Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
leserattebremen
Wohnort: 
Berlin
Über mich: 
https://sarahs-buecherregal.blogspot.com

Bewertungen

Insgesamt 623 Bewertungen
Bewertung vom 10.08.2018
Die Gabe
Alderman, Naomi

Die Gabe


ausgezeichnet

Erst sind es nur kleine Veränderungen, doch dann verändern sie die Welt: Frauen bekommen die Gabe, die Kraft, Elektrizität zu entwickeln, sie im Guten wie im Schlechten zu nutzen. Am Beispiel mehrerer völlig unterschiedlicher Figuren erzählt Naomi Alderman die Geschichte der Gabe, vom nigerianischen Journalisten über die Tochter eines Gangsterbosses und ein Waisenmädchen, das zu Kichenführerin wird, zu einer amerikanischen Bürgermeisterin und späteren Senatorin beschreibt sie die Entwicklungen in der Gesellschaft durch die neue Macht der Frauen.
Frauen sind körperlich schwächer als Männer und kümmern sich um Haushalt und Familie, während die Männer sie verteidigen und versorgen. Dieses wenn auch nicht mehr unbedingt moderne, so doch häufig noch treffende Weltbild stellt die Autorin Naomi Alderman in ihrem Roman „Die Gabe“ auf spannende Art und Weise auf den Kopf. Die Frauen sind durch die Gabe überlegen und übernehmen die Herrschaft. Äußerst packend erzählt sie die neue Geschichte der Menschheit am Beispiel ausgewählter Persönlichkeiten, die einen guten Überblick geben, so ist man als Leser an vielen Stellen dabei, an denen Wichtiges passiert und wird an immer wieder neuen Positionen in die Romanhandlung geworfen. Doch es ist nicht nur spannend, was Alderman beschreibt, es ist auch grausam und beängstigend und vor allem in der Konsequenz auch eines: realistisch. Der Stärkere unterwirft den Schwächeren, er schafft ein Weltbild, das seiner Position entspricht und negiert alles, was seinen Machtanspruch anzweifeln könnte. Diese Entwicklung ist als Fiktion mitreißend, doch es lässt einem das Blut in den Adern gefrieren, wenn man am Schluss den fiktiven Briefwechsel zweier Autoren und der neuen Welt liest – denn die Welt wurde wirklich auf den Kopf gestellt.
Zunächst war ich etwas skeptisch, weil ich die Gabe, die alle Frauen erhielten, etwas seltsam fand. Doch für die Konsequenz und Fortführung der Geschichte war die Idee unglaublich gut. „Die Gabe“ ist ein aufrüttelndes, spannendes und bewegendes Buch, das einen zum Nachdenken zwingt. Für mich ist es das erschütterndste und bewegende Buch, das ich seit langem gelesen habe.

Bewertung vom 09.08.2018
In stürmischen Zeiten / Das Weingut Bd.1
Lacrosse, Marie

In stürmischen Zeiten / Das Weingut Bd.1


ausgezeichnet

Irene ist Waisenkind und kommt 1870 als Dienstmädchen in das Haus der Winzerfamilie Gerban im Elsass. Dort bekommt sie die Chance, endlich auf eigenen Füßen zu stehen und ihrer Vergangenheit zu entkommen. Doch zwei Dinge verändern dieses ruhige Leben: der Sohn der Gerbans, Franz, tritt in ihr Leben und die beiden verlieben sich trotz aller Standesunterschiede in einander. Und der Deutsch-Französische Krieg bricht aus und tobt im Elsass, reißt zahllose junge Männer in den Tod und hinterlässt Grauen und Vernichtung. Haben Franz und Irene in dieser Situation überhaupt eine Chance?
Marie Lacrosse beschreibt in ihrem ersten Band rund um das Weingut der Familie Gerban nicht nur eine Liebesgeschichte, sondern entfaltet einen sehr detailreichen und spannenden historischen Roman. Besonders die zahlreichen historischen Fakten und genauen Beschreibungen des Krieges gehen einem beim Lesen unter die Haut, der Tod so vieler junger Männer scheint grausam und völlig wahllos angesichts der Überheblichkeit von Offizieren und schlechter Ausrüstung und Versorgungslage. Rund um dieses Szenario entspannt sich eine Liebesgeschichte, die nicht so kitschig daherkommt, wie Titel und Cover des Romans (leider) vermuten lassen. Marie Lacrosse ist das Pseudonym der Romanautorin Marita Spang und wer ihre Romane kennt, der weiß, dass sie stets sehr gut recherchiert und historisch korrekt aufgebaut sind. So auch in diesem Fall, in dem ein spannender und bewegender historischer Roman entstanden ist, der auf sympathischen und detaillierten Charakteren aufbaut und einen als Leser schnell gefangen nimmt.
Schade finde ich, dass der Verlag sich dazu hat hinreißen lassen, daraus mit dem Cover aber besonders mit dem Titel eine kitschige Groschenromangeschichte zu machen, was der Roman definitiv nicht verdient hat. „Das Weingut in stürmischen Zeiten“ wird hier meiner Meinung nach völlig unter Wert verkauft.
Marie Lacrosse hat mit dem ersten Teil der Reihe um das Weingut der Familie Gerban im Elsass einen spannenden historischen Roman geliefert. Die Geschichte geht hoffentlich bald weiter, denn Irene und Franz möchte man gerne noch weiter begleiten auf ihrem Weg durch die turbulenten Jahre der deutschen und französischen Geschichte, es gibt noch viel Potential für spannende Entwicklungen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.08.2018
Liebe in Reihe 27
Shortall, Eithne

Liebe in Reihe 27


sehr gut

Cora hat nach einer gescheiterten Beziehung erst einmal genug von der Liebe in ihrem eigenen Leben, sie kümmert sich lieber um fremde einsame Herzen. Als Mitarbeiterin am Check-In Schalter der Aer Lingus in London Heathrow setzt sie Personen gemeinsam in Reihe 27, die ihrer Meinung ein gutes Paar abgeben würden. Ihre Freundin Nancy arbeitet als Stewardess und betreut die Kandidaten dann an Bord weiter und stupst sie wenn möglich in die richtige Richtung. Dabei kommen manchmal auch äußerst unterhaltsame Kombinationen zu Stande, denn Cora muss sich natürlich auf wenige Informationen verlassen, wenn sie als Kupplerin auftritt.
Eithne Shortall hat mit „Liebe in Reihe 27“ einen äußerst unterhaltsamen und kurzweiligen Roman geschrieben, der gar nicht so flach und klischeehaft daherkam, wie ich zunächst erwartet hatte. Mit Cora hat eine sehr gelungene und sympathische Hauptfigur geschaffen, die auch Kanten hat und einem manchmal etwas auf den Wecker geht, aber eben nicht völlig stereotyp ist und im Verlauf der Handlung eine Entwicklung durchmacht. Ihre privaten Sorgen mit ihrer kranken Mutter werden sehr eindringlich beschrieben und auch Coras Gefühle und Reaktionen finde ich sehr nachvollziehbar, so dass sie einem immer weiter ans Herz wächst. Auch das restliche Personal des Romans rund um den Flughafen fand ich sehr gelungen, der Roman ist runde Sache und macht viel Freude beim Lesen.
„Liebe in Reihe 27“ ist ein überraschendes Buch mit ernsten und nachdenklichen Momenten, das aber hauptsächlich unterhaltsam und locker zu lesen ist. Die Hauptfigur Cora stütz die ganze Geschichte von Anfang bis Ende und es bleibt zu hoffen, dass ihre Skepsis der Liebe gegenüber vielleicht doch selbst noch ablegt und ihren Kandidaten für die Reihe 27 findet – vielleicht hat sie ja Glück.

Bewertung vom 07.08.2018
Der dunkle Wald / Trisolaris-Trilogie Bd.2
Liu, Cixin

Der dunkle Wald / Trisolaris-Trilogie Bd.2


ausgezeichnet

Die Geschichte von Trisolaris und ihrer Konfrontation mit der Menschheit geht weiter. Nachdem bekannt ist, dass die Trisolarier in ungefähr 400 Jahren auf der Erde eintreffen, beginnen die Vorkehrungen für ein Zusammentreffen und den Kampf, der auf die Menschheit zukommen wird. Das Militär wird aufgerüstet, wichtige Personen in den Kälteschlaf geschickt und das Projekt „Wandschauer“ ausgerufen: Vier Personen sollen im geheimen Pläne entwickeln, wie die Menschheit gerettet werden könnte und der Kampf gegen Trisolaris gewonnen werden kann. Doch da die Sophonen auf der Erde alles abhören und auch die technische Entwicklung abbremsen, ist ihr oberstes Ziel, von ihren Plänen abzulenken und Verwirrung zu stiften. Ein seltsamer Kampf um Ideen und Entwicklungen beginnt, aber auch ethische Fragen drängen sich in den Vordergrund. Das Zusammentreffen der Menschen mit der Zivilisation eines anderen Planeten ist eine unvorstellbare und nicht planbare Herausforderung.
Cixin Liu schreibt mit seiner Trisolaris-Trilogie Science Fiction der Extraklasse. Nachdem es im ersten Teil hauptsächliche um technische Entwicklungen und den Fortschritt der Menschheit ging, rückt er in diesem Teil die ethischen Fragen in den Vordergrund. Welche Verantwortung hat der Menschen für die zukünftigen Generationen? Darf man Menschen ohne Kontrolle ein ungeheures Maß an Macht übertragen oder führt das unweigerlich zu Missbrauch und Vorteilsnahme? Sollen wir im hier und jetzt leben oder alles für die Zukunft planen? All diese Fragen betrachtet der Autor durch die Brille seiner Hauptfiguren. In diesem Band sind dies hauptsächlich zwei prägende Figuren, ein chinesischer Militärangehöriger, der für die richtige Einstellung bei den Truppen der Zukunft sorgen soll und einer der Wandschauer, ebenfalls ein Chinese, der sich seine Rolle nicht erklären kann und versucht, ohne Umstände in der Gegenwart zu leben und das Beste aus der Situation zu machen. Doch auch das restliche Personal des Romans ist wieder äußerst detailreich beschrieben und fügt sich in einem umfassenden und fesselnden Szenario zusammen.
„Der dunkle Wald“ überzeugt ebenso wie der erste Band „Die drei Sonnen“ durch eine großartig strukturierte Handlung, die die Geschichte vorantreibt und auch zum Ende des zweiten Bandes nichts an Spannung einbüßt. Obwohl ich eigentlich kein Fan von Science Fiction bin begeistert mich diese Trilogie von Cixin Liu, die Geschichte zieht einen in eine neue unbekannte Welt und lässt einen nicht mehr los.
Doch jetzt heißt es abwarten, denn der dritte Band der Reihe „Jenseits der Zeit“ erscheint leider erst im April 2019 auf Deutsch. Dann werden wir hoffentlich wissen, wie das Zusammentreffen der Trisolarier mit den Menschen ausgeht.

Bewertung vom 06.08.2018
Alexander von Humboldt
Schaper, Rüdiger

Alexander von Humboldt


ausgezeichnet

Alexander von Humboldt ist weltberühmt, ebenso wie sein Bruder Wilhelm. Als Forschungsreisender hat er viel von der Welt gesehen, sich selbst immer gefordert und mit dem preußischen Militär – und Hierarchiedenken wenig anfangen können. Doch Rüdiger Schaper beschreibt in „Alexander von Humboldt. Der Preuße und die neuen Welten“ nicht nur das bekannte Bild von Alexander von Humboldt, er betrachtet auch den Menschen hinter dem Reisenden, den Privatmann, soweit Zeugnisse der Zeit Schlüsse darüber zulassen.
Obwohl seine Biographie mit 288 Seiten keineswegs besonders umfangreich daherkommt, schafft Schaper es, einem Humboldt so nahe zu bringen, wie es wahrscheinlichen wenigen Autoren gelingen könnte. Er beginnt mit dem älteren Humboldt, verarmt, berühmt, zurück in Berlin, obwohl er sich doch eigentlich nur in Paris und auf Reisen so richtig heimisch fühlte. Von da arbeitet er sich an der Person Alexander von Humboldt ab, seinen berühmten Reisen, aber auch seiner Jugendzeit in Berlin, seinen Beziehungen und Freundschaften, die in prägten. Und seiner Abneigung gegen Tätigkeiten bei Hofe, denen er so oft wie möglich entflohen ist. Schaper beschreibt das Leben Humboldts so spannend wie einen mitreißenden Roman, so dass man als Leser schnell versunken ist in den Schilderungen der Reisen, die wie Abenteuergeschichten anmuten. Doch auch die persönliche Ebene arbeitet der Autor klar heraus und bietet so neue Einblicke in das Leben und Denken des weltberühmten Berliners, der eigentlich lieber Pariser gewesen wäre, wenn man seinen Aussagen glauben darf.
„Alexander von Humboldt. Der Preuße und die neuen Welten“ ist eine äußerst gelungene und kurzweilige Biographie eines Mannes, der so viel wollte und am Ende doch ein wenig gescheitert wirkte – trotz Berühmtheit und trotz seiner bekannten Reisen.

Bewertung vom 05.08.2018
The President Is Missing
Clinton, Bill;Patterson, James

The President Is Missing


ausgezeichnet

Es gibt Dinge, die nur ein Präsident wissen darf. Als die Vereinigten Staaten von Amerika von einem Cyberterroristen bedroht werden, muss Präsident Duncan handeln, ohne seine Mitarbeiter einweihen zu können. Gleichzeitig lenken ihn die parteipolitischen Spielchen der Gegner in Senat und Kongress von den wichtigen Aufgaben ab, auch seine Gesundheit ist angeschlagen. Und so kommt es zu der unvorstellbaren Situation - der Präsident ist für die Öffentlichkeit verschwunden, die Vizepräsidentin träumt von neuer Macht und nur eine Person im Weißen Haus weiß, was wirklich passier ist. Kann der Präsident jetzt noch den Angriff verhindern?
"The President is missing" ist das spannende Romanprojekt des Autors James Patterson gemeinsam mit dem ehemaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten, Bill Clinton. Und auch wenn dieser Thriller ohne Clintons Hintergrundwissen vermutlich spannend und mitreißend geworden wäre, ist seine Mitarbeit doch ein wichtiges Element. Denn dadurch wird die Geschichte für den Leser um so glaubwürdiger. Patterson muss nicht spekulieren, wie es wohl im Situation Room des Weißen Hauses ablaufen würde oder wie der Secret Service agieren würde, wenn der Präsident auf die absurde Idee kommt, ohne Schutz das Haus verlassen zu wollen. Er kann sich auf die jahrelange Erfahrung von Clinton verlassen und dem Roman so eine Realitätsnähe geben, die viele spannende Thriller vermissen lassen. Bill Clinton gibt dem Thriller eine Glaubwürdigkeit, die er anders nicht hätte erhalten können, was die Spannung nur noch weiter erhöht. Besonders in der zweiten Hälfte konnte ich "The President is missing" nicht mehr aus der Hand legen, die Geschichte war so mitreißend und detailreich geschrieben, dass ich immer unbedingt wissen musste, wie es weitergeht.
Bill Clinton und James Patterson ist mit "The President is missing" ein hochspannender Thriller gelungen, der zudem noch das sehr aktuelle Thema des Cyberterrorismus in den Vordergrund rückt. Eine absolut gelungene Zusammenarbeit, hoffentlich nicht die letzte dieser Art.

Bewertung vom 19.07.2018
Der Sommer der Pinguine
Montasser, Thomas

Der Sommer der Pinguine


ausgezeichnet

Annetta Robington fährt nicht oft von Great Missenden nach London, doch dieser Besuch wird ihr Leben verändern. Aufmerksamer als sonst bummelt sie durch die Stadt und plötzlich stellt sie seltsames fest: Der nette Buchhandler hat doch Flügel statt Armen und die Nase sieht mehr aus wie ein Schnabel. Und auch der Concierge in dem Hotel, in dem sie Zuflucht sucht, scheint kein Mensch zu sein, sondern ein Pinguin. Sie erfährt, dass Pinguine schon lange versteckt unter uns Menschen leben und sich gut eingerichtet haben. Doch als ihr verborgenes Leben droht öffentlich zu werden, tut Annetta Robington alles, um das Geheimnis zu schützen. Kann sie dafür sorgen, dass die Pinguine weiter unerkannt Leben können?
„Der Sommer der Pinguine“ ist ein zauberhaftes kleines Buch, geschrieben von Thomas Montasser und illustriert von Isabel Pin. Die Geschichte, die zunächst abwegig klingt, ist so liebevoll geschrieben und führt einen in eine wunderbare Welt der Fantasie. Zwischen die Erlebnisse von Annetta werden immer wieder Passagen von wissenschaftlichen Büchern eingefügt, die die Weltsicht der Pinguine erklären, um dem Menschen die Deutungshoheit wieder zu entreißen. Denn wer könnte ernsthaft glauben, dass Amerika erst vor einigen hundert Jahren von Menschen „entdeckt“ wurde? Hier wurde vom Menschen die gesamte Geschichte umgeschrieben. Diese kleinen liebevollen Details machen die Geschichte von Thomas Montasser so lesens- und liebenswert, dass man das Buch gar nicht mehr aus Hand legen mag.
Der Autor Thomas Montasser hat es geschafft, eine Geschichte zu schreiben, die zwar völlig unrealistisch wirkt, aber einen ganz eigenen Zauber hat. Ich würde gerne in der Welt von Annetta Robington leben, einmal durch die Encyclopädia Penguinica blättern und eine neue und kritische Sicht auf die Menschen gewinnen. Doch auch die Kritik bringt der Autor mit einem Augenzwinkern an den Leser, so dass dieses Buch ernst und humorvoll zu gleich ist, eine große Lesefreude mit viel Tiefe. Ein wunderbares Buch, nicht nur für den Sommer.

Bewertung vom 19.07.2018
Schräge Typen
Hanks, Tom

Schräge Typen


ausgezeichnet

Tom Hanks kannte ich bisher nur als Schauspieler. Der Piper Verlag hat jetzt seine Erzählungen auf Deutsch unter dem Titel „Schräge Typen“ veröffentlicht, eine Sammlung unterhaltsamer Geschichten voller skurriler Persönlichkeiten und immer dabei – eine Schreibmaschine, mal in der Haupt- und mal in der Nebenrolle.
Wenn Hollywood-Schauspieler sich plötzlich berufen fühlen, Autoren zu werden, bin ich erst einmal skeptisch. Doch Tom Hanks fesselt einen von der ersten Seite an mit seinen Figuren, die immer ein bisschen schräg daherkommen, aber einem schnell ans Herz wachsen, „schräge Typen“ eben, wie der Titel schon sagt. Hanks ist ein großartiger Beobachter und Menschenkenner, der die Charaktere auch auf wenigen Seiten bis in kleinste Details ausarbeitet und einen so mitnimmt auf die kleinen Reisen, auf die er seine Figuren schickt. Egal ob in Zukunft, Vergangenheit oder Gegenwart, es passiert viel Spannendes und Unvorhergesehenes in den kleinen und großen Abgründen der menschlichen Seele, mit ihren Hoffnungen und Träumen, an denen sie uns so unvoreingenommen teilhaben lassen, dass man sich selbst schnell als Teil der Geschichte fühlt. Und so ist man dann nach den wenigen Seiten immer ein bisschen traurig, die Figuren schon nach einer kurzen Erzählung wieder ziehen lassen zu müssen. So gerne hätte ich mehr über sie erfahren, wie es weiterging mit ihnen, was das Leben noch für sie bereithielt. Bis die nächste Geschichte beginnt und man wieder in diesen kleinen Sog gezogen wird und eine neue spannende Reise beginnt.
Mir hat Tom Hanks Erzählungsband „Schräge Typen“ unglaublich gut gefallen. Es ist ein Buch, das man immer wieder hervorholen kann, bei jeder Lektüre wird man in den Figuren und Geschichten noch etwas Neues entdecken. Sollte er auf die Schauspielerei keine Lust mehr haben, kann Tom Hanks meinetwegen nur noch schreiben. Ein Roman von ihm würde mich wirklich interessieren!

Bewertung vom 17.07.2018
Tante Poldi und die sizilianischen Löwen / Tante Poldi Bd.1
Giordano, Mario

Tante Poldi und die sizilianischen Löwen / Tante Poldi Bd.1


gut

Allein in Bayern soll Tante Poldi nicht bleiben, sie soll nach Sizilien, dort lebt schließlich die ganze Familie. Und besser unter Kontrolle hat man die lebensüberdrüssige und viel trinkende Seniorin dort auch, so die Hoffnung. Doch kaum angekommen, wird Poldi in einen Kriminalfall verwickelt: Ein junger Mann verschwindet spurlos, und das auf Sizilien – da kann ja eigentlich nur die örtliche Mafia dahinterstecken. Poldi beginnt also, einigen Leuten gehörig auf die Füße zu treten, während sie den Vermissten sucht. Nur Freunde macht sie sich damit sicher nicht.
Tante Poldi ist an sich ein unterhaltsamer Charakter, der eine Handlung gut vorantreiben kann. Kein Fettnäpfchen lässt sie aus und fröhlich randaliert sie über die Insel. Leider hat mir die Erzählperspektive nicht so gut gefallen, erzählt wird die Geschichte nämlich eigentlich von ihrem Neffen, der immer mal wieder zu Besuch ist und dann den Zwischenstand von Tante Poldi serviert bekommt. So ist für mich aber eine Position dazwischen geschaltet, die die Handlung eigentlich nicht bräuchte. Über den Neffen erfahren wir wenig, er versucht erfolglos einen Roman zu schreiben, das war es aber auch schon. Man hätte Poldi ihre Geschichte lieber direkt erzählen lassen sollen oder ihr eine erzählende Figur zur Seite stellen, die direkter involviert ist. So hatte ich beim Lesen manchmal das Gefühl, einer Runde „Stille Post“ zu folgen. Der Kriminalfall war ganz spannend, aber auch nicht wirklich so mitreißend, dass man das Buch nicht mehr aus der Hand legen konnte.
Alles in allem ist „Tante Poldi und die sizilianischen Löwen“ einer humorvoller Krimi mit viel Urlaubsstimmung. Während eines Urlaubs auf Sizilien kann die Handlung mit viel Lokalkolorit sicher Spaß machen, als Krimi fand ich ihn doch etwas zu schwach.

Bewertung vom 17.07.2018
Lincoln im Bardo
Saunders, George

Lincoln im Bardo


ausgezeichnet

Der Bürgerkrieg tobt und Präsident Lincoln muss sich als Führer des Staates beweisen, als sein Sohn Willie verstirbt. Seine Frau ist gebrochen und auch Lincoln kann den Tod nicht schwer akzeptieren. Auf dem Friedhof will er sich von seinem Sohn alleine verabschieden. Doch was dort um ich herum tobt, ist ein aberwitziger Zirkus, an die Grenze des Erzählbaren getrieben.
George Saunders‘ Roman „Lincoln im Bardo“ beschreibt eine Geschichte von Abschied, Trauer und Liebe auf so eindringliche Art, dass es völlig gefangen nimmt. Dabei verwirrt der Autor die Leser zunächst vollends, denn seine Form ist keineswegs die klassische Romanform. Kein fester Erzähler leitet uns die Geschichte, niemand der Wahrheit und Vision für uns trennt und uns die Figuren näher bringt. Im Gegenteil, jeder kommt völlig ungefiltert zu Wort, auch die historischen Umstände werden durch kurze Zitate von Zeitzeugen dargestellt, die in ihrer Widersprüchlichkeit vor allem deutlich machen, dass es kaum Klarheit geben kann. Der Friedhof ist eine Art Zwischenreich, in der die Toten sich für Kranke halten, die sich ans Leben klammern, halb lustig, halb tragisch schweben sie über den Friedhof und klammern sich an einen Zustand, der sie nicht glücklich macht, ihnen aber doch Hoffnung zu geben scheint.
Auch wenn es durch Stil zu Beginn etwas schwierig zu lesen ist und man etwas Zeit braucht, um die Handlung zu verstehen und die verschiedenen Figuren kennen zu lernen, hat Saunders einen fesselnden Roman geschrieben, der tragisch und komisch zugleich ist, einen beim Lesen berührt und mitreißt. Sowohl Form als auch Inhalt sind beeindruckend und fügen sich perfekt ineinander, ein meisterhaftes Werk, das mit den Erwartungen der Leser spielt und sie gleichzeitig begeistern kann- ein Buch, das man unbedingt gelesen haben sollte.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.