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Diamondgirl
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Stolberg
Buchflüsterer: 

Bewertungen

Insgesamt 124 Bewertungen
Bewertung vom 18.03.2017
Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster
Pásztor, Susann

Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster


ausgezeichnet

Ein schwieriges Thema hervorragend umgesetzt

Karla ist unheilbar an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt. Fred hat sich gerade zum ehrenamtlichen Sterbebegleiter weitergebildet und sie ist seine erste "Klientin". Eigentlich weiß er nicht einmal genau, warum er Sterbebegleiter werden wollte. Weil er in seinem Leben endlich etwas Wichtiges tun möchte? Oder womöglich doch nur, weil er damit bei Freunden und in Gesprächen Eindruck schinden kann? Denn sein Selbstbewusstsein ist nicht besonders ausgeprägt und sein Leben ziemlich langweilig.
Ausgerechnet Karla passt so gar nicht in sein Bild einer Sterbenden. Sie ist störrisch, launig und ausgesprochen reserviert. All das, was er sich klammheimlich vorgenommen hatte für seine Klienten, funktioniert bei ihr nicht. Er begeht, durchaus gut gemeint, Fehler auf Fehler und Karla ist nicht geneigt, diese Fehler großzügig zu übergehen. Dazu ist ihre Zeit zu knapp.

Phil ist der 13jährige Sohn Freds und er wird von Karla engagiert, ihre umfassende Dia-Sammlung einzuscannen und zu archivieren. Phil ist sehr intelligent und ein Eigenbrötler wie sein Vater. Er zeigt insgesamt leichte autistische Züge. Er schreibt heimlich Gedichte und leidet ansonsten still vor sich hin - vor allem unter seiner esoterischen Mutter, die nach der Trennung vom Vater mit neuem Partner auf einem Hof lebt und ihm regelmäßig Päckchen schickt, die er sich beharrlich weigert zu öffnen. Die Wochenenden, die er bei ihr verbringen muss, sind ihm ein Graus.

Zwischen diesen drei Protagonisten pendelt die Handlung des Buches hin und her. Die einzelnen Kapitel beziehen sich auf die Sicht jeweils einer dieser Personen, wobei Karla lediglich eine 1seitige Liste verschiedener Begriffe folgt. Wie sie selbst im ersten Kapitel sagt, weil ihr zu mehr die Worte fehlen.

Schon der Inhalt ist kein leichtes Thema. Umso erstaunlicher, wie leichtfüßig Susann Pasztor diese Gratwanderung gelingt. Ich habe wirklich immer wieder schmunzeln und tlw. auch lachen müssen über manch komische Begebenheit und vor allem Karlas teils respektlose und lakonische Art des Umgangs mit der Situation. Ein schönes Beispiel bietet dieses Zitat:
»Es ist mein erstes Mal.« Er versuchte, seine Stimme fest und selbstbewusst klingen zu lassen.
Sie sah ihn verblüfft an. Dann versuchte sie ein Lächeln, was ihr misslang, und sagte: »Was für ein Zufall. Bei mir ist es auch das erste Mal.«

Leider waren für mich die letzten 30 Seiten ein schweres Stück Lesearbeit, was aber damit zu tun hat, dass fast genau vor einem Jahr ein guter Bekannter an genau diesem Krebs verstarb. Da kommt dann bei der Lektüre doch so einiges aus seinen letzten Wochen wieder hoch.

Ansonsten ist das Buch wirklich erfrischend undramatisch geschrieben. Das Schöne ist, dass durch die gemeinsame Bewältigung dieser unglaublich schwierigen Situation alle Beteiligten ein Stück gewachsen und sich auch näher gekommen sind. Sogar das angestrengte Verhältnis zwischen Mutter und Phil wird am Ende etwas leichter, weil Phil manches jetzt anders sehen kann.
Der Schreibstil ist sehr gut zu lesen. Leicht, angenehm, humorvoll und man taucht sofort in die Handlung ein. Die Personen sind hervorragend heraus gearbeitet - sogar die Nebenpersonen wie der phantastische Hausmeister Klaffki nebst Dogge Kottke oder die anderen Sterbebegleiter aus den Supervisionstreffen.

Fazit: Dieses Buch ist wirklich ein Glücksgriff! Wenn auch nicht unbedingt für jemanden, der noch recht frisch ähnliches erlebt hat, so doch für jeden, der sich überhaupt mit der Thematik Sterbebegleitung beschäftigen möchte. Und wer nicht, der tut es nach diesem Buch garantiert!

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.03.2017
SUMMERTIME - Die Farbe des Sturms
LaFaye, Vanessa

SUMMERTIME - Die Farbe des Sturms


sehr gut

Im Sommer 1935 auf den Florida-Keys spielt der Debüt-Roman von Vanessa Lafaye, und zwar in den Tagen um den Unabhängigkeitstag (4. Juli). Hunderte Weltkriegs-Veteranen haben die undankbare Aufgabe, im Rahmen eines Beschäftigungsprogramms der Regierung Baumaßnahmen durchzuführen - in diesem Roman den Bau einer Brücke. Die Zustände innerhalb des Veteranen-Lagers sind eigentlich unhaltbar und dementsprechend ist auch das Benehmen und demzufolge der schlechte Ruf dieser Veteranen.
Das fiktive Städtchen Heron Key in der Nähe dieses Lagers wird sowohl von Weißen als auch Schwarzen bewohnt - jeder natürlich seiner Rolle in der Gesellschaft gemäß. In den Südstaaten war es zu jener Zeit nicht einfach für Schwarze. Lynchjustiz war an der Tagesordnung und wurde auch nicht weiter verfolgt.
Henry ist ein schwarzer Veteran, der in Frankreich an der Front für sein Land gekämpft hat. Seine Hoffnungen auf ein besseres Zusammenleben und mehr Achtung für Farbige werden nach der Rückkehr jäh enttäuscht. Statt versprochener Boni des Staates erwartet vor allem die Schwarzen das alte Elend wieder. In den USA hat sich nichts geändert und zudem leiden alle Veteranen an posttraumatischen Störungen. Etliche Jahre treibt er durch die Staaten, bis er wegen des Beschäftigungsprogramms wieder in seiner Heimat Heron Key strandet.
Missy lebte all die Jahre in Heron Key. Sie war noch ein halbes Kind, als Henry in den Krieg zog und seitdem hat sie auf ihren Helden gewartet. Am 4. Juli treffen sie sich wieder und hier beginnt das Buch.
Ich war von diesem Buch sehr angenehm überrascht, denn vom Klappentext her liest es sich so, als wäre es nur eine der üblichen Lovestories. Das ist es jedoch beileibe nicht.
Vielmehr wird ein breiter Fächer jener Zeit aufgeblättert, der sie wirklich vor dem geistigen Auge auferstehen lässt: Der herrschende Rassismus und seine dunkelsten Seiten, nicht vorhandene Emanzipation, die Arroganz und Gleichgültigkeit der Regierenden, die erbärmlichen Zustände in den Veteranencamps sowie den in Gänze unverständlichen Umgang mit den eigenen Helden, den Kriegsveteranen und letztlich die Urgewalt der Natur, der gegenüber alle Menschen ungeachtet ihres gesellschaftlichen Ansehens hilflos ausgeliefert sind.
Dabei findet die erwähnte Romanze dankenswerter Weise lediglich beiläufig statt. Kernthema sind zweifellos die immer stärker werdenden Spannungen zwischen den Veteranen und Einheimischen. Als eine halbtot geprügelte weiße Frau nach dem Fest zum Unabhängigkeitstag gefunden wird, geraten selbstverständlich die Veteranen ins Visier der Einheimischen. Während der Nachforschungen und der Tätersuche braut sich ein verheerender Hurrikan zusammen und die routinemäßigen Vorbereitungen zum Schutz der Bevölkerung laufen an. Doch einen solchen Sturm hat die Stadt noch nicht gesehen!

Von Beginn an konnte mich der Schreibstil für sich gewinnen und ich tauchte ab in die Handlung des Buches. Ein Stoff, der sich hervorragend für einen Katastrophenfilm eignen würde! Die Protagonisten wurden sehr gut heraus gearbeitet, sodass Persönlichkeiten entstanden. Vom sympathischen Hauptdarsteller bis zum Widerling hatte jeder irgendwann ein festes Bild vor meinem geistigen Auge. Gleichzeitig erfuhr man wirklich interessante Fakten über Zeit und Ort des Geschehens. Vieles wurde gnadenlos beschrieben, ohne sensationslüstern zu wirken.
Mich hat dieses Buch ausgesprochen gut unterhalten und die Nähe zum tatsächlichen Ereignis vom Laborday 1935 gab dem Ganzen noch ein Zückerchen obendrauf. Die Erläuterungen zu Beginn und am Ende des Buches waren diesbezüglich sehr aufschlussreich. Im letzten Drittel habe ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen können.
Manches war leider recht früh zu durchschauen (ähnlich wie bei Katastrophenfilmen ;-) - wie z. B. der Täter der Gewalttat, weshalb es 1 Stern Abzug gibt von mir.
Fazit: Ein rundum gelungener und spannender Debüt-Roman mit geschichtlichem Aufklärungs-Potenzial

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.02.2017
In jedem Augenblick unseres Lebens
Malmquist, Tom

In jedem Augenblick unseres Lebens


sehr gut

Die Überschrift verrät es bereits: Das Buch wird als Roman gehandelt, jedoch ist es eigentlich eine biografische Erzählung des Autors Tom Malmquist. Seit 10 Jahren leben Karin Lagerlöf und er zusammen und erwarten nun ihr Wunschkind. Einige Wochen vor dem errechneten Termin erkrankt Karin schwer an akuter Leukämie und sie muss in die Notaufnahme. An dieser Stelle beginnt Toms Buch.
Es ist gegliedert in 5 Abschnitte. Der erste handelt ausschließlich von der Zeit in der Klinik - der Notaufnahme, die Verlegung in eine Spezialklinik, wo das Kind per Kaiserschnitt geholt und die Mutter besser versorgt werden soll sowie in der Frühchenstation. Dieser 1. Abschnitt ist geradezu rasant geschrieben.
Atemlos verfolgt man jeden Schritt Toms und man ist förmlich in die Handlung hinein gesogen. Man hat geradezu die Bilder vor Augen. Jedes noch so kleine Detail findet nebenbei Erwähnung. Es ist, als ob Tom alles noch einmal erlebt vor seinem geistigen Auge.
Die nun folgenden 4 Abschnitte sind nicht so klar thematisch voneinander abgegrenzt und ich kann verstehen, dass etliche Leser Probleme damit haben, dass es von Zeitsprüngen nur so hagelt. Die Schreibweise ist ohnehin ungewöhnlich, denn wörtliche Rede wird nicht gekennzeichnet.
Der Schreibstil war für mich sehr angenehm zu lesen, da m. E. typisch skandinavisch: präzise, schnörkellos, knapp.
Schade fand ich, dass die Zeit mit der kleinen Livia alleine m. E. wenig Aufmerksamkeit fand. Aber vermutlich war das auch nicht Sinn des Buches. Es war eher die Aufarbeitung eines traumatischen Erlebnisses. Es beschreibt den Zustand der kompletten inneren Verwirrung und tlw. Erstarrung. Zeiten fließen durcheinander und auch die Realität beginnt zu verschwimmen - zum Glück gibt es Livia, die Tom immer wieder in die Gegenwart zurück holt. Denn er muss funktionieren. Für Livia und letztlich auch für seine Karin.
Tom hat dies alles aufgeschrieben, was ihm in den Monaten danach so alles durch den Kopf ging und was ihn aufwühlte. Das wirkt auf manchen Leser sicher eher verwirrend und vor allem eines: handlungsarm. Das ist vor allem im letzten Drittel des Buches etwas problematisch.
Vom ersten Abschnitt des Buches abgesehen besitzt es quasi keinen Handlungsstrang. Einzelne Handlungen und Dialoge werden detailliert beschrieben, finden jedoch oftmals keine Fortsetzung geschweige denn einen Abschluss. Wie bei einem Erzähler, der immer wieder den Faden verliert und nach 1 Stunde fragt man sich, wie denn nun die 5 begonnenen Geschichten weiter und aus gegangen sind.
Da ich mit dem Schreibstil sehr gut zurecht komme, machte es mir nichts aus, Toms Gedankengängen und Zeitreisen als stiller Zuhörer zu folgen. Ein wenig bekommt man eine Ahnung, wie sich Psychologen fühlen müssen. Aneinandergereihte Gedankensprünge, die auf den ersten Blick keinerlei Zusammenhang haben und die doch für den Gedankenträger so viel bedeuten. Ein ausgesprochen mutiges Buch, denn Tom kehrt hier sein Innerstes nach außen. Ich habe mich gefühlt wie ein guter Freund, den man zum Reden braucht - wobei mit "reden" eher zuhören gemeint ist. Man soll zuhören und keine Fragen stellen, weil es einen eigentlich eh nichts angeht - aber es muss einfach mal alles raus...
Erwähnen möchte ich noch, dass ich das Buch begann mit der Vorahnung, auf jeden Fall reichlich Taschentücher zu bunkern. Aber dazu gab es wirklich keinerlei Anlass - und ich heule schon mal schneller bei der Lektüre, gerade wenn es um den Verlust oder die Qualen eines Menschen geht. Doch der fast sachliche, knappe Ton diente nie dazu Mitleid zu erregen. Aufarbeitung durch Aufschreiben - das war m. E. sein Ansinnen. Und seiner Tochter eine ganz frische Erinnerung, auch an ihre Mutter, zu erhalten, wenn sie dereinst dieses Buch lesen wird.
Fazit: Es handelt sich wirklich um ein besonderes Buch, fernab leichter Lektüre, auf das man sich nur einlassen muss.
...und man darf kein "hab ich das nicht toll als alleinerziehender Vater hinbekommen"-Buch erwarten.

Bewertung vom 15.02.2017
Betrunkene Bäume
Dorian, Ada

Betrunkene Bäume


ausgezeichnet

Der Debüt-Roman Betrunkene Bäume von Ada Dorian ist m. E. nicht so einfach zu rezensieren, ohne zu viel vom Inhalt zu verraten. Das Buch ist in verschiedenen Erzählsträngen unterwegs.
Es beginnt ca. 1960 in einer kleinen sibirischen Stadt. Wolodja lebt dort als Obdachloser. Auf der Suche nach einem Job wird er an einen Deutschen vermittelt, der ihn als eine Art Scout für die sibirischen Wälder anstellt.
Der nächste Teil handelt zeitnah: Erich ist bereits jenseits der 80 und muss seinem fortgeschrittenen Alter immer mehr Tribut zollen. Er sieht nur noch sehr schlecht und seine Knochen machen auch nicht mehr richtig mit. Zudem wohnt er auf der 5. Etage (ohne Aufzug) und das alleine. Sehr zum Missfallen seiner Tochter Irina, die sich immer mehr Sorgen um ihren Vater macht. Vor allem, weil er starrköpfig jegliche Hilfe ablehnt. Was niemand ahnt: In seinem Schlafzimmer hat er einen einen eigenen kleinen Wald angelegt, von dem niemand erfahren darf, weil dies sicher dazu führen würde, dass er die Wohnung räumen müsste. Daher schließt er sein Schlafzimmer sorgfältig ab, wenn er es verlässt. Erich braucht und liebt die Bäume. Nur unter seinen Bäumen kann er ruhig schlafen.
Der dritte Erzählstrang handelt von Katharina, die kurz vor der Volljährigkeit zuhause ausreißt, weil ihr Vater die Familie verlassen hat, um in Sibieren zu arbeiten. Katharina kommt mit dieser Situation nicht zurecht, obwohl sie weiß, dass die Familie schon länger keine echte mehr ist. Die Eltern arbeiten zu unterschiedlichen Tageszeiten und gemeinsame Stunden finden kaum noch statt. Um nicht in Obdachlosigkeit zu enden zieht sie in eine verfallene Wohnung eines Bekannten, als direkte Nachbarin von Erich.
Die Gemeinsamkeit bildet eindeutig Sibirien, die unermessliche Weite des Landes mit seinen kaum durchdringlichen, dichten Wäldern. Katharina, die wissen will, wo sich ihr Vater dort genau aufhält und Erich, der Jahrzehnte zuvor monatelang mit einem Einheimischen diese endlosen Wälder durchstreifte und dort seine Frau Dascha kennen lernte, die er so unendlich vermisst. Damals lud er Schuld auf sich, die er sich selbst nicht verzeihen kann.
Mehr möchte ich ungern vom Inhalt verraten, denn vieles erschließt sich ja erst im Laufe der Lektüre. Nur noch so weit, dass Katharina und Erich sich anfreunden, wenngleich es eher fast eine Art Zweckgemeinschaft ist.

Dieses Buch ist in einer wundervollen Sprache verfasst. Wie von einem ruhig fließenden Strom wird man einfach mitgenommen, vorbei an ganz wunderbaren Bildern der Landschaft Sibiriens und seiner Bäume, mancher poetischen Beschreibung und immer ausgesprochen einfühlsam, geradezu vorsichtig in den Schilderungen. Dabei ist die Handlung selbst total unaufgeregt und fließt einfach vor sich hin, wobei sich das Wesen und die Geschichte Erichs immer mehr entschlüsselt.
Dabei wechseln die jeweiligen Erzählstränge regelmäßig, was jedoch keine großen Schwierigkeiten bereitet. Man erahnt sehr bald, wo man sich gerade befindet. Hervorragend waren die Passagen von 1960. Obwohl die Landschaft mehr als unwirtlich war ist doch alles mit so viel Liebe zum Detail und Fabulierkunst geschrieben, dass man sich tatsächlich wünschte, dabei zu sein.
Das Ende des Buches war mir persönlich etwas zu abrupt - hier hätte ich der Geschichte gute 30-40 Seiten mehr gewünscht, um es ruhiger und in sich stimmiger ausklingen zu lassen. Doch dieses Manko reicht nicht, um diesem beeindruckenden Buch einen Stern abzuziehen. Ich hoffe, Ada Dorian wird auch in Zukunft so wunderbare Bücher schreiben!
Fazit: Wer es ruhig mag ist hier bestens versorgt! Ein rundum empfehlenswertes Buch und ein sehr eindrucksvolles Debüt!

Bewertung vom 06.02.2017
Sein blutiges Projekt
Burnet, Graeme Macrae

Sein blutiges Projekt


ausgezeichnet

Im August 1869 tötet der 17jährige Roderick Macrae 3 Mitbewohner seines kleinen Ortes Culduie auf grausame Weise. Unmittelbar im Anschluss begibt er sich freiwillig in die Hände eines Nachbarn und gesteht seine Tat, was zu seiner Inhaftierung führt.
Es geht also weniger um die Frage, wer der Täter ist als vielmehr um die Frage, was einen jungen Menschen dazu bringt, eine solch grauenhafte Tat zu begehen.
Um es gleich vorweg zu nehmen: Dieses Buch ist in meinen Augen keinesfalls ein Thriller. Nicht einmal als Kriminalroman würde ich das Buch bezeichnen. Eher als historischen Roman, denn es wird wesentlich mehr den sozialen Verhältnissen und Lebensumständen zur damaligen Zeit Rechnung getragen als der Tat und deren Aufklärung selbst.
Das geschickte Vorwort des Autors verleitete mich zu der Annahme, dass es sich nicht um einen Roman sondern um einen Tatsachenbericht handelt.
Der Roman gliedert sich in verschiedene Teile. Dem ausführlichen Vorwort folgen einige Zeugenaussagen von Dorfbewohnern zu den Ereignissen und dem Täter. Den Kern des Romans bilden die Aufzeichnungen des Täters, die er während der Haft bis zum Prozess gemacht hat. Ihnen folgen die medizinischen Gutachten sowie der Prozessverlauf.
Vor allem diese Aufzeichnungen lassen erahnen, wie hart das Leben zu jener Zeit als Crofter (Pacht-Bauer) gewesen sein muss. Noch dazu, wenn der dort eingesetzte Constable zu einem verfeindeten Clan gehört und seine Machtposition erbarmungslos ausnutzt mit dem Ziel, Roddys Familie aus dem Dorf zu vertreiben.
Als Roddys Mutter während der Entbindung stirbt gerät die Familie aus den Fugen. Der Vater wird noch härter und schwermütiger als er ohnehin schon immer war und die ältere Schwester wandelt sich von einem fröhlichen in ein ernstes, trauriges Mädchen. Der Vater wird immer schwächer und von Gram zerfressen, weshalb Roddy die meiste Arbeit auf den Feldern leisten muss und dazu noch vom Constable fortwährend für Gemeinschaftsarbeiten eingesetzt wird.
Roddy selbst ist außergewöhnlich intelligent, was jedoch nicht dazu führt, dass sich wirkliches Interesse an einem Leben außerhalb seines kleinen Horizonts entwickelt. Sein ganzes Streben zielt nur auf die Unterstützung der kleinen Familie durch seine harte Arbeit auf den Feldern ab.
Im Laufe der Aufzeichnungen wächst das Mitleid des Lesers und man fragt sich, warum sich die Menschen so viel gefallen ließen. Die Sympathien liegen eindeutig beim Täter Roddy und man denkt manches Mal, dass der grausame Constable sein Los eindeutig verdient hatte. Die Aufzeichnungen enden mit der Beschreibung der Tat und Roddys Verhaftung.

Die nun folgenden medizinischen "Gutachten" bzw. Berichte fordern jeden Leser enorm heraus! Sie könnten gut eine Grundlage für die arischen Lehren des Dritten Reiches bilden. Tatsächlich basieren aber genau diese haarsträubenden Passagen offenbar auf existierenden Artikeln jener Zeit, geschrieben von dem mitwirkenden Psychologen Thomson. Sie sind Zeitdokumente zum Thema Kriminalpsychologie und ebenfalls zur verächtlichen Einstellung des gebildeten Bürgertums gegenüber der armen Landbevölkerung oder den Arbeitergettos in den Städten.

Wie erwähnt gelingt es dem Autor extrem gut, den Eindruck zu vermitteln, der Leser ist Besucher jener Zeit und befasst sich mit Fakten. Dies in einer angenehmen, etwas altertümlich anmutenden Schreibweise, die das Buch wirklich zu einem Pageturner macht. Obwohl man weiß, was letztlich passiert ist, will man doch alles wissen, was den armen Jungen zu einem Mörder machte. Auch der ausführliche Prozessteil zum Ende des Buches fesselt einen wirklich und ich habe ihn in einem Stück gelesen, weil ich wissen wollte, wie das Urteil lauten wird - denn der wohlgesonnene Anwalt wollte Unzurechnungsfähigkeit während des Tatzeitpunkts geltend machen.

Es ist ein außergewöhnlicher Roman - in jeder Hinsicht! Hervorragend recherchiert und sehr detailreich. Ich kann ihn nur jedem empfehlen - solange man keinen Thriller erwartet.

Bewertung vom 07.01.2017
Eltern haften an ihren Kindern
Zingsheim, Martin

Eltern haften an ihren Kindern


ausgezeichnet

Das Leben mit Kindern ist anders als ohne. Aber sowas von!
In seinem Buch "Eltern haften an ihren Kindern" führt Musik-Kabarettist Martin Zingsheim dem Leser eindrücklich vor Augen, inwiefern sich das Leben für von Eltern komplett auf den Kopf stellt. Und das in jeder Hinsicht.
Nicht nur die ständig fliehende Zeit und abhanden kommende Kraft nagen am Elternteil, auch die philosophischen Betrachtungen, die unweigerlich auf jeden zukommen, der mit seinen Kindern kommuniziert.
Kinder - vor allem in jungen Jahren - zwingen Eltern dazu, alles und jedes zu überdenken und auch eigene Verhaltensweisen infrage zu stellen und einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Egal ob es sich um Ernährungsfragen handelt, Erziehungs- und Diskussionsmethoden, religiöse Fragen, Konsequenz, Gut und Böse, und, und, und...
Zingsheim findet eine ganze Reihe solcher Themen genauerer Betrachtung wert. Und zwar ohne dabei den Zeigefinger zu heben - und wenn doch, dann zeigt er auf sich selbst.
Das alles macht er auf herzerfrischende, amüsante und selbstironische Art und man möchte ihm manches Mal tröstend auf die Schulter klopfen und sagen "Ja, ja.... kennen wir. Wird auch nichts ändern - wirst du schon noch sehen in den nächsten Jahren!"
Insgesamt 26 Kapitel umfasst das Buch und damit auch 26 Themenbereiche. Abgerundet wird das Buch von einem Epilog, der ein Weihnachtsessen mit den dann erwachsenen Kindern in 20 Jahren herbei phantasiert. Dass dieses nicht so läuft, wie man es idealerweise gerne hätte, braucht sicher nicht erwähnt zu werden. Gerade das macht aber dieses Buch und seinen Autor so sympathisch: Er ist sich bewusst, dass er genauso Fehler macht, wie jeder durchschnittliche Vater. Daher auch der verheißungsvolle Hinweis auf dem Cover "KEIN Ratgeber".
Nicht ganz so gelungen empfand ich die eingestreuten "Zitate", die allesamt erdichtet sind - incl. der angeblichen Quelle. Zugegeben: manche sind durchaus amüsant, aber ich empfand sie dann doch etwas zu angestrengt und bemüht. Ihnen fehlte die Leichtigkeit des übrigen Buches.
Wunderbar hingegen die Zeichnungen seines ältesten Sohnes, bei denen erfreulicherweise deren Deutung mit angegeben war - in passendem, humorvollem Tonfall kommentiert.

Mir hat die Lektüre dieses Buches durchweg Spaß gemacht und vieles habe ich wiedererkannt, obwohl unsere Kinder jetzt genau in dem 20-Jahre-später-Alter sind. Gerade aus der Distanz kann man manches objektiver sehen.
Dankbar bin ich generell, wenn humorvolle Bücher nicht in comedyhafter Blödheit daherkommen. Mit Comedy hat dieses Buch nichts zu tun. Dafür ist es zu niveauvoll.

Fazit: Absolut empfehlenswertes, unterhaltsames Buch für Eltern aller Altersstadien sowie Menschen, die welche werden wollen.

Bewertung vom 21.12.2016
Lennart Malmkvist und der ziemlich seltsame Mops des Buri Bolmen / Lennart Malmkvist Bd.1
Simon, Lars

Lennart Malmkvist und der ziemlich seltsame Mops des Buri Bolmen / Lennart Malmkvist Bd.1


ausgezeichnet

Lennart Malmkvist erbt einen Laden mit Zauberartikeln von einem älteren Herrn namens Buri Bolmen, der unter äußerst merkwürdigen Umständen plötzlich verschwunden ist. Bedingung ist jedoch, den Mops des Besitzers zu übernehmen und den Laden mindestens 1 Jahr zu betreiben.
Aus dieser Grundidee entwickelt sich ein humorvoller Fantasy-Krimi, der sich sehen lassen kann! So viele skurrile Ideen kann es fast nur in skandinavischen oder englischen Büchern geben. Es fängt schon damit an, dass Lennart eine Bindungs-Allergie hat - was wörtlich zu nehmen ist. D. h. er bekommt juckenden Ausschlag, wenn er sich in eine Frau zu verlieben droht, weshalb er keine engen Beziehungen knüpfen kann.
Weiter geht es damit, dass Buris Mops Bölthorn (alleine der Name...) bei Gewitter sprechen kann und selbstverständlich einiges zu berichten weiß.

Ausgesprochen gekonnt versteht Lars Simon es, ordentlich Spannung aufzubauen. Mir war wirklich keine Sekunde langweilig. Es hagelt nur so verrückte Ideen und Verwicklungen. Man kommt von einem Dilemma ins nächste, ohne dass es überladen wirkt oder ins comedyhafte abdriftet.
Simon ist das Kunststück gelungen, Krimi und Fantasy miteinander zu verbinden und das auch noch mit humorigem Einschlag.
Dabei sind die Personen so gut ausgearbeitet und beschrieben, dass man wirklich gerne auf dieser Reise dabei ist.

Eigentlich ist die Aufklärung des Verbrechens gar nicht so wichtig - nicht nur für den Leser, sondern sogar für die Geschichte, denn es wird immer magischer im Verlauf der Story. Das Ende des Buches lässt einen mit dem sicheren und guten Gefühl zurück, dass es eine Fortsetzung geben wird. Und die werde ich garantiert lesen!

Fazit: Ein rundum gelungenes Buch das mächtig Spaß bereitet und sich irgendwie keinem Genre so recht zuordnen lässt.

Bewertung vom 21.12.2016
Nenne drei Hochkulturen: Römer, Ägypter, Imker
Greiner, Lena;Padtberg-Kruse, Carola

Nenne drei Hochkulturen: Römer, Ägypter, Imker


ausgezeichnet

Bei diesem Buch handelt es sich um eine hübsche Zusammenstellung von kurzen Anekdoten aus dem Schulalltag, die zahlreiche Lehrer an Spiegel Online geschickt haben. Sie wurden nach verschiedenen Kriterien sortiert, wie verschiedenen Schulfächern, Schülerausreden, Entschuldigungen der Eltern (keinen Deut besser als die Ausreden ihrer Sprösslinge), beste Schreibfehler etc. aber auch Lehrergeständnisse.
Dabei hat man wirklich herzerfrischende Schenkelklopfer jedoch auch Aussagen, die einen nur verständnislos den Kopf schütteln lassen, was in manchem Schülerhirn so vor sich gehen mag.
Fast noch mehr Spaß hatte ich an den Kommentaren die zu Beginn jedes Kapitels sowie vor/nach manchen besonders herausragenden Ergüssen eingestreut sind. Es erinnerte mich manches Mal ein wenig an die Kommentare guter Kabarettisten zu realen Aussagen unserer Mitbürger.
An wenigen Stellen waren eingerahmte Erläuterungen zu finden, wenn es mal um Themen ging, die vll. nicht zum Allgemeinwissen gezählt werden müssen. Gar nicht schlecht, diese Idee!

Insgesamt machte dieses Buch einfach nur Spaß, auch wenn es kein Buch ist, dass ich in einem durch lesen würde. Für mich war es das perfekte Klo-Buch, in dem man immer wieder mal einige Passagen liest. Daher hat es auch ein wenig gedauert, bis ich damit durch war, hat also nichts damit zu tun, dass es nicht kurzweilig gewesen wäre.

Durchaus auch eine sehr nette Geschenkidee, vor allem für Leute mit Bezug zu Kindern bzw. Schule. Man hat viel Vergnügen bei der Lektüre und kann den vielleicht stressigen Alltag so ein wenig weglachen.

Bewertung vom 20.11.2016
Neuschweinstein - Mit zwölf Chinesen durch Europa
Rehage, Christoph

Neuschweinstein - Mit zwölf Chinesen durch Europa


sehr gut

Christoph Rehage hat das Abenteuer unternommen, mit einer Reisegruppen von 12 Chinesen eine Europa-Rundreise zu starten. Zu Beginn des Buches erfährt man in einer kurzen Einleitung, wie es zu diesem Entschluss kam und wie die Planung nebst Buchung vonstatten ging.
Anfangs herrschen etwas Berührungsängste auf Seiten der chinesischen Teilnehmer und auch Argwohn. Im Laufe der ersten Tage wird Rehage, der von den Teilnehmern Leike bzw. Alter Lei genannt wird, jedoch wirklich integriert. Er spricht fließend Mandarin und hat daher keinerlei Verständigungsprobleme.
Die Reise dauert 13 Tage und führt nach München, Venedig, Florenz, Pisa, Rom, Luzern, Paris, Frankfurt sowie eine Kleinstadt.
Mir wurde schon schwindelig bei der Vorstellung, diese Städte in so kurzer Zeit abarbeiten zu müssen. Und ich muss nicht erst von China hierher fliegen und wieder zurück. Dementsprechend gedrängt ist der Zeitplan der Gruppe.
Nach wenigen Seiten mit der Gesellschaft ist es so, als wäre man als Blinder Passagier dabei. Die einzelnen Personen bekommen Aussehen und Charakter, denn Rehage hat sie m. M. nach wirklich gut beschrieben, sodass auch die unterschiedlichen Typen herausgestellt wurden.
So fährt man in einem eng gesteckten Zeitplan mit ihnen von Sensation zu Sensation und beobachtet, wie sie auf die unterschiedlichen Gegebenheiten ansprechen. Wie bei jeder Reisegruppe werden die einzelnen Leute von ganz verschiedenen Dingen angesprochen.
Das alles erzählt Rehage in einem sehr angenehmen und lockeren Ton. Er zieht auch keine vorschnellen Rückschlüsse, sondern belässt es eher bei der Schilderung der Ereignisse. Es wird nicht zu viel hinein interpretiert, sondern die Menschen so genommen wie sie sind. Ich empfand das als sehr angenehm.
Es folgen die üblichen Touristen-Attraktionen: Schlossbesichtigung, Glasbläserei, Lederwaren-Hersteller, Parfum-Hersteller, Kanalfahrt, Museen, durch die regelrecht gehechtet wird. I.d.R. mit chinesischer Führung und Kopfhörer auf den Ohren.
Immer wieder der Hinweis auf das schlechte Essen in fast ausnahmslos chinesischen Restaurants, was ein Markenzeichen des Gruppenessens ist. Nicht umsonst speisen Reiseleiter und Chauffeur an einem separaten Tisch: Sie bekommen anderes, besseres Essen, weil sie die Gruppe in das Restaurant bringen. Das kommt zwar nicht richtig rüber in dem Buch (dort ist eher vom Preisnachlass beim Essen die Rede), aber ich weiß es von meinen beiden Gruppenreisen, die ich unternommen habe.
Das alles nehmen die Teilnehmer ausgesprochen gelassen hin. Selbst eine unerwartete Doppelfahrt, weil der Fahrer seinen Pass im Hotel vergaß, wird kommentarlos hingenommen. Mit einer deutschen Reisegruppe unvorstellbar!
Im Laufe der Zeit entwickelt sich ein schon freundschaftliches Gefühl zwischen Rehage und den Reisenden. Er tätigt Internet-Bestellungen für sie und es kommt mit dem Ein oder Anderen zu persönlichen Gesprächen.
Sehr gut finde ich den 2. Teil des Buches, in dem er einige Monate später die Teilnehmer in China besucht. Dort erfährt man dann endlich, was sie selbst am besten fanden und wie sie alles erlebt haben. Während der Reise waren nämlich alle recht zurückhaltend, was dieses Thema angeht. Alle sehr freundlich und beflissen, Chinas guten Ruf zu wahren und sich stets korrekt zu benehmen. Eine genaue Anleitung enthielten die Reiseunterlagen, die jeder Teilnehmer ausgehändigt bekam.
Der Erzählstil ist sehr flüssig und man kann wirklich durch das Buch fliegen. Wobei es auch nichts ausmacht, wenn man einmal 1 Woche nicht zum lesen kommt. Man ist sofort wieder im Bus und Mitglied der Gruppe.
Mir hat die Lektüre wirklich sehr viel Vergnügen bereitet und es war keine Minute langweilig! Ab sofort sehe ich chinesische Reisegruppen mit ganz anderen Augen.

Bewertung vom 20.11.2016
Meine geniale Freundin / Neapolitanische Saga Bd.1
Ferrante, Elena

Meine geniale Freundin / Neapolitanische Saga Bd.1


schlecht

Elena und Lila wachsen in Rione, einem ärmlichen Vorort von Neapel, in den 50er und 60er Jahren auf. Beide verbindet eine in meinen Augen etwas eigentümliche Freundschaft, die gut 6 Jahrzehnte halten wird. Dann verschwindet Lila plötzlich so, als hätte es sie nie gegeben. Elena will dieses Verschwinden nicht akzeptieren und entschließt sich daher dieses Buch über ihr Leben und ihre Freundin zu schreiben.
So viel zum Thema des Buches... Bleiben wir zunächst bei den positiven Aspekten: dem Schreibstil. Den habe ich durchweg als sehr angenehm und leicht zu lesen empfunden. Ich war sofort in der Geschichte und konnte mich auch längere Zeit darauf einlassen. Aber....
Es ändert nichts an der Tatsache, dass die Story gut gedacht ist, jedoch einfach unnötig in die Länge gezogen wird wie Gummi. 422 Seiten, in denen knapp 10 Jahre abgehandelt werden. Kleinigkeiten werden erzählt, als wären sie weltbewegend. Gut - vielleicht waren sie für eine 8 oder 9jährige weltbewegend, aber diesem Alter sind die meisten Leser leider entwachsen.
Die Autorin verzettelt sich m. E. in überflüssigen Einzelheiten, die die Geschichte nur künstlich in die Länge ziehen. Auf eine - ich kann es nicht anders sagen - regelrecht geschwätzige Art und Weise. Es erinnert an Menschen, die beim Erzählen vom Hölzchen auf Stöckchen kommen und nach 1 Std. weiß man immer noch nicht, was derjenige eigentlich erzählen wollte.
Dazu kommt, dass die von vielen so hoch gepriesene "lebenslange Freundschaft" für mich nur sehr schwer nachvollziehbar ist.
Gerade Lena geht mir ziemlich auf den Nerv, weil sie bei allem und jedem zwar immer nur an Lila denkt - aber leider nicht, weil sie sich um sie sorgt oder sie sie einfach vermisst, sondern eher als Dauer-Konkurrentin. Beständig fühlt sie sich ihr gegenüber benachteiligt, weil Lila klüger, stärker, selbstbewusster, raffinierter und als Jugendliche dann auch noch schöner ist als sie. Dieses ganze Buch lang ist sie ausschließlich bestrebt, es ihr zumindest gleichzutun oder sogar noch besser zu werden. Es quält sie regelrecht, dass Lila nicht einmal eine weiterführende Schule besuchen muss, um genausogut oder sogar noch besser Latein zu lernen als sie. Weil sie es sich selbst erarbeiten kann mit Büchern aus der Bibliothek und nicht die Schulbank dafür drücken muss. Und es ärgert sie beständig, dass Lila sie nicht beneiden will. Das wäre das, was Elena am meisten ersehnt. Dass ihre Freundin sie so beneidet, wie es umgekehrt der Fall ist.
An kaum einer Stelle fand ich wirkliche Empathie mit Lila, keine Freude über deren Erfolge, sondern als sie feststellt, dass diese durch die Verlobung in die bessere Gesellschaft aufsteigt, wo sie nicht hingehört, geht sie sogar eher auf Abstand. Angeblich, weil Lila nicht mehr sie selbst ist. M. E. aber eher, weil sie nicht mehr mithalten kann, da Lila sie überholt hat, obwohl sie nicht weiter zur Schule gegangen ist.
Was für ein Hype wurde und wird um dieses Buch (bzw. die 4 Bücher) gemacht! Ich kann es beim besten Willen nicht nachvollziehen. Es ist ein gut lesbares und auch durchaus unterhaltsames Buch, vor allem für Menschen, die gerne dahinziehende Familien-Epen lesen mögen. Aber mehr auch nicht! "Ein literarisches Meisterwerk von unermesslicher Strahlkraft..."? Also wirklich...
Regelrecht sauer bin ich jedoch über das Ende des Buches - falls man es denn überhaupt so nennen kann. So etwas von Cliffhanger habe ich noch nicht erlebt! Zumindest hätte man das Buch einigermaßen abschließen können. Stattdessen hört es mitten in einer Szene auf und hinterlässt in mir nur noch das fade Gefühl, hier total ausgenommen und veräppelt zu werden.
Das hat einen von den beiden Sternen gekostet, die ich ansonsten vergeben hätte. Mag sein, dass italienische Leser so etwas akzeptieren oder sogar noch spannend finden. Ich finde es unmöglich!
Insgesamt betrachtet war dieses Buch demnach ein Reinfall. Dass eine so interessante Leseprobe so enttäuschend endet, hätte ich mir zuvor nicht denken können.

2 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.