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hamburger.lesemaus
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Bargfeld-Stegen

Bewertungen

Insgesamt 333 Bewertungen
Bewertung vom 24.09.2023
Henriette lächelt
Heinisch, Andrea

Henriette lächelt


sehr gut

HENRIETTE LÄCHELT
Andrea Heinisch

Henriette ist zu dick. 190 kg bringt sie auf die Waage. Putzen und die tägliche Hygiene fallen ihr schwer. Freunde hat Henriette schon lange keine mehr, denn ihr Leben spielt sich in ihrer Wohnung ab, meistens zwischen dem Laptop und dem Kühlschrank. Alle Gedanken kreisen um das Essen.
Ihre Mutter, die direkt über der 50-Jährigen wohnt, springt ein und kontrolliert Henriettes Leben - was sie isst, trägt oder wen Henriette zu treffen hat. Die kleinen Sticheleien übergeht Henriette und schluckt sie - mit etwas Essen im Munde - herunter. Henriette zieht sich aus der realen Welt immer mehr zurück, das Getuschel über sie und ihren Körper ist allgegenwärtig.
Doch dann, mitten in der Corona-Homeoffice-Zoom-Meeting-Zeit, lernt sie ihren Kollegen Martin kennen und verliebt sich direkt in seine grünen Augen.
Ob das eine Wende in Henriettes Leben wird, müsst ihr allerdings selber herausfinden ...

In kurzen, knappen und ehrlichen Sätzen erzählt Andrea Heinisch den Leidensweg einer viel zu schweren Frau. Doch es geht nicht nur über Vorurteile gegenüber dickeren Menschen, sondern wir erfahren auch, warum Henriette sich damals überhaupt in Fressattacken flüchtete und ihren Halt im Essen fand.
Der Schreibstil ist sehr ungewöhnlich und vieles musste ich doppelt lesen, dennoch habe ich mit Henriette sympathisiert und gelitten.
3½ /5

Bewertung vom 23.09.2023
MTTR
Friese, Julia

MTTR


ausgezeichnet

MTTR
Julia Friese

Teresa ist schwanger. Eigentlich wollte sie gar nicht schwanger werden. Sie ist erst fünf Monate mit Erks zusammen - viel zu früh, um jetzt ein gemeinsames Kind zu bekommen.
Wenn man nicht verhütet, kann man schwanger werden, das ist Fakt. Warum nahm sie täglich Folsäure ein, wo man doch weiß, das Folsäure nur für schwangere Frauen ist oder für diese, die es werden wollen? Vielleicht wollte sie herausfinden, ob sie überhaupt schwanger werden kann? Schließlich konnten ihre Tanten keine Kinder bekommen - und ihre Mutter nur eins. Ein Kind, das ihre Mutter ständig berufen hat: „Mach dies nicht, tu das nicht.“ Und wenn sie nicht hörte, setzte es etwas.
Und jetzt? Soll sie die gleichen Fehler wie ihre Mutter machen? Deren Fehler wiederholen? Alles aufgeben für ein Kind? „Nicht mehr ausgehen, nicht mehr leben, sich nichts mehr gönnen und auf jede Kleinigkeit verzichten - alles nur für dich!“, hört sie ihre Mutter noch immer meckern.
Erks würde das Kind behalten wollen, aber Teresa entscheidet sich dagegen.
Bis zu dem Tag, als sie in der Abtreibungsklinik die Tablette schlucken soll, dort entscheidet sie sich anders. Sie möchte Mutter werden und lässt uns sehr intensiv an ihrer Schwangerschaft, Geburt und dem Wochenbett teilhaben.

Was für ein großartiges Buch! Zugegeben, zu Beginn hätte ich es fast abgebrochen. Dieser Schreibstil mit den viel zu kurzen Sätzen, den wirren Gedanken und dann die fehlenden Satzzeichen! Aber auf Seite 40 hatte ich mich eingelesen. Vielleicht sind Satzzeichen doch überbewertet?! Wie dem auch sei, das Buch ist ein starkes Debüt. Teilweise dachte ich, ich säße mit Loriot, Ekel Alfred und Teresas Eltern im Wohnzimmer beim Kaffee. Köstlich für uns, aber nicht für Teresa. Warum haben die jungen Leute den Eltern nicht Einhalt geboten?

Fazit:
Starkes Debüt und absolut kurzweilig.
5/ 5

Bewertung vom 21.09.2023
Unter Wasser Nacht
Hauff, Kristina

Unter Wasser Nacht


ausgezeichnet

UNTER WASSER NACHT
Kristina Hauff

Aaron ist tot. Seine Leiche wurde vor 13 Monaten im Elbwasser gefunden. Die Umstände seines Todes wurden nicht geklärt.
Seine Eltern Sophie und Thies trauern seitdem - allerdings auf ganz unterschiedliche Weise: Thies, Gymnasiallehrer, schweigt und setzt seit dem Tode seines Sohnes keinen Fuß mehr in ein Klassenzimmer, während die Biologin Sophie sich mit Arbeit ablenkt.
Gemeinsam machen sie nichts mehr - das tägliche Miteinander fällt schwer und Zärtlichkeiten fallen ganz weg. Doch nicht nur die Ehe der beiden scheint zu zerbrechen, sondern auch die enge Freundschaft zu Inga und Bodo, die mit ihren Kindern auf demselben Hof im Wendland leben und sich Garten und Scheune teilen.
Beide Paare kennen sich schon ewig, alle vier wohnten während ihrer Studienzeit in einer WG auf der Schanze und gemeinsam protestierten sie in Gorleben gegen die Atommüll-Transporte. Doch jetzt, nach Aarons Tod, können die traumatisierten Eltern den Freunden nicht mal mehr in die Augen schauen.

Doch alles bekommt eine unerwartete Wendung, als ganz plötzlich eine fremde Frau im Wendland auftaucht. Sie gibt vor, jemanden im Ort zu suchen. Scheinbar und ganz zufällig freundet sie sich mit den Paaren an und was das alles mit dem toten Aaron zu tun hat, müsst ihr selber herausfinden.

Kristina Hauff lässt sechs Personen zu Wort kommen. Alle haben zu den Geschehnissen unterschiedliche Perspektiven und Erlebnisse. Ganz langsam und mit viel Geschick führt uns die Autorin zu dem Tag zurück, als ein 11-jähriger Junge in der Elbe ertrank.

Da ich erst kürzlich den neuesten Roman von Kristina Hauff „In blaukalter Tiefe“ verschlungen habe, wollte ich unbedingt das vorherige Buch der Autorin lesen.
Der Schreibstil ist auch hier wieder wunderbar bildlich. Ich konnte förmlich den Hof und das malerische Wendland vor mir sehen und dennoch spürte ich von Beginn an eine kleine unterschwellige Bedrohung, die sich zu einer spannenden Geschichte entwickelte.

Fazit:
Ich konnte den Roman kaum aus der Hand legen und ich kann es kaum erwarten, bis ihr nächstes Buch erscheint.
5/ 5

Bewertung vom 17.09.2023
Das achte Leben (Für Brilka)
Haratischwili, Nino

Das achte Leben (Für Brilka)


ausgezeichnet

DAS ACHTE LEBEN (FÜR BRILKA)
Nino Haratischwili

Chronologisch erzählt Niza ihre Familiengeschichte für Brilka:
Angefangen beim Ururgroßvater, dem Mann, der einst ein Geheimrezept aus dem Westen mit nach Georgien brachte. Er konnte die beste heiße Schokolade der Welt zubereiten. Doch die Schokolade war verflucht und so bot er sie damals in seiner florierenden Konfiserie nicht an. Er war ein reicher Mann - nur mit den männlichen Nachkommen wollte es nicht klappen. Er bekam „nur“ drei Mädchen (ein Phänomen, das sich durch alle weiteren Generationen durchziehen sollte).
Als der Zar in Russland gestürzt wurde und die Bolschewiken ihm, dem reichen Schokoladenfabrikanten, seine Konfiserie wegnahmen, ging es bergab mit den glücklichen Tagen und dem Leben, an denen nie etwas fehlte.
Wir begleiten seine Nachkommen - weitere fünf Generationen, die fast alle weiblich sind, sich fast immer in den falschen Mann verlieben und einen Hang zum Trinken haben. Aber das Ungewöhnlichste an ihnen war die Neigung, immer „anders zu sein“ und das konnte Mutter Russland nur schlecht ignorieren.

Nino Haratischwili nimmt uns mit ins 20. Jahrhundert, führt uns schonungslos durch Demonstrationen, Revolutionen und zwei Weltkriege. Dabei gibt sie uns einen tiefen Einblick in die Geschichte Georgiens, gekoppelt an die Macht der Sowjetunion.

Was für ein Buch! Haratischwili ist Meisterin im Geschichtenerzählen. Geschickt verwebt sie unterschiedlichste Geschichten miteinander, greift Erzählstränge auf, die erst zu einem späteren Zeitpunkt aufgelöst werden, und zwischendurch kommt sie ins Hier und Jetzt zurück. Dabei vergisst sie nie und zu keinem Zeitpunkt einzelne Personen, die auf einmal in den Hintergrund gerutscht waren. Jeder dieser Person bekommt seine Lebensgeschichte zu Ende erzählt. Großartig! Als ich das Buch zuschlug, hatte ich Gänsehaut.

Fazit:
Großes Kino auf 1279 Seiten und unbedingt viel Schokolade fürs Lesen bereithalten.
5+/ 5

Bewertung vom 15.09.2023
Geschwister im Gegenlicht (MP3-Download)
Bode, Sabine

Geschwister im Gegenlicht (MP3-Download)


sehr gut

GESCHWISTER IM GEGENLICHT
Sabine Bode

… ist die Geschichte des ungleichen Geschwisterpaars Sonja und Rolf - beide in der Nachkriegszeit geboren, doch während der Ältere der Liebling der Mutter war, wurde Sonja von ihrer Mutter geschlagen und gequält.
Als Sonja erwachsen wurde, brach sie deshalb den Kontakt zu ihrer Mutter ab.
Mit ihrem 3 Jahre älteren Bruder hatte sie nie ein inniges Verhältnis, deshalb schrieben sie sich lediglich zu den Geburtstagen und Weihnachten Karten mit guten Wünschen. Seine drei Töchter, ihre Nichten, hatte sie nie richtig kennengelernt.
Sonja und ihr Mann Karl wollten selber keine eigenen Kinder. Sie hatten sich Kindeserziehung nie zugetraut und Sonja wollte die Fehler ihrer Mutter auf keinen Fall wiederholen.

Jetzt, nachdem Karl verstorben ist, mietet sich Sonja an der Ostsee ein kleines Apartment, um mal wieder ein wenig durchzuatmen.
Doch ihre ersehnte Ruhe wird gestört, indem sich ihr Bruder Rolf mit seiner jüngsten Tochter Nina für einen Besuch anmeldet.
Mit diesem Besuch beginnen die lang überfälligen Annäherungen der Geschwister und die Aufarbeitung der Vergangenheit.
Beide Geschwister haben unterschiedliche Blickwinkel und Sichtweisen auf ihre Erziehung, Eltern und ihrer verbrachten Kindheit. Das eine oder andere ist dem Geschwisterkind sogar entgangen und blieb komplett unbemerkt.
Ganz langsam stellen sie sich der Tatsache, dass ihre Eltern aktive und stolze Nazis im 2. Weltkrieg waren.
Doch diese erschreckende Tatsache ist nicht die Einzige, die endlich angesprochen wird.

In dieser Geschichte steckt viel mehr, als man zu Beginn vermutet. Es ist ein Buch, was aufzeigt, wie Unausgesprochenes zu Missinterpretationen und Vorurteilen führen kann.

Mir hat die Geschichte sehr gut gefallen und die Sprecherin des Hörbuchs, Helma Michel, hat dem Buch eine wundervolle Stimme gegeben.
Sehr hörenswert!
4/ 5

Bewertung vom 08.09.2023
Glückskinder
Simon, Teresa

Glückskinder


ausgezeichnet

GLÜCKSKINDER
Teresa Simon

April 1945:

Die Holländerin Griet van Mook kämpfte im Widerstand gegen die Nazis und wurde gefasst. Man deportierte sie in ein Konzentrationslager, einige Male wurde sie verlegt. Jetzt befindet sie sich auf dem letzten Gewaltmarsch vom KZ-Außenlager Giesing nach Wolfratshausen. Keiner weiß, ob sie diesen Marsch überleben werden, Gerüchte über Todesmärsche hatten bereits die Runde gemacht.
Nach mehreren Tagen ohne Essen und Wasser erreichen sie hungrig, abgemagert und vollkommen entkräftet Wolfratshausen. Nur ein paar Tage später werden sie von den amerikanischen Soldaten befreit.
Der amerikanische Captain Dan hat es Griet besonders angetan. Er rettet ihre schwer erkrankte Freundin und versorgt diese mit Medizin.
Als Dan nach München versetzt wird, beschließt Griet nicht in ihre Heimat zurückzukehren, sondern auch nach München umzusiedeln. Doch Wohnungen und Jobs sind fast keine mehr vorhanden. Nur Captain Dan ist es zu verdanken, dass sie eine Arbeits- und Wohnbescheinigung bekommt.

Tonis Familie würde auf der Straße stehen, wenn Großtante Vev sie nicht aufgenommen hätte. Ihr Vater kämpfte in Russland und gilt als vermisst, ihr Bruder ist noch in französischer Kriegsgefangenschaft.
Die Enge der Wohnung setzt der Familie zu, zumal auch noch ihre Tante mit deren erwachsenen Sohn bei der Großtante Vev lebt.
Die Familie hat nichts zu Essen und kämpft ums Überleben, als zu allem Unglück auch noch Amerikaner vor der Tür stehen und ein Zimmer für eine fremde Frau zum Wohnen beschlagnahmen.

Glückskinder sind die Überlebenden im Krieg.
Auch als der Krieg vorbei war, fehlte es an allem. Der tägliche Hunger zermürbte ganz Deutschland. Die Schwarzmärkte boomten. So auch der in der Münchener Möhlstrasse. Ein Kilo Bohnenkaffee kostete 1946 zwischen 450 und 600 Mark.
Teresa Simon hat es außerordentlich gut verstanden, die großen Entbehrungen nach dem Krieg zu schildern. Der Hunger war allgegenwärtig im Buch.

Ein Buch, das man in die Hand nimmt und gar nicht zur Seite legen kann, bis es dann ausgelesen ist. Das Ende war mir ein wenig zu „Happy End“.
Eine Geschichte über zwei starke Frauen in der Nachkriegszeit. Sehr zu empfehlen.
4½/ 5

Bewertung vom 04.09.2023
Lebenslektionen meiner Mutter
Verstappen, Fen

Lebenslektionen meiner Mutter


ausgezeichnet

Selten hat mich ein Buch so berührt:

LEBENSLEKTIONEN MEINER MUTTER
Fen Verstappen

Ihre Mutter ist anders - cooler, ein wenig aufmüpfig, unangepasst, wenn sie auf Partys tanzt, dann mit einem Glas in der Hand. Sie trägt Springerstiefel und ist eine Modedesignerin. Sie ist geschieden und hat drei Kinder. Alle arbeiten für sie. Die Mittlere macht Handtaschen, der Jüngste Schmuck und unsere Erzählerin, die älteste Tochter, ist Grafik Designerin.
Doch jetzt liegt ihre Mutter im Krankenhaus - ist irgendwo zwischen Leben und Tod. Sie wird ihre Mutter nie wieder anrufen können.
„Wir sind erwachsen. Wir können schwimmen. Aber ob wir an derselben Küste angespült werden und ob wir uns dann noch wiederfinden, ist die Frage.“ (S. 30)

„Während ich mit meinem Handy über den Flur laufe, versuche ich vergebens Zeit wettzumachen, die ich achtlos verschwendet habe. Verbummelte Stunden, in denen ich dich nicht zurückrief, weil ich keine Lust dazu hatte; Wochen, in denen ich zu faul war, deine E-Mail zu beantworten; Monate, in denen ich dich nicht besuchte, weil kleine neue Verärgerungen an alten Verletzungen rührten.“ (S. 42)

Erinnerungen werden wach. Lebenslektionen ihrer Mutter gab es reichlich: „Nur Menschen, die es allen recht machen, werden von allen gemocht. Sorge dafür, dass nicht jeder dich mag.“ (S. 19)

Was für ein tolles Debüt! Fen Verstappen schreibt kurze, prägnante Kapitel. Mal erzählt sie von der Zeit vor dem Unglück in Paris, mal springt sie ins Jetzt und Heute. Die Familie, die so beeindruckend zusammenhält, ist mir so unglaublich sympathisch. Ja, und die Mutter ist so wahnsinnig toll!
Ein großartiges Buch, ich musste es mehrmals aus der Hand legen. So eine traurige Geschichte, die mich total aufgewühlt hat, mit wenigen wunderschönen Worten erzählt.

Übersetzt aus dem Niederländischen von Janine Malz.

Bewertung vom 31.08.2023
Das leise Platzen unserer Träume
Lohmann, Eva

Das leise Platzen unserer Träume


ausgezeichnet

DAS LEISE PLATZEN UNSERER TRÄUME
Eva Lohmamm

Zwei Frauen, Jule und Hellen, die sich nicht kennen, erzählen abwechselnd ihre Geschichten:

Jule hat alles, was man sich wünschen kann: Gesundheit, ein wunderschönes Landhaus, einen Job, den sie über alles liebt, und einen tollen und gut-aussehenden Ehemann namens David - das dieser eine Affäre mit einer Frau namens Hellen hat, weiß sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Sie weiß nur, dass sie seit Jahren keinen Sex mehr mit ihm hatte.
Es begann, nachdem sie den "Sex nach Fahrplan“ aufgegeben hatten - der Kinderwunsch blieb unerfüllt.
Gefühle für David schwanden schleichend: Erst ließ nur das Kuscheln nach, dann setze der Abschiedskuss aus und zuletzt berührten sie sich nicht mehr.

Hellen ist alleinerziehende Mutter eines 8-jährigen Zwillingspärchens. Eine neue Beziehung möchte sie nicht - zu lange hatte es gedauert, bis sich die Normalität und Unabhängigkeit nach der Trennung von dem Kindervater wieder einstellten. Nur guten Sex - auf den möchte sie nicht verzichten. Da kommt ihr der verheiratete David nur recht, der seine Frau betrügt.
Doch je länger das Verhältnis anhält, desto neugieriger wird Hellen auf Davids Frau Jule. Schnell hat sie diese im Netz ausfindig gemacht … und was jetzt passiert, müsst ihr selber herausfinden.

Was für eine tolle Geschichte. So authentisch, locker und leicht erzählt, dass man einfach nicht aufhören kann zu lesen.
Große Leseempfehlung
5 /5

Bewertung vom 31.08.2023
Packerl
Neata, Anna

Packerl


ausgezeichnet

DAS PACKERL
Anna Neata

Das Packerl ist das Gewicht, das man im Leben auf den Schultern trägt.

Wir tauchen ein in die Geschichte dreier Frauen, die ihr Packerl tragen:
Elli, die mitten im zweiten Weltkrieg eine begeisterte BDM-Anhängerin ist und nach dem Tode Hitlers gemeinsam mit ihrer Schwester den Vater am Dachstuhl noch lebend, aber zappelnd finden.
Sie ist ein bisschen daran schuld, dass der Freund ihrer Schwester nicht aus dem Krieg zurückkehrt und später verliebt sie sich in den falschen Mann. Dass dieser ein Aufschneider ist, bemerkt sie erst, als sie bereits schwanger ist.
Ellis Tochter Alexandra, die im Strudel der 70er-Jahre aufwächst und das Schweigen ihrer Mutter kaum erträgt, kehrt ihr aus diesem Grunde den Rücken. Nur ihr bester Freund Hannes steht ihr weiterhin zur Seite.
Alexandras Tochter Eva wird 1986 geboren. Sie ist zwar ein ruhiges und stilles Kind, aber nach einem Schwangerschaftsabbruch wird sie stark depressiv und ist suizidgefährdet.
Sie wird diejenige sein, die versucht, das ganze Ungesagte in den vorherigen Generationen zu entschlüsseln.

Abwechselnd, aber chronologisch kommen die drei Frauen zu Wort. Und je nachdem welche Frau gerade erzählt, änderte sich auch der Sprachstil der Autorin von fein bis derb.
Ich musste mich ein wenig einlesen; weniger in die Geschichte als in den österreichischen Dialekt. Außerdem fehlen die Zeichen der wörtlichen Rede komplett. Aber als ich das hinter mir hatte, konnte ich mich so richtig in die Geschichte fallen lassen. Sah förmlich das Haus vor mir, wo der zerbrochene Spiegel hängt und wo die letzten zwei Treppenstufen immer so knarzen. Der Geruch von Apfelstrudel zog buchstäblich durch mein Wohnzimmer.
Ich habe das Buch sehr gerne gelesen. Ich liebe diese Familiengeschichten mit Rückblicken, wo jeder sein Packerl zu tragen hat, denn wo gibt es das nicht?
4½/ 5 und ich muss dringend einen Apfelstrudel backen.

Bewertung vom 29.08.2023
Solothurn hüllt sich in Schweigen
Gasser, Christof

Solothurn hüllt sich in Schweigen


ausgezeichnet

SOLOTHURN HÜLLT SICH IN SCHWEIGEN
Christof Gasser

Vanessa Kurth, eine Informantin der Polizei, wird tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Sie arbeitete als Barfrau in einem Solothurner Etablissement und lieferte Informationen über deren Inhaber Boran Baddour, den Spross eines deutsch-arabischen Familienclans.
Einen Tag später findet man eine weitere Leiche am Ufer der Aare. Hauptmann Dominik Dornach von der Solothurner Polizei wird mit Unterstützung seines Teams die Ermittlungen leiten. Erst scheint es so, dass es keine Verbindungen zwischen den Toten gibt. Erschwerend kommt hinzu, dass die neue Staatsanwältin seine Ermittlungen nicht unterstützt, sondern fast behindert.
Doch Team Dornach lässt sich nicht aufhalten. Sie werden in einen Strudel von Drogenhandel und Juwelendiebstahl gezogen, die sie mitten in die Machenschaften zweier Familienclans führt. Am Ende muss Hauptmann Dornach einsehen, dass die Organisierte Kriminalität in Solothurn eingezogen ist.

Chapeau Christof Gasser, du verstehst es Krimis, zu schreiben.
Direkt von Beginn an wurde ich förmlich in die Machenschaften eines deutsch-arabischen Clans gesogen und bin erst auf der letzten Seite wieder aufgetaucht. Hochaktuelle Themen wie der Ukrainekrieg und vor unseren Augen auf der Straße ausgeführte Clankriege verknüpft der Autor gekonnt. Was mir immer wieder gefällt, ist, wie Gasser mit kleinen Spitzen die Politik seines Landes kritisiert und Diskrepanzen auf den Punkt bringt.

„Der Zynismus rechts stehender Politiker und Firmenbosse in der Schweiz, die Putins Taten entschuldigen oder gar gutheißen, nervte sie. In ihren Augen versteckten sich diese Leute wie ängstliche Kinder hinter Mutter Helvetias zerschlissener Neutralitätsschürze, damit sie Hunderte Milliarden Blutgelder russischer Oligarchen auf Schweizer Bankkonten retten konnten. Was in der Ukraine stattfand, war kein Krieg, es war ein Massaker an unschuldigen Menschen, vor allem an Kindern, die zu Hunderten von den Russen verschleppt wurden.“ (S.162)

Auch der 6. Band des Ermittlers Dornach zeigt, dass es keinen blutigen Axtmörder braucht, um einen spannenden Krimi zu schreiben. Dieser Krimi ist rasant, spannend, intelligent und brisant.
Übrigens muss man nicht zwingend die Vorgänger gelesen haben.
Einen kleinen Minuspunkt gibt es allerdings trotzdem: Vorsicht Spoiler: ❌ Ich hätte mir am Ende gewünscht, das eine der zwei Damen nicht überlebt. Das war leicht „too much“ für meinen Geschmack. ❌
Okay, das war Jammern auf hohem Niveau.

Fazit:
Spannender geht nicht! Große Leseempfehlung für Krimi-Fans und ich muss irgendwann unbedingt einmal nach Solothurn. Die Beschreibungen der Stadt inklusive historischer Details, die der Autor nebenbei einfliessen lässt, hören sich großartig an.
Vielleicht treffe ich dort den Autor auf einen Schümli Kaffee?

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