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Blümchen
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Dresden

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Insgesamt 156 Bewertungen
Bewertung vom 19.03.2021
Romy und der Weg nach Paris / Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe Bd.16
Marly, Michelle

Romy und der Weg nach Paris / Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe Bd.16


ausgezeichnet

Zwischen Triumph und Tränen

Wie muss sich eine junge Frau fühlen, die ihre gesamte Teenagerzeit in einer Art Kokon verbracht hat? Den schweren Abnabelungsprozess der jungen Romy Schneider von ihren übergriffigen Eltern (d. h. ihrer Mutter Magda Schneider und ihrem Stiefvater, einem Geschäftsmann, der viele Bars und Restaurants betreibt), beschreibt Michelle Marly alias Micaela Jary in ihrer neuen Romanbiografie.


Wie sie im Nachwort schreibt, hat sie die Eltern von Romy tatsächlich kennengelernt, da ihre Eltern und Romys Eltern sich kannten. Als Kind war aber die Wahrnehmung sicherlich eine andere und so musste sie natürlich trotzdem viel recherchieren, um die Darstellung von Romy und ihren familiären Verhältnissen so authentisch wie möglich zu treffen.

Im Buch spürt man, wie Romy – im Roman 19 Jahre alt und auf dem Höhepunkt ihres Erfolges nach den Sissi-Filmen – von der Fürsorge, aber auch dem Karrieredenken ihrer Mutter und ihres Ziehvaters schier erdrückt wird. Während Romy versucht, sich von den ewig gleichen Rollenangeboten des „Wiener Mädels“ zu distanzieren und „ernsthaftere“ Rollen anzunehmen, drängt ihre Mutter zu den erfolgversprechenden Rollen der bewährten Schiene. Doch Romy fühlt sich dem Backfisch entwachsen und möchte selbstständiger werden.

Als sie bei einem Filmprojekt den unangepassten und anfangs unnahbaren Alain Delon kennenlernt, einen jungen unbekannten Schauspieler mit fragwürdigem Hintergrund, ist sie fasziniert und verliebt sich Hals über Kopf in ihn. Er macht sich anfangs über ihre „Bürgerlichkeit“ lustig und zeigt ihr eine ganz andere Welt - die der Künstler in Paris. Romy spürt, dass sie zu dieser Welt dazugehören will, doch ihre Eltern boykottieren das junge Glück. Romy, die sich immer in die Sicherheit ihrer Familie fallenlassen konnte und sehr harmoniebedürftig ist, wird zum ersten Mal mit ernsthaften Konflikten konfrontiert – weil sie ihren eigenen Weg gehen möchte.

Das, was in diesem Roman passiert, passiert im Grunde in jeder Familie früher oder später. Die Kinder nabeln sich von den Eltern ab. Bei Romy jedoch war dieser Prozess aufgrund der besonderen Umstände unheimlich schwierig und überfordert die junge Frau teilweise sehr. Daher klammert sie sich an Alain, von dem sie sich die Sicherheit erhofft, aus der sie sich bei ihren Eltern entzieht.

Romy möchte gern am Theater spielen statt in seichten Filmrollen und nimmt ein Angebot für ein Theaterstück in Paris an. Aber die Proben fordern sie bis aufs Äußerste, zumal das Stück nicht in ihrer Muttersprache aufgeführt wird. Ihr Weg zur Selbständigkeit ist schwierig, aber die Autorin zeigt, wie Romy mit kleinen Schritten ihren Weg geht, auch wenn es immer wieder Rückschläge gibt – und das ist toll zu lesen.

Ich hätte zwar sehr gern auch noch mehr über ihr weiteres Leben erfahren (der Roman deckt nur 2 Jahre ihres Lebens ab), aber hier geht es wirklich mehr um ihren Weg in ein selbstbestimmtes Leben und nicht um eine komplette Biografie. Das sollten Leser*innen wissen, bevor sie zu diesem Buch greifen.

Auf jeden Fall lohnt es sich, in die Welt um 1960 einzutauchen und ein wenig den Glitzer der Sissi-Filme abzukratzen, um die wahre Romy zu entdecken! Dabei ist dieses Buch die beste Begleitung, die man sich vorstellen kann.

 

Bewertung vom 12.03.2021
Freiflug
Drews, Christine

Freiflug


gut

Die Geschichte der Emanzipation

Die 1970er Jahre in Westdeutschland. Nachdem Trümmer-frauen in den 1940er/1950er Jahren die junge Republik fast im Alleingang wieder aufgebaut haben, wurden sie vom alten Rollenbild eingeholt und landeten nach dem Wirtschaftswunder in den 1960er Jahren wieder hinter dem Herd. Trotz der aufkommenden „freieren“ Denkweise von Studenten und insbesondere Linksorientierten behaupten sich die alten Rollenklischees. Die Frau als fürsorgliche Ehefrau und Mutter. Eine „Karriere“ macht, wer einen möglichst gut verdienenden Mann heiratet und sich vielleicht sogar eine Zugehfrau leisten kann. Und dann sind da Rita Maiwald, eine junge Frau mit Pilotenlizenz, und Katharina Berner, eine Anwältin, die von ihren männlichen Kollegen ständigen Angriffen ausgesetzt ist und herabgewürdigt wird. Wie diese beiden Frauen sich gegen die gängigen Rollenbilder stellen und für die Frauenrechte kämpfen, darum geht es in diesem Buch.

Im Nachwort zu „Freiflug“ schreibt Christine Drews: „Mein Entschluss stand fest, einen Roman über diese Zeit zu schreiben…“ Und genau das ist es – ein Roman über diese Zeit, die 1970er Jahre, in denen so viel im Umbruch war. Was es nicht ist – und das sollten all jene wissen, die das Buch wegen des im Klappentext angekündigten Rechtsstreits um die erste deutsche Linienpilotin lesen möchten – ist ein Justizroman.

Der Klappentext verführt ein wenig dazu zu denken, dass es hier wirklich hauptsächlich um den Kampf von Rita Maiwald und ihrer Anwältin geht, den sie gegen die Lufthansa und ihre Hauptanteilseignerin, die Bundesrepublik Deutschland, führen, damit Rita ihren Traum verwirklichen und ein Flugzeug der Lufthansa führen kann. Ich selbst bin diesem Trugschluss aufgesessen. Vielleicht habe ich auch zu viel Grisham gelesen, aber ich hatte eher ein Justizdrama und keinen Frauen-/Familienroman erwartet.

Mir persönlich kam der Rechtsstreit, der ja Aufhänger für das Buch sein soll, viel zu kurz. Bis Seite 280 von 350 ist gerade mal eine Klageschrift eingereicht worden und der erstinstanzliche Prozess wird auf sage und schreibe 2 (!) Seiten beschrieben. Der Berufungsprozess nahm später immerhin 6 Seiten ein. Davon war ich aber etwas enttäuscht – ich hatte mir etwas anderes erhofft. Argumentationen, pointierte Dialoge im Gerichtssaal zwischen den Anwälten… das alles kam mir viel zu kurz. Im Nachwort schreibt die Autorin auch warum – die Prozessakten sind vernichtet und sie konnte allein mit der damaligen Medienberichterstattung arbeiten, um zu recherchieren. Völlig nachvollziehbar also, dass sie die Geschichte mit anderen Gewichtungen aufbauen musste, aber dennoch leider nicht das, was ich mir erhofft hatte.

Allerdings packt Christine Drews ansonsten wirklich gefühlt alle Probleme der 1970er Jahre in dieses Buch: aus Kriegszeiten nachwirkende Traumata und daraus resultierende zerrüttete Familien und Ehen, Drogenkonsum (für den die 70er ja verschrien sind) und seine Auswirkungen, das völlig veraltete Ehe- und Scheidungsrecht, Vergewaltigung in der Ehe, überholte Rollenbilder und –klischees sowie – natürlich – die obligatorische Liebesgeschichte. Und somit ist das Buch genau das geworden, was die Autorin beabsichtigt hat – ein umfassendes und lebendiges Bild dieser bewegten Zeit, das sich definitiv zu lesen lohnt. Nur eben kein Justizroman über Frauenrechte, wie ich ihn mir erhofft hatte. Daher von mir solide 3 Sterne.

Bewertung vom 24.02.2021
Erdbeerversprechen / Kalifornische Träume Bd.4
Inusa, Manuela

Erdbeerversprechen / Kalifornische Träume Bd.4


sehr gut

Dieses Buch kann sowohl Mütter als auch Töchter begeistern

Mit „Erdbeerversprechen“ entführt Manauela Inusa ihre Leser*innen zum vierten Mal nach Kalifornien. Nach Vanille, Orangen und Mandeln stehen diesmal die kleinen roten Köstlichkeiten im Mittelpunkt und – WARNUNG – ihr werdet dieses Buch wohl nicht lesen können, ohne Heißhunger auf Erdbeeren zu bekommen. Zumindest ging es mir so und als ich von dem großen Erdbeerfeld zum Selbstpflücken las, lief mir das Wasser im Mund zusammen.

Zunächst geht es in der Story um eine sehr traurige Sache: Amanda hat vor 1,5 Jahren ihren Mann verloren, er hat eine schwere Krankheit nicht besiegen können. Sie selbst versucht so gut es geht weiterzumachen und für ihre 15jährige Tochter Jane da zu sein – doch die trauert anders, ist wütend, verletzlich, rebelliert… Ein Teenager, der viel durchmachen musste und mit seinen Gefühlen nicht recht umzugehen weiß. Ihr einziger Halt ist ihr bester Freund Cal, doch auch mit ihm wird es irgendwie immer schwieriger…

Auf der anderen Seite ist da Carter, der ebenfalls einen Verlust betrauert. Vor fast 3 Jahren verstarb seine Frau bei einem Unfall und erst nachdem er Halt in einer Trauergruppe gefunden hatte, konnte er wieder richtig für seine Töchter da sein – die ebenfalls 15jährige Samantha, strahlender Cheerleaderstar, und Astor, die 9jährige, die trotz allem immer Sonne im Herzen zu haben scheint. Carter ist stolz, dass seine Kinder trotz des Verlustes eines Elternteils so gut „funktionieren“. Doch als Amanda zur Trauergruppe stößt und sich zwischen den Eltern zarte Bande entwickeln, bringt das die fragile Sicherheit in beiden Familien zum Einstürzen.

Der Autorin ist mit diesem Buch etwas gelungen, was ich noch nicht oft gelesen habe: eine Geschichte zu schreiben, die sowohl die Sorgen und Nöte von Teenagern als auch die von erwachsenen Personen gleichermaßen ernst nimmt. Und deshalb bin ich überzeugt, dass an diesem Buch – dessen Zielgruppe wohl hauptsächlich Frauen sind – sowohl Mütter als auch Töchter ihre Freude haben werden.

Die Gefühle der Mädchen und ihre Sicht der Welt nehmen im Buch einen großen Teil ein, was im Klappentext nicht erwähnt wird. Das hat dem Buch schon die eine oder andere kritische Rezension als „Teenie-Romanze“ eingebracht. Ja, ein Stück weit ist es das auch, aber die Geschichten von Samantha, Jane und Amanda werden im Einklang miteinander erzählt und stehen gleichrangig nebeneinander – so wie jeder von ihnen sie als wichtig in seinem Leben begreift. Ich finde das gut und authentisch so und habe mich an dem Anteil „Teenagerkram“ überhaupt nicht gestört. Ganz im Gegenteil, es brachte mir ein paar schöne erinnernde Augenblicke, als ich an meine eigene Teenagerzeit zurückdachte.

Mein einziger Kritikpunkt ist, dass die Charaktere doch recht eindimensional gut oder böse waren. Da hätte ich mir noch ein wenig mehr Tiefe und Differenzierung gewünscht.

Wer Fan der „Kalifornischen Träume“ von Manuela Inusa ist, wird auch diesen Roman lieben. Wer eine Tochter im Teenageralter hat, der könnte mit diesem Buch sogar mal einen „Buddy-Read“ starten. Und wer einfach eine romantische Geschichte genießen und ein wenig vom Alltag abschalten will, ist mit diesem Buch ebenfalls bestens beraten.

Bewertung vom 16.02.2021
Die Erfindung der Sprache
Baumheier, Anja

Die Erfindung der Sprache


ausgezeichnet

Raus aus der Komfortzone, rein ins Leben!

Wer könnte über dieses Buch besser berichten, als einer der wundervollsten Charaktere des Romans? Leska, die mir mit ihrer böhmisch-herzlichen Großmutterart dermaßen ans Herz gewachsen ist, dass ich jeder Szene mit ihr entgegengefiebert habe. Nun, wie würde Leska das Buch beschreiben?

„Lieber Freund! Würde ich sehr freuen, wenn du liest dieses Buch! Ist über Adamcik, mein wunderbare Enkelsohn. Adamcik ist besonders, hat ganz viel Schlauigkeit, mehr als Durchschnitt! Ist sogar Doktor, aber nicht Doktor für Krankheit, sondern für Sprache. Aber leider leider, hat viel Dramatik gehabt in Leben, auch mit seine Maminka, aber hier kann man sehen, wie er überwindet und jetzt ist Drama weg aus Familie! Aber Weg war weit und manchmal nicht einmal böhmisch-ostfriesische Leckereien haben geholfen Adamcik für Seele! Habe ich gebacken in Menge, aber Kopf von Adamcik war bei große Dramatik und Babicka Leska konnte nicht helfen! Musste kommen Zola und Zola-die-Katze und Buchhändlerin, um Adamcik wieder gut zu machen! Und feine Schreiberin Anja hat jetzt alles gefasst in viele Worte, großen Roman um zu zeigen Mensch muss manchmal aus komfortabler Zone für Erkenntnisse. Aber hat so schön geschrieben! Hat genau geschaut auf Mund von Leska und so gezeigt wie redet – ist nicht immer wichtig deutsche Grammation, ist nur wichtig Herz auf richtige Fleck und ganz viel Leckerei für Leckermäulchen in Familie. Dann Rest wird immer gut!

Und Anja hat gezeigt Weg von Adamcik von kleine Platteoog-Insel von Kindheit bis jetzt in Bretagne für Suche von Vater. Nicht einfach für mein Adamcik! Hat ganz kleine komfortable Zone und muss alles sein nach Plan. Sonst Adamcik ist ganz verwirrt. Alle Leute von Platteoog haben geholfen Erziehung von Adamcik und haben auch geholfen für Suche von Vater. Aber größte Teil war nur Adamcik alleine! Ist raus aus komfortabler Zone und rein in Leben, war große, große Schritt! Aber wirst du mögen Adamcik, kann keiner anders als mögen!“

Tja… so würde Leska sich wohl in Form reden, in ihrer fürsorglichen Art und ich wette – jeder würde hinterher das Buch kaufen ;-) Ihrer charmanten Art kann man sich einfach nicht entziehen und sie war für mich wirklich das Highlight des Buches und hat (so meine persönliche Einschätzung) sogar Adam ein wenig „an die Wand gespielt“.

Dieses Buch und die Art, wie Anja Baumheier diese Geschichte erzählt, erinnert wenig an Kranichland und Kastanienjahre (ihre beiden vorherigen Bücher). Ich kann nicht sagen, ob ich es besser oder schlechter finde – es ist einfach anders. Die ganze Geschichte ist anders und darauf muss man sich einlassen, um den Roman genießen zu können.

Trotz Happy End war ich aber mit dem Schluss nicht zu 100% zufrieden. Es gab einige Wendungen ganz am Ende, die mich etwas verwunderten (aber ich möchte hier nicht spoilern, deshalb sage ich dazu an dieser Stelle nicht mehr). Insgesamt daher keine vollen 5 Sterne.

Ich habe die Geschichte aber sehr genossen und werde sie als ganz besonders in Erinnerung behalten. Dieses Buch wird man definitiv nicht so leicht vergessen.

Bewertung vom 27.01.2021
Silberstreif / Gut Greifenau Bd.5
Caspian, Hanna

Silberstreif / Gut Greifenau Bd.5


sehr gut

Die Figuren gehören fast schon zur Familie

 

Schon in die 5. Runde ging die Gut-Greifenau-Saga mit dem Band „Silberstreif“. Auch in den Jahren 1923 bis 1928 werden das Gut und seine Bewohner von Schicksalsschlägen gebeutelt und die politischen Entwicklungen machen ebenfalls Sorgen.

 

Die Charaktere entwickeln sich weiter und so wie neues Leben gegeben wird, wird an der einen oder anderen Stelle auch Leben genommen und der Leser muss sich von lieb gewonnnen Figuren verabschieden (was nicht ungewöhnlich ist, wenn die Saga eine so große Zeitspanne umfasst).

 

Wie immer hat Hanna Caspian mit viel Liebe zum Detail die 1920er Jahre auferstehen lassen und bietet einen umfassenden Blick ins Leben in jener Zeit. Meine besondere Sympathie, aber auch mein besonderes Mitgefühl galt in diesem Band Alexander, dessen Homosexualität zunehmend zum Problem für ihn wird – sowohl finanziell, als jemand aus seinem näheren Umfeld es herausfindet und ihn damit erpresst, als auch körperlich, da er mehrfach schweren Angriffen ausgesetzt ist. Er selbst kommt mit der Situation immer weniger zurecht und flüchtet sich in Drogen. Diesbezüglich endet das Buch auch mit einem Cliffhanger und ich hoffe sehr, dass ich im nächsten Teil miterleben darf, wie sich Alexander wieder „berappelt“ und schließlich auch sein Glück findet.

 

Auch für Konstantin, Rebecca, Julius und Katharina sind es turbulente Zeiten – das Gut ist permanent in finanzieller Schieflage und Katharina ist mit der Doppelbelastung von Familie und Medizinstudium überfordert. Auch in der Dienerschaft macht sich ein Zeitenwandel bemerkbar – einige zieht es in neue, modernere Berufe. Andere befürchten, schon bald in ihrem Beruf keine Zukunft mehr zu haben, denn die Dienerschaft wird immer mehr zur aussterbenden Art…

 

Die vielen großen und kleinen Probleme webt die Autorin mittlerweile gekonnt routiniert zu einem schönen Schmöker zusammen – aber nach 5 Bänden spürt man aus meiner Sicht diese Routine auch ein wenig, so dass ich vom „Flair“ her nicht ganz so begeistert war wie bei den vorherigen Bänden. Dennoch ist es ein toller Schmöker für entspannte Lesestunden!

Bewertung vom 25.01.2021
Zeit der Wunder / Kinderklinik Weißensee Bd.1
Blum, Antonia

Zeit der Wunder / Kinderklinik Weißensee Bd.1


ausgezeichnet

Die Anfänge der Pädiatrie in Deutschland

Berlin, 1911. Gerade wurde das erste reine Kinderkrankenhaus Berlins eröffnet – die Kinderklinik Weißensee. Am Stadtrand gelegen, soll sie den kleinen Patienten eine erstklassige, auf ihre Bedürfnisse abgestimmte Versorgung gewährleisten. Sogar eine Milchaufbereitungsstelle mit eigener Kuhhaltung gibt es auf dem Gelände der Klinik, um Babys im Bedarfsfall eine gute Ernährung zukommen zu lassen.

Dafür, dass das alles vor über 100 Jahren installiert wurde, klingt es doch sehr fortschrittlich, was in dieser Klinik geleistet werden sollte. Und diese Klinik gab es tatsächlich, sie war bis ins Jahr 1997 noch in Betrieb und die Autorin hat sich an der Geschichte des Bauwerks und seiner Beschäftigten orientiert.

Nur ihre Protagonistinnen sind fiktiv: die Schwestern Marlene (19) und Emma (17), aufgewachsen im Waisenhaus, die – für viele unverständlich – eine höhere Bildung aufweisen und vom Oberarzt persönlich als Elevinnen (also Schwesternschülerinnen) für die Klinik ausgewählt wurden.

Der Klinikalltag und die Ausbildung zur Kinderkrankenschwester werden umfassend geschildert, natürlich nicht ohne die Mädchen auch erste Erfahrungen in Liebesdingen sammeln zu lassen. Das Buch bietet eine sehr gute Mischung aus medizinischem Hintergrund und Unterhaltung. So war es für mich zum Beispiel sehr interessant zu erfahren, wie früher Diagnosen gestellt, wie Operationen durchgeführt und welche Anforderungen an Ärzte und Pflegepersonal gestellt wurden.

Das alles verbindet die Autorin sehr unterhaltsam mit dem Privatleben der Schwesternschülerinnen, die zwischen Konkurrenzkampf und erster Liebe durch eine Zeit gehen, die sie als sehr intensiv erleben. Dabei wird deutlich, dass Marlene nach Höherem strebt und nach ihrer Ausbildung gern noch Medizin studieren würde, um Kinderärztin zu werden – ein Unterfangen, das nicht einfach ist für ein fasst mittelloses Waisenmädchen. Emma hingegen findet ihre Erfüllung in dem Pflegeberuf und ist am glücklichsten, wenn sie den kranken Kindern ein Lächeln aufs Gesicht zaubern kann.

Warum sich die Schwestern emotional sehr voneinander entfernen und ob sie ihre jeweils gesteckten Ziele erreichen können, das solltet ihr selbst lesen. Denn auch, wenn die Themen Medizin und ehrgeizige junge Frauen im beginnenden 20. Jahrhundert bei weitem keine neuen mehr sind in der Unterhaltungsliteratur, hat mich das Buch doch absolut gepackt. Der angenehme, detaillierte Schreibstil der Autorin sorgt dafür, dass man regelrecht die Zeit vergisst – und genau so sollte gute Unterhaltungslektüre sein. Deshalb 5 Sterne und eine Leseempfehlung für alle, die einen richtig schönen historischen Schmöker zu schätzen wissen.

PS. Der Nachfolgeband ist für September 2021 angekündigt. Ich freu mich schon drauf und möchte unbedingt wissen, wie es für Marlene und Emma weitergeht!!!

Bewertung vom 21.01.2021
Das Windsor-Komplott / Die Fälle Ihrer Majestät Bd.1
Bennett, S J

Das Windsor-Komplott / Die Fälle Ihrer Majestät Bd.1


ausgezeichnet

I am very amused!

Die Queen, wie sie leibt und lebt. Nicht einfach einzufangen in einem Roman, gleich recht mit der ungewöhnlichen Idee, dass Her Majesty höchstselbst Verbrechen aufklärt. Nicht nur ein neuer Einfall der Autorin SJ Bennett, sondern vor allem auch eine Herausforderung, denn es ist nicht einfach, eine Kriminalgeschichte mit der Queen als Detektivin zu erzählen, ohne dass es unglaubwürdig wird.

Und deshalb gleich vorweg: wer hier eine schrullige Miss Marple erwartet, liegt falsch. So richtig falsch. Elizabeth II. ist und bleibt Königin mit Leib und Seele – und damit äußerst diplomatisch und diskret. Sie zieht die Fäden im Hintergrund, ohne jemals aus ihrer Rolle zu fallen - genau so, wie sie es auch im wahren Leben tun würde. Und vor dieser Leistung der Autorin habe ich höchsten Respekt.

Der erste „Fall“ für die Queen of Crime führt tief ins Innere des königlichen Haushalts. Ein junger russischer Pianist wird nach einer Soiree auf Schloss Windsor in seinem Gästezimmer tot aufgefunden. Die Zeichen deuten zunächst auf einen unglücklichen Unfall. Doch mit einer untrüglichen Nase für Zusammenhänge hegt die Königin Zweifel. Während die Metropolitan Police sofort eine politische Schandtat Putins wittert und hektisch (und mit Scheuklappen) drauflos ermittelt, geht es die Queen erwartungsgemäß bedacht und taktvoll an.

Sie lässt ihre junge Privatsekretärin Rozie, die erst seit einem halben Jahr dem royalen Haushalt dient, einige kleine „Aufgaben“ erledigen. Kontakt zu alten Bekannten der Königin aufnehmen, sie zum Beispiel auf einen Drink nach Windsor einladen – um der alten Zeiten willen. Dass diese alten Bekannten zufällig auch Experten für russische oder Wirtschaftsspionage sind, muss man ja nicht erwähnen. Eine kleine beiläufige Frage zur derzeitigen Stimmung in China genügt… und bald weiß die Queen mehr als ihr Geheimdienst. Und weiß dieses Wissen wiederum äußerst geschickt einzusetzen.

Es ist wirklich höchst amüsant zu sehen, wie Elizabeth ganz ruhig und bedächtig, aber sehr klug die Fäden im Hintergrund zieht und damit sowohl die Polizei als auch ihre Geheimdienste zum Narren hält. Bis sie die Zeit als gekommen sieht, ihr Wissen vorsichtig an die relevanten Personen weiterzugeben – selbstverständlich, ohne dass diese auch nur ahnen, woher die Informationen kommen und sich schließlich nach der erwartungsgemäßen Aufklärung des Falles auch noch damit vor ihrer Majestät brüsten. Die wiederum Fassung bewahrt und sich die „Erfolgsgeschichte“ mit einem leisen Lächeln anhört.

Fazit: die Queen ist in ihrem Charakter und ihrer Vorgehensweise in diesem Krimi perfekt getroffen. Genau so würde ich erwarten, dass sie mit einem solchen Todesfall umgeht. Sie ist unbestritten die Hauptperson dieses Buches, auch wenn sie sehr umsichtig und ruhig agiert. Für kleine Schmunzler zwischendurch sorgt insbesondere Philip, der in seiner direkten und unverblümten Art immer wieder die eine oder andere Wahrheit ausspricht. Er hätte aus meiner Sicht gern noch eine etwas größere Rolle in diesem Roman haben dürfen – aber vielleicht ändert sich das ja im Folgeband, der bereits angekündigt ist für Anfang 2022. Für mich war dieses Buch jedenfalls ein königliches Vergnügen!

Bewertung vom 07.12.2020
Die Dorfärztin - Ein neuer Anfang / Eine Frau geht ihren Weg Bd.1
Peters, Julie

Die Dorfärztin - Ein neuer Anfang / Eine Frau geht ihren Weg Bd.1


sehr gut

Historischer Frauenroman aus interessanter Perspektive

Helene, genannt Leni, hat es als Kind nicht leicht. Sie kam mit einem Klumpfuß zur Welt und muss viel ertragen. Von einem Arzt zum anderen geht es, von einer Krankenhausbehandlung zur nächsten – kein Zuckerschlecken in den Jahren um 1910. Ihre Mutter, Inhaberin einer Konservenfabrik, stellt die Kinder immer hinter ihre Firma. So wird Leni zwar freundlich, aber nie ermutigend behandelt und spürt unterschwellig, dass man in ihr keine Hoffnung für die nächste Generation sieht. Vielmehr gehen scheinbar alle davon aus, dass sie unverheiratet bleiben und später ihre Eltern im Alter pflegen wird. Doch Leni hat ganz andere Pläne.

Als sie mit 9 Jahren wieder einmal wegen einer Operation monatelang im Krankenhaus verbringen muss, lernt sie dort Matthias kennen – den Sohn ihrer Krankenpflegerin Anne. Anne wird ihr innerhalb kürzester Zeit zum Mutterersatz und Matthias wird in den folgenden Jahren viel mehr als nur der „große Bruder“… Das Schicksal führt diese drei Menschen zusammen und was danach passiert, lässt sich immer wieder auf diese Begegnung zurückführen.

Leni hat den großen Traum, Ärztin zu werden. Schon als Heranwachsende verschlingt sie alle medizinischen Fachbücher, derer sie habhaft werden kann. Und auch während und nach dem 1. Weltkrieg hält sie an ihrem Wunsch fest, Medizin zu studieren.

Wie man in den eingestreuten Kapiteln zwischen der Familiengeschichte erfährt, hat es Leni im Jahr 1928 geschafft. Sie kehrt heim ihren Geburtsort und übernimmt dort die leerstehende Arztpraxis. Doch sie hat mit vielen Vorurteilen zu kämpfen. Nicht jeder ist ihrer Familie wohlgesonnen und auch, dass sie allein mit einer 5jährigen Tochter in die Arztpraxis einzieht, macht die Dorfbewohner skeptisch. Doch auch hier zeigt Leni Durchhaltevermögen…

Julie Peters beschreibt den Werdegang einer jungen Frau zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Eigentlich nichts, was man nicht schon mehrfach gelesen hätte. Doch Lenis Geschichte ist besonders, denn sie ist bestimmt von einem „Gebrechen“, das damals ein großes Stigma verursachte. Die Autorin schildert mit viel Feingefühl, wie das Kind Leni davon geprägt wird, „die Versehrte“ zu sein. Jemand, der in der weiteren Lebensplanung nicht ernst genommen wird. Jemand, der halt irgendwie mit versorgt werden muss. Wie es Leni gelingt, trotz dieser Bürde ihren Weg zu gehen, ist lesenswert und bereichert die Buchlandschaft, die mittlerweile ja ein breites Spektrum historischer Romane aus den 1920er Jahren zu bieten hat.

Dass ich dennoch einen Stern abgezogen habe, hängt eher mit meiner Erwartungshaltung zusammen – der Klappentext suggeriert, dass es hauptsächlich um Lenis Alltag als erwachsene Frau und Dorfärztin geht. Dies gerät aber durch die ausführliche Schilderung ihres bisherigen Lebens recht weit in den Hintergrund, das Buch gibt nur einen eher kleinen Einblick in ihre Anfänge als Dorfärztin im Jahr 1928. Der Fokus liegt auf ihrem Lebensweg bis dahin und wird auch in den Kapiteln, die im Jahr 1928 spielen, eher auf ihre private und emotionale Situation gelegt. Hier hätte ich mir eine etwas bessere Balance gewünscht.

Für alle, die einen historischen Frauenroman einmal aus einer etwas anderen Perspektive lesen möchten, kann ich „Die Dorfärztin“ wärmstens empfehlen. Denn gerade für Menschen mit körperlichen Einschränkungen war diese Zeit keine leichte. Auf die für August 2021 angekündigte Fortsetzung freue ich mich schon – ich hoffe, dann kann ich Helene auch noch mehr durch ihren Berufsalltag begleiten.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.11.2020
Ohne Schuld / Polizistin Kate Linville Bd.3
Link, Charlotte

Ohne Schuld / Polizistin Kate Linville Bd.3


ausgezeichnet

Wird mit jeder Seite spannender!

Mit dem 3. Teil der Krimi-Reihe um die englische Polizistin Kate Linville ist Charlotte Link ein echtes Highlight gelungen! Sie verknüpft viele lose Fäden zu einem meisterhaften Plot, der in sich stimmig ist und sich dem Lesepublikum nur langsam offenbart. Genauso wie die Ermittler tappen wir lange Zeit im Dunkeln, stellen selbst Überlegungen an und vermuten Verknüpfungen. Dennoch wird es kaum jemand schaffen, die wirklichen Zusammenhänge vorauszuahnen (behaupte ich zumindest)

Bewertung vom 20.11.2020
Madame Clicquot und das Glück der Champagne
Popp, Susanne

Madame Clicquot und das Glück der Champagne


sehr gut

Porträt der „Champagner-Witwe“ – unterhaltsam und prickelnd

Das orangefarbene Etikett mit der schwungvollen Unterschrift ist bekannt und ein Hingucker. Und genauso schwungvoll wie diese Signatur präsentiert Susanne Popp die „Champagner-Witwe“ Barbe-Nicole Clicquot in ihrer Romanbiografie.

Die Erzählung startet im Jahr 1805, kurz vor dem Tod ihres Ehemannes, als Barbe-Nicole 27 Jahre alt ist. Ihre Kindheit und Jugend wird nur in kurzen Sequenzen angerissen, das Buch konzentriert sich auf ihre ersten 10 Witwenjahre und ihr Unternehmertum in dieser Zeit.

Der Name „Veuve Clicquot“ wird im Allgemeinen verbunden mit einer starken Frau, die sich in der von Männern dominierten Geschäftswelt des 19. Jahrhunderts durchsetzt und so ihr Unternehmen zum Erfolg führt. Dazu muss man wissen, dass sie als Unternehmerin nur im Witwenstatus tätig werden durfte. Vorher gehörte die Firma ihrem Mann und hätte sie wieder geheiratet, hätte sie damit ebenfalls die Geschäfte automatisch wieder an ihren Ehemann „abgegeben“. Da Madame Clicquot aber ihre Geschicke auf jeden Fall selbst lenken wollte, blieb sie Zeit ihres Lebens im Witwenstatus.

Die hier erzählten ersten 10 Jahre als Unternehmerin waren geprägt von vielen Rückschlägen, zeichnen aber dennoch ein sehr entschiedenes Bild von Barbe-Nicole, die sich nie unterkriegen ließ. Weder Kriege noch Handelssperren hielten sie auf, man hat eher den Eindruck, dass sie umso mehr in ihren Geschäften aufging, je schwieriger die Umstände wurden. Sie scheint eine Frau mit viel Wagemut gewesen zu sein, entscheidungsfreudig und scharfsinnig. Ebenso war sie interessiert an den physikalischen und chemischen Vorgängen, die die Champagnerherstellung begleiteten. Sie tüftelte mit ihrem Kellermeister so lange, bis die ohnehin schon guten Schaumweine aus ihrer Sicht „königlich“ waren und hoffte, sich durch die Qualität ihrer Erzeugnisse ein Alleinstellungsmerkmal und somit Umsatzsteigerungen zu verschaffen. Zu Recht, wie man letztlich feststellen muss.

Die opulenten Schilderungen von der kühnen Unternehmerin waren mir persönlich jedoch ein wenig zu „glatt“. Es wird ja auch von Zeiten berichtet, in denen das Unternehmen kurz vor dem Bankrott stand und die Umsätze um 80 % zurück gingen. Dennoch kam mir etwas zu kurz, womit Madame Clicquot diese Krisen meisterte. Wovon bezahlte sie ihre Arbeiter? Musste sie sich persönlich ebenfalls einschränken? Was hatten diese schweren Krisen für Auswirkungen auf ihre Persönlichkeit? Offenbar hat sie sich ja trotz allem nie Existenzsorgen gemacht (zumindest wird das im Buch nicht deutlich). Hier hätte ich mir mehr Details gewünscht.

Die im Buch eingeflochtene Liebesgeschichte zwischen ihr und Georg („Georges“) Kessler, ihrem Prokuristen, ist wohl historisch nicht belegt, hier aber für die Dramatik des Buches verwendet worden. Das macht den Roman zu einer rundum unterhaltsamen Geschichtsstunde mit einem gewissen Prickeln. Man sollte sich allerdings bewusst sein, dass das Gelesene Fiktion und wohl eher keine Tatsache ist.

Da Madame Clicquot ein langes und – wie ich aus Internetrecherchen erfahren habe – auch nach ihrem 40. Lebensjahr spannendes Leben hatte und ihr geschäftliches Wirken letztlich eine Firma von Weltruhm hinterließ, hätte ich mich gefreut, wenn das Buch nicht nur eine so begrenzte Zeitspanne ihres Lebens beleuchtet hätte. Dann wäre es zwar sicher ein „Wälzer“ geworden – aber ein toller Wälzer! ;-)

Mich hat das Buch sehr gut unterhalten und mir dabei auch die Entstehungsgeschichte des Champagners auf kurzweilige Weise nähergebracht. Ein interessanter und absolut lesenswerter Roman!