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MarionHH
Wohnort: 
Schenefeld

Bewertungen

Insgesamt 120 Bewertungen
Bewertung vom 21.08.2017
Der Preis, den man zahlt / Lorenzo Falcó Bd.1
Pérez-Reverte, Arturo

Der Preis, den man zahlt / Lorenzo Falcó Bd.1


sehr gut

Sehr spannender und cleverer Spionagethriller der klassischen Art und Auftakt einer Serie um den Spion Falco. Der Autor verknüpft geschickt und klug die historischen Hintergründe mit einer spannenden Rahmenhandlung und er versteht es, die komplizierten und für den Laien oftmals verwirrenden Gruppierungen und ihr Anliegen verständlich zu machen. Sein Schreibstil ist anspruchsvoll, aber dennoch eingängig und fesselnd. Die aufregende und auch schreckliche Epoche des spanischen Bürgerkrieges, an dessen Ende Franco als Sieger hervorging und danach lange Zeit als Diktator herrschte, spielt eine große Rolle in der Geschichte, sie ist der Ursprung der Handlung. Die Figuren sind Kinder ihrer Zeit, es gibt Gewinner und Verlierer des Krieges. Die Zerrissenheit, die Angst, aber auch der politische Fanatismus und die Brutalität aller Beteiligten werden sehr plastisch dargestellt.

Die Geschichte ist gänzlich aus der Perspektive des Agenten Falco verfasst, auf ihn konzentriert sich alles. Falco ist ein charismatischer Mensch, der sich seiner Wirkung auf Frauen sehr bewusst ist und diese auch sehr aktiv zu seinem Vorteil zu nutzen weiß. Er ist charmant, intelligent, kühl, berechnend und kaltblütig. Sein Lebenslauf wird dem Leser nach und nach eröffnet, allerdings auch nur grob, gegenüber seinen Mitmenschen bleibt er gänzlich verschlossen. Freundschaften oder gar Beziehungen existieren nicht, die engste Bindung ist die zu seinem Chef, und zu ihm hat er auch das größte Vertrauen. Trotz seiner Zugehörigkeit zum SNIO wird nicht klar, welcher politischen Richtung er zuneigt. Grundsätzlich ist er sich selbst der nächste und er weiß sich herauszuhalten. Bei der Operation muss er sich auf ihm unbekannte, sehr unterschiedliche Menschen verlassen, und hier zeigen sich sein starker Charakter und Führungswille. Mit seinen teilweise brutalen Äußerungen eckt er auch häufig genug an und macht sich unbeliebt. Aufgrund dessen und aufgrund seiner Handlungen ist er alles andere als ein sympathischer Charakter, eher zwiespältig und polarisierend, aber als Figur ist er sehr dominant, so dass man als Leser sofort unglaublich mit ihm mit lebt. Die anderen Charaktere, besonders die männlichen, bleiben in meinen Augen eher blass.

Als weiblichen (Gegen-)Part hat der Autor Falco Eva Rengel zur Seite gestellt. Sie ist ganz anders als die Frauen, die Falco sonst so aufreißt, unweiblich, ungepflegt, hart im Nehmen, extrem selbstbewusst und undurchsichtig. Ich muss gestehen, dass sie mir im Laufe der Zeit immer unsympathischer wurde. Ihre „stillen Blicke“ gingen mir nach einiger Zeit ebenso auf die Nerven wie ihre ständigen Unterstellungen, Äußerungen könnten gegen sie als Frau gerichtet sein. Mit ihr konnte man sich so gar nicht identifizieren, allerdings auch mit keiner anderen weiblichen Protagonistin. Sie blieb mir im gesamten Buch fremd, insofern hielt sich mein „Mitleben“ mit ihrer Person auch sehr in Grenzen, ganz anders bei Falco, der nach bester Agentenmanier in lebensbedrohliche Situationen kommt, dem man aber wünscht, heil wieder heraus zu kommen.

Fazit: Starker Autor, tolles Buch! Der Autor verwebt sein historisches Fachwissen klug und unprätentiös mit einer spannenden Handlung, die durchaus einige überraschende Wendungen bereithält, und er schreckt auch vor brutalen und blutigen Szenen nicht zurück. Ein gewisses Interesse an historischen Begebenheiten ist von Vorteil und die Bereitschaft, sich vielleicht einmal ein bisschen mit den Hintergründen zu befassen. Dies trägt zumindest zum besseren Verständnis bei. Der Roman ist nichts zum Herunterlesen, obwohl gar nicht einmal so dick, ist die Handlung kompakt und teilweise verworren, aber nie langweilig. Dass der Autor ein großer Erzähler ist, hat er hinlänglich bewiesen, und auch dieser Auftakt um den charmanten Spion ist sehr gelungen und macht Lust auf Mehr!

Bewertung vom 15.08.2017
Der Frauenchor von Chilbury (eBook, ePUB)
Ryan, Jennifer

Der Frauenchor von Chilbury (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Bezauberndes Buch über die Hoffnung in schweren Zeiten, über das Über-sich-Hinauswachsen in Krisenzeiten, aber auch über Selbstfindung, Läuterung und nicht zuletzt die Liebe. Eigentlich sind es mehrere Geschichten, die in Form von Bekanntmachungen, Tagebüchern, Briefen und Schlagzeilen in Zeitungen erzählt werden. Über einen Zeitraum von März bis Anfang September 1940 wird von großen und kleinen Kümmernissen, von Intrigen, kriminellen Machenschaften, aber auch von Träumen, Hoffnungen und Wünschen berichtet. Durch die gewählte Erzählform hat man das Gefühl, dies alles geschieht wirklich und man selber ist mittendrin, man wird Teil der Dorfgemeinschaft und erlebt hautnah alle Geschehnisse mit. Die Autorin hat einen wunderbaren Schreibstil, locker, aber doch stilvoll, jeder Brief, jeder Tagebucheintrag, jede Notiz erhält eine eigene Note, und trotz der damit verbundenen häufigen Perspektivwechsel und kurzen „Kapitel“ liest sich das Ganze ungeheuer flüssig. Es ist an sich ein Buch der leisen Töne. Sicherlich sind die großen Erlebnisse und Ereignisse einschneidend und haben weitreichende Konsequenzen, doch es sind die kleinen Dinge, die Mut machen und amüsieren, an Hand derer die Protagonisten ihre Entscheidungen fällen und die den Leser oftmals überraschen.

Jeder Charakter ist vielschichtig und man erfährt einiges über das Selbstbild von einzelnen Menschen, das oft in einigem Gegensatz zu dem Bild steht, das andere von demjenigen haben. Das machte für mich einer der größten Reize aus, es wird ein Ereignis oder ein Person aus verschiedenen Blickwinkeln beschrieben, doch es wiederholt sich niemals und wird niemals langweilig, im Gegenteil. Es ist interessant zu lesen, wie Ereignisse wahrgenommen werden, sie bekommen aus jeder Perspektive heraus eine eigene Dynamik. Das Ganze lebt zudem von den starken Charakteren und der Entwicklung von einzelnen Figuren. Einerseits ist da eine durchaus in sich geschlossene Dorfwelt mit teilweise skurrilen Menschen, mit ihren Befindlichkeiten, Feindseligkeiten und Geheimnistuereien. Sie versuchen lange, ihre gewohnten Abläufe und Strukturen beizubehalten. Andererseits ist da die Außenwelt und diese dringt immer mehr in das Dorf ein und verändert es. Durch den Krieg sind die Frauen gezwungen selbst die Initiative zu ergreifen, doch sie müssen sich auch erst einmal dazu durchringen, die Entscheidungsgewalt lag bislang bei den Männern. So verändert sich die Gesellschaft, die Frauen werden selbständiger und selbstbewusster, und die Persönlichkeit manch einer gewinnt an Substanz und Eigenständigkeit, manch eine beweist ungeahnte Führungsqualitäten, manch eine zeigt ihr wahres Gesicht oder verstellt sich nicht mehr. Es ist ein Frauenroman, Männer spielen dabei zwar auch eine Rolle, aber bleiben doch zumeist im Hintergrund, da sie im Krieg sind, haben eine Nebenrolle oder werden in ihre Schranken verwiesen.

Fazit: Ein wunderbarer Roman und gleichzeitig ein Zeitzeugnis davon, wie Frauen an der Heimatfront ihr Leben meisterten, ihren Mann standen und über sich hinauswuchsen. Ein Buch, das zeigt, was Menschen leisten, wie sie sich und die Gesellschaft verändern können. Es sind die stillen Helden, die die Welt verändern. Wundervoll geschrieben in einem außergewöhnlichen Stil, der fesselt, und eine Autorin, die es versteht, ein schwieriges und trauriges Kapitel der Geschichte hoffnungs- und humorvoll und ihre Charaktere liebevoll zu behandeln. Eine, die man sich merken sollte und von der es hoffentlich bald mehr zu lesen gibt!

Bewertung vom 31.07.2017
Heimkehren
Gyasi, Yaa

Heimkehren


ausgezeichnet

Ein großartiges Buch, ein Pageturner, den man kaum aus der Hand legen konnte! Eine Geschichte, die nachhallt, die betroffen, aber auch Hoffnung macht, die den Leser alle möglichen Emotionen durchleben lässt, von Wut über Fassungslosigkeit, Freude und Trauer, man taucht tief ein ins Geschehen, lebt mit und im Nachgang kann man sich nur schwer von den Eindrücken lösen. Ein Buch, das einen zwingt, sich mit der uns doch eher unbekannten Geschichte Ghanas zu beschäftigen, man will unbedingt mehr wissen, nicht nur über die Charaktere, sondern auch über die realen Menschen. Es ist keine leichte Kost, die uns die Autorin da bietet, es gibt eine Vielzahl an Charakteren und alles in allem ist der Roman vollgepackt mit Information, teilweise musste ich auch Abschnitte zweimal lesen bzw. zurück blättern, um Zusammenhänge zu erkennen oder Wissen aufzufrischen. Was aber nicht heißt, dass es sich nicht sehr gut lesen lässt, man ist sofort gefesselt und folgt beinahe atemlos dem Geschehen, aber man versucht einfach immer zu rekonstruieren, in welchem Ort und zu welcher Epoche sich das Ganze gerade abspielt und zieht eine Linie zu vorherigen Generationen. Zum Glück gibt die Autorin immer Hinweise, so dass man alles nachvollziehen kann. Zeitlich gesehen spielen sich die Ereignisse zu interessanten historischen Epochen ab und man erfährt viel über den Atlantischen Dreieckshandel, man erlebt den Fugitive Slave Act von 1850 am Beispiel von Kojo und Anna mit und man begibt sich in die Jazzclubs ins Harlem der 1930er Jahre mit Willie und Sonny. Ich persönlich fand die Geschichte um den Sklavenhandel am spannendsten, wie z.B. die verschiedenen Stämme mit den Briten zusammenarbeiteten und ihre Landsleute, wenn auch von anderen Stämmen, als Sklaven verkauften und dadurch reich wurden. Dies wird im Buch durch Effias Sohn Quey verkörpert. Es gibt rührende Liebesgeschichten wie die von Yaw und Esther und allen voran die Liebe von Eltern zu ihren Kindern und die Hoffnung und das Bestreben, dass diese es einmal besser haben als sie selber, es gibt geläuterte Verbrecher und Junkies und besonders Esis Seite erlebt viel Leid, von der Sklaverei angefangen, Vergewaltigungen und Diskriminierung, Rassentrennung und die Not in Harlem. Aber immer ist da auch Hoffnung und die Kapitel enden doch zumeist versöhnlich und mit einem hoffnungsvollen Ausgang für die Protagonisten. Die einzelnen Linien treffen durch die Zeiten hinweg nicht aufeinander, und die Schicksale unterscheiden sich doch sehr voneinander. Erst die sechste Generation nach Effia und Esi, die in den 1980er Jahren leben, können so langsam von sich behaupten, wirklich frei zu sein, in ihren Entscheidungen, in ihrem Leben. Marjorie, Effias Nachfahrin, hochintelligent und aus Alabama, ist noch sehr mit ihrem Heimatland, dessen Geschichte und Mythen und der Geschichte ihrer Vorfahren verwurzelt, sie kennt ihre Heimat Ghana und hat die Angst vor dem Feuer im Blut. Marcus aus Esis Linie kommt aus New York, er hat die Angst der ehemaligen Sklaven vor dem großen Wasser im Blut. Beide lernen sich im San Fransisco der Neuzeit kennen, finden sich und überwinden mit gegenseitiger Hilfe ihre Ängste. Beide kehren heim nach Ghana zu ihren Wurzeln, und so treffen Effias und Esi im Blut ihrer Nachfahren doch noch aufeinander und der Kreis schließt sich.

Bewertung vom 26.06.2017
Darcy - Der Glückskater und der Geist von Renfield Hall (eBook, ePUB)
Schulz, Gesine

Darcy - Der Glückskater und der Geist von Renfield Hall (eBook, ePUB)


gut

Seit er versehentlich mit einem fremden Wohnwagen mitgenommen wurde, sucht der bunt gefleckte Kater Darcy sein Zuhause. Auf dem Weg trifft er allerhand interessante Menschen und nistet sich gelegentlich auch einmal bei dem einen oder anderen ein. Diesen besonderen Menschen bringt er Glück und verändert ihr Leben. Diesmal trifft er auf ein altes, recht heruntergekommenes Herrenhaus in den Cotswolds, das nach dem Tod des Hausherrn nur noch von dessen junger Witwe Freda bewohnt wird. Diese muss sich nun mit immensen Instandhaltungskosten herumschlagen und trägt sich mit dem Gedanken zu verkaufen – eine Idee, die weder bei ihren Stiefkindern noch bei den Dorfbewohnern gut ankommt…

Bereits der vierte Teil um Glückskater Darcy, den man jedoch unabhängig von den anderen Bänden lesen kann, da immer derselbe Prolog vorangestellt wird, so dass auch der neue Leser weiß, worum es geht. Buch und Protagonisten, allen voran der befellte, sind natürlich herzallerliebst. Schreibstil und Story sind nicht allzu anspruchsvoll, aber sehr gut zu lesen, und da man die Protagonisten super sympathisch findet, lebt man natürlich sehr mit ihnen mit. Durch die Perspektivwechsel erhält man unterschiedliche Sichtweisen zu den Situationen und das macht es zusätzlich interessant. Die Autorin hat einen sehr lockeren und humorvollen Stil und versteht es ihre Figuren und deren Umgebung liebevoll-skurril darzustellen.

Der Mensch, dem hier geholfen werden muss, ist in diesem Buch Freda, die unheimlich gutherzig ist und von allen gemocht wird. Manchmal kommt sie mir allerdings auch recht naiv vor, war sie ja doch fast 20 Jahre mit ihrem viel älteren Ehemann verheiratet und alle Probleme können ihr nicht gänzlich verborgen geblieben sein. Sie hat allerdings auch nie gearbeitet und so kommt eben kein Geld in die Haushaltskasse. Aber sie ist sehr anpackend und lösungsorientiert und vor allem liebt sie das Herrenhaus und will es erhalten. Darcy, der einmal mehr als Seelentröster und Glückskater fungiert, hilft ihr dabei, den Verlust ihres Mannes besser zu verschmerzen und aktiv zu werden. Ich finde die Charaktere grundsätzlich gut beschrieben, man kann sich Umgebung und Menschen sehr gut vorstellen. Mitunter sind mir zu viele und zu große Zeitsprünge drin, auf einmal hat sie z.B. den Wintergarten verschönert und schon mehrere Teeparties gehalten. Auch ihr Stillschweigen gegenüber Sally scheint mir teilweise unglaubwürdig, und dieser Aspekt der Geschichte wird meines Erachtens auch nicht so befriedigend gelöst. Aber es ist schön zu lesen, wie Freda eine Entwicklung zur lebensbejahenden, anpackenden Geschäftsfrau durchmacht und neuen Lebensmut gewinnt, und es ist einfach lustig und gut zu lesen.

Fazit: Schöne leichte und humorvolle Lektüre für alle Katzenfans. Darcy taucht immer mal wieder auf und mischt mit, an sich geht es jedoch um das Leben der jeweiligen Hauptfigur. Die Geschichte lässt sich so „weglesen“ und ist einfach niedlich, auch wenn ich mir bei einigen Geschehnissen mehr Ausführlichkeit gewünscht hätte. Besonders rührend fand ich, wie sich Darcy flashartig immer wieder an seine alte Familie erinnert und große Sehnsucht nach ihnen verspürt, dann zieht er weiter. Und irgendwie wünscht man ihm doch auch, dass er sie bald findet…

Bewertung vom 21.06.2017
Tiefe Schuld / Toni Stieglitz Bd.2
Obermeier, Manuela

Tiefe Schuld / Toni Stieglitz Bd.2


ausgezeichnet

Jugendliche Geocacher stoßen bei ihrer Schatzsuche auf eine schrecklich zugerichtete weibliche Leiche. Ein Fall für Antonia „Toni“ Stieglitz, Kriminalhauptkommissarin von der Münchner Mordkommission. Toni ist alarmiert: Die Leiche weist alle Anzeichen von schweren Misshandlungen auf. Gibt es etwa einen gewalttätigen Ehemann? Ein sensibles Thema für Toni, war sie doch selbst Opfer eines prügelnden Partners, der ebenfalls bei der Polizei ist und den sie angezeigt hat. Seitdem versteckt sie sich vor ihm. Das Team um Chef Hans Zinkl nimmt die Ermittlungen auf, jeder hat seine zugewiesene Aufgabe, doch Tonis Alleingänge bringen sie mehr als einmal in Teufels Küche. Nicht nur nimmt sie den Fall persönlich und will ihn unbedingt aufklären, sie fürchtet sich zudem von ihrem Ex und hat vor ihrer neuen Liebe Tom Mulder Geheimnisse. Die Ermittler stoßen auf allerlei Ungereimtheiten und je tiefer sie vordringen, desto mehr unschöne Wahrheiten bringen sie ans Licht.

Zweiter Fall nach „Verletzung“ für die Münchner Kommissarin Toni Stieglitz, der ein echter Pageturner ist und sich kaum aus der Hand legen lässt. Man merkt deutlich, dass die Autorin sich bestens im Polizeiapparat auskennt, Ermittlungsmethoden, Zusammenarbeit und Charaktere wirken auf mich sehr professionell und authentisch. Dazu hat sie einen sehr eingängigen Schreibstil, der sich gut lesen lässt, und sie versteht es, die Geschichte spannend und logisch zu erzählen und die Spannung stetig zu steigern. Zusätzliche Brisanz erhält das Ganze natürlich durch Tonis sehr persönliches Drama, das denn auch sehr viel Raum in der Geschichte einnimmt und ihre Handlungen nachhaltig bestimmt. Durch mehrere Perspektivwechsel gewinnt der Leser einige Erkenntnisse, die Toni nicht hat, doch ist alles so wohl dosiert, dass es die Spannung noch steigert und nicht zu Langeweile führt. Tonis Sichtweise nimmt jedoch den meisten Raum ein, man erhält tiefe Einblicke in ihre Seele und lebt immens mit ihr mit.

Alle Charaktere sind gut herausgearbeitet und haben ihre Eigenheiten, einigen wird jedoch mehr Aufmerksamkeit gewidmet als andere, z.B. Tom Mulder, aus seiner Sicht und der mit dem Opfer verquickten Personen werden auch einige Handlungsstränge erzählt. Toni jedoch ist diejenige, auf der der meiste Fokus liegt. Sie ist ein zwiespältiger Charakter, erfolgreich und ehrgeizig in ihrem Beruf, innerlich zerrissen und gebeutelt durch ihr sehr frisches Beziehungsdrama. Umso erstaunlicher, dass sie sich recht schnell wieder auf einen neuen Mann einlässt, das fand ich aus psychologischer Sicht etwas unglaubwürdig. Sehr überzeugend rüber kamen ihr seelisches Ungleichgewicht, ihre Unsicherheit und ihr Schutzbedürfnis. Ich sehe darin auch keine Diskrepanz zu ihrer beruflichen Toughness, sie ist eine sehr intelligente und hartnäckige Ermittlerin, aber auch empathisch, und sie will unbedingt die Wahrheit herausfinden. In diesem Fall geht ihr das Ganze persönlich nahe, sie versucht jedoch trotzdem objektiv zu bleiben. Ihre Kollegen tun ihr Übriges dazu, und sie hinterfragt sich und ihre Ansichten ständig selbst und revidiert sie, wenn nötig.

Fazit: Solider und spannender Krimi, den es sich zu lesen lohnt. Es gibt zwar Verweise auf den vorangegangenen Band, doch lässt sich der vorliegende unabhängig von diesem lesen, der Fall ist sowieso in sich abgeschlossen und auch Tonis eigene Geschichte wird ausreichend beleuchtet, um alles nachvollziehen zu können. Der Fall selbst bietet Spannung und eine gute Auflösung. Als erfahrener Krimileser ermittelt man natürlich mit, wird aber durch die eine oder andere Wendung durchaus überrascht. Einige Charaktere fand ich so interessant, dass ich gerne mehr über sie erfahren hätte, wie etwa Mulder oder auch die Ermittlerkollegin Beate, aber diese tauchen hoffentlich auch im Folgeband auf, so dass ein zusätzlicher Anreiz da ist, diesen ebenfalls zu verschlingen!

Bewertung vom 13.06.2017
Teufelskälte / Kommissar Tommy Bergmann Bd.2
Sveen, Gard

Teufelskälte / Kommissar Tommy Bergmann Bd.2


sehr gut

Tommy Bergmann, Ermittler bei der Kripo in Oslo, wird zu einem mysteriösen Mord hinzugezogen: Ein totes junges Mädchen, schrecklich zugerichtet, die alle Anzeichen eines bekannten Serientäters trägt. Nur sitzt dieser, Anders Rask, seit 1988 in einer geschlossenen Anstalt. Ist er etwa nicht der Mörder? Bergmann und das Ermittlerteam werden auf verschiedene Ermittlungsstränge angesetzt, Bergmann selbst auf einen alten Fall, bei dem er damals als junger Polizist dabei war, die Vorgesetzten fordern schnelle Ergebnisse. Als Mitarbeiterin wird ihm ausgerechnet Susanne Bech zugeteilt – alleinerziehende Mutter und noch in der Probezeit. Bergmann beginnt immer mehr an der Täterschaft des Verurteilten zu zweifeln. Nicht nur kämpft er mit seinen eigenen Dämonen, er wird außerdem noch mit seiner Anfangszeit als Polizist und seinem ersten Fall und mit seiner trüben Vergangenheit konfrontiert.

Super spannender 2. Fall für den doch sehr eigenwilligen Osloer Ermittler Tommy Bergmann. Leider ist dieser Band nicht abgeschlossen, es folgt noch ein weiterer Band, der dann hoffentlich die Lösung präsentiert. Man muss sich also noch gedulden und das ist natürlich sehr geschickt vom Autor. Geschichte und Fall fesseln, so dass man unbedingt wissen muss, wie es weiter- beziehungsweise ausgeht. Schreibstil und Plot lassen nichts zu wünschen übrig, die Geschichte ist spannend, die Atmosphäre typisch für Skandinavien-Krimis düster, die Charaktere haben alle ihre sehr dunklen Schattenseiten, allen voran Bergmann, der alles andere als ein Sympathieträger ist. Mit seiner dunklen Vergangenheit, seinen ungewöhnlichen Ermittlungsmethoden und nicht zuletzt seinem Hang zur Gewalt polarisiert er nicht nur den Leser, auch Vorgesetzte und Mitarbeiter haben so ihre Probleme mit ihm. Er ist ein Anti-Held, dem man an sich nicht zutraut, den Fall zu lösen, zu tief ist er emotional verstrickt, und seine Vorgehensweise ist auch nicht gerade überzeugend oder logisch. Er hat mit fast vierzig den niedrigsten Rang in der Polizeihierarchie und bekommt mit Susanne Bech eine zwar sympathische Person zugeteilt, die aber nicht gerade als Leistungsträgerin verschrien ist. Beide können sich nicht einschätzen und machen lieber Alleingänge, der Informationsfluss ist generell eher schleppend. Nichtsdestotrotz versucht Bergmann sein Gewaltproblem in den Griff zu bekommen, er reflektiert seine Handlungen und sein Verhalten und versucht sich zu bessern. Er hat einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und will den Fall unbedingt lösen. Je weiter die Handlung voranschreitet, desto mehr stellen sich auch Bergmann und Bech aufeinander ein und beginnen, sich aufeinander zu verlassen und zu helfen.

Trotz aller Zwiegespaltenheit dem Ermittler gegenüber muss ich sagen, dass mir sowohl Plot als auch Fall und Personen sehr zugesagt haben und ich sehr mit Tommy und Susanne mitgefiebert habe, ich war sofort gefesselt, was wohl auch dem geschuldet ist, dass sehr viel Psychologie eine Rolle spielt. Die oftmals angedeutete erotische Spannung zwischen den Personen hätte man sich meines Erachtens in vielen Szenen schenken können, es stört aber auch nicht, da es nicht ausufert. Der Autor verzichtet auf allzu blutige Details, er baut die Spannung sehr subtil auf, mit Andeutungen, die Raum für Fantasie lassen. Alle Protagonisten haben in irgendeiner Form psychische Probleme oder sind zumindest aus psychologischer Sicht interessant, die Charaktere sind generell vielschichtig und besonders Bergmann und Bech hadern sehr viel mit sich und ihrer Arbeit. Bei Bech kommt noch die zusätzliche Brisanz hinzu, dass sie persönlich betroffen ist. Sie ist durch ihre Tochter verwundbar und wird selbst zum Opfer.

Bewertung vom 22.05.2017
Das Panama-Erbe
Aernecke, Susanne

Das Panama-Erbe


ausgezeichnet

Sehr starker zweiter Band der Amakuna-Trilogie, der etwa 24 Jahre später spielt und nicht nahtlos da einsetzt, wo der erste Band „Tochter des Drachenbaums“ aufgehört hat. Erneut besticht die Autorin mit flüssigem und unterhaltsamem Schreibstil und bleibt dabei ihrer Erzählweise und ihren Motiven aus dem ersten Band treu. Die Geschichte, eine Mischung aus Ökothriller, Familien- und Liebesroman, spielt wieder auf zwei Zeitebenen, die Kapitelzählung erfolgt fortlaufend und die einzelnen Kapitel werden mit einem Zeichen versehen, so dass der Leser sofort weiß, in welcher Zeit er sich gerade befindet. Der Verbleib auf einer Ebene ist auch hier wieder wohltuend lang, so dass man nicht das Gefühl hat, ständig durch abrupte Wechsel herausgerissen zu werden. Die Verbundenheit zwischen den beiden Hauptprotagonisten in den verschiedenen Zeiten, Sina und Enrique/Tamanca, ist meines Erachtens nicht so sehr präsent wie im ersten Band die zwischen Romy und Iriomé, man hat erst einmal das Gefühl zwei parallele Geschichten zu lesen. Dennoch sind beide miteinander verbunden, sie haben ein ähnliches Schicksal, denn bei beiden ändert sich das Leben gravierend durch Amakuna, beide versuchen etwas über ihre Eltern(-teile) herauszufinden und beide sind eng mit den panamesischen Ureinwohnern verbunden. Die Wechsel erfolgen, sobald ein Protagonist in eine Notlage gerät bzw. wenn der mysteriöse Heilpilz Amakuna ins Spiel kommt. Dadurch, dass die Geschichte zunächst losgelöst von den vorangegangenen Ereignissen einsetzt, und zwar auf beiden Zeitebenen, und auch die Personen neu sind, entwickelt sich die Geschichte unabhängig vom ersten Band und lässt sich auch sehr gut ohne Vorkenntnisse lesen. Mit der Zeit gibt es jedoch immer mehr Verbindungen zu Sinas und Tamancas Vergangenheit und damit auch zu Ereignissen und Personen des ersten Bandes, je weiter sie hinter das Geheimnis von Amakuna und ihrer eigenen Wurzeln vordringen. Es erfolgt also durchaus ein Wiedersehen mit liebgewonnen Figuren, zunächst in Rückblenden, in Erinnerungen und Visionen, später dann auch „real“, und dass ein ganz spezieller, sehr mysteriöser Protagonist wieder in Erscheinung tritt, freut mich ganz besonders... Hauptsächlich ist aber alles sehr auf Sina und Tamanca und ihre Erlebnisse konzentriert. Beide beobachten sich aus ihrer Zeit heraus und lernen voneinander.

Beide, Sina und Tamanca, sind sehr starke Charaktere, sie machen große Veränderungen und eine enorme Entwicklung durch, ihre Leben werden komplett auf den Kopf gestellt und sie müssen Unglaubliches verarbeiten. Beide sind ziemliche Gutmenschen, sie sind jedoch auch nicht gefeit gegen Verführungen und Einflüsterungen von außen. Überhaupt ist positiv, dass die Charaktere nie nur böse sind, alle sind gut herausgearbeitet, vielschichtig und haben gute und schlechte Eigenschaften. Man wünscht sich phasenweise, dass ein jeder auf den Pfad der Tugend zurückkehrt, das wäre denn aber doch zu unrealistisch. Die Geschichte entwickelt sich denn auch im weiteren Verlauf immer mehr zum Thriller, bei dem es auch brutale Szenen und Tote gibt, und das Ende ist – da es ja auch noch einen dritten Band geben wird – einigermaßen offen. Parallel zum ersten Band stehen hier erneut „gute“ Weiße skrupellosen Konzernen gegenüber sowie Ureinwohner, im ersten die Guanchen, hier die Kuna, die gegen Unterdrückung und Gewalt der Eroberer kämpfen und mit Hilfe des Heilpilzes Amakuna die Welt zu einem besseren Ort machen wollen.

Bewertung vom 03.05.2017
Die Morde von Morcone / Robert Lichtenwald Bd.1
Ulrich, Stefan

Die Morde von Morcone / Robert Lichtenwald Bd.1


sehr gut

Sehr solider und spannender Krimi, der seine Spannung recht langsam aufbaut. Es wird zunächst viel Zeit darauf verwendet, Protagonisten vorzustellen, Landschaften und die Morde zu beschreiben, die Schlag auf Schlag folgen. Besonders Roberts seelischer Zustand, sein Innenleben, seine Angst seine Familie zu verlieren und sein Versuch sich abzulenken nimmt großen Raum ein. Er ist der typische Antiheld und will eigentlich lieber seine Ruhe. Die Morde stehen denn auch erst einmal so im Raum, es wird wild spekuliert, Biancha schreibt ihre Artikel, doch über die Ermittlungsarbeit wird fast gar nicht berichtet. Dementsprechend ist dies auch kein Krimi mit der klassischen Reihenfolge Mord-Befragungen-analytische Ermittlungen-Auflösung, sondern es wird sehr viel intuitiv erforscht und Emotionen spielen überhaupt eine sehr große Rolle. Der Autor hat einen sehr flüssigen und bildhaften Schreibstil und versteht es durchaus, Spannung zu erzeugen. Besonders gelingt dies durch die Perspektivwechsel und die Beschreibungen seiner Charaktere und Landschaften. Seine Personen sind liebevoll und teilweise skurril gezeichnet, mit zunehmender Lektüre wachsen sie einem ans Herz, so dass man gerne mehr über sie erfahren würde. Die beiden Hauptperspektiven bilden Robert und Biancha, der Leser erhält wertvolle Informationen über das Innenleben und die Vergangenheit der beiden, und von diesen beiden lebt die Geschichte auch so ziemlich. Anfangs war mir Robert zu statisch und alles zu sehr auf seine Vergangenheit und Selbstfindung fokussiert, Biancha wiederum zu flippig und sehr betont unkonventionell, beide wurden aber immer sympathischer, je aktiver sie ins Geschehen eingriffen. Die erotische Spannung zwischen den beiden hätte man sich meines Erachtens sparen können, sie störte aber auch nicht. Ab dem Zeitpunkt, als Biancha Robert mit einbezieht, nimmt die Geschichte Fahrt auf, die Spannung steigt vor allem deshalb, weil sich Biancha und Robert in große Gefahr begeben und man als Leser inzwischen eine Beziehung zu den beiden aufgebaut hat. Bei den Opfern passiert dies nicht zwingend, da hier die Beschreibung meist oberflächlich bleibt. Die Spannung wird weiterhin dadurch gesteigert, dass immer wieder aus der Sicht des Mörders oder der des Opfers erzählt wird. Ich persönlich fand beispielsweise Kommissarin (bei den italienischen Carabinieri hat sie den Rang einer Offizierin) Laganà faszinierend und hätte gerne mehr über sie erfahren, auch einige andere „Nebenfiguren“ hätten meines Erachtens mehr Aufmerksamkeit verdient. Es wird zwar auch aus ihrer Sicht erzählt, doch nur kurz und nur im Hinblick auf ihre Emotionen. Auf der anderen Seite gibt dies dem Leser viel Raum selbst zu ermitteln, man ist recht vorurteilsfrei, hat durch die wechselnden Erzählperspektiven einen leichten Wissensvorsprung und folgt gespannt den laienhaften, mehr auf Glück beruhenden Recherchen der beiden Hobbydetektive Robert und Biancha, die einen sehr persönliches Grund hat sich einzumischen, nämlich die Hilfe für ihren Freund. Daher kann man sich auch gut mit den beiden identifizieren und will ihnen helfen. Der Kriminalfall selber ist nicht gänzlich überraschend oder neu. Trotz dass der Autor einen auf falsche Fährten lockt, war mir ab etwa der Mitte der Geschichte zumindest die Buchstabenbedeutung – und damit das Grundmotiv - klar und ich hatte einen sehr eingeschränkten (nämlich auf zwei Personen) Kreis der Verdächtigen. Trotzdem war das Finale durchaus spannend, einfach aufgrund der Wendungen und Irrungen, auf die sich Biancha und Robert begeben und man denen man wirklich nicht weiß, wie sich da jemals wieder herauswinden wollen.

Bewertung vom 11.04.2017
Nur ein kleiner Gefallen - A Simple Favor
Bell, Darcey

Nur ein kleiner Gefallen - A Simple Favor


sehr gut

Spannender und subtiler Thriller, der ohne blutige und „laute“ Action auskommt, es aber schafft, die Spannung stetig aufzubauen, so dass man als Leser stets am Ball bleibt und wissen will, was als nächstes passiert. Dies gelingt vor allem durch die häufigen Perspektivwechsel. Die Autorin hat einen sehr flüssigen, gut zu lesenden Schreibstil und weiß genau, wann sie ein Kapitel abbrechen muss, um ein neues mit einer anderen Perspektive zu beginnen. Anfangs konzentriert sich alles auf Stephanie, ihr Blog und ihre Erlebnisse, und schnell wird klar, dass auch sie ihre Geheimnisse hat. Anders als ihre Freundin Emily ist sie aber bereit, diese mitzuteilen, einerseits um ihr Gewissen zu erleichtern, andererseits um sich interessant zu machen. Der Leser ist sofort drin in der Geschichte und lebt mit ihr mit, jedoch wird im Laufe der Geschichte klar, dass ihr Charakter längst nicht so gutherzig ist wie sie sich gerne darstellt. Dies trifft grundsätzlich auf alle drei Hauptprotagonisten zu, Stephanie, Emily und Sean bilden eine explosive Menage á trois, die sich gegenseitig den Ball zuspielen. Jeder hält sich selbst für gerissener als den anderen, will den anderen kontrollieren und meint, jederzeit alles im Griff zu haben. Aber wer zuletzt lacht, lacht am besten…

Formal ist das Buch in drei Teile aufgeteilt, im ersten wechselt die Perspektive lediglich zwischen Stephanie und ihrem Blog, im zweiten tritt dann plötzlich Emily auf den Plan, was einen als Leser erst einmal schockt, weil man damit in dem Moment nicht gerechnet hat. Der dritte Teil beginnt mit Seans Perspektive, was einen wiederum überrascht. Dazwischen immer wieder Stephanies Blog und ihre Perspektive, die beide ebenfalls jeweils unterschiedliche Wahrheiten zutage fördern. Die Wechsel versorgen den Leser aber gleichzeitig mit tiefen Einblicken in die (gestörte) Psyche und mit Unmengen an Information, die die Protagonisten nicht haben, was wiederum den Spannungsbogen erneut steigert. Die Abgründe, die sich dabei sowohl in den Persönlichkeiten als auch in deren Erlebnissen, Plänen und Ansichten auftun, werden immer größer.

Die Charaktere sind durchweg gut herausgearbeitet, sie sind vielschichtig und faszinierend und keiner ist nur gut oder böse. Stephanie hat eine zwiespältige Persönlichkeit, sie benutzt ihren Blog hauptsächlich als Selbstdarstellung, sie entwirft ein Bild von sich, wie sie gerne von der Öffentlichkeit wahrgenommen werden würde. Sie ist sehr empathisch und will eine gute Mutter und Freundin sein, und sie weiß genau, was richtig und falsch ist und hadert mit ihren Gefühlen für Sean. Sie vermisst Emily, will sie aber gleichzeitig tot sehen, um mit Sean zusammen und Teil einer „heilen“ Familie zu sein. Wie tief sie aber in dem teuflischen Spiel mit drin steckt, geht der phasenweise sehr naiven Stephanie erst später auf. Dann kommt auch ihre dunkle Seite stärker an die Oberfläche. Oftmals wollte ich sie aber regelrecht schütteln ob ihrer Kurzsichtigkeit, und ihr „Übermuttergehabe“ ging mir oft sehr auf die Nerven. Wie stark die Protagonisten manipuliert werden beziehungsweise sich gegenseitig manipulieren und gegeneinander ausspielen, wird erst ab dem 2. Teil so richtig deutlich. Das eine oder andere ahnt man als Leser, was aber der Spannung keinen Abbruch tut, da immer wieder etwas Unvorhergesehenes passiert oder eine Person entgegen ihrer Überzeugung handelt. Aufgrund des Verlaufs der Geschichte habe ich für meinen Teil auch immer auf einen „großen Knall“ am Ende gewartet, ein großes Geheimnis, das über allem steht und gelüftet wird, was beides dann leider nicht kam, insofern war ich vom offenen und für mich abrupten Ende eher enttäuscht. Ein Happy End würde natürlich niemand erwarten, aber dieses fand ich etwas unbefriedigend.

Bewertung vom 11.04.2017
Gefährlicher Lavendel / Leon Ritter Bd.3
Eyssen, Remy

Gefährlicher Lavendel / Leon Ritter Bd.3


ausgezeichnet

Dritter Fall für den umtriebigen, integren, äußerst intelligenten und metaphysisch begabten deutschen Rechtmediziner in der manchmal gar nicht so idyllischen Provence. Erneut ein solider und spannender Krimi in gewohnt flüssiger Erzählmanier. Der geneigte Kenner der Reihe feiert ein Wiedersehen mit bekannten Figuren, sowohl das Cover als auch der Inhalt - Umgebung und Personen - haben einen starken Wiedererkennungswert. Der Fall ist spannend bis zum Schluss, er braucht allerdings etwas, bis er so richtig in Fahrt kommt. Die vielen Perspektivwechsel sind einerseits spannend, andererseits aber zu Anfang auch in ihrer Kürze recht abgehackt und verwirrend, und es dauert bis zum Schluss, bis sich der Kreis zwischen Prolog und Geschichte schließt und es zu einem doch schlüssigen Ende kommt. Ab etwa einem Drittel wird es dann aber ein richtiger Pageturner und man liest das Buch in einem Rutsch herunter.

Der Autor versteht es, die Charaktere gut herauszuarbeiten und auch die Nebenfiguren detailliert darzustellen. Erneut lässt er mit seiner bildhaften Sprache die Landschaft und die teilweise skurrilen und eigenwilligen Dorfbewohner vor dem inneren Auge auferstehen. Dass er Region und Leute sehr gut kennt und liebt, merkt man erneut in jeder Zeile. Mir war es phasenweise allerdings zu viel aus dem Privatleben und den Sorgen um Tochter Lilou, und die Nebengeschichte um die Stalkerin hätte er sich meines Erachtens sparen können. Nichtsdestotrotz finde ich einfach die Arbeitsweise von Leon Ritter und das Zusammenspiel mit Isabell, eine Vollblut-Polizistin, super spannend und ich lese einfach gerne, wie die beiden mal getrennt, mal gemeinsam ermitteln und wie sich alle Fäden nach und nach zusammenfügen. Köstlich sind außerdem seine Aufeinandertreffen und die Dialoge mit der klatschsüchtigen Bevölkerung, die aber immer Früchte tragen und besonders in diesem Fall sehr wesentlich zu einem befriedigenden Ende beitragen. Beim Boulespielen erfährt Ritter so manches Details aus der Vergangenheit der Beteiligten, die ihm bei der Aufklärung hilft. Ritter ist nicht nur ein herausragender Mediziner, er verfügt auch über ungemein viel Intuition und Einfühlungsvermögen, so dass er mit seinen Täter- und Opferprofilen oftmals ins Schwarze trifft. Er kann sich meist durchsetzen und hat einen hohen Anspruch an sich selbst und seine Arbeit, darin sind sich er und Isabell auch sehr ähnlich. Als nicht-Polizist kann er viel unkonventioneller ermitteln, begibt sich jedoch auch oftmals auf dünnes Eis. Trotzdem orientiert er sich an Fakten und versucht durch Logik hinter die Motive und damit zum Täter zu kommen. Mit forensischen und medizinischen Details spart auch der Autor nicht und offenbart dabei ein für den lesenden Laien doch recht beeindruckendes Fachwissen. Besonders spannend sind in meinen Augen auch die Kapitel aus Opfersicht, die Qualen der Opfer kommen in meinen Augen sehr gut rüber und gehen teilweise wirklich unter die Haut.
Fazit: Ein solider geschriebener, spannender Krimi mit viel Lokalkolorit, interessanten Charakteren und schlüssiger Auflösung. Für Fans der Reihe natürlich sowieso ein Muss, er schließt sich nahtlos an die Vorgängerbände an und lässt sich ebenso gut herunterlesen. Auch für Neulinge und solche Leser geeignet, die gerne regionale Krimis lesen. Die Fälle sind in sich abgeschlossen, und Schreibstil und Fall sind eingängig und interessant genug, um am Ball zu bleiben. Durch das Cover haben die Bücher einen hohen Wiedererkennungswert, und man weiß, was einen erwartet, auch wenn die Fälle immer neu und in sich abgeschlossen sind. Die Reihe lebt vom charismatischen Dr. Ritter, von den eigenwilligen Charakteren und der faszinierenden Umgebung, die der Autor sehr gut kennt und wunderbar zu beschreiben weiß. Kleiner Einschub am Rande: Der Blumenkorso im Städtchen Le Lavandou stand 2016 tatsächlich im Zeichen von Brasilien, er lockt jedes Jahr etwa 10.000 Besucher an. Und am 16. März 2016 gab es tatsächlich heftige Regenfälle…