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Benutzername: 
mapefue
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Kirchbichl

Bewertungen

Insgesamt 167 Bewertungen
Bewertung vom 18.06.2021
Nil
Baar, Anna

Nil


ausgezeichnet

Zwei Personen suchen eine Autorin

„Nil“ von Anna Baar – ein erlesener Roman über das Schreiben. Vielleicht zu erlesen.

Es ist ein hochliterarischer Roman über das Verhältnis von Realität und Fiktion, Erzählen und Erinnern - sprachlich virtuos und packend geschrieben.

Für Literaturästheten sind Sätze wie diese reiner Genuss: „Im Schweigen ist weniger Stummsein als in gängigen Worten.“ Oder: „Das Künftige ist gesät aus der Vergangenheit.“ Oder der etwas längere: „Als Kind stand ich abends am Fenster, erpicht, einen Dieb zu ertappen, nein, nicht ihn zu ertappen, sondern auf frischer Tat zu erspähen, jenen letztlichen Retter, der es zuwege brächte, den immer grimmigen Alten von dem Fluch des Geldes zu befreien.“

Erzählt wird in dieser literarischen Hochebene die Geschichte einer Autorin, die einen Fortsetzungsroman für eine Frauenzeitschrift verfasst, doch ihre Geschichten verstören das Publikum, weshalb ihr beschieden wird, sie möge den Roman in der nächsten Folge zu Ende zu bringen, irgendwie. Soll das Paar doch einfach über die Klippe springen, meint der Chefredakteur.

Die Autorin wird festgenommen, sie muss sich verantworten für das, was in ihrem Manuskript passiert, für das, was ein Leser aus diesem Manuskript herausgelesen hat. Auf ihr Verhör wartend – ist es ein Verhör? –, ersinnt sie die Geschichte eines Mannes, der selbst schreibt, und einer Frau, die fabuliert. Wobei: Wer ist da wer? Wo fängt die Autorin an, wo hört die Figur auf? Allesamt teilen sie Erinnerungen, Beobachtungen, Erfahrungen. Eine Art Schnitzeljagd, in dem Klippen, ein Krokodil (der Nil!) und gruselige Einmachgläser eine Rolle spielen.

Bewertung vom 18.06.2021
Die Wälder
Raabe, Melanie

Die Wälder


schlecht

Die Wälder, ein Abenteurerroman für ewig Junggebliebene, eine Mischung aus der Kinderkrimi-Buchserie Knickerbocker-Bande von Thomas Brezina und dem Kinderbuch von Mark Twain Tom Sawyer und Huckleberry Finn. Wahrscheinlich habe ich die Leseempfehlung „ab 10 Jahre“ nicht gelesen. „Thriller“ am Cover steht für nichts anderes als eine Mogelpackung. Dem Verlag wird’s recht sein, denn Raabes Bücherspenden werden in 20 Ländern verkauft.

Eine junge Frau und zwei fremde Männer, allein im Wald, etwa eine „ménage à trois“. Wie sich der Mann bewegt wirkte potentiell gefährlich auf unsere Nina, natürlich erkennt eine Ärztin sofort potentielle Gefahren. „Road to Nowhere“ stimmt nicht ganz, es geht ins Dorf und in den Wald. „Die Nacht ließ alle Masken fallen, zeigte sich nun in ihrer ganzen Feindseligkeit“ (Zitat). Teile des Romans lesen sich wie die kläglichen Schreibversuche einer Teilnehmerin eines Kreativ-Schreib-Workshops.

Einfach nur schlecht geschriebenes Buch, sprachliche Mittel unterirdisch, ein Reinfall, kein Thriller, langatmig und teils unrealistisch, keine Spannung. Mein erster und letzter Roman von M.R. Ich gebe prinzipiell keine Leseempfehlung, aber dieses Buch ist offensichtlich M…
Dieses Buch verdient keinen Platz in meiner Bibliothek und die Autorin M.R. werde ich vergessen. Wie hieß die Autorin? Habe bereits vergessen.

Bewertung vom 13.06.2021
Landnahme
Paretsky, Sara

Landnahme


ausgezeichnet

Paretskys Romanen ist es eigen, dass sie sehr gemütlich und unspektakulär beginnen: VIC besucht ein Mädchenfußballspiel, deren Trainerin Bernie, ihre Patentochter ist. Auf dem Nachhauseweg entdecken sie eine Obdachlose, die auf einem Plastikpiano klimpert, vermeintlich der ehemalige weibliche Savage-Star Lydia Zamir. Ihr chilenischstämmiger Partner Hector Palurdo war bei einem Amoklauf vor ihren Augen getötet worden. Der zweite harmlose Einstieg von „Landnahme“ ist ein Treffen der Chicagoer Stadtteil-Initiative South Lakefront Improvement Council (SLICK): ein hitziger Streit um Pläne zum Ausbau des öffentlichen Strandes am Lake Michigan. Doch ohne Morde geht es nicht, es sterben zwei Menschen, die für SLICK arbeiten.

Medienkonzerne und Anwaltskanzleien entwickeln ein auffälliges Interesse am Verbleib von Lydia Zamir und die Geister einer schon länger zurückliegenden, komplexen Vergangenheit werden unruhig. Es geht um Geld und um Macht und um Menschen, die dafür über Leichen gehen. Am liebsten auch über die von Warshawski. Die Äste des Baumes verwickelten sich allmählich unentwirrbar.

VIC war es leid, alles zu organisieren und die Lecks im Pfusch anderer Leute abzudichten. Sie hatte Geburtstag, den wievielten? 2010 wird sie von Paretsky 60, zehn Jahre später, 2020 könnte sie so an die 70 Jahre alte sein, kein ideales Alter, um noch als martiale Kämpferin für Recht und Ordnung aufzutreten, aber als Retterin und Beschützerin aller Unterdrückten und Gestrauchelten reicht es allemal.

Zentral aber geht es darum, wem das Land gehört – in der Stadt Chicago wie auch in den Weiten von Kansas – und wer sich mit Geld das Recht erkaufen kann, damit anzustellen was immer er (oder sie) will ohne dafür Rechenschaft ablegen zu müssen.

Sara Paretskys „Landnahme“ ist ein vielschichtiges und komplexes Gebilde, durch das man ihr atemlos folgt, voller Spannung, aber ohne den roten Faden verirren, einer ihrer besten Romane.

„In Chicago, Chicago, Chicago, that’s my home town” (Frank Sinatra)

Bewertung vom 02.06.2021
Wisting und der See des Vergessens / William Wisting - Cold Cases Bd.4
Horst, Jørn Lier

Wisting und der See des Vergessens / William Wisting - Cold Cases Bd.4


ausgezeichnet

Im vierten WISTING breitet Jørn Lier Horst mit seinem unverkennbaren Schreibstil mehrdimensional und komplex einen Plot aus, der sich zu einem wahren Pageturner entwickelt. Wisting im Urlaub, knapp vor der Pensionierung ermittelt unbeeindruckt und „against all odds“. Selbst die Sperre seines Polizeiaccounts bewirkt das Gegenteil: „Jetzt erst recht.“

Zwei Cold-Cases und ein aktueller Mordfall, Wisting in seinem Element. Unbeeindruckt von den modernen Ermittlungsmethoden seiner Mitarbeiter verlässt sich Wisting auf seine Erfahrung, Spürsinn und Instinkt.

Zu den vorangegangenen WISTINGS gibt es zwei bedeutende Änderungen: Line, seine Tochter spielt eine untergeordnete Rolle. Ich hatte nie große Sympathie für diese investigative Journalistin, die sich bei jeder Gelegenheit wichtig machte. Dafür spielt eine „neue“ Journalistin, Ninni Skjevik, eine umso mehr bestimmende Rolle, im kriminalistischen Sinn.

Haben Sie in einer Szene aus dem „Gladiator“ das Flugzeug gesehen?

Bewertung vom 01.06.2021
Unsichtbare Tinte
Modiano, Patrick

Unsichtbare Tinte


ausgezeichnet

Der junge Jean Eyben mit knapp zwanzig Jahren, von der Detektei Hutte zur Probe eingestellt, bekommt für ein paar Monate den Auftrag, die verschwundene Noëlle Lefebvre zu finden, die Mitte der 60er Jahre in Paris gelebt hat. Alle Hinweise führen zu keinem Erfolg, nur einen postlagernden Brief und ein ihrer Wohnung versteckter, lückenhaft geführter Kalender sind die einzigen Anhaltspunkte. Als Jean einen Jugendfreund trifft entdeckt er plötzlich ein geheimnisvolles Detail, das ihn mit Noëlle verbindet: Sie stammt aus einem Dorf in der Umgebung von Annecy, so wie er selbst.

So wie das von Hutte bewusst schmale Dossier zum Fall Noëlle Lefebvre, ‚gibt es im einem Leben Leerstellen und Aussetzer des Gedächtnisses.‘

„Bei manchen Gedächtnislücken stehen alle Einzelheiten des Lebens irgendwo geschrieben, mit magischer Tinte.“

Und manchmal dauert es fünfzig Jahre bis die unsichtbare Tinte sichtbar wird.

Jean stößt auf einen Brief, ‚der so viele Eigenschaften wie Pfade in einem Wald, die der Suchende nacheinander zufällig einschlägt, an den Gabelungen und die ihn noch ein bisschen weiter in die Irre führen, während die Nacht hereinbricht.‘

Ein literarisches Meisterstück für Genießer.

Bewertung vom 26.05.2021
Kauf mich!
Kaller, Nunu

Kauf mich!


ausgezeichnet

Kaller stellt die zentrale Frage nach dem „guten Konsum“. Und wie oben beschrieben gibt es mehrere Sichtweisen, was denn nun Guter Konsum sei. Aus meiner Sicht, aus der Sicht der anderen, der Gesellschaft. Ist guter Konsum der Kauf von zehn Stück vorgebackenen, tiefgefrorenen und aufgebähten Brötchen im Plastiksack zu € 0,99 eines Discounters oder einen ein kg Bio Brot-Laib einer Brotmanufaktur aus Bio Roggenvollkornsauerteig und Bio Weizenvollkornmehl um € 8,60?

Ich fragte mich bei manchen Textilien- und Schuhkäufen, wo denn bei einer Neuanschaffung der MEHRWERT liege, jetzt nicht mehr, mein Schrank ist voll, wie das Schuhregal. Die Antwort könnte der Minimalismus sein, aber das Jäger- und Sammlersyndrom liegt in den Genen des Menschen. Und was ist mit meinem Bücherregal. Ich will sie besitzen und wenn ein Regal voll ist baue ich mir ein neues.

Konsumiert jemand Urlaub nur, um anderen danach davon zu erzählen und um sich seinen sozialen Status zu sichern? Ist Urlaub nur gut konsumiert, wenn ich nicht fliege und ein undemokratisches Land mit Autokraten meide? Nicht kaufen politisch motiviert.

Im günstigsten Fall sollte der gute Konsum ökologisch, fair und nachhaltig sein.

Wenn Kaufkraft und die intellektuelle Auseinandersetzung, ‚was denn guter Konsum sei‘ fehlt und die reine Rationalität zählt, erübrigt sich die Diskussion.

Konsum im Allgemeinen, im Besonderen der tägliche Einkauf sollte auf jeden Fall Spaß machen und nicht zu einer lästigen Pflicht werden.

Bewertung vom 26.05.2021
Crimson Lake
Fox, Candice

Crimson Lake


ausgezeichnet

Im Mittelpunkt steht der Detective Ted Conkaffey, dessen Leben durch einen schlimmen Verdacht vollständig ruiniert wurde. Er soll die vierzehnjährige Claire entführt haben. Alle Zeugenaussagen sprechen für seine Schuld und er verbringt acht Monate in Untersuchungshaft, wird entlassen, doch alle sehen in ihm den Täter. Er flieht von Sydney in das kleine Städtchen Crimson Lake im Norden Australiens für einen Neuanfang. Dort trifft er auf Amanda Pharell, die wegen Mordes zu acht Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Niemand kommt der Arbeit wegen nach Crimson Lake. Hierher verirren sich nur Leute, die sich verstecken oder sterben wollen. Zwei Ex-Knackis (dem Genderwahn entkommen) Ted und Amanda, beide Außenseiter schließen sich zusammen und arbeiten als Privatdetektive in der Kleinstadt. Das Motto beider: „Verwaiste Küken, die einander zum Überleben ermutigen“, oder „Schwerverbrecher sollten zusammenhalten.“ Sadistische Killerin und Kinderschänder oder die in Reimen und der mit den Gänsen spricht.

Doch auch hier ruht die Vergangenheit nicht und holt beide ein.

Candice Fox erzeugt eine eindrucksvolle Atmosphäre und stellt die Hilflosigkeit der Hauptprotagonisten, das Ausgeliefertsein einem aufgeputschten Pöbel und einer sadistischen Polizei deutlich dar. Gleichzeitig nimmt sie die Leser mit auf eine Odyssee durch die menschlichen Abgründe und zeigt, wie schwierig und kompliziert sich manches im Leben gestalten kann.

Ihre erfrischende und geradlinige Erzählweise hebt sie von manch anderen Krimis wohltuend ab, fast antihard-boiled. Sie schreibt äußerst spannend und lässt den Krimi stellenweise ein geradezu rasantes Tempo aufnehmen.

„Bücher sind etwas Besonderes, glaube ich“, sagt Amanda und ich kann ihr nur beipflichten.

Für eine Verfilmung von CRIMSON LAKE hätte ich für die Rolle der Amanda die schwedische Schauspielerin Rooney Mara gecastet, bekannt aus „Verblendung“ (Originaltitel: The girl with the Dragon Tattoo) eine Verfilmung des gleichnamigen Romans und ersten Teils der Millennium-Trilogie des Autors Stieg Larsson.

Apropos Trilogie: Crimson Lake folgt noch Redemption Point (2018) und Missing Boy (2019).

Bewertung vom 16.05.2021
Der andere Sohn / Karlstad-Krimi Bd.1
Mohlin, Peter;Nyström, Peter

Der andere Sohn / Karlstad-Krimi Bd.1


gut

Ein Undercover-Einsatz des FBI-Agenten John Adderley endete schwer verletzt in einem Krankenkaus in Baltimore. Die nigerianische Drogenmafia, die er ausspionieren sollte, kam ihm auf die Schliche und das „Bandenmitglied“ Abaeze/Trevor setzte ihm den finalen Todesschuss. John überlebte und genau dieser liegt im Krankenhaus neben ihm. Trevor ist jedoch ebenfalls ein Undercoveragent. John macht seine Zeugenaussage im Prozess gegen die Drogenmafia, erhält Zeugenschutz und wählt ausgerechnet Karlstad in Schweden als sein Fluchtdomizil. Mit voller Absicht lässt er sich zu eine Cold Case-Einheit versetzten, die ein Verschwinden eines Mädchens vor zehn Jahren aufklären soll. Der Verdächtige ist sein Halbbruder Billy. Er möchte faire Ermittlungen.

Dass die Cold Case-Ermittlungen Erfolg haben werden steht außer Zweifel. Genüsslich legen die Autoren verschieden Spuren, und nachdem der Leser seinen Hauptverdächtigen gefunden hat, muss er seine Festlegung bald wieder revidieren. Breites Feld nehmen die Charaktere und das Leben der Oberklassefamilie Bjurwall ein. Heimer, verachteter und betrogener Schlapp-Ehemann/Vater/Schwiegersohn, die verschwundene Emelie, die nymphomane und drogensüchtige Tochter und Sissela, Ehefrau, Mutter und Masterin des Universums. Die polierten Edel-Fassaden beginnen zu bröckeln.

Es tun sich menschliche Abgründe auf und viele Geheimnisse, die erst ganz allmählich aufgeklärt werden. Das fesselt den Leser und der Spannungsbogen wird auf sehr hohem Niveau gehalten, mit dem Kulminationspunkt am Ende.

Im Ganzen ein durchschnittlicher Thriller, für das Debütwerk der beiden Peter sehr routiniert geschrieben, unverkennbar die Handschrift eines Drehbuchautors, der gewiss bereits an eine Verfilmung gedacht hat, nach dem Hype um diesen Roman. Die Figuren sind gut gezeichnet, selbstredend John Adderley und Heimer. Aber nicht nur die, sondern das Leben der schwedischen Upperclass und einem H&M-affinen Unternehmen. Der Roman spielt überwiegend in Karstad, wo beide Autoren aufgewachsen sind, was dem Roman eine gewissen Authentizität verleiht. Clever wie die beiden sind, haben sie „Der andere Sohn“ als Band 1 der „John Adderley“-Serie apostrophiert, eine Fortsetzung ist also garantiert. Damit die beiden Autoren auf eine Stufe mit Henning Mankell und Jo Nesbø gestellt werden können, haben die beiden noch einen sehr weiten Schöpfungsweg zu absolvieren.

Bewertung vom 13.05.2021
Altlasten
Paretsky, Sara

Altlasten


ausgezeichnet

Sara Paretskys Roman Altlasten, im amerikanischen Original Fallout von 2017, dieser radioaktive Niederschlag lässt nichts Gutes erahnen.

Altlasten beginnt unscheinbar. V.I. Victoria Iphigenia Vic Warshawski, Chicagos weiße Privatdetektivin, soll für Angie und Bernie einen Freund suchen, den jungen schwarzen Filmemacher August Veriden. In dem Sportstudio, in dem er jobbt, wurde eingebrochen und verwüstet, er selbst ist seit zehn Tagen unauffindbar. Chicagos Polizei kümmert sich nicht um solche Lappalien; auch seine Wohnung wurde von Vandalen heimgesucht. Die Tatorte gleichen sich, jemand hat ein großes Interesse an ihm oder etwas. Wer ist hinter was her? August ist mit der afroamerikanischen Emerald Ferring movieStar nach Kansas, um über ihre Wurzeln eine Doku zu drehen, eine Origin Story.

Vic ist mit ihrer Hündin Peppy, einem Golden Retriever in Kansas unterwegs, weil sie nicht allein ermitteln will und einen verständnisvollen Gesprächspartner braucht.

Warshawski recherchiert verbissen ohne Rücksicht auf eigene Verluste, kämpft ohne Scheu vor Sheriffs, County Police, US Army und anderen bösen Buben, kehrt das Unterste zuoberst, buddelt in der Erde, findet Leichen und rettet Fasttote und fragt sich, ‚wo liegt der Hund begraben?‘ Ein leerer Atomraketensilo, geheime Experimente in einem Universitätslabor, gentechnisch veränderte Pflanzen, mysteriöse Krankheitskeime als biologische Waffen und radioaktiv verseuchte Böden im Zentrum einer komplexen Geschichte. Leichen verschwinden. Vic, eine widerwärtige Detektivin, die den Tod riecht wie eine Schmeißfliege (Zitat), streitet sich mit dem Sheriff. Sie, die berühmte Frau aus Chicago, die alle Sünden und Verbrechen im Douglas County aufdeckt (Zitat). Im Forschungszentrum für Biowissenschaften an der Uni Kansas gab es einen David Paretsky, einer von den Guten.

Großartiges Portrait einer Privatdetektivin mit einem Schuss Selbstironie, ein Tribut Paretskys an den feministischen Krimi, V. I. Warshawski, die Wünschelrute für Verbrechen. Ihr Jack kann ihr dabei nicht mehr zusehen.

Dieser vielschichtige, hochaktuelle und spannende Plot führt Paretsky zurück in ihre eigene Vergangenheit. Ihr Vater war von 1951 bis 2000 Zellbiologe en der University of Kansas. Sein Arbeitsgebiet waren die Bakterien.

Bewertung vom 13.05.2021
Kritische Masse
Paretsky, Sara

Kritische Masse


ausgezeichnet

Die Suche nach einer Vermissten führt die Privatdetektivin erst in die staubige Prärie von Illinois, wo die verlassenen Farmen des verarmten Palfry County nur noch als Drogenküchen dienen. Warshawski entdeckt dort die Leiche des Drogendealers, seine Gefährtin ist auf der Flucht. Diese Frau, Judy Binder, ist eng mit der Geschichte Lotty Herschels verbunden. Lotty ist mit der Mutter, Käthe Binder, zusammen in den dreißiger Jahren in Wien aufgewachsen. Doch nicht nur die drogenabhängige Judy ist auf der Flucht, sondern auch ihr Sohn Martin, der für den IT-Konzern Metargon arbeitet. Martin, ein Urenkel der jüdischen Wissenschaftlerin Martina Saginor, ein genialer Mathematiker und Computerspezialist. Er hat etwas entdeckt „was nicht aufgeht“ und ist untergetaucht, hat auf „dark gestellt“ sein Dienstgeber, der IT-Konzern Metargon vermutet Geheimnisverrat, ist in Panik und setzt den Heimatschutz auf ihn an.

Die Wissenschaftlerin Martina Saginor im Roman ist an die Österreicherin Marietta Blau angelehnt, die Bahnbrechendes in der Erforschung kosmischer Strahlung leistete, jedoch nie den Nobelpreis bekam, obwohl Erwin Schrödinger immer wieder dafür plädierte, und die in den USA kein Exil bekam, obwohl Albert Einstein sich für sie einsetzte.

Paretzski führt zurück zu den Anfängen der Computer-Technologie, zur Atomforschung und Raketentechnik, Paranoia und Überwachungswahn, zu jüdischen Physikerinnen und opportunistischen Nazi-Wissenschaftlerinnen, die mit der Operation Paper Clip in die USA geholt wurden, nur, damit sie die Sowjetunion nicht bekommt.

Kritische Masse ist pures Genre, ist Spannung, Unterhaltung und Bildung zugleich, eine Lupe in die Vergangenheit und ein Spiegel der Gegenwart, erzählt mit Herz und Verstand von eine großen Kriminalschriftstellerin unserer Zeit.

Ein feministischer Kriminalroman mit einer hartgesottenen Privatdetektivin, von hardboild bis verletzlich, von Frauen, die Täter und Opfer waren.