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Bewertungen
Insgesamt 612 BewertungenBewertung vom 04.01.2017 | ||
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Als Christoph Rehage 2007 in Peking die junge Chinesin Juli kennenlernt, treffen zwei temperamentvolle Persönlichkeiten aufeinander. Mit Rehage geht gern einmal das ungarische Temperament seiner Mutter durch; Juli stammt aus Sichuan, wo die Frauen ebenso feurig sein sollen wie das Essen. Für den Beginn einer Beziehung ist es genau der falsche Moment; denn Rehage hat die Regeln für seine geplante Wanderung von Peking ins niedersächsische Bad Nenndorf bereits festgelegt: ohne Tricks die gesamte Strecke zu Fuß gehen, keinen Alkohol und jeden Tag das Erlebte bloggen. Über die Tour, die "Leike" (chinesisch Eroberer des Donners) dann doch in Ürümqi abbrach, gibt es bereits den Bildband "China zu Fuß". Wer den Bildband kennt, hat dort die wichtigen Wandergefährten Rehages kennengelernt, Onkel Shen, der nach seiner Pensionierung eine Radtour durch China unternimmt und Lehrer Xie, seit 25 Jahren mit einer Art Schäferkarren unterwegs. Im Reisebericht kommt noch Zhu Hui dazu, der selbst aus Ürümqi stammt. Noch in den ersten Tagen sagt Rehage ein Tempelorakel voraus "Du wirst deine Ziele erreichen, deine Geschäfte werden von Erfolg gekrönt sein, und deine Nachkommen werden einen Universitätsabschluss haben." Wenn davon nur Vater Rehage in Deutschland und Juli zu überzeugen wären, die inzwischen in München studiert. Rehage hat Sinologie studiert und in Peking eine Ausbildung als Kamermann absolviert. Der hochgewachsene Deutsche mit der wuchernden Haar- und Bartpracht bringt optimale Voraussetzungen für seine Unternehmung mit: er spricht Chinesisch, hat im Studium chinesische Geschichte gelernt und sieht den Alltag seines Gastlandes mit dem Blick des Fotografen. Auf seiner Tour wird Rehage immer wieder von Privatleuten aufgenommen, weil es in den kleinen Orten kein Gasthaus und erst recht kein Hotel gibt. Er übernachtet in Arbeiterwohnheimen, in einer Lößhöhle und immer wieder im Zelt. Die Fürsorglichkeit und Anteilnahme der Menschen zieht sich wie ein roter Faden durch Rehages Erlebnisse. "Nimm die Medikamente gegen deine Erkältung, am besten nimmst du die chinesische und die westliche Medizin immer abwechselnd," rät der Mann am Kiosk. Ein Vater schickt seinen Sohn, um Rehage auf einer Tagesstrecke zu begleiten, damit der Junge mit dem Fremden sein Englisch übt. Rehage kämpft gegen lädierte Füße, gegen seine Schüchternheit und hin und wieder mit Ausbrüchen seines ungarischen Temperaments. Doch schließlich muss er sich den Sandstürmen der Wüste Gobi stellen und sich entscheiden, was aus ihm und Juli werden soll. Der Abschnitt seiner Tour, der Rehage in den Westen Chinas führt, hat mich am stärksten beeindruckt. |
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Bewertung vom 04.01.2017 | ||
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Als mittleres von fünf Kindern hat Nele Wieland es sicher nicht leicht gehabt. Den Anforderungen ihres Vaters, eines Patriarchen wie aus dem Bilderbuch, konnte keines der Kinder genügen. Alle Kinder wurden ins Internat geschickt. Von den Söhnen sollte einer Vaters Nachfolger in der Baustoffhandlung werden, einer sollte ein Studium abschließen und auch die Ehemänner der Töchter und Enkelinnen sollten hautpsächlich Herwig Wielands Vorstellungen entsprechen. (Die erste ungeplante Enkeltochter Annabelle lebte wie ein sechstes Kind bei den Wielands.) "Hero" Wielands Träume konnten seine Kinder nicht für ihn verwirklichen. Zur Hochzeit des jüngsten Wieland-Sohnes Johannes auf Mallorca ist Nele nicht gekommen und erzählt nun aus der Ferne die Familiengeschichte. Sie selbst erfüllt sich mit einem Sprachkurs in Italien einen Traum. Die Hochzeit verläuft nicht so feudal wie vermutet. Die Braut ist hochschwanger, das Hotel, in dem gefeiert wird, gehört sowieso ihrem Vater - und Hero ist schwer krank. Gerade bis zur Hochzeit hielt die Fassade der großen Familie, von der Hero sich einmal Schutz und Sicherheit erhoffte. |
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Bewertung vom 04.01.2017 | ||
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Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm 1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich. |
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Bewertung vom 04.01.2017 | ||
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Kinder wie Jaffy Brown lernen im London des 19. Jahrhunderts auf der Straße fürs Leben. Der Achtjährige teilt sich mit seiner Mutter ein Zimmer mit zwei Prostituerten, für die er gegen Bezahlung Botengänge übernimmt. Schmutzig, hungrig und barfuß sucht der Junge in den offenen Abwasserkanälen nach Penny-Stücken. Über dem Viertel nördlich der Themse, das später East End genannt wird, hängen die Gerüche der Gerbereien wie eine Glocke. Jaffy wird mitten auf der Straße von einem gewaltigen bengalischen Tiger geschnappt und ein Stück mitgeschleift. Dieses (historisch belegte) Ereignis führt zur Bekanntschaft des Jungen mit dem Tierhändler Mr Jamrach, der Jaffy Arbeit in seiner Menagerie verschafft (die ebenfalls ein historisches Vorbild hat). Das Mistschaufeln übernimmt Jaffy zusätzlich zu seinem Job als Schankjunge im Spoony Sailor. Vom Besitzer des Pubs erhält Jaffy ein Paar Schuhe - vermutlich die ersten seines Lebens. Jaffys Kollege in Jamrachs Menagerie ist Tim Linver. Vom ersten Tag an kann der Junge sich darüber aufregen, dass Tim nur arbeitet, wenn der Chef gerade hersieht und trotzdem von beiden den besseren Job im Büro ergattert. Jaffy hegt erbitterte Eifersucht gegen Tim und ist dennoch fasziniert von dessen Entschluss zur See zu fahren wie seine Brüder. |
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Bewertung vom 04.01.2017 | ||
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Claire Vaye Watkins stammt aus der unmittelbaren Umgebung des Death Valley und der Stadt Las Vegas. Die Wüste Nevadas und die Schicksale von Glückssuchern der Vergangenheit und Gegenwart sind Themen ihrer Erzählungen. Im Mittelpunkt des Bandes steht mit einem Umfang von 60 Seiten das Schicksal der Brüder Erol und Joshua, die vom Goldrausch angesteckt, aus Ohio nach Kalifornien kommen (Die Gräber). Erol will reich werden, um Marjorie heiraten zu können. Der Ich-Erzähler Joshua rettet durch seine Vorahnungen sich und seinen Bruder vor dem Tod in einem Schneesturm. Wenn Joshua übersinnliche Fähigkeiten hat, sollte er doch wohl eine Goldader finden und damit den Brüdern die endlose Qual schmerzender Knochen, von Läusebissen und Angst vor Grizzly-Bären ersparen können? Um sich selbst zu retten, müsste Joshua den vor Gier wahnsinnigen Erol alleinlassen. Aber wie könnte er mit dieser Nachricht seiner Mutter entgegentreten? |
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Bewertung vom 04.01.2017 | ||
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Lee Roy Sears ist als Veteran des Vietnamkriegs versehrt und drogenabhängig in seine Heimat zurückkehrt. Aus der Armee wird Sears nach einer Prügelei unehrenhaft entlassen und 1983 wegen Mord zum Tode verurteilt. Sears hat die Tat begangen, doch das Urteil ist angesichts der schwachen Beweislage ungerecht. Sears' Pflichtverteidiger vermasselt den Fall, weil er das Zusammenwirken von Sears Posttraumatischer Belastungsstörung und Agent Orange vor Gericht nicht plausibel darlegen kann. Als Sears angeklagt wird, sind in den USA bereits kritische Zeitungsartikel erschienen über den Zusammenhang zwischen der auffälligen Gewaltneigung unter Vietnam-Veteranen, ihrer PTBS und der Wirkung des von den US-Streitkräften in Vietnam eingesetzten Entlaubungsmittels. Der Jurist Michael O'Meara erreicht als ehrenamtlicher Vertreter einer Bürgerrechtsinitiative wegen Verfahrensmängeln für Sears die Umwandlung der Todesstrafe in eine lebenslange Haftstrafe. Sears wird überraschend nach wenigen Jahren aus der Haft entlassen, weil er sich im Gefängnis therapiewillig und gottesfürchtig gegeben hat. Michael ist inzwischen in der Rechtsabteilung eines Pharmakonzerns beruflich aufgestiegen, Vater eines Zwillingspaars und von der Freilassung seines damaligen Schützlings ziemlich überrumpelt. |
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Bewertung vom 04.01.2017 | ||
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LG;-) Wie wir vor lauter Kommunizieren unser Leben verpassen (eBook, ePUB) An einem Vierertisch im ICE treffen Anna und ihre Mutter Ulla zufällig mit Markus zusammen. Markus und Anna drängten bereits mit dem Smartphone am Ohr in den Zug. Anders als Ulla fühlt die junge Generation sich während der Bahnfahrt verpflichtet, für Kollegen und Freunde telefonisch und per Mail erreichbar zu sein. Seit Markus und sein Geschäftspartner Julian von zwei Wohnorten aus gemeinsam Social-Media-Auftritte organisieren, ist für Markus die Bahn Arbeitsplatz. Markus, der Vater eines kleinen Sohnes ist, fühlt sich in dieser Zeit von privaten Anrufen seiner Frau gestört. Auf Facebook unterwegs zu sein ist für Markus und Julian keine Freizeitbeschäftigung. Der persönliche Vorteil, von überall aus arbeiten und kommunizieren zu können, wird von "kreativ Tätigen" mit der Fron der Präsenzpflicht und der nicht endenden Suche nach Kontakten und Impulsen erkauft. Mit Anfang dreißig hat Markus bereits einen Zusammenbruch hinter sich, nach außen mühsam mit dem neuen Euphemismus "Infektionskrankheit" für Burnout kaschiert. - Anna ist teils beruflich, teils privat unterwegs, stets "auf 14 Kanälen zu erreichen". Sie hat sich selbst den Druck auferlegt, rund um die Uhr die Statusmeldungen ihrer virtuellen Existenzen sofort abzurufen und darauf zu reagieren. Sichtlich genervt, versucht Anna zwischen den Funklöchern auf der Bahnstrecke einige für Außenstehende banal klingende Telefongespräche zu führen. Außer der Suche nach einer Netzverbindung, vordergründig höflich sucht sie die Verbindung vom Gang aus, hat Anna nach einigen Stunden Fahrt noch nichts erledigt und nur weinge Sätze mit ihrer Mutter gesprochen. Auch Annas Privatleben findet im Social Web statt, dort hält sie Kontakt zu einem alten Freund und einer neuen Flamme. In Annas Leben sind die Menschen zu Jenga-Klötzen geworden, die ständig neu gestapelt werden und in jedem Moment das Bauwerk zum Einsturz bringen können. - Nina Pauer (Jahrgang 1982) stellte schon als Achtjährige fest, dass Besitz zur Voraussetzung für Kommunikation werden kann. Als ihr Brieffreund ihr von "Zelda" berichtet, kann sie nur mithilfe der Erklärung des Konsolenspiels durch ihren Klassenkameraden Martin ihre Wissenslücke vertuschen. Den Gameboy erlebt Pauer damals als "ein Jungsding", dessen Besitzer mehr wissen und einfach besser sind. Bereits in Pauers Jugend bahnt sich die Entscheidungsschwäche an, die wir an Anna und Markus beobachten konnten. Alle Augenblicke des Lebens wurden als groß und mitteilenswert genug angesehen, um auf VHS aufgezeichent zu werden. In Annas Leben werden Momente allein dadurch wichtig, dass sie mit anderen geteilt werden. Die Kommunikation über das, was man vielleicht einmal miteinander tun könnte, frisst Annas Freizeit, in der sie im realen Leben Freunde treffen könnte. ... Nina Pauer konfrontiert uns mit einer Generation der Patchwork-Identitäten, die mittels moderner Kommuikationsmethoden Entscheidungen in Beziehungen bis zur letzten Minute hinauszögert, um die ultimative, wirklich wichtige Begegnung nicht zu verpassen. Das Taktieren um den richtigen Zeitpunkt ersetzt in Annas Leben längst reale Kontakte. Annas Situation schreibt die Autorin nicht weiter fort. Falls Anna sich denn dazu entscheiden könnte, wird eines Tages ihr Kind erleben, dass seine Mutter ihm nicht ins Gesicht sieht, während sie mit ihm spricht und dabei in ein kleines Kästchen tippt. - Die launige Bestandsaufnahme unterhält, trägt zum Überwinden des Grabens zwischen Moloch und Pampa jedoch wenig bei. Dazu müssten die Gegenspieler der Hauptfiguren (Markus Frau Lena und Ulla) als ernstzunehmende Gesprächspartner und weniger klischeehaft dargestellt sein. |
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Bewertung vom 04.01.2017 | ||
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Zwei Erzählungen - zwei unterschiedliche Milieus. Kurz vor der Invasion der USA in den Irak (2003) sind einige junge Leute, teils schon angetrunken, in Tokio unterwegs. Ein Mann und eine Frau treffen sich während einer Performance ausländischer Künstler. "Hier war eben Japan." (S. 33) Die kulturellen Unterschiede zwischen Japan und der westlichen Welt werden durch die Performance deutlich und in der unterschiedlichen Art, in der in Japan und anderswo gegen den bevorstehenden Krieg demonstriert wird. Ohne die ausländischen Besucher wäre der Irak-Krieg in Japan ein Thema weniger Demonstranten geblieben. Das Paar, das sich hier zum ersten Mal trifft, stellt sich einander noch nicht einmal vor, Miffy nennt einer von beiden sich mit seinem Usernamen. Beiläufig und beinahe wortlos, als würden sie nur ein Bier miteinander trinken, landen die zwei in einem Taxi nach Shibuya, um dort in einem Love-Hotel einzuchecken. Eigentlich gehört es sich nicht, dass der Taxifahrer so genau mitbekommt, was sie vorhaben, aber sehr wichtig scheint ihnen die Wahrung der Fassade nicht zu sein. Vier Nächte und fünf Tage verbringen die beiden ohne Kontakt nach außen im Hotel, das sie nur verlassen, um eine Kleinigkeit zu essen zu kaufen. Länger hätte das gemeinsame Geld nicht gereicht. Man könnte auf die Idee kommen, dass das Paar erst Sex haben muss, um danach miteinander reden zu können. Als sie das Hotel verlassen, hat der Irakkrieg begonnen; die Beziehung der beiden ist zu Ende. - Die zweite Geschichte erzählt Okada aus der Sicht einer Frau, die aus der Vogelperspektive beschreibt, was ihr abwesender Mann gerade tut. Die beiden sind um die dreißig und führen eine (für Japan klassische?) Beziehung, in der der Mann Geld zu verdienen hat und seine Frau das Recht beansprucht, an seinen Ernährer-Qualitäten herumzunörgeln. Die Icherzählerin hängt zu Hause herum und wird sich später krank melden, weil sie zu ihrem Job in einem Callcenter keine besondere Lust hat. Ihr Mann arbeitet nachts als Koch und beginnt jeden Morgen sehr zeitig seinen zweiten Job in einem Drogeriemarkt, ohne zwischendurch zum Schlafen nach Hause zu kommen. Die "Dankbarkeit" seiner Frau drückt sich in den Nachrichten aus, die sie ihm auf sein Handy schickt. Das trübselige Zimmer, das beide bewohnen, wird beherrscht vom Laptop der Frau, mit dem sie ständig online ist auf der Suche nach interessanten Blogs. Am liebsten liest sie Blogs von Menschen, die wie sie selbst mit schwierigen Kunden zu tun haben. Sie kann dabei nicht von der Idee lassen, dass auch ihr Mann bloggt und sie erfahren würde, was er über sie denkt, wenn sie nur sein Blog finden könnte. Wenn die Erzählerin zwischendurch ihren Mann aus der Vogelperspektive beobachtet, wie er mit dem Kopf auf der Theke seines Restaurants schläft, fragt man sich, wann der arme Mann zwischen seinen Jobs die Zeit zum Bloggen finden soll. - Beide Erzählungen treten durch die gewundenen, endlos wirkenden Sätze hervor, die in eigenartigem Kontrast zu den banalen Ereignissen stehen, die sie beschreiben. Erzähler, Erzählperspektiven und die Tonlage wechseln häufig, ohne dass sofort klar ist, wer gerade erzählt. Aus einigen Szenen tritt der Beobachter förmlich heraus und in Distanz zum Geschehen. - Der schmale Band ist Lesern mit Interesse am modernen Japan empfohlen. |
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Bewertung vom 04.01.2017 | ||
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Yu Huas Konzentration auf zehn chinesische Begriffe ist ein Hingucker - und sie irritiert auf den ersten Blick durch die ungewöhnlich Auswahl der Wörter. Nicht "Liebe", "Drache" oder "Reich der Mitte", Yu Hua betitelt seine biografischen Notizen u. a. mit "Unterschied", "Graswurzeln" und "Gebirgsdorf". Der chinesische Autor sieht seine 2009 entstandenen Texte als Ergänzung zu seinem Roman Brüder (2009). Dieser Roman sei aus dem Zusammenprall zweier Epochen entstanden, die sich in Europa über 400 Jahre erstreckten und in China auf 40 Jahre komprimiert waren. Aktuelle Probleme Chinas gleich zu Beginn mit der Figur Maos und den Ereignissen auf dem Platz des Himmlischen Friedens (1989) erklären zu wollen, mag zunächst rückwärtsgewandt wirken. Um zu verstehen, aus welchem kleinen Jungen später der Mann werden sollte, der u. a. Der Mann, der sein Blut verkaufte (2000) schrieb, ist der Blick zurück in die Mao-Zeit unerlässlich. Yu Huas Generation lernte in der Schule "Mao" und "Volk" pinseln, noch ehe sie ihren eigenen Namen schreiben konnten und damit zuerst die Stereotypen ihrer Zeit. Das sehr persönliche Kapitel "Lesen" hat mich neben Yu Huas hochironischer Beschreibung des Raubtierkapitalismus chinesischer Prägung am stärksten beeindruckt. Die Szene, in der nach Jahren der Bücherzerstörung während der Kulturrevolution endlich wieder Klassiker zu kaufen waren und die Menschen schon nachts anstanden, um einen der nur 50 Bezugsscheine (für die ganze Stadt) zu ergattern, waren für mich Grundlage zum Verständnis der Romane Yu Huas. Im Kapitel "Schreiben" erläutert Yu Hua, warum blutige und gewalttätige Szenen in seinem Werk so breiten Raum einnehmen. Die Entwicklung vom Barfuß-Zahnarzt, dem von einem älteren Kollegen innerhalb von drei Tagen das Zähneziehen beigebracht wurde, erleichtert das Verständnis einiger Romanszenen, die manchem grotesk überzeichnet vorkommen werden. Mit "Unterschied", Yu Huas Beschreibung des tiefen Grabens in der chinesischen Gesellschaft zwischen Arm und Reich und "Gebirgsdorf", der Beschönigung krimineller Taten aller Art, nimmt Yu Huas ironische Darstellung des modernen China einen deutlich kritischen Ton an. Eng verknüpft ist seine Ironie mit der Uneindeutigkeit der chinesischen Sprache, mit der man verschlüssselt etwas ausdrücken und zugleich darauf vertrauen kann, dass das Gegenüber ahnt, was man in Wirklichkeit sagen will. 1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich. |
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