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Bellis-Perennis
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Wien

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Insgesamt 924 Bewertungen
Bewertung vom 09.08.2024
Beifang / Proteo Laurenti Bd.12
Heinichen, Veit

Beifang / Proteo Laurenti Bd.12


ausgezeichnet

Auch Kriminalpolizisten werden älter wie man am Beispiel von Triests Commissario Proteo Laurenti sehen kann. In seinem nunmehr 12. Fall, der hoffentlich trotzdem nicht sein letzter sein wird, soll er, nach dem Willen seines Vorgesetzten, den Antrag auf Pensionierung ausfüllen und unterschreiben. Da kommt ihm doch eine weibliche Leiche, die er beim Fischen im Golf von Triest selbst entdeckt, gerade recht.

Wie sich schnell herausstellt ist die Tote eine erfahrene Skipperin, die diesmal vielleicht doch zuviel riskiert hat. In derselben Nacht hat es auf der, von den Behörden festgesetzten, russischen Yacht A eine Explosion gegeben und ein russischer Waffenhändler soll über das Meer geflohen sein. Ein Schelm, wer hier einen Zusammenhang vermutet.

Laurenti verschiebt den Gedanken an eine Pension weit weg und ermittelt im Umkreis der Toten. Immer taucht der Name von Raffaele Raccaro auf, einem international bekannten Geschäftsmann mit einem großen Netzwerk von Gefälligkeiten, in das halb Triest verstrickt zu sein scheint und wenn es auch nur - wie bei Laurenti - um eine nicht angemeldete Putzfrau geht.

Daneben muss sich Laurenti ein wenig mit seiner lieben Gattin herumschlagen, die unbedingt eine Villa in der Stadt kaufen will, während Proteo lieber direkt am Meer wohnen bliebe. Wer wird dieses Match gewinnen?

Meine Meinung:

Diese Reihe von Veit Heinichen, der ja selbst in der altösterreichischen Hafenstadt Triest lebt, habe ich nicht so stringent verfolgt wie jene seines Kollegens aus Venedig. Proteo Laurenti kenne nur aus ein oder zwei Fällen. Das werde ich nun aber nachholen, versprochen. Ich mag ja Triest mit seinen Häusern, die an die k. und k. Zeit erinnern, fast lieber als die Serenissima.

Besonders gut gefällt mir, weil für mich unbekannt, das „Verhältnis“ von Proteo zur kroatischen Staatsanwältin Ziva Ravno. Bilde ich mir das nur ein, oder höre ich ein leises Knistern? Schon allein deswegen lohnt es sich, bei Band eins zu beginnen.

Schmunzeln musste ich auch über die Altherrenrunde, die über vergangene (Partisanen)Heldentaten philosophieren und auch mit der Oligarchenyacht, die den italienischen Steuerzahler aberwitzige Summen kostet, kurzen Prozess machen würden, wenn man sie nur ließe.

Der Schreibstil ist eher gemächlich. Es werden weder Laurentis Privatleben noch seine kulinarischen Vorlieben ausgelassen. Ein echter Wohlfühlkrimi, wenn man nicht gerade das Opfer oder der Täter ist.

Auch wenn mit diesem Krimi das Dutzend voll ist, kann ich mir noch weitere Fortsetzungen vorstellen.

Fazit:

Mir hat dieser Krimi recht gut gefallen, weshalb ich hier 5 Sterne vergebe.

Bewertung vom 08.08.2024
Zorniges Herz / Kate Burkholder Bd.15
Castillo, Linda

Zorniges Herz / Kate Burkholder Bd.15


ausgezeichnet

Dieser Krimi ist der 15. aus der Reihe „Kate Burkholder“ und mein erster aus der Feder von Linda Castillo. Bislang hat mich das Attribut „grausamer Thriller“ immer abgeschreckt, denn in der Mehrzahl der Fälle sind es Frauen, die grausam ermordet werden. Nun scheint es ein wenig gemäßigter zuzugehen und zumindest die erste Leiche ist ein Mann.

Eigentlich sollte sich Polizeichefin Kate Burkholder ganz auf ihre bevorstehende Hochzeit konzentrieren und ist eben bei der Anprobe ihres Hochzeitskleides, als sie zu einer männlichen Leiche gerufen wird. Aden Karn, ein junger Amischer, ist durch Schüsse aus einer Armbrust brutal getötet worden. Recht bald kann ein Jagdunfall ausgeschlossen werden und Burkholder, die früher ebenfalls eine Amische war, beginnt mit den Ermittlungen. Das „nisi nihi bene“ scheint hier in Stein gemeißelt, denn seltsamerweise hat niemand etwas Negatives über den Toten zu sagen. Ist Aden wirklich so ein Sunnyboy gewesen oder macht man sich in der Gemeinde nur etwas vor?

Die alte Weisheit der Ermittler „Finde das Motiv, dann hast du auch den Täter“ wird sich hier in schrecklicher Weise bewahrheiten.

Meine Meinung:

"Zorniges Herz" ist bereits der fünfzehnte Fall für Kate Burkholder, die als Amische aufwuchs, die Gemeinschaft aber dann verlassen hat. Nun arbeitet sie als Polizeichefin von Painters Mill. Da die einzelnen Bände in sich abgeschlossen sind und wichtige Hintergrundinformationen in die Handlung eingestreut werden, kann man dem aktuellen Geschehen problemlos folgen. Trotzdem werde ich den einen oder anderen Fall für Kate Burkholder ausborgen.

In einem spannenden Prolog können die Leser beobachten, wie Aden Karn ermordet wird. Für mich ist gleich klar, dass es sich um ein persönliches Motiv gehen muss, denn der junge Mann wird geradezu hinrichtet. Dadurch wird das Interesse an diesem Fall sofort geweckt. Obwohl sich die Ermittlungen für Kate als zäh erweisen, habe ich recht bald eine Hypothese entwickelt, wer denn der Täter sein könnte (und bin richtig gelegen).

Geschickt werden Details zur Lebensweise und den Traditionen der Amischen in die Handlung eingeflochten. Dazu gehören auch die Hochzeitsvorbereitungen durch die Gemeinschaft auf die Kate gerne verzichtet hätte. Dass Kate Burkholder früher selbst „dazugehört“ hat, hilft einerseits bei den Ermittlungen, andererseits wird sie als Abtrünnige scheel angesehen.

Der Schreibstil ist flüssig und sehr angenehm lesbar. Die Charaktere sind sehr gut herausgearbeitet. Besonders Adens dunkle Seite kommt scheibchenweise zum Vorschein.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem 15. Fall für Kate Burkholder 5 Sterne.

Bewertung vom 05.08.2024
Baby Nelson (unkaputtbar) 3: Disney: Dschungelbuch: Balu liebt Bäume

Baby Nelson (unkaputtbar) 3: Disney: Dschungelbuch: Balu liebt Bäume


ausgezeichnet

Dieses Buch, das als unzerstörbares Baby-Buch im Carlsen Verlag erschienen ist, wurde nach Motiven von Rudyard Kiplings „Das Dschungelbuch“ (in der Disney-Version) gestaltet.

Balu der Bär liebt ja bekanntlich Bäume, um sich daran den Rücken zu kratzen. Hier erklärt er dem kleinen Mogli welche Bäume essbare Früchte hervorbringen und welche Eigenschaften Bäume haben.

Der Text erscheint mir für Babys ab 12 Monaten noch ein wenig zu schwierig, aber da das Buch ja nicht kaputt gehen soll, kann es ja später auch noch vorgelesen werden. Die Illustrationen sind sehr gut gelungen.

Genau das Richtige für zukünftige Leser, die aktuell die Welt noch mit allen Sinnen kennen lernen.

Überrascht hat mich allerdings, dass der Carlsen Verlag damit wirbt, dass das für das Buch verwendete Material „von unabhängigen, akkreditierten Prüflabors getestet und freigegeben“ ist. Das sollte doch selbstverständlich sein!

Bewertung vom 31.07.2024
Furchtlose Frauen und wie sie die Welt eroberten
Strohmeyr, Armin

Furchtlose Frauen und wie sie die Welt eroberten


sehr gut

Ob zu Wasser, auf der Erde oder in der Luft - wagemutige Frauen haben bereits in der Vergangenheit bewiesen, was in ihnen steckt. Allen ist gemeinsam, dass sie auf gesellschaftliche Konventionen gepfiffen haben und sich trotz beträchtlichen Risikos nicht gescheut, ihre Unternehmungen durchzuführen.

Allerdings haben es einige Frauen diese Reisen nicht nur aus Abenteuerlust angetreten, sondern aus purer Not und Armut. Andere wiederum wie Alexin Tinne haben ihren Reichtum dazu benützt, ihrem Egoismus zu frönen.

Armin Strohmeyr stellt uns folgende zwölf Frauen vor:

Granuaile O‘Malley (1530-1603)
Mary Bryant (1767-1807)
Mary Ann Talbot (1770-1808)
Mary Ann Brown Patton (1837-1861)
Alexin Tinne (1835-1867)
Florence Baker (1845-1916)
Josephine Peary (1863-1955)
Rosita Forbes (1890-1967)
Wilhelmine Reichard (1788-1848)
Blanche Stuart Scott (1886-1970)
Amelia Earhart (1897-1937)
Beryl Markham (1902-1986)

Fazit:

Die meisten Frauen sind mir aus anderen Büchern bereits bekannt, so dass ich wenig Neues erfahren habe. Dennoch gebe ich gerne 4 Sterne, denn das Buch macht Lust, sich mit der einen oder anderen näher zu beschäftigen.

Bewertung vom 31.07.2024
Tirol Summits
Seitlinger, Gabriel;Welebil, Irene

Tirol Summits


ausgezeichnet

Gipfel sammeln im (Nord)Tiroler Unterland

Dieser nach, „Salzburg-Summits“ und „Osttirol-Summits“ dritte Berg- und Wanderführer für Gipfelsammler, bietet eine vollständige Liste der jeweils höchsten Punkte aller 89 Tiroler Gemeinden im (Nord)Tiroler Unterland. Das Unterland besteht aus den Bezirken Kitzbühel, Kufstein und Schwaz.

Wie immer weisen Gabriel Seitlinger und seine Co-Autorin Irene Welebil in der Einleitung auf präzise Tourenplanung und ordentliche Ausrüstung hin. Man kann diese „Hochpunkte“ als Berg-, Ski- oder Radtour erklimmen und für die Anreise öffentliche Verkehrsmittel benützen.

Flachlandbewohner können das akribische Sammeln von Gipfeln schwer begreifen. Es scheint aber die Leidenschaft vieler Bergfexe zu sein. Ob dabei nicht das Wesen einer Bergtour verloren geht? Nämlich das Einssein mit der Natur?

Sei es, wie es sei, Gabriel Seitlinger weiß, worüber er schreibt, ist er doch studierter Geograf, Mitarbeiter der Salzburger Landesregierung, Abteilung Raumplanung und leidenschaftlicher Bergsteiger.

Er beschreibt bekannte und weniger bekannte Touren. Insgesamt 89 an der Zahl. Die Touren sind im (Nord)Tiroler Unterland wie folgt zusammengefasst:

Kitzbühel
Kufstein
Schwaz

Bei jeder Tour ist angegeben, ob sie sich als Berg-, Ski- oder Radtour eignet. Kartenausschnitt, Angabe von Koordinaten, Anforderungen, Ausrüstung und Ausgangspunkt vervollständigen den „Steckbrief“.

Wer seine Summits lieber alphabetisch ordnet, kann das auch: Von Achenkirch bis Zellberg.

Fazit:

Dieser Bergtourenführer bietet ein kompaktes Kompendium der schönsten und höchsten Berggipfel Tirols. Gerne gebe ich hier 5 Sterne.

Bewertung vom 31.07.2024
Und dahinter das Meer
Spence-Ash, Laura

Und dahinter das Meer


sehr gut

Als im September 1940 die Deutsche Luftwaffe die ersten Luftangriffe gegen London fliegt, beschließen zahlreiche englische Familien ihre Kinder nicht nur innerhalb des Vereinigten Königreiche sondern auch in die sicheren USA zu evakuieren.

Die 11-jährige Beatrix Thompson ist eines davon, obwohl sich ihre Eltern Millie und Reginald nicht ganz einig sind. Nach einer aufregenden Schiffsreise wird Beatrix von der Familie Gregory in Boston aufgenommen. Das Mädchen ist in bescheidenen Verhältnissen in London aufgewachsen und findet nun bei ihrer Gastfamilie unbekannten Luxus vor. Sie darf täglich baden, hat ein eigenes Zimmer für sich und bekommt reichlich zu essen. Im Sommer fährt man nach Maine, wo die Familie ein Sommerhaus auf einer kleinen Insel besitzt. Die Gregorys, allen voran die Brüder William und Gerald werden zu einer zweiten Familie.

Aus dem ursprünglich für wenige Monate gedachten Aufenthalt werden 5 Jahre, in denen die Erinnerung an London manchmal verblasst. Der Krieg in Europa, der Tod des Vaters - als das ist weit weg, obwohl Bea und ihre Mutter in regem Briefkontakt stehen.

Die lange Trennung ist weder an Bea noch an ihrer Mutter Millie spurlos vorübergegangen. Denn Bea kann es ihrer Mutter nicht verzeihen, sie zu Beginn des Krieges in die unbekannte Fremde abgeschoben zu haben.

Meine Meinung:

Dass Kinder aus jenen Städten wie Coventry und London, die in der Reichweite der Deutschen Luftwaffe lagen, innerhalb des Vereinigten Königreichs evakuiert worden sind, ist mir bekannt. Unter diesen Kindern waren auch Tausende jüdische Kinder, die mittels der sogenannten Kindertransporte aus Nazi-Deutschland und Österreich gerettet wurden. Nicht gewusst habe ich, dass Kinder aus englischen Familien zu Gasteltern in die USA geschickt worden sind.

Beatrix ist eines dieser Kinder, die mutterseelenallein auf die weite Reise ins Ungewisse geschickt werden. Immer mit dem Gedanken, wie ein Paket abgeschoben zu werden. Fünf Jahre im Leben eines Kindes sind eine sehr lange Zeit. Dass sich auch die erwachsene Bea keiner der beiden Welten so richtig zugehörig fühlt, ist wohl verständlich. Das Verhältnis zu ihrer leiblichen Mutter ist angespannt, da sie in Beas Abwesenheit wieder geheiratet hat. Der Versuch, die verlorenen Jahre aufzuholen, ist von Beginn an zum Scheitern verurteilt.

Die Geschichte wird eher sachlich, aber dennoch sehr liebevoll erzählt. Wir dürfen an Bea aufwachsen sehen, an Gedanken und Zweifel teilhaben. Doch es ist nicht ausschließlich Beas Perspektive sondern auch jene der anderen Beteiligten: Nancy und Ethan Gregory, die Brüder William und Gerald, die sich beide in ihre Ziehschwester verlieben sowie Beas leibliche Eltern Millie und Reginald Thompson. Die Blickwinkel der unterschiedlichen Figuren geben einen umfassenden Eindruck über das Geschehen während des Kriegs und der vielen Jahre danach. Die Zeiträumesind gut gewählt und zeigen die weitere Entwicklung der Personen.

Die Charaktere sind ausgesprochen gut herausgearbeitet. Wir Leser dürfen an ihren Gedanken, Wünschen und Zweifeln teilhaben. Spannend ist der Vergleich zwischen den beiden Müttern: Da ist zum einen Nancy, die US-Mama, die neben ihren beiden Söhnen gerne eine Tochter gehabt hätte, und all ihre Liebe in das einsame Mädchen steckt, und zum anderen Millie, Beas leibliche Mutter, die ihre Tochter mehr liebt, als sie zeigen kann. So wirkt das eine Verhältnis sehr liebevoll, das andere recht reserviert.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem Roman, der ein bislang wenig bekanntes Kapitel des Zweiten Weltkriegs behandelt, 4 Sterne.

Bewertung vom 29.07.2024
Goldstein - ein phantastisches Leben
Scherz, Anja

Goldstein - ein phantastisches Leben


ausgezeichnet

Anja Scherz erhält von einer Freundin den Auftrag, die unvollständigen Memoiren deren jüngst verstorbenen Ehemannes Raphael-Maria Goldstein, fertig stellen und mit Dokumenten bzw. Fotos zu ergänzen. Die Aufgabe klingt reizvoll und die Person interessant.

Raphael-Maria Goldstein behauptet nämlich von sich, 1949 als illegitimer Sohn von Otto Frank und einer Holocaustüberlebenden, geboren zu sein. Er sei also ein Halbbruder von Anne Frank. Er sei, weil seine Mutter nicht im Stande war, sich um ihn zu kümmern, der Familie Burger zunächst als Pflegekind übergeben worden und letztlich von den Burgers adoptiert worden. Von ihnen habe er den Namen Norbert Hans Burger erhalten. Im Nachkriegsdeutschland mit seinen zahlreichen (Halb)Waisen und dem schlechten Gewissen mancher Familien nicht unmöglich.

Scherz beginnt mit der akribischen Recherche, anhand des tabellarischen Lebenslaufes. Die Überprüfung mancher Daten stellen sich als schwieriges Unterfangen heraus. Denn, einerseits sind ein Großteil der möglichen Zeitzeugen bereits verstorben und andererseits ergeben die Dokumente, Quellen, sowie die Interviews mit Bekannten und Familienmitgliedern ein sehr diffuses, unübersichtliches Bild, das zunächst mehr Fragen aufzuwerfen als zu beantworten scheint. Zum Beispiel weiß niemand über den angeblich fast tödlichen Unfall von 1978 Bescheid, den er beschreibt und für so manche leere Stelle in seinem Leben verantwortlich macht.

Wir lesen Auszüge aus dem Manuskript, das zahlreiche Briefe an Anne Frank, enthält obwohl sie ja, wie allseits bekannt, bereits 1945 im KZ Bergen-Belsen gestorben ist. Das wäre an sich noch nicht verwunderlich, kann man solches als besonderes Stilmittel bewerten.

„Liebe Anne, mein Leben ist ein verworrener Weg zwischen Realität, gewünschter Realität, Ahnung, Wunschtraum und Fakten gewesen. Der gewünschte Beleg vieler Äußerungen kann nur unzulänglich erbracht werden. Dessen bin ich mir bewusst.“ (S. 128)

Erste Zweifel an seiner Vita treten schon zu Goldsteins Lebzeiten auf, als Esther-Maria Goldstein, die Frau, die als seine Mutter bezeichnet, auf einem Video der Nürnberger Prozesse als Zeugin auftritt, überhaupt keine Ähnlichkeit mit ihm hat. Darüber schummelt er sich hinweg.

In Burger/Goldsteins Arbeitszimmer entdeckt Anja Scherz zahlreiche Bücher, die Episoden enthalten, die quasi als passende Mosaiksteine und Versatzstücke in seine ganz persönliche Lebensgeschichte eingearbeitet erscheinen. Fiktion und Wahrheit verschwimmen mehr und mehr.

Burger/Goldstein verstrickt sich in einem Dickicht von Geschichten, er bricht Kontakte, die seine Konstruktion zum Einsturz bringen könnten, ab und wechselt häufig seinen Wohnort.

Ein winziges und witziges Detail am Rande, das sich auch auf dem Cover wiederspiegelt ist, das Tee trinken in quasi allen Lebenslagen des Norbert Hans Burger alias Raphael-Maria Goldstein, wenn er versucht „seine“ Herkunft zu „beweisen“.

Journalistin und Autorin Anja Scherz schafft es, in diesem, ihrem Erstlingswerk „Goldstein - ein phantastisches Leben“, einen Roman zu schreiben, der das facettenreiche Leben des Norbert Hans Burger alias Raphael-Maria Goldstein auferstehen lässt.

Wie ist es, sich eine Biografie eines anderen Menschen auszudenken und in diese zu schlüpfen? Kann das sachlichen Überprüfungen stand halten? Welche rechtlichen Konsequenzen könn(t)en daraus erwachsen? Ist das Identitätsdiebstahl? Oder Betrug? Ist es wie eine Kronzeugenregelung? Oder einfach der pathologische (?) Wunsch, jemand anderes zu sein?

Der ausgebildete Schauspieler ohne Abschluss, Norbert Hans Burger spielt mit Raphael-Maria Goldstein die Rolle seines Lebens.

Fazit:

Das Buch ist ein Meisterstück bis zur letzten Seite. Es entwickelt eine Sogwirkung, der man sich nicht entziehen kann. Gerne gebe ich hier 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 29.07.2024
Ephraim Kishon
Behre, Silja

Ephraim Kishon


ausgezeichnet

Wie aus Ferenc Hoffmann Ephraim Kishon (1924-2005) wurde. Das erzählt uns Silja Beehre in 15 Kapiteln.

Für ihren Beitrag „Ephraim Kishon für Deutsche. Der israelische Autor und Satiriker im Literarturbetrieb der Bundesrepublik“ in „Zeithistorische Forschungen“ (2019) hat Silja Behre viel Material zu Ephraim Kishon zusammengetragen. Das nützt sie nun, um uns den, als Ferenc Hoffmann 1924 in Budapest geborenen Schriftsteller mit einer interessanten Biografie vorzustellen.

Der aus einer ungarisch-jüdischen Familie stammende Ferenc entkommt mit seinen Eltern und der Schwester den Schergen Nazi-Deutschlands. Zahlreiche andere Verwandte werden Opfer der Shoa. Zunächst ändert er seinen Nachnamen in Kishont, um den den blöden Fragen ungarischen Kommunisten zu entgehen.

Bei der Einreise nach Israel 1949 soll, so die gängige Anekdote, die auch in seinen Büchern vorkommt, ein Beamter im Hafen von Haifa den Vornamen Ferenc durch das hebräische Ephraim ersetzt haben und Kishont zu Kishon verkürzt haben - durchaus möglich, oder geschickt erfunden.

Ephraim Kishons Satiren führten seit den 1970er Jahren immer wieder die deutschen Bestseller-Listen an. Wie erklärt sich der Erfolg des israelischen Autors im "Land der Täter"? Silja Behre begibt sich auf die Spuren Kishons in Deutschland, beleuchtet seine Beziehungen zu Verlegern und Journalisten, zu Lesern und Kritikern und diskutiert dabei auch den politischen Kishon, der sich immer wieder kontrovers zum deutsch-israelischen Verhältnis und zum Nahostkonflikt geäußert hat.

Großen Anteil am Erfolg im deutschen Sprachraum haben die österreichischen Schriftsteller Friedrich Torberg (1908-1979) und Gerhard Bronner (1922-2007), die Kishons Bücher ins Deutsche übersetzt haben. Viele Bücher sind zusätzlich von Rudolf Angerer (1923-1966) illustriert.

Silja Behre geht auch der Frage nach, wie viel von Kishons Familie in den Büchern steckt. Und wer hat das Privileg in seinen Geschichten vorzukommen? Ist das Vorbild für „die beste Ehefrau von allen“ wirklich Sara? Er selbst sagt einmal dazu, dass er zwei Familien hat: die wirkliche, die nicht sehr oft sieht und die andere, die idealisierte, die in seinem Kopf wohnt.

Ich gehöre zu jener Generation, deren Eltern alle Bücher von Ephraim Kishon im Regal stehen hatten und habe sie auch gelesen. Gut in Erinnerung sind mir „Blaumilchkanal“. in dem er die Tücke der israelischen Bürokratie schildert und „Drehen Sie sich um Frau Lot“ geblieben. Daher ist diese Biografie von Silja Behre ein Wiedersehen mit einem alten Bekannten.

Fazit:

Gerne gebe ich dieser umfassenden Biografie 5 Sterne.

Bewertung vom 28.07.2024
Die Apfelrose
Hermann, Birgit

Die Apfelrose


ausgezeichnet

Birgit Hermann entführt uns mit diesem historischen Roman in den Schwarzwald um 1800. Es ist die Zeit der Napoleonischen Kriege und ganz Europa wird von den Truppen beider Kriegsparteien verheert. Die Soldaten ziehen plündernd und bedrohlich übers Land. Wer seine Vorräte oder Wertgegenstände nicht hergibt, wird kurzerhand getötet. Mädchen und Frauen gelten als Kriegsbeute. Daneben sorgen Unwetter für Missernten und Viehseuchen sowie immer höhere Abgaben und Frondienste an die Grundherren, zu denen auch Klöster gehören, dafür, dass den leibeigenen Bauern und ihren Familien immer weniger zum Leben bleibt.

Auch die damalige Gesellschaftsordnung, in der Frauen keine Rechte, aber dafür jede Menge Pflichten hatten, spielt eine große Rolle. So müssen Mädchen auf ihre Jungfräulichkeit achten, werden aber gleichzeitig von Arbeitgebern und Verwandten sexuell missbraucht. Als „beschädigte Ware“ werden sie nach Gutdünken an den verheiratet, der dem Täter am meisten nützlich ist. Kinder, die aus solchen Vergewaltigungen werden als Bastarde häufig misshandelt und deren Tod billigend in Kauf genommen. Verheiratete Frauen sind ununterbrochen schwanger, leisten unterernährt und häufig krank Schwerstarbeit auf Feldern und im Haus, während die Männer das wenige Geld, das zur Verfügung nur zu gerne im Wirtshaus versaufen, um der häuslichen Tristesse zu entkommen. Betrunken schwängern und schlagen sie ihre Frauen und der Kreislauf beginnt von vorne. Wenn die Bäuerinnen im Kindbett sterben, müssen die Mägde sie in allen Bereichen ersetzen. Von den Pfarrern ist auch keine Hilfe zu erwarten.

Wir lernen Helena und deren Mutter Leopoldine, die genau oben beschriebenes Schicksal erlitten hat. Zwei besondere Frauen versuchen das Leid so gut wie möglich zu lindern. Da ist zum einem Cäcilia, die mutige Äbtissin vom Kloster Friedenweiler und zum anderen Josepha, die Hebamme und Kräuterfrau. Josepha bekommt immer zu spüren, dass der Grat zwischen medizinischer Hilfe und Hexerei sehr, sehr schmal ist.

Interessant ist der Handlungsstrang, der sich mit dem Uhrmacherhandwerk beschäftigt, für das der Schwarzwald berühmt ist. In den Tischlerwerkstätten werden Tisch- und Standuhren erzeugt, die Wanderhändler jenseits der Alpen auf Märkten verkaufen. Der gefahrvolle Marsch über die Alpen ist eindrucksvoll geschildert. Über die Uhrenproduktion per se hätte ich gerne noch mehr erfahren, denn es ist immer von der Anfertigung von Uhrkästen die Rede. Die Mechanik, die eine Uhr die Zeit anzeigen lässt, wird nicht so genau erwähnt. Ich glaube mich, nach einem Besuch im Wiener Uhrenmuseum, erinnern zu können, dass Metallverarbeitung ein Zünften streng geregeltes Handwerk war. Aber, vielleicht war das im Schwarzwald anders.

Dieser historische Roman ist sehr gut recherchiert und eindrucksvoll erzählt. Das Buch lässt sich trotz des schwierigen Themas rund um die Gewalt im Leben der Frauen im späten 18. Jahrhundert sehr gut lesen.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem historischen Roman 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 27.07.2024
Riviera Express - Dynamit in der Villa Nobel
Meier, Stephan R.

Riviera Express - Dynamit in der Villa Nobel


gut

San Remo - die durch ihr Musikfestival bekannte Blumenstadt an der italienischen Riviera direkt an der Grenze zu Frankreich gelegen, wird von einem brutalen Mord erschüttert. Der bekannte Rechtsanwalt Mario Boeri liegt tot im Garten der Villa von Alfred Nobel, in seinem Mund eine Stange Dynamit.

Der neue Chef der Polizia die Stato, der Kriminalpolizei, Commissario Tomas Gallo, beginnt gemeinsam mit seinem Team die Ermittlungen. Recht bald ist klar, dass die Stange Dynamit nur eine Attrappe ist. Doch was sind die Hintergründe zu diesem Mord? Und spielt der Selbstmord von Boeris Klientin direkt vor dessen Kanzlei eine Rolle? Und wenn ja, welche?

Je tiefer er in die Geschäfte der Anwaltskanzlei eindringt, desto komplexer wird der Fall.

Meine Meinung:

Zunächst einmal ist das Setting in San Remo sehr ansprechend. Die Idee hat mir in ihrer Komplexität auch sehr gut gefallen und die Charaktere sind gut ausgearbeitet. Zwar werden einmal die Klischees des nervenden Vorgesetzten sowie des ungewöhnlichen Ermittlers inklusive eines Mitarbeiters mit einer Inselbegabung bemüht, doch passen die Charaktere recht gut zusammen.

Nervig hingegen ist, und das kostet den 4. Stern, dass das handelnde Personal mehrmals sogar mit dem selben Wortlaut vorgestellt wird. Wir Leser können und das schon merken, dass Gallo ein Spross einer uralten Adelsfamilie ist und mit vollem Namen Tomaso Galimberti della Casa heißt. Oder dass Sub-Commissario Antonio Rubbano ein sogenannter Savant ist, der nicht nur über ein fotografisches Gedächtnis verfügt, Gallo unbedingt loyal gegenüber ist, und seine Rituale braucht, um gute Arbeit leisten zu können. Das muss nicht mehrmals extra wiederholt werden, zumal am Ende des Krimi die Charaktere nochmals detailliert beschrieben aufgelistet sind. Solche dramatis personae wären zu Beginn des Krimis nützlicher.

Die Handlung selbst ist komplex und wir Leser wissen immer ein wenig mehr als der Commissario. Auch deswegen, weil es in kursiver Schrift Einschübe gibt, die zunächst nicht ganz einzuordnen sind, aber im Laufe der Ereignisse sehr gt zusammengeführt werden.

Der Krimi bietet hohe Spannung und unterhält durch die wechselnden Schauplätze (Gallo macht auch einen Abstecher ins französische Menton) sowie durch die Komplexität der Handlung.

Fazit:

Ein komplexer Fall, der so manchen Abgrund aufzeigt. Wegen der nervigen Wiederholungen (siehe oben) ziehe ich den 4. Stern wieder ab, daher nur 3 Sterne.