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Insgesamt 160 Bewertungen
Bewertung vom 07.12.2019
Herr Schnettelbeck und das Geheimnis der verschwundenen Sterne
Reinhardt, Verena

Herr Schnettelbeck und das Geheimnis der verschwundenen Sterne


ausgezeichnet

Ein Mistkäfer, der die Sterne retten will.

Als ich die letzte Zeile vorgelesen habe, waren wir richtig traurig, denn wir hatten so viel Spaß bei „Herr Schnettelbeck und das Geheimnis der verschwundenen Sterne" und aus jeder Zeile sprach die große Fabulierlust von Verena Reinhardt.

Ein alter Mistkäfer mag nicht mehr, aber für seine allerletzte Dungkugel braucht er die Sterne. Und die sind nicht mehr da. Also muss er sich auf die Suche machen. Klingt abgedreht? Ist es auch: Käfer, die so groß sind wie Menschen, eine Stadt, die auf dem Kopf steht, und… Ich hatte schon viel mehr Beispiele geschrieben und sie alle wieder gelöscht. Ich möchte Euch die Spannung nicht vermiesen. Ich hatte ziemlich bald das Gefühl, dass in dieser Welt eigentlich alles möglich ist – und sich gleichzeitig alles so passgenau ineinander fügt. Das ist für mich bei Fantasy ein großes Kompliment. Dieses Gefühl habe ich gar nicht so oft beim Lesen und ordne ich am ehesten Moers, Pratchett und Adams zu. Super, dass ich da jetzt mit Verena Reinhardt eine tolle Autorin einreihen kann.

Die Geschichte behandelt – kindgerecht! – ziemlich viele komplexe Themen: Rassismus, strukturelle Diskriminierung, Non-Binäre Identität, Misogynie, Diktatur, Revolution und Zivilcourage oder auch Lebensmüdigkeit. Gerade in der Auflistung könnte man an ein Lehrstück denken und lehrreich ist "Herr Schnettelbeck" auf alle Fälle. Die Geschichte ist gleichzeitig so phantasievoll und abgedreht, dass sie einfach nur Spaß beim Lesen macht. Und mein knapp 8jähriger Sohn hat sie geliebt. Er hat an so vielen Stellen sehr viel gelacht, wie bei dieser hier:
„‚Woher weißt du das denn schon wieder?‘, frage Herr Schettelbeck. ‚Und warum hat mir das keiner gesagt?‘ ‚Hat mir Glöckchen erklärt. Du warst auch dabei, aber ich glaube, du hast über irgendwas gemotzt. Deshalb hast du nicht gehört, was er gesagt hat.‘“

Schon die ganze Geschichte bekommt einen extra Diversity-Stern, weil es ja genau darum geht, dass Wirbeltiere und Insekten gleichgestellt sein müssten. Es gab also eh schon ein diverses Inventar an Protagonisten, aber dazu kommen dann noch sehr viele unterschiedliche Frauenfiguren und sogar Enby-Schnecken.

Besonders gefällt mir die Aussage, dass Empörung eben nicht zu sozialem Wandel führt. Wir müssen etwas tun, damit sich die Welt zum Besseren ändert. „Herr Schnettelbeck und das Geheimnis der verschwundenen Sterne" wird so gleichzeitig zu einer Parabel auf unser modernes (Social-)Mediensystem. Denn auch die Medien können Opium fürs Volk sein.

Die Unterdrückungsmechanimsmen in der Welt sind schon kindgerecht, stellenweise aber düster. Beim Vorlesen hat es sogar für meinen knapp 8jährigen gepasst, der allerdings so komplexe Geschichten auch sehr gerne mag. Viele 9jährige sind damit sicherlich noch überfordert, wie der Verlag als Altersempfehlung aufgedruckt hat, erst recht, weil der Satzbau zwar wunderschön, aber auch recht komplex ist. Zum Selberlesen denke ich, dass so ab 11 besser ist. Beim Vorlesen hängt es, wie schon geschrieben, sehr vom Kind ab.

Und optisch ist das Buch übrigens auch ein Kleinod: Die farbigen Seiten mit den grafischen Mustern zwischen den Kapiteln sind eine Augenweide!

Fazit
In dieser Welt ist eigentlich alles möglich. Wir freuen uns auf mehr Geschichten aus Verena Reinhardts Welten, so komplex und wunderschön, und sprechen eine absolute Leseempfehlung aus. 5 von 5 Sternen, die durch Herrn Schnettelbecks Einsatz nun wieder zu sehen sind.

Bewertung vom 02.12.2019
Wie viel wärmer ist 1 Grad?
Scharmacher-Schreiber, Kristina;Marian, Stephanie

Wie viel wärmer ist 1 Grad?


ausgezeichnet

Aufklärung über die drohende Klimakatastrophe

Mein 7-jähriger Sohn hat Anfang des Jahres auf mein Smartphone gelinst und dabei ein Video von Greta Thunberg gesehen. Er hat mich gefragt, was das Mädchen da macht. Und seit ich ihm das erklärt habe, ist er Feuer und Flamme für „Fridays for Future“ und war auch schon auf mehreren großen und kleinen Demos. Das Kinder-Sachbuch „Wie viel wärmer ist 1 Grad?“ war daher ein „Must-Have“ für uns.

Kristina Scharmacher-Schreiber und Stephanie Marian setzen schon mit dem ersten Satz ihres Kindersachbuchs ein klares Statement.
„Auf der Erde wird es immer wärmer.“

Dass die globale Jahresdurchschnittstemperatur bereits jetzt ein Grad höher ist als im vorindustriellen Zeitalter, ist ein Fakt. Toll finde ich, dass Autorin und Illustratorin hier gar keine Diskussion aufkommen lassen, auch wenn die Illustrationen den Zweiflern Gesichter und Sprechblasen geben. Was der menschengemachte Klimawandel bedeutet und wie wir alle ihn beeinflussen, erklären die beiden auf 96 Seiten ganz anschaulich und kindgerecht.
Schon die vordere und die hintere Buchinnenseite erzählen eine kleine Geschichte. Die Bäume, die vorne gepflanzt und gegossen werden, sind hinten zu dem Wald gewachsen, der uns helfen kann viel CO2 zu binden. Dieser Hoffnungsschimmer ist gut (auch, wenn wir als Erwachsene uns nicht darauf ausruhen sollten), weil die Kinder leiden unter Ängsten über ihre Zukunft. Solch ein Bild hilft das abzumildern.

Weitere Illustrationen zeigen kleine Szenerien, wie Politiker bei einer Klimakonferenz, oder veranschaulichen mit Infografiken. Die Jahreszeiten werden erklärt, und warum es vorteilhaft für uns in Europa ist, dass wir in der gemäßigten Klimazone wohnen, und warum dieses Phänomen durch die Klimakrise gestört wird. Durch die liebevollen wie pointierten Illustrationen wird doppelt deutlich, an wie vielen Stellen die Menschen durch die Industrie, den Verkehr, die industrielle Landwirtschaft oder den maßlosen Konsum den menschengemachten Klimawandel verursachen. Auf einer Doppelseite wird beispielsweise die Absurdität veranschaulicht, dass eine Jeans oftmals eine Weltreise hinter sich hat, bevor sie in unserem Kleiderschrank landet. Ich denke, dass wir uns das alle immer wieder vor Augen führen müssen, damit jede*r Einzelne über den eigenen Konsum nachdenkt und dort etwas verändert.

Mir gefällt besonders, dass betont wird, dass die Menschen im globalen Süden mehr unter der Klimakrise leiden, auch, wenn sie nur wenig zu ihrer Verursachung beitragen. Und Menschen mit unterschiedlichen Hautfarben und mit Behinderung kommen übers ganze Buch hinweg vor. So, finde ich, sollte ein Kinderbuch heute aussehen.

Obwohl mein Sohn mittlerweile schon einiges über die Klimakrise weiß, konnte er aus dem Buch sehr viel mitnehmen. Selbst jene Stellen im Buch, bei denen er die Fakten schon kannte, haben ihn überhaupt nicht gelangweilt, weil die beiden Autorinnen die Infos so toll vermitteln.

Das Plädoyer für eine stärkere Reduktion des Konsums von tierischen Produkten könnte für mich noch deutlicher sein (auch, wenn ich selbst nicht mal vegetarisch lebe, aber fest davon überzeugt bin, dass unsere Lebensmittel noch viel stärker vegan sein müssen). Uns sind beim Lesen noch ein paar kleinere Schwächen aufgefallen, die ich jetzt auflisten könnte, ich finde aber nicht, dass man so ein wichtiges Buch madig machen sollte. Denn „Wie viel wärmer ist 1 Grad“ ist ein wichtiges, tolles Buch, auch, wenn es nicht perfekt ist. 

Fazit
„Wie viel wärmer ist 1 Grad?“ ist ein wichtiges Buch, um Kinder UND Erwachsene über die drohende Klimakatastrophe und den CO2-Fußabdruck von jede*r einzelnen aufzuklären. Wir brauchen die Mithilfe von allen – Politik, Wirtschaft und jeder Person weltweit – um noch eine Chance gegen die größte Bedrohung der Menschheit zu haben. 4,5 von 5 Sternen, die wir sehr gerne aufrunden. Und wir sprechen eine absolute Lese- und Kaufempfehlung aus.

Bewertung vom 22.11.2019
Eine Kiste voller Weihnachten
Günther, Ralf

Eine Kiste voller Weihnachten


ausgezeichnet

Weihnachtsnostalgie und eine herzerwärmende Geschichte führen die Leser*innen nach Dresden und ins Erzgebirge.

Eine Weihnachtsreise ins Erzgebirge

„‚Verraten Sie es mir?‘, bat das Mädchen. ‚Was kann denn so dringend sein, dass es am Heiligen Abend noch nach Zinnwald muss?‘ Der Alte seufzte. ‚Die Weihnacht natürlich‘, sagte er dann.“

Diese nostalgische Geschichte versetzt die Leser*innen in eine wundervolle Weihnachtsstimmung. Es ist ein seltsames Paar, das an Heiligabend von Dresden aus ins Erzgebirge reist, der Fabrikant Storch und das Mädchen Lisbeth. Storch will noch die letzte Weihnachtsbestellung ausliefern und Lisbeth sich um ihre Geschwister kümmern.

Die Moderne hat schon ein kleines Bisschen Einzug gehalten in Dresden, die Autos verdrängen langsam die Fuhrwerke, der Handel ist hektisch und die „Dresdner Pappen“, filigraner Weihnachtsschmuck aus Papier, werden mit Maschinen gestanzt. Autor Ralf Günther spielt mit diesem Umbruch und versetzt uns gleichzeitig mit seiner bewusst leicht antiquierten Sprache in eine nostalgische Stimmung. Der alte, knorrige Storch erinnert ein wenig an das Ekel aus Dickens Weihnachtsgeschichte und auch an die Geburt eines Kindes , wird erinnert, denn Lisbeths Mutter liegt im Dresdner Krankenhaus in den Wehen.

Diese Versatzstücke arrangiert Günther in seiner Geschichte so geschickt wie liebevoll. Neben den Figurencharakterisierungen hat mir besonders gefallen, wie detailreich er die Umgebung beschreibt. Die Route durch Dresden und auch der Weg durchs Erzgebirge sind mit realen Orten gespickt, wie der berühmten Pfunds Molkerei. Dies alles gelingt dem Autor in genau dem richtigen Maß, dass die Orte wie Fotografien vor meinem Auge erstehen.

„Sie erreichten eine Hügelkuppe. Vor ihnen lagen die Täler des östlichsten Erzgebirgszipfels, die auf der einen Seite sanft zur Elbe hin abfielen. Auf der anderen aber, ins Böhmische hinein, stiegen die felsigen Hügel unerbittlich an.“

Die Geschichte ist zuallererst sehr besinnlich, so dass ich gar nicht damit gerechnet habe, dass dann im zweiten Teil noch einiges an „Action“ passiert. Auch dies fädelt Ralf Günter schön und stimmig ein bis hin zum versöhnlichen Ende. Das Büchlein liest sich leicht und beschwingt, so dass man diese zauberhafte Weihnachtsgeschichte an einem Abend gelesen hat.

Die wudnervollen Illustrationen von Andrea Offermann machen das Weihnachtsbüchlein zusätzlich zu einem echten Schmuckstück: Schon die schneebedeckte Semper-Oper in den Innenseiten lädt zu dieser sächsischen Weihnachtsgeschichte ein, kleine Vignetten mit Putten unterbrechen die Absätze. Die Leinenbindung und das goldenes Lesebändchen runden die Aufmachung ab, und „Eine Kiste voller Weihnachten“ bietet sich als schönes Geschenk zum Fest an. Der Preis von 18 Euro ist dafür komplett gerechtfertigt, aber dadurch eignet sich das Buch leider nicht als kleines Mitbringsel.

Ich werde diese zauberhafte Geschichte in der Vorweihnachtszeit auch meinem knapp 8jährigen Sohn vorlesen, da ich denke, dass Kinder auch ihre Freude daran haben werden.

Fazit
Für diese herzerwärmende Weihnachtsgeschichte vergebe ich 4,5 Sterne und runde auf.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.11.2019
Einer muss den Job ja machen / Voll super, Helden Bd.1
Bertram, Rüdiger

Einer muss den Job ja machen / Voll super, Helden Bd.1


ausgezeichnet

Alle Schokoladenvorräte der Welt sind in Gefahr! Ironisch-witziges Kinderbuch, in dem zwei Kinder auf Superheld*innen-Mission gehen.

„Not all Superherores wear Capes“ ist mittlerweile eine stehende Wendung geworden. Und in „Voll super, Helden“ müssen Juli und seine Cousine Jenny ebenfalls ohne Capes auskommen, wenigstens hat ihnen Roketman seinen Raketenrucksack geliehen. Aber von Anfang an: Juli soll die Ferien im Hotel seines Onkels verbringen. Aber statt am Strand zu liegen und Comics zu lesen muss er dort gemeinsam mit seiner Cousine Jenny schuften – zusätzlich geht ihm letztere mit ihrem Habitus noch ziemlich auf die Nerven. Doch das lässt sich verschmerzen, denn: Alle Gäste des Hotels sind Superheld*innen. Allerdings sind die durch das ständige Welt-Retten so ausgelaugt, dass einer von ihnen kurzerhand die beiden Kinder auf Mission schickt.

Super-Helden-Hommage oder auch -Persiflage
Ja, das ist von Rüdiger Bertram und Heribert Schulmeyer so abgedreht und mit einem Augenzwinkern geschrieben, wie es sich in der Kurzzusammenfassung liest. Die beiden überzeugten uns mit witzigen Sprachspielen und Assoziationen zum Superhelden-Genre. Gerade als Erwachsener hat man natürlich eine Flut an popkulturellen Referenzen aus Filmen und Comics im Hinterkopf, so, dass sich dabei ein extra Spaß bietet. Und dann flechten die beiden Autoren immer wieder so wundervollen schwarzen Humor ein, kindgeeignet zwar, aber dennoch.

Ein Bisschen schwarzer Humor
Nun weiß ich definitiv, dass mein Sohn den Familiensinn für dies Art von Humor geerbt hat. Wenn der „Liftboy“ Bruce feststellt, dass besser die Kinder gehen sollten, weil es um sie weniger schade wäre als um die Superhelden – da mussten wir beide lachen.
Das heißt aber auch: Menschen, die schwarzen Humor nicht mögen, sollten vielleicht besser ein anderes Buch lesen. Allen anderen empfehlen wir "Voll super, Helden" aber dringend weiter.
Einzig, dass Jenny immer nur redet, dann aber letztendlich dann doch zu faul oder ängstlich ist, um wirklich was zu machen, fand ich wegen des Gender-Bildes ein wenig schade. Genau, wie dass es auch bei den Superheld*innen mehr Männer als Frauen gab. Dafür ziehe ich einen halben Stern ab.

Fazit
Ein witziges Kinderbuch mit Superheld*innen-Humor. 4,5 von 5 Sternen (die wir aufrunden) mit einer dicken Empfehlung.

Bewertung vom 16.11.2019
Und dann kamst du
Abidi, Heike

Und dann kamst du


sehr gut

Einfühlsam geschrieben und absolut lebensbejahend.

Von der Trauer zurück ins Leben

Heike Abidi ist eine wundervolle, einfühlsame Autorin. In „Und dann kamst du“ beschreibt das Gefühl der Verlorenheit und des Verlustes so eindringlich wie sensibel. Erst vor kurzem hat Claire ihren Zwillingsbruder durch einen Unfall verloren. Nachts im Bus findet sie den Rucksack eines jungen Mannes, der ihr zuvor schon aufgefallen ist. Und die Suche nach ihm führt sie durch die Trauer zurück ins Leben. Das alles ist im Buch so berührend wie un-kitschig geschildert. Außer vielleicht das Ende… (aber vielleicht bin ich dafür doch schon ein wenig zu alt für die eigentliche Zielgruppe).
Die Autorin schaffte es, dass ich mich total in mein Teenager-Ich zurück versetzt fühlte: An die Ängste, Unsicherheiten und Wünsche. Und sie erzählt den Bogen so eindringlich, wie sich ihre Protagonistin Claire zurück ins Leben kämpft. Das ist richtig „uplifting“, so dass dieses Buch trotz des traurigen Themas sehr lebensbejahend gelingt.
Denn Claire findet heraus, dass sie eigentlich gar nicht weiß, was sie selbst vom Leben will. Sie hat sich ihr ganzes Leben immer sehr nach ihrem Bruder gerichtet. Aber ist das Medizinstudium für sie eigentlich das richtige? Nach und nach probiert sie ganz viel Neues aus und lernt, dass sie ausgetretene Pfade auch verlassen kann und darf. Das ist etwas, das wir alle im Leben lernen müssen. Dabei hat die Autorin mir sogar Lust aufs Laufen gemacht, das muss man bei mir Sportmuffel erstmal schaffen.
Um sich auf die Suche nach dem unbekannten Jungen zu machen, liest Claire den einzigen Eintrag in seinem Tagebuch. Irgendwie schwingt das Thema Stalking immer leicht mit: Ist Claires Suche eigentlich in Ordnung? Daran musste ich beim Lesen immer wieder denken und ich bin noch ein bisschen unschlüssig. Ich musste an eine Geschichte denken, als ein Berliner Polizist über den Instagramme-Account der Behörde nach einer Frau suchte, die ihn nach den Weg gefragt hatte. Für mich hält „Und dann kamst du“ gerade noch die Balance, weil Sam mehr zu einer Idee von ihr wird. Als wäre Sam ein imaginärer Freund, wie ihn Kinder haben. Trotzdem taucht sie natürlich an Orten auf, an denen sie ihn vermuten würde, sie ist sich bewusst, dass das etwas stalkinghaftes hat. Daher ist es hier wirklich ein schmaler Grat, an dem das Buch entlang gleitet.
Vielleicht erst recht, weil Abidi an anderen Stellen viel Empowerment für junge Frauen erschafft. Sie schildert das Unbehagen von Claire, wenn sie in brenzligen Situationen ist, sehr eindringlich. Zum Glück passiert nichts wirklich schlimmes, aber wie beängstigend schon diese „normale“ Übergriffigkeit ist, wird zum Thema. Und eben auch, dass man sich als Frau zur Wehr setzen kann.

FAZIT
Vieles in „Und dann kamst du“ ist ganz toll, einfühlsam und lebensbejahend, aber das Buch ist nicht ganz perfekt. Daher vergebe ich 4 von 5 Sternen.

Bewertung vom 16.11.2019
Die Zeuginnen
Atwood, Margaret

Die Zeuginnen


ausgezeichnet

Vive la sororité!

Im Nachwort beschreibt Margaret Atwood, warum sie ihn geschrieben hat. Vielleicht spoilert dieses Zitat ein wenig, aber jeder, der „Der Report der Magd“ gelesen hat, vermutet dieses Tatsache ohnehin:

„Eine Frage zum Report der Magd wurde immer wieder gestellt: Wie kam es zum Sturz vom Gilead? Die Zeuginnen wurde als Antwort auf diese Frage geschrieben.“

Heimkehr nach Gilead
Tatsächlich fühlt sich das Buch ein Bisschen wie eine Heimkehr an Gilead an. Schwestern von Gilead, wir lassen euch nicht im Stich: Vive la sororité! (wie ich als Response auf meine Rezension zu „Der Report der Magd bekommen habe, die ihr hier findet.) Diesmal können wir sogar den Gedanken von gleich drei Gilead-Frauen folgen. Und auch hier ist wieder eine starke Identifikation da, die Atwood erzeugt: Während es aber bei „Der Report der Magd“ noch die mit der Magd war, die den Umschwung von der liberalen zur repressiven Gesellschaft zunächst nicht wahrhaben wollte, schafft Atwood nun bei „Die Zeuginnen“, dass ich mich mit einer sehr unkomfortablen Figur identifiziere: Mit einer derjenigen, die das System stützt, mit einer Tante.
Wie man von Opfer zur Täterin wird, das ist das Eindrucksvolle an „Die Zeuginnen“. Ich denke, die meisten von uns möchten in so einer Situation gerne Held*innen sein oder zumindest nicht zu Mitläufern verkommen. Täter*in, absolut unvorstellbar! Aber erst, wenn man das erlebt, zeigt sich, ob man zu seinen Werten steht oder einem das eigene kleine Bisschen leben nicht doch näher liegt. Oder das der Kinder, Enkel, Liebespartner.
Das ist die Stärke dieses Buches, wie wir an Tante Lydia herankommen und wir sie trotzdem noch immer verabscheuen können. Verständnis, nicht Vergebung, auch, wenn sie sich mit ihren Zeilen anderes erhoffen mag.

Drei Gilead-Frauen
Mir gefiel die klare Trennung der drei Erzählerinnenstimmen. Die Entscheidung für die klaren Embleme, die den jeweiligen Verfasserinnen vorangestellt werden. Diese Embleme sind so ikonografisch, dass sie sogar meinem 7,5-jährigen Sohn aufgefallen sind und er mich gefragt hat, was das Cover und die Icons bedeuten sollen.
Als dann alle Fäden zusammenlaufen, bekam das Ende eine Zwangsläufigkeit für mich, bei der schon fast alles zu glatt läuft. Und es wurde recht schnell abgehandelt.
Ein moralisches Dilemma wurde recht ausgeblendet, bewusst, um es drastischer zu machen, aber gleichzeitig fand ich das schade.

Vergleich zum „Report“
„Die Zeuginnen“ kann vielleicht nicht an „Der Report der Magd“ heranreichen. Aber das Buch gibt Hoffnung, wovon beim Report noch wenig zu spüren war. Hoffnung kann trügerisch sein und oftmals lassen wir uns von ihr viel zu schnell davon einlullen. Aber ganz ohne Hoffnung kann keine*r von uns gegen die Ungerechtigkeit und für eine bessere Welt kämpfen.
Daher finde ich, dass „Die Zeuginnen“ eine wichtige Aktualisierung und Ergänzung zu „Der Report der Magd“ darstellt. Leider werden Frauen sowie marginalisierte Gruppen leider immer noch mit höheren Maßstäben gemessen als Männer. Atwood wurde als Anwärterin auf den Literaturnobelpreis 2019 gehandelt, bekommen hat die Auszeichnung schließlich ein weißer alter Mann, der nicht nur eine Exfreundin misshandelt hat, sich lachend am Ort eines Massakers fotografieren ließ, sondern auch noch mit den rechtsradikalen Kräften Europas auf Du-und-Du steht. Da möchte ich dann einfach nicht mehr so einen Vorwurf hören, dass eine Autorin wie Atwood zu zahm sei, wie ich es im Feuilleton gelesen habe. Denn sie bleibt schmerzhaft, erst recht, wenn sie erzählt, dass Revolutionen auch gerne mal ihre Töchter fressen.

Fazit
Atwood gibt hier Hoffnung, wovon in „Der Report der Magd“ noch nichts zu spüren war. Wir brauchen Hoffnung, gerade, wenn die Zustände vielerorts beängstigender werden. Ich vergebe eine Leseempfehlung und runde meine 4,5 Sterne auf 5 auf.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 16.11.2019
Mein Mauerfall
Breinl, Juliane

Mein Mauerfall


ausgezeichnet

Der Mauerfall im großen Kontext für Kinder spannend erzählt

„Mein Mauerfall“ leistet für ein Kindersachbuch etwas sehr Außergewöhnliches. Juliane Breinl zeigt darin, dass der Mauerfall kein isoliertes geschichtliches Ereignis war, sondern vom Davor ebenso maßgelblich beeinflusst war – wie er in die Zukunft wirkt. Denn Geschichte ist niemals monokausal, auch, wenn sie häufig so konstruiert wird. Die Autorin ist sich dessen bewusst und vermittelt mit ihrer Erzählweise diese wichtige Tatsache auch den jungen Leser*innen.

Eine Familiengeschichte und Zeitzeug*innen
Okay, das hört sich jetzt viel abstrakter an, als das Buch tatsächlich ist. Denn all diese Fakten bindet Breinl in eine spannende Geschichte um den 12-jährige Theo ein, der zum 50. Geburtstag seiner Mutter und deren Zwillingsschwester fährt. Und da beide ostsozialisiert sind, bricht zu dieser Familienfeier nicht nur der alte Streit über Ost und West auf. Gleichzeitig kumuliert hier ganz viel Wissen über knapp 90 Jahre deutsche Geschichte. Denn die Wende wie die DDR existierten nicht im luftleeren Raum und können nicht ohne Nazi-Diktatur und Shoah gesehen werden. Dieser wichtigen Einordnung kommt „Mein Mauerfall“ trefflich nach. Dabei findet die Autorin sehr klare Worte, wie wenn der junge YouTube-Historiker Jo, den Theo immer übers Netz kontaktiert, feststellt:
„So einen wie mich, im Rollstuhl, mit Rasta-Mähne und Om-Tattoo, hätten die Nazis hundertpro umgebracht!“
Abgerundet wird diese Familiengeschichte von eindringlichen Zeitzeug*innen-Berichten, darunter z.B. auch die Kinderbuchautorin Alice Pantermüller, die als Art Tagebuch-Einträge mit Fotos erzählt werden.

Gelungene Einordnung und wichtige Bezüge
Die Autorin weitet immer wieder den Blick. Sehr eindringlich stellt sie fest, dass die Wirtschaftswunderjahre im Westen erst durch die sogenannten „Gastarbeiter“ aus Italien, Griechenland oder der Türkei ermöglicht wurden, die dafür billigere Löhne akzeptieren mussten. Und Breinl spart auch das Problem mit dem Rechtsextremismus in Ost (und West) nicht aus und auch nicht die Morde des sogenannten NSU. Oder die Überlegung, wie sich heute technischen Möglichkeiten durch die Stasi hätten nutzen lassen (Stichwort Vorratsdatenspeicherung). Die undemokratische Seite der DDR wird klar geschildert, dennoch zeigt die Autorin auch immer, welche positiven Seiten dieses Land hatte, bspw., dass Konsum wenig Rolle spielte und die DDR wenig Verpackungsmüll produzierte.

Unsere Lektüre
Mein Sohn ist ein Wende-Kind, weil seine Eltern sich ohne den Mauerfall nie kennengelernt hätte. Darum wollte er unbedingt mitlesen. Das Buch richtet sich an Kinder ab 10 und die Zusammenhänge sind schon sehr komplex und mit der Shoah, 2. Weltkrieg und auch den nicht gewaltfrei. Ich bin war positiv überrascht, dass die Breinl das Buch generell so geschrieben hat, dass schon mein 7,5-jähriger gut zurecht gekommen ist. (Wir haben allerdings sehr kurze Leseabschnitte gelesen.) Ein ein paar Stellen waren mir einige Formulierungen zu betont „cool“ und flapsig, mein Sohn fand dies aber tatsächlich cool, also bin ich an dieser Stelle wohl nicht die richtige Zielgruppe. Die recht simple Konstruktion des rückwärts gewandten „Kommunisten“-Opas war mir etwas zu schlicht und der YouTuber hätte mir als realer Protagonist vor Ort noch besser gefallen, aber auch das fand mein Sohn witzig. Das Layout mit den vielen historischen Fotos und guten Grafiken rundeten unser Leseerlebnis ab.

Fazit
Ein sehr spannendes Geschichtsbuch für Kinder, dass gerade durch seinen recht allumfassenden Blickwinkel besticht. Das Layout ist frisch und modern, die historischen Fotografien toll eingebunden.
Wir vergeben 4,5 von 5 Sternen und empfehlen „Mein Mauerfall“ gerne weiter (insbesondere zum gemeinsamen Lesen).

Bewertung vom 16.11.2019
Mino und die Kinderräuber
Supino, Franco

Mino und die Kinderräuber


ausgezeichnet

Im Krieg passieren leider auch Kindern schlimme Dinge, aber hier können sich die Kinder zum Glück selbst retten.

Spannend und empathisch

„Mino und die Kinderräuber“ erzählt davon, dass im Krieg auch mit Kindern schlimme Dinge passieren könnten. Kindgerecht bleibt Franco Supino mit seiner Geschichte dadurch, dass die Kinder sich retten können und dass sie selbst diese Geschichte erzählen. Trotz dieses ernsten Themas kommen Phantasie, Spannung und Humor nicht zu kurz. Besonders haben mir die erklärenden Kapitelüberschriften gefallen, die uns immer richtig neugierig gemacht haben.
Chiara, Selma und Drago sollen für die Schule eine Abenteuergeschichte schreiben. Und Chiara erinnert sich an eine Geschichte ihres verstorbenen Nonnos, ihres Großvaters, aus Süditalien am Ende des 2. Weltkriegs. Und diese erzählen sie dann gemeinsam.

Die harte Realität
Ich persönlich halte meinen Sohn von Erwachsenennachrichten fern, weil die mich manchmal selbst überfordern und unvermittelt treffen. Aber wir sprechen mit ihm über aktuelle Geschehnisse und sehen „Logo“ gemeinsam mit ihm. Er weiß von der drohenden Klimakatastrophe, vom Krieg in Syrien (schon durch seinen Kindergartenfreund damals), auch vom 2. Weltkrieg (alleine über seine Großeltern) und dass die Nazis die Shoah verbrochen haben. Ich denke, man kann mit Kindern über diese Themen sprechen, ja, eigentlich muss man es ab einem gewissen Alter tun.

Schafft Empathie für die (Ur-)Großeltern – und für Kinder in Kriegsgebieten
Wichtig finde ich das Thema Krieg auch, weil es die Empathie schärft für Menschen, die sich leider, leider vor diesem „Thema“ nicht davonlaufen können, weil sie dem Krieg tagtäglich ausgesetzt sind. Weil der Krieg, Angst, Hunger, Vertreibung, Gewalt und Bomben leider Teil ihres Lebens geworden ist. Unsere Kinder haben ganz automatisch Empathie für diejenigen, die leiden. Und wir brauchen diese Empathie immer wieder, weil wir als Erwachsene darauf zurückgreifen müssen. Denn manche Menschen haben diese Empathie anscheinend leider vollends verlernt. Ich denke, dass mein Sohn nun auch seine Großmutter und seinen Großvater besser verstehen kann, wenn die ab und an über Krieg und Hunger erzählen und über die Angst vor den Sirenen. Bei beiden haben diese Erfahrungen die Überzeugung von „Nie wieder!“ sehr gefestigt.
„Mino und die Kinderräuber“ bietet einen ganz einfühlsamen Ansatz, wie sie quasi in deren Schuhe schlüpfen können. Ohne, dass es unerträglich wird. Das ist eine große Leistung des Autors Franco Supino.

Gemeinsames Lesen
Auch, wenn es nie angesprochen wird, weil die Kinder „nur“ als Arbeitssklaven „eingesetzt“ werden sollen, spielt für mich schon beim Wort „Kinderräuber“ die Gefahr von sexuellen Übergriffen gegenüber Kindern mit hinein. Ich habe es zum Anlass genommen, das meinem Sohn behutsam ein erneutes Mal darüber zu sprechen, auch, dass dies nicht nur die anonymen „Bösen“ sein können. Ich denke daher aber, dass sich das Buch daher besser zum gemeinsamen Lesen eignet, als die Kinder damit alleine zu lassen.
Und dann geht es noch um Trauer und Verlust, denn Chiara verarbeitet mit der Geschichte auch den Tod ihres Großvaters. Das ist wehmütig und schön zu lesen. Und auch hier hilft, wenn die Kinder das gemeinsam mit einer Bezugsperson lesen können.

Fazit
Wir empfehlen „Mino und die Kinderräuber“ gerne weiter zur gemeinsamen Lektüre, vergeben 4,5 Sterne und runden auf.

Bewertung vom 16.11.2019
Mein Freund mit Herz und Schraube / ROKI Bd.1 (2 Audio-CDs)
Hüging, Andreas;Niestrath, Angelika

Mein Freund mit Herz und Schraube / ROKI Bd.1 (2 Audio-CDs)


sehr gut

Dieser Roboter lässt sich schwerer hüten als ein Sack Flöhe.

Roboter sind schon cool für Kinder und mit „ROKI - Mein Freund mit Herz und Schraube“ zeichnen die Autor*innen Angelika Niestrath und Andreas Hüging ein besonders liebenswertes Exemplar. (So dass wir als Erwachsene unsere Horrorvorstellungen von echter K.I. vielleicht auch ein wenig vergessen können.)
Im Lagerschuppen in Pauls Hinterhaus bastelt der Wissenschaftler Adam an einem Geheimnis. Bald stellt sich heraus, das ist ein selbstlernender Roboter, den Paul ROKI nennt, wie ROboterKInd. Und ROKI ist neugierig, darum hat er auch immer wieder ab.
Den damit verbundenen Perspektivwechsel finde ich ganz wundervoll: Die Kinder können sich damit identifizieren, wie sich die Verantwortung anfühlt, die man als Eltern für sein Kind hat oder als größeres Geschwisterkind für die jüngeren.
Die Autor*innen liefern uns viele witzige Ideen, wie eine Katze, die ganz heiß auf Pizza ist, und ein Affenballett, bei dem die Zoobesucher mitmachen. Schön fand ich auch, dass ein Berliner Kietz hübsch mitgespielt wird. Kleine Abstriche mache ich ein Bisschen beim Plot: Wenn ROKI schon dauernd abhaut und gleichzeitig von zwei Männern verfolgt wird – warum kann man da nicht mehr Sicherheitsmaßnahmen ergreifen? Aber meinen Sohn hat das nicht gestört und ich hatte trotzdem Spaß an der Geschichte.
Und man bekommt auch ein Gefühl dafür, wo Stärken und Schwächen einer Künstlichen Intelligenz sind. Für alle Kinder, die sich für Roboter und K.I. interessieren, möchte ich zusätzlich noch das wundervolle Buch „Hello Ruby – Wenn Roboter zur Schule gehen“ empfehlen (hier meine Rezi dazu).

Das meint mein 7,5jähriger Sohn
Ich finde das Buch sehr spannend. An den Figuren mochte ich, dass sie alle etwas anders sind. ROKI ist sehr lustig und mir gefällt, dass er wegläuft und man Probleme bekommt, wenn man ihn eine Sekunde nicht an der Hand hat. Paul ist cool, weil er auf ROKI aufpassen will, aber manchmal gelingt es ihm nicht. Ich bin Paul, weil ich nicht so viel weglaufe, aber ich will so viel lernen wie ROKI. Und so passieren ganz viele Abenteuer. Ich vergebe 5 von 5 Robotern (also Sterne).

Zum Hörbuch
Oliver Rohrbeck als Sprecher fanden wir total charmant und auch seine verzerrte Computerstimme als ROKI hat viel Spaß gemacht. Einzig die Musik, denn auf der CD finden sich mehrere Lieder, die die Geschichte widerspiegeln, war mir persönlich zu sehr Kinderpop. Meinem Sohn haben die Lieder aber gefallen.

Fazit
Eine sehr witzige Abenteuergeschichte. Wir freuen uns schon auf den zweiten Band „ROKI - Kuddelmuddel im Klassenzimmer“ und vergeben 4 Sterne.