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Benutzername: 
heinoko
Wohnort: 
Bad Krozingen

Bewertungen

Insgesamt 587 Bewertungen
Bewertung vom 16.02.2022
Zuhause kochen und genießen
Rüffer, Christoph

Zuhause kochen und genießen


sehr gut

Ein Kochbuch eher zum Anschauen als zum Nachkochen

„Das Glück des Kochens“ will uns Christoph Rüffer vermitteln. Keine leichte Aufgabe für ihn, der Sterne-Koch im Hotel „Vier Jahreszeiten“ in Hamburg ist. Wie nah ist ein Koch feinster Gerichte noch dem „normalen“ Menschen mit durchschnittlichen Kochkenntnissen, durchschnittlichem Budget und durchschnittlichen Essgewohnheiten? Für mich jedenfalls ist das Kochbuch zwar eine echte Augenweide, aber leider, leider keine Verführung zum Kochen.

Jan-Peter Westermann hat traumhaft schöne Fotos geschaffen, die sogar eine ganz normale (und für mich eklige) Blutwurst so appetitlich erscheinen lassen, dass man reinbeißen möchte. Auch die gesamte Gestaltung des Buches ist sehr gut gelungen, wie ich finde. Gerade die doch sehr pragmatische Kapiteleinteilung nach Aufwand und Lebensmittelkategorien gefällt mir. Zutatenliste und Kochanweisung sind sehr übersichtlich dargestellt. Und, wie bereits gesagt, für jedes Rezept gibt es ein ganzseitiges, äußerst ansprechendes Foto, das jeweils äußerst verlockend wirkt. Und doch fand ich im gesamten Buch nicht ein einziges Rezept, das ich nachkochen würde! Entweder enthält es eine oder mehrere Zutaten, die ich, in einer Kleinstadt lebend, nicht zu kaufen bekäme. Oder das Rezept basiert auf Zutaten, die ich absolut nicht mag. Oder der notwendige Aufwand wäre mir das Ergebnis nicht wert. So leid es mir tut, in meiner Koch- und Esswelt findet der Sternekoch keinen Platz. „Das Glück des Kochens“ konnte er mir leider nicht vermitteln.

Fazit: Ein großartig gestaltetes, mit wunderschönen Fotos versehenes Kochbuch mit Gerichten, die leider allesamt keinen Platz in meinem Kochalltag finden können.

Bewertung vom 14.02.2022
Bone Music
Almond, David

Bone Music


gut

Mystisch verbrämte, symbolüberladene Geschichte eines Reifungsprozesses

Ein seltsames Buch hat David Almond hier geschrieben. Seltsam für 14-Jährige, aber auch seltsam für Ältere. Mir jedenfalls hat sich nicht alles erschlossen, was der Autor mit seiner Erzählung bezwecken wollte.

Hauptperson ist die 15-jährige Sylvia, schüchtern, zurückhaltend. Sie muss für ein oder zwei Wochen ihre Mutter, die eine Auszeit braucht, widerwillig begleiten, und zwar nach Northumberland, einem riesigen Naturgebiet, weit weg von ihrer Freundin und mit denkbar schlechtem Handyempfang. Die Mutter arbeitet beruflich mit schwierigen Kindern und Jugendlichen und möchte die freie Zeit zum Malen nutzen. Der Vater hält sich die meiste Zeit seines Lebens in Kriegsgebieten auf, weit weg von seiner Familie. Als Sylvia dem Nachbarjungen Gabriel begegnet, der ihr seine aus einem Knochen gefertigte Flöte zeigt und ihr einen völlig anderen Blick auf die Natur näher bringt, beginnt in Sylvia ein detailreich geschilderter Wandlungsprozess.

Die Geschichte wird nicht geradeläufig nachvollziehbar erzählt. Alles und jedes wird mystisch verbrämt, okkult umschrieben und mit symbolhaften Bildern versehen einerseits, andererseits gibt es Szenen, die fast comic-haft lautmalerisch daherkommen, wie bei Telefonaten zum Beispiel: „knister, knister, murmel, murmel“… Diese Sprünge zwischen inneren verklausuliert formulierten Wandlungsprozessen und realen Vorkommnissen machten es mir schwer, mich ernsthaft auf das Buch einzulassen. Zu viele Botschaften stecken in den Seiten. Da mag jeder vielleicht etwas anderes für sich herauspflücken können. Mir gefiel eigentlich, dass sich der Autor als ein Lautmaler, ein Wörtermaler, ein Bildermaler und als ein Seelenmaler sieht. Aber genau darin verliert er sich und damit meines Erachtens die Verbindung zum Leser.

Fazit: Eine mystisch verbrämte, symbolüberladene Geschichte einer Heranwachsenden, deren schüchtern-junges Selbst sich in der Natur vereinigt zu einem reiferen Selbst.

Bewertung vom 13.02.2022
Der Holländer / Liewe Cupido ermittelt Bd.1
Deen, Mathijs

Der Holländer / Liewe Cupido ermittelt Bd.1


sehr gut

Ein Roman wie Ebbe und Flut

„Roman“ steht auf dem sehr passend zum Inhalt gestalteten Cover. Aber eigentlich ist es, wie ich finde, ein Kriminalroman, ein ruhig-unaufgeregt erzählter Kriminalroman, der mich, die ich weit entfernt vom Meer lebe, in mir völlig unbekannte Gegenden entführte.

Ausgerechnet bei ihrer letzten Fahrt vor der Pensionierung entdeckt Geeske Dobbenga, tätig beim niederländischen Grenzschutz, eine Leiche im Watt. Ein Deutscher, gefunden im Grenzgebiet zwischen den Niederlanden und Deutschland. Während man sich um Zuständigkeiten streitet, entsendet die Bundespolizei in Cuxhaven heimlich den Ermittler Liewe Cupido nach Delfzijl. Liewe ist Deutscher, aber auf Texel aufgewachsen. Er ist ein besonderer Typ, eigenwillig und wortkarg. Man nennt ihn den „Holländer“. Niemand könnte besser als er Licht in das Dunkel bringen, das sich um den Toten rankt.

Leicht machte es mir der Autor nicht, das Buch zu lesen. Im Präsens gehalten erzählt er sehr beschaulich-eindringlich von einer Welt, die mir bislang völlig fremd war. Wattwanderungen als eine Art Sport zu verstehen, überaus gefährlich einerseits, Grenzerfahrungen vermittelnd andererseits – diese Faszination, sich der Kraft der Natur zu stellen, konnte ich trotz der eindrücklichen Schilderungen des Autors nicht wirklich nachvollziehen. Beeindruckt jedoch hat mich seine seltsam lakonische Erzählweise, die genau die Wesensart der Menschen am Meer widerspiegelt, beobachtend und mit auf das Minimum reduzierten Gesprächen. Die vielen mir unbekannten nautischen Begriffe erschwerten mir jedoch das Lesen. Trotz allem lag von Anfang bis Ende über dem Buch eine permanente leise Spannung, besser noch würde ich es als eine andauernde Anspannung bezeichnen, wenn sich im Laufe der Ermittlungen die Beziehungen zwischen den Hauptpersonen nach und nach auftun und der Ermittler selbst mit seinen eigenen traumatischen Belastungen auf eigenwillige Weise mitwirkt. Sehr hilfreich war für mich übrigens die im Schutzumschlag aufgezeichnete Landkarte, auf der ich mich zum besseren Verständnis oftmals während des Lesens über Örtlichkeiten und Entfernungen informierten konnte.

Fazit: Ein leiser, langsamer, literarischer Kriminalroman, der in seiner Gestaltungskraft etwas von Ebbe und Flut hatte, im Wechsel zwischen Mensch und Natur.

Bewertung vom 08.02.2022
Die gigantischen Dinge des Lebens
Nielsen, Susin

Die gigantischen Dinge des Lebens


ausgezeichnet

Urkomisch und ernst-traurig

Der 14-jährige Wilbur ist schüchtern. Sehr schüchtern. Bloß nicht auffallen, am besten unsichtbar sein. Das ist seine Devise. Denn sein Mitschüler Tyler hat Spaß daran, ihn zu verspotten und zu quälen, wann immer sich die Gelegenheit dazu bietet. Da können die beiden Mütter von Wilbur noch so einfühlsam und stärkend auf Wilbur einwirken. Mum und Mup, die beiden Mütter, haben genug eigene Sorgen, denn das Geld ist knapp trotz mehrerer Aushilfsjobs. Da will Wilbur nicht noch mehr Probleme nach Hause bringen. Wie gut, dass es den alten und vereinsamt lebenden Nachbarn Sal (82) gibt, der Wilbur so manch verständnisvolle Unterstützung zukommen lässt. Als die Austauschschülerin Charlie aus Paris bei Wilburs Familie einzieht, wird Wilbur in einen alles in Frage stellenden Gefühlswirrwarr gestürzt. Wie kann sich Wilbur, der Unsichtbare, zu Wilbur, der Coole, verwandeln?

Susin Nielsen hat eine unübertreffliche Gabe, Trauriges und Ernstes in eine flockenleichte Geschichte zu verpacken, die mich tief beeindruckt hat. Die Autorin spielt geradezu virtuos mit Humor und Ernst. Szenen der Situationskomik spielen mit Szenen der Ernsthaftigkeit auf eine solch gekonnte Weise, wie ich es in der Form noch nie gelesen habe. Brüllend komische Situationen transportieren gleichzeitig traurige Gegebenheiten. Und der Leser fällt von einer Sekunde zur anderen vom lauten Auflachen in überflutende Gerührtheit. Die geschilderten Personen sind in ihrer Individualität wunderbar einfühlsam geschildert, liebenswert, tapfer im Lebenskampf und empathisch im Miteinander.
Übrigens: Das originelle Cover erschließt sich nur dem, der das Buch gelesen hat!

Fazit: Eine großartig geschriebene Coming-Age-Geschichte, urkomisch und gleichermaßen ernsthaft. Ich würde das Buch nicht nur Jugendlichen empfehlen, sondern unbedingt auch Erwachsenen, da es gewohnte Denkmuster geschickt über den Haufen wirft.

Bewertung vom 01.02.2022
Strahlemann
Schaefer, Fritz

Strahlemann


ausgezeichnet

Der junge Fritz Schaefer, von Beruf 1Live-Moderator, hat ein, wie ich finde, beachtenswertes Buch geschrieben, in dem er in zeitlich beliebiger Folge von Ereignissen aus seiner Kindheit und Jugend berichtet, leider, leider in einer sehr augenfeindlichen Typographie gedruckt.

Ein sehr trefflicher Titel für das Buch wurde gewählt. Denn in der Tat gelingt es Fritz Schaefer durchweg, seine Kindheits- und Jugenderinnerungen so zu erzählen, dass der Leser lächelnd oder mitunter hell auflachend den Erzählungen folgt, obwohl hier eigentlich verstörend-schreckliche Dinge erzählt werden. Ich bewundere die große Kunst des Autors, mit einer unglaublich leichten, ja geradezu lächelnden Feder Schlimmstes zu erzählen und dabei doppelbödig zu offenbaren, wie seine kindliche Überlebensstrategie war und – wie dieses Buch beweist - nach wie vor noch ist.

Als Bruder einer körperlich schwer behinderten Schwester musste er Wege finden, um nicht völlig übersehen zu werden. Als Sohn einer alleinerziehenden Mutter musste er früh Verantwortung übernehmen. Als Kind die meiste Zeit bei den sehr seltsamen und in abgrundtiefer Hassliebe verbundenen Großeltern aufwachsend, gewann er eine sehr schräge Sicht auf Liebe und Zuneigung. Noch selten habe ich so eindrücklich davon gelesen, mit welch immensen Überlebens-Kräften ein Kind ausgestattet wird, wenn es ihm an so vielem fehlt, was für seine Entwicklung notwendig wäre.

Fazit: Ein vordergründig sehr unterhaltsam-heiteres Buch, dessen Hintergrund jedoch so viel Bitteres enthält, dass mir beim Lesen das Lachen oftmals im Hals stecken blieb.

Bewertung vom 29.01.2022
Gala und Dalí - Die Unzertrennlichen / Berühmte Paare - große Geschichten Bd.1
Frank, Sylvia

Gala und Dalí - Die Unzertrennlichen / Berühmte Paare - große Geschichten Bd.1


weniger gut

Trivialer Roman, uninspiriert, farblos-flach

Eine neue Reihe im Aufbau Verlag will auf sich aufmerksam machen: Berühmte Paare – Große Geschichten. Begonnen wird mit dem Roman „Gala & Dali – Die Unzertrennlichen“, geschrieben von einem Künstler-Autoren-Ehepaar unter dem Pseudonym Sylvia Frank. Als gleichermaßen ambitionierte Kunst- und Sprachliebhaberin war ich sehr gespannt auf diesen Roman. Doch ich wurde bitter enttäuscht.

Der Roman umfasst die Zeitspanne zwischen 1929 und 1931. Gala ist verheiratet mit dem Dichter Paul Éluard. Um seine Schreibblockade zu überwinden, fahren beide nach Spanien in ein abgeschiedenes Fischerdorf, auch in der Hoffnung, die erkalteten Gefühle zueinander wieder beleben zu können. Gala begegnet dem 10 Jahre jüngeren Dalí, der hingerissen ist von Gala, von ihrer Schönheit, von ihrer Ausstrahlung. Dalí dagegen berührt Gala in seiner Unsicherheit und unbeholfenen Art, aber auch in seiner besonderen Sicht auf die Welt. Doch letztlich kehrt Gala mit Paul nach Paris zurück. Als sie allerdings Dalí in Frankreich wieder begegnet, wagt sie schließlich den Sprung heraus aus ihrer Ehe hin zu einem entbehrungsreichen Leben mit Dalí und im Dienst seiner Kunst.

Zwar weist das Autorenpaar ausdrücklich darauf hin, wie aufwändig ihre Recherche-Arbeit für diesen Roman war, doch von dieser Arbeit konnte ich beim Lesen kaum etwas spüren. Weder kann man beim Lesen etwas entdecken vom besonderen (politischen) Geist der Zeit der Dreißiger Jahre, noch von dem aufregenden zeitgeschichtlichen Wandel der Kunst dieser Zeit oder von den speziellen Impulsen, die von den Surrealisten ausgingen. Zwar werden etliche berühmte Maler und Literaten erwähnt, aber sie werden nirgends ausgearbeitet, sie bleiben platte Staffagen. Und leider bleiben auch die beiden Hauptpersonen farblos und flach. An keiner Stelle des Romans wird der Leser erfasst von Emotionen, die zwar beschrieben werden, aber so leblos angeboten werden wie Kochrezepte. Ebenso farblos bleiben die wenigen Passagen, die sich auf künstlerische Arbeiten von Dalí beziehen. Wirklich spürbar bleiben allein die sehr gelungenen Naturbeschreibungen, offensichtlich gespeist aus eigenem (Recherche)-Erleben der Autoren.

Fazit: Ein rundum enttäuschender, mäßig unterhaltsamer, uninspiriert geschriebener trivial-oberflächlicher Roman.

Bewertung vom 25.01.2022
Aurora und die Sache mit dem Glück
Weeks, Sarah

Aurora und die Sache mit dem Glück


ausgezeichnet

Sensibel, feinfühlig und warmherzig erzählt

Aurora ist komisch. Jedenfalls sagt sie selbst das von sich, und das sagen die anderen Kinder über sie und meiden sie. Sie hat einige seltsame Angewohnheiten, die ihr helfen, mit Anspannung und Unsicherheiten zu recht zu kommen. Ihr Hund Duck ist ihr allerbester Freund, denn dem sind komische Angewohnheiten völlig egal. Als nachts ein Brand im Haus ausbricht, Aurora mit ihren zwei Müttern bei einer Bekannten unterkommen muss und Duck verschwunden ist und bleibt, weiß Aurora nicht mehr ein noch aus. Noch dazu hat sich Heidi zu Besuch angesagt. Um Heidi ranken sich viele Geschichten, die Aurora oft und oft von ihren Müttern erzählt bekommen hat. Aurora kennt Heidi bislang nicht, aber dass Heidi früher einmal angeblich das Glück zu ihren Müttern gebracht hat und dass viele Gedanken an die Essensvorbereitungen für Heidi verschwendet werden, verunsichert Aurora sehr. Wenn doch wenigstens Duck wieder da wäre…

Dieses Buch hat mich völlig gepackt. Es ist mit leichter Feder geschrieben, auch das Schwere, das Ernste wird in federleichte Sätze verpackt. Und gerade weil die Geschichte so schwebend leicht daher kommt, hat sie mich emotional sehr berührt. Es gibt ja tatsächlich kein größeres Glück, als sich geliebt zu wissen, aufgehoben in einem liebevollen, verständnisvollen Umfeld, und rundum so akzeptiert zu werden wie man ist. Aber wie wichtig es auch ist zu lernen, wie Freundschaft sich anfühlt. Und dass Selbstbewusstsein dazu gehört, auch das Komisch-Sein. Und was Tierliebe bedeutet.

Fazit. Ein sensibles, ein feinfühliges Buch, das in seiner Warmherzigkeit alle die umarmt, denen das Glück manchmal abhanden zu kommen scheint.

Bewertung vom 22.01.2022
Wieso? Weshalb? Warum? junior AKTIV: Feuerwehr

Wieso? Weshalb? Warum? junior AKTIV: Feuerwehr


gut

Vom Schauen zum Tun

Grundsätzlich halte ich die Reihe Wieso Weshalb Warum für eine sehr wertvolle Sachbuchreihe für Kinder unterschiedlicher Altersgruppen. Aber mit diesem Band aus der Reihe „junior aktiv“ kann ich mich leider nur bedingt anfreunden.

Gut ist, dass das Buch nicht viel kostet. Denn es wird nicht als Buch wahrgenommen, sondern eher als reines Beschäftigungsangebot. In Händen von Zwei- und Dreijährigen ist es deshalb sehr schnell „aufgearbeitet“ und fliegt in die Ecke bzw. in den Müll, wenn es vollgemalt und ausgeschnitten und verklebt ist. Das Anschauen, möglichst unter Beteiligung von Erwachsenen, hält sich bei dieser Ausgabe sehr in Grenzen, weil die Ablenkung durch die gestellten Aufgaben sofort vom Schauen ins Tun verschoben wird. Schön und kindgerecht sind die klaren Abbildungen, auch wenn sie irgendwie etwas altmodisch wirken.

Fazit: Sorgfältig und altersgerecht gemacht. Doch mir sind für Kinder generell Bücher lieber, in denen steht „Sei lieb zu diesem Buch“, statt die kleinen Leser zu animieren, im Buch herumzumalen, es zu zerschneiden und zu verklebe . Das entspricht einfach nicht dem, was ich einem Kind vermitteln will, nämlich die Wertigkeit des Buches an sich, mit dem man sorgsam umzugehen hat.

Bewertung vom 17.01.2022
Kleine Philosophie der Begegnung
Pépin, Charles

Kleine Philosophie der Begegnung


ausgezeichnet

Weg vom Plapperalltag hin zu echten Begegnungen

In Zeiten der Kontaktbeschränkung fange ich an, vermehrt über den Wert von Begegnungen nachzudenken. Was sind überhaupt „echte“ Begegnungen? Das heillose Geschnatter in einer Wandergruppe? Der Austausch von Krankheiten oder belanglosen Alltäglichkeiten oder nichtssagenden Höflichkeitsfloskeln? Charles Pépin’s „Kleine Philosophie der Begegnung“ hat mir auf meine Fragen viele wichtige Antworten gegeben.

Das kleine Büchlein ist versehen mit einem Cover, das Menschen mit Kontaktlinien verbindet. Doch Begegnung ist mehr als Kontakt. Begegnung beinhaltet etwas Aufrüttelndes, Wachmachendes, auf jeden Fall Überraschendes, niemals aber Vereinnahmendes. Der Autor findet in zahlreichen Gedankenbögen zu berühmten Persönlichkeiten und zu großen Werken der Literatur Unterstützung für seine Thesen. Allein schon der Anhang mit seinem umfangreichen Personen- und Literaturverzeichnis ist eine großartige Möglichkeit, sich über das Buch hinaus weitere Inspirationen zum Thema zu holen. Charles Pépin schreibt anspruchsvoll und dennoch gut lesbar. Schwierigere Textpassagen sind eingebettet in Gedanken, die mit einer gewissen Leichtigkeit und manchmal sogar mit einem leisen Schmunzeln geeignet sind, uns fast unmerklich das Schwierige verstehen zu lassen.

Fazit: Die „kleine Philosophie der Begegnung“ ist ein kleines und doch im Inhalt großes Büchlein, dem es auf äußerst elegante Weise gelingt, uns aus unseren ewig plappernden Alltagskontakten herauszuführen in die Achtsamkeit echter Begegnungen.

Bewertung vom 16.01.2022
Erschütterung
Everett, Percival

Erschütterung


ausgezeichnet

Ein vielschichtiges literarisches Kleinod

Diesen Roman habe ich als unauslotbar empfunden. Auf einer fesselnden erzählerischen Ebene ist er gut verstehbar und sehr bewegend. Auf anderen Ebenen bleibt er jedoch durchweg rätselhaft. Rätselhafte Einschübe von wissenschaftlich-geologisch-paläontologischen Absätzen, rätselhafte fremdsprachliche, für mich daher nicht verstehbare Einsprengsel. Eingebettet in einer mehr als mehrdeutigen Geschichte. So mag es wohl sein, dass jeder aufmerksame Leser etwas anderes aus diesem Roman herausholt, das wahre Geheimnis jeder großen Literatur.

Zach Wells ist Paläontologe. Er hat es sich in seinem langweiligen Leben bequem gemacht und kümmert sich um nichts. Er lehrt in langweiligen Vorlesungen über sein sehr nerdiges Fachgebiet. Auch in seiner Ehe herrscht Langeweile. Einziger Lichtblick ist Sarah, seine 12-jährige Tochter, mit der Zach mit Freude Schach spielt. Als bei Sarah das seltene Batten-Syndrom, eine unheilbare, zum frühen Tod führende neurodegenerative Erkrankung diagnostiziert wird, wandelt sich Zach Wells zu einem Menschen, der seismographisch fein die Veränderungen, von der Diagnose ausgelöst, bei seiner Frau, bei Sarah und vor allen Dingen bei sich selbst wahrzunehmen sind. Er reist aufgrund eines gefundenen winzigen Zettels in einer gebraucht gekauften Jacke, eines merkwürdigen Hilferufes, nach New Mexiko. Er flieht vor seiner eigenen Lebenssituation und fühlt sich aufgerufen, einer Gruppe Zwangsarbeiterinnen zu helfen. „Ich war hier, um jemanden zu retten, irgendwen. Ich brauchte das.“

Die selbstironische Beschreibung seiner selbst mündet in Sätzen wie „Ich ließ mich nie tätowieren“ – wichtig-unwichtige Botschaften, die dennoch sehr präzise das Bild eines Menschen ergeben, der sich für nichts engagiert, nicht einmal für sich selbst. Das Bild eines Mannes, in dessen Leben die Knochenfragmente urzeitlicher Buschratten mehr Gewicht haben als alles andere. Den fein ziselierten Windungen der Selbstbeobachtung im Reden und im Träumen zu folgen, ist auf keiner einzigen Seite langweilig. Im Gegenteil, man wird mitgezogen aus der Lebensträgheit heraus hinein in ein tiefes Lebenserschrecken durch die Erfahrung, dass auch die größte Vorsicht nicht beschützt vor Schicksal.

Fazit: Ein literarisches Kleinod, vielschichtig und bewegend.