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gst
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pirna

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Insgesamt 201 Bewertungen
Bewertung vom 13.09.2020
Kalmann
Schmidt, Joachim B.

Kalmann


gut

Der Sheriff von Raufarhöfn

„Ich denke, es kommt der Moment im Leben, wo man nichts Neues mehr wissen muss, weil man einfach alles schon mal gehört hat“ denkt sich Kalmann auf Seite 347. Der von Geburt an behinderte junge Mann ist inzwischen 33 und lebt allein in Großvaters Häuschen. Das steht im Norden von Island, genauer in Raufarhöfn, einem 173 Einwohner zählenden Ort.

Kalmann hat von seinem Vater, einem Amerikaner, dem er nur einmal im Leben begegnete, einen Cowboyhut, eine Mauser und einen Sheriffstern bekommen; Dinge, die er gern zur Schau stellt und die ihm den Namen „Sheriff von Raufarhöfn“ eingebracht haben. Da die Mutter in einiger Entfernung als Krankenschwester Geld verdient, wurde der Großvater zu Kalmanns Dreh- und Angelpunkt. Von ihm hat er viel gelernt, doch inzwischen musste der demenzbedingt ins Pflegeheim umziehen. So hat es Kalmann übernommen, den besten Gammelhai der Region herzustellen. Auf dem Meer fühlt er sich wohl, da kann er seinen Gedanken freien Lauf lassen. Er denkt viel nach über die Bewohner seines Heimatortes und wie es wäre, eine Frau zu haben.

Eines Tages entdeckt er auf einer Wanderung eine Blutlache im Schnee. Wahrscheinlich stammt sie von Róbert McKanzie, denn der ist unauffindbar. Das bringt Kalmann in arge Bedrängnis, denn jeder will Einzelheiten von ihm wissen.

Der Autor lässt uns Leser die ganze Situation aus Kalmanns Sicht erleben, was ich anfangs als sehr gelungen empfand. Doch im Laufe des Buches langweilte mich diese Sichtweise, der Autor verlor meine Aufmerksamkeit und meine Begeisterung für diese wahrlich verrückte Buchidee.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.09.2020
Das Haus in der Claremont Street
Carolsfeld, Wiebke von

Das Haus in der Claremont Street


weniger gut

Familienprobleme

Tom ist neun Jahre alt, als seine Eltern in seiner Nähe auf grausame Weise sterben. Kein Wunder, dass er traumatisiert ist und ab diesem Zeitpunkt sein Sprechen einstellt und zum Bettnässer wird. Zum Glück hatte seine Mutter Geschwister (zwei Schwestern und ein einen Bruder) , die sich nun um ihn kümmern. Allerdings nicht sehr erfolgreich.

Ein spannendes Thema! Ich wollte gern wissen, wie die in Kanada lebende Autorin es umsetzt. Leider hat sie mich nicht richtig erreicht.

Schon bei der Trauerfeier für Toms Eltern werden die Menschen vorgestellt, die zu seinen nächsten Vertrauenspersonen werden wollen. In meinen Augen waren es zu viele, so dass ich schnell den Überblick verlor. Das hat sich zwar im Laufe der gut 350 Seiten relativiert, aber die Freude an dem in gut lesbarer Sprache geschriebenen Buch kam nicht mehr so richtig auf und wurde zudem von der überbordenden Dramatik getrübt.

Man merkt, dass die Autorin im Filmgeschäft arbeitet. Ich konnte mir die einzelnen Passagen gut vorstellen, allerdings fühlte ich mich von der Vielzahl der Probleme erschlagen. Dass die einzelnen Protagonisten mit Schuldgefühlen kämpften, passte noch ganz gut. Auch ihre Überforderung angesichts der schwierigen Situation war nachvollziehbar. Doch dass auch noch ein unerfüllter Kinderwunsch, Spielsucht, Lebensuntüchtigkeit dazukam, war mir einfach zuviel. Auch fehlte mir der im Klappentext versprochene Humor, weshalb ich dieses Buch nur mit zwei Sternen versehen kann.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.08.2020
Zugvögel
McConaghy, Charlotte

Zugvögel


ausgezeichnet

Einmal um die halbe Welt

Franny, Mitte dreißig, ist eine äußerst rätselhaft Frau. Sie hält es nirgendwo lange aus, wirkt wie eine Getriebene. Als Vogelliebhaberin hat sie sich zum Ziel gesetzt, die letzten Seeschwalben auf ihrem Flug von Grönland in die Antarktis zu begleiten. Dazu heuert sie auf einem Fischereischiff an. Noch weiß die Crew nicht, dass sie mit einem falschen Pass reist.

Die australische Autorin hat ihren Roman in nicht allzu ferner Zukunft angesiedelt, in der schon viele Tiere ausgestorben sind. Auch die Seeschwalben werden bald verschwunden sein, denn die Fische, die sie auf ihrem weiten Flug ernähren, werden immer weniger. Zeitsprünge in die Vergangenheit geben nach und nach Aufschluss über Frannys Leben. Wie in einem mühsam zusammengesetzten Puzzle entsteht zum Schluss das schlüssige Bild einer außergewöhnlichen, durch Schicksalsschläge geprägten Frau.

Der Autorin ist es gelungen, mich regelrecht durch ihr spannendes Buch zu treiben. Während ich auf die einen Fragen Antworten fand, taten sich neue auf. Verrückte Wendungen – manche etwas realitätsfern – wirkten auf mich zwar märchenhaft, doch das hat meinem Lesevergnügen keinen Abbruch beschert. Insgesamt ist das Setting durchaus vorstellbar:

„Gerade jetzt sterben wieder Tausende von Spezies, ohne dass ihnen jemand Beachtung schenkt. Wir rotten sie aus. Lebewesen, die gelernt haben, alles und jedes zu überleben, alles, nur nicht uns.“ (Seite 74).

Fazit: Ein lesenswertes Buch mit einem ansprechenden Cover, das nicht nur Liebhabern von Dystopien gefallen dürfte und hervorragend in die heutige Zeit passt.

@gst

Bewertung vom 24.08.2020
Afghanistans verborgene Töchter
Nordberg, Jenny

Afghanistans verborgene Töchter


ausgezeichnet

Spannend und aufwühlend!

Aufgerollt an der Geschichte von Azita, die es bis zur Abgeordneten in Kabul gebracht hat, erzählt uns Jenny Nordberg in diesem Buch von afghanischen Frauenschicksalen. Sie führt uns in eine völlig fremde Kultur ein und ich hatte beim Lesen das Gefühl, mich plötzlich im Mittelalter zu befinden. Mädchen gelten in diesem Land oft als „dumm von Geburt“ und auf Seite 64 steht, dass Frauen „nicht vernunftbegabt“ sind und daher „einem Tier gleich kommen“.

„In Afghanistan muss man sein Inneres abtöten und sich an die Gesellschaft anpassen. Nur so kann man überleben“ (Seite 88).

Die einzige Aufgabe von Frauen ist das Gebären vieler Nachkommen („alles vor der Pubertät dient nur der Vorbereitung auf die Fortpflanzung“ - Seite 42) und Töchter gelten weniger als Söhne. Familien mit vielen Mädchen und keinem Sohn kommen ins gesellschaftliche Abseits, werden denunziert. Um dieser Brandmarkung zu entgehen, wird eines der Mädchen in Jungenkleider gesteckt und bekommt all die Freiheiten der männlichen Nachkommen. Sie dürfen unbeschwert draußen spielen, Sport treiben, andere offen anschauen und lernen, sich ungehindert durch Konventionen in der Gesellschaft zu bewegen. Erst mit Beginn der Pubertät werden diese basha posh zurückverwandelt und müssen sich dann ins Haus zurückziehen, um ihren weiblichen Charakter zu entwickeln.

Die Autorin hat sich mit unterschiedlichen Altersgruppen unterhalten. Während sie kleine Wildfänge nur von außen beobachtete, erfuhr sie von Jugendlichen, die sich weigerten, zu Mädchen zu werden. Zahra möchte beispielsweise nie eine afghanische Frau werden. „Das sind Bürger zweiter Klasse“, erklärt sie, „immer an die Männer gebunden und von ihnen beherrscht.“ Manche dieser basha posh müssen, wenn sie von den Eltern verheiratet werden, sehr mühsam das Frausein lernen. So wie Shukria, die plötzlich nur noch in Burka auf die Straße darf, aber dennoch wegen ihrer guten Ausbildung als Krankenschwester den Unterhalt der Familie bestreitet. Nader dagegen hat es geschafft, auch als 35jährige noch „frei“ zu sein. Heiraten will sie nicht: „Ich will in kein Gefängnis“ (Seite 252).

Dank gründlicher Recherche und dem Versuch einer Analyse von allgemeinen Unterschieden zwischen Mann und Frau ist der Autorin ein umfassendes Werk gelungen. Sie hat das Phänomen geschichtlich und geografisch aufgegriffen und erklärt, warum in Ländern mit strenger Geschlechtertrennung Frauen der Weg zur Bildung verwehrt wird.

Dieses Buch hat mich tief beeindruckt. Anfangs konnte ich nur kleine Abschnitte verdauen, doch ab etwa der Hälfte las ich es wie einen spannenden Krimi. Ich habe sehr viel neues über eine mir völlig fremde Kultur erfahren und möchte es nicht nur Frauen ans Herz legen, die mit ihrem Leben unzufrieden sind.

Bewertung vom 03.08.2020
Der letzte Satz
Seethaler, Robert

Der letzte Satz


gut

Gustav Mahlers letzte Reise

Wie fühlt sich ein Mann, der spürt, dass seine letzte Stunde naht? Robert Seethaler versucht sich in diesem Büchlein dem Komponisten und Dirigenten Gustav Mahler anzunähern. Dazu greift er diverse Erinnerungen an ein relativ kurzes, dafür intensives Musikerleben heraus. Die könnten den Fiebernden auf seiner letzten Ozeanüberquerung begleitet haben. Während sich seine Frau Alma und die Tochter Anna im Schiffsrumpf vergnügen, sitzt er warm eingehüllt und von einem Schiffsjungen umsorgt an Deck und sinniert über sein Leben nach.

Sicher ist das auch eine Art, eine Biografie zu schreiben. Doch mir war das zu wenig. Mich hat das Büchlein allerdings neugierig darauf gemacht, mehr über Mahlers Leben zu erfahren. Denn hier sind nur wenige Abschnitte erwähnt und die für meinen Geschmack zu kurz, zu oberflächlich. Bei mir entstanden mehr Fragen als Antworten; was ich schade fand.

Lag das an meinen Erwartungen? Eigentlich verspricht der Titel genau das, was im Buch beschrieben ist: Die Entstehung des letzten Satzes. Nachdem die Sprache des Autors gut zu lesen war, gebe ich ihm gerne nochmal eine Chance. Dies war mein erstes Buch von Robert Seethaler, dessen bisher erschienen Bücher bei den meisten Lesern sehr gut ankamen. Mal sehen, ob ich mit ihm auch warm werde.

Bewertung vom 27.07.2020
Die Dirigentin
Peters, Maria

Die Dirigentin


sehr gut

Eine starke Frau

„Männer wollen keine Frauen über sich haben, das ist das Problem“ (Seite 269)

Vor hundert Jahren hatten es Frauen in Männerberufen noch unendlich schwer. Die Herren der Schöpfung hatten Angst um ihre Macht und ihr Ansehen und liebten Frauen, die sie anhimmelten. Dass Frauen auch Talente haben, davon wollten sie nichts hören.

Ein leuchtendes Beispiel zeigt Maria Peters in ihrem Roman über Antonia Brico, die in einer Einwandererfamilie unter einer herrschsüchtigen Adoptiv-Mutter aufgewachsen ist. Schon früh musste sie Geld dazu verdienen und landete dabei am Theater, wo sie als Willy Wolters bereits davon träumte, eines Tages ein Orchester zu dirigieren.

Die Niederländerin Maria Peters, die das Leben der Antonia Brico auch verfilmt hat, versucht sich in ihrem Roman durch die Ich-Perspektive der Innenansicht ihrer Protagonisten zu nähern. Ungewöhnlich dabei ist, dass sie dabei zwischen Willy/Antonia, Robin und Frank wechselt.

Den nicht gerade einfachen Werdegang der von zwei Männern geliebten Ausnahmekünstlerin habe ich gerne verfolgt. Dabei konnte ich sehen, wie ihr ein extremer Arbeitseifer half, dem Ziel näher zu kommen. Ich genoss das Eintauchen in eine Zeit, in der eine Reise von Amerika nach Europa noch zwei Wochen dauerte und habe voller Spannung miterlebt, wie Antonia Brico nach ihren Wurzeln suchte. In meinen Augen hat die Autorin ein gelungenes Porträt geschaffen.

Bewertung vom 24.07.2020
Zwei fremde Leben
Goldammer, Frank

Zwei fremde Leben


sehr gut

Irrwege

März 1973 in Dresden. Ricarda, die Tochter von Chefarzt Raspe, entbindet. Doch ihr Kind überlebt nicht. Am selben Abend bringt Thomas Rust seine Frau Heike mit vorzeitigen Wehen ins Krankenhaus. Er selbst darf nur zur Besuchszeit eintreten, weshalb er bis früh morgens frierend vor der Klinik herumlungert und ein Auto mit Berliner Kennzeichen wegfahren sieht. Als er von dem verstorbenen Baby hört, wird der Polizist, der sich selbst als Busfahrer ausgibt, hellhörig und beginnt zu recherchieren.

Auch Ricarda hat von Zwangsadoptionen gehört und verdächtigt ihren Vater, ihre Tochter weiterverkauft zu haben. Zwanzig Jahre lang kommt sie nicht zur Ruhe, überwirft sich mit den Eltern und zerstört ihre Ehe. Nach der Wende – die jüngere Tochter studiert im Westen – eröffnen sich ihr nochmal neue Möglichkeiten für die Suche nach der Wahrheit.

Claudia aus Berlin ist 16, als sie aus Jux und Tollerei versucht, 1989 über Ungarn in den Westen zu fliehen. Die Enttäuschung ihrer gutsituierten Eltern führt zur Offenbarung durch die Mutter, als sie von der Polizei nach Hause zurückgebracht wird: „Du bist adoptiert“,

Als Leser begleiten wir abwechselnd die Protagonisten, hoffen und leiden mit ihnen, um zum Schluss von der Wahrheit überrascht zu werden.

Sehr gut hat mir die Darstellung der Zustände in der DDR mit all den Problemen, die manche Menschen noch heute umtreiben, gefallen. Da stapeln sich beispielsweise die Glühbirnen auf dem Tisch des Hausmeisters: „Erst gibt‘s monatelang keine, dann bekommst Du 200 auf einmal und weißt nicht, wohin damit.“ Die herrschende Wohnungsnot in Dresden führte noch 1973 dazu, dass sich zwei Parteien eine Wohnung teilten. Die Empfindlichkeiten zwischen Ost und West, die teilweise noch heute thematisiert werden, sind ebenso wenig ausgeklammert wie die menschenverachtende Berichterstattung der Bildzeitung. Und wer es noch nicht weiß, kann sich schlau machen, was es mit den Abkürzungen MfS, KaKo und IM auf sich hat.

Fazit: Goldammer hat nicht nur einen interessanten Krimi geschrieben, sondern gleichzeitig Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Geschichte von Ost- und Westdeutschland aufgezeigt.

Bewertung vom 05.07.2020
HOLIDAY Reisebuch: Wo Deutschland am schönsten ist
Klemmer, Axel

HOLIDAY Reisebuch: Wo Deutschland am schönsten ist


gut

Kompakt und übersichtlich
Im Coronajahr 2020 kommt dieser Reiseführer über Deutschlands schönste Ausflugsziele gerade zur rechten Zeit. Denn auch bei uns gibt es wunderbare Ecken, die eine Reise wert sind.
Das über 700 Gramm schwere Buch ist übersichtlich nach Bundesländern aufgeteilt, mit vielen einladendenen Bildern versehen. Schon die Coverinnenseite dient der Orientierung. Hier findet man eine Karte mit allen 16 Bundesländer und auf welchen Seiten sie zu finden sind.
Das größte Bundesland Bayern bietet beispielsweise 122 der deutschlandweit 1000 Tipps. Ebenso wie in all den anderen Bundesländern sind die unterteilt in Sehenswürdigkeiten, ausgewählte Übernachtungsmöglichkeiten und urtümliche Gaststätten, alle mit Internetadressen zur weiteren Informationsbeschaffung versehen. Ebenso wie die Ausgeh- und Einkaufstipps und die diversen Feste erfährt der werte Leser, wo sich ein kurzer oder auch längerer Aufenthalt lohnt.
Allerdings ist dieser Ratgeber eher eine Vorspeise, die Lust auf mehr machen soll. Denn angesichts der Vielzahl von Möglichkeiten können die bunten Bilder mit den kurzen Texten nur einen kurzen Appetithappen darstellen. Wer sich auf den Weg machen will, sollte sich schon zusätzliche Informationen beschaffen. Wo er die bekommt, steht bei all den Beschreibungen dabei.
15 Euro sind für dieses umfassende Ideenwerk ein angemessener Preis. Die Verarbeitung des Buches mit Hochglanzcover ist gut. Mir ist es trotz eifrigen Stöberns in diesem mit 480 relativ dicken Taschenbuch nicht gelungen, Leserillen im Buchrücken zu generieren. Auf jeden Fall lädt das Werk zum Träumen von ereignisreichen Urlaubstagen ein.

Bewertung vom 13.04.2020
Die Detektive vom Bhoot-Basar
Anappara, Deepa

Die Detektive vom Bhoot-Basar


ausgezeichnet

Was als harmlose Erzählung von Kindern beginnt, weitet sich zum Schluss zu einem wahren Thriller aus. Die Spannung steigert sich mit jedem neuen Abschnitt.
Jai ist zehn Jahre alt und wohnt in der Armensiedlung einer größeren indischen Stadt. Gerne schaut er Polizei-Dokus im Fernsehen. Als ein Kind aus seinem Basti verschwindet, beginnt er zusammen mit seiner Freundin Pari und Faiz, dem Jungen, der mehr arbeitet als in die Schule zu gehen, sein Halbwissen anzuwenden.
Der Roman gibt tiefe Einblicke in das armselige Leben im Basti. Der lebensbehindernde Smog kommt ebenso zur Sprache wie Kinder, die mithelfen, den Lebensunterhalt der Familie zu verdienen. Humorvolle Szenen wechseln sich mit bestürzenden Realitäten ab.
Deepa Anappara hat als Journalistin direkt in den Armenvierteln recherchiert. So gelang ihr in diesem Debütroman eine sehr authentische Wiedergabe der Gegebenheiten.
Mir hat der Schreibstil der Autorin gut gefallen. Die Spannung steigerte sich nach und nach und zeigte, wie wenig die arme Bevölkerung von der Polizei wahrgenommen wird.

Bewertung vom 05.04.2020
Die Tanzenden (eBook, ePUB)
Mas, Victoria

Die Tanzenden (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Frauen als Ausstellungsstücke
In diesem Buch mit dem federleichten Cover schreibt Veronika Mas in sanfter Sprache eine Geschichte aus einer schwierigen Zeit: 1885 wurden aufmüpfige Frauen von dominanten Männern in die Salpêtrière, eine Pariser Irrenanstalt, eingewiesen. Zu Mittfasten fand dort jährlich ein Fest statt, zu der sich die gehobene Pariser Gesellschaft die Hysterikerinnen aus der Nähe ansah. Ein Ereignis, das auch für viele der eingesperrten Mädchen und Frauen ein Höhepunkt des Jahres war.

Die 17jährige Louise, die in Vorlesungen mit Hypnose zu Anfällen gebracht wird, ist davon überzeugt, zum diesjährigen Fest von einem jungen Arzt befreit zu werden.

Eugénie, Tochter aus gutem Haus, hat eine besondere Gabe, die der Familie, vor allem dem Vater, so gar nicht gefällt. Die Frau, die mehr vom Leben erwartet als geheiratet zu werden, wird wenige Tage vor dem Fest ebenfalls in die Salpêtrière eingeliefert, wo sie der Oberaufseherin Geneviève beweist, dass sie nicht verrückt ist. Wird es ihr gelingen, die Irrenanstalt eines Tages wieder zu verlassen?

Mich hat an diesem Buch vor allem die Sprache beeindruckt, die im Gegensatz zum Geschehen so leicht und poetisch ist. Der Autorin gelingt es mit Worten Stimmungen lebendig werden zu lassen: „In der Anstalt herrscht drückende Langeweile. Man schleppt sich durch den Tag, spricht mit jeder, die willens ist zuzuhören, streift durch den Raum, spielt lustlos Karten, betrachtet sein Bild in der Fensterscheibe oder flicht sich gegenseitig die Haare.“ (Seite 39) oder „Es gibt wenige Gefühle, die schmerzlicher sind, als die eigenen Eltern altern zu sehen und festzustellen, dass eine immerwährende Gebrechlichkeit an die Stelle der Kraft tritt, die einst Personen verkörperten, welche man für unsterblich hielt.“ (Seite 160) Auch Beschreibungen über das erwachende Paris oder die Stimmung im Ballsaal haben mich tief beeindruckt.

Fazit: Ein zu recht hochgelobtes Debüt der 1987 geborenen Französin, die damit zeigt, dass es schon immer mutige Frauen gab. Lesenswert!