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Volker M.

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Insgesamt 374 Bewertungen
Bewertung vom 12.10.2023
LONELY PLANET Reiseführer Toskana
Zinna, Angelo;Hunt, Phoebe

LONELY PLANET Reiseführer Toskana


weniger gut

Wir reisen seit ich denken kann immer mit LP Reiseführern, der „aktualisierte“ Reiseführer zur Toskana ist aber leider nur noch ein Schatten seiner selbst. Viele Bildchen sind dazu gekommen, das Design wirkt hübsch und ist auch ein bisschen übersichtlicher, aber der Informationsgehalt ist geradezu implodiert. Ich bringe mal die wichtigsten Stichworte in Listenform, sonst schreibe ich mir hier einen Wolf:

- Die Karten sind quasi unlesbar. Hellbeige Straßen auf hellgrauem Grund mit grauen Straßennamen. Man kann nicht einmal mehr richtig Straßenkreuzungen zählen, so schlecht sind die Kontraste.
- Keine Verweise auf Webseiten von Hotels/Restaurants/Sehenswürdigkeiten
- Keine Angaben zu Öffnungszeiten, Adressen, nächsten Haltestellen, Telefonnummern, Preisen (bis auf die allg. Preiskategorie €, €€ und €€€, das aber auch nicht durchgehend)
- Die Zahl der Empfehlungen für Hotels/Restaurants/Sehenswürdigkeiten ist drastisch geschrumpft. Auch sind nicht mehr alle Orte erwähnt, die früher drin waren. Die ganze Auswahl ist aus meiner Sicht sehr stark am Massengeschmack (und -tourismus) orientiert.

Während es früher ausreichte, den LP im Rucksack zu haben, braucht man heute das Smartphone um sich wirklich vor Ort zu orientieren und informieren. Dann braucht man aber bei Licht betrachtet auch den LP nicht mehr. Schade.

Zum Schluss zumindest noch ein positiver Punkt. Es gibt zahlreiche Sonderkapitel für spezielle Interessen, wie Wandern, Sport, Kultur mit regionalen und überregionalen Empfehlungen für kürzere oder längere Urlaube. Aber hier folgt man natürlich auch meist nur den Massen.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

Bewertung vom 11.10.2023
Big Tech muss weg!
Andree, Martin

Big Tech muss weg!


ausgezeichnet

Nach seinem letzten Buch „Atlas der digitalen Welt“ hat der Autor nach eigener Aussage die „unglaubliche Macht“ der großen Digitalkonzerne GAFAM (also Google, Apple, Facebook, Amazon, Microsoft) zu spüren bekommen und ist damit kein Einzelfall. Immer wieder missbrauchen die Digitalkonzerne ihre Monopole, um Journalisten und Wissenschaftler an der Veröffentlichung unliebsamer Ergebnisse zu hindern oder Händler auf ihren Marktplätzen einzuschränken.

Aber der Gegenwind hat Martin Andree nur angespornt und er kämpft weiter um die Sache. Er ist überzeugt, dass die fünf großen Digitalkonzerne unsere Demokratie, Gesellschaft und Wirtschaft zerstören und sich die Medienwelt weiter radikal verändern wird. In „Big Tech muss weg!“ verfeinert der Autor seine Analysen und stellt fest, dass der freie und faire Wettbewerb im Bereich der digitalen Medien bereits heute völlig außer Kraft gesetzt ist. Als Basis für seine Analysen zieht er die Werbeinvestitionen als Indikator heran. Vieles spricht dafür, dass der „Tipping Point“ für Deutschland bereits vor einigen Jahren überschritten wurde. Ab diesem Zeitpunkt investierten werbetreibende Unternehmen mehr in digitale Medien als in alle anderen analogen Medien zusammen und Andree geht davon aus, dass die analogen Medien im Jahr 2029 nur noch eine marginale Bedeutung haben werden. Eine erschreckende Vorstellung.
Warum greifen der Gesetzgeber und das Kartellamt bei dieser Übermacht nicht ein? Andree vermutet die Ursache in der ungleichen Verbreiterhaftung von analogen und digitalen Medien, denn die Großen sehen sich nur als Plattform ohne inhaltliche Verantwortung.

Seine spannenden und aufschlussreichen Untersuchungsergebnissenvisualisiert Andree zusätzlich in gut verständlichen Grafiken. Detailliert geht er auf die wesentlichen Kernprobleme ein, wie z. B. die fehlende Anbietervielfalt, die fehlende Unabhängigkeit der digitalen Medien, die fehlende Staatsferne der Big Tech Konzerne und der Verlust der privat finanzierten redaktionellen Medien. Besonders interessant fand ich seine Antworten auf die Frage, warum sich niemand für diese disruptive Entwicklung interessiert und was das mit der Ideologie des „guten“ Internets zu tun hat.

Am Ende geht Andree auf konkrete Maßnahmen und Vorschläge ein, um das Monopol der Tech-Giganten zu brechen. Er stellt aber auch fest, dass nur der Gesetzgeber neue Regeln durchsetzen kann. Killerargumente wie „Die Rettung muss aus den USA kommen“ oder „Regulierung von Tech hat noch nie etwas gebracht“ entkräftet Andree aus meiner Sicht gut nachvollziehbar.

Meine Erwartungen an das Buch waren zunächst nicht sehr hoch, da der Buchtitel für mich reißerisch und aktivistisch klingt, was bei mir keine positiven Assoziationen hervorruft, aber ich bin positiv überrascht worden. Martin Andree macht die Problematik der übermächtigen Digitalkonzerne auf populärwissenschaftliche Weise transparent. Seine genderfreie Sprache ist auf die Zielgruppe (= Jedermann) zugeschnitten, sehr verständlich und kurzweilig. Ich bin zwar von den notwendigen Maßnahmen überzeugt, befürchte aber, dass die Umsetzung wieder einmal am Gesetzgeber scheitern wird. Die Mühlen der EU mahlen extrem langsam und laufen den Entwicklungen meist Jahre, manchmal Jahrzehnte hinterher und die Lobbyisten werden sicher auch wieder ihren Einfluss geltend machen. Nichtsdestotrotz ein absolut lesenswertes Buch mit vielen neuen Erkenntnissen, das sicherlich wieder für Ärger bei den Big Tech sorgen wird.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.10.2023
Die besten Geistergeschichten aus aller Welt
Ackermann, Erich

Die besten Geistergeschichten aus aller Welt


ausgezeichnet

Der Sammelband enthält 83 kurze Geistergeschichten aus vielen Kulturkreisen, mit einem Schwerpunkt auf Deutschland. Dort wurde die Tradition der Volksliteratur sehr früh etabliert und entsprechend haben sich viele Sagen und Mythen erhalten. Die Quellen stammen zum großen Teil aus dem 19. Jahrhundert, der Blütezeit der Volksmärchenforschung, einige sind aber auch noch deutlich später in Deutsche übersetzt oder adaptiert worden.

Nicht alle Geschichten sind Aufzeichnungen von Volkssagen, sondern literarische Geistergeschichten, u. a. von Mark Twain, Alexander Puschkin, Guy de Maupassant und Edgar Alan Poe, darunter auch einige echte Klassiker der Gruselliteratur. Das sind aus meiner Sicht immer noch die stärksten Stücke, denn sie sind sprachlich und dramaturgisch sauber konstruiert und besitzen stets eine raffinierte Pointe, während die bäuerlichen Erzählungen oft etwas stereotyp wirken. Die Mischung ist jedenfalls sehr ausgewogen und bedient nicht nur verschiedene Weltregionen, sondern auch unterschiedliche Genres und Erzählniveaus. Erstaunlich ist, dass sich bestimmte Motive in vielen Kulturen parallel entwickelt haben, so als wäre der gemeinsam erlebte Grusel ein Grundbedürfnis des Menschen.

Aufgrund der Kürze eignen sich die Texte geradezu ideal als Bettlektüre vor dem Schlafengehen. Angenehme Träume wünsche ich!

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

Bewertung vom 07.10.2023
Mit fremder Feder
Klunkert, Gabriele

Mit fremder Feder


ausgezeichnet

Die Geschichte hat Georg Heinrich Karl Jakob Victor von Gerstenbergk völlig vergessen, dabei löste der angebliche Baron 1856 einen deutschlandweiten Skandal aus, der Konsequenzen bis in unsere Gegenwart hat. Gerstenbergk fälschte im großen Stil Schiller-Autographen, er wurde überführt und als erster Autographenfälscher verurteilt. Zwei Dinge spielten ihm bei seinem Coup in die Karten: In der Mitte des 19. Jahrhunderts stand die Schiller-Verehrung auf ihrem Höhepunkt, ja zeigte sogar Züge von Hysterie und Autographen aus Schillers Hand waren ausgesprochen selten. Sobald ein Werk vollendet war, vernichtete der Dichter alle Materialien und begab sich an ein neues Projekt. Gerstenbergk lieferte nun das so lange Ersehnte: Reinschriften fast aller Gedichte und vieler Dramen, Briefe und Schmierzettel, teilweise sogar mit naiven Beglaubigungen von Schillers Weggefährten.

Das Goethe und Schiller Archiv zeigt nun erstmals seinen Fundus an Gerstenbergk Fälschungen und nutzt die Gelegenheit, den äußerst spannenden Fall einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen. Es ist ein Musterbeispiel, wie Fälscher ihre Ware an den Mann bringen, indem sie die blind machende Gier von Sammlern ausnutzen. Es zeigt aber auch, wie Fälscher überführt werden. Gerstenbergk war geradezu übermütig dreist, was der sensationell gründlichen Beweisführung vor Gericht zahlreiche Argumente lieferte. Von den verwendeten Papieren, über die Tinte, den Schriftduktus bis hin zu historischen Ungenauigkeiten in vermeintlichen Briefen ließ Gerstenbergk keine Gelegenheit aus, Fehler zu machen. Die heutigen materialwissenschaftlichen Möglichkeiten sind zwar noch wesentlich ausgefeilter, aber die Spitzfindigkeit der Gutachter von 1856 ist beeindruckend.

Der kleine Ausstellungskatalog ist ebenso spannend wie unterhaltsam und zeigt, dass Gerstenbergks Methoden im Prinzip immer noch funktionieren. Meistens übertönt der Wunsch eines Sammlers alle Alarmglocken, die schrillen müssten, wenn er eine Fälschung erwirbt und das kann ihm auch heute noch passieren: Gerstenbergks Fälschungen sind selber ein Sammelgebiet geworden, tauchen immer wieder auf Auktionen auf und manchmal werden sie sogar als Schillersche Autographen angeboten. Der Kujau des 19. Jahrhunderts lässt grüßen.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

Bewertung vom 06.10.2023
Store Front NYC
Murray, James & Karla

Store Front NYC


ausgezeichnet

Seit über 20 Jahren fotografieren James und Karla Murray Ladengeschäfte in New York und sie haben damit eine verschwindende und verschwundene Welt dokumentiert. Fast 80 % der im Buch versammelten Geschäfte haben mittlerweile aufgegeben und wenn man die von Patina, Schmutz und Verfall gezeichneten Fronten betrachtet, dann muss man kein Genie sein, um zu erraten, warum. Die meisten Häuserfronten sind stilistisch leicht in die Zeit zwischen 1910 und 1940 zu datieren und der Zahn der Zeit hat genauso an ihnen genagt, wie am Geschäftskonzept. Reparatur und Verkauf von mechanischen Schreibmaschinen oder Röhrenfernsehern ist heute kein tragfähiges Geschäft mehr, genauso wenig wie Lebensmittelläden, deren Hygienekonzept an der Türschwelle endet. Auch dem Dutzend schmuddeliger Shops, die „The Best Hamburger in Town“ verkaufen, fehlt das Alleinstellungsmerkmal, um im Haifischbecken namens New York zu überleben. Vererbt vom Vater auf den Sohn, seit Generationen dasselbe Namenschild über der Markise, dieselben Handwerke, dieselben Waren, dieselben Rezepte. Man schlug sich durch, aber die Rezepte von damals funktionieren eben oft nicht mehr.

Zunächst ist der Betrachter wahrscheinlich fassungslos und es überfällt ihn ein Grusel wie bei einer Massenkarambolage auf der Gegenfahrbahn. Man muss hinschauen, will es aber eigentlich nicht. Und dann beginnt man die Details zu entdecken: Wie ein Archäologe kratzt man gedanklich Schicht um Schicht von den blinden Scheiben und den überlagerten Graffiti, rekonstruiert blätternde Anstriche oder die abgebrochenen Buchstaben der Reklametafeln und plötzlich werden diese verwahrlosten Lokale, Geschäfte und Bars Pforten einer Zeitreise, die man nicht für möglich gehalten hätte. Diese Läden besaßen Charakter und Geschichte, die man ihnen auch ansah und sie waren gleichzeitig eindrucksvoller Spiegel des multiethnischen New York, mit Reklame (ich verwende jetzt mal absichtlich das antiquierte Wort) in allen denkbaren Sprachen der Erde.

Sortiert nach den Stadtbezirken lassen die Fotos keine soziale Gradierung erkennen. Es waren Dienstleistungen und Produkte von der Unterschicht für die Unterschicht: Schuhreparatur, Miederwaren, Schnaps, egal ob in Manhattan oder der Bronx. Die Unterschicht ist natürlich nicht verschwunden, ganz sicher nicht in New York, aber die persönliche Bindung, die sich genau wie die Besitzverhältnisse von Generation zu Generation vererbte, die scheint verloren gegangen zu sein. Man lebt eben nicht mehr sein ganzes Leben in einem Stadtviertel.

Entstanden sind die Fotos zwischen 2002 und 2018, und selbst wenn die genauen Adressen jeweils vermerkt sind, wird man heute kaum noch einen der Läden antreffen. Die Zeitreise kann man also nur noch auf den Seiten dieses außergewöhnlichen Bildbands antreten. Und das sollte man tun. Es lohnt sich.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

Bewertung vom 05.10.2023
Die Peloponnes
Rönnberg, Maximilian

Die Peloponnes


ausgezeichnet

Kürzlich hatte ich den archäologischen Peloponnes-Reiseführer von Patrick Schollmeyer durchgearbeitet und dabei waren mir einige Mängel aufgefallen (s. meine Rezension). Maximilian Rönnberg gleicht in „Die Peloponnes“ nicht nur diese Mängel aus, sondern setzt in Umfang und Eindringtiefe neue Maßstäbe. Zunächst vermittelt er einen gründlichen und ausgewogenen summarischen Abriss der Geschichte von der Steinzeit bis in die Spätantike, was gleichzeitig auch den zeitlichen Rahmen der Fundstätten setzt. Daran schließt sich eine Empfehlungsliste für Reisende an, die sich speziell für eine der Epochen interessieren, was in der Tat hilfreich ist, da das Kapitel mit den Ortsbeschreibungen ausgesprochen umfangreich ist.

Gegliedert ist das Buch nach den historischen Regionen der Peloponnes, die sich im Lauf der Geschichte zwar immer wieder leicht verschoben haben, was aber für die Übersicht ohne Bedeutung ist. Am Beginn eines jeden Kapitels befindet sich jeweils eine Übersichtskarte, in der alle beschriebenen Lokalitäten je nach Bedeutung unterschiedlich farbig markiert sind, was eine erste Vorauswahl erlaubt, insbesondere wenn man nur die Top-Sehenswürdigkeiten besuchen möchte.
Die archäologischen Stätten werden immer nach dem gleichen Muster bearbeitet: Zunächst gibt es eine kurze Wegbeschreibung, die auch lokale Wegweiser berücksichtigt und ggf. den Zustand der Straßen beschreibt. Sollten die Fundstätten schlecht zugänglich oder mangelhaft ausgeschildert sein, werden Geokoordinaten mitgeliefert. Ein GPS mit Kartenfunktion ist daher hilfreich, wenn man weniger besuchte Lokalitäten auf dem Plan hat.
Als nächstes beschreibt Maximilian Rönnberg die jeweilige Befundsituation und ordnet sie fachkundig archäologisch und historisch ein, wobei er auch die wichtigsten Grabungskampagnen erwähnt. Nahezu alle Stätten haben entweder beigefügte Pläne oder Fotos (oder beides), um einen Eindruck von der Situation am Ort zu vermitteln. Bei weitläufigen Arealen geht man mit dem Autor auf einer „geführten“ Tour durchs Gelände und kann sich so orientieren. Zum Schluss erfährt man noch, ob der Ort frei zugänglich ist oder Eintritt kostet, wobei sinnvollerweise keine spezifischen Eintrittspreise genannt werden (die ändern sich laufend), sondern Preiskategorien. Bei bedeutenden Stätten wären Weblinks hilfreich gewesen, aber die ändern sich wahrscheinlich auch oft und sind außerdem schnell recherchiert.

Der berühmte Reisebericht des Römers Pausanias aus dem 2. Jahrhundert fließt insofern in die Beschreibungen ein, als dass identifizierbare Gebäude(reste), die er erwähnt, behandelt werden. Die kulturellen Sitten und Bräuche der damaligen Bewohner, sowie Sagen und Mythen werden dagegen nicht nacherzählt, sondern es gibt nur eine Referenz auf das jeweilige Kapitel bei Pausanias.
Im Anhang findet sich ein Glossar und ein Ortsregister. Die weiterführende Literatur hilft allerdings nur Lesern, die entweder hervorragend Englisch oder Griechisch sprechen.

Das Buch ist kein klassischer Reiseführer, der den Leser vor Ort mit allen reisetechnischen Details versorgt, sondern ein qualifiziertes Recherchehilfsmittel, um eine Reise zu Hause zu planen und Besuche sinnvoll zu priorisieren. Dafür ist der Band fachlich sehr aktuell, berücksichtigt neueste Erkenntnisse und wurde vor Ort überprüft. In dieser fast enzyklopädischen Vollständigkeit gibt es nichts Vergleichbares auf dem deutschen Buchmarkt und insbesondere für Freunde abseits gelegener, selten besuchter archäologischer Stätten ist der Band ein absolutes Muss.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.10.2023
Die Klause der Illusionen
Bashô, Matsuo;Chômei, Kamo no;Juyi, Bai

Die Klause der Illusionen


ausgezeichnet

Spätestens seit dem Mittelalter gibt es in Japan eine Eremitenkultur, die literarische Spuren hinterlassen hat. Schon in der „Geschichte des Prinzen Genji“ ist der Rückzug von der Welt ein ständig wiederkehrendes Motiv, das dort einen rein buddhistischen Hintergrund hat. Aber die Tradition reicht sogar noch weiter zurück: „Die Klause der Illusionen“ versammelt vier klassische Texte, die zwischen 816 und 1690 entstanden, davon drei in Japan und einer in China. Der früheste Text, Bai Juyis „Aufzeichnungen aus meiner grasgedeckten Hütte“, weicht insofern von den anderen ab, als dass der Autor ein wohlhabender hoher Beamter war, der seinen Rückzugsort nicht dauerhaft bewohnte. Nur wenn ihm die Amtsgeschäfte die Möglichkeit ließen, zog er sich in die malerischen Lu-Berge zurück und genoss die mystische Atmosphäre der abwechslungsreichen Landschaft. Weitere Unterschiede sind, dass Bai nur ein Jahr dort blieb, bevor er nach Hangzhou versetzt wurde und in seiner Klause gewisse Annehmlichkeiten, wahrscheinlich sogar Dienerschaft vorhanden waren.
Ganz im Gegensatz dazu das „Hôjôki“ (Aufzeichnungen aus den zehn Fuß im Geviert meiner Hütte) von Kamo no Chômei: Im Jahr 1212 bezog der verarmte Adelige eine selbst errichtete Hütte im Wald, die sein letztes Zuhause werden sollte. Sein Bericht ist durchzogen von Wehmut und Abscheu vor der Welt, die er nicht freiwillig verlassen hatte. Die alte Hauptstadt Kyoto war einige Jahre zuvor abgebrannt, kurz darauf zerstörte ein schweres Erdbeben den Rest der Stadt. Kamo no Chômei hatte da längst seine Stellung verloren und geriet in einen Abwärtssog, dem er nicht mehr entkam. So ist sein Lobpreis der Einsamkeit gleichzeitig eine autobiografische Abrechnung mit seinem vergeudeten Leben.
Matsuo Bashô hatte im Jahr 1690 eine ganz andere Haltung: Im Laufe seines Lebens zog er sich immer wieder in abgeschiedene Regionen und selbst gezimmerte Hütten zurück, aber für ihn waren diese Orte nie Orte des Scheiterns. Die „Klause der Illusionen“ stand in der Nähe des Biwa Sees, mit einem traumhaften Blick in die Landschaft, in der sich die Jahreszeiten spiegelten. Als sensibler Beobachter schöpft Basho dichterische Inspiration aus allen Erscheinungsformen der Natur, die er ganz im Geist des Haiku verarbeitet. „Die Klause der Illusionen“ ist Bashôs bedeutendstes Haibun, das hier in zwei Textfassungen vorliegt: Einer älteren und etwas längeren, die nicht ganz so ausgewogen erscheint, wie die spätere Version, die zwar alle Motive wiederholt, sie aber besser aufeinander abstimmt und den Fluss der Jahreszeiten wie auf einem Rollbild zeichnet. Hier zeigt Bashô seine Meisterschaft in Perfektion.
Alle Texte und Übersetzungen sind zwar schon publiziert, aber teilweise seit Jahrzehnten vergriffen. In dieser spannend zusammengestellten Anthologie spiegelt sich die literarische Wahrnehmung des Motivs „Rückzug von der Welt“ über einen Zeitraum von fast 1000 Jahren und lässt den jeweiligen Zeitgeist deutlich erkennen. Vom Genussmenschen Bai Juyi über den Endzeitpropheten Kamo no Chômei bis hin zur lichten und durchkomponierten Prosa eines Matsuo Bashô.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 01.10.2023
Keine Posaunen vor Jericho
Finkelstein, Israel;Silberman, Neil Asher

Keine Posaunen vor Jericho


ausgezeichnet

Die biblische Archäologie ist ein Minenfeld. Zwei grundsätzlich verschiedene Ansätze konkurrieren heute über die Deutungshoheit: Die einen wollen militant die Wahrheit der biblischen Texte auf Punkt und Komma beweisen, die anderen halten die Bibel eher für eine Sammlung von Volkserzählungen mit geringem Wahrheitsgehalt. Israel Finkelstein gehört zwar tendenziell zur zweiten Gruppe, aber er ist auch ein großer Vermittler zwischen den verfeindeten Fronten. Sein Buch „Keine Posaunen vor Jericho“ ist zwar schon über 20 Jahre alt, aber für die neue Taschenausgabe waren kaum Änderungen nötig, weil sich seine Schlussfolgerungen in der Zwischenzeit sogar verfestigt haben und immer mehr zum Mainstream werden. Auf einen kurzen Nenner gebracht, misst Finkelstein der Bibel eine sehr hohe Bedeutung bei der historischen Identitätsbildung Israels zu, die viel wichtiger ist als die Korrektheit einzelner Erzählungen oder Daten. Gerade hier ist die Verlässlichkeit der biblischen Texte nämlich besonders schlecht. Essenzielle Teile der biblischen Geschichte haben nachweislich nie stattgefunden: Der Auszug aus Ägypten, die kriegerische Inbesitznahme Kanaans und das glorreiche Königreich Davids und Salomos hat es nie gegeben. Und hier enden die Diskrepanzen keineswegs.

Das Buch verwendet einen streng wissenschaftlichen Ansatz, indem der Urtext der Bibel mit den archäologischen Funden und Befunden präzise abgeglichen wird. Finkelstein wirft dabei einen generalistischen Blick auf die ganze Levante (und darüber hinaus), deren komplexe Geschichte er mit einbezieht. Die fehlende Schriftlichkeit des frühen Israel/Juda wird mehr als ausgeglichen durch die zahlreichen Archive, die die Ägypter, Hethiter, Assyrer und Babylonier hinterlassen haben. Auch die Ausgrabungen in Israel sind dank neuer Methoden heute viel aussagekräftiger als früher. So nehmen Finkelstein und sein Mitautor jeden Aspekt des Bibeltextes sprichwörtlich auseinander. Dabei liegt ihnen nichts ferner, als den Text insgesamt zu diskreditieren. Im Gegenteil, sie interpretieren ihn vor dem Hintergrund der tatsächlichen geschichtlichen Ereignisse und da bekommen die Geschichtsverdrehungen bzw. die Heroisierung der (zum Zeitpunkt der Niederschrift weit zurückliegenden) Vergangenheit plötzlich einen tieferen Sinn. Die Bibel dient der Traumabewältigung eines verstörten Volkes, der kulturellen Abgrenzung gegenüber dem Fremden, sie ist Therapie, Rechtfertigung und Identitätserzählung zugleich.

Ganz nebenbei erfährt der Leser von „Keine Posaunen vor Jericho“ was damals wirklich geschah, mit sehr anschaulichen, wenn auch zuweilen anspruchsvollen Beschreibungen der großen historischen Linien und des jüdischen Alltags. Die Ausgewogenheit der Darstellung und der immer spürbare Respekt vor der literarischen Leistung der Bibelautoren macht das Buch eben nicht zur kategorischen Abrechnung, die man hinter dem etwas reißerischen Titel vielleicht vermuten könnte. Die Autoren argumentieren streng wissenschaftlich, wobei sie ungeklärte Aspekte genauso offen ansprechen, wie eklatante Widersprüche. Am Ende steht die Bibel aber als bedeutender historischer Text, der wie alle historische Texte im Kontext seiner Zeit und im Bewusstsein gelesen werden muss, was seine Autoren damals politisch bezweckten. Deren Rechnung ist im Übrigen voll aufgegangen.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

Bewertung vom 29.09.2023
Life After Life
Mckenzie,Thomasin/Clifford,Sian/Mcardle,James/+

Life After Life


ausgezeichnet

Was wäre, wenn? Was wäre, wenn wir nach dem Tod unser Leben noch einmal leben könnten, aber an den vielen Abzweigungen der Biografie anders abbiegen würden? Welche Auswirkungen hätten kleine Änderungen? Führen alle große Entscheidungen zu großen Konsequenzen?
Ursula Todd ist schon dutzende Male gestorben und immer wieder wird sie 1910 in die Familie des wohlhabenden Bankers Hugh Todd geboren. Jedes Mal nimmt sie ein kleines bisschen ihrer vorangegangenen Erfahrungen mit in die neue Existenz und entwickelt daraus ein Gespür, Unglücke zu vermeiden. Oder auch nicht. Die Würfel fallen jedes Mal ein wenig anders und manchmal ergeben sich gewaltige Folgen aus winzigen Änderungen.

Die auf den ersten Blick monotone Geschichte ist so raffiniert erzählt, dass an jeder Wendung neue Überraschungen lauern. Während bei „Ewig grüßt das Murmeltier“ der komische Inhalt im Vordergrund steht, ist „Life After Life“ deutlich tiefgründiger. Hier geht es um Fragen nach dem Schicksal, der Möglichkeit sein Leben grundlegend zu ändern und es in eine bestimmte Richtung zu lenken. Es geht um die Macht des Zufalls und um das, was unvermeidlich ist. Kann eine einzelne Person die Weltgeschichte ändern? Letztlich geht es auch um die Frage nach unserer Existenz und der Realität, denn es ist unmöglich zu beweisen, dass wir nicht alle in einem ewigen Kreislauf stecken. Es wäre eine Reinkarnation mit verändertem Vorzeichen, aber wie alle philosophischen Grundannahmen, nicht beweisbar.

Neben der stimmig und spannend erzählten Geschichte ist auch die Ausstattung äußerst gelungen. Die Sets wurden mit enormem Aufwand eingerichtet, genauso detailverliebt wie die stilecht geschneiderten Kostüme. Es gibt wunderbar symbolistische Bildideen, wie der fallende Schnee in den Sterbeszenen und einige der Protagonisten wachsen einem wirklich ans Herz. Erstaunlicherweise ist es gerade die Nebenrolle des Vaters Hugh, die sich mir am stärksten ins Gedächtnis gebrannt hat. Ihm gelingt es tatsächlich, in allen Varianten, trotz traumatischer Erlebnisse im Ersten Weltkrieg, ein erfülltes Leben zu führen. Man sollte genau darauf achten, wie er das macht. Denn vielleicht haben wir doch nur ein einziges Leben, um es auszuprobieren.

(Diese DVD wurde mir von Polyband kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

Bewertung vom 28.09.2023
Wenig Zeit und trotzdem Selbstversorger
Remmel, Ina

Wenig Zeit und trotzdem Selbstversorger


sehr gut

Eines gleich vorweg: Die 30 Aktionstage, die Ina Remmel für ihren Selbstversorgergarten ansetzt, sind keine kompletten Arbeitstage, sondern sie markieren bestimmte Arbeitsschritte im Gartenjahr, wie z. B. die Beetplanung oder die Bodenvorbereitung. Meistens ist man in ein paar Stunden damit durch. Sieht also fast so aus, als könnte man wirklich einfach nur faul im Gras liegen, aber ganz so ist es natürlich nicht. Gerade ein Gemüsegarten braucht ständige Pflege, aber mit Remmels Anleitung in der Hand wird es nie zu viel und vor allem behält man die Übersicht.

Das Buch ist sehr gut strukturiert und nach einer kurzen Einleitung mit der Kurzbeschreibung der wichtigsten Gemüsepflanzen geht es sofort mit Januar im Gartenjahr los. Nach Monaten sortiert, werden die fälligen Arbeiten beschrieben, wobei die Autorin Wert darauf legt, dass der Gärtner auch versteht, warum er etwas tut. Das Grundprinzip ist der biologische Anbau, Pestizide oder Herbizide werden nicht eingesetzt. Das mag moralisch edel sein, aber aus meiner Sicht ist dieser kategorische Ansatz nicht immer zielführend, denn Schneckenfraß wird man auch im kleinsten Garten z. B. nicht durch Absammeln unter Kontrolle bekommen. Bereits eine Wegschnecke kann in einer einzigen Nacht eine halbe Salaternte vernichten. Die Schädlings- und Krankheitsproblematik wird von der Autorin zwar immer wieder kurz angesprochen, aber aus meiner Sicht nur halbherzig angegangen. Da gerade Anfänger Erfolge sehen wollen, um nicht die Motivation zu verlieren, ist es umso wichtiger, die Ernte wirksam zu schützen.

Ansonsten gibt es aus meiner Sicht kaum Kritikpunkte. Die Erklärungen sind anschaulich und auch gut illustriert. Die Struktur ist durchdacht und insbesondere für Neulinge geeignet. Remmel verzichtet auf den Anbau anspruchsvoller Pflanzen, wie Blumenkohl und fokussiert lieber auf Bohnen oder Salat, bei denen man wenig falsch machen kann. Auch gibt sie qualifizierte Tipps zur Anzucht, um früh ins Erntejahr zu starten.

Ein Punkt hat mir allerdings wirklich gefehlt, da er im Titel angesprochen wird: Um wirklich Selbstversorger zu sein, müsste man wissen, wie groß die Anbauflächen für die jeweiligen Gemüse sein müssen. Dazu erfährt man leider kaum etwas (ich habe nur eine vage Angabe bei Kartoffeln gefunden) und außer einem etwas ausufernden Kapitel über das Einkochen von Tomatensoße gab es auch wenig zum Thema Vorratshaltung.

Bis auf die genannten Informationslücken wird man auf dem neuesten Stand informiert. Ein gutes Buch für Einsteiger.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.