Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
marcialoup

Bewertungen

Insgesamt 114 Bewertungen
Bewertung vom 19.09.2022
Freizeit
Kaspari, Carla

Freizeit


gut

Wort-Schatz

Das Cover: zwei Farben, darin ein wie mit dem Finger gezeichnetes einzelnes Wort in weiß: Freizeit. Diese Freizeit in grün und blau gehaltenem Hintergrund läßt etwas fröhliches unbeschwertes erwarten - grün wie die Natur, blau wie der Himmel oder das Meer – frei sein – Freizeit – Freiheit! Das Cover ist ansprechend, aber auch klar und doch wieder verschwiegen, was wird wohl dahinter stecken auf den nächsten Seiten?
Und dann findet man einen überraschend wortgewaltigen Roman. Carla Kaspari wendet in ihrem Roman einen umfangreichen Wortschatz an, der sich trotzdem flüssig liest und Spaß macht. Ihre Protagonistin Franziska ist eine junge Frau, die ihren Kopf durchsetzt und der Leser geht ihren Weg mit ihr.
Franziska ist Werbetexterin, schreibt aber auch selbst an einem Manuskript, das durch Geschehnisse, Beobachtungen und Betrachtungen in und um ihr eigenes Leben herum wächst. So liest man immer wieder Zeilen aus Franziskas Feder, die an Intensität gewinnen, die aber mit einer Distanz bedient werden, die Franziska selbst außen vor läßt.
So entsteht nebenbei ein Buch im Buch mit zwei Geschichten, wobei die eine nicht ohne die andere entstehen würde.
Franziska‘s Leben selbst bringt das Wort Freizeit nicht ganz auf den Punkt. Ich würde eher sagen, sie ist nach einer gescheiterten Beziehung auf der Suche nach Sinn und nach sich selbst, trödelt ohne Pläne in die Tage hinein, läßt sich treiben und auch gern von den Social-Medias ablenken. Der Geschichte hätte ein bißchen mehr Tiefgang gut getan.
Sehr gefallen hat mir auf jeden Fall die schöne, abwechslungsreiche und intelligente Sprache, die allein schon die Punkte wert ist!

Bewertung vom 19.09.2022
Drei Tage im August
Stern, Anne

Drei Tage im August


sehr gut

Zuckersüß und bitterfein...

Elfie, Ende 30 und Prokuristin der Pralinenmanufaktur Sawade, kämpft in sich noch hin und wieder mit den Dämonen ihrer Kindheit, den tiefsitzenden Ängsten, beigebracht durch ihre Großmutter, bei der sie aufgewachsen ist.
Nur in ihrem Pralinenladen werden die Dämonen vom Duft feinster Schokolade vertrieben. Die kleinen Kunst"stücke" sind Trost und Schmeichel für Gaumen und Seele.
Und dann ist da noch Franz Marcus, der in einem ganz anderen Metier auf ähnliche Art und Weise die ersten Momente in seinem Laden erspürt und genießt – in seiner Buchhandlung. Zwischen Büchern und Buchseiten in Geschichten zu versinken hilft, die aktuellen Gegebenheiten im Außen verblassen zu lassen. Damals wie heute...
Die Geschichte von Elfie ist überschattet von den Vorläufern des zweiten Weltkriegs. Die Kapitel erzählen die Geschichten der Pralinenmanufaktur Sawade, der Buchhandlung um Franz Marcus, des Museums von Erwin Pazunke und das Leben der alten Dame Madame Conte, deren Erzählungen Elfie gebannt lauscht und einer zuckersüßen Liebesgeschichte auf die Spur kommt. Außerdem schwebt noch ein Geheimnis einer speziellen Pralinenrezeptur über den Linden, die Elfie wiederbeleben möchte.
Und zwischendurch immer wieder ein Kapitel, das wie ein leiser Windhauch durch die Prachtallee „Unter den Linden“ hindurch weht, die Bäume, die ihre Geschichten in den Wind flüstern über raschelndes Blätterwerk, konstant, beobachtend, Veränderungen erspürend, beschützend, Schatten und Trost spendend.
Das Buch, mit schönem Cover von Kakaobohnen und dunkelrosa verzierten Randseiten, verführt mit seinen sinnlichen Beschreibungen der Pralinen und Schokoladen dazu, am liebsten sofort selbst zu probieren und es kann gut sein, dass die Pralinenmanufaktur Sawade dadurch ein paar Bestellungen mehr verzeichnen darf…
Meine Empfehlung!

Bewertung vom 19.09.2022
SCHNEE
Sigurdardóttir, Yrsa

SCHNEE


sehr gut

Spürbar kalt

Es ist mein erstes Buch von Yrsa Sigurdardóttir. Dieses Cover hat mich sofort beeindruckt: schlicht, schwarz-weiß und gerade deshalb anziehend tiefgängig.

Im Prolog lernen wir Kolbeinn kennen. Nach dem Hausverkauf seiner Eltern finden die neuen Hausbesitzer bei Ausgrabungen im Garten einen rosa Kinderschuh. Warum rosa? Kolbeinn hat nur einen Bruder… Kurz darauf erleidet seine Mutter einen Herzinfarkt und sie möchte ihre Kinder - Kolbeinn, seinen Bruder und seine Schwester - noch einmal sehen. Wieso Schwester? Kolbeinn weiß nichts von einer Schwester…

Tjörvi, Dröfn, Bjólfur und Agnes sind mit Haukur ins isländische Hochland gefahren – mitten im Winter… Schwarze lange Nächte im Kontrast zu weißem, klirrend kaltem Schnee. Haukur muss an einer Messstation etwas erledigen und nimmt zu der ungewöhnlichen Tour gern abenteuerlustige Touristen mit.

Jóhanna und Þórir sind Teil eines Rettungsteams, das die vermissten Personen im isländischen Hochland finden soll. Sie stoßen auf eine eingeschneite Hütte, in der alles so aussieht, als sei sie gerade im Moment erst verlassen worden. Doch wo sind Tjörvi, Dröfn, Bjólfur, Agnes und Haukur?

An der nahegelegenen Radarstation, die nur von zwei Leuten betrieben wird, ereignen sich mysteriöse Dinge an der Türsprechanlage.

Was hat es mit dem rosa Kinderschuh auf sich? Wie sind diese Geschichten miteinander verknüpft? Sind sie das überhaupt?
Die Autorin versteht es brilliant, den Leser tief in die Geschichten hineinzuziehen.
Ich bin schon auf den ersten Seiten in Island angekommen und stapfe mit durch den spürbar kalten Schnee … Spannung in purer Landschaft!

Bewertung vom 19.09.2022
Kochen am offenen Herzen
Strohe, Max

Kochen am offenen Herzen


ausgezeichnet

Es ist angerichtet...

Locker leicht und fluffig - wie ein warmes Brioche mit knusprigem Rand aber auch vielen harten Nüssen darin - beschreibt Max Strohe das Leben des Ich-Erzählers und der Text fließt julienne-geschnitten in verschiedenen Lebensabschnitten durch die Augen des Lesers geschmeidig wie Öl über ein Salatblatt.

Max Strohe hat seine Lebensgeschichte geschrieben, in Ich-Form, in Wahrheit und in Fiktion. Toll! Mag ich total gern und war schon auf den ersten Seiten (nicht nur kulinarisch) eingefangen. Man fragt sich zwischendurch schon, welche Teile Fiktion sind…
Der Vater (sein leiblicher) - den Max auf einer New-York-Reise kennenlernt – er bleibt der Vater und wird im Verlauf immer nur der Vater genannt.
Seine Ausbildung zum Koch begann Max eher aus Mangel an Alternativen für sein Leben. Er bricht die erste Ausbildung in seinem Heimatort aber auch bald wieder ab und beendet sie später in der gehobenen Gastronomie von Hohenzollern.
Man is(s)t und wird nicht einfach so Koch. Es ist Berufung aus innerer Leidenschaft, (was man vielleicht erst später so versteht). Max durchläuft die harte Schule der Kochausbildung, aber es bleibt noch ein langer Weg bis zu seinem eigenen Restaurant in Berlin.
Bekannt aus TV-Sendungen wie z.B. Kitchen impossible, wo Max sich schon einigen Duellen mit Tim Mälzer gestellt hat – klar möchte man mehr über sein Leben erfahren.

Kochen am offenen Herzen ist ein vielsagender Titel, der auf die Tiefe der Situationen im Roman hinweist bzw. auf nicht nur zuckersüße Lebensmomente.
Kochen am offenen Herzen hätte nicht treffender als Titel gewählt werden können. Und dann erzählt er… schnörkellos, schonungslos und gerade heraus.

Fazit: einfach mal lesen – vielleicht zum Dessert!