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sleepwalker

Bewertungen

Insgesamt 467 Bewertungen
Bewertung vom 21.06.2022
Meeressarg / Fabian Risk Bd.6
Ahnhem, Stefan

Meeressarg / Fabian Risk Bd.6


ausgezeichnet

Kurz gesagt: „Meeressarg“ war mein erstes Buch von Stefan Ahnhem – aber ganz sicher nicht mein letztes. Da ich in vielen Rezensionen gelesen habe, man könne den sechsten Band um den schwedischen Polizisten Fabian Risk nur mit Vorkenntnissen aus den anderen Teilen der Serie lesen und verstehen, war ich sehr unsicher und habe mir bei meinem dänischen Streaming-Anbieter auch schon die anderen fünf Teile besorgt, aber meine Befürchtungen haben sich als unnötig herausgestellt. Ja, vielleicht hätten mir Vorkenntnisse mehr Einblick gegeben, vor allem, da Fabian Risk in „Meeressarg“ keine so große Rolle spielt, aber meine Begeisterung für das Buch ist auch so groß und ich werde auf jeden Fall die anderen Bücher des Autors auch noch lesen.
Eher zufällig finden zwei Paddler einen versenkten Mercedes mit zwei Leichen im Hafenbecken von Kopenhagen. Der Mann auf dem Fahrersitz stellt sich als hoher Beamter heraus, die junge Frau auf dem Rücksitz ist nackt und kann zuerst nicht identifiziert werden. Während der Mann offenbar erschossen wurde, weist sie Würgemale am Hals auf. Der junge Ermittler Jan Hesk wird mit der Leitung der Ermittlungen betraut, aber nicht, weil er der beste Mann für diese Aufgabe ist, sondern eher das Gegenteil. Denn nach und nach kommen die Verstrickung seines Vorgesetzten Kim Sleizner in kriminelle Machenschaften ans Licht und dieser hat die Hoffnung, dank eines eher unerfahrenen Kollegen wieder mal unbehelligt aus der Sache rauszukommen. Aber ihm sind bereits andere auf den Fersen: die ehemalige Polizistin Dunja Hougard ermittelt privat mit ein paar Helfern gegen ihn und möchte ihm endlich das Handwerk legen. Denn Sleizner steckt bis über beide Ohren in einem Sumpf aus Korruption und Gewalt. Und dann kommt auch noch Fabian Risk aus Schweden nach Kopenhagen und hat den Tod seines Sohnes in einem dänischen Gefängnis zu verarbeiten. Hat Sleizner damit auch etwas zu tun? So ganz kann Risk nämlich die Geschichte vom Selbstmord des 16jährigen Theo nicht glauben. Und sehr schnell schaukelt sich alles hoch und die Situation wird für einige der Beteiligten lebensgefährlich.
Und für die Leserschaft vor allem gegen Ende unerträglich spannend, zumindest ging es mir so. Während ich am Anfang noch gerätselt habe, wo mich das Buch wohl hinführen wird und die Spannung ein bisschen brauchte, um sich aufzubauen, so war ich nach etwa hundert Seiten komplett in der Geschichte gefangen und konnte das Buch kaum noch aus der Hand legen. Die verschiedenen Handlungsstränge mit den unterschiedlichen Perspektiven finde ich sehr clever miteinander kombiniert, was dem Spannungsbogen zusätzlich zugutekommt. Die Charaktere finde ich gut ausgearbeitet, wobei das Buch für mich keinen wirklichen Protagonisten hat, eher ein gleichberechtigtes Nebeneinander. Unterschiedliche Charakterzüge wie die Naivität von Jan Hesk (er freut sich so sehr über seinen ersten eigenen Fall und dass er nicht merkt, dass ihn sein Chef nur als trotteliges Mittel zum Zweck sieht), die Verbissenheit von Dunja Hougard und Fabian Risk (sie sind auf einem Rachefeldzug gegen Kim Sleizner und möchten ihn zur Strecke bringen, wobei Fabian Risk dazu noch um seinen Sohn trauert) bieten einen interessanten Kontrast. Dazu dann auch noch Kim Sleizner, „ein durch und durch böser Mensch“ – das alles gibt dem Thriller auch noch eine gewisse psychologische Note.
Sprachlich fand ich das Buch gut zu lesen, allerdings sind ein paar Dialoge auf Englisch, was mich persönlich nicht gestört hat. Die dänischen Namen von Straßen und Stadtteilen brachten mich zum Schmunzeln, da mein bester Freund in Kopenhagen wohnt. Ja, das Ende ist vielleicht ein bisschen sehr vorhersehbar und manche Szenen sind eventuell zu brutal ausgearbeitet. Aber es ist ein Thriller und damit musste ich rechnen. Für den hohen Spannungsfaktor und die clever psychologische Komponente und die gute Unterhaltung, die mir das Buch geboten hat, vergebe ich fünf Sterne und mache mich jetzt an die Lektüre der anderen Teile der Rei

Bewertung vom 17.06.2022
Hier geht's lang!
Heidenreich, Elke

Hier geht's lang!


ausgezeichnet

Um Elke Heidenreichs Buch „Hier geht’s lang“ eine lohnende Lektüre zu finden, muss man die Autorin nicht mögen. So ging es mir auf jeden Fall. Es war mein erstes Buch der Autorin und ich denke ernsthaft darüber nach, noch mehr von ihr zu lesen. Denn die Reise durch ihr Leben anhand der Bücher, die sie im entsprechenden Lebensabschnitt gelesen hat, hat mich nicht nur gut unterhalten, ich habe mich in vielem wiedergefunden.
Aber von vorn.
Elke Heidenreich ist inzwischen fast 80 Jahre alt, wuchs in einem Haushalt mit nur wenigen Büchern auf, und trotzdem weist unsere literarische Playlist einige Parallelen auf („Ich suchte mir meine Freunde, Geschwister, Familie in den Geschichten.“). Bei mir liegt es übrigens daran, dass mein kindlicher Lesegeschmack durch meine Oma (Jahrgang 1913) geprägt wurde. So lasen Elke Heidenreich und ich nicht nur Enid Blytons Abenteuergeschichten, sondern auch Margot Trotts „Försters Pucki“, Else Urys „Nesthäkchen“ und Emmy von Rhodens „Trotzkopf“. Und natürlich dürfen auch Astrid Lindgren und Selma Lagerlöf in diesem Reigen nicht fehlen. Fazit: unsere Kindheiten waren (abgesehen von Karl May) überwiegend von weiblichen Autorinnen geprägt. „Mädchen konnten ruhig auch Jungsbücher lesen, aber nie hätte man einen Jungen mit einem ausgewiesenen Mädchenbuch erwischt.“ Wir bekamen also „brave Mädchen“ und wilde Jungs in Buchform vorgesetzt und mussten unseren eigenen Weg finden. Literarisch und persönlich.
Obwohl unsere Herangehensweise an Bücher völlig verschieden ist, führten unsere Wege uns nach den Kinderbüchern zuerst einmal zu Hans Falladas „Kleiner Mann – was nun“. Während ich dann aber eher in der Trivialliteratur verblieb, begann sie ein Germanistikstudium, las die wichtigen Werke der Weltliteratur, wurde Literaturkritikerin und Moderatorin und liest, anders als ich, „ernsthaft“. Und dennoch fühlte ich mich mit ihrem Buch irgendwie verstanden. Die Wandlung, die das Lesen im Laufe eines Lebens erfährt („Als Kind liest man neugierig und entdeckt die Welt, dann sucht man sich selbst, dann das unbegreiflich Andere, man liest aus Pflicht, aus Bildungshunger, aus Unterhaltungslust.“), dass Bücher in unterschiedlichen Lebensphasen unterschiedlich gedeutet werden („Um manches zu verstehen, braucht man eine gewisse Erfahrung.“) und dass ein Roman, von dem man in der Pubertät denk „Der handelt ja von mir!“ zwanzig Jahre später ein völlig andere Buch sein kann („es ging überhaupt nicht um mich!) – die Erfahrung hat wohl jeder Lesende schon gemacht.
Andere ihrer Erfahrungen kann ich nicht teilen. So ist mir das Geschlecht eines Verfassers nach wie vor völlig egal, ich kann mich mit jeglichem (gut beschriebenen) Protagonisten identifizieren und kann mich in die Geschichte einleben, egal, ob Verfasser oder Protagonist weiblich oder männlich gelesen sind. Aber natürlich kann ich jeden verstehen, dem die Sichtbarkeit der Frauen in der Weltliteratur ein Anliegen ist. Ich habe bei der Lektüre von „Hier geht’s lang“ aber mein Haupt-Augenmerk weniger auf den Feminismus denn auf Elke Heidenreichs Leben und ihre Leseliste gelegt – und beides hat mich angesprochen. Vor allem ihre Aussagen zur dänischen Autorin Tove Ditlevsen trafen bei mir einen Nerv.
Auch sprachlich fand ich ihr Buch sehr ansprechend, locker und bis auf ein paar sehr spezielle Ausdrücke (Was sind denn eigentlich „Norwegerstöcke?“ – ich kenne höchstens Nordic Walking Stöcke) sehr bodenständig geschrieben und leicht zu lesen. Das „Ausrichten“ ihrer Lebensgeschichte an der Literaturliste fand ich gelungen und ich habe diese besondere Art der Autobiografie sehr gerne gelesen, vor allem auch, weil ich ihre absolute Liebe zur Literatur in jeder Zeile herauslesen konnte. Daher vergebe ich fünf Sterne und empfehle es gerne weiter.

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Bewertung vom 14.06.2022
Die Tochter des Präsidenten
Clinton, Bill;Patterson, James

Die Tochter des Präsidenten


ausgezeichnet

Nach „The president is missing“ haben Bill Clinton und James Patterson mit „Die Tochter des Präsidenten“ ihren zweiten gemeinsamen Politthriller vorgelegt, sonst haben die beiden Bücher allerdings nichts miteinander zu tun. Zwei Jahre nach seinem Ausscheiden aus dem Amt, sieht sich der ehemalige Präsident der Vereinigten Staaten Matthew Keating der Rache eines alten Bekannten ausgesetzt. Da er seinerzeit den Angriff befohlen hat, bei dem Frau und die drei Töchter von Asim al-Aschid zu Tode kamen, schlägt dieser nun zurück und befiehlt die Entführung von Keatings 19jähriger Tochter Mel. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt.

Aber von vorn.

Von vorn? Nein. Das war’s nämlich. Das Buch besteht einerseits aus der Entführung von Mel Keating durch einen islamistischen „Achse des Bösen“- Terroristen, politischem Machtgeplänkel zwischen dem ehemaligen Präsidenten und seiner Nachfolgerin und irgendwie mischt auch der chinesische Machthaber mit. Die amerikanische Seite ist die strahlend gute, der Rest ist Böse – da gibt es nichts dazwischen. Dieses schwarz-weiß mit der Glorifizierung der amerikanischen Streitkräfte („»… der heutige nächtliche Einsatz von Kräften der United States Navy erfolgte auf meinen Befehl und wurde in ihrer typischen Art hervorragend und tapfer ausgeführt. […] Die Navy hat Vorbildliches geleistet und ihren Auftrag glänzend ausgeführt.«“) störte mich an manchen Stellen und ist aus praktisch jedem amerikanischen Thriller bekannt. Wie oft haben wir schon einen (ehemaligen) US-Elite-Soldaten erlebt, der die Welt retten muss? Da erfinden auch James Patterson und Bill Clinton das Rad nicht neu. Aber, wie schon mein ehemaliger Dozent sagte: jede Geschichte wurde schon einmal erzählt, aber aus einem anderen Blickwinkel.

Alleinstellungsmerkmal an diesem Thriller ist daher eindeutig der Einblick, den der ehemalige US-Präsident Bill Clinton in die Vorgänge im Oval Office gibt. Diese fand ich sehr authentisch und berührend, manchmal menschelt es sehr, im positiven wie auch im negativen Sinne. So hat Matt Keating es nicht leicht, von seiner Nachfolgerin Unterstützung bei der Suche nach seiner Tochter und deren Rettung zu bekommen. Politische Machtspielchen sind da an der Tagesordnung. Sicherlich sehr realistisch, denn nach der Wahl ist immer vor der Wahl. Und „Die Wähler mögen keine F**kups“, wie der Mann von Keatings Nachfolgerin konstatiert. Diese Einblicke fand ich sehr spannend, spannender als die Entführungsgeschichte an sich, denn die fand ich zu abgedroschen und ausgelutscht. Ach ja, der Mann von Pamela Barnes nennt Samantha, Keatings Ehefrau eine „B**ch*, was mich direkt zur Sprache bringt, die das Buch ausmacht.

Sie ist einfach, derb und manchmal so simpel wie die Geschichte an sich. Die Charaktere fand ich ebenfalls nicht wirklich gut ausgearbeitet, sie bestechen eher dadurch, dass sie stereotyp und plakativ sind und jedes Klischee bedienen, sei es Rassismus oder Misogynie. Wirklichen Tiefgang haben nur die Protagonisten, den Rest kann man getrost unter "ferner liefen" verbuchen. Punkten konnte das Autorenduo bei mir zwar mit den zahlreichen verschiedenen Erzählperspektiven, aber auch das konnte bei mir die Spannung nicht wirklich aufbauen. Der Schluss hat mich nicht überrascht, natürlich war er stimmig, aber insgesamt zu vorhersehbar. Dabei hätte die Geschichte trotz ihrer Abgedroschenheit Potential geboten, das auszuschöpfen hätte ich von James Patterson eigentlich erwartet. Aber er und sein Co-Autor hangeln sich an Bewährtem entlang und dann kommt auch nur Altbekanntes heraus: ein Buch, das über ein „unterhaltsam“ nicht hinauskommt und von mir daher 2,5 Sterne bekommt, aufgerundet auf drei. Trotz allem könnte ich mir das Buch als Film sehr gut vorstellen, bei Matthew Keating hatte ich auf jeden Fall immer den jungen Harrison Ford in „Air Force One“ vor dem inneren Auge.

Bewertung vom 07.06.2022
Schliemann und das Gold von Troja
Vorpahl, Frank

Schliemann und das Gold von Troja


ausgezeichnet

Ja, ich gebe es zu: ich habe trotz der Bemühungen meines Vaters von Homer noch nie mehr als ein paar Seiten gelesen und Schwabs „Die Sagen des klassischen Altertums“ gingen mehr oder weniger vollständig an mir vorbei. Durch Frank Vorpahls „Schliemann und das Gold von Troja“ habe ich gehofft, ein bisschen mehr Zugang zu den „ollen Griechen“ zu bekommen. Fan werde ich auf meine alten Tage wohl keiner mehr, aber gelernt habe ich einiges über Schliemann, sein Leben, seine Persönlichkeit und seine Projekte. Das Buch war unterhaltsam, informativ und manchmal sogar spannend – die Lesezeit war auf jeden Fall nicht vergeudet.
Aber von vorn.
Heinrich Schliemann hat es geschafft. Durch Fleiß, Ehrgeiz, (Sprach-)Begabung und ein Quäntchen Glück wurde er vom Kaufmannsgehilfen erst zum erfolgreichen internationalen Geschäftsmann, dann zum autodidaktischen Archäologen, der es sogar schafft, ohne Abitur in Archäologie zu promoviert zu werden. Er war ein wissensdurstiger und lernhungriger Weltenbummler mit einem sehr großen Ego – und mir dadurch reichlich unsympathisch. Frank Vorpahl beschreibt, wie Schliemann im Selbststudium mehrere Fremdsprachen lernte, wenn auch sein Altgriechisch wohl eher zu wünschen übrigließ. Er schrieb auf seinen Reisen sein Tagebuch immer in der jeweiligen Landessprache, ein polyglottes Wunderkind eben. Trotz des Ehrgeizes und der großen Geldsummen, die Schliemann in seine archäologischen Forschungen steckte, kam er aber, und das wird in Vorpahls Buch sehr deutlich, über den Status des enthusiastischen Dilettanten nicht hinaus. Und der Rest ist Geschichte: Schliemann fand 1873 in „seinem“ Troja etwas, das er den „Schatz des Priamos“ nennt, inklusive der „Maske des Agamemnon“. Die Funde sind älter als Homers Troja, daher sind sie bis heute umstritten, ebenso ist die Frage, wem die Schätze denn nun gehören (Deutschland, dem Schliemann sie geschenkt hat, Russland, da sie im zweiten Weltkrieg erbeutet hat, oder der Türkei, woher sie ursprünglich stammen?) immer noch ungeklärt.
Alles in allem war die Suche nach dem Schatz von Troja auf jeden Fall spannend und wird meiner Meinung nach von Frank Vorpahl, trotz der Masse an durch Fußnoten belegten Informationen, ab etwa der Hälfte des Buchs sehr mitreißend erzählt. Es ist auch eine gekonnte Beschreibung von Schliemanns Leben und seiner Persönlichkeit. Diese war durch sein stetiges Streben nach Anerkennung geprägt, seiner Besessenheit ordnete er sowohl Familie als auch Gesundheit unter. Er war ein Getriebener, ein Enthusiast und ein wissenschaftlicher Dilettant, der sich bei seinen Forschungen an literarischen Quellen wie der Ilias und der Odyssee von Homer orientierte. Durch die Schlusskapitel schafft Vorpahl den Brückenschlag zum Heute, der politischen Debatte um Beutekunst und Kompensationsforderungen und damit nach dem Ausflug ins Abenteuerliche auch wieder die Rückkehr auf den Boden der Wissenschaft. Denn auch heute wird noch an den Funden von Troja geforscht, vor allem zur Herkunft der Rohstoffe, aus denen die Preziosen gefertigt wurden.
Eine informative Lektüre mit reichlich quellenbasierten Fakten über einen Mann und sein Lebenswerk, wobei letzteres bis heute in der Fachwelt umstritten ist. Zahlreiche Bilder bereichern den Text. Sprachlich fand ich ihn ausgewogen, teils wissenschaftlich, teils aber auch flott und eher wie einen Abenteuerroman. Für mich als Laien auf jeden Fall ein großartiges Buch, für das ich gerne fünf Sterne vergebe.

Bewertung vom 02.06.2022
Die Hohenzollern und die Nazis
Malinowski , Stephan

Die Hohenzollern und die Nazis


ausgezeichnet

Als jemand, der am Fuß von Burg Hohenzollern in Hechingen aufgewachsen ist, hat mich „Die Hohenzollern und die Nazis“ von Stephan Malinowski natürlich sehr interessiert. Und, obwohl es ein Sachbuch ist, hat mich das Buch von der ersten Seite in seinen Bann gezogen. Viel wusste ich über den örtlichen Adel abgesehen von den Besuchen ihrer Burgen in Hechingen und Sigmaringen nicht. Und da ich nicht dabei war und kein Historiker bin, muss ich mich drauf verlassen, dass es stimmt, was Stephan Malinowski schreibt, schließlich hat er jahrelang recherchiert. Daher kann und möchte ich auf den Wahrheitsgehalt seines Buchs nicht eingehen. Fakt ist aber, dass er seine Thesen mit zahlreichen Quellen untermauert. Herausgekommen ist ein lesenswertes Buch über Adel, antidemokratische, antisemitische, reaktionäre und national(sozial)istische Gesinnungen, Geltungssucht und rücksichtsloses Machtstreben.
Aber von vorn.
Der Streit des Hauses Hohenzollern um Entschädigungen für die Besitztümer, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Ostdeutschland, also der Sowjetisch Besetzten Zone, enteignet worden sind, zieht sich nun schon seit 2014 und die Debatte zieht weite Kreise, auch in den Medien. Einer der Gutachter in der Sache ist der Historiker Stephan Malinowski, der im Auftrag des Landes Brandenburg beleuchten sollte, ob und inwiefern Wilhelm Kronprinz von Preußen seinerzeit dem Nationalsozialismus erheblich Vorschub geleistet hat (Titel: „Gutachten zum politischen Verhalten des ehemaligen Kronprinzen Wilhelm Prinz von Preußen (1882-1951)“). Das Gutachten wurde vom Haus Hohenzollern angefochten, das Malinowski (und in anderen Zusammenhängen einige seiner Kollegen) anzeigte. Seine Ergebnisse konnten dem Adelsgeschlecht natürlich nicht gefallen, denn der Historiker kam zum eindeutigen Schluss, dass die Hohenzollern nicht nur nichts gegen den Vormarsch der Nationalsozialisten tat, sondern sogar vielmehr ein „Werbeträger“ für die Nazis war. Schließlich hatte man eines ganz sicher gemeinsam: die Ablehnung der Republik, wobei das Haus Hohenzollern natürlich auf eine Wiederkehr der Monarchie hoffte.
Auch wenn das Haus Hohenzollern mit autorisierten Texten in der Zeit nach 1945 immer wieder versucht hat, die Weste weiß zu waschen und das öffentliche Image aufzupolieren, so zeichnet Stephan Malinowski ein anderes Bild der drei Generationen von 1918 bis heute. Pointiert, brillant und manchmal fast süffisant schreibt er in seinen sechs Kapiteln erst über sehr viel Privatleben, dann aber über „Paktieren“, ja sogar von „Anbiederung bei den Nazis“. Später wurde die Rolle relativiert und als „unbedeutend“ („Der Einfluss des insgesamt unbedeutenden Kronprinzen habe nur einen kurzen Zeitraum umfasst“) dargestellt, in den 1950er Jahren entstand sogar das Narrativ, die Hohenzollern seien ein Teil des Widerstandes gewesen. In seinem Buch stützt sich Malinowski aber überwiegend auf historische Quellen, die die Außenwirkung der Hohenzollern zeigen. Er zitiert Zeitungsartikel und Veröffentlichungen aus dem In- und Ausland, die ihre Nähe zu den Nazis nach 1933 aufzeigen. Bei der Lektüre stellt man fest, dass die Beziehung eine symbiotische war, denn beide Seiten hatten mehr gemeinsam, als die Hohenzollern heute sehen wollen und beide wollten von ihrer Kollaboration auf ihre Weise profitieren.
Wohlformuliert und für ein Sachbuch sehr verständlich geschrieben, zerlegt der Autor die Geschichte der Hohenzollern in ihre (nachweis- und nachvollziehbaren) Einzelteile und zerlegt damit größtenteils ihr Narrativ. Das Hühnchen, das er selbst wegen der Strafanzeige mit den Adligen zu rupfen hat, und das seine Ausführungen vorurteilsbelastet machen könnten, erwähnt er erst gegen Schluss, wo er auf seinen eigenen juristischen Streit mit der Familie eingeht. Sonst bleibt er ausschließlich auf dem Boden der Fakten. Für mich war das Buch eine lohnende und aufschlussreiche Lektüre, die ich für Geschichtsinteressierte gerne weiterempfehle. Von mir fünf Sterne.

Bewertung vom 24.05.2022
Mrs Agatha Christie / Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte Bd.3
Benedict, Marie

Mrs Agatha Christie / Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte Bd.3


gut

Elf Tage war Agatha Christie im Dezember 1926 verschwunden, das Geheimnis ihres Verschwindens nimmt sie mit ins Grab, sie klärt zu Lebzeiten nie auf, wieso sie sich zu diesem Schritt entschlossen hat. Marie Benedict liefert mit „Mrs. Agatha Christie“ eine fiktionale Erklärung, die mich zwiegespalten zurücklässt. Der dritte Teil ihrer Reihe „Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte“ liefert einerseits eine stimmige Erklärung und es könnte damals tatsächlich so abgelaufen sein, andererseits fand ich das Buch aber nicht wirklich gut. Die Handlung mäandert reichlich spannungsarm vor sich hin und zieht sich stellenweise wie Kaugummi. Ich bin beileibe kein Fan der Romane von Agatha Christie und außer den Verfilmungen bekam ich nie Zugang zu den Krimis – daran hat sich auch durch Marie Benedicts Buch nichts geändert.
Das Buch wird in zwei erst zeitlich weit auseinanderliegenden Handlungssträngen erzählt, die einander nach und nach annähern: auf der einen Seite die Entwicklung der Beziehung zwischen den beiden (aus Agathas Sicht in der Ich-Form) ab ihrem ersten Treffen 1912, auf der anderen Seite das, was während des elftägigen Verschwindens passiert (aus der Sicht eines neutralen Erzählers). Die Kapitel wechseln sich im ersten Teil ab, der zweite Teil besteht ausschließlich aus „Gegenwart“ und der letztendlichen Auflösung des „Krimis“.
Den „Vergangenheits-Erzählstrang“ finde ich informativ und packend. Ich habe mitgefiebert, als Agatha Miller bei einem Ball auf den Air Force-Piloten Archibald Christie trifft und sich in ihn verliebt. Auch die Wette zwischen ihr und ihrer Schwester, ob es ihr gelingen könnte, einen Kriminalroman zu schreiben, fand ich sehr spannend. Ihre devote Haltung gegenüber ihrem Mann war anfangs etwas verstörend, die Protagonistinnen ihrer eigenen Romane sind da wesentlich emanzipierter. Aber die Wandlung der Einstellung der Eheleute zueinander von und „Ich verspreche dir, dass du bei mir immer an erster Stelle kommen wirst. Niemand anders als du. Nicht einmal dieses Baby.“ und „Du bedeutest mir alles“ hin zu „Hör auf zu betteln, Agatha. Das macht dich nur noch unattraktiver, als du ohnehin schon bis“ ist wirklich interessant zu verfolgen.
Für mich ist der erste Handlungsstrang auf jeden Fall spannender als der zweite, die Ermittlungen der Polizei im Vermisstenfall, die ich einfach nur schrecklich langatmig fand und die nie wirklich von der Stelle kamen. Mit diesen Abschnitten wollte ich irgendwann einfach nur noch zum Ende kommen und letztendlich habe ich das Interesse an der Auflösung des Falls verloren. Der Schluss ist stimmig und plausibel, kommt mir aber einerseits zu abrupt, andererseits aber dauerte der Weg dahin durch die schleppend verlaufende Suchaktion, die zahlreichen Wiederholungen und die vielen Längen viel zu lang.
Die Charaktere des Buchs fand ich nicht besonders dreidimensional ausgearbeitet. Sie waren für mich, obwohl sicherlich zum Teil authentisch beschrieben, zu wenig greifbar. Vor allem Agatha Christie, die devote Ehefrau, zerrieben zwischen der Liebe und Fürsorge Mann, Kind und Mutter und ihrer Leidenschaft fürs Schreiben, konnte bei mir nicht punkten. Sprachlich fand ich das Buch sehr gut und flüssig zu lesen, wodurch es für mich nicht zu einer kompletten Enttäuschung wurde, aber leider über ein „unterhaltsam“ und „kann man lesen, muss man aber nicht“ nicht hinauskommt. Für mich hat die Autorin es auf jeden Fall nicht geschafft, Biografie und Roman, Fakten und Fiktion zu einer wirklich gelungenen Einheit zu verbinden, von mir daher drei Sterne.

Bewertung vom 18.05.2022
Die andere Schwester / Karlstad-Krimi Bd.2
Mohlin, Peter; Nyström, Peter

Die andere Schwester / Karlstad-Krimi Bd.2


gut

Nach „Der andere Sohn“ hat das Autorenduo Peter Mohlin/Peter Nyström mit „Die andere Schwester“ den zweiten Teil der Serie um den Polizisten John Adderley vorgelegt. Da der erste Teil ein bisschen schwach auf der Brust war, wollte ich der Reihe eine zweite Chance geben, aber wirklich warm wurde ich mit dem Krimi auch nicht. Die Idee hinter der Geschichte fand ich gut, das Buch fängt auch wirklich stark an – und lässt dann noch stärker nach. Die Umsetzung ist eher mäßig und dem Protagonisten kann ich absolut nichts abgewinnen. Daher kommt auch dieses Buch leider für mich über das Prädikat „durchschnittlich“ nicht hinaus.
John Adderley, ehemaliger FBI-Ermittler im Zeugenschutzprogramm, fristet sein Dasein als Fredrik Adamsson in der Schwedischen Provinz, wo er ebenfalls wieder als Polizist arbeitet. Aber die Ermittlungen im aktuellen Mordfall geraten fast zur Nebensache, als Johns Vergangenheit ihn in Form eines nigerianischen Syndikats einholt und er plötzlich wieder in allerhöchster Gefahr schwebt. Die Undercover-Ermittlungen gegen diese Verbrecher waren seinerzeit schiefgegangen und er und sein Kollege Trevor mussten deshalb mit neuen Identitäten ins Zeugenschutzprogramm. Jetzt ist Trevor plötzlich in Schweden und die Nigerianer mit ihm. John hat alle Hände voll zu tun, ihrer beider Leben zu schützen und (mehr nebenher) den Mord an der Geschäftsführerin einer erfolgreichen neuen Dating-App aufzuklären. Die Schwester der Toten ist die Hauptverdächtige, denn die beiden hätten unterschiedlicher nicht sein können. Die ermordete Stella war das Gesicht der Firma, Alicia der programmierende Kopf hinter der App und die beiden verband eine Art Hass-Liebe, ein schwesterliches Verhältnis auf der Basis von Abhängigkeiten und Neid. Und auch Alicia und Stella scheint ihre Vergangenheit einzuholen.
Sprachlich fand ich das Buch sehr gut. Es ist flott und alltagsnah geschrieben, handwerklich sehr gut übersetzt und daher gut zu lesen. Die beiden Handlungsstränge aus den Ermittlungen und Johns Kampf gegen die Nigerianer sind gekonnt miteinander kombiniert und auch die Einsprengsel von Alicias Erinnerungen an ein Ereignis vor acht Jahren geben der Geschichte etwas Pfiff.
Die Charaktere finde ich besser ausgearbeitet als im ersten Teil aber immer noch sehr stereotyp und etwas platt. Vor allem der Protagonist ist für mich kein Sympathieträger und konnte mich mit seiner Art nicht wirklich erreichen. Er ist trotz seiner Kompetenz als Polizist oberflächlich, eigensinnig und lebt und arbeitet nach eigenen Regeln. Schwierig. Und auch Alicia fand ich sehr anstrengend, vor allem ihre Alkohol- und sonstigen Exzesse stießen mich eher ab.
Der Spannungsbogen im Buch ist ein bisschen wie eine Achterbahnfahrt, mal sehr hoch, mal kaum vorhanden, was dazu führt, dass die Geschichte trotz vieler Cliffhanger am Ende der einzelnen Kapitel einige Längen hat, vor allem auch, weil sie extrem konstruiert wirkt. Gegen Ende nimmt die Geschichte dann allerdings Fahrt auf und wird so spannend, dass ich das Buch nichtmehr aus der Hand legen konnte, weil ich unbedingt wissen wollte, wie es endet. Obwohl es der zweite Teil einer Serie ist, kann man ihn auch ohne Vorkenntnisse lesen, eventuelle Wissenslücken werden gekonnt gefüllt und auch Neu-Leser haben keine Probleme mit dem Verständnis. Ein typischer Skandinavien-Krimi ist das Buch für mich allerdings nicht, denn außer den schwedischen Straßen- und Ortsnamen könnte die Geschichte mehr oder weniger überall auf der Welt spielen, Lokalkolorit sucht man hier vergebens.
Insgesamt bin ich von Nordic Noir Krimis Besseres gewohnt, dadurch hat mich das Buch etwas enttäuscht. Trotz der guten Idee und der sprachlichen Finesse kommt es durch die mäßige Umsetzung nicht über einen unterhaltsamen Krimi hinaus. Schade, das Potential zu einem echten Pageturner wäre vorhanden gewesen. Von mir daher wieder nur 3 Sterne.

Bewertung vom 13.05.2022
Gesichter
Ditlevsen, Tove

Gesichter


ausgezeichnet

Tove Ditlevsen kenne ich bereits aus ihrer Kopenhagen-Trilogie. Jetzt ist ihr 1968 veröffentlichter Roman „Gesichter“ in einer neuen Übersetzung erschienen und die autobiografischen Elemente sind auch hier nicht zu übersehen. Die Geschichte der preisgekrönten Schriftstellerin Lise Mundus, die nach einem Selbstmordversuch in der Psychiatrie landet, ist düster, bedrückend und verwirrend. Es ist eine eindrucksvolle Beschreibung dessen, was im Kopf der Protagonistin vorgeht: eine chaotische Welt aus Stimmen und Gesichtern, ein Leben zwischen Halluzinationen und Wirklichkeit, die auch der Leser nicht immer zu durchschauen vermag.

Aber von vorn.
Die vierzigjährige Lise Mundus ist gefangen in der Ehe mit dem notorischen Fremdgänger Gert. Sie hat ein preisgekröntes Kinderbuch geschrieben, das in elf Sprachen übersetzt worden ist, steckt aber seit der Preisverleihung vor zwei Jahren in einer Schreiblockade. Schlafen kann sie nur mithilfe von Schlaftabletten und Angstzustände und Halluzinationen bestimmen ihren Alltag, sodass sie das Haus nicht mehr verlässt („Lise war schon lange nicht mehr auf die Straße gegangen, weil ihr die vielen Gesichter Angst einjagten.“). Auch ihrer Rolle als Mutter dreier Kinder kann sie nicht mehr gerecht werden (ihr Sohn Søren sieht sie sogar als eine böse Märchen-Hexe). Nach einem Selbstmordversuch wird sie in die Psychiatrie eingewiesen, wo ihr Zustand sich verschlechtert, sodass sie nach kurzer Zeit in die geschlossene Abteilung verlegt wird. Auch dort verschwimmen akustische und visuelle Halluzinationen mit der Realität und sie entwickelt Ängste und ein an Verfolgungswahn grenzendes Misstrauen. Nach drei Wochen wird sie jedoch als geheilt entlassen. Allerdings hatte sie „ihre neue, zerbrechliche Wirklichkeit übergestülpt wie eine Schachtel einen Deckel, der ihr nur passte, wenn sie sich anstrengte und ausweitete.“ Das Buch endet mit ihrem Vorsatz, ein Buch für Erwachsene zu schreiben. Morgen dann.
Sprachlich fand ich das Buch (wie alles, was ich von Tove Ditlevsen gelesen habe) sehr poetisch und bildhaft geschrieben. Die Autorin verwendet eine Vielzahl von Metaphern, aber trotzdem ist das Buch sehr prägnant und dicht geschrieben, kein Wort, kein Satz ist zu viel. Die Charaktere sind eher zwei- als dreidimensional. Sie sind mehr Pappkameraden als Persönlichkeiten, so, wie Lise Mundus die Menschen sieht: als jemand, der sich hinter seinem Gesicht wie hinter einer Maske versteckt.

Tove Ditlevsen verarbeitet in ihrem Buch viel mehr als die Erfahrungen mit der Psychose, den dänischen Psychiatrien und vor allem den Psychiatern (Dr. Jørgensen ist einem realen Arzt nachempfunden, der tatsächlich Versuche mit LSD an Patienten durchgeführt hat). Es ist eine Menge Gesellschaftskritik darin versteckt. An der Rolle der Frau in der Gesellschaft („Einige, vor allem Mädchen, mussten die Kindheit ihrer Mutter leben, während ihre eigene in einer geheimen Schublade verstaubte.“) und in der (speziell ihrer eigenen) Ehe, bezeichnend dafür finde ich den Satz, den Gert zu seiner Frau Lise sagt: „Dich kann man als Menschen nur noch schwer ernst nehmen.“
Die Geschichte ist für die Leserschaft so verwirrend und bedrückend wie für die Protagonistin. Die Grenzen zwischen Wahn und Wirklichkeit sind so verschwommen, dass man sich gut vorstellen kann, wie es in ihr aussehen muss. Ein heilloses Durcheinander aus echten und halluzinierten Stimmen und Gesichtern, eine Welt aus Misstrauen, Wahn und dem Wunsch, einfach nur in Ruhe gelassen zu werden („»Lassen Sie mich in Ruhe«, schluchzte sie. »Etwas anderes habe ich nie gewollt. Ich interessiere mich nicht für die Welt. Ich möchte einfach nur schreiben und lesen, ich möchte einfach nur ich selbst sein.“). Wer die Biografie der Verfasserin kennt weiß, dass sie aus eigener Erfahrung schreibt. Und das machte für mich alles noch viel trauriger.
Dennoch habe ich das Buch geradezu verschlungen, vor allem, weil ich ihre bildhafte Sprache zu schätzen gelernt habe. Von mir daher fü

Bewertung vom 10.05.2022
Niemals satt (eBook, ePUB)
Monchi

Niemals satt (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Feine Sahne Fischfilet kannte ich bislang nur dem Namen nach, geschweige denn, dass ich wusste, wer bei der Band singt. Inzwischen weiß ich es besser. Der Sänger heißt Monchi und er lässt uns mit seinem Buch „Niemals satt – Über den Hunger aufs Leben und 182 Kilo auf der Waage“ an seinem Abnehm-Weg teilhaben. Insgesamt fand ich das Buch sehr lesenswert, in vielem habe ich mich wiedererkannt. Monchis Sprache muss man (vermutlich ebenso wie seine Musik) mögen, sonst hat man an dem Buch sicher keine Freude. Aber ich habe mich mit ihm arrangiert und kann sagen eines ganz klar sagen: Monchi scheint im Verlauf seines Buchs nicht nur leichter, sondern auch erwachsener geworden zu sein.
Aber von vorn.
„Ich habe mich nie in erster Linie als Dicker gesehen. […] Das, was ich auf den Rippen habe, ist nicht das, was mich ausmacht.“ – diesen Satz können vermutlich sehr viele übergewichtige Menschen so unterschreiben. Ebenso wie „Lange Zeit hat mich das Übergewicht auch nicht eingeschränkt in dem, was ich machen wollte, oder zumindest habe ich mir das eingeredet.“ Aber Monchi zog bei 182 Kilo die Reißleine, weil ihm aufging, dass ihn das Gewicht nicht nur doch einschränkte, sondern auch sein Leben akut gefährdete („Auch wenn ich mir lange einreden konnte, dass das Fettsein mich nicht einschränkt: Ich merke jetzt eindeutig, dass ich gesundheitlich abbaue.“). Er fand keine passenden Klamotten mehr, zerstörte Betten und Klobrillen und war auf dem besten Weg zu koronaren Herzerkrankungen und Diabetes. Nach einer unerfreulichen Erfahrung mit einer Ernährungsberaterin fand er zu Intervallfasten und Sport und schaffte es, ein Drittel seines Körpergewichts abzunehmen. Am Ende des Buchs kämpft er mit JoJo-Effekt und Haltephase und ich wünsche ihm einfach nur, dass er seinen Weg machen wird.
Es ist ein kurzweiliges, manchmal lustiges und schonungslos ehrliches Buch, in dem Jan Gorkow alias Monchi auch stets ohne Scham mit sich selbst ins Gericht geht. „Manchmal komm ich mir im Leben schlau vor und manchmal einfach nur extrem dumm. Erst in den letzten Monaten habe ich gerafft, dass auch mein übermäßiger Alkoholkonsum mich dick gemacht hat. Da die Erkenntnis, dass auch Alkohol Kalorien hat, mir nach fast 20 Jahren regelmäßigem Suff erst mit 32 Lenzen kommt, fällt hundertprozentig unter die Kategorie: Wie selten dämlich bin ich eigentlich?“ Seine Wortwahl ist derb, sprachlich ist das Buch ganz sicher nicht „feine Sahne“, außerdem ist für mich ist ein bisschen viel „Digger“ und „Diggi“ drin. Aber es ist auch sehr viel Kampf, Selbsterkenntnis und Disziplin drin.
Monchi schont sich auch nicht, als er über seine Hooligan-Vergangenheit spricht, was der Teil seines Buchs ist, den ich am wenigsten nachvollziehen kann. Aber seine Abnehmgeschichte kann ich nachfühlen und seinen Kampf konnte ich in jedem einzelnen Satz spüren und nicken und denken „ja, das kenne ich“. Selbst das absichtliche Erbrechen, das er laut eigener Aussage acht Mal praktiziert hat. Essen aus Stress, Langeweile, Frust, Traurigkeit und so weiter, Cheatdays, Fressattacken – ja, nicht nur Magersucht und Bulimie sind Ess-Störungen, auch Fress-Sucht oder Binge-Eating sind Krankheiten und keine Form von Disziplinlosigkeit!
Das Buch ist mit Sicherheit keine große Literatur, aber wenn Monchi es mit seinen eigenen Erkenntnissen schafft, dass auch nur ein einziger Mensch sein Essverhalten und damit auch sein Leben ändert, dann hat er eine Menge damit erreicht. Natürlich handelt das Buch nicht nur vom Abnehmen, sondern auch viel von Feine Sahne Fischfilet, dem Leben auf Tournee, Hansa Rostock und Monchis Leben, sodass es abgesehen von der Abnehmgeschichte meiner Meinung nach eher etwas für Fans und Kenner ist. Aber insgesamt beeindruckt mich die Entwicklung des inzwischen 34jährigen Verfassers vom Hooligan zu einem reflektierten Erwachsenen, der sich über die Konsequenzen seiner Handlungen bewusst ist. Hut ab und von mir dafür fünf Sterne.

Bewertung vom 06.05.2022
Dein dunkelstes Geheimnis
Blackhurst, Jenny

Dein dunkelstes Geheimnis


sehr gut

Was für eine Achterbahnfahrt! Anders kann ich „Dein dunkelstes Geheimnis“ von Jenny Blackhurst nicht beschreiben. Der Psychothriller hat mich gefesselt und gut unterhalten. Wären weniger Fehler drin und würde das männliche Geschlechtsteil nicht konstant als „Schw…“ bezeichnet, hätte mir das Buch allerdings noch besser gefallen. Doch abgesehen davon fand ich es bis auf ein paar Schwächen gelungen.
Aber von vorn.
Kathryn hasst ihren Vater Patrick jetzt schon seit über 25 Jahren. Damals hatte er gestanden, ihre beste Freundin, die fünfjährige Elsie, ermordet zu haben. Er wurde zu lebenslänglicher Haft verurteilt und sie möchte bei ihren monatlichen Besuchen bei ihm mit der stetig wiederkehrenden Frage „Wo ist sie?“ erfahren, wo er die Leiche versteckt hat. Trotz seines Geständnisses konnte der Fall bislang nicht aufgeklärt werden, ja es ist noch nicht einmal sicher, ob Elsie überhaupt tot ist. Das Leben der damals fünfjährigen Kathryn wurde durch dieses Ereignis komplett durcheinandergewirbelt. Ihre Mutter Jill zog mit ihr und ihrem älteren Bruder Jordan mehrfach um, später entwickelte sie ein Alkoholproblem, das sie mithilfe einer Therapeutin in den Griff bekommen möchte. Sie hat nur noch sporadisch Kontakt zu ihrer Mutter und scheint weitestgehend beziehungsunfähig zu sein. Dann verschwindet in ihrer ehemaligen walisischen Heimatstadt erneut eine Fünfjährige. Und die Familie wohnt ausgerechnet in Kathryns ehemaligem Elternhaus. Sie kehrt zurück zu ihren Wurzeln, hilft bei der Suche nach der vermissten Abigail und recherchiert auf eigene Faust, was vor 25 Jahren wirklich passiert ist. Kann es tatsächlich sein, dass ihr Vater unschuldig im Gefängnis sitzt?
Das Buch ist interessant konzipiert. Die Autorin erzählt die Geschichte in parallelen und doch zusammenhängenden Handlungssträngen. Die Kapitel aus Kathryns Sicht sind in der Ich-Form geschrieben, die anderen (überschrieben mit den Namen der ermittelnden Polizeibeamten Maggie, Beth und Bailey) aus der Sicht eines neutralen Erzählers. Der Spannungsbogen steigt von der ersten Seite an stetig an. Die psychologische Komponente macht das Buch für mich allerdings nicht zum Psychothriller, eher zu einem gesellschaftskritischen Psychogramm, da die Auswirkungen der Tat auf alle Betroffenen enorm sind und jahrzehntelang nachwirken. Kathryn, ihre Mutter und ihr Bruder mussten umziehen und sowohl sie als auch ihre Mutter haben Alkoholprobleme.
Der Schreibstil der Autorin ist leicht zu lesen und unkompliziert. Bei den Protagonisten hat sie sich meiner Meinung nach sehr viel Mühe bei der Beschreibung gegeben. Daneben wirken die Nebencharaktere sehr blass und eindimensional. Der Schluss hat mich überrascht und das sowohl inhaltlich als auch durch seine Abruptheit. Alles in allem ist er zwar stimmig, an manchen Stellen lässt allerdings die Logik zu wünschen übrig. Und insgesamt fand ich ihn zu überstürzt, als wollte die Autorin nach sehr viel Vorgeschichte endlich zum Ende kommen. Schade, die Geschichte hatte sehr viel Potential gehabt und das Buch lässt leider viel Luft nach oben.
Es hat mich aber durchaus gut unterhalten und die Spannung an manchen Stellen sehr hoch. Die Grundidee hinter der Geschichte ist hervorragend und es alles in allem finde ich, dass es ein solider Krimi mit recht gut aufgearbeiteter psychologischer Komponente ist. Daher vergebe ich 3,5 Sterne und runde auf vier auf.