Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Buchbesprechung
Wohnort: 
Bad Kissingen
Über mich: 
Ich bin freier Journalist und Buchblogger auf vielen Websites. Neben meiner Facebook-Gruppe "Bad Kissinger Bücherkabinett" (seit 2013) und meinem Facebook-Blog "Buchbesprechung" (seit 2018) habe ich eine wöchentliche Rubrik "Lesetipps" in der regionalen Saale-Zeitung (Auflage 12.000).

Bewertungen

Insgesamt 368 Bewertungen
Bewertung vom 13.07.2021
Die Geschichte eines einfachen Mannes
Kaleyta, Timon Karl

Die Geschichte eines einfachen Mannes


sehr gut

REZENSION – Mit seinem im April beim Piper Verlag veröffentlichten Roman „Die Geschichte eines einfachen Mannes“ ist dem Autor Timon Karl Kaleyta (31) ein überraschendes Debüt gelungen, das zu Recht beim diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb mit dem 3sat-Preis ausgezeichnet wurde. Kaleyta porträtiert darin einen sich selbst grenzenlos überschätzenden jungen Mann, der, liebevoll verwöhnt von seinen Eltern, zwei für das "familiäre Auskommen schuftende Fabrikarbeiter", überzeugt ist, „dass das Leben ein Geschenk ist, ein fröhliches Spiel“, ohne für dessen Erfolg selbst etwas leisten zu müssen.
Seine Schulnoten waren ausgezeichnet, ebenso seine Studienabschlüsse. Zu keinem Zeitpunkt macht sich der Erzähler Gedanken um die Zukunft, „so mühelos war mir stets alles zugeflogen“. Er ist sicher, „dass mir etwas Besonderes innewohnte“ und dass das Schicksal noch Großes mit ihm vorhat. Statt nach dem Studium der Soziologie eine der ihm angebotenen seltenen Anstellungen als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Bochumer Universität anzunehmen, lebt der „einfache Mann“ fortan mit den Mitteln eines Studiendarlehens sowie auf Kosten seines Freundes Sebastian oder seiner Freundinnen Neomi und Soyoung. Er nutzt schamlos das Vertrauen seiner Eltern, Freunde und Mitmenschen aus, ohne je einen Gedanken daran zu verschwenden, dieses Vertrauen auch rechtfertigen zu müssen.
Völlig überraschend wird der „einfache Mann“ ein hoffnungsvoller Texter und Sänger, „ein bewunderter und von allen verehrter Musiker“, wie er sich selbst vormacht. Alles gelingt ihm ohne Ehrgeiz, ohne Plan und Ziel. Arbeiten lässt der Mann „mit den weichsten Männerhänden der Welt“ lieber seinen Freund Sebastian und die Band-Mitglieder. Anfangserfolge lassen ihn leichtsinnig und hochmütig werden. Als sich seine Freundin Soyoung überraschend von ihm trennt („Es gibt nämlich noch andere Menschen als Dich auf der Welt“), erkennt er nicht seine ihr zugefügte Kränkung, sondern sieht nur eine „Befreiung“ von hinderlicher Verpflichtung. Der „einfache Mann“ glaubt eine große Karriere vor sich und ist überzeugt, sich erfolgreich von den „verstopften Lebensentwürfen“ seiner Arbeiter-Eltern, seiner einstigen Mitschüler und Mitstudenten entfernt zu haben.
Doch dann kommt es, wie wir Leser es längst erwartet haben: In seinem Briefkasten landen „eine ganze Reihe unbezahlter Rechnungen, Mahnungen, Zahlungsaufforderungen“. Prompt sieht der Egozentriker nicht die Schuld bei sich, sondern bei allen anderen: „Was hatte ich der Welt nur getan, dass sie mich derart strafte?“ …. „Alles war letztlich Sebastians Schuld.“ Völlig verschuldet, ohne Verbindung zu den von ihm in seiner Arroganz brüskierten Freunden und Eltern, landet der „einsame, mittelloser Mann von bald 35 Jahren“ plan- und ziellos zur Untermiete in einem kleinen fensterlosen Zimmer im Berliner Osten. „Ein Neuanfang konnte es unmöglich gewesen sein, dafür fehlte mir die Perspektive.“ Erst viel zu spät erkennt er seine Situation „als Ausweis eines gescheiterten und in jeder Beziehung an die Wand gefahrenen Lebens“.
Autor Kaleyta lässt seine Leser mit seinem Erzähler, der an seinem Missgeschick unschuldig zu sein glaubt und letztlich für seine Selbstüberschätzung und Ignoranz hart bestraft wird, mal mitleiden, mal über ihn lachen, mal sich über dessen Hochmut entsetzen. Es ist diese Mischung unterschiedlicher Gefühle die den in schlichtem, unaufdringlichem Erzählton verfassten Roman so eingängig macht, gelegentlich auch tief berührt. „Die Geschichte eines einfachen Mannes“ ist ein lesenswertes, in seiner Handlung absolut überzeugendes Debüt. Vergleicht man den Lebensweg des Autors mit der Geschichte seines Protagonisten – beide haben in Bochum Soziologie studiert, beide sind Songtexter –, fragt man sich unweigerlich, wie viel Autobiographisches von Timon Karl Kaleyta in seinem ersten Roman steckt.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.07.2021
Höllenkind / Clara Vidalis Bd.8
Etzold, Veit

Höllenkind / Clara Vidalis Bd.8


schlecht

Nachdem ich schon am Thriller "Final Control" (2020) von Veit Etzold (48) trotz der eigentlich interessanten Geschichte etliche stilistische Mängel auszusetzen hatte, erspare ich mir bei seinem neuen, im März erschienen Thriller "Höllenkind", dem achten Band der Clara-Vidalis-Krimireihe, im März bei der Verlagsgruppe Droemer Knaur erschienen, die Mühe einer ernsthaften Rezension: Dieser Roman ist dermaßen dürftig und stilistisch auf niedrigem Niveau, wie man es diesem Autor kaum zutraut. Schon die Ausgangsidee - Clara Vidalis wird vom Dienst im LKA suspendiert und im unfreiwilligen Urlaub in Florenz vom Vatikan angeheuert - ist dermaßen unglaubwürdig, dass alles Nachfolgende kaum noch wundert. Wieder im Text häufige Wiederholungen, und sollten erfahrene Kriminalisten im Dienst sich tatsächlich so dümmlich unterhalten und verhalten, wie die Dialoge im Roman formuliert und die Szenen geschildert sind, muss man um die Effektivität der deutschen Kripo bangen. Der ganze Roman ist absolut banal, schludrig und lieblos während der Lockdown-Monate runtergeschrieben. Die Spannung - sollte man eine beim Lesen überhaupt verspürt haben - verpufft spätestens zur Mitte des Buches, wenn die Identität der Täterin erkennbar wird. Das einzig Positive an diesem Roman sind jene Textpassagen, die sich sachlich auf Rom und Florenz, auf die dortigen Baudenkmäler und Kunstschätze sowie auf Dantes "Göttliche Komödie" beziehen. Zusammengefasst: Dieser Roman war für mich sogar als ablenkende Feierabend-Lektüre noch untauglich, da ich mich während der Lektüre statt zu unterhalten eher über das niedrige Niveau des Romans geärgert habe. Ich habe trotz dreimaligen Abbruchversuchs doch bis zum Ende durchgehalten, aber leider blieb meine Ausdauer selbst im Epilog unbelohnt, da man sich die Hintergründe, die zu den spektakulären Morden geführt haben, schon vorher hatte zusammenreimen können.

Bewertung vom 02.07.2021
Fadenschein
Krug, Josef

Fadenschein


sehr gut

REZENSION – In seinem Debütroman „Fadenschein“, im Mai erschienen im Aisthesis Verlag, erkennt man viele Gemeinsamkeiten im Lebensweg des Autors Josef Krug (71) mit dem seines Protagonisten Robert Benrath. Doch ein autobiographischer Roman ist es dennoch nicht. Ob es der Anzug zur Kommunion ist, der Anzug fürs Gymnasium oder der blaue Anzug zur Abiturfeier – es sind Robert Benraths konservative Eltern, die ihren Sohn in Anzüge zwingen, um damit in der Öffentlichkeit den Schein der Bürgerlichkeit zu wahren. Erst das Kind, später auch der Gymnasiast fügt sich in diese Rolle des Anzugträgers, die nicht seine ist und ihn einengt. Doch ihm fehlt die Kraft zum Widerspruch. Auch später in den 70er Jahren, weit entfernt vom strengen Elternhaus, ist der Soziologie-Student niemals wirklich frei. Es mangelt ihm an Selbstbewusstsein zur Entwicklung einer eigenständigen Persönlichkeit. Wieder passt sich Robert Benrath, jetzt wild und bunt gekleidet, seinen Kommilitonen an. Er zieht an, was „man“ von ihm zu erwarten scheint. Was er als „Freiheit“ und Befreiung vom Elternhaus versteht, ist nichts anderes als nur eine Verkleidung: Er will auch hier, den Schein wahrend, nicht zum Außenseiter abgestempelt werden. Robert Benrath bleibt ein fremdbestimmter Mitläufer, der – gezwungen, Geld verdienen zu müssen – letztlich doch wieder einen Anzug trägt, wie „man“ es von ihm verlangt.
Auch wenn „Fadenschein“ kein autobiographischer Roman ist, gibt es dennoch etliche „Berührungspunkte“ zwischen Autor und Romanfigur: Beide sind in den 50er und 60er Jahren in einer Kleinstadt aufgewachsen, beide entstammen einer im Städtchen angesehenen Handwerkerfamilie, beide werden in der väterlichen Werkstatt als mithelfender Familienangehöriger handlangernd eingesetzt. Beide verlassen erstmals ihr Städtchen, um zunächst den Wehrdienst abzuleisten, dann in der fernen Großstadt Soziologie zu studieren. Doch hier endet die Gemeinsamkeit. „Probleme mit Anzügen, wie Robert Benrath sie hat, gab es bei mir nicht“, versichert der Autor. Anzüge, Uniform und Bekleidung aller Art bestimmen Robert Benraths Leben. Doch immer fühlt er sich fremdbestimmt. Immer gibt er nur „fadenscheinig“ vor, jemand zu sein, der er eigentlich nicht ist.
„Genaue Beobachtung, sensible Personengestaltung und eine Handlungsführung, die zu keiner Zeit den Faden verliert“, bescheinigt der Literaturwissenschaftler Walter Gödden dem Autor im Nachwort. Josef Krug verarbeitet in seinem Debütroman typische Szenen seiner Jugend- und Studentenjahre. Treffend schildert er das kleinstädtische Leben, wo jeder jeden kennt, wo jeder auf den anderen angewiesen ist; oder die wilden 70er Jahre an der Universität, jene Dekade der Jugendrevolte und Studentendemos, in denen man „unter den Talaren [der Professoren] den Muff von tausend Jahren“ zu vertreiben suchte und zumindest Gleichaltrigen gegenüber zum Schein vorgab, der freien Liebe zu frönen: „Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment.“ Dies alles ist nicht Benraths Welt – und doch muss er in dieser Welt leben.
Die Wiedergabe seiner genauen Beobachtungen in jener Zeit ist es vor allem, die Josef Krugs sprachlich angenehm zu lesendes Romandebüt „Fadenschein“ vor allem Lesern seines Alters die eigene Jugend- und Studentenzeit lebendig werden lässt. Jüngere Leser dürften bei Lektüre dieses Romans zur Erkenntnis kommen, dass vielleicht auch sie häufig nur „fadenscheinig“ handeln und in ihrem Tun um Anpassung bemüht sind, statt ihre eigene Persönlichkeit zu entwickeln, um selbstständig das Leben meistern zu können.

Bewertung vom 20.06.2021
Der große Kalanag
Herwig, Malte

Der große Kalanag


sehr gut

REZENSION - „Große Lügner sind auch große Zauberer.“ Diesen Satz Adolf Hitlers hat Autor Malte Herwig (48) seiner im März im Penguin Verlag erschienenen Biografie „Der große Kalanag“ vorangestellt. Auch mit dem Untertitel „Wie Hitlers Zauberer die Vergangenheit verschwinden ließ und die Welt eroberte“ weist deutlich auf Ähnlichkeiten zwischen dem politischen „Verführer“ und dem später ebenfalls weltberühmten „Verzauberer“ der Deutschen hin, wenn auch auf ganz unterschiedlicher Ebene. Herwig beschreibt in kleinsten Details das unstete Privatleben und den schillernden Werdegang jenes Helmut Schreiber (1903-1963), der nach zweifelhafter Karriere als Filmproduzent und Amateur-Zauberer unter den Nazis erst in der Bundesrepublik als Berufsmagier zum „größten Magier der Welt“ wurde.
„Helmut Schreiber war ein Meister der Täuschung, auf der Bühne und im wahren Leben“, schreibt Herwig im Nachwort und schildert anhand unzähliger Quellen, wie es Schreiber gelang, seine Nazi-Vergangenheit zu verschleiern. Verleugnen konnte er sie nie, da seine Nähe zu den Größen des Regimes bis hinauf zur Spitze vielfach dokumentiert war. Dieses Quellenmaterial – die Nachweise füllen allein 50 von 480 Seiten – wertete Herwig für sein Buch weidlich aus. Doch genau dies ist eine Schwäche der Biografie über einen Mann, für den sich heute kaum jemand interessiert. Diese Ausführlichkeit langweilt irgendwann. Man möchte dem Autor zurufen „Wir haben verstanden“ und blättert weiter. Herwig kratzt am längst verblassten Ruhm eines Zauberers mit „brauner Weste“, für die sich gleich nach dem Krieg die Öffentlichkeit aus bekannten Gründen nicht interessiert hat und nach der heute, zwei Generationen später, schon gar niemand mehr fragt. Von Kalanag blieb allenfalls sein Nachruhm bei wenigen älteren Leser, die den großen Magier noch selbst erlebt haben oder bei solchen, die der Welt der Magie verbunden sind.
Malte Herwig versucht, den Zauberer Helmut Schreiber politisch in die Nazi-Ecke zu stellen und spricht von dessen „politischer Biografie“. Doch an anderer Stelle widerlegt er genau diese These selbst: „Schreiber war kein Ideologe, kein überzeugte Fanatiker – aber er war ehrgeizig.“ Helmut Schreiber hatte sich schon als 16-Jähriger mit Leib und Seele der Zauberei verschrieben. „Er war eine unglaublich willensstarke Persönlichkeit,“ wird im Buch zitiert. Und: „Wen er gebraucht hat, den hat er gut behandelt. Mit Leuten, auf die er nicht angewiesen war, konnte er elend sein.“ Schreiber war kein politisch denkender Mann, sondern ein skrupelloser Ehrgeizling und Opportunist, der es verstand, die Gegebenheiten und Möglichkeiten seiner Zeit zum persönlichen Vorteil zu nutzen. „[Schreiber] fühlte sich wie ein Alleinherrscher, seit der Magische Zirkel 1936 nach dem Führerprinzip gleichgeschaltet und er als Präsident eingesetzt worden war.“ Regierungen waren für Schreiber beliebig austauschbar. „Schreibers nahezu lückenlose Dokumentation seiner Vorstellungen zeigt auch, wie mühelos der Zauberer aus Deutschland über die Umbrüche der politischen Systeme von 1918 über 1933 und 1945 hinweg schwebte.“
Schreiber scheint sich seiner Nazi-Vergangenheit nicht geschämt zu haben. Er hat sie kurzerhand verdrängt. Sie war für ihn bedeutungslos, eine Episode seines Lebens. Dies zeigt sich wieder nach dem Krieg, als er, während die US-Besatzer noch Material über ihn sammeln, in den britischen Sektor nach Hamburg wechselt in der Annahme, dort schneller an eine Auftrittsgenehmigung zu kommen. Er wollte nur wieder zaubern, egal unter welcher Regierung.
Trotz wissenschaftlicher Akribie gleitet Herwig stellenweise ins Romanhafte und ins Reich der Spekulation. Doch letztlich ist „Der große Kalanag“ die interessante Charakterstudie eines skrupellosen, ehrgeizigen, machtbesessenen Mannes, der es in jeder Situation versteht, seine Mitmenschen mit seiner „freundlich-unschuldigen Art“ zu manipulieren und zu verführen.

Bewertung vom 06.06.2021
Letzte Ehre
Ani, Friedrich

Letzte Ehre


ausgezeichnet

Die psychologischen Hintergründe ihres Handelns und die Untiefen im Leben seiner Charaktere standen beim deutschen Bestseller-Autor Friedrich Ani (62), der sich selbst als Kriminalschriftsteller bezeichnet, schon immer im Vordergrund seiner Werke. Doch Krimis im herkömmlichen Sinn sind sie alle doch eher nicht. So ist es nur folgerichtig, dass der Suhrkamp-Verlag auch Anis neuestes, im Mai veröffentlichtes Buch „Letzte Ehre“ nicht als Krimi, sondern als Roman ausweist. Es ist ein unwahrscheinlich düsterer, in Teilen vielleicht sogar schockierender Roman. Düster nicht deshalb, weil der Autor die Geschehnisse in brutalen Einzelheiten beschreiben würde, obwohl ihm hier jede Möglichkeit gegeben wäre. Schließlich geht es um Abgründe männlicher Machtfantasien und Gewalt gegen Frauen sowie um Racheakte dadurch physisch und psychisch zerstörter Opfer. Doch das Brutale bleibt bei Ani unausgesprochen, wird nur verklausuliert angedeutet. In scheinbar harmlosen Gesprächen deutet sich das Grauen wie die Spitze eines Eisberges nur an. Es ist also weniger das Geschriebene als vielmehr unser Wissen um solche Verbrechen, unser eigenes Vorstellungsvermögen, unser Weiterdenken beim Lesen, was diesen Roman so faszinierend und fesselnd wirken lässt.
Alles beginnt mit einer klassischen Zeugenvernehmung im Münchner Kommissariat 101 durch Oberkommissarin Fariza Nasri, die bereits in Anis Roman „All die unbewohnten Zimmer (2019) erstmals erschien, im neuen Roman aber als Erzählerin auftritt: Die 17-jährige Finja Madsen bleibt nach einer Party verschwunden. Nasri vernimmt Personen aus dem Umfeld der Vermissten, darunter auch den Freund der Mutter, Stephan Barig. In dessen Haus hatte die Party stattgefunden, während er selbst nachweislich das Wochenende mit zwei Freunden im Wochenendhaus auf dem Land verbracht hatte. Barig, ein unangenehmer Macho, der sich als erfolgreicher „Frauenaufreißer“ sieht, gibt gewissenhaft Auskunft, hat er doch nichts zu verbergen. Oder doch? Nasri ist sich bald sicher, dass er etwas verbirgt.
Eigentlich wollte Friedrich Ani nach eigener Aussage „einen Roman über das Handwerk der Vernehmung im weiteren Sinne schreiben“. So ist zu verstehen, dass es in „Letzte Ehre“ keine in Krimis übliche Action gibt, sondern der Roman sich weitestgehend im Vernehmungszimmer 214 des Münchner Kommissariats 101 abspielt und das Geschehene erst aus den Gesprächen Nasris mit verschiedenen Zeugen erkennbar wird. Wir erfahren von BDSM-Sexspielen, Vergewaltigung, Kindesmissbrauch und sogar Leichenschändung, ohne dass auf irgendeiner der 270 Seiten einer dieser Ausdrücke fällt. Zurück bleibt nach manchem Verhör ein Scherbenhaufen – wie bei Ines Kaltwasser: „Je länger sie sprach …, desto mehr zersplitterte ihre Stimme; am Ende blieben die Scherben eines lebenslangen Schweigens in Zimmer 214 zurück.“
Spuren ihres aufreibenden Lebens als Verhörspezialistin, so manche persönliche Kränkung und Verletzung der schon einmal strafversetzten Oberkommissarin, haben nicht zuletzt bei der 58-jährigen Fariza Nasri, übrigens wie Ani selbst Kind eines syrischen Vaters, tiefe psychische Spuren hinterlassen: „Wir sind alle verbeult, jeder auf seine Weise, und wir kaschieren unsere Beulen, jeder auf seine Weise. …. Geschult in Unerschrockenheit, trugen wir zum Selbstschutz eiserne Masken.“ Doch in Anis neuem Roman kann selbst diese „eiserne Maske“ sie nicht mehr schützen: Nasri, die mit ihrer Arbeit allen Verbrechensopfern eine „Letzte Ehre“ erweisen will, wird psychisch selbst zum Opfer.
Friedrich Ani hat in seinem literarisch hochwertigen, stilistisch wieder faszinierenden und deshalb empfehlenswerten Roman mit Fariza Nasri eine interessante Figur geschaffen, die als neue Serienfigur die Reihe seiner bisherigen Ermittler Polonius Fischer, Tabor Süden und Jakob Franck ausgezeichnet ergänzt. Der eigenartige Schluss des Romans „Letzte Ehre“ lässt auf Fortsetzungen hoffen.

Bewertung vom 22.05.2021
Dampfer ab Triest
Neuwirth, Günter

Dampfer ab Triest


gut

REZENSION – Seit 2008 ist der österreichische Schriftsteller Günter Neuwirth (54) für seine in Wien und Graz angesiedelten Kriminalromane und -kurzgeschichten bekannt. Mit seinem im März im Gmeiner Verlag veröffentlichten Krimi „Dampfer ab Triest“, dem ersten Band einer Reihe um Inspector Bruno Zabini in Triest, überschreitet der Autor nicht nur räumliche, sondern auch zeitliche Grenzen: Neuwirth taucht ab in die „gute alte Zeit“ der Donaumonarchie und begibt sich mit seinen Protagonisten in der 1907 noch zum habsburgischen Kaiserreich gehörenden Vielvölker-Hafenstadt Triest an Bord der „Thalia“, der ersten österreichischen „Yacht für Vergnügungsfahrten“.
Mit seinem Inspector Zabini hat Neuwirth eine interessante Figur geschaffen, die durchaus noch für weitere Krimis gut ist: Der über 30-jährige, mehrsprachig aufgewachsene Sohn eines italienischen Vaters wohnt noch immer in Triest im Elternhaus mit seiner österreichischen Mutter zusammen. Er genießt sein Leben als Junggeselle und seine gleichzeitigen Liebschaften mit zwei verheirateten Damen. Deshalb fügt er sich nur unwillig in sein Schicksal, als er zum Personenschutz des Grafen Max von Urbanau und dessen Tochter an Bord des Luxusdampfers abkommandiert wird. Nach Geheimdienstberichten ist das Leben des Grafen bedroht. Vorsorglich nimmt der für die moderne Kriminalistik aufgeschlossene Zabini, von seinen fachlich rückständigen Kollegen noch belächelt, seinen „Tatortkoffer“ mit auf die Adria-Kreuzfahrt an Bord der „Thalia“, ein erst kürzlich vom Grazer Kriminologen Hans Gross (1847-1915) entwickeltes Gepäckstück mit Hilfsmitteln zur Spurensicherung und Abnahme von Fingerabdrücken.
Auftragsgemäß mischt sich Zabini nun inkognito unter die illustren Kreuzfahrtgäste. Aber schon bald gibt es beim ersten Landgang im sizilianischen Ragusa mit Schiffskommissär Glustich den ersten Toten. Zabinis wahre Profession lässt sich vor den Gästen nun nicht mehr verheimlichen, zumal bald auch ein erstes Attentat auf den Grafen folgt, dessen sich der altgediente Frontoffizier allerdings noch erwehren kann. Plätschert der Krimi anfangs noch seicht dahin und ähnelt eher einem Liebesroman von Eugenie Marlitt, nimmt die Handlung bei stürmischer Fahrt des Vergnügungsdampfers in der Adria dann doch noch Fahrt auf. In häppchenweise eingestreuten Abschnitten lesen wir, dass der auf den Grafen angesetzte Profi-Killer unter falscher Identität ebenfalls an Bord ist. Da ihm Zabini nun als Polizist in die Quere kommen könnte, schwebt nun auch dieser in Todesgefahr.
Wir erfahren im Roman viel über Triest sowie die welt- und handelspolitische Bedeutung der Habsburg-Monarchie bis hin zur Teilnahme Österreichs am Boxer-Aufstand in China, zugleich einiges über den gesellschaftlichen Wandel im letzten Jahrzehnt der Adelsherrschaft, die beginnende Emanzipation der Frauen sowie den industriellen Fortschritt jener Zeit. So verbindet der Roman „Dampfer ab Triest“ recht geschickt und ohne stilistische Brüche unterhaltende mit historisch interessanten Aspekten. Auch das vergnügliche Treiben an Bord des Dampfers ist anschaulich und dialogreich geschildert. Nur leider fehlt es dem Buch anfangs an Spannung, die erst ab der Mitte endlich anzieht. Der Schluss mit Auflösung des letzten Mordfalles ist dann aber wiederum enttäuschend und nähert sich erneut dem Marlitt-Niveau an. Alles in allem kann man den historischen Roman aber als nette Unterhaltungslektüre noch empfehlen.

Bewertung vom 15.05.2021
Tödliches Capri / Franco De Santis Bd.3
Paretta, Fabio

Tödliches Capri / Franco De Santis Bd.3


sehr gut

REZENSION – Grausam und in seiner Art spektakulär ist der auf Capri gemeldete Mordfall. Nur Franco De Santis, der erfolgreiche Commissario aus Neapel, wird die Hintergründe aufklären und den Mörder entlarven können, weshalb ihn Autor Fabio Paretta in seinem dritten, im März beim Penguin Verlag veröffentlichten Band seiner bisher in Neapel spielenden Krimireihe – nach „Die Kraft des Bösen“ (2016) und „Trügerisches Neapel“ (2018) – zur Unterstützung der Inselpolizei auf das angeblich so idyllische Touristen-Eiland schickt. Die Situation, die der Commissario auf Capri vorfindet, ist ebenso rätselhaft wie die wahre Identität des hinter seinem italienischen Pseudonym sich verbergenden deutschen Autors, der seit vielen Jahren als freier Schriftsteller in Italien lebt.
Nun könnte man meinen, der Einsatz auf der Urlaubsinsel wäre für den Commissario eine Erholungspause vom Trubel seiner Heimatstadt. Doch weit gefehlt, zumal dieser Mord an einem jungen Kunststudenten allzu martialisch begangen wurde. De Santis beginnt zu ermitteln, bekommt allerdings bald zu spüren, dass er auf der Suche nach Gerechtigkeit mit der ihm eigenen Ermittlungsmethode „ohne Rücksicht auf Verluste“ sich keine Freunde schafft. Denn öffentliches Aufsehen soll um jeden Preis vermieden werden, ist doch gerade Hochsaison und die Insel voller Touristen. „Capri lebt vom Tourismus, eine Negativschlagzeile, und wir verlieren ein Jahreseinkommen“, warnt ihn gleich zu Beginn sein Insel-Kollege Commissario Moncini. Ohnehin ist schon Unruhe genug, da Graffiti-Sprayer im Ort ihre „Kunstwerke“ hinterlassen haben. Ob auch der ermordete Kunststudent darin verwickelt war? De Santis wird es herausfinden. Doch als er beginnt, seine Ermittlungen auf eine in einem historischen Kloster ansässige Kunstakademie eines bekannten Professorenpaares auszudehnen, droht ihm sogar die Staatsanwältin den Fall zu entziehen, da sie es nicht mit der Oberschicht der Insel verderben will.
Der Commissario bringt durch seine sture Ermittlungsweise nicht nur zusätzliche Hektik auf die Insel, die ohnehin schon durch die Urlaubermassen kurz vor dem Kollaps zu stehen scheint. Auch sein eigenes Leben wird in diesen Tagen immer turbulenter, muss er doch ständig zwischen seinem in Neapel ermittelnden Team und dem Tatort Capri hin- und herpendeln – sofern nicht gerade das Fährpersonal wieder mal streikt. Auch privat erschweren ihm die Frauen sein Junggesellenleben, sei es seine Ex-Frau, seine 17-jährige Tochter Ludovika oder seine neue Geliebte Diana, deren Leben voller Geheimnisse zu sein scheint, die De Santis zusätzlich enträtseln muss.
Von der viel gerühmten Idylle und Schönheit der Insel, auf der vor 2 000 Jahren sogar Kaiser Augustus sich einen Palast bauen ließ, ist in diesem dramatisch bis zur letzten Seite gut strukturierten Krimi nichts zu spüren. Paretta lässt seinen Commissario sich durch die von Urlaubern verstopften Gassen drängen oder ständig im Verkehrschaos stecken. „Menschenmassen wogten hin und her, … Gepäckträger schrien, Touristenführer schwenkten Schilder, ...“. Nein, „Tödliches Capri“ ist gewiss keiner dieser üblichen Urlaubskrimis voller Fernweh, Abendsonne, Meeresrauschen und schmackhafter Fischgerichte. Und doch erfahren wir manches Historische und Atmosphärische über Capri. Eher scheint es, als wolle uns Fabio Paretta vom Besuch der Insel abraten. Irreführend ist zudem, dass keine Ansicht von Capri auf dem Titel zu sehen ist, sondern ein bekanntes Motiv des Fischerdorfes Positano an der Amalfi-Küste – ein Rätsel, das nur der Verlag zu lösen weiß. Nun gut, dann beschränken wir uns eben auf den Roman, dessen Lektüre sich durchaus lohnt, da er sauber recherchiert mit Spannung und zwischen den Zeilen verstecktem Humor gut unterhält.

Bewertung vom 14.05.2021
44 TAGE - Und Deutschland wird nie mehr sein, wie es war
Meier, Stephan R.

44 TAGE - Und Deutschland wird nie mehr sein, wie es war


ausgezeichnet

REZENSION – Ungemein spannend liest sich der kürzlich im Penguin Verlag erschienene Roman „44 Tage“ des deutschen Autors Stephan R. Meier (63) über eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Der Autor schildert in seinem Buch jene hysterischen 44 Tage im September 1977, die mit der Entführung des damaligen Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer (1915-1977) ihren Anfang nahmen und mit seinem Tod ihr bitteres Ende fanden. Mit Schleyers Entführung wollte die RAF-Terroristen der zweiten Generation die Bundesregierung unter Bundeskanzler Helmut Schmidt erpressen, ihre seit fünf Jahren einsitzenden Vorbilder und Anführer um Andreas Baader und Gudrun Ensslin aus der Justizvollzugsanstalt Stammheim zu entlassen. Dieser in Deutschland einmalige und von der älteren Generation unvergessene und den Staat erschütternde Terrorakt bildete den Höhepunkt jahrelanger RAF-Aktivitäten.
„44 Tage“ ist nur ein Roman – dies betont der Autor zu Recht, sind doch reale und fiktive Personen vermischt, manches Geschehen nur erdacht. Allerdings muss man sich dies beim Lesen immer wieder bewusst machen, hält sich doch der Autor sogar in Details ungemein nah an den Fakten, die teilweise erst Jahre später, manche nach der Auflösung der DDR bekannt wurden. Vieles hat Autor Stephan R. Meier sogar nur aus Gesprächen mit seinem Vater Richard Meier (1928-2015) erfahren. Dieser hatte als Leiter des Bundesamts für Verfassungsschutz jene 44 Tage in vorderster Front miterlebt und die internationalen Aktivitäten des deutschen Geheimdienstes mit dem israelischen Mossad und dem amerikanischen CIA koordinieren müssen.
Dem Autor gelingt es in seinem Thriller durch Verknüpfung von Fakten und Fiktion hervorragend, auch nachgeborenen Lesern diese für den Fortbestand der Bundesrepublik so wichtige Zeit in atmosphärischer Dichte zu schildern. Immerhin stand die von den Westmächten aufmerksam beobachtete noch junge Republik vor dem kritischen Punkt, die Position eines Rechtsstaates zu verlassen und erneut in einen Polizei- und Überwachungsstaat zurückzufallen: Um Schleyer und seine Entführer zu finden, hatte der Kanzler alle Bürger aufgerufen, Verdächtiges der Polizei zu melden, womit er der Denunziation missliebiger Nachbarn Tür und Tor geöffnet hatte. Die Polizeiarbeit, eigentlich Aufgabe der Länder, wurde unter Leitung des Bundeskriminalamts in Bonn zentralisiert. Grenzen, Flughäfen und Bahnhöfe wurden überwacht, Telefone möglicher RAF-Sympathisanten abgehört und deren Post kontrolliert. Die Stimmung im Staat drohte zu kippen: Zwei Drittel der Bevölkerung waren für die Wiedereinführung der Todesstrafe. „Sie spielten mit den Grundfesten der Verfassung. Es war ein verzweifeltes Ringen … um die Glaubwürdigkeit der Demokratie.“ Einen Staatssekretär lässt der Autor sagen: „Wie sollen wir die Terroristen vor Gericht stellen, wenn wir sie freilassen? Und wie unser Land schützen, wenn Mörder und Entführer frei herumlaufen? Wir müssen abwägen, was uns wichtiger ist. Und damit sind wir automatisch schuldig.“ Trotz hektischer Aktivität war die Bundesregierung im Grunde handlungsunfähig und konnte nur abwarten. Außerdem hatte Kanzler Schmidt die Devise „Der Staat darf sich nicht erpressen lassen“ ausgegeben – im Bewusstsein, dass dies dem Todesurteil Schleyers gleichkam.
Der Roman „44 Tage“ kann allen Zeitzeugen ebenso wie den Nachgeborenen, die den „Deutschen Herbst“ nicht miterlebt haben, zur Lektüre unbedingt empfohlen werden. Man erfährt viel über die Hintergründe des damaligen Geschehens und die Zusammenhänge internationaler Politik jener Zeit, in der es letztlich Helmut Schmidt und seinem entschlossenen „Ritt auf der Rasierklinge“ zu verdanken war, dass die Bundesrepublik vor ihrem Rückfall in den Totalitarismus bewahrt wurde.

Bewertung vom 25.04.2021
Montecrypto
Hillenbrand, Tom

Montecrypto


gut

REZENSION – Es ist schon erstaunlich, wie scheinbar mühelos und erfolgreich Tom Hillenbrand (49) in seinen Romanen die Genres wechselt. Kannte man ihn anfangs vor allem als Autor humorvoller Kulinarik-Krimis, dann mit „Drohnenland“ (2014) als Autor eines Thrillers, stieg er mit „Hologrammatica“ (2018) und „Qube“ (2020) ins SciFi-Genre um künstliche Intelligenz ein. Jetzt wechselte der Bestseller-Autor mit seinem Wirtschaftskrimi „Montecrypto“ erneut das Genre. Darin befasst er sich nicht nur mit digitaler Krypto-Währung, sondern allgemein mit globaler Finanz- und Geldpolitik.
Nach dem Unfalltod des amerikanischen Start-Up-Unternehmers Greg Hollister mit seinem Privatjet über hoher See, wird Ed Dante von Hollisters Schwester beauftragt, nach dessen heimlich in Bitcoins angelegten Milliardenvermögen zu suchen, das internationale Medien bald in Anlehnung an Alexandre Dumas' Abenteuerroman „Der Graf von Monte Christo“ als „Montecrypto“ bezeichnen. Dante, einst mitverantwortlich für die Pleite der Investmentbank Gerard Brothers – vergleichbar der Pleite der US-Investmentbank Lehmann Brothers im Jahr 2008 –, ist inzwischen ein auf Finanzwirtschaft spezialisierter Privatdetektiv. Als Ermittler ist er allerdings „anders als Sam Spade“, der legendäre Protagonist in Dashiell Hammetts Krimi „Der Malteser Falke“. Dante ist kein knallharter, eher ungelenker Ermittler: „Sam Spade kann so etwas vermutlich, ohne sich das Sprunggelenk zu verstauchen, Dante nicht.“
Statt selbst als Ermittler die Richtung vorzugeben, wird Dante vom FBI und bald von der weltweiten Massenhysterie unzähliger Schatzsucher sowie ausländischer Geheimdienste getrieben. Unterstützt wird er auf der Jagd durch die USA, die Schweiz und Mexiko von der Journalistin und Bloggerin Mercy Mondego. Bald erkennt Dante, dass es in diesem Fall um weit mehr geht als um einen Krypto-Schatz – nämlich um die Zerstörung unseres Geld- und Währungssystems: Der verstorbene Greg Hollister scheint ähnlich wie Dumas' Graf von Monte Christo dazu seinen Milliardenschatz postum zu nutzen.
Hillenbrands Wirtschaftskrimi „Montecrypto“ hat trotz aller Faszination wie viele Romane dieses Genres eine Schwäche: Fast bis zur Mitte des Thrillers erklärt uns der Autor in verwirrenden Einzelheiten die globale Geldwirtschaft, die Besonderheiten der modernen digitalen Krypto-Währung und deren Unterschied, aber auch Gemeinsamkeit mit herkömmlichen Geld: „Geld ist kondensierte Hoffnung, ist Glaube, …. Glaube daran, dass die eigene Gier gerechtfertigt ist.“ Denn an Goldreserven als Gegenwert und Sicherheit, wie manche noch glauben, sind weder der Dollar noch die Bitcoins gekoppelt.
Erst in der zweiten Hälfte gewinnt der Finanzthriller an Fahrt und Spannung, wenn wir mit Dante und Mercy endlich auf Jagd nach dem Täter sind. Betrachtet man allerdings den rein literarischen Teil des Romans, lassen also den ausgezeichnet recherchierten Sachverhalt um Geldwirtschaft und digitale Krypto-Währungen unberücksichtigt, enttäuscht besonders der Schluss, erinnert er doch zu sehr an die Schlussszene alter Bond-Filme, wenn Agent 007 nach der Explosion des Ganoven-Hauptquartiers mitten auf hoher See im Schlauchboot sein Bond-Girl im Arm hält.
Auch die Lösung der bereits begonnenen globalen Finanzkrise ist dann doch zu simpel und wird als letztes Kapitel scheinbar lustlos angefügt. Dies steht allzu sehr in krassem Gegensatz zu den sonst ausgezeichnet recherchierten Zusammenhängen und Wirken des internationalen Finanz- und Geldwesens. „Montecrypto“ ist deshalb zwar ein vom Thema her faszinierender, für Laien sehr informativer, vor allem im zweiten Teil auch spannender, zum Ende hin aber enttäuschender, letztlich doch nur befriedigender Roman.

Bewertung vom 13.04.2021
Der Wille entscheidet
Schneider, Oliver;Seul, Shirley Michaela

Der Wille entscheidet


sehr gut

REZENSION - „Der Wille entscheidet. Ein Ex-Kommando-Offizier berichtet“. Dieser selbstbewusst klingende Buchtitel in Verbindung mit dem Coverfoto eines sportlich durchtrainierten Mannes in besten Jahren mit stechendem Blick wirkt so gar nicht wie ein Buch der Sparte „Ratgeber“. Doch der Untertitel „Krisen bewältigen, Verhandlungen gewinnen“ verweist auf genau dieses Genre. Tatsächlich liest sich das jetzt im Ariston Verlag (Penguin Randomhouse) erschienene Buch des ehemaligen Offiziers des Kommandos Spezialkräfte (KSK), der Elitetruppe der Bundeswehr zur Aufklärung und Terrorbekämpfung, und heutigen Sicherheitsberaters und Krisenmanagers Oliver Schneider (52) eher wie ein Abenteuerroman, weshalb „Der Wille entscheidet“ auch jenen Lesern empfohlen werden kann, die sich sonst nichts aus Ratgebern machen.
„Krisen gehören zum Leben, aber keine ist unlösbar.“ Oliver Schneider ist kein Theoretiker. Er ist ein Mann der Tat und weiß, wovon er spricht. Schließlich hat er sich selbst in den vergangenen 25 Jahren, angefangen 1996 als KSK-Offizier, in weltweiten Einsätzen aus gefährlichsten Situationen in Krisen- und Kriegsgebieten befreien und schwierigste Krisen meistern müssen. So berichtet er im Buch, wie er im Frühsommer 1999 als Leiter eines KSK-Einsatzteams als Vorhut der Nato-Bodenoffensive im Kosovo mit seinen Kameraden plötzlich mitten in einem Minenfeld stand. Ein falscher Schritt und das Team wäre in die Luft geflogen. „Krisen sind wie Minenfelder. Doch wer aufmerksam bleibt, kann Minen frühzeitig erkennen und sie entschärfen“, weiß er seitdem. In seinem Buch schildert er mehrere solcher Erlebnisse, die man sonst nur aus Krimis oder Thrillern kennt.
Nach fünf Jahren beim KSK heuerte Schneider bei einem DAX-Konzern als Krisenmanager an, arbeitete ab 2006 als freier Sicherheitsberater und gründete schließlich 2013 eine eigene Sicherheitsfirma, deren Geschäftsführer er seitdem ist. Heute berät er internationale Unternehmen, trainiert deren Führungskräfte in Sicherheits- und Krisenmanagement und verhandelt im Auftrag seiner Kunden mit Erpressern, Piraten, Kriminellen und Terroristen. Dabei nutzt er seine umfassenden Erfahrungen aus seinen Einsätzen als KSK-Offizier, die er jetzt an seine Leser weitergibt. „Denn die Methoden und Taktiken, die bei Spezialkräften zum Einsatz kommen, sind auch in unserem Alltag anwendbar.“
Die Rahmenhandlung seines mit Unterstützung der Schriftstellerin Shirley Michaela Seul verfassten, eher einem Thriller als einem Ratgeber ähnelnden Buches ist ein Fall aus Schneiders Berufspraxis: Vor der Küste Nigerias wurde der Tanker einer Bremer Reederei von Piraten gekapert und die Hälfte der Besatzung entführt. Die Piraten fordern 400 Millionen Dollar Lösegeld. „Die 'Psychospiele' und Mechanismen in Verhandlungen mit Entführern und Erpressern unterscheiden sich nicht von denen bei alltäglichen Deals.“ Auch bei uns „Normalos“ treten Krisen oft überraschend auf. Aus einer privaten, finanziellen oder beruflichen Krise kann eine Lebenskrise werden. „Doch es gibt immer einen Ausweg“, beruhigt uns Schneider und verrät, was bei Krisen zu tun ist.
Nach jedem Kapitel fasst er die daraus folgenden Erkenntnisse in Merksätzen zusammen. Den Abschluss bildet ein „persönlicher Krisennavigator“ mit Leitsätzen nach den Prinzipien des KSK. Des Autors Fazit: „Krisen zu meistern heißt, Entscheidungen zu treffen. Den Umgang mit einer Krise kann man lernen.“ Dies sollte man allerdings vor einer Krise getan haben – vielleicht durch Lektüre dieses ungewöhnlich spannenden, in seinem Stil völlig andersartigen Ratgebers. Irgendwann trifft es jeden von uns: „Krisen gehören zum Leben.“

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.