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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
ElliP
Wohnort: 
Hessen

Bewertungen

Insgesamt 139 Bewertungen
Bewertung vom 09.10.2021
Baby & Solo
Posthuma, Lisabeth

Baby & Solo


ausgezeichnet

Eine wunderbare Coming-of-age-Geschichte eines jungen Mannes, der sich von seinem Elternhaus emanzipiert, sich seiner problembeladenen Vergangenheit stellt und diese überwindet und sein Leben selbstbestimmt in die Hand nimmt. Das schafft er natürlich nicht alleine - eine ganz besondere Freundin und eine ganze Gruppe unterschiedlicher, skurriler Charaktere helfen ihm dabei. Es geht um das große Ganze, um Liebe, Freundschaft, Sexualität, psychische Erkrankungen, Lebensbewältigung, Erwachsenwerden und Verantwortung.
Sprachlich sehr geschickt sind die Dialoge häufig urkomisch, salopp, und doch so ernst und nachvollziehbar, voller origineller Metaphern, Bilder, die im Kopf bleiben. Wir erleben die Protagonisten mit ihrer Verletzlichkeit, ihren Ängsten und Sehnsüchten und leiden mit ihnen bei der Aufarbeitung ihrer Probleme.
Ein Roman, der zu Herzen geht, der wichtige Themen ins Zentrum rückt und zeigt, wie verrückt, traurig, urkomisch das Leben sein und wie man zu sich selbst und seinem Glück finden kann. Eine klare Leseempfehlung nicht nur für ein jugendliches Publikum!

Bewertung vom 09.10.2021
Die tristen Tage von Coney Island
Crane, Stephen

Die tristen Tage von Coney Island


ausgezeichnet

Und immer wieder begegnen uns der Tod, das unaussprechliche Grauen, die Sprachlosigkeit und Hilflosigkeit im Angesicht der Bedrohung - zeitlich einzuordnen vor über 120 Jahren - und trotz dieser großen zeitlichen Spanne haben die Geschichten sowohl etwas Aktuelles als auch Existenzielles, das uns heute noch aufrütteln und berühren kann.
Themen der Kurzgeschichten sind der Krieg, der Kampf des Menschen gegen die Natur oder auch gegen seinen Widersacher, den Fremden. Männliche Hauptfiguren, die ihren Mann stehen müssen, befinden sich im Zentrum - haben sie eine Chance? Von Zweifeln und Ängsten durchdrungen ringen sie mit sich selbst und der Gefahr von außen; Selbstaufgabe, Überwinden der Herausforderung, Sieg und Niederlage. Immer geht es um das große Ganze, das Überleben in einer extremen Situation. Neben der äußeren Darstellung hat der Leser Einblick in die Psyche der (Anti-)Helden, was einen großen Reiz ausmacht, die veränderte Gefühlslage, die schleichende Entwicklung, die Erlösung oder Zerstörung am Ende.
Der große amerikanische Autor des Naturalismus‘, der immer noch als Schullektüre in seiner Heimat gelesen wird, ist hierzulande eher unbekannt. Und gerade deshalb ist eine neue Übersetzung in deutscher Sprache begrüßenswert - diese Ausgabe zeigt, wie zeitlos die Geschichten sind, welches sprachliche Meisterwerk Stephen Crane geschaffen hat und wie sehr sein Werk es verdient, auch heute noch gelesen zu werden.

Bewertung vom 11.09.2021
Kleine Paläste
Moster, Andreas

Kleine Paläste


ausgezeichnet

Wir werden von einer ganz ungewöhnlichen Erzählerin in die Geschichte eingeführt - Sabine, die gleich zu Beginn durch einen unglücklichen Treppensturz zu Tode kommt, berichtet über ihr gesamtes Leben und ihren Unfall, der sie mitten aus dem Leben reißt. Nein, die Toten können sich nicht von der Welt der Überlebenden trennen und berichten, erzählen, erklären, versuchen noch einzugreifen, die Routine aufrecht zu halten und die Hinterbliebenen zu beeinflussen.
Aber nicht nur Tote erzählen, die Familiengeschichte geht weiter, wird wieder aufgerollt und peu a peu erfährt der Leser die Hintergründe, das Lügengeflecht, den Schein, der sich hinter der glänzenden, hellen Fassade verbirgt. Es gibt Täter und Betrogene, vom Unglück verfolgte, Stigmatisierte und Gefühlsgelähmte, Menschen, die aufgehört haben, ihr Leben in die Hand zu nehmen, die aufgrund eines Traumas in der Vergangenheit existieren, im Stillstand verharren und Veränderungen und Herausforderungen vermeiden. Diese beiden Sympathieträger möchte man schütteln, zu groß das Unverständnis, warum sie sich nicht von der Vergangenheit lösen können, warum sie sich nicht einem neuen Lebensabschnitt zuwenden und das Gewesene hinter sich lassen - zu gewaltig der Schmerz und die Verletzung?
Die Zeitdimensionen wechseln, Vergangenheit und Gegenwart enthüllen die gestörte Familienkonstellation und auch die unterschiedlichen Perspektiven tragen zur Lösung des Geheimnisses bei. Kann es Heilung und Neuanfang geben?
Ein ergreifender Roman, der durch seine poetische, dichte und ruhige Sprache besticht, teilweise skurril und von Komik durchdrungen, dann aber wieder bitterernst und bedrückend.
Eine klare Leseempfehlung und ein wahres Lesevergnügen!

Bewertung vom 24.08.2021
Revolution der Träume / Wege der Zeit Bd.2
Izquierdo, Andreas

Revolution der Träume / Wege der Zeit Bd.2


ausgezeichnet

Dieser Roman “Revolution der Träume” von Andreas Izquierdo lässt den Leser in die Zeit nach dem ersten Weltkrieg eintauchen. Es spielt vor fast genau 100 Jahren, es ist der 9. November 1918, der Kaiser ist soeben gestürzt worden und die Bevölkerung sehnt sich nach Frieden. Die Menschen haben genug gelitten, gehungert und gekämpft und sind voller Zuversicht und Sehnsucht nach einer besseren Zukunft. Allerdings werden diese Erwartungen nicht sofort erfüllt und es kommt anders...

In den Wirren dieser Zeit begegnen wir den drei ungleichen Freunden Carl, Isi und Artur, die versuchen ihr Glück zu machen: Artur, der geborene Anführer, der Mann mit der Maske und dem entstellten Gesicht, ein Ganovenkönig a la Mackie Messer, dessen wichtigstes Anliegen es ist, sich an seinem Erzfeind zu rächen; Isi, die wunderschöne, charmante, tolldreiste und immer voller Überraschungen steckende, unabhängige Frau, die für andere ihr Leben riskiert und für die Revolution kämpft und der kluge, sympathische Carl, ein Sensibelchen mit großem Herzen, ein Künstler, der seinem Traum von der Karriere am Filmset Lubitschs nachhängt.

Diese drei nehmen uns gefangen, gemeinsam kämpfen sie gegen Ungerechtigkeiten, folgen ihren Träumen und Zielen, treffen und verlieren sich wieder und sind immer im Fluss. Werden sie dabei erwachsen? Vernünftig? Kann es ein Happy End in dieser chaotischen Zeit geben?

Ein mitreißender Roman, der dem Leser beste Unterhaltung bietet und geschichtliche Hintergründe zum Leben erweckt, eine klare Leseempfehlung!

Bewertung vom 24.08.2021
Die Leuchtturmwärter
Stonex, Emma

Die Leuchtturmwärter


ausgezeichnet

Drei Männer verschwinden unter mysteriösen Umständen von einem Leuchtturm: Andrew, Bill und Vince - drei Leuchtturmwärter, die in den siebziger Jahren an der Küste Cornwells „The Maiden“ betreuen und auf engstem Raum für eine begrenzte Zeit dort zusammenleben, arbeiten und miteinander auskommen müssen.
Dieser wahre Fall, der nie aufgeklärt werden konnte und viel Raum für diverse Spekulationen bietet, hat immer wieder die Fantasie angeregt und liegt jetzt dem Roman von Emma Stonex zu Grunde.
Aus unterschiedlichen Perspektiven wird der Fall nun aufgerollt, denn 20 Jahre später möchte ein Autor einen Abenteuerroman über dieses ungeklärte Verschwinden veröffentlichen. Das Meer hat es ihm angetan und er hofft, durch Interviews mit den Hinterbliebenen und private Recherche, Zeitungsartikel, Akteneinträge, Briefe etc. der Wahrheit ans Licht zu verhelfen. Durch diese unterschiedlichen Puzzleteile wird der Leser angeregt, mit zu rätseln und Lösungswege zu konstruieren.
Ein unglaublich mitreißender Roman, der verschiedene Erzählweisen, Zeiten und Perspektiven verbindet. Auch findet ein reizvoller Wechsel zwischen unterschiedlichen Genres statt, Krimi a la Agatha Christie, Thriller, Abenteuerroman und Drama mit psychologischem Tiefgang, das Ganze verbunden mit poetischer Sprache, Betrachtungen über das Meer und die Naturgewalten, die menschliche Psyche in Extremsituationen, Freundschaft und Liebe und das alltägliche Miteinander.
Eine klare Leseempfehlung!

Bewertung vom 02.08.2021
Girl, Woman, Other
Evaristo, Bernardine

Girl, Woman, Other


ausgezeichnet

Sehr spannend, ein ganz neuartiger Blick auf die Biographien von Frauen mit multiethnischem Hintergrund! Eine eindeutige Leseempfehlung!

Bewertung vom 01.08.2021
Wie viel von diesen Hügeln ist Gold
Zhang, C Pam

Wie viel von diesen Hügeln ist Gold


ausgezeichnet

Der Sehnsuchtsort - Locus amoenus

Ein fulminantes Debüt - exquisit, spannend, einem Sog gleich, der einen mitten in diesen aufwühlenden Roman „Wie viel von diesen Hügeln ist Gold“ von C. Pam Zhang hineinzieht.

Die Geschichte der beiden Geschwister Lucy, Sam und ihrer Eltern ist anrührend, dramatisch und unvorstellbar. Im wilden Westen Amerikas sind die Menschen vom Wunsch nach Gold besessen und jeder hofft, sein Glück zu machen und Reichtum zu gewinnen. Es gibt wie überall Gewinner und Verlierer und das Abenteuer und die Gefahren des Lebens sind für alle Beteiligten allgegenwärtig.
Identifikationsfigur ist Lucy: Durch ihren Blick erfahren wir die Einzelheiten der Vergangenheit, sie öffnet uns die Augen, beschreibt Gefühle, Ängste, Sorgen, Hoffnungen, die Liebe zu Ma. Aus ihrer Sicht erfährt der Leser innerhalb der verschiedenen Abschnitte Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft - Armut, Gemeinheit, Diskriminierung, aber auch Überlebenswille, Lebensbejahung, und Hoffnung auf eine veränderte Lebenssituation, auf einen Neuanfang.

Die Gefühle der beiden Heranwachsenden sind nachvollziehbar, am Anfang beide verletzlich, klein, unsicher und doch stark, jeder auf der Suche nach Leben, Familie, Heimat und Identität. Die Verteilung der Rollen und auch die Zuneigung und das Verständnis des Lesers wechseln im Laufe des Romans mehrfach und deutlich wird allein, dass das Leben ein Fluss ist und es nicht die eine Wahrheit gibt.
Voller Poesie und mit einer bildgewaltigen Sprache, die das Mythische und Märchenhafte betont, entführt der Roman den Leser in eine fremde Welt, in der die gleichen Herausforderungen, Bedürfnisse und Sehnsüchte herrschen wie in der unsrigen - eine klare Leseempfehlung für einen außergewöhnlichen Roman!

Bewertung vom 16.07.2021
Die Wütenden und die Schuldigen
Düffel, John

Die Wütenden und die Schuldigen


ausgezeichnet

Die Krise in der Krise
Ein ergreifender, hochaktueller Roman, der sich neben dem Gegenwartsbezug auch den immerwährenden, zeitlosen Themen wie Familie, Beziehungen, Freundschaft, Krankheit, Tod, Schuld und Wiedergutmachung widmet - eine klare Leseempfehlung!
Im Mittelpunkt steht eine Familie und deren schwierige Konstellation in Zeiten der Corona-Epidemie: Ein todkrankes Familienoberhaupt, evangelischer Pfarrer im ehemaligen Osten, sein psychisch angeschlagener Sohn, mit dem er seit Jahrzehnten nicht gesprochen hat, seine Schwiegertochter, eine vielbeschäftigte Anästhesistin an der Charité und ihre beiden erwachsenen Kinder, die verlässliche und geerdete Selma und Jacob, der lebensuntüchtige, aber geliebte Sohn, Kunststudent, Aktmodell und in seine mondäne Professorin unsterblich verliebt.
Miteinander verwoben, aneinander gekettet, der Versuch, sich von der Familie zu lösen überstehen die Protagonisten die Herausforderungen der Epidemie - Lockdown, Quarantäne, Nähe und Distanz, Schweigen und gestörte Kommunikation - und suchen den eigenen Weg, die eigene Entwicklung, die sich so gar nicht nach Wünschen oder Plänen richtet.
Dicht, düster und großartig, mit Situationskomik ausgestattet, ergreifend und einfühlsam geschrieben taucht der Leser in die Familiensituation ein, lernt die unterschiedlichen Charaktere kennen, verstehen, z.T. auch annehmen und schätzen. So unterschiedlich sie alle sind, ist das Verbindende die Suche nach dem richtigen Leben, der Weg zur Ich-Findung, die Frage nach dem Sinn, die Beziehung zum Du. Jeder steckt in (s)einer Krise und muss sie letztendlich allein bewältigen.
John von Düffel schafft in „Die Wütenden und die Schuldigen“ den Spagat zwischen Aktualitätsbezug und großer Literatur, die die gegenwärtige Krise überdauern und ihre Aktualität auch nach Corona nicht einbüßen wird.

Bewertung vom 10.07.2021
Nur der Tod ist unsterblich
Gnettner, Reinhard

Nur der Tod ist unsterblich


sehr gut

Sternstunden der Vergänglichkeit
Das Wien der Gegenwart, fünf hochkarätige Schriftsteller und Literatur im Kaffeehaus - das Setting ist perfekt für eine anspruchsvolle Kriminalerzählung, bei der es mehr um die wirklich wichtigen Dinge im Leben als um das schnöde Verbrechen geht.
Der Leser begleitet die fünf betagten Herren, die sich in einer Alten-WG zusammengefunden haben und auf der Suche nach ihrem Opus Magnum, nach dem perfekten, großen, abschließenden Text - Gedicht, Roman, Novelle - sind. Dabei unterstützt sie die hinreißende Ella, die den besten Kaffee kocht und die Marotten der WG-Bewohner mit Charme und Chuzpe zu meistern versteht.
Und dann passiert das Unglaubliche, Unerhörte, ein erster kaltblütiger Mord erschüttert die Stadt und die Sensationsblättchen sind voll mit den Neuigkeiten des Tages. Der müde, sich auf seinen baldigen Ruhestand freuende Inspektor tritt auf den Schauplatz und muss den letzten, großen Fall seiner Karriere lösen.
Ein amüsanter, kurzweiliger Roman, der uns durch die Gassen Wiens führt, dem Leben der Vergangenheit und der Literatur huldigt, sich mit Vergnügen skurrile Gespräche, Begegnungen ausdenkt: Ja, so hätte es gewesen sein können. Die existenziellen Themen von Tod und Vergänglichkeit, der Sinn des Lebens, der Wert und die Schönheit der Literatur stehen im Zentrum und sicherlich fühlt sich so mancher nach der Lektüre verleitet, seine „Strudelhofstiege“ oder die „Sternstunden der Menschheit“ wieder einmal hervorzukramen und sich ein Stündchen den großen Literaten zu widmen.

Bewertung vom 03.07.2021
Untermieter im Kopf
Suter-Lattmann, Angela

Untermieter im Kopf


sehr gut

Es geht um eine große, kurze Liebe, eine Eintagsfliege? Liebe auf den ersten Blick? Liebe ohne Ende? Die Vergänglichkeit, Krankheit und Tod, der Genuss und die Wertschätzung des Augenblicks, Carpe Diem und Momento Mori geben sich die Hand. Weitere Themen sind die psychische Gesundheit bzw. die Krankheit, immer noch nicht vollends akzeptiert in unserer Gesellschaft, unter der Emma leidet, Freundschaft und Vertrauen, Hoffnung auf eine zweite Chance, auf eine erfüllte Beziehung.
Der Weg zum Krankenhaus stellt eine Herausforderung dar, den es zu meistern gilt und auf diesem Weg begleiten wir die Hauptfigur und lernen sie kennen, mit all ihren Makeln und besonderen Reizen, ihrem scharfen, durchdringendem Blick und ihrer spitzen Zunge. Die wesentliche Begegnung erfolgt auf diesem Weg - kann so ein Augenblick ein ganzes Leben verändern? Schicksal und größtes Glück zugleich sein?
Das überraschende Ende zeigt uns, was alles möglich ist und den Schluss darf sich der Leser selbst schreiben, Happy End? Happy End…
Ein wahres Lesevergnügen aufgrund der zielgerichteten Erzählung, der wunderbar dichten Sprache und des ungewöhnlichen Inhalts!