und die Willkür der DDR Diktatur und dem Leben von Betroffenen „danach“. In zwei Zeitsträngen – heute und damals – rollt sie die Geschichte der Familie Dressel auf, einst Besitzer des Hotels Waldeshöh. Sie erzählt vom Alltag im Realsozialismus, von Repressalien und widersinniger Bürokratie, aber auch vom Verlust des Zuhauses und den verzweifelten Bemühungen nach Wiedergutmachung. Es ist eine Familiengeschichte voller Höhe und Tiefen, von der Verbundenheit zur Natur und Heimat, von nicht rückgängig zu machenden Entscheidungen. Dabei bleibt das Buch gute und solide Unterhaltungsliteratur, das sich weitestgehend flott und flüssig lesen lässt, ein Stück Zeitgeschichte schicksalhaft verpackt.

Bewertung vom 14.04.2019
Der Wal und das Ende der Welt
Ironmonger, John

Der Wal und das Ende der Welt


gut

St. Piran ist ein kleines verschlafenes Nest in Cornwall. Doch als eines Tages ein fremder Mann, nackt, fast tot, am Strand angespült wird, ändern sich die Dinge in diesem kleinen Dorf grundlegend.
Joe Haak wird von den Menschen in St. Piran gerettet, kurz darauf rettet Joe Haak mit den Einwohnern einen gestrandeten Wal. Joe wird in die Dorfgemeinschaft aufgenommen. Nach und nach erzählt der Autor, wie es Jo überhaupt in diese Ecke der Welt verschlagen hat. Als Mathematiker hat Joe für eine Bank ein Programm mit dem vielsagenden Namen Cassie entwickelt. Doch das Modellieren komplexer Systeme kann möglicherweise das Ende der Welt, wie wir sie kennen vorhersagen. Aber Menschlichkeit ist nicht unbedingt berechenbar. Ist das Leben tatsächlich ein Jenga Turm, der zusammenbricht, wenn ein entscheidendes Teil gezogen wird, drei Mahlzeiten von der Anarchie entfernt?
Muss man Thomas Hobbes Gleichnis vom Leviathan kennen, um diesen Roman zu verstehen? Ich denke nicht. John Ironmonger bedient sich der biblischen Elemente des Leviathans als Symbol für den nahenden Weltuntergang. Mit einem Wal beginnt alles hier in diesem Roman und mit einem Wal endet diese Geschichte auch. Es ist eine ganz seltsame Dystopie, die sich mit einer Dorfromantik vermischt. Weltuntergang mit Wohlfühlcharakter quasi. Nächstenliebe und Menschlichkeit ist ein wertvolles Gut. Doch wie realistisch ist ein Szenario wie dieses in einer Welt, in der Solidarität fast schon ein Fremdwort für unzählige kleine und große Ich-AG ist. So kommt mir diese Geschichte zu romantisch, zu idyllisch, zu kitschig vor, als dass sie mich wirklich nachhaltig beeindrucken konnte.

Bewertung vom 03.04.2019
Niemalswelt
Pessl, Marisha

Niemalswelt


gut

Vor einem Jahr starb Jim Mason unter ungeklärten Umständen. Seine Freundin Bee trauerte lang um ihn. Jeglichen Kontakt zu ihrer früheren Clique hat sie abgebrochen. Doch nun trifft sie wieder auf ihre damaligen Freunde, Whitley, Hannah, Kip und Cannon, und will einen Neuanfang starten, mit verheerenden Folgen. Nach einem Autounfall, glücklich darüber glimpflich davon gekommen zu sein, kehren sie in Whitleys Haus zurück. Da klopft ein Fremder an die Tür.
„Ihr seid alle tot!“, sind seine Worte. Die fünf Jugendlichen befinden sich von nun in der Niemalswelt, zwischen Leben und Tod. Sie erleben ihren letzten Tag wieder und wieder, bis sie sich einigen können, wer tatsächlich überlebt.
Vielleicht lag es am Genre - Niemalswelt ist als Jugendbuch konzipiert - aber auch zum Gutteil an der Handlung, dass ich mich mit diesem Buch nicht anfreunden wollte. Immerhin, die Idee der immer wiederkehrenden Zeitschleife ist nicht neu. Damit konnte uns schon vor einem Vierteljahrhundert Bill Murray und der Murmeltiertag erheitern. In der Niemalswelt ist nun gar nichts lustig, die Protagonisten erleben viele seltsame Dinge. Es schien mir das Gute an einem derart absurd konstruierten Plot, dass die Vorgänge nicht nachvollziehbar sein müssen. In einer Welt, die es nicht gibt, muss nichts Gesetzen der Logik oder Physik entsprechen. Und sollten nicht Jugendbücher eine für junge Menschen positive Identifikationsfigur enthalten? Bee, in ihrer betulichen Art, ihre Freunde nennen sie „Schwester Bee“, war mir dafür zu langweilig. Stil und Sprache sind eher simpel und lebt von Wiederholungen. Einmal, viermal, 10 Mal, wie oft habe ich das nun schon gelesen?
Den Ausflug ins Jugendbuchgenre werde ich wohl so bald nicht wiederholen.