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Benutzername: 
takabayashi
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Berlin
Über mich: 
Vielleser

Bewertungen

Insgesamt 150 Bewertungen
Bewertung vom 02.03.2020
Je tiefer das Wasser
Apekina, Katya

Je tiefer das Wasser


gut

Eine zutiefst gestörte Familie
Der Klappentext ist etwas irreführend, da er Erwartungen schürt, die der Roman letztendlich nicht erfüllen kann. Edie und Mae sind 16, bzw. 14 Jahre alt, als sie nach einem Selbstmordversuch ihrer Mutter Marianne aus der Kleinstadt in der Nähe von New Orleans zu ihrem Vater Dennis nach New York ziehen müssen. Dennis ist ein relativ renommierter Schriftsteller, der die Familie vor 12 Jahren verlassen hat. Edie kann ihm nicht verzeihen, dass er verschwunden ist, während Mae zu klein war, um sich an ihn zu erinnern, und sich daher freut, ihn kennenzulernen. Edie empfindet den Umzug nach New York als Verrat an der Mutter, Mae empfindet ihn als Befreiung von ihrer psychotischen Mutter, die sie stark vereinnahmt hat - zumal Mae auch optisch ihrer Mutter sehr ähnelt und sich fast wie eine Erweiterung von Marianne gefühlt hat.
Geschildert wird die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven, hauptsächlich natürlich aus Edies und Maes Blickwinkel, aber es kommen auch diverse andere Personen zu Wort, die in irgendeiner Weise etwas mit dieser Familie zu tun haben. Dieses Stilmittel hat mir gut gefallen, denn dadurch werden manche Ereignisse ganz unterschiedlich gedeutet, wie es ja auch im wirklichen Leben häufig vorkommt. Die Handlung spielt auch auf verschiedenen Zeitebenen, beginnend mit den 60er Jahren, in denen Dennis sich der Bürgerrechtsbewegung anschloss und deshalb in den Süden kam, wo er Mariannes Vater kennenlernte. Als sie dann heirateten, war Marianne 17 und Dennis Anfang 30. Er gehört offensichtlich zu den Männern, die die Bewunderung einer deutlich jüngeren, naiven Frau brauchen.
Die erste Hälfte des Buches habe ich noch mit Neugier und Vergnügen gelesen, aber dann erschloss sich allmählich das Ausmaß der Gestörtheit sämtlicher Protagonisten und das wurde mir dann zu viel. Ich konnte weder Sympathie noch Mitgefühl für die Figuren aufbringen und fand die Lektüre zu deprimierend und verstörend. Denn auch Dennis ist gestört - er missbraucht sämtliche Beziehungen in seinem Leben - vor allem natürlich die zu seiner psychisch kranken Frau - als Quellen für seine Romane und seine Beziehung zu Mae gestaltet sich auf sehr fragwürdige Weise. Ich weiß nicht, was die Autorin uns sagen will: vielleicht dient ihr das Schreiben als Therapie? Sie kann zweifellos gut schreiben, aber ich war froh, als ich das Buch endlich ausgelesen hatte. Nicht mein Geschmack!

Bewertung vom 31.01.2020
Die Ewigkeit in einem Glas
Kidd, Jess

Die Ewigkeit in einem Glas


weniger gut

Enttäuschend anders als erwartet
Ich hatte eine Art historischen Kriminalroman erwartet, musste dann aber feststellen, dass es sich eher um eine Art Fantasy- oder Geister-Roman handelt: trotzdem habe ich mich tapfer durch fast die Hälfte des Buches gekämpft, konnte aber damit nicht warm werden. Nur selten habe ich für so wenige Seiten so lange gebraucht, das Buch konnte mich einfach nicht in seinen Bann ziehen.
Der Autorin gelingt es gut, Personen zu beschreiben und Atmosphäre zu schaffen - man kann sich das Leben in London im 19. Jahrhundert gut vorstellen. Bridie war mir auch einigermaßen sympathisch, desgleichen ihr Kumpan, der Geist Ruby, doch fesseln konnte mich die Geschichte nicht: das war mir alles zu schräg, z. B. die entführte Tochter des Grafen, bei der es sich um eine Art bissiges kleines Monster handelt. Und es dauert alles viel zu lange, die Handlung zieht sich und kommt nicht in Gang, was dem Spannungsaufbau auch nicht gerade zuträglich ist! Schade, ich hatte mir das Buch extra besorgt, weil ich dachte, dass es mir gefallen könnte, musste dann aber aufgeben, weil es keine Leselust, sondern eine Lesequal für mich war. Die Autorin kann fraglos schreiben, daher die zwei Sterne, aber empfehlen kann ich dieses Buch leider nicht.

Bewertung vom 27.01.2020
Im Netz des Lemming / Lemming Bd.6
Slupetzky, Stefan

Im Netz des Lemming / Lemming Bd.6


sehr gut

Schwarzhumoriger Österreich-Krimi am Puls der Zeit
Vorher hatte ich noch kein Buch aus der Lemmingserie gelesen, was ich nun sicher nachholen werde: ein anspruchsvoller Krimi im besten Sinne, ein moderner Gesellschaftsroman, sehr unterhaltsam, voller pointierter Dialoge, Gesellschaftskritik, Wiener Schmäh und zitierwürdiger Äußerungem, z.B. über das "Gendern".
Zoo-Nachtwächter Leopold Wallisch, alias Der Lemming, ehemaliger Polizist, der mit dem System nicht klarkam und sein Freund und Ex-Kollege Polivka ermitteln im Todesfall des kleinen Mario Rampersberg, einem Freund von Ben, dem Sohn des Lemmings. Der Lemming ist zufällig zum Augenzeugen seines "Selbstmords" geworden, wird dann aber dank eines Denunzianten schnell selbst zum Verdächtigen. Offensichtlich hat eine Textnachricht auf seinem Smartphone den Jungen in den Tod getrieben.
Das Thema dieses Krimis sind die Auswirkungen der allggegenwärtigen Smartphones auf das tägliche Leben, es geht um Hatemails, Shitstorms, Cyber-Mobbing und bezahlte Influencer.
Spannend, witzig, zeitkritisch, bissig - brillant! Am Ende hat mich dann der österreichische Pessimismus etwas zu sehr runtergezogen, auch wenn (oder vielleicht gerade weil) der Autor mit seinen Aussagen natürlich völlig recht hat. Dagegen wirkt z.B. der satirische Autor Jörg Maurer geradezu harmlos!
Eine interessante Entdeckung, sehr empfehlenswert.

Bewertung vom 15.01.2020
Alles, was wir sind
Prescott, Lara

Alles, was wir sind


gut

Ein Roman als Propagandawaffe im Kalten Krieg
Eine interessante Idee für einen historischen Roman: Boris Pasternaks Liebesgeschichte und Revolutionskritik "Doktor Shiwago", in der Sowjetunion verboten, wurde heimlich aus Russland herausgeschmuggelt und vom italienischen Verleger Feltrinelli veröffentlicht. Die CIA wittert eine Chance für eine Propagandakampagne und lässt einige 100 Exemplare auf Russisch drucken und nach Russland zurückschmuggeln. Das alles ist tatsächlich so geschehen und Lara Prescott webt eine Geschichte drumherum, die abwechselnd im Osten (Russland) und Westen (hauptsächlich USA, aber z.B. auch 1958 auf der Weltausstellung in Brüssel) spielt. In den einzelnen Kapiteln erzählen unterschiedliche Protagonisten, z.B. die CIA-Stenotypistinnen als Gesamtgruppe, Irina, eine junge russische Immigrantin, die sich beim Schreibpool beworben hat und dort auch angestellt wird, dann aber zu den Auserwählten gehört, die als Agentin eingesetzt werden (eine große Ausnahme in der Männerdomäne der CIA) und Sally, eine etwas ältere Agentin, die sich um Irinas Ausbildung kümmert. Die russischen Kapitel werden meist aus der Perspektive von Pasternaks Geliebten Olga erzählt. Olga wurde aufgrund ihrer Beziehung zu Pasternak für 3 Jahre ins Lager in Sibirien geschickt.
Die Idee ist gut, die Geschichte ist gut, aber die Umsetzung hat mich nicht ganz überzeugt. Die Schilderungen über das Leben in den Fünfzigern in Washington DC fand ich interessant, aber ich konnte mich mit niemandem identifizieren, was vielleicht an der Vielzahl der Protagonisten liegt - Irina hätte sich dafür angeboten, aber ihre Figur erwachte nie so recht zum Leben. Am nächsten kam einem eigentlich Sally, die vielleicht auch der Autorin am meisten am Herzen lag. Außerdem fehlte mir auch ein wenig die Spannung, die man von einem Roman aus dem Agenten-Milieu erwarten könnte. Die abgöttische Liebe Olgas zu Pasternak wurde nicht nachvollziehbar und Pasternak stellte sich mir als narzistischer Macho dar. Ich habe ziemlich lange an dem Buch gelesen, immer ein schlechtes Zeichen, denn ich bin eigentlich eine Schnell- und Vielleserin. Erst gegen Ende nahm die Geschichte noch etwas Fahrt auf. Mein Eindruck ist zwiespältig: interessant genug, um die Lektüre nicht abzubrechen, aber etwas zähflüssig zu lesen - und es fehlte das gewisse Etwas, das den Funken überspringen lässt!

Bewertung vom 18.10.2019
Der Verein der Linkshänder
Nesser, Hakan

Der Verein der Linkshänder


sehr gut

Kommissare auf dem Holzweg
Ein alter Fall, der gelöst schien, wird plötzlich - 30 Jahre später - wieder aktuell, als die Leiche des für den Täter gehaltenen Mannes auftaucht: nach der Obduktion ist klar, dass auch er bereits seit 30 Jahren tot ist. Kommissar Van Veeteren ist längst im Ruhestand und plant gerade seinen 75. Geburtstag, aber da er damals der ermittelnde Kommissar war, wenden die Kollegen sich an ihn.
In den späten 50er Jahren wurden linkshändige Kinder noch dazu gezwungen, zum Schreiben ihre rechte Hand zu benutzen. Eine Gruppe von derart malträtierten Schülern schließt sich zum Verein der Linkshänder zusammen - 4 Jungen und 2 Mädchen, die eineiigen Zwillingsschwestern Clara und Birgitte. Als sie schon kurz vor dem Schulabschluss standen, betätigten sich die beiden Mädchen als Babysitter für Madeleine, die Tochter einer sehr wohlhabenden Familie. Das Kind wird entführt und getötet - danach fällt der Linkshänderverein auseinander.
Aber 1982 ruft eines der ehemaligen Mitglieder die Gruppe zu einem Treffen in ihrer Heimatstadt zusammen. Nur Clara nimmt teil, Birgitte hatte sich schon vorher von der Gruppe entfernt. Allerdings nimmt sie dann doch teil in Vertretung ihrer Schwester (und als diese auftretend), die das Wochenende mit ihrem Geliebten verbringen will. Die Pension, in der das Treffen stattfindet, brennt in dieser Nacht ab. Man findet 4 Leichen und hält entsprechend das fünfte Mitglied für den Täter. Diese Theorie ist aber nun nach dem Leichenfund von 2012 hinfällig. Und Van Veeteren beginnt - mit Unterstützung seiner Lebensgefährtin - wieder zu ermitteln. Zu einem späteren Zeitpunkt gibt es noch einen weiteren Mord in Schweden, der mit der ursprünglichen Tat zusammenzuhängen scheint, und Nessers anderer Kommissar, Barbarotti, beteiligt sich an den Ermittlungen. Die Kommissare verfolgen viele Spuren und Theorien, die sich immer wieder als falsch erweisen - ein ungeheuer verzwickter Fall!
Ich hatte bisher erst einen Einzelkrimi von Nesser gelesen, "DER FALL KALLMANN", den ich außerordentlich gut fand. An dessen Niveau kommt dieser Roman nicht ganz heran. Die Van Veeteren und Barbarotti-Serien kenne ich nicht und kann daher keine Vergleiche ziehen. Das erste Drittel ist zwar nicht langweilig, aber etwas zäh, ich bin mit dem Lesen nicht sehr schnell vorangekommen. Das ändert sich aber ab dem zweiten Drittel rapide, die Geschichte wird immer rasanter und sehr spannend, und bis ganz kurz vor dem Ende hatte ich keine Ahnung, wer der Täter sein könnte. Auch der Humor kommt nicht zu kurz. Van Veeteren ist etwas altersmild und altersweise und ein sympathischer Protagonist. Und gut schreiben kann Hakan Nesser sowieso, das braucht man eigentlich gar nicht zu erwähnen. Deshalb alles in allem auf jeden Fall eine Leseempfehlung, besonders für Nesser-Fans, eher nicht für die Freunde blutiger hardboiled Thriller.

Bewertung vom 14.10.2019
Hotel Cartagena / Chas Riley Bd.9
Buchholz, Simone

Hotel Cartagena / Chas Riley Bd.9


ausgezeichnet

Rache ist ein Gericht, das am besten kalt serviert wird
Es ist schon eine Weile her, dass ich einige Bände aus der Chastity Riley-Reihe gelesen habe, aber der vorliegende neunte Band hat mich dermaßen gepackt und begeistert, dass ich die mir fehlenden Bände umgehend nachholen muss. Simone Buchholz kann einfach sehr gut schreiben! Ihr Stil ist lässig, lakonisch, kurz und knapp, Staccato manchmal.
Zwei Handlungsstränge werden miteinander verwoben: Es geht um die Lebensgeschichte eines jungen Mannes aus Hamburg, der im Jahr 1984 auf einem Schiff anheuert und dann in Cartagena in Kolumbien landet und dort schließlich als Handlanger der kolumbianischen Drogenkartelle agiert. Als er verraten wird, geht sein gesamtes Leben in die Brüche. Er hat nichts mehr zu verlieren und sinnt nur noch auf Rache ... Der zweite Handlungsstrang in der Gegenwart: eine Geburtstagsfeier unter Polizisten, in einer (zu) schicken Hamburger Bar, unter den Feiernden die Staatsanwältin Chastity, ihr Ex-Lover und ihr Ab-und-an-Lover - nur der aktuelle Lover fehlt. Gastgeber ist Faller, der Chef der Mordkommission, der 65 wird und kurz vor der Rente steht. Es zeigt sich, dass die beiden Geschichten eigentlich nur eine sind. Es kommt zu einer stundenlangen Geiselnahme in dieser Bar. Dort wird die Geschichte immer aus Chastitys Perspektive geschildert und ganz allmählich wird dem Leser klar, worum es bei dieser Geiselnahme geht.
Was besticht, sind die flotten Dialoge, die coole Sprache, die sehr ungewöhnliche Hauptfigur. Den letzten Band, den ich gelesen hatte, fand ich etwas zu depressiv, das war hier nicht der Fall, auch wenn durch Chastitys skeptische Weltsicht immer auch ein Hauch von Melancholie ins Spiel kommt. Und ich fand es sehr angenehm, mal nicht einen 500+-Seiten-Schinken vor mir zu haben.
Fernab der Krimi-Fließbandware haben wir hier einen anspruchsvollen, literarischen Kriminalroman, dessen Verlauf uns überrascht, der Hochspannung liefert und bestens unterhält. Etwas irritiert hat mich eine kurze Passage, in der der Text Gedichtform annimmt, aber auch daran konnte ich mich gewöhnen. Empfehlenswert, wenn auch vermutlich nicht jedermanns Sache!

Bewertung vom 16.09.2019
Die Dame hinter dem Vorhang
Peters, Veronika

Die Dame hinter dem Vorhang


sehr gut

Das Leben einer unangepassten Frau und Künstlerin im frühen 20. Jahrhundert
Vor der Lektüre dieses Buches hatte ich noch nie etwas von Dame Edith Sitwell gehört.
Die Idee, diese literarische Biographie aus der Sicht ihrer (fiktiven) Zofe Jane erzählen zu lassen, hat mir gut gefallen. Dadurch wird auch das "Oben" versus "Unten"-Thema dieser Epoche angesprochen, so wie etwa in Downton Abbey, Gosford Park etc. Allerdings nimmt Jane sich sehr zurück, legt den Akzent auf das Leben ihrer Dienstherrin und erwähnt nur nebenbei ihr eigenes Leben, von dem sie immerhin 37 Jahre in deren Diensten verbringt.
Edith Sitwell ist die älteste Tochter einer britischen Adelsfamilie und ist ihren Eltern von Anfang an zu groß und zu häßlich, einfach weil ihr Aussehen nicht dem gängigen Schönheitsideal entspricht. Das wird ihr auch ständig vorgehalten, so dass sie schließlich selbst daran glaubt. Mit einer bestialischen Apparatur, an die man sie jahrelang fesselt, sollen diese negativen Merkmale korrigiert werden, um sie konkurrenzfähig für den Heiratsmarkt zu machen. Ihre jüngeren Brüder haben da etwas bessere Karten, aber generell lässt sich sagen, dass der Kontakt zwischen Eltern und Kindern wie beim Adel damals üblich, nicht sonderlich intensiv und herzlich war.
Mit der Heirat hat es nie geklappt, was Edith aber wohl auch nicht übermäßig bedauert hat. Sie nahm sich viele Freiheiten, mauserte sich zur Dichterin und Stil-Ikone in einschlägigen Künstlerkreisen - zuerst in London, später in Paris - und bildete mit ihren 2 Brüdern ein verrücktes Trio. Viele große Namen zählten zu ihrem Freundeskreis, u.a. Cecil Beaton und Marilyn Monroe. Finanziell gab es Zeiten, in denen sie sich durch ihre literarische Arbeit ganz gut über Wasser halten konnte, aber im Großen und Ganzen war sie doch immer auf großzügige Mäzene angewiesen. Sie hatte Freunde, jedoch keine Liebhaber, weder männliche noch weibliche.
Eine durchaus interessante Lektüre - das schätze ich an historischen Romanen, dass man einen persönlich geprägten Zugang zu historischen Ereignissen bekommt.

Bewertung vom 01.09.2019
Dead Lions / Jackson Lamb Bd.2
Herron, Mick

Dead Lions / Jackson Lamb Bd.2


ausgezeichnet

Lakonisch, humorvoll, rätselhaft und spannend - ein Wiedersehen mit den Slow Horses
Genial der Einstieg über die Katze, die durch Slough House pirscht und uns mit den Räumlichkeiten und den handelnden Personen bekannt macht. Skurrile und originelle Charaktere und ein mysteriöser neuer Fall, ausgelöst durch den plötzlichen Tod eines ehemaligen Agenten im Schienenersatzverkehr zwischen Reading und Oxford. Mick Herron gelingt wieder dieser Mix aus Spannung und Satire, der mir schon beim ersten Band so gut gefallen hat. Tolle Charaktere, witzige Dialoge und eine spannende Geheimdienstgeschichte. Ob das wirklich beim MI5 und MI6 so abläuft? Vermutlich ist in Wirklichkeit alles noch viel schlimmer. Die (Anti-) Helden dieses Romans sind Agenten, die aufgrund eines persönlichen Versagens aus dem aktiven Dienst suspendiert und nach Slough House strafversetzt wurden, wo sie hautsächlich mit Büroarbeiten wie Recherche und Archivieren beschäftigt werden. Man hofft, dass sie davon so frustriert sind, dass sie von sich aus kündigen. Aber hin und wieder werden sie doch noch gebraucht und beweisen, dass sie durchaus einfallsreiche und findige Agenten sind.
In diesem Fall ist nichts so, wie es zuerst scheint. Herrons ironische Schilderung der Geheimdienstaktivitäten weist durchaus kritische Untertöne auf, aber vor allem unterhält er uns prächtig mit einer äußerst turbulenten und spannenden Geschichte. Ich freue mich schon auf die nächste Fortsetzung. Zum Ausklang schnüffelt sich wieder ein Tier - diesmal eine Maus - durch Slough House und besucht noch einmal die Protagonisten. Nicht der übliche Spionagethriller und vielleicht nicht jedermanns Sache, aber von mir gibt es die volle Punktzahl.

Bewertung vom 20.08.2019
Letzte Rettung: Paris
deWitt, Patrick

Letzte Rettung: Paris


gut

Hält nicht ganz, was der Klappentext verspricht
Frances Price, eine sehr exzentrische Mutter von der New Yorker Upper Eastside lebt nach dem Tode ihres Gatten mit ihrem erwachsenen Sohn Malcolm in Saus und Braus, ohne zu bedenken, dass das Vermögen des Verstorbenen zwar sehr groß, aber doch endlich ist, bzw. bekommt man sogar den Eindruck, dass sie es in selbstzerstörischer Absicht darauf anlegt, Pleite zu gehen. Beide sind gelangweilt, Malcolm ist ein echtes Muttersöhnchen, den seine Mutter zu Lebzeiten wohl nicht aus ihrem eisernen Griff lassen wird, und der sich ihr gegenüber nicht behaupten kann, es nicht einmal versucht. Seine Freundin Susan ist am Verzweifeln und versucht, von ihm loszukommen. Dann die schlechte Nachricht vom Hausbanker: es ist nichts, absolut nichts mehr vom Vermögen übrig.
Alle beweglichen Wertgegenstände werden auf Anraten des Bankers noch schnell versilbert und mit diesem nicht unerklecklichen Sümmchen in der Tasche geht es auf nach Paris in die Wohnung einer Freundin von Frances. Auch hier geht das Geldausgeben im großen Stil weiter. Kleiner Frank - der Kater der beiden, der nach Frances Meinung eine Reinkarnation ihres verstorbenen Ehemannes ist - der mitgekommen ist, verschwindet plötzlich. Die beiden scharen ein Grüppchen skurriler Gestalten um sich, die bei der Suche helfen sollen und bald zu einer Art WG werden.
Die Protagonisten erscheinen zwar nicht unbedingt sympathisch, aber wie von ihrem Leben berichtet wird, ist recht amüsant. Aber auch nicht mehr - Anteilnahme für das Schicksal der Personen konnte ich nicht aufbringen, ihre Handlungsweise blieb mir fremd und unerklärlich. Was sich amüsant liest, ist eigentlich traurig: ist es das, was der Autor uns mitteilen will?
Besteht am Ende etwas Hoffnung für Malcolm, der bislang immer ein Außenstehender, ein Beobachter war? Ich weiß es nicht und war von der Lektüre nicht gelangweilt, aber doch irgendwie frustriert. Ich lese lieber Romane mit Identifikationspersonen, doch hier bestand immer eine klare Distanz zu den Protagonisten, die auch kaum Ansätze einer Entwicklung zeigten. Also, guter humorvoller Schreibstil, aber was soll das Ganze?

Bewertung vom 12.08.2019
Im Wald der Wölfe / Jan Römer Bd.4
Geschke, Linus

Im Wald der Wölfe / Jan Römer Bd.4


gut

Etwas zu konstruierter aber ganz unterhaltsamer Krimi
Jan Römer brauchte nach seinem letzten Fall mal eine Auszeit und hat sich deshalb zu einem Urlaub in einer einsamen Hütte im Thüringer Wald zurückgezogen, wo er es genießt, einen Krimi nach dem anderen zu lesen. Doch platzt eines Abends eine Frau mit einer leichten Verletzung in sein ruhiges Idyll. Sie behauptet, nur gestolpert zu sein, wirkt aber ziemlich verstört. Sie kommen ins Gespräch und sie erzählt Jan von einer Mordserie, die schon vor über 50 Jahren begann, sich aber - mit großen Pausen - bis heute hinzieht. Die Gemeinsamkeit aller Fälle ist, dass die Opfer auf der Stirn mit einem Wolfsmal gebranntmarkt wurden. Jans journalistisches Interesse ist natürlich sofort geweckt, denn solche Cold Cases sind ja genau sein Thema.
Es dauert nicht lange, bis seine Kollegin Mütze mit seinem Freund Arslan anreist, um ihn zu unterstützen. Und Arslan bringt seine Freundin Lena mit, eine Psychologiestudentin mit Profiler-Intentionen.Die vier stochern zuerst ziemlich vergeblich in dem Fall herum. Handelt es sich bei diesem langen Zeitraum um einen Mörder oder vielleicht um 2 oder sogar 3 unterschiedliche Täter? Ist ein Trittbrettfahrer dabei?
Es gibt einen weiteren Toten, nämlich einen von ihnen befragten Zeugen, und Jan wird allmählich klar, dass sie sich in zu große Gefahr begeben.
Die Motive für diese generationenübergreifenden Verbrechen haben etwas mit der Nazi-Ideologie, dem DDR- und Stasi-Filz, wirtschaftlicher Gier und Freude am Töten zu tun. Ich mag es gar nicht, wenn in Krimis auch die Täter selbst zu Wort kommen und ihre meist recht kranken und krausen Gedanken ausbreiten. Geschke konstruiert hier eine Story um "das Böse an sich" - mir sind Krimis um Morde mit den gängigen Motiven lieber als Fälle, in denen irgendwelche Psychopathen am Werke sind. Mir wurde das gegen Ende zu heftig. Auch fand ich, dass sich die vier Protagonisten teilweise zu leichtsinnig in Gefahr begeben haben.
Das Aufklärer-Quartett fand ich sympathisch, aber die Mordserie an sich hat mich nicht so überzeugt.
Das war mein 2. Jan Römer-Krimi und einen weiteren Band werde ich eher nicht lesen, weil ich doch etwas humorvollere Krimis bevorzuge, aber wenn ich das richtig gedeutet habe, war dies sowieso der letzte Band der Reihe.