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wanderer.of.words

Bewertungen

Insgesamt 216 Bewertungen
Bewertung vom 21.12.2021
Never - Die letzte Entscheidung
Follett, Ken

Never - Die letzte Entscheidung


ausgezeichnet

In seinem Vorwort schreibt Ken Follett, dass der erste Weltkrieg zum Großteil aus einer Verkettung von Einzelentscheidungen entstand. Der Frage, ob so etwas noch einmal passieren kann, geht er in seinem neuesten Werk nach, entstanden ist ein enorm spannender Polit-Thriller.

Das Buch zeigt sehr beeindruckend die weltpolitischen Verflechtungen und welche Auswirkungen diese Abhängigkeiten und Machtinteressen haben können. Dabei sind die Geschehnisse so verständlich dargestellt, dass ich den Zusammenhängen jederzeit folgen konnte. Politisches Vorwissen, etwa welche der Länder miteinander verbündet oder verfeindet sind, war nicht notwendig, denn Follett baut dieses Wissen geschickt in seine Geschichte ein. Obwohl die komplexe Erzählung aus mehreren Handlungssträngen besteht ist sie immer flüssig zu lesen. Es dauert allerdings ein wenig, bis die einzelnen Schauplätze inhaltlich miteinander verknüpft werden. Für mich ist das ein positiver Aspekt, ich mag es, wenn nicht gleich zu Beginn alle Zusammenhänge klar sind und sich eine Geschichte erst entfaltet. Dafür ist aber natürlich auch etwas Geduld notwendig.

Einen Helden der im Alleingang die Probleme der Welt löst gibt es in Folletts Roman nicht. Und auch auf den großen Antagonisten, der sich den Helden gegenüberstellt, verzichtet der Autor. Jede der Figuren hat ihre Beweggründe und auch wenn man nicht jedem Sympathie entgegenbringen kann, sind die Handlungen stets nachvollziehbar. Neben den politischen Aspekten ist auch Platz für das Privatleben der Protagonisten, was die Erzählung auflockert und zusätzlich Sympathien für die Figuren schafft. Ich fand diese Mischung genau richtig.

Fazit:
„Never“ ist ein sehr spannender Polit-Thriller mit einer großartig gelungenen, oft sehr bedrückenden, Atmosphäre. Das Buch ließ mich mit einem sehr nachdenklichen Blick auf das politische Weltgeschehen zurück.

2 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.12.2021
Der geheimnisvolle Mr. Hyde (eBook, ePUB)
Russell, Craig

Der geheimnisvolle Mr. Hyde (eBook, ePUB)


gut

Meine Wertung: 3,5 Sterne

Craig Russell „leiht“ sich für seinen Krimi die Figur des Edward Hyde - dieser ist in der Buchwelt kein Unbekannter und stammt aus der Feder des schottischen Schriftstellers Robert Louis Stevenson. Russell erzählt Hydes Geschichte aber nicht neu, sondern schreibt in seinem Buch eine andere Geschichte.

Das Buch spielt in einem sehr düsteren Edinburgh, Nebel wallt durch die Straßen und dämpft alle Geräusche, die Gaslaternen bringen kaum Licht - die Atmosphäre ist wirklich sehr gut beschrieben und konnte an einigen Stellen einen wohligen Grusel erzeugen. Die Hauptrolle in der Geschichte spielt natürlich der von Gedächtnisverlusten geplagte Edward Hyde, der zudem die große Sorge hat, dass er während seiner Aussetzer gewaltsame Taten oder gar Morde begangen haben könnte. Auch rätselhafte Träume plagen ihn, irrt er durch eine düstere, von der keltischen Mythologie geprägte Welt. Obwohl mich Mythologie sehr interessiert hat mir dieser Aspekt der Geschichte weniger gefallen, denn für meinen Geschmack wurde zu wenig erklärt, so dass ich bis zum Ende des Buches einfach keinen Zugang zu den beschriebenen Wesenheiten und Bräuchen fand.

Die Charaktere hingegen konnten mich durchweg überzeugen. Aus Edward Hyde wird man lange nicht schlau, im Hinterkopf hat man immer seine Rolle in Stevensons Roman und hat ihm gegenüber stets gewisse Zweifel. An seiner Seite ist mit Dr. Burr eine weibliche Ärztin, die sich in einer Männerdomäne behaupten muss und mir von Beginn an sehr sympathisch war.

Der Spannungsbogen ist solide, im Mittelteil wird die Geschichte zwar etwas träge, dafür entschädigt dann aber das rasante Ende, wo sich die Ereignisse überschlagen und ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen konnte. Die Motive hinter den Morgen waren für mich dann aber nicht komplett nachvollziehbar.

Fazit
Ein solider Krimi mit einer großartigen Atmosphäre und gelungenen Charakteren. Der mythologische Aspekt hätte für meinen Geschmack aber entweder einer tiefgründigeren Ausarbeitung bedurft oder weniger im Mittelpunkt stehen sollen.

Bewertung vom 04.12.2021
Im Bann der Bilder / Der Traumpalast Bd.1
Prange, Peter

Im Bann der Bilder / Der Traumpalast Bd.1


sehr gut

Das Buch ist sehr aufwendig recherchiert, viele historische Geschehnisse und auch Persönlichkeiten sind in die Geschichte eingeflochten. Die damalige Zeit, die Menschen und ihr Leben, sind toll dargestellt, ich fühlte mich mitten in die Vergangenheit versetzt. Auch den aufkeimenden Nationalsozialismus fängt der Autor sehr stark ein. Ich hätte mir allerdings einen größeren Fokus auf das Kino gewünscht. Vor allem in der ersten Hälfte des Buches geht es Großteils um die politischen Entwicklungen der damaligen Zeit, Film und Kino spielen nur eine kleine Rolle.

Die Kapitel sind sehr kurz, oft nur zwei oder drei Seiten lang. Eigentlich bevorzuge ich längere Abschnitte und tat mich mit den recht abrupten Szenenwechseln zu Beginn eher schwer. Der Autor schafft durch den häufigen Perspektivwechsel jedoch eine sehr gute Dynamik und immer wieder auch Spannung, so dass ich mich schnell daran gewöhnt hatte und mir die kurzen Abschnitte mit der Zeit immer besser gefielen.

Leider wurden mir bis zum Ende die beiden Protagonisten Rahel und Tino nicht wirklich sympathisch. Rahels Wunsch nach Selbstständigkeit und dass sie für ihre Träume kämpft gefiel mir gut. Allerdings ist sie einfach zu perfekt um mir richtig ans Herz zu wachsen. Gebildet, redegewandt, stets die Schönste im Raum und unglaublich talentiert auf verschiedensten Gebieten. In der Summe ist mir das zu viel des Guten. Tino ist ein eitler Geck der problemlos und reihenweise Frauenherzen bricht. Seine Eitelkeit ist zwar seinem Charakter geschuldet, er kommt vermutlich genauso rüber wie er durch die Feder des Autors erschaffen wurde, sympathisch wird er mir durch dieses Wissen dennoch nicht.

Fazit:
Ein toll erzähltes Buch, das den Zeitgeist der 1920er Jahre einfängt, ich bin nur leider mit den Protagonisten so gar nicht warm geworden.

Bewertung vom 04.12.2021
In ewiger Freundschaft / Oliver von Bodenstein Bd.10
Neuhaus, Nele

In ewiger Freundschaft / Oliver von Bodenstein Bd.10


ausgezeichnet

Nele Neuhaus zehnter Krimi steht ganz unter dem Thema Literatur- und Verlagswelt; die Autorin bietet uns eine ermordete Lektorin, interne Machtkämpfe beim Literaturverlag, ein geheimnisvolles Manuskript und exzentrische Autoren und Verleger. Das sind am Ende dann natürlich eine ganze Menge handelnde Figuren und noch mehr Namen über die gesprochen wird, verpackt in die Hauptermittlung und ergänzt durch einige Nebenplots. Da muss man schon dranbleiben, um die Übersicht nicht zu verlieren. Das Buch ist allerdings so spannend geschrieben, dass man es ohnehin nicht mehr aus der Hand legen möchte. Der Mordfall ist clever durchdacht, die Verdächtigen wechseln sich ab und die Autorin legt immer wieder falsche Fährten für den Leser. Die finale Auflösung konnte mich absolut überraschen und fügt sich gleichzeitig perfekt in die Geschichte ein.

Obwohl ich die Vorgängerbände kenne habe ich ein wenig gebraucht um die immer wieder erwähnten vergangenen Geschehnisse und die Masse an Figuren zuordnen zu können. Für das Personenregister war ich daher sehr dankbar. Wie typisch für die Romane spielt neben dem Fall auch das Privatleben der Ermittler eine Rolle. Im neuesten Buch steht Oliver von Bodenstein im Fokus, der mit krebskranker Ex-Frau, eifersüchtiger Ehefrau und abweisender Stieftochter gerade einiges um die Ohren hat. Neuhaus schafft es, dass diese ganzen Probleme nicht wie eine Seifenoper erscheinen, sondern es den Leser wirklich interessiert wie die Ermittler Privatleben und Mordermittlung überhaupt stemmen können.

Fazit
Ich wurde sehr kurzweilig und spannend unterhalten und kann das Buch nur empfehlen. Wer die Reihe kennt, wird am neuesten Fall seine Freude haben, für Neulinge ist ein Einstieg beim zehnten Buch möglich.

Bewertung vom 18.11.2021
Wolkenkuckucksland
Doerr, Anthony

Wolkenkuckucksland


ausgezeichnet

Byzanz, 15. Jahrhundert:
Waisenkind Anna lebt in Konstantinopel, gemeinsam mit ihrer älteren Schwester arbeitet sie als Stickerin. In der Stadt munkelt man bereits, dass der osmanische Sultan eine Streitmacht ausgesandt hat um die Stadt einzunehmen, doch Anna und ihre Schwester haben nichts wohin sie fliehen könnten. Und so bleibt ihnen nur zu hoffen, dass die Mauern dem Angriff standhalten.
Omeir steht auf Seiten der Osmanen. Unfreiwillig wurde der Junge rekrutiert und ist als Ochsentreiber nun ein Teil des großen Heeres das Konstantinopel einnehmen will.

Idaho, 21. Jahrhundert:
Seymour ist in einfachen Verhältnissen aufgewachsen. Sein liebster Ort war ein kleines Wäldchen, seine größte Freude dort eine Eule zu sehen, die langsam zu seinem Freund wurde. Doch aus dem Wald wurde eine Reihenhaussiedlung und die Eule verschwand zusammen mit den Bäumen. Seymour beginnt für die Natur zu kämpfen, gerät an Fundamentalisten und plant schließlich einen Anschlag. Er will ein Zeichen setzen und niemanden verletzen, doch dann verliert er die Kontrolle über die Geschehnisse.
Rentner Zeno hat in seinem Leben viel erlebt. In jungen Jahren den Vater verloren, im Koreakrieg gekämpft, in einer Umgebung aufgewachsen, wo er nicht zeigen durfte, dass er einen anderen Mann liebt. Durch einen unglücklichen Zufall gerät er nun Seymour in den Weg.

Raumschiff „Argo“, irgendwann in der Zukunft:
Konstance ist gemeinsam mit 65 Menschen auf dem langen Weg zu einem fernen Planeten, um sich dort eine neue Existenz aufzubauen. Das Mädchen wurde auf dem Raumschiff geboren, ihr Vater hingegen hat die Erde noch erlebt. Mit an Bord haben die Menschen eine riesige digitale Bibliothek.
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Anthony Doerrs Buch ist eine wirklich komplexe Erzählung. Zusätzlich zu seinen drei Erzählsträngen gibt es noch eine vierte Geschichte, die in allen drei Zeitebenen eine Rolle spielt, eine Sage über ein utopisches Land über den Wolken: „Wolkenkuckucksland“. Jede der einzelnen Geschichten wäre schon ein Buch wert, zusammen sind sie ein Meisterwerk. Man muss aber Geduld mitbringen und sich darauf einlassen, dass man mehrere Geschichten zeitgleich liest, die dann erst ganz am Ende konkret miteinander in Verbindung gebracht werden. Die meisten Kapitel sind zum Glück lang genug, damit man sich in einer Zeitebene einfinden kann, bevor es weiter zur nächsten geht. Auch die Jahreszahlen zu Kapitelbeginn haben mir sehr geholfen den Überblick zu behalten.

Doerrs Charaktere sind lebendig und greifbar, er schafft es ihnen Leben einzuhauchen. Hat man das Buch beendet, ist es als würde eine Reise mit guten Bekannten zu Ende gehen. Es geht um Glück und Trauer, Liebe und Verlust und obwohl die Protagonisten einige Rückschläge erleben müssen ist es immer eine sehr warmherzige und positive Erzählung, die ganz ohne Kitsch auskommt. Die Geschichte ist sehr bildhaft und spannend erzählt, mir haben alle Erzählstränge ausgesprochen gut gefallen, ich könnte gar keinen Favoriten benennen. Doerr schafft es auch ein paar überraschende Wendungen einzubauen, er baut Situationen auf, führt den Leser in eine Richtung, um dann später zu zeigen, was sich hinter dem Schein wirklich versteckt. Einfach großartig!

Fazit: Der Roman ist clever konstruiert und absolut mitreißend erzählt - und zugleich ist es ein Buch das zeigt, dass das Glück nicht immer in der Ferne liegt.

Bewertung vom 06.11.2021
Teufelsnetz / Jessica Niemi Bd.2
Seeck, Max

Teufelsnetz / Jessica Niemi Bd.2


ausgezeichnet

„Teufelsnetz“ ist der zweite Band um Jessica Niemi. Teil eins habe ich bisher noch nicht gelesen, konnte aber problemlos bei der Fortsetzung einsteigen. An ein paar Stellen werden vergangene Ereignisse und ehemalige Kollegen erwähnt und teils wird dann auch gespoilert was im ersten Buch so alles passiert ist. Dadurch wurde ich aber nur noch neugieriger auf den Vorgänger.

Sehr oft hat bei Krimi/Thrillerreihen die Hauptperson ja eine dramatische und rätselhafte Vergangenheit, die erst nach und nach enthüllt wird. Obwohl mir dieser Art von Charakter nun schon in verschiedensten Büchern begegnet ist, bin ich dessen noch nicht überdrüssig, das habe ich beim Lesen von „Teufelsnetz“ deutlich gemerkt. Denn auch Jessica Niemi hat Geheimnisse und Erlebnisse die sie bis in die Gegenwart verfolgen, und man will einfach wissen, was genau es damit nun auf sich hat! Neben seiner starken Protagonistin profitiert das Buch auch davon, dass neben ihr noch Platz für die anderen Ermittler ist. Durch wechselnde Erzählperspektiven lernt man alle Mitglieder des Ermittlerteams recht gut kennen und so werden auch Jessicas Kollegen mit Leben gefüllt, das hat mir richtig gut gefallen. Bei den vielen Personen und dadurch, dass mal der Vorname, mal der Nachname und dann wieder ein Spitzname verwendet wird, habe ich allerdings ein wenig gebraucht um mich zurecht zu finden. An mancher Stelle hätte ich mir daher gewünscht die Namen wären etwas einheitlicher verwendet worden.

Die Geschichte schreitet stetig voran, dabei herrscht eine etwas düstere und sehr atmosphärische Stimmung. Vor allem die Spannungen zwischen den einzelnen Charakteren sind greifbar. Das Ermittlerteam fand ich sehr gut gelungen, wie oben schon geschrieben ist Jessica zwar der Kopf, aber zur Lösung des Falls tragen alle ihren Teil bei. Bis zur Aufklärung ist es ein weiter Weg, mit viel Ermittlungsarbeit, Befragungen und Spekulationen. Der Autor schafft es aber die Spannung und das Interesse am Fall bis zum Ende aufrecht zu erhalten. Action gibt es zwischendrin vereinzelt und zum Finale dann geballt, aber niemals übertrieben. Am Ende schließt sich dann auch der Kreis der Storyline. Ich stelle ja immer gerne meine eigenen Vermutungen auf, bin hier aber absolut danebengelegen. Die Auflösung hat mich richtig aus den Socken gehauen, es waren ein paar geniale Twists vorhanden.

Bewertung vom 29.10.2021
Der Astronaut (eBook, ePUB)
Weir, Andy

Der Astronaut (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Auch wenn Sci-Fi eigentlich nicht zu eurem Genre gehört: lest diesen Roman! Weir verpackt in seine Geschichte alles was ein großartiges Buch ausmacht: wunderbar gestaltete Charaktere, ein komplex durchdachtes Setting und eine spannende Geschichte mit einigen richtig guten Überraschungen und Dramatik genau an der richtigen Stelle. Ich hatte dieses Jahr schon einige Lesehighlights, „Der Astronaut“ übertrifft alles.

Die Geschichte spielt abwechselnd in der Gegenwart und der Vergangenheit. So erhält Grace nach und nach seine Erinnerungen zurück und zusammen mit ihm beginnt der Leser zu verstehen wie der Wissenschaftler auf das Raumschiff kam, warum die anderen beiden Besatzungsmitglieder gestorben sind und was genau eigentlich seine Mission ist.

Grace ist Wissenschaftler, das merkt man natürlich auch an seinen Gedanken zur Lösungsfindung und natürlich will Andy Weir auch erklären wie die Dinge in seinem Roman funktionieren und was die Menschen zu ihrer Rettung unternehmen. Dabei spielt wie Wissenschaft immer eine große Rolle. Mit den wenigen Überresten meines Schulwissens kamen mir einige Begriffe noch vage bekannt vor, die tieferen Zusammenhänge verstand ich allerdings oft nicht mehr. Zweimal habe ich einen Absatz nur grob überflogen, weil ich absolut nicht folgen konnte was die beiden Wissenschaftler dort gerade diskutierten. Macht aber gar nichts! Zehn Zeilen weiter unten war ich dann schon wieder in die Story eingetaucht.

Und die Story ist einfach großartig! Weir hält einige Überraschungen und Herausforderungen für seinen Protagonisten und den Leser bereit! Ich will hier aber gar nichts verraten oder auch nur andeuten, denn je weniger man über die Story weiß desto besser!

Bewertung vom 24.10.2021
Die Anomalie (eBook, ePUB)
Le Tellier, Hervé

Die Anomalie (eBook, ePUB)


sehr gut

Es dauert ein wenig, bis die Geschichte in Schwung kommt, zu Beginn wusste ich nicht, wohin das Erzählte eigentlich führen soll. Der Autor eröffnet viele Handlungsstränge, er führt gut Dutzend Protagonisten ein und erzählt aus ihrem Leben. Den Überblick zu behalten ist da nicht einfach. Noch im letzten drittel habe ich mich schwer getan alle der Handelnden auseinanderzuhalten, vor allem diejenigen, die insgesamt weniger Präsenz erhielten. Dennoch ist die ganze Einführung notwendig für die sich entwickelnde Geschichte. Sobald dann das Flugzeug mit den Doppelgängern auf dem Boden ist wird es richtig interessant. Le Tellier lässt Medien, Politik, Wissenschaft und Religion auf dieses rätselhafte und seltsame Ereignis reagieren.

Natürlich spielt auch eine zentrale Rolle, wie die Menschen selbst mit ihrer Verdoppelung umgehen. Plötzlich gibt es sie zweimal – doch der Verlobte oder das eigene Kind waren nicht mit an Bord und existieren daher nur einmal. Auch der Besitz und der Job sind nur einmal vorhanden. Welcher der beiden Menschen hat nun also das Anrecht auf all das? Der Autor hat für seine Protagonisten verschiedene Lösungsansätze gefunden, manche unterhaltsam, manche abstrus - aber man kann es sich nur allzu gut vorstellen, dass Menschen genau so reagieren würden.

Den Lesespaß getrübt haben leider einige Interpunktionsfehler und mehrmals vergessene Hervorhebungen gesprochener Worte hat, letzteres hat mich auch immer wieder irritiert und den Lesefluss gestört.

Stilistisch ist das Buch ein bunter Mix. Ein wenig Sci-Fi, ein bisschen humoristische Gesellschaftskritik und ein minimaler Anteil Thriller. Über allem schwebt das Gedankenexperiment. Großteils hat mir das gut gefallen, es gab allerdings auch Passagen, in denen der Autor abschweift und philosophisch wird, sich in Details verliert und die Sätze immer länger und länger werden.

Fazit
Le Telliers Roman ist ein spannendes Gedankenspiel mit unaufdringlichem Humor. An einigen Stellen anspruchsvoll zu Lesen, aber eine spannende Erfahrung.

Bewertung vom 16.10.2021
Artemis (eBook, ePUB)
Weir, Andy

Artemis (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Andy Weirs Bücher haben den Ruf sehr techniklastig zu sein. Bei „Artemis“ spielt die Technik natürlich auch eine Rolle, denn Weir hat sich genau überlegt wie seine Mondstadt aufgebaut ist und funktioniert. Die Details fand ich als Laie aber nie zu erschlagend, sondern ganz im Gegenteil sehr interessant. Nur an zwei Stellen gab es ein paar Sätze die ich überflogen habe, weil mir die dort erklärten chemischen und physikalischen Zusammenhänge zu detailliert waren.

Der Autor lässt seiner Protagonistin viel Zeit um dem Leser das Leben auf dem Mond zu erklären und entwickelt daraus eine Art Krimi. Die taffe Jazz ist dabei nie um einen lässigen Spruch verlegen und kann an mancher Stelle schon etwas auf die Nerven gehen. Das gehört aber zu ihrer Persönlichkeit, sie ist eben niemand der auf der Suche nach neuen Freunden ist. Ihr trockener Humor hat mir sehr gut gefallen und mich an mehreren Stellen zum Lachen gebracht.

Beim Schreibstil darf man keine Raffinessen erwarten, Weir schreibt sehr simpel und geradlinig, mit kurzen und prägnanten Sätzen. Er verzichtet dabei auch auf poetische Ausschweifungen und philosophische Gedankengänge. Mir hat das sehr gut gefallen, das Buch will nicht mehr sein als es ist, es bietet kurzweilige und sehr gute Unterhaltung, interessante Charaktere und tolle Ideen.

Fazit
"Artemis" ist weniger komplex als Weirs Meisterwerk "Der Marsianer", trotzdem fand ich das Buch sehr gut. Es hat mich kurzweilig unterhalten, einfach ein Buch das man entspannt "runterlesen" kann.

Bewertung vom 09.10.2021
Dann schlaf auch du
Slimani, Leïla

Dann schlaf auch du


ausgezeichnet

Bereits die ersten Sätze verraten das Ende der Geschichte: die beiden kleinen Kinder sind tot, sie wurden ermordet. Ein ganz wenig Unklarheit herrscht noch darüber, wer die Tat begangen hat, die zentrale Frage des Romans ist aber das Warum. Um das zu erzählen macht die Autorin nach dem brutalen ersten Kapitel einen Sprung zurück und erzählt wie Myriam und Paul ihre Nanny Louise kennenlernten, einstellten und immer mehr von ihr abhängig wurden. Auch Louises Vergangenheit findet nach und nach Platz in der Geschichte. Und so kann der Leser mitverfolgen, wie die Ereignisse ihren Lauf nehmen und schließlich im fatalen ersten Kapitel enden.

Slimanis Roman ist kein Thriller. Das Buch erzählt von sozialem Elend, einem Leben das nicht wie geplant verlaufen ist und schleichender Perspektivlosigkeit. Die Handlung besteht oft aus Nebensächlichem, doch dort sind kleine Irritationen enthalten, Reaktionen und Worte, die den Leser stutzen lassen und andeuten, dass sich hinter der Fassade eines Menschen etwas versteckt. Die Steigerung des sich kümmernden und sorgenden Menschen bis zur krankhaften Besessenheit ist faszinierend und zugleich bedrückend zu beobachten.

Fazit
Slimanis Roman ist die Studie einer sich langsam anbahnenden Tragödie. Das ist spannend zu lesen, aber zugleich auch sehr belastend, so dass man sich vor der Lektüre überlegen sollte, ob man einen Roman über einen Mord an zwei kleinen Kindern lesen möchte.