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Aus Liebe zum Lesen
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Rannungen

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Insgesamt 203 Bewertungen
Bewertung vom 11.07.2022
Die Kaputten und die Kaputtgemachten

Die Kaputten und die Kaputtgemachten


ausgezeichnet

Nach den Säuferinnen und Säufern hat Katapult mit „Die Kaputten und die Kaputtgemachten“ den zweiten Philosophen-Band nachgelegt. Wie auch im ersten Buch werden wieder mehr oder weniger bekannte Philosoph*innen vorgestellt, darunter Rosa Luxemburg und Ludwig Wittgenstein, aber auch Simone Weil und mein neuer Lieblingsphilosoph Slavoj Žižek.

Zu jedem der vorgestellten Denker und Denkerinnen gibt es ein Kapitel vollgepackt mit Informationen zum Leben und Werdegang, einem kuren Einblick in die wichtigsten Thesen und viele Zusatzinformationen, viele davon in grafischer Form, wobei diese im zweiten Band noch weiter gefasst sind und noch mehr Themenbereiche abdecken als noch im ersten Band.

In gewohnter Manier sind sowohl die farbenfrohen Grafiken als auch die Texte leicht verständlich und sehr interessant. Mir gefällt auch die Auswahl an schlauen Köpfen, die nicht nur die üblichen Verdächtigen umfasst und auch für den zweiten Band kann ich eine uneingeschränkte Leseempfehlung aussprechen.

Bewertung vom 08.07.2022
Der Papierpalast
Heller, Miranda Cowley

Der Papierpalast


sehr gut

Mit mir und gehypten Büchern ist das immer so eine Sache. Miranda Cowley Hellers „Der Papierpalast“ hat mich trotzdem angesprochen und ich konnte dem Drang nicht widerstehen, zu erfahren, ob da wirklich was dran ist.

Die Rahmenhandlung spielt an nur einem einzigen Tag in ihrem Familienferienhaus, dem Papierpalast, wo sich ihr Leben an einem Scheitelpunkt befindet. In Rückblenden wird in einem zweiten Erzählstrang ihr bisheriges, 50-jähriges Leben chronologisch erzählt.

Ich habe ein bisschen gebraucht, bis ich in die Geschichte eingetaucht bin. Und auch später zeigt das Buch durchaus einige Längen. Was mir sauer aufgestoßen ist, ist die zentrale Rolle, die verschiedene Missbräuche spielen, zumal es keine Triggerwarnung gibt. Dennoch hat mir die Geschichte insgesamt ganz gut gefallen. Insbesondere die beiden miteinander verwobenen Erzählstränge machen das Buch interessant und vor allem zum Ende hin durchaus spannend.

Mit der Protagonistin konnte ich bis zum Ende hin nicht warm werden, was mir in der Regel nicht gefällt. Aber hier hat es der Geschichte zum Glück nicht geschadet. Vielleicht, weil ich so weit von deren Lebenswelt entfernt bin, was angesichts der Traumata, die Elles Leben bestimmen, auch gut so ist.

Wer eine leichte Lektüre sucht, ist hier an der falschen Stelle. Miranda Cowley Heller hat einen Familienroman mit ziemlich dramatischen Szenen geschrieben, der dennoch lesenswert ist.

Bewertung vom 05.07.2022
Bauhaus - Die illustrierte Geschichte
Grande, Valentina

Bauhaus - Die illustrierte Geschichte


ausgezeichnet

Ich muss zugeben, ich bin ein bisschen besessen vom Bauhaus, weswegen mir das Buch keine neuen Fakten zur Geschichte des Bauhauses erzählen konnte. Und dennoch war die Herangehensweise eine völlig neue und sehr spannende. Im Buch lässt Valentina Grande das Bauhaus selbst als Ich-Erzähler zu Wort kommen. Chronologisch werden wir durch die Geschichte der Design- und Architekturschule geführt, die so viel mehr war als das.

An Sergio Varbellas Illustrationen gefällt mir sehr gut, wie nah sie an der Realität bleiben. Man erkennt z. B. dargestellte Personen und Gegenstände an wenigen markanten Details. Überhaupt bleiben die Zeichnungen dem Stil des Bauhauses treu.

Die Intention war es, laut Nachwort, die überschwängliche Lebensfreude des Bauhauses einzufangen und darzustellen. Das ist in meinen Augen nicht ganz gelungen. Ich hätte mir dazu z. B. mehr Szenen aus der Lehre gewünscht. Außerdem hätte ich an einigen Stellen kräftigere Farben verwendet. Viele Seiten vermitteln in ihren Sepiafarben eher eine triste Stimmung als die Lebensfreude der Studierenden und ihrer Werke. Lobend möchte ich erwähnen, dass die Autorin auch auf die Situation für Frauen am Bauhaus eingeht, die trotz des fortschrittlichen Lehransatzes und aller Freiheiten, nicht ganz so frei waren, wie man in der Retrospektive gerne annimmt.

Valentina Grande und Sergio Varbella haben eine tolle Graphic Novel zur Geschichte des Bauhauses geschaffen, die alle wichtigen Ereignisse umfasst und den Geist des Bauhauses weiterleben lässt.

Bewertung vom 03.07.2022
Tiefes, dunkles Blau
Kobler, Seraina

Tiefes, dunkles Blau


gut

Die Szenerie könnte nicht traumhafter sein. Die Autorin beschreibt die Stadt absolut malerisch und in der ersten Hälfte treten der Mordfall des toten Arztes Dr. Jansen und die damit verbundene Ermittlungsarbeit oft in den Hintergrund. Über das gesamte Buch hinweg bleibt das Tempo eher gemächlich und Spannung kommt nur im letzten Teil etwas auf, wobei die Lösung des Mordfalls leider früh zu erahnen ist.

So schön die Beschreibungen der Landschaft und Stadt auch sind, ist es mir vor allem bei den kulinarischen Ausführungen zu viel des Guten. Die wissenschaftlichen Ausführungen zur Gentechnik, die im Mordfall eine Rolle spielen, sind recht gut verständlich und interessant, allerdings geht mir die ethische Diskussion nicht tief genug, was der Vielzahl der unterschiedlichen Interessengruppen und Charaktere und überhaupt dem vielen „Drumrum“ geschuldet ist.

Die Ermittlerin Rosa Zambrano ist interessant und sympathisch angelegt. Da es sich offensichtlich um den Auftakt einer Reihe um die Polizistin handelt, wurde ihr Umfeld sehr breit angelegt, auch das war mir ein bisschen viel für ein einzelnes kurzes Buch.

Als Krimi war es mir zu wenig Spannung und eine zu unausgewogene Story mit viel zu viel „Drumrum“. Da mir die Ermittlerin und die Szenerie gut gefallen haben, kann ich mir aber vorstellen, dass die geplanten Folgebände einiges an Potential bieten.

Bewertung vom 01.07.2022
So sind Familien
Allert, Judith

So sind Familien


ausgezeichnet

Auf der Suche nach einem wirklich vielfältigen Vorlesebuch haben wir in der letzten Woche „So sind Familien – Lauter liebevolle Vorlesegeschichten“ von Judith Allert und Marie Braner aus dem Carlsen-Verlag gelesen.

In 14 Geschichten lässt uns Autorin Judith Allert in die verschiedensten Familien blicken. Da ist z. B. Clara mit ihren beiden Mamas, die dem ersten Schultag entgegenfiebern, die Zwillinge Deniz und Malik, die so gleich aussehen, und doch nicht gleich sind, Papa Jonas, der gar nicht Fahrrad fahren kann und ein ganz besonderer Geburtstag bei Familie Krachmann. Die Charaktere, Familien und Geschichten sind so vielfältig wie das echte Leben und die Geschichten mitten aus der Lebenswelt unserer Kinder.

Etwas ganz Besonderes ist auch die liebevolle Gestaltung des Buchs. Marie Braner hat die Figuren äußerst sympathisch gezeichnet. Die Bilder sind farbenfroh, aber nicht überladen und gefallen sowohl mir als auch meinen Kindern sehr gut. Vor jeder Geschichte wird die Familie namentlich vorgestellt, sodass man gleich einen ersten Eindruck hat und weiß, wer in der Geschichte vorkommt – ein Highlight für meine Kinder. Ein weiteres ist, dass die einzelnen Figuren auch immer wieder in anderen Geschichten auftauchen, als Freund, als Frisör oder Onkel.

Uns hat das Vorlesebuch begeistert. Die Geschichten sind vielfältig, aber klischeefrei und zusammen mit den liebevollen Illustrationen macht das (Vor)lesen großen Spaß.

Bewertung vom 30.06.2022
Der Zopf meiner Großmutter
Bronsky, Alina

Der Zopf meiner Großmutter


sehr gut

Mögt ihr etwas skurrile Figuren auch so gerne? Die Meisterin zum Erschaffen solcher ist und bleibt Alina Bronsky. So auch in „Der Zopf meiner Großmutter“.

Eben diese Großmutter ist ein absolutes Unikat. Zusammen mit ihrem Mann und ihrem Enkel emigriert sie von Russland nach Deutschland. Aus Angst vor Keimen und Krankheiten betüdelt sie den Enkel und Ich-Erzähler so sehr, dass sie ihn sogar die ersten Wochen in der Schule begleitet, auch wenn sie kaum ein Wort Deutsch spricht. Und als ihr Mann sich in eine andere Frau verliebt, findet sie eine pragmatische Lösung.

So meschugge, resolut und einengend die Großmutter auch ist, tut sie doch alles aus Liebe und bringt den Leser immer wieder zum Schmunzeln. Alina Bronsky schafft den Akt auf dem Drahtseil zwischen bitterböse und lustig einmal mehr und zeichnet absolut unkonventionelle Figuren, die man dennoch einfach lieben muss. Lediglich den Schluss fand ich nicht ganz überzeugend.

Bewertung vom 24.06.2022
Meine kleine Welt (eBook) (eBook, ePUB)
Arenz, Ewald

Meine kleine Welt (eBook) (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Seit „Alte Sorten“ und „Der große Sommer“ bin ich ein Fan von Ewald Arenz und habe mich jetzt über seine Kolumnensammlung „Meine kleine Welt – Familiengeschichten“ gefreut.

In den kurzen Episoden schreibt Arenz über seinen Familienalltag, den er mal mehr und mal weniger verfremdet, überspitzt oder weiterspinnt und auch mal bis zur Spitze treibt. Viele Situationen sind einem aus dem Alltag bekannt und so macht es unheimlich Spaß zu lesen, was Ewald Arenz aus ganz banalen Situationen, wie dem Frühstück, einer Reisebuchung oder einem Kindergeburtstag so macht. Denn manchmal lässt sich der Alltag eben nur mit Humor bewältigen.

Seine sprachliche Brillanz stellt der Autor auch hier wieder zur Schau und so fliegt man nur so durch die knapp 200 Seiten des Buchs. Vielleicht sollte man die Kolumnen auch lieber häppchenweise genießen, um dem eigenen Alltag ein bisschen zu entfliehen. Kurzweiligen Lesegenuss bietet das Buch jedenfalls so oder so.

Ein kleines Highlight ist für mich außerdem die Herkunft des Autors und Verlags und auch meine, denn wie sagen wir hier so schön „man kann Gott nur danken für die Erschaffung der Franken“ ;)

Bewertung vom 20.06.2022
Banksy
Mattanza, Alessandra

Banksy


ausgezeichnet

Wer kennt sie nicht, die markanten Stencils von Banksy, wie das Mädchen mit dem roten Ballon? Sicherlich hat auch das Geheimnis um den (oder die?) Künstler hinter dem Pseudonym Banksy seinen Anteil an dessen Popularität. Im Prestel Verlag ist nun ein Bildband mit den bedeutendsten Werken unter dem schlichten, wie passenden Namen „Banksy“ von Alessandra Mattanza erschienen.

Und das Buch macht einiges her! In Großformatigen Bildern führt uns die Autorin durch die Werke Banksys. Die Anzahl der vorgestellten Bilder ist wirklich immens. Außerdem gibt es viele Informationen zu den Werken, zur Arbeit und zur Entstehung der Bilder und Stencils. Auch zu Banksy selbst schreibt die Autorin, was bislang bekannt ist.

Alessandra Mattanza hat selbst ein Meisterwerk geschaffen, dass sowohl durch hohe Informationsdichte als auch tollen Bildern besticht.

Bewertung vom 16.06.2022
Ein unendlich kurzer Sommer
Pfister, Kristina

Ein unendlich kurzer Sommer


gut

So langsam wird es Zeit für Sommerromane, oder? Kristina Pfisters Roman „Ein unendlich kurzer Sommer“ verheißt laut Klappentext und Cover ein solcher zu werden.

Auf einem Campingplatz mitten in der Provinz treffen die vor der Trauer und ihrem bisherigen Leben weglaufende Lale, der griesgrämige Campingplatzbesitzer Gustav, der überbehütete Flo und Chris zusammen, der auf der Suche nach seinem Vater ist. Wie sich erahnen lässt, handelt es sich also nicht in erster Linie um eine idyllische Urlaubsgeschichte. Vielmehr stimmt die Autorin auch ernstere und melancholische Töne an und lässt die Figuren mit all ihren Problemen aufeinanderprallen.

Genau das läuft mir aber auch für einen Sommerroman zu glatt und leicht ab. Die Konflikte werden, gerade in Bezug auf Lale nur oberflächlich behandelt, statt diese wirklich zu lösen. Insgesamt finde ich die Geschichte zu sehr an den Haaren herbeigezogen, wenngleich sie auch einige schöne Szenen enthält, wie man sie in einem Sommerroman erwartet.

Mir gefällt, dass die Figuren nicht zu stereotyp angelegt sind. Allerdings fehlt mir vor allem bei Lale und Chris eine Entwicklung der Charaktere, während sich Gustav von heute auf morgen um 180 Grad wendet, was nur dürftig in einem Nebensatz erwähnt wird und somit extrem unglaubwürdig wirkt. Leider konnte keine der Figuren wirklich Sympathien bei mir erzeugen. Außerdem ist mir sauer aufgestoßen, wie häufig die Personen zugedröhnt und betrunken sind. Ich bin die Letzte, die etwas gegen ein Feierabendbierchen in gemütlicher Atmosphäre einzuwenden hat, aber mir war der ständig erwähnte Alkoholkonsum too much.

Zurück bleibt ein manchmal etwas zäher, nicht ganz harmonischer Sommerroman mit melancholischen Tönen. Ich hoffe, dass die kommenden Wochen noch ein paar Bücher mit stimmigerem Sommerfeeling bereithalten.

Bewertung vom 10.06.2022
Camanchaca
Zúniga, Diego

Camanchaca


ausgezeichnet

Da ich vermehrt Indie-Verlage und auch unbekannte Autoren lesen möchte, habe ich mich mal wieder auf die Suche begeben und bin bei Camanchaca vom chilenischen Autor Diego Zúñiga aus dem Berenberg-Verlag hängengeblieben.

Er erzählt darin aus dem Leben eines Jugendlichen, dessen Leben gerade auf dem schmalen Grat zwischen Zukunft und Abstieg steht. Als Scheidungskind wächst der Ich-Erzähler bei seiner Mutter auf. Dass die Umstände seines Lebens nicht zum Besten stehen, zeigt sich nicht zuletzt an schlechten Zähnen, ebenso schlechten Noten, hohem Übergewicht und wenig Geld. Dies wird in Rückblicken jeweils auf der linken Buchseite erzählt.

Dazu im Wechsel jeweils auf der rechten Buchseite findet der aktuelle Handlungsstrang statt, in dem der Junge die Ferien bei seinem Vater und dessen neuer Frau und dem Halbbruder und im Haus seines Opas verbringt. Und grade dieser ständige Wechsel des Erzählstrangs macht das Buch zu etwas Besonderem. Durch die beiden Zeitebenen ergibt sich ein Gesamtbild des prekären Lebens des Ich-Erzählers.

Dabei lebt der Roman vor allem durch das Nichtgesagte. Einige Kapitel sind nur wenige Zeilen lang, an vielen Stellen bleibt die Erzählung vage und doch funktioniert die Geschichte. Man befindet sich sofort im Sog des Melancholischen, Trägen, Trostlosen und möchte dem Jungen gerne den kleinen Tritt verpassen, dass er sein Leben endlich in die Hand nimmt.

Auch wenn das dünne Buch eine schnelle Lektüre verheißt, ist es dennoch keine leichte Kost und schnell weggelesen, stattdessen geht es tiefer und hallt vor allem durch das Nichtgesagte nach.