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Miro76
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Österreich

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Insgesamt 146 Bewertungen
Bewertung vom 28.10.2021
Die Enkelin
Schlink, Bernhard

Die Enkelin


ausgezeichnet

Kaspar Wettner erfährt nach dem plötzlichen Tod seiner Frau, dass diese eine Tochter geboren hatte. Sie hatte sie damals in der DDR zurückgelassen, abgelegt auf den Stufen eines Pfarrhauses, oder eines Waisenheims. Seine Frau hatte ihm nie davon erzählt. Sie wollte ihre Tochter suchen und hatte gleichzeitig so viel Angst davor, dass sie nur Artikel über Waisenkinder im Ostblock zusammengetragen hat.

Kaspar sieht in ihren Aufzeichnungen einen Auftrag und verfolgt die erste Spur, die ihm auch gleich weiterhelfen kann. Es ist gar nicht so schwer, die Tochter seiner Frau zu finden, doch eine Verbindung zu ihr kann er nicht aufbauen, denn sie lebt mit einer Gruppe Völkischer. Mit dieser Ideologie möchte Kaspar eigentlich nichts zu tun haben, doch er möchte die Enkelin kennenlernen, denn sie ist noch ein junges Mädchen.

Mit einem Kniff bindet er das Mädchen an sich und zeigt ihr eine andere Welt. Er bringt ihr Musik näher und sie zeigt großes Talent am Klavier. Mit Literatur versucht er ebenfalls ihren Horizont zu öffnen. Doch er verliert sie wieder, denn den Eltern gefallen diese Maßnahmen gar nicht.

Bernhard Schlink hat hier mehrere wichtige Themen aufgegriffen. Da ist einerseits die traurige Situation der Waisenkinder oder der schwierigen Kinder, die in Jugendwerkshöfen gelandet sind. Außerdem greift er des Thema des rechtsradikalen Denkens auf, das in vielen Teilen der östlichen Bundesländer den Alltag prägt. Der Autor erläutert gut, wie es dazu kommt und zeigt auf, dass dem nur mit Bildung beizukommen ist.

Mit Kaspar Wettner hat der Autor eine äußerst sympathischen und feinfühligen Protagonisten geschaffen, dem ich sehr gerne gefolgt bin, bei seinen Versuchen einem jungen Mädchen den Kopf zu öffnen und die Welt zu zeigen. In wie weit das gefruchtet hat, wird hier natürlich nicht verraten. Aber ich fand es sehr schön, diese Reise ins Erwachsen-werden lesend mitzuerleben. Ein interessantes uns liebenswertes Buch! Sehr lesenswert!

8 von 11 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.10.2021
Wenn ich wiederkomme
Balzano, Marco

Wenn ich wiederkomme


sehr gut

Daniela verlässt ihre Familie bei Nacht und Nebel, um in Italien als Pflegekraft zu arbeiten. Sie verabschiedet sich nicht, denn dafür fehlt ihr die Kraft. Aber die Kinder sollten es einmal besser haben. Sie sollen aufs Gymnasium gehen und studieren.

Doch welche Auswirkung diese Entscheidung auf die Kinder hat, zeigt uns Marco Balzano in diesem Roman. Im ersten Abschnitt lässt er den Sohn zu Wort kommen, der plötzlich seine ältere Schwester als Erziehungsperson akzeptieren soll. Die Mutter gibt zwar aus der Ferne Befehle, aber so richtig ernst nehmen kann das keiner.

Im zweiten Teil spricht die Mutter. Sie ist wieder in Rumänien, weil ihr Sohn im Koma liegt. An seinem Krankenbett erzählt sie ihm ihre Geschichte. Dass es für diese Frauen nicht leicht ist in der Fremde, liegt auf der Hand. Dennoch sieht sie noch immer nicht, dass sie ihren Kindern nicht nur Gutes getan hat. Vielleicht hätte es auch einen andere Weg geben können.

Im letzten Abschnitt lernen wir die Sicht der älteren Tochter kennen, die sich die Verantwortung auch nicht gewünscht hatte.

Der Autor behandelt hier ein wichtiges Thema. Es ist schön, dass diese Menschen, denen wir die Pflege und Obsorge der Alten anvertrauen einmal vor den Vorhang geholt werden. Und ich finde es auch gut, dass die Probleme der Zurückgebliebenen thematisiert werden. Allerdings verstehe ich nicht ganz, warum der Autor die Dringlichkeit der Geschichte durch diesen Unfall erhöhen wollte. Dieses zusätzliche Element nimmt dem ursprünglichen Problem den Nachdruck. Es ist so schon schlimm genug, dass die Kinder wenn sie Glück haben, bei den Großeltern sind, ansonsten aber in Heimen aufwachsen.

Die Aussage der Geschichte ist schwierig. Einerseits ist es eine Kritik an unserer Gesellschaft, dass wir unsere Kinder und Alten nicht selbst versorgen, aber es ist wohl auch eine Kritik an den Ländern, die die Frauen in mittelständischen Berufen so schlecht bezahlen, dass sie im Ausland schuften, um ihr Auskommen zu sichern.

Trotz dieser Kritikpunkte habe ich das Buch gerne gelesen. Es ist wunderschön geschrieben, die Charaktere sind ausgefeilt und die Motive nachvollziehbar. Aber es ist für mich nicht das beste Buch des Autors.

Bewertung vom 06.10.2021
Die Tränen der Welt
Falcones, Ildefonso

Die Tränen der Welt


ausgezeichnet

Barcelona, 1902. Wir begeben uns mit Ildefonso Falcones auf eine Reise in die Zeit der Arbeiteraufstände. Der Bürgerstand ist reich und wird immer reicher, die Kirche oktroyiert den Menschen strenge Verhaltensregeln auf und übersieht dabei, dass sie Mitschuld an der Armut der Massen trägt, während die Arbeiterschaft ums Überleben kämpft.

Der Autor führt uns direkt mitten in diese Missstände. An der Hand des Malers Dalmau Sala erleben wir, wie unmöglich es sein kann, sich aus seiner „Kaste“ zu befreien. Er ist ein Arbeiterkind mit großem Talent und noch größeren Ambitionen. Die Bürger bewundern zwar seine Arbeiten, aber näher an sich ran lassen sie ihn nicht. Er wird nie einer von ihnen sein.

Sein Vater war bereits Anarchist und wurde im Gefängnis zu Tode gefoltert. Seine Schwester und sein Bruder führen diesen erbitterten Kampf weiter. Auch seine Freundin Emma ist politisch engagiert, allerdings nicht so unbedingt wie Dalmaus Schwester, die früh im Roman bei einem Generalstreik ums Leben kommt.

Das Leben meint es alles andere als gut mit Dalmau und Emma. Dalmau stürzt in die Alkohol- und Drogensucht, Emma ist Alleinerziehende Mutter und sieht sich zum äußersten gezwungen um ihr Kind halbwegs ernähren zu können. Den beiden bleibt wirklich nichts erspart. Immer wieder versucht Dalmau die Anerkennung der Bürgerschaft zu erhalten und immer wieder steht ihm der Katholizismus im Weg. So richtet sich sein ganzer Zorn gegen die Kirche und er malt einen Zyklus an Bildern, der die Arbeiter aufstachelt, die Kirche anzugreifen. Der nächste Generalstreik mündet in der tragischen Woche, wo über 60 katholische Einrichtungen in Barcelona niedergebrannt wurden. Die Nonnen, Padres und Priester wurden allerdings verschont. Diese Angriffe richteten sich lediglich gegen die Institution.

Durch Dalmaus Bilder wurde er allerdings nun zum persönlichen Feindbild und sah sich gezwungen das Land zu verlassen. Leider haben es die Arbeiter wieder nicht geschafft, ihre Situation zu verbessern und wie es mit Spanien weiterging, ist uns ja bekannt.

Dalmau besucht sein Heimatland erst wieder im Alter. Nichts ist ihm geblieben, was ihn dort hingezogen hätte.

Mit „Tränen der Welt“ zeichnet der Autor ein lebendiges Gesellschaftsbild dieser Zeit. Er nimmt uns mit in eine Welt, die wir uns so heute nicht mehr vorstellen können. Wir sind den Kämpfern und Kämpferinnen der Arbeiterbewegung zu großem Dank verpflichtet. Ihnen ist es zu verdanken, dass wir heute eine 5-Tage Woche und den 8-Stunden Tag haben. Erkämpft wurde das alles mit Tränen, Schmerzen und Tod.

Leider verliert sich der Autor manchmal zu sehr in den Betrachtungen der architektonischen Leistungen dieser Zeit. Die Bauwerke des Modernisme sind auch heute noch beeindruckend, aber die ausschweifenden Beschreibungen lassen den Lesefluss schon sehr stocken und nehmen zu viel Tempo aus der Geschichte.

Dennoch habe ich das Buch sehr gerne gelesen, viel gelernt über diese turbulente Zeit und bin gerne wieder mal ins historische Barcelona gereist.

Bewertung vom 11.09.2021
Barbara stirbt nicht
Bronsky, Alina

Barbara stirbt nicht


ausgezeichnet

Herr Schmidt ist bereits Rentner, als er eines Tages aufwacht und alles ist anders. Er riecht keinen Kaffee und hört kein Hantieren aus der Küche. Wo steckt nur Barbara, seine Frau, die immer sein Leben organisierte.

Doch Barbara ist im Bad umgefallen und fühlt sich nicht gut. Herr Schmidt hilft ihr auf und führt sie ins Bett, wo sie quasi liegen bleibt.

Herrn Schmidt ist das alles ein Rätsel. Sie war doch immer gesund, hat sich nie beklagt. Wer soll den jetzt für ihn kochen und seinen Tag strukturieren?

Mühsam lernt Herr Schmidt auf eigenen Füssen zu stehen und beginnt dabei Barbaras Tätigkeiten endlich zu würdigen. Nicht alles gelingt ihm auf anhieb, aber er bessert sich.

Wenn Herr Schmidt von seiner Frau spricht, dann hat man als Leser*in das Gefühl, er spricht von einem Haustier. Er erzählt davon, wieviel Geduld er anfangs mit ihr hatte, weil das Essen nicht so schmeckt wie bei Mutti und ist stolz darauf, dass er sie nie geschlagen hat. Das liest sich streckenweise schon sehr heftig, aber man liest auch zwischen den Zeilen, dass sich Barbara ihr Leben wohl organisiert hat und nicht nur auf das Wohlwollen ihres Mannes angewiesen war. Manche seiner Aussagen jagen mir einen Schauder über den Rücken, aber über manche kann man auch schallend lachen. Er ist ein Urdeutscher, der es einfach nicht schafft, ein bisschen Weltoffenheit in sein Leben zu lassen.

Extrem amüsant fand ich, wie Harr Schmidt über seine Tochter denkt, die mit ihrer "besten Freundin" zusammenlebt. Auf den Gedanken, dass seine Tochter eine Frau hat, kommt er nicht einmal ansatzweise.

Doch Herr Schmidt beginnt mit seinen Aufgaben zu wachsen. Er öffnet seinen Geist, sein Horizont wird weiter und es könnte Sympathie für ihn aufkommen, bis es ihm wieder einen typischen Altnazisatz raushaut. Er kann eben doch nicht aus seiner Haut.

Wäre der Anlass nicht so traurig, würde es richtig Spaß machen, ihn bei seiner Entwicklung zu begleiten. Doch auch davor verschließt Herr Schmidt seine Augen, denn Barbara stirbt nicht!

Mit diesem Buch beschäftigt sich Alina Bronsiky, wie schon in den Vorgängern mit den Verschrobenheiten der älteren Generation. Doch diesmal setzt sie einen Großvater ins Zentrum und tut das mit gewohntem Wortwitz, kritisch und dennoch sensibel. Sie gibt diesem typischen Rollenbild eine Stimme; zeigt, dass auch unter der rauesten Schale ein weicher Kern stecken kann und dass man nie zu alt für Veränderung sein kann.

Mir hat das Buch hervorragend gefallen. Ich mag diesen schwarzen Humor und habe mich gut amüsiert bei der Lektüre, auch wenn ich mir manchmal dachte, dass man besser hinter vorgehaltener Hand lachen soll. Daher vergebe ich 5 Sterne und eine uneingeschränkte Leseempfehlung!

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.09.2021
Der Mauersegler
Schreiber, Jasmin

Der Mauersegler


sehr gut

Prometheus ist auf der Flucht. Mit seiner schwarzen Arztkutsche rast er in den Norden, bis er am Strand in Dänemark nicht mehr weiterkommt. Ja, er wollte ins Meer fahren; der Sand hat seine Räder blockiert.

Gefunden wird er von einer mürrischen, älteren Dame, die ihn erst mal mitnimmt auf ihren Hof, den sie gemeinsam mit ihrer Frau Helle betreibt. Sie haben außerdem eine kleine Pension und derzeit keine Gäste.

Die beiden Frauen sehen Prometheus seine Verzweiflung an und stelle erstmal keine Fragen. In der Natur kann er seiner Trauer freien Lauf lassen und die Arbeit mit den Tieren gibt ihm wieder Halt unter den Füßen.

Doch irgendwann muss sein Geheimnis an die Oberfläche und natürlich sind wir als Leser*innen auch gespannt, ob er sich nur die Schuld an Jakobs Tod gibt, oder tatsächlich auch schuldig ist.

Wie schon in ihrem ersten Roman beschäftigt sich Jasmin Schreiber mit dem Tod eines nahestehenden Menschen. Doch wo "Marianengraben" durchzogen von feinsinnigem Humor war, findet sich hier nur Verzweiflung. Das Ganze ist zwar aufgelockert durch Erzählungen aus der Kindheit der beiden Freunde. Wir erfahren, wie sie sich kennenlernten, was sie miteinander erlebten und wie nahe sie sich immer standen.

Die ganze Geschichte ist sehr berührend, aber Prometheus' Entscheidungen haben mich bei der Lektüre auch wütend gemacht und den Humor habe ich ganz klar vermisst. Trotzdem hat mir das Buch gefallen.

Bewertung vom 07.09.2021
Die Nachricht
Knecht, Doris

Die Nachricht


sehr gut

Ruth betrauert noch immer ihren vor 3 Jahren verstorbenen Mann, als sie beginnt, sich wieder zu verabreden. Wie es scheint, hat sie einen Mann kennengelernt, der ihr hilft, wieder Lust am Leben zu empfinden.

Da trudelt eine ominöse Nachricht bei ihr ein, die ihr zu denken gibt, denn kaum jemand weiß vom Inhalt dieser Nachricht.

Da sie beruflich immer wieder in der Öffentlichkeit stand und aktiv in den sozialen Netzwerken schreibt, ist sie an ein gewisses Maß an Beschimpfungen und Internettrolle gewöhnt. Sie reagiert erst mal nicht auf diese Nachricht.

Doch dann kommen immer mehr von diesen Nachrichten, werden immer perfider und gehen schließlich auch an ihre Freunde und Geschäftspartner.

Ruth versucht diese Nachrichten zu ignorieren, muss aber feststellen, dass die Inhalte bei ihrem Umfeld doch hängenbleiben und immer wieder überlegt wird, ob nicht doch ein Funken Wahrheit drinsteckt.

Als Leser*in beginnt man natürlich sofort zu raten, wer Verfasser*in dieser Anschuldigungen sein könnte. Die Autorin lenkt geschickt den Verdacht und man ertappt sich dabei, selbst in jede Falle zu tappen. Die Autorin spielt mit Opfer-/Täterumkehr und zeigt mit diesem Buch auf, wie schnell man bereit ist ein Urteil zu fällen.

Bis zum Schluss bleibt unklar, wer hier Verfasser dieser perfiden Nachrichten ist. Die Autorin zeigt auf, wie machtlos man als Betroffene ist und auch wenn man noch so stark ist, verändern einen die Inhalte. Langsam schleichen sich diese Anschuldigungen in die eigenen Gedanken ein und man beginnt, den Wahrheitsgehalt bzw. den Mangel daran zu hinterfragen.

Geschickt eingefädelt, spannend umgesetzt und doch bleibt eine gewisse Distanz zur Protagonistin. Sie ist nicht die sympathischste Person dieser Geschichte. Diese Kühle, die die Protagonistin ausstrahlt, macht mich zwar nachdenklich, verursacht aber auch, nicht so mitzuleiden, wie sie es eigentlich verdient hätte. Daher ziehe ich einen Stern ab.

Bewertung vom 27.08.2021
Junge mit schwarzem Hahn
vor Schulte, Stefanie

Junge mit schwarzem Hahn


ausgezeichnet

Martin ist ein aufgeweckter Junge und das muss er auch sein, denn als Mündel eines Dorfes ist es im Mittelalter nicht einfach sein Auskommen zu finden. Niemand fühlt sich für ihn verantwortlich, aber alle schätzen seine billige Arbeitskraft, denn er hütet schon mal für eine einzige Zwiebel einen ganz Tag lang die Ziegen.

Aber Martin ist ein schlauer Fuchs und erkennt recht früh die Dummheit der Dorfleute, deren Denken im Allgemeinen von der Kirche und von Mythen geprägt ist. Mit einem Wandermaler zeiht er weiter, denn er hat eine Mission. Er will die entführten Kinder retten, die die schwarzen Reiter mitgenommen haben.

Auf seiner Reise erlebt er allerhand Grausamkeiten, die im Mittelalter leider gängig sind. Mit detektivischem Spürsinn deckt er Ungereimtheiten auf und kommt seinem Ziel immer näher. Geheimnisse werden offengelegt, Mythen werden obsolet und der Intellekt gewinnt.

Eine großartige Geschichte hat Stefanie vor Schulte hier veröffentlicht! Ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen, so gefesselt hat mich die Reise dieses charismatischen Jungen.

Dieses Buch hat alles, was ein echter Pageturner braucht: spannende Handlung, ein smarter Protagonist und ein fesselnder Schreibstil. Deshalb gibt es ganz klar eine uneingeschränkte Leseempfehlung!

Bewertung vom 08.08.2021
Liebe Rock
Zürcher, Tom

Liebe Rock


sehr gut

Timm ist Schulabbrecher, jobbt in einem Supermarkt und bezeichnet sich selbst als Schriftsteller. Er hat zwar noch kein Buch veröffentlich, aber er schreibt zusammenhanglose Sätze in sein Wachspapierheft, das er immer und überall dabei hat.

Außerdem kann er ganz ordentlich trinken, wie ein richtiger Schriftsteller. Seine Zeit verbringt er bevorzugt in einer Spelunke, wo seine Angebetete Rock kellnert. Um nicht mehr bei den Eltern wohnen zu müssen, zieht er kurzerhand in die Rumpelkammer zu Rock und Marc und bringt ordentlich Wirbel in die WG.

Eigentum hat er keins und respektiert auch fremdes nicht. Er bedient sich in Marks Zimmer auch noch, als dieser es mit einem zusätzlichen Vorhängeschloss sichert.

Und er schafft es tatsächlich einen Roman zu veröffentlichen. Aus seinen Sätzen und Marks Dissertation bastelt er mit der Cut-up Methode ein Buch mit dem Titel 1.

Er lügt, betrügt und bleibt dabei in seiner kindlichen Naivität doch irgendwie sympathisch, bis er gegen Ende hin den Bogen in seiner Bessenheit Rock zu erobern, überspannt.

"Liebe Rock" ist ein Briefroman. Von Anfang an wird die Erwählte angesprochen und Timm's ganzes Handeln auf sie ausgerichtet, obwohl Rock wirklich nichts tut, was ihn dazu auffordert. Timm ist ein interessanter Charakter. Er wirkt kindlich naiv und überschreitet pausenlos sämtliche Grenzen, die er finden kann. Trotzdem hat damit irgendwie Erfolg und verliert auch nicht die Sympathie der Mitmenschen und der Leser*innen.

Mich hat das Buch hervorragend unterhalten, obwohl ich unendlich dankbar war, niemals einen Mitbewohner wie ihn gehabt zu haben.

Spannend fand ich auch, dass die Kapitel als Countdown angelegt sind. Das Buch beginnt bei 100 und als Leser*in kann man sofort rätseln, worauf es zusteuern wird.

Und lustig fand ich, wie der Autor das Feuilleton aufs Korn nimmt. Diese Abschnitte darf man natürlich mit einem Augenzwinkern lesen, man darf aber auch laut lachen!

Bewertung vom 06.08.2021
Der Brand
Krien, Daniela

Der Brand


ausgezeichnet

Rahel und Peter sind seit vielen Jahren verheiratet. Ihre Kinder sind erwachsen, die Tochter selbst schon Mutter, der Sohn angehender Gebirgsjäger. Ihre Familie hat sich wieder auf die beiden als Paar reduziert. Ihre Liebe ist ihnen im Alltag abhanden gekommen. Sie schlafen nicht mehr im selben Zimmer und seit einiger Zeit auch nicht mehr miteinander.

Peter scheint das nichts auszumachen. Er war schon immer sehr introvertiert, eher ein Kopfmensch, dem seine Triebe nicht so wichtig sind. Doch Rahel leidet darunter. Sie versucht ihren Körper straff zu halten, weiß aber, dass ihre Tage als schöne Frau vorbei sind.

Ihren ersten Corona-Sommer wollten die beiden in einer Hütte in den Bergen verbringen, doch wie es der Zufall will, werden sie das Haus einer Freundin in der Uckermark hüten und deren Tiere versorgen.

So stehen die beiden vor völlig neuen Aufgaben und stellen fest, dass ihnen das Landleben gefällt. Anfangs schleichen sie umeinander, gehen sich aus dem Weg und suchen doch immer wieder das Gespräch.

Ihre Ehe scheint unrettbar und als Leserin hatte ich das Gefühl, die Einsamkeit der Uckermark wird den Abgrund zwischen ihnen noch verstärken.

Doch ihre Ehe hätte nicht so lange gehalten, wenn sie sich nicht immer aufeinander verlassen könnten, ehrlich miteinander umgehen, auch wenn es nicht immer der einfachste Weg ist und sich Raum geben, wenn es nötig ist.

Das Buch scheint mitten aus dem Leben gegriffen. Ihre Probleme sind stellvertretend für viele Paare, die versuchen ihr Leben gemeinsam zu verbringen. Eine Ehe verläuft nicht linear und Daniela Krien zeigt auf, wie es laufen kann, wenn man bereit ist, für den Erhalt etwas zu tun, um einen geliebten Menschen zu kämpfen.

"Der Brand" liest sich fast wie von selbst. Es passiert nichts dramatisches, es ist aber auch nicht langweilig. Die Geschichte ist so durchschnittlich, wie ein ganz normales Leben und das macht sie wieder besonders. Manche werden sich darin finden, andere nicht und wieder andere sehen vielleicht ihre Eltern darin.

Die Geschichte ist gänzlich unaufgeregt. Aber dadurch hat sie mich emotional nicht berührt. Das Buch hat mir gefallen, mitgerissen hat es mich nicht. Daher vergebe ich 4 Sterne.