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Lenasbuecherlounge
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Köln

Bewertungen

Insgesamt 674 Bewertungen
Bewertung vom 14.01.2024
Etwas verborgen Schönes
Jensen, Arne

Etwas verborgen Schönes


ausgezeichnet

Ottilie Rabe ist 94 Jahre alt, als sie beschließt, sich ihrer Vergangenheit zu stellen und ein gut gehütetes Geheimnis ans Licht zu bringen. Gleichzeitig möchte sie die Aufklärung der ungeklärten Todesumstände ihres Vaters vorantreiben und ihr Erbe regeln. Dazu versammelt sie im Sommer 2022 ihre Familie um sich, zu der sie zu einem Großteil seit Jahren keinen Kontakt mehr hatte.
Der Roman handelt auf zwei Zeitebenen - im Jahr 1944, als Lilis Vater, ein hochrangiger Gestapo-Offizier tot aufgefunden wird und sie unter Verdacht gerät und im Jahr 2022, als die weit verzweigte Familie Rabe sich auf Gut Torchau versammelt und gebannt auf Lilis Enthüllungen ist.
Der Schwerpunkt der Handlung liegt zunächst auf der Gegenwart, die aus der Ich-Perspektive von Lilis Enkelin, Naira, geschildert ist. Sie hat ein enges Verhältnis zu ihrer Oma, macht sich einerseits Sorgen, dass die Konfrontation mit der Vergangenheit zu belastend für die alte Frau sein könnte, ist aber auch neugierig auf ihre Geschichte und den Familienclan, der sich - mutmaßlich auch aufgrund eines zu erwartenden reichen Erbes - bereitwillig in der Uckermark und Berlin einfindet.
Die Treffen stehen unter Spannungen, hat doch jeder andere Erwartungen und nicht mit den Erkenntnissen gerechnet, die ein Kriminalkommissar aD, der alte Unterlagen zu den Ermittlungen im Fall Rabe ausgewertet hat und in diesem Zusammenhang Lilis Geheimnis enthüllen muss, darlegt.
Die Vergangenheit nimmt erst nach den ersten Begegnungen der Familie mehr Raum ein und wird überwiegend aus der Perspektive des Kriminalrats Werner Beltheim geschildert, der auf sympathische Weise nicht systemtreu ist und nicht daran glaubt, dass die offensichtlich tatverdächtige 16-jährige Ottilie ihren Vater auf dem Gewissen hat.
"Etwas verborgen Schönes" ist eine spannende Mischung aus Familiengeschichte, Kriminalroman und Historienschmöker. Die Charaktere sind vielfältig und authentisch gezeichnet und der Plot bietet überraschend Neues. Er handelt nicht nur von der Aufklärung einer fast 80 Jahre ungesühnten Tat und der Zusammenführung einer vielschichtigen Familie, sondern insbesondere auch von Fragen der Herkunft, Identität, von Toleranz, Menschlichkeit, Freiheit und dem Recht auf Selbstbestimmung. Ideologische Fragen, Fragen zu Rassenhygiene und Moral geben insbesondere dem Erzählstrang der Vergangenheit Tiefe, die die düstere deutsche Geschichte in den Fokus nimmt und viel mehr ist als nur Ermittlungen zu einem Tötungsdelikt.
Der Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit sorgt für Spannung, denn das Finden der Wahrheit erfolgt damit nur etappenweise.
Auch wenn es in der Gegenwart während der Diskussionen der Familienmitglieder einzelne Längen gibt und die Vielzahl der Personen, die das Geflecht etwas undurchschaubar und nicht unbedingt notwendigerweise kompliziert machen, ist es eine berührende und fesselnde Geschichte über die Suche nach Wahrheit, Gerechtigkeit und Akzeptanz.

Bewertung vom 10.01.2024
LITTLE LIES - Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht
Miranda, Megan

LITTLE LIES - Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht


gut

Leah steht vor einem Neuanfang, lässt ihr altes Leben in Boston als Journalistin hinter sich und zieht zusammen mit ihrer Freundin Emmy nach West Pennsylvania aufs Land, wo sie als Lehrerin an einer Schule anfängt. Emmy arbeitet nachts in einem Motel, weshalb sich die Freundinnen im Alltag kaum sehen. Aus diesem Grund fällt Leah auch erst auf, als Emmy mit der Miete in Rückstand ist, dass sie sie schon seit Tagen nicht mehr wahrgenommen hat. Zeitgleich wird eine junge Frau schwer verletzt in der Umgebung aufgefunden, die Leah zum Verwechseln ähnlich sieht. Verdächtigt wird zunächst ein Kollege aus der Schule, von dem sich Leah belästigt fühlte, was sie jedoch nicht zur Anzeige gebracht hat.
Als die Polizei ermittelt und auch Leah befragt, macht sie sich auf die Suche nach Emmy und erkennt, dass sie ihre Freundin gar nicht wirklich kannte.

"Little Lies - Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht" (im Original "Perfect Stranger" - warum den englischen Titel ändern?) ist mehr ein Spannungsroman als ein Thriller, denn die Bedrohung ist eher hintergründig und die Gefahr lauert mehr hinter der Vergangenheit der Protagonisten.
Der Roman ist aus der Ich-Perspektive von Leah geschildert, so dass man auch als Leser nur ihre Wahrheit kennt und sich derer nie gewiss sein kann. Erst allmählich erfährt man, was Leah dazu bewogen hat, ihre Heimat zu lassen und wie ihr Verhältnis zu Emmy ist.

Wie die Charaktere ist auch die Handlung undurchsichtig. Es ist lange unklar, welche Rolle die Vergangenheit spielt, wer Opfer und wer Täter ist und wer wen für welche Zwecke manipuliert. Trotz der aufgefundenen schwer verletzten Frau, einer Leiche und dem Verschwinden Emmys sind die Ermittlungen der Polizei nicht im Vordergrund. Als Leser begleitet man einzig Leah bei ihren Nachforschungen, die Stück für Stück ergeben, dass ihre Freundin sie belogen hat.
Was hinter den Verbrechen steckt und inwiefern Leah sich selbst schuldig gemacht haben könnte, bleibt bis zum Ende spannend.

"Little Lies" handelt von Vertrauen und Wahrheit, von dem Bild, das wir uns von anderen Personen machen und dem, was wir selbst vorgeben zu sein. Die Charakterdarstellung bleibt dabei oberflächlich und auch mangelt es dem Buch an Nervenkitzel, so dass es als kategorisierter Thriller nicht fesseln kann. Dennoch hat die Erzählung eine gewisse Raffinesse, die die Neugier aufrecht erhält, da über die Zusammenhänge bis zum Schluss nur spekuliert werden kann.

Bewertung vom 07.01.2024
Rosa und Leo
Roth, Charlotte

Rosa und Leo


gut

"Rosa und Leo" ist eine Romanbiografie über Rosa Luxemburg, in der nicht nur ihr Leben und Wirken als Revolutionärin in den Mittelpunkt gerückt wird, sondern die auch von der leidenschaftlichen und dramatischen Liebe zu Leo Jogiches erzählt.

Nach einem kurzen Ausblick in das Jahr 1919 erfolgt eine chronologische Schilderung von Rosa Luxemburgs Lebensgeschichte ab dem Jahr 1888, ihrem Abschied von der Kindheit, ihrer Familie und ihrer Heimat Polen. In Zürich, wo zur damaligen Zeit bereits Frauen studieren durften, widmet sich Rosa dem Studium, lernt Leo Jogiches kennen und wird politisch aktiv.
Unermüdlich setzt sich Rosa für Gerechtigkeit, Frieden und Menschlichkeit ein. Sie schont sich nicht, arbeitet Tag und Nacht an Veröffentlichungen und setzt damit auch ihre angeschlagene Gesundheit aufs Spiel. Auch ihre Liebe zu Leo Jogiches, für den stets die Revolution an erster Stelle steht, ist unerschütterlich. Sie erkennt in ihm, was andere nicht sehen und offenbart den weichen Kern hinter seiner harten Schale.

Charlotte Roth weckt mit "Rosa und Leo" Rosa Luxemburg zum Leben. Ihre Leidenschaft, ihr selbstloser Kampf für die Arbeiter, für eine gerechtere Welt und für Frieden ist auf jeder Seite nachzuvollziehen. Auch Leos innerer Konflikt zwischen seiner geheimen Liebe zu Rosa und seinem Kampf für die soziale Revolution ist spürbar.

Beim Lesen kommt man Rosa als Person, als Frau, Liebende und Kämpfernatur unheimlich nahe. Dabei erscheint sie uneingeschränkt sympathisch, da sie völlig unkritisch dargestellt wird. Ihre Vorstellungen, Forderungen und streitbaren Elemente ihrer Ideologie bleiben vage, insbesondere wenn man bedenkt, dass ihr Leben fast ausschließlich aus Politik, aus Reden und dem Verfassen von Flugblättern, Schriften und Büchern bestand. Auch die Verfolgung durch politische Gegner und ihr früher Tod sind ohne Details aus ihrer sozialistischen bis kommunistischen Ideologie unterbreitet bekommen zu haben, schwer verständlich.

Aber - "Rosa und Leo" möchte keine Biografie sein, sondern ein Roman und eine Liebesgeschichte, weshalb die einseitige Herangehensweise verständlich ist. Das Buch zeichnet dennoch ein interessantes Bild von Rosa Luxemburg und ihrem Charakter und regt an, sich tiefer mit ihrer Biografie und ihren politischen Zielen zu beschäftigen. Dennoch hätte ich mir gewünscht, dass die Inhalte ihrer Reden und Schriften in die Geschichte eingeflossen wären, schließlich sind es ihre Worte, die sie berühmt gemacht haben und nicht die Liebe zu Leo Jogiches.

Bewertung vom 01.01.2024
Das zweite Glück im kleinen Vintage Shop
Page, Libby

Das zweite Glück im kleinen Vintage Shop


gut

Nach dem Tod ihrer Mutter eröffnet Lou in der Kleinstadt Frome in Somerset einen Secondhand Shop, was schon immer ihr Traum. Lou hat ein Faible für die 1950er- und 1960er-Jahre und liebt es, sich auffällig bunt zu kleiden. Ihr ganzer Stolz ist ein gelbes Kleid, das ihrer Mutter gehörte und unverkäuflich ist.
Auf der Suche nach einem Zimmer für die Übergangszeit lernt die Maggy kennen, sich liebevoll um ihre Enkel sorgt, aber wenig aus sich macht. Durch Lou wird sie mutiger, sich farbenfroher zu kleiden und erzählt ihr von ihrem Leben, von ihrer Scheidung und ihrer Jugendliebe.
In New York erfährt Donna, die selbst bereits Großmutter ist, dass sie adoptiert ist. Schwer enttäuscht von ihren Eltern möchte sie mehr über ihre Herkunft erfahren und sucht nach ihrer leiblichen Mutter. Neben dem Namen hat sie nur ein Foto von ihr, auf der sie ein gelbes Kleid trägt. Ihre Recherchen führen sie nach Somerset, wo sie auf Lou und Maggy trifft.
Gemeinsam tauchen die drei Frauen in die Vergangenheit ein und suchen nach Antworten auf ihre Fragen.

Der Roman wird abwechselnd aus den Perspektiven der drei Hauptfiguren erzählt. Daneben gib es Rückblicke in die Vergangenheit und einzelne Briefe, die den Frauen bei ihrer Suche nach der Wahrheit weiterhelfen.
Die Geschichte liest sich leicht, ist geradlinig und vorhersehbar. Die drei recht introvertierten Frauen schließen unproblematisch Freundschaft und es fällt ihnen auch nicht schwer in kurzer Zeit, jahrzehntelang Verborgenes aufzudecken. Der Vintage Shop ist die Anlaufadresse, spielt aber im weiteren Verlauf der Handlung keine Rolle, was schade ist. Denn schon die Beschreibung von Lous eigenwilligen Stil war so lebendig, dass noch mehr Details dieser Art dem Roman mehr Charme verliehen hätten.

Die Geschichte ist unterhaltsam und es ist auch spannend, wie die drei Frauen miteinander verbunden werden und was in der Vergangenheit geschehen ist, um sie an diesen Punkt zu führen. Davor und danach ist die Erzählung recht eintönig und belanglos.
Zudem entwickelte sich jeder Handlungsstrang für meinen Geschmack zu schnell. Angefangen von der Freundschaft zwischen den Frauen, über die Erforschung der gemeinsamen Familiengeschichte bis zur persönlichen Weiterentwicklung und der sich abzeichnenden Liebesgeschichten verlief alles zu glatt und reibungslos.

Es ist ein Roman über Freundschaft, Familiengeheimnisse und zweite Chancen, bei dem es sich um keine unvergessliche oder herausragende Lektüre handelt. Zwar fehlt es der Geschichte an Tiefgang, aber man begleitet zumindest die nicht unsympathischen Charaktere gerne auf ihrer emotionalen Reise in die Vergangenheit und auf der Findung zu sich selbst.
An "Im Freibad" reicht diese vergleichsweise flache Geschichte aber bei Weitem nicht heran.

Bewertung vom 31.12.2023
Endling
Schreiber, Jasmin

Endling


sehr gut

Zoe ist Entomologin in München und beschäftigt sich im Jahr 2041 mit Biodiversität, als der Klimawandel und das Artensterben bedrohliche Ausmaße angenommen haben. Für einen sechswöchigen Urlaub kehrt sie in ihre Heimat nach Frankfurt zurück, da ihre Mutter zum Alkoholentzug auf Reha muss. Zoe soll sich in ihrem alten Zuhause um ihre 17-jährige Schwester Hanna und ihre Tante Auguste kümmern, die aus Angst vor Bakterien nicht mehr das Haus verlässt. Als Auguste, die selbst Biologin ist und Seite an Seite mit einer Weinbergschnecke - der letzten ihrer Art - lebt, beginnt, sich Sorgen um ihre einzige verschwundene (menschliche) Freundin zu machen, beschließen die drei, Sophie zu suchen. Sie soll sich in einem Bergdorf in den Dolomiten aufhalten, in dem nur Frauen leben.

Die Handlung spielt im Jahr 2041 und es ist kein schönes Zukunftsszenario, das die Autorin entwirft.
Aus der Perspektive der Ich-Erzählerin Zoe, die eine Einzelgängerin ist und nur für die Forschung an ihren Käfern lebt, wird der Ist-Zustand nüchtern dargestellt. Sie hat sich an die Situation der Welt gewöhnt, merkt seit Jahren, wie alles langsam abwärts geht. Für sie sind die negativen Folgen für Natur und Gesellschaft einfache Tatsachen, die sie nicht mehr hinterfragt. Sorgen machen ihr aber die Probleme in ihrer Familie: die Mutter, die immer mehr dem Alkohol zugeneigt ist und jetzt zu einer „Kur“ muss, die jüngere Schwester, die in einem Haushalt einer Alkoholikerin aufwächst und nun selbst über die Strenge schlägt und die Tante, zu einer panischen Einsiedlerin geworden ist.
Der Schreibstil ist dabei dialoglastig und von den Gedanken von Zoe geprägt, durch die man peu à peu erfährt, wie sich die Welt, wie wir sie kennen, verändert hat. Die Folgen des Klimawandels sind deutlich zu spüren, Tiere, die für uns heute selbstverständlich sind, sind ausgestorben. Eine rechtskonservative Regierung hat zu einer weitgehenden Unterdrückung von Frauen geführt, die im Untergrund und im Darknet rebellieren und versuchen zur Wehr zu setzen.
In wieweit Zoe und Sophie darin involviert sind, erfährt man auf dem abenteuerlichen Roadtrip der drei Frauen. Die Suche führt sie über Italien nach Schweden, wo sie durch unheimliche Wälder wandern und sich mit dem ein oder anderen Mysterium konfrontiert sehen.

Das Buch ist gerade zu Beginn wahrlich keine leichte Kost. Krankheiten, psychische Probleme, Einsiedlertum, Alkoholismus, Artensterben, Klimawandel, Patriarchat und Zensur machen es schwer verdaulich. In dieser Zukunft hat sich nichts zum Besseren verändert. Als hätte die Menschheit nichts dazugelernt, sind Intoleranz, Rassismus, Homophobie und Frauenfeindlichkeit noch ausgeprägter als heute.
Der turbulente und humorvoll beschriebene Roadtrip, auf den sich die drei Frauen begeben, verhindert jedoch, dass man in Melancholie versinkt. Jede von ihnen ist gezwungen, aus ihrem Schneckenhaus zu kriechen. Sie lernen sich neu kennen und wachsen bei der Erreichung eines gemeinsamen Ziels zusammen und über sich hinaus.

Während zu Flora und Fauna viel Fachwissen in die Handlung eingestreut werden, bleiben das politische System in Deutschland und die Situation für Frauen in Europa doch recht vage beschrieben. Auch das Verschwinden von Sophie löst sich am Ende zu simpel auf.
"Endling" ist eine Dystopie, die einerseits erschreckend real wirkt, denn die Folgen von Klimawandel und politischen Entwicklungen sind nachvollziehbar und nicht aus der Luft gegriffen. Auf der anderen Seite hat die Handlung jedoch einige unwirkliche Momente, die Fragen aufwerfen und einige der Naturerscheinungen im Unklaren lassen. Die Erklärung mit der Magie des Waldes mag nicht für alle Leser:innen befriedigend sein.
Die Mischung aus Ernsthaftigkeit und Humor passt hingegen gut und macht das Buch zu einem abenteuerlichen, unterhaltsamen und nachdenklichen Leseerlebnis.

Bewertung vom 29.12.2023
Agonie / Milosevic und Frey ermitteln Bd. 2
Adam, Lea

Agonie / Milosevic und Frey ermitteln Bd. 2


sehr gut

Eine bekannte Influencerin, die sich für Tierwohl und Umweltschutz engagiert und mit ihrem Engagement berühmt geworden ist, wird in ihrem Loft in Hamburg ermordet aufgefunden. Die Leiche wurde grauenhaft zugerichtet, die Frau wie Schlachtvieh getötet. Kriminalkommissarin Jagoda Milosevic beginnt zu zusammen mit ihrem Kollegen Vincent Frey, der ein halbes Jahr nach ihrem letzten spektakulären Mordfall im vergangenen Herbst und seiner schweren Verletzung noch immer nicht ganz genesen ist, zu ermitteln. Ein Profiler unterstützt das LKA Hamburg und geht von einem planvollen Täter aus, der auf einem persönlichen Rachefeldzug ist. Während es im Umfeld des Opfers neben den vielen Online-Hatern mehrere Personen gibt, die ein Motiv für die Tat haben könnten, geschieht ein weiterer Mord und setzt das LKA zunehmend unter Druck.

"Agonie" ist nach "Stigma" Band 2 der Thrillerreihe um die beiden Kriminalkommissare Jagoda Milosevic und Vincent Frey des Hamburger LKA.
Wie schon in Band 1 werden auch hier die Morde grauenvoll inszeniert und der Zustand der Opfer schonungslos brutal beschrieben. Auch wenn es sich um eine Thrillerreihe handelt, liest sich auch dieses Buch mehr wie ein Kriminalroman, denn die Ermittlungen der Polizeibeamten bei der Aufklärung der Taten sind detailliert und stehen im Vordergrund des Geschehens.
Daneben erhält man auch Einblick in die Perspektive des Täters, was dem Leser/ der Leserin einen Wissensvorsprung gibt. Täter und Motiv sind damit offensichtlich, was der Geschichte jedoch nicht die Spannung nimmt, ist doch mit weiteren Opfern zu rechnen und schließlich sind auch die Schritte bis der Täter überführt werden kann das, was einen interessanten Kriminalroman ausmacht.

Der Kriminalfall hat mit der Thematik um militante Tierschützer und dem Interessenkonflikt zwischen Tierwohl, Vegetarismus, Auflagen für Bauern und Schlachtbetriebe und der Produktion von billigem Fleisch einen aktuellen, gesellschaftlich relevanten Hintergrund, der niemandem kalt lassen dürfte.
Die Balance aus spannenden Kriminalfall und gesellschaftskritischen Ansichten ist durch Einblicke in die Polizeiarbeit, die Situation der Bauern und die Fleischkonzerne ausgewogen und gibt dem Täter ein schlüssiges und nachvollziehbares Motiv.

Private Probleme und Befindlichkeiten der Ermittler ergänzen die Geschichte, wiederholen sich jedoch insbesondere in Bezug auf Milo, die noch immer nicht zu ihrer Homosexualität steht und deren Beziehungskrise deshalb einiges an Raum einnimmt.

"Agonie" ist ein stimmiger, blutiger Thriller mit Tiefgang und eine spannenden Fortsetzung der Hamburger Reihe, in dem die persönlichen Befindlichkeiten der Kommissare jedoch ein wenig von der Aufklärung der Mordserie ablenken und in dem der Showdown aufgrund der frühzeitig offenbarten Identität des Täters nicht ganz so spektakulär ist.

Bewertung vom 27.12.2023
Spiel der Lügner / Ffion Morgan Bd.2
Mackintosh, Clare

Spiel der Lügner / Ffion Morgan Bd.2


sehr gut

Eine neue Reality-TV-Show wird in Wales an der Grenze zu England gedreht. Die Kandidaten sind davon ausgegangen, dass sie sich für ein Survival Camp in den Bergen angemeldet haben, stattdessen geht es darum, vor laufender Kamera ihr dunkelstes Geheimnis zu enthüllen. Einer der Teilnehmer nimmt deshalb schon in der ersten Nacht Reißaus und wird vermisst.
Detective Constable Ffion Morgan von der walisischen Polizei macht sich zusammen mit ihrer neuen Kollegin Georgina auf die Suche nach Ryan, der als psychisch labil und gewalttätig gilt. Unterstützung erhalten sie von den Kollegen aus England und DS Leo Brady. Mit ihm hat Ffion bereits vor 17 Monaten zusammen an einem Mordfall in der Grenzregion gearbeitet und ist ihm auch privat näher gekommen. Nachdem sie die Beziehung nicht weiter forciert hat, ist ihr Verhältnis angespannt.
Während die fragwürdige TV-Show in den Medien auf ein geteiltes Echo trifft und der Produzent öffentlich angefeindet wird, ereignet sich ein Mord, der mindestens die bereits ausgeschiedenen Kandidaten der Show verdächtig macht, aber letztlich haben sie alle ein Geheimnis, das sich als Motiv eignet.

"Spiel der Lügner" ist nach "Die letzte Party" Band 2 der Reihe "Ein Fall für Ffion Morgan".

Sieben nicht prominente Fremde treffen in den Waliser Bergen für die TV-Show "Exposure" aufeinander, um das Geheimnis der anderen zu enthüllen, bevor ihr eigenes publik wird. Wie von Reality-Shows gewöhnt und auch vom voyeuristischen Publikum erwartet, werden die Teilnehmer nicht geschont, sondern täglich unter Druck gesetzt, ausgewählt und mit ihren tiefsten Ängsten in der "Beichtkammer" konfrontiert zu werden.

Aus wechselnden Perspektiven taucht man in die Handlung ein und erhält Einblicke in die beiden unterschiedlichen Ermittler, die undurchsichtigen Kandidaten und die Zuschauer vor den Fernsehern.
Die Aufklärung des Falls, der sich von einer Vermisstensuche zu einer Mordermittlung entwickelt, ist wie schon in Band 1 unterhaltsam und humorvoll, denn Ffion ist eine eigensinnige Ermittlerin, die aneckt und zusammen mit ihrem Tierheimhund Dave unkonventionell und reichlich chaotisch auftritt.

Im Verlauf der Handlung werden die perfiden Machenschaften der Produzenten hinter der TV-Show deutlich und dass es letztlich vor allem darum geht, die Quote zu erhöhen, ohne Rücksicht auf die persönlichen Befindlichkeiten der Kandidaten zu nehmen. Die Mehrzahl der Menschen möchte solche reißerischen TV-Formate sehen, aber dennoch ist die Realityshow auch vor Kritikern nicht gefeit.

Durch die überschaubare Anzahl der Verdächtigen, die aber alle ein Mordmotiv haben, sind die Ermittlungen nicht einfach und als Leser kann man nur spekulieren, wer der Täter ist. Auch die persönliche Involvierung von Ffion, die in der Grenzregion aufgewachsen ist und sowohl Teile der Crew als auch der Kandidaten kennt, geben der Geschichte eine spannende Note. Ihr Interessenkonflikt wird ihr sogar fast zum Verhängnis.

Während die Polizei Verdächtige und ihre Alibis überprüft und wieder verwirft, erfährt man auch durch Rückblenden immer mehr Details über die handelnden Personen und den Hintergrund der TV-Show und auf welchen Geheimnissen und Lügen die Sendung aufgebaut ist. Die Eskalation der Situation ist deshalb nachvollziehbar und macht den Fall authentisch.

"Spiel der Lügner" ist ein ausgeklügelter Kriminalfall um dunkle Geheimnisse, Ängste vor Bloßstellung und Verrat und ist vor dem bitterbösen TV-Landschaft und den Intrigen zur Steigerung von Reichweite und Ruhm zudem auf der Höhe der Zeit. Band 2 kommt nicht ganz an Band 1 heran, der fesselnder aufgebaut und atmosphärischer geschildert ist.

Bewertung vom 24.12.2023
Die Wolkengucker
Fritz, Kristina

Die Wolkengucker


sehr gut

Die Freundin Margarete der fast 90-jährigen Wilma von Eidsfeld hat immer gern in die Wolken geblickt und darin Figuren und Gegenstände erkannt. Auch Wilma, ehemalige Hobbypilotin, ist fasziniert von den Wolken und gründet in Gedenken an ihre verstorbene Freundin die Vereinigung der Wolkengucker. Jeden Sonntag trifft man sich in der Villa der älteren Dame und guckt gemeinsam in die Wolken. Anfangs nur zögerlich, kommen später immer mehr Personen dazu, denn der Club dient bald nicht nur dazu, gemeinsam die vorüberziehenden Wolken zu betrachten, sondern sich gegenseitig Halt und Unterstützung zu geben.

Wilma wird dabei liebevoll von ihrer Putzhilfe Ayla umsorgt, die den Job dringend benötigt und Wilma möglichst lange fithalten möchte. Nachbar Ferdinand Huber ist Mobbing-Opfer an seinem Arbeitsplatz und findet in dem Club eine Gemeinschaft. Besonders eifrig ist die achtjährige Mia, die mit ihrer Mutter das Phänomen der Wolken betrachtet hat und nach ihrem Tod allein mit ihrem Vater wohnt, der von der Trauer um seine Frau wie gelähmt ist.

Kristina Fritz ist ein Pseudonym der Autorin Kristina Günak, die für ihre warmherzigen Geschichten über Liebe und Freundschaft bekannt ist. Auch "Die Wolkengucker" ist eine eingängige, herzerwärmende Erzählung.
Sie wird aus wechselnden Perspektiven aller handelnden Personen beschrieben, wobei die resolute ältere Dame Wilma von Eidsfeld und ihre tatkräftige Haushaltshilfe Ayla Öztürk, die sie von ihrer Freundin Margarete übernommen hat, im Vordergrund der Handlung stehen. Alle Protagonisten haben ihr Päckchen zu tragen, haben Verluste erlitten, trauern oder fühlen sich unzulänglich.
In der Gemeinschaft der Wolkengucker finden sie einen Halt und sind nicht mehr einsam, hilflos und alleine. Es entwickeln sich Freundschaften über Generationen und jede soziale Schicht hinweg. Die Vielfalt der unterschiedlichen Charaktere sorgt für unterhaltsame Szenen. Die Geschichte ist nicht rührselig oder kitschig und auch die Weisheiten der lebensälteren Wilma wirken nicht gekünstelt oder belehrend, sondern fügen sich rund in die Geschichte ein.

Es ist eine tragikomischer Roman über Trauer und Freundschaft, der eine Wohlfühlatmosphäre schafft, denn es stehen weniger die Verluste, sondern vielmehr das Innehalten im Moment, das Zusammenwachsen in einer Gemeinschaft und ein optimistischer Blick in die Zukunft im Zentrum der Geschichte. Der Blick in den Himmel und die Beobachtung der Wolken ist dabei mehr symbolisch und ein Auftakt für Freundschaft und Zugehörigkeit, auch wenn man im Rahmen der Geschichte einzelne Fakten über Wolken dazulernen kann.

Bewertung vom 21.12.2023
Waiseninsel / Jessica Niemi Bd.4
Seeck, Max

Waiseninsel / Jessica Niemi Bd.4


sehr gut

Nachdem Jessica Niemi nach einer tätlichen Auseinandersetzung, die öffentlich bekannt wurde, vom Dienst beurlaubt wurde, begibt sie sich nach Smörregård, einer entlegenen Åland-Insel. Neben den Inhabern des Gasthofes sind ein schwedisches Pärchen und eine Gruppe älterer Menschen untergebracht, die nach dem Zweiten Weltkrieg in einem Waisenhaus auf der Insel lebten und sich jährlich treffen. Als am Morgen eine von ihnen tot aufgefunden wird, ist Jessicas Polizeiinstinkt geweckt. Sie findet heraus, dass es auf der Insel bereits mehrere ähnliche Todesfälle gegeben hat und hört zudem von dem gruseligen Mythos des Mädchens im blauen Mantel, das 1946 von der Insel verschwunden ist, aber dennoch immer wieder von Menschen gesehen wurde. Selbst Jessica glaubt, sie in der Nacht, als die alte Frau ums Leben kam, gesehen zu haben.

"Waiseninsel" ist Band 4 der finnischen Thrillerreihe um die Helsinkier Ermittlerin Jessica Niemi. Der Roman handelt im März 2020, weshalb die Corona-Pandemie mit landesweiten Einschränkungen in Finnland zum Thema wird, allerdings nur nebensächlich und nicht störend. Daneben gibt es Rückblenden in das Jahr 1946, als die älteren Gäste noch Kinder waren und in dem Waisenhaus auf der Insel lebten.

Band 4 der Reihe ist mehr Krimi als Thriller, jedoch mit einer gelungen Kombination aus psychologischer Spannung und Mystik. Durch den Schauplatz des Archipels ist die Erzählung zudem atmosphärisch, was zu dem Grusel passt, den die mysteriöse Geschichte um das untote Mädchen verbreitet.
Der Krimi ist durch die übersichtliche Anzahl an Protagonisten, die sich auf einer entlegenen Insel aufhält, auf der ein Mord passiert, für den nur einer von ihnen verantwortlich sein kann und in der Jessica wie eine Miss Marple ermittelt, klassisch aufgebaut. Dennoch ist es unheimlich spannend zu erfahren, wie Vergangenheit und Gegenwart zusammenhängen und aus welchen Gründen die Menschen auf der Insel zusammengekommen sind, denn hier hat wirklich jeder etwas zu verbergen oder handelt aus einem anderen Motiv, als zunächst eindeutig scheint.

Die Aufklärung des Falls ist insbesondere am Ende unheimlich wendungsreich, da sich letztlich jeder einzelne verdächtig macht und es schwierig macht, einen von ihnen kategorisch auszuschließen.

Zudem wird die Handlung von der sehr speziellen Polizistin Jessica Niemi getragen, die befürchtet wie ihre Mutter an Schizophrenie zu erkranken und die immer wieder von Visionen, Stimmen von Toten in ihrem Kopf und Wahnvorstellungen heimgesucht wird und damit auch für ihre Vorgesetzte unberechenbar ist. Jessicas unkonventionelle Art, ihre besondere Auffassungsgabe und Instinkt geben der Reihe ihren besonderen Charme und Reiz.
"Waiseninsel" ist weniger außergewöhnlich als die anderen Bände, aber damit nicht weniger fesselnd.