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schreibtrieb

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Insgesamt 174 Bewertungen
Bewertung vom 21.01.2016
Bauer Bernhard. Beamter Kafka
Ferk, Janko

Bauer Bernhard. Beamter Kafka


sehr gut

Janko Ferk, selbst Jurist und Autor, blickt auf Schriftsteller und ihre Zivilberufe. Unterschiedlich, wie die Schriftsteller selbst, sind diese, und so gibt es eine bunte Mischung vom Bauer zum Arzt und Juristen, Beamten und zur Journalistin. Ein kurzes Porträt der Künstler, ein zusammengefasster Lebenslauf und wichtige Werke werden dabei nicht vergessen, so dass das Buch am Ende eine kurze Sammlung Biografien österreichischer Autoren wird.
Das war dann auch für mich die kleine Ernüchterung. Die Berufe spielen in den einzelnen Lebensläufen mal mehr, mal weniger eine Rolle und insofern sind sie eben auch manchmal nur am Rande erwähnt, manchmal dagegen als geradezu entscheidend für die Werdegänge der Autoren. Am längsten verweilt Ferk dazu bei Kafka, der am genauesten betrachtet wird, wohl auch, weil Ferk bereits früher zu Kafka geforscht hat.
Gelungen ist, dass Ferk dabei immer wieder Verweise liefert und keine Spekulationen anstellt. Jedem Autor ist eine Liste von Belegen beigefügt, die jedem Interessierten die Möglichkeit des Nachforschens ermöglichen. Dass in die Liste der Zivilberufe auch Bauer für Bernhard aufgenommen wurde kann indes kritisiert werden, immerhin stellt sich dies eher als Titel denn als Beruf heraus. Neben den Titelgebenden Autoren befasst sich Ferk außerdem mit Grillparzer, Schnitzler, Zuckerkandl, Wildgans, Drach, Mayröcker und Frischmuth.
Angenehm fand ich die Sprache, die locker bleibt, ohne den wissenschaftlichen Anspruch zu verlieren – etwas was gerade deutschsprachigen Wissenschaftlern nicht immer gelingt, aber Ferk ist ja auch Jurist. So liest sich das Bändchen als Unterhaltung und Wissenswertes für Zwischendurch und ist durchaus und gerade auch für den interessierten Laien, der einfach gerne etwas mehr über deutschsprachige und österreichische Autoren erfahren möchte.
Die Auswahl der Autoren finde ich dabei auch interessant. Durchdacht greift Ferk nicht allzu weit in die Vergangenheit und führt einige Autoren an, die noch immer schaffen sind. Dabei lässt er durchaus Leerstellen zu berühmten Schriftstellern, greift dafür aber andere auf, die nicht weniger lesenswert sind.
Etwas blieb Bauer Bernhard. Beamter Kafka hinter meinen Erwartungen zurück, was daran liegen mag, dass ich mir den Fokus auf den Auswirkungen der Berufe für die Autoren – wenn denn schon dieses Thema gewählt ist – einfach etwas genauer gesetzt gesehen hätte. Das Fazit bleibt aber, dass der Band für alle, die sich leicht und locker etwas mehr über einige Autoren informieren wollen, hier gut beraten sind.

Bewertung vom 21.01.2016
Paarungsbereit
Hammann, Kirsten

Paarungsbereit


gut

Julies Verlobter hat von heute auf morgen ab und lässt sie sitzen – in der gemeinsamen Wohnung, mit all seinen Sachen. Um die Miete zu bezahlen nimmt Juli Sune als Untermieter auf. Sune ist Schriftsteller und will endlich den Roman schreiben, der ihn aus dem Schatten ins Rampenlicht befördern soll. Während Juli an sich und ihren Beziehungsqualitäten zweifelt, hat Sune Schreibblockade. Um sich zu inspirieren beginnt er, Juli auszuspionieren und plötzlich sind beide in eine Beziehung geschlittert, die sie doch gar nicht führen wollten.
Skandalös fand ich den Roman nicht. Ja, Sune überschreitet Grenzen, indem er Juli überwacht und ausspioniert. Er geht mehr als einen Schritt zu weit. Doch einen Skandal macht das noch nicht. Auch die mehr oder minder erotischen Sexszenen sind aus meiner Sicht keine Schlagzeile wert. Dafür ist der Stil des Romans zu kühl. Weit gefächert macht der Erzähler auch vor den Toilettengängen der Figuren nicht halt und wirft damit die Frage auf, ob auch das Realismus oder Grenzüberschreitung ist. Aus meiner Sicht eher das erste. Der realistische und dadurch alltägliche Blick auf die Figuren macht den Leser zum Beobachter, etwas wie bei einer Dokumentation und die Rolle des Spions in der Beziehung zwischen Figuren – Erzählern – Autor – Leser ist je nach Perspektive zu vergeben.
Die Geschichte selbst ist dabei relativ unaufregend. Zwei erwachsene Menschen, die sich näherkommen, weil sie zusammenwohnen und durch Umstände schon fast gezwungen sind, eng miteinander zu kommunizieren. Für Julie wie Sune ist diese Situation dabei ungewohnt, denn bisher habe sie immer eine andere Stellung innerhalb der Beziehung eingenommen. Dass sie das Blatt für beide am Ende wendet, ist da das mindeste der Figurenentwicklung, die dabei dennoch sehr flach bleibt.
Kritikwürdig war für mich die aufgezeigten Vorstellungen vom Verhältnis zwischen Mann und Frau. Juli ist sehr konservativ und will unbedingt Mutter werden und Hausfrau sein. Diese extreme Vorstellung der Mutterfigur, die sie verkörpert ist dabei leider immer noch als Beispiel einer Gesellschaft zu verstehen, die Gründe im Zurückdrängen der Frau in ihre Mutterrolle auch gerne an ihrer Biologie versucht festzumachen. Gleichzeitig waren die Szenen, in denen Julie dieser Kinderwunsch zum Wahn gereicht erstaunlich gut, nachvollziehbar und realistisch. Sie ist getragen vom ständigen Wunsch, der stetigen Hoffnung, weil sie glaubt, dann endlich würde etwas Beginnen, dass sie auszeichnet. Dass sie dies auch am Ende nicht als Fehler erkennt und ihr Leben als Leben begreift ist für mich ein großes Manko am Roman.
Gereifter kann dagegen Sune bezeichnet werden, der den Status des immergeilen Selbstbefriedigers nicht nur sporadisch abwirft, sondern in der Beziehung mit Juli tatsächlich die Würde seiner Freundin zu verstehen lernt – nur nicht wirklich zu würdigen. Die Bestrafung folgt hier allerdings auf dem Fuße. Vertrauen soll nicht missbraucht werden, es gibt Grenzen, die es nicht zu überschreiten gilt.
Angelehnt ist die Geschichte dabei oft an eine Telenovela, in der Juli sich mit den Launen ihres Schicksales gefangen sieht. Der Abspann ist darum meiner Meinung nach gut getroffen und macht die Geschichte wieder realistisch. Zwischen all diesen Extremen gefangen ist der Roman durchaus interessant, aber nicht für jeden geeignet. Der kühle Stil machte mir zu schaffen, die detaillierte Beschreibung des Alltags ufert in einem langwierigen Lesen und hält nur hier und da die eigentlichen Punkte bereit. Vielleicht wissen eifrige Leser der dänischen Literatur das Buch mehr zu würdigen.

Bewertung vom 21.12.2015
Der Dinge-Erklärer - Thing Explainer
Munroe, Randall

Der Dinge-Erklärer - Thing Explainer


ausgezeichnet

Randall Munroe, der mit What if bereits einen Hit gelandet hat, wagt hier ein einfaches wie schweres Experiment. Mit den 1000 meist gebrauchten Wörtern erklärt er komplizierte Angelegenheiten. Vom Bleistift bis zur tektonischen Plattenverschiebung, Weltraumfahrten, Waschmaschine, Mikrowelle und Benzinmotor. Und noch mehr. Wo ihm die 1000 Wörter nicht reichen weicht er auf Umschreibungen aus, oder kombiniert die Wörter zu neuen. So wird der Mars zum kleinen roten Planeten, die neun zu „eins mehr als acht“ und die Waschmaschine zur „Box, die Kleidung gut riechen lässt“.

Doch auch diese Worte sind nicht mehr als Einwort-Erklärungen, Zuschreibungen zu absolut ausführlichen Bauplänen und Skizzen, die vorgestellten Gegenstand zeigen. Die Kombination aus einfachen Wörtern und komplexen Zeichnungen führt uns den Spiegel vor und zeigt, dass wir einfache Dinge eigentlich oft mit Absicht kompliziert reden, um ihre Komplexität zu verdeutlichen, in Wirklichkeit aber selten eine Ahnung haben, wie das Ding eigentlich überhaupt funktioniert. Dabei könnte es so einfach sein, so klar, so deutlich, nicht weniger komplex, aber verständlich.

Natürlich sorgen gerade die Beschreibungen und kinderähnliche Wortneugebilde wie Flugbox oder Wasserbox für Schmunzler. Doch gerade dadurch bricht unsere vorgefertigte Denkweise auf und lässt zu, die Dinge mit anderen Augen und einem neuen Blickwinkel zu betrachten – und zu verstehen. Dabei finde ich es nicht nur genial, dass komplizierte Gegenstände so heruntergebrochen werden, ohne versimpelt zu werden, dass auch Kinder einen Zugang dazu finden, sondern dass auch wir Erwachsene mit einem Augenzwinkern gezeigt bekommen, wie die Gegenstände unseres Alltags so funktionieren. Plötzlich scheint alles einfach.

Selbst so abstrakte Dinge wie das Periodensystem lässt Munroe nicht außen vor und beweist, dass Nomen Omen ist und wir uns unsere Welt eben selbst komplex reden. Gerade hier sagt der Name der Elemente ja selten etwas über deren Eigenschaft aus und sind fast schon arbiträr. Noch ein Grund, warum ich mich an den Zeichnungen nicht satt sehen kann: es gibt immer wieder neues zu entdecken, einen kleinen Hinweis, ein Wort, eine Bezeichnung, die lustig ist, die lehrreich ist, die beides zugleich ist.

In der deutschen Übersetzung haben Benjamin Schilling und Ralf Pannowitsch dafür etwas getrickst. Sie haben nicht Wort für Wort übersetzt, sondern ihrerseits versucht, die 1000 meist gebrauchten deutschen Wörter zu verwenden, was so nicht ganz funktioniert hat. Also haben sie aus der Liste einige gestrichen und dafür andere ergänzt. Um manche Witze beizubehalten, haben sie auch auf die Verwendung des deutschen Äquivalent verzichtet. Meiner Meinung nach sehr gelungen und passend getroffen.

Ein wirklich geniales Buch, dass jung wie alt begeistern wird, dass für jeden geeignet ist. Für die, die schon alles zu wissen glauben und jene, die erst anfangen die Welt zu entdecken, für Leser und Schauer, für Interessierte und Gemütliche. Ich liebe es.

Bewertung vom 20.12.2015
Frühstück mit Sophie
Bentz, Jennifer

Frühstück mit Sophie


ausgezeichnet

Louisa hat ihr Leben genau durchgeplant und sich immer auf die sichere Seite gesetzt. Eine unaufregende Beziehung, ein täglicher Brotverdienst, alles in Ordnung und bloß keine Risiken. Doch dann fällt ihr Plan in sich zusammen und mit einem Mal findet sie sich in einer Rentner-Studenten-WG wieder, bei der Hanf auf dem Balkon wächst und ein gemeingefährlicher Papagei im Waschraum wohnt. Dabei will Louisa eigentlich nur zurück in ihr sicheres Leben und zu ihrem risikolosen Plan.

Das Buch startet mit einem Haufen Klischees. Der spießigen Angestellten, die ihre Beziehung gerade deswegen liebt, weil sie so emotionslos ist. Die am Valentinstag dem Kellner verspricht, keine Aufregung zu verursachen. Und prompt von ihrem Freund eine Hiobs-Botschaft serviert bekommt, mit der sie weder gerechnet hat, noch umzugehen weiß. Dass sie am nächsten Tag die gemeinsame Wohnung verlässt ist dann auch weniger eigener Antrieb, als das Mitgerissen werden von der Feministin Lea. Überhaupt denkt Louisa viel, handelt aber wenig.

Dass sie aus diesem Trott ausbrechen kann und Freiluft schnuppert ist der neuen Umgebung und vor allem Sophie zu verdanken, die als Rentnerin ihren Traum vom Schauspielstudium angeht und dabei noch als Dauer-Mamafigur Louisa ein ganz anderes Leben vorlebt, als diese es gewohnt ist. Dabei tritt auch Sophie dem ein oder anderen auf den Schlips, ist aber nicht bereit, Abstriche zu machen. Immerhin sieht das Leben aus der „gealterte“ Perspektive noch einmal ganz anders aus. Warum noch warten, wenn das „geordnete“ Leben doch bereits hinter ihr liegt?

Ja, es prallen Welten aufeinander, doch Louisa sucht sich darin vor allem selbst, probiert anderes aus, gewagtes, illegales. Kontrastprogramm. Und nein, sie wandelt sich nicht, nicht um 180 Grad, kann ihr altes Kostüm eben nicht mal eben so schnell ablegen. Das ist das gelungene an dem Buch. Es sagt nicht: Es ist so leicht, glücklich zu werden. Sondern zeigt, dass auch zum Glück Arbeit und Mut gehören und Glück im Auge des Betrachters liegt. Was der eine in der Schauspielerei sieht, sind dem anderen eben Zahlen.

Louisas Selbstfindungstrip ist darum auch eher ein Selbsterkennungstrip, ein Anerkennungstrip, denn eigentlich weiß sie längst, was sie will, sie hatte nur nie den Mut, die damit verbundenen Risiken einzugehen. Stattdessen hat sie zehn Regeln, die sie strikt befolgt hat, um ein sicheres Leben führen zu können. Und nun werden diese Regeln angezweifelt. Nicht, weil Louisa aufhört, spießig zu sein, sondern weil sich ihre schwarz-weiße Weltsicht in Graustufen schattiert. Das ist gelungen, das ist gut zu lesen, witzig und emotional, kitschig, klischeehaft und trotzdem ungewöhnlich.

Denn nicht nur Louisa lernt hier einiges dazu und schafft es, eine Entwicklung durch zu machen, auch Lea und Sophie, Paul und Ben lernen dazu. Die Nebenfiguren sind eigenständig, haben ihre eigenen Geschichten und Päckchen zu tragen. Das macht das Buch voller, schöner zu lesen und lebensechter.

Mir hat Frühstück bei Sophie sehr gut gefallen. Ja, Louisa torkelt von einem Kerl zum nächsten, aber im Grunde geht es ihr nicht darum, das ist, das merkt der aufmerksame Leser schnell, Beiwerk. Denn tatsächlich verliebt Louisa sich zum ersten Mal in sich selbst und erkennt, dass ein sicheres Leben und ein wertvolles Leben eben manchmal auseinanderdriften. Hier liegt das Lesenswerte. Louisa geht es am Ende nicht wirklich um die Männer in ihrem Bett, sondern um ihr eigenes Glück. Und diese Erkenntnis ist Gold wert.

Bewertung vom 15.12.2015
Die Spinne / Mystery Diaries Bd.2 (eBook, ePUB)
Jungwirth, Xenia

Die Spinne / Mystery Diaries Bd.2 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Beim Joggen im Park wird Megan von einer Spinne gebissen. Doch die Wunde ist mal verschwunden, mal schmerzt ihr Bein und ist geschwollen. Außerdem sieht Megan plötzlich überall Spinnen, in ihrer Wohnung, in der Uni, in ihren Träumen. Die Spinne verfolgt sie regelrecht. Ihr Freund glaubt ihr einfach nicht und nur ihre Hausärztin geht der Sache auf den Grund.
Diesmal bin ich wirklich begeistert. Den ersten Band fand ich schon gut, aber etwas Romantik-lastig. Das ist hier nicht der Fall. Megans Beziehung spielt zwar eine Rolle, aber keine zu dominante, so dass die Spannung im Vordergrund steht. Und die ist sehr gut ausgebaut. Megans Angst entsteht erst im Verlauf der Geschichte, wächst, wird zu einer richtigen Panik und Hysterie. Dass der Leser dies mitverfolgen kann und dabei Megans Gedankenwelt kennt, feuert die Spannung immer wieder an.
Dabei ist der Stil zielgenau und treffsicher. Ohne unnötige Schnörkeleien, aber keinesfalls kalt und trocken baut die Autorin in wenigen Seiten eine ganze Geschichte auf, der es an nichts fehlt. Dabei eine Identifikationsfigur in der Protagonistin zu schaffen ist nicht leicht, aber erstaunlich gelungen umgesetzt. Selbst die Nebenfiguren bleiben nicht nur eindimensional, sondern entfalten sich, soweit es eben innerhalb der kurzen Geschichte möglich ist.
Begeistert war ich aber vor allem, wie detailliert Megans Panik ausgeführt wird. Ich habe ja so gar keine Angst vor Spinnen, verstand aber sofort Megans aufkeimende Sorge und die Beunruhigung, die sie durch die immer wieder auftauchende (und verschwindende) Wunde erfasst und durch das plötzliche Umgebensein von Spinnen nur noch verstärkt wird. Das ist wirklich toll ausgearbeitet und sofort verständlich. Auch Megans eigene Besorgnis, dass sie verrückt wird, weil sie sich selbst nicht mehr versteht, wird wirklich gut gezeigt.
Gelungen ist auch, dass ihr trotz der Kürze der Geschichte erlaubt wird, einen Irrweg zu gehen und eben nicht geradewegs zum Ziel zu kommen. Das sorgt für einen Überraschungseffekt und mach Die Spinne nicht nur zur seichten Lektüre für zwischendurch. Das wäre auch wirklich schade, denn im zweiten Teil der Mystery Diaries zeigt sich meiner Meinung nach noch viel mehr, was alles in der Autorin steckt und macht die Reihe erst so richtig interessant. Gerne mehr davon!

Bewertung vom 10.12.2015
Stadt der verschwundenen Köche
Weber, Gregor

Stadt der verschwundenen Köche


sehr gut

Carl Juniper ist Schiffskoch und genötigt auf einem alten Kahn anzuheuern, der prompt untergeht. Als einziger überlebt Juniper, nur von einem Meeresstrudel erfasst zu werden. Doch plötzlich ist er nicht mehr im Ozean, sondern prallt auf den harten Boden des Greenwich Parks in London. Dort stellt er fest, dass alles sich verändert hat. Kinder werden vom Staat erzogen, Arbeiter ackern stupide vor sich hin und Essen gibt es nicht mehr, nur noch Einheiten, ein angerührter, geschmackloser Brei. Erst als Juniper in eine geheime Küche stolpert findet er den Genuss und seine Lebensfreude wieder und trifft obendrein die Liebe seines Lebens. Aber Köche sind zu einem Leben im Untergrund verdammt und stets in der Gefahr, entführt zu werden.
Ein Leben ohne Essen, ein Leben ohne Kochen, ohne Geschmack und Genuss. Gerade zur Weihnachtszeit klingt das für mich so furchtbar wie einleuchtend. Neid und Ehrgeiz wird gleichermaßen unterdrückt, der Mensch selbst zu nicht mehr als einer Einheit gemacht, die produzieren soll. Eine Erlösung, ein Etwas, auf das hingearbeitet wird, gibt es in dieser Welt nicht. Die Arbeiter bekommen von der Oberschicht nichts mit und stellen auch keinerlei Fragen. Sie haben das Nachdenken selbst schlicht vergessen.
Und ausgerechnet ein Schiffskoch, der sich Zärtlichkeiten bei Hafenhuren sucht und gerne mal einen über den Durst trinkt landet in dieser Welt. Diese Mischung aus Seemann und eben auch nicht Seemann, denn Juniper hat vom Seefahren selbst keinerlei Ahnung, macht ihn bereits zum Zwitterwesen. Genauso die Leidenschaft für das Meer und der stille Traum, irgendwann irgendwo mit einer Frau sesshaft zu werden. Von Anfang an, so kam es mir vor, wandelt Juniper zwischen den Welten, was die Reise in die zweite Welt nur verdeutlicht.
Denn auch dort kommt Juniper nach anfänglichen Schwierigkeiten ganz gut zu Recht, findet sich ein in den Alltag aus Arbeit, Tageskarten und den immer gleichen Einheiten. Er lebt und lebt doch nicht. Das Entdecken der Küche ist wie ein Erwachen für ihn. Eine Bestätigung, dass er sich sein bisheriges Leben nicht nur eingebildet hat, eine Art Wiedergeburt, als Mensch und als Koch. Und als Liebender.
Die zwei Welten sind hier gleichzeitig getrennt und doch verwoben. Der Zugang durch das Gefühl des Ertrinkens und durch das Wasser selbst ist im Grunde das einzige fantastische Element. In der Parallelwelt, die genauso gut eine Zukunftsvision sein könnte, arbeitet alles mit Dampf, Elektrizität existiert nahezu nicht. Die Luft beißt und die vielen Fabriken erinnern an die industrielle Revolution. Darin ist Juniper, hier wir dort, zwischen seinen Erinnerungen und denen seiner Umwelt gefangen, gehört nirgends ganz dazu und sucht sich doch immer einen Platz – über das Kochen.
Dabei lässt der Erzähler durchblicken, dass er durchaus in der Lage wäre, die entscheidende Frage des Endes zu beantworten, ist er doch nur scheinbar personal und driftet hier und da zu anderen Personen ab, wirft neue Erzählstränge auf, die ohne Ende bleiben, und erschafft ein Mysterium, das den Leser noch lange nach der letzten Seite beschäftigt. Das Ende ist, wie vielen an dem Roman, reine Ansichtssache, dem fantastische positiven oder realistisch nüchternem Blick des Lesers überlassen.
So gelungen dies auch ist und so sehr mich die Geschichte gefesselt hat, bleiben Ungereimtheiten und Leerstellen, diese kleinen Momente der Irritation, die dieses gute Buch von einem brillanten trennen. Vielleicht eine große Stärke des Romans aber am Ende eben auch seine Schwäche. Dennoch lege ich das Buch allen, die gerne lesen und leben, gerne kochen und genießen, gerne in andere Welten abtauchen, ohne gleich Vampirzähne sehen zu wollen, ans Herz. Es ist es wert, gelesen zu werden.

Bewertung vom 07.12.2015
Ein letzter Tag Unendlichkeit
Deprijck, Lucien

Ein letzter Tag Unendlichkeit


ausgezeichnet

Der Dichter Klopstock ist in Zürich und wünscht sich die Gesellschaft von jungen Damen. Gar nicht so leicht in der sittenstrengen Schweiz, in der die unverheirateten Frauen mit keinem Mann allein sein dürfen. Hirzel, Klopstockbewunderer, plant deshalb eine Lustfahrt mit jungen Paaren und Alleinstehenden, bei der die Partner schon zu Beginn per Zufall getauscht werden. Und mittendrin der bewunderte Dichter, der von einer jungen Frau ganz besonders verzückt ist.
Ein letzter Tag Unendlichkeit knüpft an eine wahre Begebenheit an. Die Lustfahrt hat tatsächlich stattgefunden und der Autor, selbst studierter Germanist, der als Journalist und Übersetzter arbeitet, rekonstruiert die Begebenheiten anhand von Aufzeichnungen und Briefen der Mitgefahrenen. Dass hier und da künstlerische Freiheit ausschmückt, lässt er dabei nicht verborgen. Dennoch schwingt auch beim Lesen ab und an durch, dass die Worte einer subjektiven Aufzeichnung nachempfunden sind. Mitunter verschachtelt sich dadurch die Erzählung, was irritieren kann.
Die Sprache ist dabei wirklich schön. Leicht der historischen Begebenheit angepasst und gerade dadurch lässig dem immer wieder nach mehr schreiendem modernen Stil gegenüberstehend hat sie nicht nur einen Hauch von Geschichte, sondern auch von Klassik anhaften. Trotzdem oder gerade darum ist sie gut und flüssig zu lesen und passt zur Geschichte selbst wunderbar. Die Annäherung an die Geschehnisse ist dadurch vereinfacht und das Zurechtfinden in der sittlichen Epoche wird erleichtert.
Fast als krasser Gegensatz dazu ist mitunter der Inhalt selbst. Klopstocks Verhalten wird immer forscher, unverschämt und von einer männlichen Dominanz getrieben, die das Weibliche per se begehrt, die eigenen Bedürfnisse aber voranstellt, (was durchaus historisch gesehen kein Bruch mit der Norm ist). Hier wird kein Dichter ideologisiert und auf ein Podest gehoben, sondern ein „Superstar“ enttarnt und vermenschlicht. Enttäuschung wird sichtbar, gerade bei der jungen Frau, der Klopstock Avancen macht. Die krasse Realität und Fehlerhaftigkeit des verehrten Charakters wird deutlich. Der Dichter ist auch nur ein Mensch.
Durch die Lustfahrt als Tagesausflug umrahmt gewinnt die Geschichte so eine eigene Spannungskurve, die von Begehren, Hoffnung, Enttäuschung und Verlust erzählt und ohne fulminantes Ende auskommt, aber keineswegs langwierig oder fade wirkt. Die Entwicklung der Fahrt paart sich mit der Entwicklung der kleinen Liebesgeschichte und der Entwicklung des Enttarnens. Dabei verschleiert der Autor nichts und dichtet selbst an den passenden Stellen durchaus sinnhafte Bezüge dazu, ergänzt das ein oder andere Ereignis, was sich so nahtlos in die Erzählung einpasst, dass erst der Hinweis zum Schluss, was nun Dichtung und was Wahrheit ist, Aufklärung bietet.
Mir hat das Buch sehr gut gefallen. Es ist eine gelungene Erholung zur modernen „sensationsreichen“ Publikumsliteratur und natürlich auch für die Germanistin in mir interessant. Ein gutes Buch, dass ich jedem, der nicht nur seichte Unterhaltung mag und gerne auch reale historische Bezüge in seinen Büchern weiß, ans Herz legen kann.

Bewertung vom 04.12.2015
Eine Mama am Rande des Nervenzusammenbruchs
Massek, Nina

Eine Mama am Rande des Nervenzusammenbruchs


gut

Gleich als ironisch und nicht so ganz ernst zu nehmen entblößt berichtet die Ich-Erzählerin von Flunkereien, die sie in ihre Erziehung einflechtet, die ihr eigentlich helfen sollen und am Ende dann doch eher aufgedeckt werden. Der vorwitzige Grundschüler, die tränennahe Vierjährige und der stets entspannte Ehemann stehen dabei mal an ihrer Seite, mal ihr gegenüber.
Viel Witz und Humor wird dementsprechend versprochen, immerhin ist die Autorin aus ihrem Blog bekannt. Nun ja, zumindest etwas lustig war das Lesen. Der große Witz blieb aber aus, wird die Erzählung doch immer dann, wenn ich meinte, jetzt müsste aber der Clou kommen, fallengelassen, um einer anderen Episode zu weichen, die zwar oft auf das eigentliche Thema zurückführt, die Pointe aber auch nicht beinhaltet. Im Grunde wird die Mutter hier zu Lügenbaronin, die wenig Phantasie hat und egoistisch veranlagt ihre Kinder zwar liebt, ihnen aber die Gummibärchen nicht gönnt.
Ja, das Klischee der „Mutter“ wird hier mal wieder ausgeschlachtet. Vom Fernsehkonsum, Süßigkeitengenuss, Haustiersegen und Putzfimmel findet sich hier alles. Mutter ist dann auch noch heimarbeitend, bzw. nur teilweise im Büro, so dass ihr das Häusliche zugesprochen wird. Der Vater dagegen träumt von Luxus-Möbeln und Trüffelhobeln. Auch hier also regiert das Klischee. Auf welche „lahmen“ Ausreden dieses Paar dann kommt, wenn der Älteste beim Liebesspiel reinplatz hat mir dann kaum ein Gähnen entlockt. Pardon, nicht mein Humor, nicht meine Welt.
Was das Büchlein aber zeigt, ist, dass niemand, auch Mama nicht, perfekt ist oder sein muss. Die Eigenarten der Eltern bereiten Kinder immerhin auf die Marotten der gesamten Welt vor. Oder so ähnlich. Denn auch wenn die Erzählerin keineswegs ihre Mängel den Lesern verschweigt, will sie sie vor den Kindern geheim halten. Und am liebsten auch vor den anderen Eltern. Angenehm hierbei, dass selbst die super Spielplatzmama mit Mängeln ausgestattet wird und vermenschlicht kein zwanghaftes Feindbild ist, wie in vielen anderen Mama-Büchern.
Eher ein bescheidener Lesegenuss aus meiner Perspektive. Der versprochene Humor ist in homöopathischen Dosen vorhanden, die Ausreden sind nicht wirklich kreativ und mäßig amüsant. Eine Allergie gegen Goldfische und grüne Haare bei blonden Mädchen sind Argumente, die ja auch nur kurzfristig wirken. Für übermüdete Mütter, die einfach mal was Oberflächliches zum Kichern brauchen kann das Buch tatsächlich eine gute Idee sein, für alle, die wirklich lachen wollen, glaube ich nicht.

Bewertung vom 02.12.2015
Das Feuerzeichen Bd.1
Haig, Francesca

Das Feuerzeichen Bd.1


sehr gut

Nach einer Katastrophe werden auf der Erde nur noch Zwillinge geboren, immer ein Mädchen und ein Junge, verbunden auf Leben und Tod. Doch während einer immer gesund und „vollständig“ ist, ist der zweite Zwilling immer beeinträchtigt. So auch Cass, die ihre Seher-Gabe erst mit dreizehn nicht mehr vor ihrer Familie verstecken kann. Dann aber wird sie, wie alle Omegas gebrandmarkt und muss ihre Familie verlassen. Denn die gesunden Alphas grenzen die Omegas aus und treiben Steuern von ihnen ein. Cass beginnt ein neues Leben und ihr Zwillingsbruder Zach steigt auf, immer mit der Wut auf seine Schwester im Bauch, denn in den Jahren der Ungewissheit wurde auch er ausgegrenzt. Eines Tages lässt er Cass gefangen nehmen und eine andere Seherin, die Beichtmutter, versucht mit Hilfe von Cass eine geheime Insel zu entdecken, auf der die Omegas einen Wiederstand aufbauen. Cass flieht, aber kann sie sich vor ihre Bruder und der Beichtmutter überhaupt verstecken?
Die Verbindung zwischen den Zwillingen und die gleichzeitige Feindschaft zwischen ihnen finde ich wirklich interessant. Das symbolhafte „Sich selbst hassen“ durch die elementare Verbindung und die scheinbare Gegensätzlichkeit der Zwillinge hat mich sehr fasziniert. Der starke Kontrast, der nicht nur durch die physischen Gegensätze, sondern auch durch die unterschiedlichen Geschlechter gezeigt wird ist dabei eine Verstärkung, die aber durch die Symmetrie zwischen den Geschwistern wieder aufgehoben wird. Dieses Hin und Her bestimmt auch das Buch, das durch die Liebe und die Furcht zwischen den Zwillingen bestimmt wird.
Der Plot ist verzweigt und kommt über Stationen zum Ziel, zeig aber so die diversen Unterdrückungen, denen die Omegas ausgesetzt sind. Gleichzeitig wird ihre Normalität aufgezeigt und eine Identifizierung erzeugt. Der Leser fühlt sich den Omegas dadurch schnell näher als den Alphas, die im ersten Moment als herzlos und ignorant erscheinen. Erst in einem weiteren Schritt wird auch dies aus den bereits bestehenden Normen abgeleitet und der Propaganda durch den Rat, dem auch Zach angehört.
Etwas schwer zu verstehen war dabei, wie Cass sich ihre Naivität beibehalten konnte und diese unumstößliche Geschwisterliebe empfindet. Nach allen Entbehrungen und dem, was Zach ihr angetan hat, ist dieser Glaube an das Gute im Inneren zwar lobenswert, aber nicht unbedingt nachvollziehbar. Gerade auch, weil er sich so konträr entwickelt hat und das, was für Cass gemeinsame Erinnerung ist, für ihn einfach anders gewesen sein muss.
Schwierig ist für mich auch der Stil, der teilweise wirklich gut ist, an anderer Stelle und gerade am Anfang aber sehr hypothaktisch und dann auch wieder sehr beschreibend. Das wandelt sich zwar immer mal wieder, aber diese schwachen Stellen bleiben für mich bestehen und lassen in dem sonst so gut geschriebenen Roman einfach fahle Strecken auftauchen. Ansonsten nämlich ist der Stil packend und spannend mit anschaulichen Metaphern und gelungenen Szenen.
Vor allem aber ist die Geschichte interessant und kommt zwar in sich zu einem ersten Etappenschluss, aber zu keinem Ende, was das Buch stimmig macht und gleichzeitig das Interesse am nächsten Band schürt. Für Freunde von Dystopien gut geeignet. Keine kitschige Liebesgeschichte, die die eigentliche Handlung überdeckt, keine Selbstinszenierung, sondern einen gesellschaftlichen Kampf, der plausibel und tiefsitzend ist. Ich bin gespannt, wie es weitergeht!

Bewertung vom 28.11.2015
Das Mädchen mit den blauen Augen
Bussi, Michel

Das Mädchen mit den blauen Augen


sehr gut

Bei einem Flugzeugabsturz werden alle Insassen getötet. Allein ein drei Monate altes Baby scheint auf wundersame Weise überlebt zu haben. Doch auf der Passagierliste standen zwei Säuglinge und beide Großelternpaare beanspruchen das überlebende Kind für sich. Ein Richter entscheidet, doch die andere Seite setzt einen Privatdetektiv an, der achtzehn Jahre hat, irgendeinen Beweis für die Identität des Kindes zu finden. Er scheitert. Erst kurz vor Ablauf der Frist findet er, was er all die Jahre gesucht hat. Lylie – das Mädchen, das überlebt hat, hadert währenddessen mit ihrer doppelten Identität und ihren Gefühlen. Wer ist sie? Und was wird sie werden? Sie verschwindet und Marc, ihr Bruder und Geliebter macht sich auf, das Rätsel zu lösen.
Klingt schon sehr krimilastig? Ist es am Ende dann auch. Ein wirklich gelungener Krimi, muss ich zugeben. Spannend, mit gut gezeichneten Figuren und einer gut durchdachten Kombination. Kleinere Rätsel, die mal mehr, mal weniger wichtig für den Verlauf der Geschichte sind, erzeugen zusätzlich Spannung, lenken auch mal ab und führen auf falsche Fährten. Die mehrfache Erzählform durch den auktorialen Erzähler, der einen personalen mimt und dabei mehrere Figuren begleitet und das Tagebuch des Detektivs, das in der Ich-Form geschrieben ist, bieten Abwechslung im Lesefluss und stören ihn gleichzeitig auch nicht. Die verschiedenen Stränge werden nicht gänzlich zusammengeführt, sondern manche werden auch einfach enden gelassen, was einem Auf und Ab gleicht und die Konzentration des Lesers auf das eigentlich Wichtige vielleicht abschwächt und somit auch die Lösung des Rätsels etwas länger verbogen bleiben lässt.
Das ist gut, denn allzu schwer ist es dann am Ende doch nicht, dem Erzähler eine Nasenlänge voraus zu sein. Die (vielleicht) inzestuöse Beziehung zwischen Marc und seiner (vielleicht) Schwester feuern Marcs Interesse an, seine Schuldgefühle und die Liebe zu Lylie pendeln sich gegeneinander aus. Vielleicht der richtige Antrieb für die Figuren, den Weg bis zum Schluss zu gehen, für mich bleibt es auch am Ende ein Irritationspunkt. Auch ein Beweismittel, das das Baby identifizieren hätte können, aber verschwunden ist, sehe ich für mich als unlogisches Detail im Buch. Schwierig hier nicht zu viel zu verraten. Nur so viel: Am Ende wäre es nur umso logischer gewesen, wenn das Teil beim Kind gefunden worden wäre. Ich möchte es nicht zwangsläufig einen Fehler im Buch nennen, doch für mich ist es in der Ereigniskette der Geschichte einer.
Der Stil ist dabei wirklich gut. Ich flog über die Seiten und hatte – trotz Krimi – wirklich meinen Spaß an der Sache, wahrscheinlich auch, weil die Suche nach der Identität mich immer schon bewegt hat und hier an der Wurzel quasi gepackt wird. Wer bin ich, wenn ich nicht weißt wer ich bin und wie reagiert meine Umwelt darauf. Als Monster sieht Lylie sich und die Ungewissheit lässt sie bis zum Äußersten gehen.
Wer Krimis mag, wird Das Mädchen mit den blauen Augen lieben. Und wer sie nicht unbedingt mag, sollte dem Buch durchaus eine Chance geben. Nahezu schlüssig – was ich selten erlebt habe – und mit interessanten Wendungen und Ereignisketten gefüllt ist es wirklich ein kurzweiliges Lesevergnügen.