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luisa_loves_literature
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NRW

Bewertungen

Insgesamt 116 Bewertungen
Bewertung vom 15.09.2020
Der falsche Preuße / Offizier Gryszinski Bd.1
Seeburg, Uta

Der falsche Preuße / Offizier Gryszinski Bd.1


ausgezeichnet

Das war ein Roman, der mir so richtig Spaß gemacht hat, weil hier einfach alles so richtig gut passt. Der Kriminalfall ist wunderbar verzwickt, mit verschiedenen Strängen, Ermittlungsrichtungen, red herrings und möglichen Motiven und lädt so richtig schön zum Miträtseln ein. Die Ermittlungen laufen auch durchaus mal ins Leere, aber an keiner Stelle entsteht der Eindruck einer überflüssigen Szene – im Gegenteil, jeder Schritt ist eine Mosaikstein zu der absolut schlüssigen und sinnvollen Auflösung am Ende, die überzeugt, gerade weil sie völlig ohne wilde Konstruktionen oder Exkurse in am Rande erwähnte Szenarien auskommt, und darüber hinaus schließlich sogar ein Ende im Stil von Arthur Conan Doyle präsentiert.

Der Roman überzeugt aber nicht nur auf der Handlungsebene, die Figuren sind ebenfalls sehr gut konzipiert. Gryszinski selbst liegt irgendwo zwischen Sherlock Holmes und Watson, er ist durchaus gewitzt und verfügt über ein scharfe Wahrnehmungsgabe, aber es gibt auch immer wieder Situationen, in denen er mit dem Leser auf Augenhöhe ist und sich von dem Fall überfordert fühlt. Es ist wunderbar, eine solche freundliche, gemütliche und dem Essen zugetane Ermittlerfigur durch die Handlung begleiten zu dürfen. Gryszinskis kulinarische Vorlieben sorgen für sehr viel München-Flair und vermenschlichen diesen Protagonisten auf eine sehr angenehme Art. Meine liebste Figur ist jedoch Gryszinskis Gattin Sophie, mit deren Lesebegeisterung ich mich sehr gut identifizieren konnte und deren weitreichende Literaturkenntnisse den Roman um viele treffende Verweise bereichern. Die Romanfiguren sind insgesamt zwar in Grundzügen alle von der Art, wie man sie in einem Krimi alter Schule anzutreffen erwartet, aber die Typen sind hier sehr liebevoll und mit eher ungewöhnlichen Charakteristika ausgestattet, was neben dem großen Wiedererkennungswert im Verlauf der Handlung auch einen sehr hohen Unterhaltungseffekt hat.

Dazu wartet der Roman als historischer Krimi noch mit allerlei sehr gut recherchiertem Kontext auf und bietet spannende Einblicke in Deutschlands Kolonialzeit. Besonders gut – und dazu noch recht neutral - aber ist der culture clash zwischen Bayern und Preußen herausgearbeitet, die Zerrissenheit Gryszinskis zwischen alter und neuer Heimat.

Zu dem großen Lesevergnügen trägt natürlich auch wesentlich der flüssige, aber anspruchsvolle und sehr geschliffene Schreibstil bei. Man merkt sehr rasch: hier schreibt jemand, der es kann. Syntax und Wortwahl sind keinesfalls einfach, aber unglaublich unterhaltend und vor allem absolut stimmig für eine Roman der Ende des 19. Jahrhunderts spielt. Der falsche Preuße atmet sozusagen 1894 und das fin-de-siècle und erweckt die Zeit auf allen Ebenen zum Leben.

Uta Seeburgs Roman ist ein famoser, sehr lesenswerter, äußerst unterhaltsamer und vortrefflich geschriebener Kriminalroman, der durch zahlreiche amüsante Details, verschrobene Figuren, viel Kontextwissen und Flair zu glänzen versteht. Dazu verfügt er noch über eines der dekorativsten Cover unter den derzeitigen Neuerscheinungen. Chapeau!

Bewertung vom 09.09.2020
Das lügenhafte Leben der Erwachsenen
Ferrante, Elena

Das lügenhafte Leben der Erwachsenen


gut

Mag ich Giovanna? Das ist die Frage, die mich beschäftigt. Und die Antwort darauf lautet: Nein. Ein klares, kategorisches Nein. Es gibt nichts, was mir an ihr gefällt – so wie ihr selbst eigentlich auch nichts an ihr gefällt. Kann ich Giovanna verstehen? Ja, sehr häufig sogar.

Der Name Elena Ferrante war mir zwar geläufig, gelesen hatte ich aber bisher keinen ihrer Romane, daher habe ich keine Vergleichsmöglichkeiten, stehe außerhalb des #FerranteForever-Hypes und konnte mich sehr unvoreingenommen daran machen, ihre Protagonistin Giovanna auf dem steinigen Weg durch das Alter von 13-16 zu begleiten. Was Ferrante hier gelungen ist, verdient Hochachtung, denn sie versteht es aufs Überzeugendste, die Zerrissenheit, Orientierungslosigkeit, Einsamkeit, Ausgeschlossenheit, Neugier, Erkenntnis, Eigenständigkeit und Hilflosigkeit des Heranwachsens einzufangen. Die Verwirrungen der Teenagerzeit, das Desinteresse am Leben, die Enttäuschung gegenüber den Eltern, all dies wird von der Autorin gnadenlos, atemlos und tabulos durch eine ungeschönte Innensicht auf ihre Protagonistin geschildert. Der Leser ist unglaublich nah an Giovanna dran, die sich selbst nur selten schont, auch wenn sie sich selbst nicht immer versteht. Diese sehr authentische Darstellung der Introspektion einer Heranwachsenden ist allerdings nicht der Glanzpunkt des Romans, es ist vielmehr die graduelle Weiterentwicklung der Protagonistin durch diese Einblicke in ihr eigenes Ich. So sieht man sich als Leser am Ende des Roman fast staunend einer erwachseneren Giovanna gegenüber, aber weiß kaum mehr, wie sich diese Reifung eingeschlichen hat – nur, dass sie eben allmählich passiert ist. Giovannas Konzeption und ihre Darstellung sind rundum gelungen. Selten gibt es so realistische, authentische, verstörte und dabei nachvollziehbare Romanfiguren wie sie.

Sprachlich (und auch inhaltlich) gleitet der Roman in dem Wunsch, die unterschiedlichen sozialen Hintergründe überzeugend darzustellen, ab und an ins Vulgäre ab. Derbe Sprache und Handlungsteile sind nicht mein Fall, aber in diesen Roman sind diese Aspekte sinnvoll in die Erzählung integriert und notwendig, um die Frage nach Herkunft und Weiterentwicklung aufzuzeigen. Die beiden Einflussgrößen, die von Giovannas Heranwachsen prägen, werden durch ihre Tante Vittoria und ihren Vater bzw. den Studenten Roberto repräsentiert. Diese Nebenfiguren polarisieren in gewisser Weise, vor allem, weil sie im Gegensatz zu Giovanna und dadurch, dass die Wahrnehmung dieser Figuren ausschließlich durch Giovannas Ich-Perspektive gefiltert wird, zu simpel, zu einfach sind, wie im Übrigen alle Nebenfiguren des Romans. Giovanna schreibt jeder Figur nur bestimmte Handlungsmöglichkeiten und Charakteristika zu, sie hinterfragt diese nur sehr begrenzt und ist auch nicht an ihren Motiven interessiert. So tritt durch die wenig komplexe Nebenfigurendarstellung die grenzenlose Ich-Bezogenheit der Heranwachsenden auch erzählerisch zutage – und wird so zu einem kleinen Meisterstück.

Der Roman hat mich unterhalten, interessiert, einen Lesesog entfaltet, aber hat mich auch manchmal abgestoßen. Am Ende stelle ich fest: ich habe das lügenhafte Leben aufgesogen, aber „schön“ in der reinsten Form des Wortes war es nicht. Ich mag den Roman nicht einmal besonders, aber gut ist er.

Bewertung vom 27.08.2020
Die Wahnsinnige
Hennig von Lange, Alexa

Die Wahnsinnige


ausgezeichnet

Der Roman lässt mich betroffen und vielleicht auch in gewisser Weise ohnmächtig zurück. In den vergangenen Tagen habe ich an der Seite von Johanna um Liebe gekämpft, Gefühle unterdrückt, Kinder bekommen, Macht verloren, um ein Leben gefürchtet, einen Platz in der Welt eingenommen - und bin darin bestätigt worden, dass die Maßstäbe für einen gesunden Geist von Männern gemacht werden. Immer wieder kommt mir der Satz in den Sinn, der über Johannas ganzer Geschichte steht, und den man ausschließlich Frauen gegenüber verwendet: "Nun sei doch nicht so emotional." Dies ist schlussendlich Johannas einziges Vergehen in dieser fiktionalen Aufarbeitung ihrer Ehe: sie lässt sich von ihren Gefühlen leiten und oftmals beherrschen.

Alexa Hennig von Lange ist eine äußerst intensive Charakterstudie gelungen, die durchgehend die klaustrophobische Abhängigkeit Johannas, ihr Leben in Unfreiheit und und mit Einschränkungen, fühlbar macht. Bereits die erste Seite zeigt diesen Mangel an Selbstbestimmung in klaren, treffenden Worten deutlich auf. Zu keiner Zeit vergisst der Roman, wie verfahren Johannas Situation ist. Jeder noch so kleine Moment, den Johanna als Sieg verbuchen möchte, wird von ihren Feinden zum weiteren Beleg ihres ungesunden Geisteszustands umgedeutet. Johannas begrenzte Aktionsmöglichkeiten werden dadurch verstärkt, dass sie ihrem Mann verfallen ist, und sie ihm ein Kind nach dem anderen schenkt - ein weiterer Umstand, der sich vortrefflich dazu eignet, Johanna einzusperren, zu kontrollieren und einzuschränken.

Neben diesem außerordentlichen Gefühl der Unfreiheit, das der Roman beständig transportiert, erkennt der Leser, dass Johanna vor allem sehr einsam ist. Sie hat keine Freunde und kaum Verbündete, ihre "engste Vertraute" wird ihr von ihrer Mutter zugeteilt und soll Johannas Verhalten in die richtigen Bahnen lenken. Die Beziehung zu ihrem Mann ist emotional einseitig und wenig vertrauensvoll, denn Philipp der Schöne lebt das typische Leben eines Renaissancefürsten mit allem, was dazu gehört. Für ihre Eltern ist sie lediglich ein Machtpfand und die Beziehung zu ihren eigenen Kindern bleibt trotz aller Bemühungen zerrissen. All diese Aspekte sind ausgezeichnet und sehr authentisch in die Erzählung eingebettet. Johanna und ihre Familie sind sind so plastisch dargestellt, dass die Lektüre durchweg von dem Eindruck bestimmt wird, man habe es mit realen Menschen zu tun und nicht nur mit literarischen Figuren, die auf einer historischen Vorlage beruhen. Erzählerisch ist dies sehr stark, weil es dem Roman tatsächlich gelingt, immer wieder auch Distanz zu Johanna aufzubauen. Der Leser zweifelt so ab und an, ob Johanna nicht vielleicht doch einen Hang zum Wahnsinn haben könnte und stellt ihr Verhalten infrage.

Auch wenn die Charakterstudie im Vordergrund steht, so ist der Autorin darüber hinaus ein sehr authentisches Bild der Renaissancezeit gelungen. Man wird mit Johanna in alte, kalte Gemäuer eingesperrt und arbeitet sich an den patriarchalische Machtstrukturen ab. Als Bonus wird der Kleidung der Zeit sehr viel Aufmerksamkeit geschenkt und so der zeitliche Kontext noch stärker herausgearbeitet. Auch der politische Hintergrund und die dynastischen Verhältnisse finden ihren Platz in diesem Roman. Dies alles hat mir ausgesprochen gut gefallen.

Trotz meines absolut positiven Fazits habe ich zwei Punkte zu bemängeln. Die Autorin neigt zu einigen Redundanzen. Johannas rotes Haar, ihre blasse Haut, Philipps Kinn und noch ein paar weitere Details werden zu gehäuft angesprochen. Dadurch tritt der Erzählfluss etwas auf der Stelle. Und: das Nachwort hätte dringend um den letzten Absatz gekürzt werden müssen. Es ist leider überhaupt nicht gut, wenn ein Autor dem Leser abschließend erklären möchte, wie er den Text hätte verstehen sollen. Ein guter Roman kann und muss für sich selbst sprechen. Dieser könnte es.

Bewertung vom 24.08.2020
Der letzte Satz
Seethaler, Robert

Der letzte Satz


ausgezeichnet

Ich komme gerade von einer Schiffsreise mit Gustav Mahler zurück, fühle noch die Gischt und spüre, wie mir der Wind alles Unwichtige aus dem Kopf geweht hat. Es war eine schöne, melancholische, vergebliche und wichtige Reise. Schön, weil Robert Seethaler einfach schreiben kann, wie kaum ein anderer, melancholisch, weil das Leben immer zu kurz ist, vergeblich, weil es für Mahler zu spät war und wichtig, weil er sich selbst gefunden hat.

Der Roman ist kurz, aber das tut seiner Wirkung keinen Abbruch - im Gegenteil, der geringe Umfang des Textes unterstreicht den Handlungsverlauf auf sinnvolle Weise. Der Leser begleitet den kranken Gustav Mahler auf seiner letzten Schiffsreise und folgt dabei seinen verschachtelten, ineinander geschlungenen, Gedanken und Erinnerungen. Das erste Kapitel fordert den Leser dabei noch etwas, ab dem zweiten hat man das Konzept verstanden und genießt, wie authentisch und glaubhaft ein Fetzen der Vergangenheit den nächsten auferstehen lässt - denn schließlich denken wir alle auf diese Weise. Uns so nähert der Leser sich ganz behutsam dem Menschen Mahler an, so wie Mahler selbst auch beginnt, sich mit seinem Wesen auseinanderzusetzen.

Die Erinnerungen Mahlers sind dabei bestimmt von den wesentlichen Verlusten, Triumphen, Niederlagen, den Meilensteinen seines Lebens, die reflektiert und mit tiefem Gefühl anerkannt werden. Dabei ist besonders Seethalers Fähigkeit hervorzuheben, diese aussagekräftigen Momente auszuwählen und neben Mahlers offenkundiger Auseinandersetzung mit seinem Leben beständig eine "zweite" Spur mitschwingen zu lassen, die eine distanziertere Sichtweise auf Mahler zulässt. Das ist schon sehr groß.

Sehr genossen habe ich die Darstellung des Naturmenschen Mahler, seine Liebe zu Vögeln, seine Freude am Wald, seinen Wunsch nach Alleinsein - vielleicht nur eine Nebensache, aber von Seethaler in unglaublich duftender und singender Prosa betrachtet. Überhaupt die Sprache - der Roman ist tatsächlich "handwerklich" ausgezeichnet gemacht. Ich liebe Romane, die eine tiefe Wahrhaftigkeit in sich tragen und dies ist hier der Fall. Es gibt so viele Formulierungen, Ideen und Konzepte, die eine Nachwirkung erzeugen und die man sicher nie vergisst. So gehen Mahlers letzter Satz im Roman und der tatsächliche letze Satz des Buches eine fast schon schmerzliche Verbindung ein, die die ganze Eleganz des Textes exemplarisch verdeutlichen können.

Der letzte Satz ist ein eleganter Roman, getragen von außergewöhnlichem Sprachgefühl und einer ausgereiften Innensicht, der noch lange nachhallt, wenn das letzte Wort verklungen ist - genauso wie es auch in der Musik mit der letzten Note der Fall ist.

Bewertung vom 22.08.2020
Mein Vater, John Lennon und das beste Jahr unseres Lebens
Barbash, Tom

Mein Vater, John Lennon und das beste Jahr unseres Lebens


sehr gut

Anton Winter, Sohn des berühmten und gefeierten Late-Show-Moderators Buddy Winter, berichtet dem Leser vom unsteten Leben mit seinem flamboyanten, egozentrischen Vater, seinen eigenen, konsequenten Abnabelungsversuchen von dieser schillernden Vaterfigur, davon, wie es ist, mit John Lennon in einem Haus zu leben, und von dem New York und Amerika des Jahres 1980 - einer verlorenen Welt.

Dieser Roman ist seltsam: während ich ihn las, fragte ich mich wiederholt, was das Ganze eigentlich soll, wohin soll es gehen, was soll am Ende dabei herauskommen und so richtig angetan war ich nicht.

Nun habe ich die letzte Seite umgeblättert und bin erfüllt von einer tiefen Melancholie und, ja, tatsächlich Traurigkeit, denn ohne es beim Lesen zu merken, hat mich das Buch berührt und war ein guter Freund - so wie John Lennon es für Anton ist und umgekehrt. Dieser emotionale Effekt auf den Leser ist letztlich der Tatsache geschuldet, dass die letzten zwei Kapitel sehr stark sind und dass der Fokus des Romans erst in der zweiten Hälfte richtig zu Tage tritt: es geht letztlich um eine symbolische, verdrehte Vater-Sohn-Beziehung, in der der Vater den Sohn wie einen Kumpel oder Vater behandelt und sich in emotionaler und professioneller Abhängigkeit von ihm befindet, während sich der Sohn zunächst völlig unbewusst, dann allmählich immer zielgerichteter, von seinem Vater lösen möchte. Hilfsfigur und Freund auf diesem Weg ist John Lennon, der in dem Roman fast schon zu einer Retterfigur stilisiert wird. Interessanterweise spielt der Text sehr häufig mit der Idee, dass man Prominente und Stars nie kennenlernen kann, sie irgendwie nie real sind, und genau dies passiert auch in diesem Buch: John Lennon bleibt trotz seiner Bedeutung für den Roman und seines regelmäßigen Auftretens eine weitestgehend unfassbare, nebulöse Figur.

Die Handlung selbst berichtet im Grunde nur von Antons Abnabelungsprozess, von seinen und Buddys Versuchen im Showgeschäft wieder Fuß zu fassen und von Treffen und Gesprächen mit John Lennon - einen eigentlichen Spannungsbogen sucht man hier vergeblich, im Gegenteil, der Roman plätschert eher gefällig vor sich hin. Das tut er jedoch wirklich sehr gut und vor allem mit einer großen Liebe zu New York und den Achtzigern. Die Beschreibungen strotzen vor Lokal- und vor allem Zeitkolorit: wir dürfen z.B. mit Anton zu den Olympischen Spielen in Lake Placid reisen und Reagans Wahlkampf erleben. Dies hat mich sehr begeistert und nostalgisch gestimmt, es ist schmerzhaft, festzustellen, dass eine Zeit, die man nun häufig so belächelt, doch ihren ganz eigenen Zauber hatte und auch das New York, das hier gezeichnet wird, für immer passé ist. Vermutlich hätte der Roman mich noch stärker in seinen Bann schlagen können, wenn ich die Beatles-Zeit und die frühen Achtziger bewusster erlebt hätte - so glaube ich insgesamt tatsächlich, dass es sich hier eher um ein Buch handelt, das besonders für die Kinder der 1950er und 1960er einen besonderen Reiz entfaltet und eine Heimkehr bedeutet.

Ein Schwachpunkt des Romans ist meines Erachtens die Anzahl zu vieler Nebenpersonen, die sich zu sehr ähneln, weil sie nicht differenziert genug konzipiert wurden. Manchmal fühlte ich mich deshalb etwas verloren in der Handlung - allerdings gestehe ich dem Autor zu, dass dies eine absichtsvolle Entscheidung war: die Buddy Winter Show ist eben eine Two-Men-Show mit dem Gaststar John Lennon - alle anderen Personen sind Nebenfiguren.

Der Roman ist eine nostalgische, sehr lesenswerte Lektüre für New York-Liebhaber, Beatles-Verehrer, Baby-Boomer und alle, die schon immer wissen wollten, wie Ronald Reagan Präsident werden konnte.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.08.2020
Ein Mann der Kunst
Magnusson, Kristof

Ein Mann der Kunst


sehr gut

Ich habe diesen beschwingten Roman außerordentlich genossen, vor allem weil er mir sehr kurzweilige und humorvolle Einblicke in die Kunstwelt gewährt hat. Der Autor hat mit seiner Erzählerfigur Constantin Marx einen ausgezeichneten Beobachter geschaffen, der den Spagat zwischen sympathischer Zurückhaltung und nuanciertem Urteil mühelos schafft. Seine Beschreibungen der Förderverein-Mitglieder sind entlarvend, aber gleichzeitig voller Zuneigung für diese selbsternannte Akademiker-Elite. Ebenso gelungen ist die schrittweise Annäherung an den eigenbrötlerischen Künstler, der sich schließlich auf erfrischende Weise als Mensch entpuppt. Der Roman ist einfach richtig gut gemachte, niveauvolle und geschickte Unterhaltung, die bei mir tatsächlich auch noch eine gedankliche Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Wesen der Kunst ausgelöst hat. Lesenswert!