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amara5

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Insgesamt 123 Bewertungen
Bewertung vom 15.07.2020
Das wirkliche Leben
Dieudonné, Adeline

Das wirkliche Leben


sehr gut

Jäger und Gejagte

Das wirkliche Leben der namenlosen, 10jährigen Ich-Erzählerin ist kaum zu ertragen. Der sadistische Vater und Großwildjäger misshandelt die Mutter psychisch und physisch, trinkt und guckt Fernsehen. Die Mutter gleicht einer Amöbe, hält sich so gut es geht aus allem raus und kümmert sich aufopferungsvoll um ihre Ziegen, während im Keller im Kadaverzimmer die ausgestopften Tiere des Vaters hängen.

Wie in einem Pulverfass nehmen die erschreckenden, brutalen und quälenden Ereignisse in einer sich konstant aufbauenden Thriller- und Angststimmung ihren Lauf. Bei einem schrecklichen Unfall müssen die Protagonistin und ihr vier Jahre jüngere Bruder Gilles mitansehen, wie der Eismann ihres Viertels in seinem Wagen explodiert. Die beiden sind schwer traumatisiert und erhalten zuhause keine Hilfe - im Gegenteil. Gilles verliert sein Lächeln und fängt an, Tiere bestialisch zu quälen, während der Vater immer mehr die Kinder als Zielscheibe seiner Misshandlung entdeckt. Das fantasievolle, empfindsame und von Schuldgefühlen geplagte Mädchen hegt von nun an den Wunsch, eine Zeitmaschine zu bauen, um wieder in die Vergangenheit vor den Unfall zu reisen. Sie beginnt sich bei einem alten Professor in Physik unterrichten zu lassen, kommt in die Pubertät und schwärmt für einen älteren Nachbarn. Je mehr ihre weiblichen Formen zunehmen, desto rasender wird der Vater, der sie eines Nachts als Beute für seine Treibjagd benutzen wird. Doch die unbändige Widerstandskraft des Mädchens ist nicht zu bremsen und erwacht da erst recht zum vollen Leben.

Adeline Dieudonné ist mit ihrem Debütroman ein faszinierender und ambivalenter Wurf gelungen - Grobheit trifft auf Zartheit, Beklemmung und Angst auf Lebensmut. Mit einer präzisen, filmischen Sprache, die trotz Gewalt und Blut mit poetischen, außergewöhnlichen Sprachbildern glänzt, katapultiert sie den Leser direkt in das scheinbar aussichtslose Leben des Mädchens und ihrem unbändigen Willen, sich daraus zu befreien, um keine Beute mehr zu sein. Und sie gibt den Leser erst wieder frei, wenn er die Geschichte zu Ende gelesen hat - abgeschreckt aufgerüttelt, hypnotisiert durchgeschüttelt und die brachialen Schläge noch im Nacken, die der Vater verteilt hat. Das entsetzt, wirkt lange nach und muss verdaut werden.

Bewertung vom 13.07.2020
Vegan! Das Goldene von GU

Vegan! Das Goldene von GU


sehr gut

Goldene Klassiker, pfiffige Neuheiten
„Das Goldene von GU“ bietet auf 400 Seiten eine große Vielfältigkeit über veganes Essen und stellt über 300 vegane Rezepte vor - sehr strukturiert und optisch hochwertig aufbereitet.
Nach einem kleinen Workshop, wie man vegane Basics wie Nussmilch, Hafersahne, Cashewjoghurt und Co. selbst herstellen kann, geht es los mit klassischen (Porridge) und recht außergewöhnlichen (Haferbirnensuppe) Frühstücksideen. Auf Anhieb ein Augenfang neben den großen, sehr gut in Szene gestellten Bildern sind die treffsicheren und lustigen Beschreibungen der Gerichte nach dem Titel wie "Morning-Aufpepper in Quietschgrün" oder "Unverwüstliche Kindheitserinnerung".

Im Folgkapitel „To go und Zwischendurch“ gibt es viele nützliche Tipps, um gesund und vegan durch die Mittagspause oder unterwegs zu kommen - mit Salaten, Snacks und Fingerfood. Insgesamt ein starker Abschnitt mit tollen Salaten, Dressings und anderen Köstlichkeiten wie vegane vietnamesische Sommerrollen und Sushi sowie Wraps, Aufstriche und Falafel.

Auch das folgende Kapitel „One-Pot-Seelenfutter“ mit vielen Suppen, Eintöpfen und Currys hat mich überzeugt, denn das ist die Ernährung mit viel Gemüse, die ich schätze und täglich koche. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass sich alles recht unkompliziert und ohne große Zutatensuche nachkochen lässt. Bei „Hauptgerichte für jeden Tag“ gibt es auch viel Gemüse und dazu Pasta, Pizza und Hülsenfrüchte, Ofengemüse, Gemüsepuffer und Co.

Einzig und alleine der recht großzügige Abschnitt mit "Tut so wie Fleisch"-Rezepte bei den veganen Küchenklassikern war nicht so ganz mein Geschmack - zuviel Tofu und und ähnlicher „Fleischersatz“ . Aber das ist Geschmackssache.

Sehr gut gelöst wird nach dem umfangreichen und sehr ansprechenden Teil über Süßspeisen das Inhaltsregister, denn es wird auch nach Zutaten sortiert - so kann man die vielen übrigen Möhren bestimmt schnell in ein passendes Rezept integrieren.

Ein insgesamt sehr ansprechendes Kochbuch und besser als erwartet - mit goldenen, bodenständigen Klassikern wie Wirsingtopf und Röstkartoffeln sowie pfiffigen Rezepten aus indischer oder asiatischer Küche. Ein gut gelungenes, buntes Potpourri an veganen Köstlichkeiten, gespickt mit Küchenpraxis-Infos, aus dem man immer wieder aufs Neue schöpfen kann.

Bewertung vom 07.07.2020
Die Marschallin
Del Buono, Zora;Del Buono, Zora

Die Marschallin


sehr gut

Geballte Fäuste für die Freiheit

Die Slowenin Zora del Buono, geborene Ostan, ist die gleichnamige Großmutter der Autorin, die ihr mit „Die Marschallin“ eine literarische Erinnerung geschaffen hat. Sie ist schlau, scharf analysierend, temperamentvoll, strenge Majorin über ihren von Männern dominierten Familienclan und – glühende Kommunistin.
Zora entführt uns in die Zeitspanne von 1919 bis zu ihrem triumphalen Resümee im Jahre 1980. Kriege beuteln und verändern ihr Land immer wieder schwer aufs Neue. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs lernt sie ihren Mann, den angesehenen Radiologen Pietro del Buono kennen, mit dem sie drei Söhne bekommen und in einer von ihr entworfenen, noblen Villa in Bari wohnen und viele feudale Gäste empfangen wird. Gemeinsam stehen sie ideologisch gegen den Faschismus von Mussolini und für Tito. Zora ist im Herzen Trotzkistin, hat sich zwar mit ihrer Mutterschaft „abgefunden“, doch würde lieber für die Freiheit als Partisanin an der Front kämpfen – als Macherin oder Majorin Dinge umwälzen, Gesellschaften verändern, Neues fließen lassen.

Geografisch und zeitlich in der Überschrift des jeweiligen Kapitels verortet, stellt uns die Autorin eine multiperspektivische Biografie mit (vermutlich) teils fiktiven und stets realen historischen Begebenheiten in Italien und dem ehemaligen Jugoslawien vor. Die Gewalt der Kriege und des Faschismus, die eigenen Ideologien und Lebenswünsche, aber vor allem auch viele bildgewaltige zwischenmenschliche Geschehnisse wie Familie, Liebe, Träume und Dramen machen den Roman aus und lesenswert.
Del Buono schreibt sehr flüssig, gut recherchiert und kein Wort ist zu viel – der Lesefluss ist nie gestört. Fasziniert hat mich die fulminante Abschlussrede der alten Zora im Altersheim, immer noch unnachgiebig, aber auch trauernd um ihre vielen schicksalshaft verstorbenen Lieben. Die harte Schale immer noch fest, doch auch dankbar für ihre lange Ehe – und immer noch geballte Fäuste für ihre Art zu Denken und zu Herrschen.

Ein größtenteils sehr poetischer, menschlicher, dynamischer und magischer Roman, der den Leser bildgewaltig in wichtige historische Ereignisse, aber auch in ein ganz persönliches Leben voller Schicksale und Sehnsüchte eintauchen lässt!