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schreibtrieb

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Insgesamt 174 Bewertungen
Bewertung vom 28.11.2015
Wittgensteins Nashorn
Armengaud, Françoise;Buxton, Annabelle

Wittgensteins Nashorn


ausgezeichnet

Wittgenstein sucht ein Nashorn. Weil er die Aussage „Hier gibt es kein Nashorn“ so lange für falsch erachtet, wie sie nicht bewiesen wird. Wie aber beweist man, dass etwas nicht ist, wenn der einzige Beweis seine Nichtexistenz ist, die Existenz aber gedacht und ausgesprochen werden kann. Ein bildlicher Ansatz hilft, das Problem zu verdeutlichen und führt Wittgenstein auf eine Suche durch die Welt bis in den ersten Weltkrieg hinein.
Wittgensteins „Sätze“ sind im Buch hervorgehoben, so dass sie als Lehrsätze oder Weisheiten zu erkennen sind, gleichzeitig aber auch als etwas von Wittgenstein erdachtes. Die Probleme, die ihn beschäftigen werden plastisch und nicht so abstrakt wiedergegeben, wie das in Lehrbüchern oft der Fall ist. Nein, natürlich steigt der Leser – egal wessen Alters – nicht komplett hinter die Sprachphilosophie oder kann mit Wittgensteins Nashorn Russels Wahrheitsdefinition zum Wackeln bringen, aber die Problematik selbst und die Gedankengänge der Beobachtungen des Philosophen werden erstaunlich leicht und verständlich mitgeteilt. Die amüsanten und leicht comicartigen Illustrationen tun ihr übriges, um das Buch für Kinder schmackhaft zu machen.
Gut, mein Siebenjähriger wird an manchen Formulierungen noch zu knabbern haben, aber etwas ältere Kinder können auch alleine mithilfe dieses Buches erste philosophische Erfahrungen machen, denn durch die Art, wie die „Lehre“ des Philosophen hier dargebracht wird, regt es auch zum eigenen überlegen an. Und das eben nicht nur die Kinder, sondern jeden Leser, weswegen ich das Buch ausdrücklich auch für Philosophen und Philosophie-Interessierte empfehle.
Bibliografische Eckdaten helfen dabei, Wittgenstein und seine Theorie auch historisch einzuordnen und mit anderen Theorien zu verknüpfen. Die komplette Lebensgeschichte wird dabei aber nicht erzählt, sondern viel mehr eine episodenhafte Begebenheit. Besonders schön als Hörisch-Doktorandin fand ich dabei die Seite, auf der das Nashorn zum Einhorn wird und Rilkes Einhornsonnett Anklang findet. Vielleicht wird gerade dadurch die Möglichkeit des Seins des Unmöglichen durch die Verortung in der Sprache am Greifbarsten. Oh dieses ist das Tier, das es nicht gibt.
Mit Wittgensteins Nashorn hat sich die Reihe Platon & Co. auf jeden Fall ihren Platz in meinem Bücherregal gesichert

Bewertung vom 28.11.2015
J
Jacobson, Howard

J


gut

In einer unbestimmten, fernen Zukunft ist die Vergangenheit ein rotes Tuch. WAS GESCHEHEN IST, FALLS ES GESCHEHEN IST, ist das große Ereignis, das ominös und andeutungsvoll schrecklich ein Volk ausgelöscht haben soll. Niemand spricht über sie, selbst Andenken und Familienerbstücke sind gesetzlich begrenzt, doch viele verstoßen gegen diese Gesetzte. Zu ihnen gehört auch Kevern, Drechsler und Einzelgänger. Als er auf Ailinn trifft lernt er die große Liebe kennen. Sie finden zueinander und trotzen kleineren Hürden. Doch ein gemeinsames Geheimnis, das sie vom Rest der Welt unterscheidet, stellt alles auf die Probe.
Der Stil ist überraschend. Kein einfaches Dahingeplänkel und keine drückende Spannung. Mit kleineren Zwischenstücken (Briefen, Tagebucheinträgen, …) wird das Bild des personalen Erzählers (mit durchaus allwissenden Momenten) erweitert. Dabei steht zunächst die aufkeimende Beziehung im Vordergrund, die ähnliche Hürden, wie viele andere, erfährt. Mehr am Rande wird die Spannung auf das geheimnisvolle Dahinter, die Vergangenheit, gelenkt.
Dieser Schachzug ist gelungen, denn natürlich ahnt der Leser, dass da noch was kommt, lernt aber zunächst die Protagonisten und ihre Eigenheiten gut kennen und findet so zu eigenen Annahmen. Gleichzeitig sind aber gerade diese Protagonisten keineswegs nur Helden oder Antihelden. Sie schwimmen dazwischen und wirken so banal wie wichtig. Ein Mordfall bringt für meinen Geschmack zusätzlich zu viel rein, das führt etwas vom Thema weg und ist eigentlich unnötig.
Das schreckliche Ereignis in der Vergangenheit indes bleibt zwar ungenannt, wird aber als religiöser Völkermord erkennbar. Die Andeutungen, die sich schließlich bewahrheiten, finde ich schockierend. Gerade, weil sie so realistisch sind und keineswegs eine unglaubliche Zukunft beschreien. Gleichzeitig finde ich die Lösung im Buch noch schockierender. Nicht nur, dass eine unbewusste, kulturelle Verbindung zum Auslöser für eine große Liebe gemacht wird, gleichzeitig wird Hass als elementar für eine Kultur und Gesellschaft herausgestellt. Abgrenzung und Ausgrenzung wird zur Notwendigkeit, aus der eine zerstörte Kultur wiedererschafft werden soll. Mal davon abgesehen, dass dies auf eine beinahe schon natürliche Feindschaft zwischen Religionen/Kulturen abzielt, was grotesk und als literarisches Thema in dieser Form fragwürdig erscheint, mag das Selbstbild durch Fremdzuschreibung durchaus real sein.
J wird dadurch zu einem Roman, der nicht schnell zu lesen ist, nicht schnell loslässt und in gewisser Weise nicht schnell zu verdauen ist. Aktuelle Gegebenheiten und der Schemen des Antisemitismus sind beim Lesen Begleiter, ebenso wie historische wie futuristische Ausblicke. Das lauernde Übel, dass durch die langsame Aufdeckung dessen WAS GESCHEHEN IST, FALLS ES GESCHEHEN IST und damit der Familiengeschichte Ailinns (und auch Keverns) – das dennoch nie vollständig genannt wird – ist schwer zu schlucken und wird keinesfalls als positiv herausgestellt. Die letzte Begründung, dass den Zurückgebliebenen dadurch das Feindbild flöten geht, bleibt für mich dann aber lächerlich und fragwürdig.
Ein durchaus lesenswerter Roman mit einem ungewöhnlichen Stil, der zwischen Nähe und Distanz pendelt und mittels Bausteine ein komplexes Bild liefert, auch nach dem Lesen noch zum Nachdenken anregt und dadurch vielleicht mehr bewegt, als auf den ersten Blick sichtbar. Der Verlauf und Thesengang mag mir nicht gefallen, ändert aber nichts an der Stimmigkeit innerhalb des Romans und des gelungenen Plots. Nicht zuletzt zeigt J nämlich auch, dass das Feindbild weder für alle gilt, noch durchweg durchsetzungsfähig ist, sondern viel mehr zwischen unerklärlicher Freundschaft und Feindschaft pendelt, was wiederrum bedenkenswert ist.

Bewertung vom 20.11.2015
Der Buddha auf vier Pfoten
Grosser, Dirk

Der Buddha auf vier Pfoten


gut

Dieses Jahr bei Kailash erschienen ist mit 231 Seiten Der Buddha auf vier Pfoten von Dirk Grosser.
Bobba ist oberflächlich gesehen ein Hund. Er sabbert, jagt Bällen nach, zerstört Sessel und frisst Futter. Gerade durch seine hündischen Eigenarten wird er aber zum Buddha, zum Meditationslehrer für sein Herrchen Dirk Grosser und begleitet ihn vierzehn Jahre lang mit alltäglicher Weisheit und einfachem Sein.
Ich bin ja eher der Katzenmensch. Aber vielleicht hat mich gerade deshalb die Kombination von Hunde- und Buddhistische „Lehrbuch“ gereizt. Erwartet hatte ich vor allem amüsante Anekdoten, die mehr oder weniger mit buddhistischen Leitsätzen in Verbindung gebracht werden. Tatsächlich ist das Buch einfach mehr. Mehr Anekdoten, mehr Buddhistische Lehre, mehr Philosophieren, mehr Nachdenken, mehr Erinnerung an einen Freund.
Dieses Mehrsein macht es schwer, das Buch auf den ersten Blick richtig zu bewerten. Emotional wird es, gerade am Ende, wenn Bobbas Ableben beschrieben wird, aber auch immer wieder zwischendrin, wenn die Menschlichkeit des Tieres – oder vielleicht besser, die liebenswerte Hündischkeit Bobbas thematisiert wird. Informativ ist es vor allem dazwischen, wenn der Autor einzelne Zitate beleuchtet, erklärt, zusammenführt und ausbreitet. Hier schimmert wohl am ehesten durch, dass das Buch eben doch ein einfacher Zugang zum Buddhismus ist, der auf den persönliche Erfahrungen des Autors beruht, aber auch auf seinem Wissen und seinen Studien.
Der Vergleich zwischen dem Buddhismus und einem Hundeleben ist dabei kein schlechter, im Gegenteil. Die Weisheit die im einfachen Leben – ohne Planen, ohne Termine, ohne Sorgen – liegt, lässt sich gut in ein paar treuen Hundeaugen finden. Dazu sorgt ein Hund auch beim Besitzer für einen gewissen Ausgleich, indem er ihn in die Natur fordert. Eine Wirkung, die den Autor als Erzähler des Buches ebenso trifft und ihm Zeit zum Nachdenken und erkenne bietet.
Für mich war das Buch im ersten Teil zu sehr eine Liebeserklärung an den Hund an sich, um danach etwas zu lehrreich zu werden und dann wieder ins hochemotionale Ende zu führen. Zum anderen ist das Buch gerade deswegen für Hundefreunde und Menschen, die einen ersten Zugang zum Buddhismus suchen wirklich geeignet. Denn gerade hier ist das Buch durchaus reflexiv, spricht nicht von absoluten Wahrheiten, sondern von persönlichen, von inneren und denen, die eben ihm geholfen haben. Dieser wichtige, antidogmatische Teil geht mit der Natürlichkeit des Tieres für mich Hand in Hand, wählt doch auch der Hund wie er was und wo nutzt und anwendet, je nach Situation.

Bewertung vom 20.11.2015
Das Verschwinden der Frauen
Hvistendahl, Mara

Das Verschwinden der Frauen


gut

Mara Hvistendahl hat jahrelang in China gelebt und dabei gesehen, wie Mädchen immer seltener in den Klassenzimmern zu sehen sind. Sie hat sich gefragt, warum das so ist und sich auf die Suche nach den verschwundenen Frauen gemacht. Was sie dabei herausgefunden hat, ist erschreckend und bedenklich. In Gesprächen mit Ärzten, Wissenschaftlern, Eltern und Beamten fasst sie zusammen, warum und wie bereits ungeborene aufgrund ihres Geschlechts selektiert werden und was das für Folgen für uns alle hat.

Dass diese Betrachtung sich in erster Linie auf Indien und China erstreckt ist dabei ein Aufrollen von der großen Masse her, denn Waisenhäuser voller chinesischer Mädchen haben es bereits vor Jahren in eine Simpsons Folge geschafft und auch das Leid indischer Mädchen wurde schon medial aufbereitet. Hvistendahl geht aber mehrere Schritte weiter. Im Gespräch mit einem indischen Arzt, der von seinen Erfahrungen berichtet, und anhand von historischen wie statistischen Werten offenbart die Autorin dass die westlichen Einflüsse erst den Ausschlag für die Benachteiligung der Mädchen im Mutterleib gegeben haben – unter dem Schlagwort Bevölkerungskontrolle.

Ähnliches führt sie für China argumentativ auf, wo die Ein-Kind-Politik die Präferenz für Söhne ausgelöst hat. Wenn schon nur ein Kind, dann auch ein Junge, der hier wie dort bevorzugt behandelt wird, mitunter religiöse Aufgaben erfüllen kann und von der Gesellschaft aus schon als geradezu notwendig erachtet wird. Anlass zur Besorgnis gibt für Hvistendahl der statistische Wert, der anzeigt, wie viele Jungs pro 100 Mädchen geboren werden. Mancherorts, so sagt die Autorin, ist das Verhältnis bei über 150/100.

Aber nicht nur in China und Indien sieht das Geschlechterverhältnis bedenklich aus. Auch in Taiwan, Südkorea und Albanien ist das natürliche Verhältnis aus den Fugen geraten. Verkaufte Bräute, Kinderheiraten, Entführungen, Menschenhandel sind die Folge, so Hvistendahl. Und all das verschärft das Problem , weitete es aus und führt es auch in andere Regionen. Ob Vergewaltigungen auch dazu gehören mag im Augen des Betrachters legen.

Erschreckend, war ich doch der Meinung, dass Frauen per se keine Minderheit sind. Nun wird hier aufgezeigt, dass sie künstlich dazu gemacht werden, indem Mädchen noch im achten Monat abgetrieben werden, teilweise unter Zwang von der Regierung her, großenteils aber aus freien Stücken der Mutter, nur weil sie das falsche Geschlecht haben. Den großen Westen lässt Hvistendahl dabei aber weitgehend aus.

Allein im letzten Kapitel behandelt die Autorin eine Reproduktion Klinik in Amerika, wo die betuchte Klientel vor allem kleine Mädchen haben will, die dann auch klein und mädchenhaft zu sein haben. Was fehlt, um diese Idee der umgekehrten Selektion (die bereits bei der Zeugung beginnt) glaubhaft zu machen, ist das Geschlechterverhältnis bei der Geburt in Amerika und etwaige Gründe. Dieses Kapitel steht ziemlich in der Luft und bleibt so ein unvollständiger Abschluss des Buches. Auch die Frage, warum gerade in westlichen Ländern, in denen durchaus auch geschlechterspezifische Bevorzugungen existieren (Glückwünsche beim „Stammhalter“ kommen nicht von ungefähr), die Form der Abtreibung als Selektion – die mit Sicherheit auch hier stattfindet – weniger oder eben nicht ins Gewicht fällt, bleibt unbeantwortet, wird nicht mal gestellt und ist damit eine große Leerstelle.

Ein aufrüttelndes Buch, dass aber als „westliches“ Sachbuch gerade keine Punkte der westlichen Welt betrifft, sondern das fremdartige „andere“ als besorgniserregenden Zustand brandmarkt, an dem wohl der Westen seine Mitschuld hat, der aber so weit weg ist, dass er mitunter als „das geht mich doch nichts an“ abgetan wird. Schade, dabei hätte das Buch tatsächlich aufrütteln und aufmerksam machen können.

Bewertung vom 01.11.2015
Sean Brummel: Einen Scheiß muss ich (Restexemplar)
Jaud, Tommy

Sean Brummel: Einen Scheiß muss ich (Restexemplar)


schlecht

Sean Brummel ist der Inbegriff des amerikanischen Stereotyps unserer Gesellschaft. Faul, biertrinkend, einfältig. Homer Simpson ohne Gelb. Als er betrunken festgenommen wird und ihm ein Officer sagt: „Einen Scheiß muss du“ wird dieser Satz sein Mantra. Kurzerhand macht er nur noch, was er will und nicht mehr, was er „muss“. Er lässt sich scheiden, kündigt, wird Bierbrauer und findet eine neue Freundin. Ist das Leben nicht schön? Und weil es für Sean so einfach war, schreibt er kurzerhand einen Ratgeber, der allen Menschen helfen soll, sich vom „Mussmonster“ zu befreien.
Ich war sehr interessiert an dem Buch. Bisher hatte ich von dem bekannten Autor noch nichts gelesen, doch die Idee des fiktiven Autors, der beigefügten ausgedachten Biografie und des darum doppeldeutigen Ratgebers faszinierte mich und ich war gespannt, wie der Humor aussehen würde und was Jaud alles verarbeitet hatte.
Nach dem Lesen weiß ich: Vor allem Stereotype, Klischees und dumme Sprüche. Sean Brummel ist ein unangenehmer Antiheld, der so voller Klischees eines „Amerikaners“ ist, dass es an etwas grenzt, was auch Rassismus heißen könnte. Er ist faul, hat keine Lust auf Arbeit, seine Ehe und irgendetwas geregeltes. Seinen Traum, Bierbrauer zu werden, ergreift er aber erst, als ihm ein Polizist sagt, er müsse einen Scheiß. Das wird sein Mantra. Wann immer jemand sagt: „Sean, du musst …“, antwortet er „Ich muss einen Scheiß“ und lässt es eben. Dass sein Bier nur ein Erfolg wird, weil seine neue Freundin wesentlich mehr Grips hat, als er, ist dabei nicht wichtig für ihn. Wichtig ist nur, dass er Erfolg hat und nichts muss.
Wirklich mies verpackt also ist die einfache Botschaft, sich vom Müssen nicht so unter Druck setzten zu lassen und eigene Wege zu gehen. Der Standard könnte man meinen bei Ratgebern. Die doppelte Autorenschaft macht es Jaud dabei möglich, diese Pseudo-Freiheit auf die Schippe zu nehmen. Von Sport wird man dick, Ordnung ist hinderlich, Veganer sind Monster und jeder Abstinente könnte auch ein Hitler sein. Stammtischkapriolen mit unterstem Argumentationsniveau, die leicht zu enttarnen sind und dennoch auf den ersten Blick gut anzusehen sind.
Das ständige „Ihr müsst nichts müssen“, das die Botschaft des imaginierten Autors Sean noch einmal ad absurdum führt nervt spätestens ab Mitte des Buches so sehr, dass das Weiterlesen mir enorm schwergefallen ist. Der ziemlich platte Humor konnte nicht greifen und auch wenn die Absicht und Idee Jauds – das unterstelle ich einfach – mit Sicherheit eine Gute war, fand ich die Umsetzung nicht nur fragwürdig, sondern schlicht schlecht.
Wer Jaud kennt und mag, seinen Humor nachvollziehen kann und sich gerne einfach mal in eine Welt der Klischees abgleiten lässt – wer so dumpf und oberflächlich unterhalten sein kann, ohne dabei Hirnzellen zu verlieren – den will ich nicht abhalten. Empfehlen aber kann ich das Buch auf keinen Fall und von diesem Leseerlebnis muss ich mich dringend erholen.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 01.11.2015
Heule Eule
Friester, Paul

Heule Eule


ausgezeichnet

Mama Eule lässt die kleine Eule kurz allein zu Hause, um Abendessen zu holen. Die kleine Eule verspricht, niemanden rein zu lassen, denn sie ist ja schon groß. Als aber Mama Eule zurückkommt, bleibt die Tür verschlossen, denn die kleine Heule Eule hält sich an ihr versprechen und glaubt nicht, dass wirklich ihre Mama vor der Tür steht. Eichhörnchen, Hirschkäfer und Rabe müssen helfen, ehe die Heule Eule überzeugt ist.
Wir haben das Buch am ersten Tag etwas zehn Mal gelesen. Jeder, der kam, musste dran glauben, denn die Nudel war Feuer und Flamme und auch die große Keule konnte nicht genug bekommen. Ich fand die Geschichte niedlich, lustig und kindgerecht. Niemandem passiert wirklich etwas. Die kleine Heule Eule steigert sich in ihre Unsicherheit hinein und heult los. Und auch Mama Eule ist erst mal hilflos. Wie soll sie nur zu ihrem Kind und helfen, wenn es sie doch nicht reinlässt?
Die Geschichte zeigt toll, wie überrumpelt auch Große manchmal von den Kleinen sind. Und dann braucht es den ein oder anderen Blick von außen, ehe sie wieder weiterwissen. Diese unterschiedlichen Blicke zeigen sich in den Figuren des Eichhörnchens, des Hirschkäfers und des Raben, die alle unterschiedliche Möglichkeiten wissen, eine kleine Eule zum Türaufmachen zu überreden, die aber eben nicht alle funktionieren. Erst der Tip des Raben, dass nur Mama Eule es schaffen kann, gibt ihr auch die zündende Idee.
Die Zeichnungen sind wunderschön und die rundliche kleine Eule ist wirklich niedlich. Nicht überladen, sondern auf die Figuren und Handlung fokussiert, so dass auch kleinere Kinder das Geschehen gut mitverfolgen können. Durch den einfachen Text ist das Buch auch zum Selbstlesen für Erstleser geeignet. Die Keule hat sich jedenfalls gleich daran versucht.
Wir sind jetzt richtig auf den Eulen-Geschmack gekommen. Denn wichtig bei Kinderbüchern ist doch, dass sie den Kindern gefallen und immer wieder gelesen werden können. Die Heule Eule kann ich mit verbundenen Augen „lesen“, ich denke, bald wird es auch beim zweiten Buch soweit sein. Meine Lieblingsstelle ist übrigens die, als der Hirschkäfer auftaucht, dieser kleine Kerl mit Pseudogeweih, der immer wieder auf strenge, konservative Erziehung setzt. Warum? Weil auch Eltern manchmal den Hirschkäfer raushängen lassen müssen, nur vielleicht nicht gerade bei Heule Eulen.

Bewertung vom 30.10.2015
Der Sokrates-Club
Nida-Rümelin, Julian;Weidenfeld, Nathalie

Der Sokrates-Club


sehr gut

In neun Kapiteln beleuchten die Autoren verschiedene philosophische Fragen. Dabei geben sie immer zunächst ein philosophisches Gespräch mit Kindern wieder, anhand dessen sie das Thema einführen und gleich auch ein Beispiel aufzeigen, wie so ein Thema mit Kindern angegangen werden kann. In einem zweiten Schritt ist jedem Kapitel ein etwas fachlicherer Teil angefügt, der detaillierter und umfangreicher das behandelte philosophische Problem angeht.
Da werden beispielsweise die Fragen „Was ist Wahrheit“ und „Was ist Menschlichkeit“ behandelt. Im Rahmen eines Klassenzimmers oder dem privaten Wohnzimmer wird die Philosophiestunde immer wieder mit anderen Kindern angegangen, so sind auch die Einfälle der Kinder sehr unterschiedlich. Mit kindlicher Naivität und einfachen Regeln gehen die Kinder die Fragen an und erst im Miteinanderreden entstehen die großen Fragen.
Erstaunlich ist für mich, wie zielsicher die Kinder diese Fragen begreifen, ergreifen und weiterspinnen. Wie sie bei der Suche nach der Wahrheit zur Suche nach dem Wissen kommen und hier schon im Grundschulalter erkennen, dass Wahrheit und Wissen durchaus individuelle Konstrukte sind. Auch ohne die fachlichen Begriffen verstehen die Kinder die Problematik und die Anleitung der Moderatoren besteht – zumindest in den widergegebenen Gesprächen – aus wenigen Fragen, die weniger richtungsweisend, als anregend sind.
Bei diesen Überlegungen kommen auch Erwachsene gut in die jeweiligen Themen hinein und die angeschlossenen umfangreicheren Fachteile sind dank der vorangestellten Diskussionen besser zu verstehen. Die Fachteile sind dann nicht nur fachlicher und detaillierter, sondern auch weitreichender und gehen über die kurzen Diskussionen der Kinder weit hinaus, aber auch nicht so weit, dass sie nicht zu verstehen wären.
Richtige Philosophierunden mit Kindern werden wohl die wenigsten mit dem Sokrates Club im privaten Bereich führen. Mir hat das Buch aber für die kleinen Gespräche mit meinem Sohn, in denen er durchaus auch auf Themen zu sprechen kommt, die philosophische betrachtet werden können, ein paar Ideen und Gedanken gegeben. Im Bereich der Schule könnte ich mir solche großen Runden auch vorstellen. So oder so ist das Buch neben dem didaktischen Teil für das Philosophieren mit Kindern auch für das eigene philosophische Verständnis geeignet.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.10.2015
Über Literaturkritik
Reich-Ranicki, Marcel

Über Literaturkritik


ausgezeichnet

Reich-Ranicki geht systematisch vor und der Kritik dabei auf den Grund. Er beginnt bei den von ihm aufgezeigten Anfängen der Kritik in Deutschland und zitiert dabei einen französischen Aufsatz, der die Deutschen ganz schön schlecht wegkommen lässt. Die Unfähigkeit der Deutschen zur Kritik und auch die große Gegenwehr der deutschen Autoren wird dabei durch verschiedene Beispiele und Zitate belegt. Reich-Ranicki ist dabei aber nicht dogmatisch, sondern lässt Raum und wägt das für und wieder ab.
Dadurch wird der Essay zu einem interessanten, aber nicht rein wissenschaftlichen Werk. Vielmehr ist er für ein breiteres Publikum zugänglich, verständlich und mit Beispielen und einem klaren roten Faden durchaus gelungen. Dass er dabei vor allem in der Geschichte bleibt und lediglich zuletzt, in Bezug zu seinen eigenen Erfahrungen als Autor in die Gegenwart rutscht, mag dem Anspruch des Textes zu verschulden sein, lässt den Text aber etwas historisch wirken und die Frage nach der „aktuellen“ Position der Kritik bleibt.
Gleichzeitig zeigt sich hier der größte Raum des Essays, denn indem Reich-Ranicki zugibt, als Autor ebenso hart an Kritik kauen zu haben, wie alle, die er im Laufe der Zeit kritisiert hat, öffnet sich der Text der Gefühlsebene, die bei wissenschaftlichen Texten oft kurz kommt. Die eigene Verbindung und die Selbstwahrnehmung durch das eigene Werk machen Kritik, auch konstruktive, schwer anzunehmen, die Kritik selbst aber nicht weniger berechtigt.
Erstaunlich flüssig und angenehm zu lesen, wissensreich, aber nicht belehrend, ein durchweg gelungener Essay, der zurecht aus einem Buch von 1970 herausgesucht wurde. Wer sich mehr mit Literaturkritik auseinandersetzen möchte und auch ihren Wurzeln auf den Grund gehen will, ist hier genau richtig.

Bewertung vom 25.10.2015
Wer sind diese Kinder und warum sagen sie Mama zu mir?
Oefelein, Daniela

Wer sind diese Kinder und warum sagen sie Mama zu mir?


weniger gut

Ihre persönliche Geschichte vom Mamawerden und Mamasein erzählt Daniela Oefelein in Wer sind diese Kinder und warum sagen sie Mama zu mir, erschienen kürzlich bei Kösel mit 192 Seiten.
Mit leichten Anekdoten tischt die Erzählerin dabei Geschichten auf, die jedes Seifenoperndrehbuch toppen können. Etwa von den andauernden Reparaturen, den Problemen mit Kindergärten und Hausaufgaben. Stilistisch sicher sind die Erzählungen, immer wieder durchsetzt mit amüsantem Mail-Dialog mit der besten Freundin.
Was die Autorin mit ihrem Stil aufbaut, macht es leicht das Buch zu lesen. Die wirklich emotionale Seite – nicht nur mit den zwei Kindern, sondern auch mit der Totgeburt, die nicht zu sehr am Rande, aber auch nicht im Mittelpunkt steht, wird durch den Humor unterhaltsam. Der Leser kann mitlachen, mitweinen und sich mitfreuen, dass am Ende dann doch alles irgendwie gut gegangen ist.
Doch da steig ich dann aus, denn nicht nur zwischen den Zeilen, sondern mit entscheidenden Eckpunkten ist die Geschichte von Frau Oefelein – selbst wenn sie der Realität entspricht – ein Zeichen eines erschreckenden Frauenbildes. Denn wo die Frau arbeitet und Haushalt schmeißt (mehr oder weniger), sich aufopfernd um die Kinder kümmert, fehlt der Mann.
Nicht, dass die Erzählerin keinen hätte – dann wäre die Geschichte ganz anders. Sie hat einen, der einfach die ganze Zeit arbeitet und darum weder bei den häuslichen Katastrophen noch bei den kindlichen Problemen oder dem Beruf der Frau unterstützend helfen kann. Er ist einfach nie da. Mag sein, dass dies für die Autorin die Realität ist, in einem Buch wird es zu einem rückständigen Frauen- und Mutterbild. Denn die Erzählerin legt hier die Karten auf den Tisch und sagt, dass sie meint, eine Mutter müsse immer und überall alles für ihre Kinder tun. Sie – und nur sie allein – ist emotionaler und sicherer Anker. Traurig, dass noch immer viele so denken, tauriger, dass es in diesem Buch auch noch medial weiterverbreitet wird.
Auf den Druck, der dadurch auf der Mutter lastet geht die Autorin dabei kaum ein, meint stattdessen, es müsse eben so sein, als Frau und Mutter. Ein Unding meiner Meinung nach. Dieser unangenehme Beigeschmack macht es für mich dann trotz gutem, unterhaltendem Stil, zu einem mittelwertigen Buch, das mit seiner lapidarer Geschichte, die zwar zum Ende auf die Tränendrüse drückt und damit einen emotionalen Abschluss erzeugt, im Ganzen aber großenteils banal bleibt.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.